Die Reform

der

Mündelsicherheitsbestimmungen

und der industrielle Anlagekredit

Zugleich ein Beitrag zum Erwerbslosenproblem

Von

Dr. rer. pol. Heinrich Rittershausen

Jena

 

Verlag von Gustav Fischer 1929

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Vorwort.

 

            Geht man den wirtschaftlichen Auswirkungen der heute geltenden Mündelsicherheitsbestimmungen nach, so stößt man sehr bald auf den engen Zusammenhang zwischen den Pro­blemen der Mündelsicherheit, des industriellen Anlage­kredits und der Erwerbslosenfrage.

Die Erkenntnis des Zusammenhanges zwischen diesen scheinbar weit auseinander­liegenden Gebieten wird sich im Verlaufe der Untersuchung so sehr befestigen, daß man schließlich in den drei Fragen nur die verschiedenen Seiten eines Problems erblicken wird.

Hieraus werden sich Schlußfolgerungen ziehen lassen, die sich für die Lösung der Frage, in welcher Weise die derzeitig gültigen Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften reformiert werden müssen, als recht fruchtbar erweisen werden.

Leider war es nicht möglich, diesen Sachverhalt mit einem einzigen Schlag­wort hinreichend zu kennzeichnen; ich war daher gezwungen, der vorliegenden Schrift einen etwas weitschweifigen Namen zu geben.

 

            Die Problemstellung ist aus der Praxis erwachsen. Wohl bei allen größeren Banken macht man täglich die Erfahrung, daß es sehr oft unmöglich ist, volkswirtschaftlich hervorragend produktive und auch geschäftlich sympathische Projekte zu finanzieren, nur weil die geltenden Anlegungsvorschriften dem Verkauf bestimmter Arten von Emissionen hindernd entgegen­stehen. Der Bankier pflegt dann sein Mißfallen darüber zu äußern, daß winzige Splitterprobleme, wie etwa die gesetzliche Regelung des Zugabewesens, in der Öffentlichkeit wie auch in der Regierung diskutiert werden, während gleichzeitig ver­steckte Gesetzesbestimmungen einen wirklich strangulierenden Einfluß auf das Wirtschaftsleben ausüben, ohne daß man in der

 

IV

 

Öffentlichkeit überhaupt etwas von dem Vorhandensein des Hindernisses weiß. Als Anleihe-Sachbearbeiter habe ich ge­sehen, welche Bedeutung in dieser Richtung insbesondere den Mündelsicherheits- und Anlegungs-vorschriften zukommt, die sich immer mehr als schwere Hemmnisse nicht nur der wirtschaft­lichen Entwicklung, sondern auch der Arbeitsbeschaffung er­weisen.

 

            Die jetzt mehr und mehr einsetzende Diskussion über die Reform der Mündelsicherheitsvorschriften wird fast ausschließ­lich von Juristen bestritten. So wichtig die Frage der Zu­sammenfassung der partikulären Mündelsicherheitsrechte zu einem einheitlichen Reichsmündelsicherheitsrecht auch ist, so ist doch die Gefahr groß, daß die Reform wiederum unter Außer­achtlassung wirtschaftlicher Gesichtspunkte unternommen wird und dadurch einer der gewaltigsten Hebel zur Wiederaufrich­tung des deutschen Wirtschaftslebens wie auch zur Verringe­rung der bedrohlich angewachsenen Erwerbslosenziffer auf Jahrzehnte hinaus stillgelegt wird. (jz1)

 

            Der mangelnden Beachtung der wirtschaftlichen Seite der Mündelsicherheitsbestimmungen in der Öffentlichkeit entspricht die Behandlung in der Wissenschaft: Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Anlegungsvorschriften hat eine literarische Be­arbeitung noch nicht gefunden. Überhaupt ist außer dem im Jahre 1875 erschienenen, fast ausschließlich rechtsvergleichen­den Werkchen von Felix Hecht: "Die Mündel- und Stiftungs­gelder in den deutschen Staaten" nur der ausgezeichnete Auf­satz von Prof. Dr. Th. Kipp in Gruchots Beiträgen (1923) zu erwähnen, der naturgemäß die wirtschaftlichen Fragen nicht behandelt 1).

 

            Ich habe mich daher für berechtigt gehalten, mein Mate­rial zu der Frage zu veröffentlichen. Es sollte mich freuen, wenn es mir gelingen sollte, gleichzeitig eine kleine Rektifizie­rung der herrschenden sozialökonomischen Auffassung zu er­reichen, die bisher stets davon ausgeht, daß der Bewegung der Kapitaldisposition am Kapitalmarkte innerhalb der Landes­grenzen keine Schranken gezogen sind, während in Wirklichkeit ein ganzes Netzwerk von gesetzlichen Bestimmungen für eine

__________________________

1)      Die im Jahre 1888 erschienenen Motive zum Entwurf eines Bürger­lichen Gesetzbuches geben als Literatur nur Hecht an (IV, S. 1109). Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß auch damals weitere Literatur nicht vor­handen war.

 

V

 

staatliche Beeinflussung des Kapitalmarktes sorgt, die der Be­trachtung wohl würdig ist.

 

            Meinen herzlichsten Dank schulde ich insbesondere Herrn Professor Dr. Adolf Weber in München für die seit nunmehr 10 Jahren bewiesene immer erneute Anteilnahme an meinen Ar­beiten. Weiterhin möchte ich herzlich danken Herrn Minister N. J. Hóst in Kopenhagen, Frau Julie Meyer in Berlin-Nikolassee, dem Akademischen Austauschdienst E. V. in Berlin und Mr. Twentyman in London für die freundliche Förderung, die sie mir zuteil werden ließen und nicht zuletzt meinem Freunde Ulrich von Beckerath in Berlin für die so wichtigen Anregungen, die ich im Verlaufe der letzten Jahre während unserer vielfachen Unterhaltungen von ihm erhalten habe.

 

London N.W.6 & Berlin-Zehlendorf, im März 1929.

                                                                                                Heinrich Rittershausen.

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

Seite

 

I. Die Bedeutung der Mündelsicherheitsvorschriften  ...............................                        1

 

II. Die geltenden Bestimmungen            ................................................................         9

 

Anhang: Überblick über einige ausländische Regelungen ....................                            21

 

III. Die Entstehungsgeschichte der Mündelsicherheitsbestimmungen ........                       26

 

IV. Die Notwendigkeit einer Reform ...........................................................                 35

 

V. Volkswirtschaftliche Prinzipien der Anlage gebundener Kapitalien .....                       52

 

VI. Reformvorschläge ……………………………………………………..                76

 

 

 

________________


 

I. Die Bedeutung der Mündelsicherheitsvorschriften.

 

            Umfassende Bedeutung der Mündelsicherheitsbestim­mungen. — Anfänglich bezogen sich die Mündelsicherheitsbestim­mungen nur auf Mündelgelder im engsten Sinne. Die hier in Frage kommenden Beträge mögen in Deutschland vor dem Kriege an und für sich schon weit über i Milliarde Mark aus­gemacht haben; trotzdem spielte dieser Betrag am Kapital­markte keine wesentliche Rolle.

            Die populäre Auffassung geht nun dahin, daß die heutige Bedeutung der Vorschriften noch wesentlich geringer sei, da ja die Mündelvermögen durch die Inflation zum größten Teile ver­nichtet sind. Wenn diese Ansicht zutreffend wäre, würde die eingehende wissenschaftliche Behandlung der Frage kaum zu rechtfertigen sein. Dem ist nicht so. Vielmehr wird im fol­genden nachgewiesen werden, daß die Mündelsicherheitsbestim­mungen zusammen mit den Anlegungsvorschriften im Verlaufe der letzten Jahrzehnte eine derartig umfassende Bedeutung er­langt haben, daß sie in volkswirtschaftlicher Beziehung etwa den Steuer- und Zollgesetzen gleichstehen.

 

            Sie beherrschen große Teile der Familienvermögen. — Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die mündelsichere Anlage von Kapitalien (§§ 1806ff.) beschränken sich nicht auf die Vormundschaft. Sie gelten nicht nur bei Vormundschaften und Pflegschaften, sondern auch für den Ehemann bezüglich des zum eingebrachten Gute der Frau ge­hörenden Vermögens (§ 1377; § 1525, Abs. 2), für den Vater und die Mutter bezüglich des Kindesvermögens (§ 1642) und für den Vorerben bezüglich der Vorerbschaft (§ 2119). Besonders der letzteren kommt wegen der augenblicklichen Gestaltung des deutschen Erbschaftssteuerrechts eine besondere Bedeutung zu.

            Innerhalb des Gebietes des Bürgerlichen Gesetzbuches kommen die Bestimmungen ferner zur Geltung bei der Sicher­heitsleistung (§§ 234, 238) und beim Pfandrecht an einer Forderung sowie beim Nießbrauch hinsichtlich der Anlage

 

     2    

 

der auf Grund dieser Rechtsverhältnisse eingehenden Gelder (vgl. §§ 1079, 1288; dazu § 1083).

            Darüber hinaus wurden den Mündelsicherheitsbestim­mungen im Laufe der Entwicklung auch die Vermögen der Stif­tungen 1), Innungen (Gew.-O. § 89a), Gemeinden und auch der Kirchen, die recht beträchtlich waren, ferner die Bestände der Sparkassen, das Vermögen der Sozialversicherungs­anstalten und die Reserven der Privatversicherungs­gesellschaften unterworfen. Über den Anteil, den diese größ­ten Sammelbecken von Sparkapitalien an der Gesamt­summe der Ersparnisse des Volkes haben, läßt sich nicht ein­mal schätzungsweise ein Urteil abgeben. Es soll jedoch ver­sucht werden, durch einige typische Ziffern wenigstens eine all­gemeine Vorstellung von der Größe dieses Anteils zu geben.

 

            Die Vermögen der Stiftungen, Innungen, und Kirchen. — Über die Vermögen der Stiftungen und Innungen besteht keine brauchbare Statistik, da jeder Einblick in die Finanz­gebarung zum mindesten bei den ersteren fehlt 2). Auch die evangelische und die katholische Kirche, die über sehr erheb­liche Kapitalien verfügen, "nehmen in gleicher Weise wie jeder Privatmann das Recht für sich in Anspruch, ihr Vermögen dis­kret zu verwalten" 3). Sie veröffentlichen keinerlei Vermögens­ausweise. Es ist daher nicht möglich, den Umfang dieser be­deutenden Posten in der Rechnung festzulegen.

 

            Die Sparkasseneinlagen. — Am Ende des Jahres 1913 betrugen die Einlagen bei sämtlichen deutschen Sparkassen zu­züglich der Reserven rund 20,6 Milliarden Mark, die gesamten Aktiven dieser Kassen 20,8 Milliarden Mark. Hiervon waren 19,5 Milliarden = 94,1 % in Mündelwerten angelegt, nämlich in Hypotheken, mündelsicheren Effekten und in Kommunaldar­lehen 4). Der jährliche Zuwachs von rund 700 Millionen wurde fast ganz zum Erwerb neuer mündelsicherer Anlagen verwendet.

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1)      Durch Landesrecht, nicht überall; die Stifter schrieben und schreiben jedoch häufig mündelsichere Anlagen auch dann vor, wenn landesrechtliche Vorschriften fehlen.

2)      Eine Statistik über die Mündel- und Stiftungsvermögen besteht nicht; die Ziffern des Berliner Statistischen Amtes geben kein ausreichendes Bild.

3)      Vgl. die bei J. Pfitzner, Auslandsanleihen, 1928, S. 104, zitierte Auslassung einer kirchlichen Stelle.

4)      Vgl. Vierteljahrshefte 1927, III.

 

   3   

Ende 1927 waren die Spareinlagen schon wieder auf 4,66 Milliarden Reichsmark angewachsen 1), ungerechnet der Giroeinlagen, die über 1 Milliarde betrugen. Hiervon war ein ge­ringerer Prozentsatz als vor dem Kriege in Mündelwerten an­gelegt, der aber immerhin über 4 Milliarden Reichsmark aus­machte. Der jährliche Zuwachs an Spareinlagen, der im Jahre 1927 zum ersten Male seit der Stabilisierung wieder ganz den mündelsicheren Anlagen zugeführt wurde, betrug in diesem Jahre über 1.500 Millionen.

Das Vermögen der Sozialversicherungsanstalten. Die Invaliden- und Unfallversicherung (29 Landesversiche­rungsanstalten und 6 Sonderanstalten) wies folgende Leistungen

auf:

                                                            1913                187 Mill. M 

                                                            1926                710    "     "

Die Auszahlungen der Anstalten haben sich danach mehr als vervierfacht, ebenso wahrscheinlich die Verpflichtungen. Wenn das Vermögen der Anstalten im Jahre 1913  2105 Millionen M betrug, wird man also annehmen können, daß in absehbarer Zeit Reserven in etwa der vierfachen Höhe angesammelt wer­den müssen, obwohl das Vermögen Ende 1926 erst wieder 430,9 Millionen Reichsmark betrug. Das Vermögen der Invaliden­versicherung war 1913 zu über 98  % in Mündelwerten angelegt, welcher Prozentsatz bald wieder erreicht sein wird 2).

 

            Die Angestelltenversicherung verfügte im Jahre 1918 über 840 Millionen Mark; im Jahre 1926 schon wieder über 534,4 Millionen Reichsmark, wovon 533,1 Millionen auf Reserven entfielen. Von den Anlagen entfielen 3):

 

                        Auf Grundbesitz ……………………..                 8,0 Mill. RM

                          "   Hypotheken .................................             226,4   "       "

                          "   Darlehen an Länder ....................                 30,2   "       "

                          "         "         "  Kommunalverbände                111,5   "       "

                          "   mündelsichere Wertpapiere .......                 121,9   "       "

                          "   sonstige Darlehen   .....................                10,3    "       "

                          "   sonstige Forderungen ................                   17,0    "       "

                          "   noch nicht eingegangene Zinsen                       6,7    "       "

                                                                 Insgesamt:               534,4 Mill. RM

__________________________

1)      Mitte 1928 5,8 Milliarden RM.

2)      Vgl. Stat. Jahrbuch 1927, S, 423.

3)      Vgl. Stat. Jahrbuch 1927, S. 424.

 

    4   

 

            Auch diese Anstalt ist also der Verpflichtung, sich auf mündelsichere Vermögensanlagen zu beschränken, vollauf nachgekommen.

 

            Der für Neuanlagen verfügbare Zuwachs am Vermögen betrug im Jahre            1925                144 Mill. M,

                                                                                                                                    1926                207 Mill. und

1927                199 Mill.

            Das Vermögen der gesamten Sozialversicherung ein­schließlich der knappschaftlichen Pensionsversicherung, jedoch ohne die Erwerbslosenversicherung 2), betrug Ende 1926 1.900 Mill. RM, Ende 1927 2.600 Mill. RM 1). Der für Neuanlagen verfügbare Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben, der 1913 464,9 Mill. RM betragen hatte 3), betrug im Jahre 1925 schon wieder 398 Mill. RM, im Jahre 1926 527 Mill. RM und im Jahre 1927 4) 624 Mill. RM. — Jährlich werden mithin allein aus der Sozialversicherung gegen 600 Millionen verfüg­bar sein, die schon in 10 Jahren, wenn keine wesentlichen Ände­rungen eintreten, zusammen mit dem heute vorhandenen Be­stand auf etwa 10 Milliarden angewachsen sein müssen 5), um­gerechnet den Zuwachs durch Zinseszinsen.

 

            Die Reserven der privaten Versicherungsgesellschaf­ten. — Die Kapitalkraft der deutschen Versicherungsgesellschaften ist gewaltig, hat man doch nicht ohne Berechtigung gesagt, daß die Stadt Berlin mit ihrem Gelde erbaut ist. Die Anlagen allein der deutschen privaten Lebensversicherungs­gesellschaften betrugen im Jahre 1915 (Aktiengesellschaften und Gegenseitigkeitsvereine zusammen):

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1)      Vgl. Wirtschaft und Statistik 1928, S. 487: "Die deutsche Sozial­versicherung im Jahre 1927".

2)      Hier liegen, da sie erst vor kurzem ins Leben gerufen ist, noch keine Ziffern vor.

3)      Vgl. Stat. Jahrbuch 1927, S. 427.

4)      Ohne Aufwertungseinnahmen. Vgl. Wirtschaft und Statistik 1928, S. 488.

5)      Inwieweit diese Thesaurierung berechtigt ist, kann hier nicht ge­prüft werden; zweifellos angebracht ist sie bei der Angestelltenversicherung und der knappschaftlichen Pensionsversicherung, bei denen durch Reserve­bildung Vorsorge für das Abaltern des versicherten Personenkreises getroffen werden muß.

 

    5   

 

            Grundbesitz  ....................................................               109 Mill.  M

            Hypotheken .....................................................            4 750   "      "

            Darlehen an öffentliche Körperschaften .........                  295   "      "

                   "       auf Wertpapiere ...............................                   4   "      "

            Mündelsichere 1) Wertpapiere .......................                 463   "      "   

            Policendarlehen ..............................................                517   "      "

            Wechsel und sonstige    .....................................                   1  "      "

                                                                                                6 144 Mill. M. 2).

 

            Ende des Jahres 1927 betrug die Gesamtsumme der Kapitalanlagen der Lebensversicherungsunternehmungen wieder 1.209,9 Mill. RM, wovon 696,7 Mill. auf das seit 1924 getätigte Neu­geschäft entfielen. Die Verteilung der Kapitalanlagen an diesem Zeitpunkte zeigt folgendes Bild 3):

 

                                                                                                Neuanlagen      Aufwertungsstock

            Grundbesitz ………………………………………       77,3                             

            Hypotheken ………………………………………     433,8                           458,0

            Darlehen an öffentliche Körperschaften …………          32,3                              15,8

            Mündelsichere Wertpapiere ……………………..       136,3                              17,8

            Policendarlehen .....................................................          17,0                            21,6

            Sonstige .................................................................     —,0                                —,0

                                                                            Mill. RM:      696,7                           513,2

 

            Diese Ziffern werden rasch wachsen, da anzunehmen ist, daß das deutsche Versicherungswesen schon in 10 - 15 Jahren seinen Vorkriegszustand wieder erreichen wird. Die Neuanlagen werden um so stärker anwachsen, als in den vergangenen 3 Jahren des Wiederaufbaus schätzungsweise über 1/3 der ge­samten Prämien-Einnahmen für Abschlußkosten usw. verausgabt und damit der Ansammlung entzogen wurde, was in Zukunft noch in prozentual geringerem Maße der Fall sein wird 4). Der Zuwachs der Neuanlagen betrug im Jahre 1926 bei den Lebens­versicherungsgesellschaften 264 Mill. RM; der Anlagenzuwachs des gesamten privaten Versicherungswesens beläuft sich jähr­lich auf über 300 Mill. RM.

__________________________

            1) Im "weiteren Sinne", d.h. einschließlich der Hypothekenpfand­briefe.

            2) Vgl. Stat. Jahrbuch 1918, S. 282.

            3) Vgl. Wirtschaft und Statistik 1928, S. 520, sowie die laufenden Ver­öffentlichungen des Reichsauf-          sichtsamts für Privatversicherung.

            4) Vgl. Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamts 1925, S. 92.

 

- 6 -

 

            Die Reserven der öffentlichen Versicherungsanstalten. — Hinzuzufügen sind die Reserven der öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalten, der Sozietäten, die insbesondere das Feuer- und Lebensversicherungsgeschäft betreiben. Allein die Kapitalanlagen der 18 öffentlichen Lebensversicherungsanstalten betrugen am 31. Oktober 1928 etwa 160 Mill. RM und ver­teilten sich wie folgt 1):

 

                                    Neuanlagen     Aufwertungsstock

            Grundbesitz            9,3                        

            Hypotheken          65,2                         48,2

            Wertpapiere         14,7                         9,3

            Darlehen an öff.

            Körperschaften     15,5                         0,7

            Policendarlehen    2,1                           0,1

                                     107,4                          52,9

 

Die gesamten Anlagen der öffentlich-rechtlichen Versicherungs­anstalten aller Zweige können für Ende 1927 auf etwa 140 Mill. RM geschätzt werden, obwohl eine zusammenfassende Sta­tistik fehlt.

 

            Weitere Bedeutung der Vorschriften.Hierzu kom­men solche Kapitalien, die freiwillig in Mündel-Werten angelegt werden, weil die Öffentlichkeit in den Mündel­sicherheitsvorschriften eine besondere Empfehlung er­blickt. Der Staat bevorzugt bestimmte Kategorien von Werten gerade bei der Verwaltung solcher Vermögen, die nach all­gemeiner Ansicht einer nahezu absoluten, auf Jahrhunderte be­rechneten Sicherheit bedürfen. In der Bevorzugung durch die übermächtige Institution des Staates liegt nach allgemeiner An­sicht eine be- sondere Empfehlung - 2). Sehr viele der Staats­aufsicht gar nicht unterstehende Kapitalbesitzer lassen sich durch ein solches Beispiel bewegen, auch ihr Vermögen in der­selben Weise anzulegen, um es gegen alle Zufälle zu schützen. Insbesondere sind das alte Leute, die sich von ihren Geschäften zurückgezogen haben, Staats- und Kommunalbeamte, Gelehrte, Anwälte, Geistesarbeiter, Lehrer, Witwen; — kurz: alle die­jenigen, die entweder infolge ihrer Tätigkeit dem Geschäfts-

__________________________

1)      Vgl/Wirtschaft und Statistik 1928, S. 907.

2)      Vgl. den Aufsatz über Mündelsicherheit von Prof. Dr. jur. Th. Kipp in Gruchots Beiträgen zur Erläuterung des deutschen Rechts, 1923, 3. Jahrg., 5/6, S. S12.

 

   7 

 

leben fernstehen oder aber zu einer näheren Prüfung der An­lagen nicht die erforderliche Zeit oder die Kenntnisse haben.

            Die Vermögensbeträge, die von dieser Seite aus den Mündel­werten zugeführt werden, sind auch heute wieder sehr bedeu­tend. Sie sind um so größer, als Vermögensanlage heute tat­sächlich eine Wissenschaft geworden ist, so daß Laien sich nicht mehr, ohne Lehrgeld zu zahlen, an ihr versuchen können.

 

            Der Gesamtbetrag der infolge der Vorschriften mündel­sicher angelegten Kapitalien. — Allein die Sparkassen und die Versicherungsanstalten hatten vor dem Kriege etwa 30 Mil­liarden in Mündelwerten investiert. Rechnet man dazu die Ver­mögensanlagen der Kirchen, Gemeinden, Stiftungen und die eigentlichen Mündelvermögen einschließlich der hierher ge­hörigen Vermögen der Ehefrauen, Kinder und Vorerben, so wird man auf einen Betrag von über 50 Milliarden M kommen 1). Diese Summe erhöht sich um ein Bedeutendes durch die infolge der staatlichen Empfehlung freiwillig in mündelsicheren An­lagen investierten Beträge.

            Im Jahre 1927, dem dritten Jahr nach der Stabilisierung, hatten die Sparkassenvermögen und Versicherungsreserven fol­genden Gesamtbetrag erreicht, der sich aus der Summierung der vorher genannten Ziffern ergibt:

                        Sparkassen …………………………………………………              4660 Mill.  RM

                        Sozialversicherung (ohne Arbeitslosen­versicherung) ....................          2600    "       "

                        Privatversicherung ..........................................................................      1200    "       "

                        Sozietäten .......................................................................................       140    "        "

                                                                                                Gesamtvermögen          8600 Mill. RM

 

Je nachdem, ob man die Mündel- und Stiftungsgelder, die Kirchenvermögen, die Vorerbschaften und sonstige den Anlage­vorschriften unterliegenden Kapitalien, über die Statistiken nicht erhältlich sind, hoch oder niedrig einschätzt, wird man daher auf eine Gesamtsumme von 10 - 15 Milliarden für Ende 1927 kommen, auch wenn man diejenigen Kapitalien, die freiwillig die Vorschriften befolgt haben, gar nicht rechnet.

 

            Der jährliche Zuwachs, der für die volkswirtschaft­liche Neuanlage zur Verfügung steht, betrug schätzungsweise im Jahre 1927:

__________________________

1)      Allein die Summe der Anstaltshypotheken betrug im Jahre 1913 39,7 Milliarden (vgl. Wirtschaft und Statistik 1928, S. 563).

 

   8   

 

            bei den Sparkassen ……………………………                      1500 Mill. RM

              "  der Sozialversicherung ................................                          600    "       "

              "    "   Privatversicherung ................................                          300    "       "

              "  Kirchen, öffentl. Lebensversiche­rung, Stiftungen,

                  Familien- und Mündelvermögen etwa                                    300    "       "

                                                                                    Insgesamt         2750 Mill. RM

           

            Da man die Beträge, die freiwillig den Anlegungsvorschrif­ten folgen, auf jährlich etwa 700 - 800 Mill. RM schätzen muß, sind es schätzungsweise über 3 1/2 Milliarden RM, die in­folge der Mündelsicherheits-vorschriften jährlich be­stimmten Anlagearten zufließen.

 

            Wenn man mit der Reichskreditgesellschaft 1) die jährliche Kapitalbildung in Deutschland auf etwa 7 1/2 Milliarden RM im Jahre 1927 schätzt, so ist es also nahezu die Hälfte der ge­samten inländischen Kapitalbildung, die mehr oder weniger unter dem Zwange der Mündelsicherheit und Anlegungsvorschriften bestimmten, vom Staate gewollten Verwendungs­arten zugeführt wird. Wenn die Ausführungen Hans Harneys auf dem VII. Allgemeinen Deutschen Bankiertag in Köln richtig sind, wonach die Kapitalbildung nur auf etwa 5 Milliarden RM zu veranschlagen ist, würden sogar zwei Drittel der gesamten Kapitalbildung den Vorschriften unterliegen.

 

            Es wird im folgenden zu prüfen sein, welcher Art die vom Staate erzwungenen Verwendungen der Mündelkapitalien sind und welche Wirkungen eine solche teilweise Zwangswirtschaft auf dem Kapitalmarkte gehabt hat und in Zukunft haben wird.

__________________________

1)      Vgl. "Deutschlands wirtschaftliche Lage", herausgegeben von der Reichskreditgesellschaft A.:G., Heft 1927/28, S. 20.

 

 

_____________________


 

 

 

 

II. Die geltenden Bestimmungen.

 

            1. Der Kreis der mündelsicheren Anlagen. — Im Bürgerlichen Gesetzbuch § 1807 1) sind diejenigen Anlagearten be­zeichnet, die als reichsmündelsicher gelten. Nach dem Ein­führungsgesetz zum BGB. (Art 212) sind jedoch auch nach dem Jahre 1900 noch die landesrechtlichen Bestimmungen über Mündelsicherheit in Kraft geblieben. Es besteht also neben der "Reichsmündelsicherheit" noch der Begriff der "Landesmündelsicherheit", welch letztere fast in jedem der deutschen Länder eine andere Regelung aufweist und im Laufe der Zeit, nicht zuletzt durch die Umstellungen, die nach der Inflation er­forderlich waren, zu einem derart komplizierten Rechtsgebiete geworden ist, daß nur wenige Fachleute es beherrschen. Dieser Partikularismus ist deswegen zu verwerfen, weil mit Recht ge­fordert wird, daß die Vermögensanlage wie alle übrigen Zweige der Wirtschaft im ganzen Deutschen Reiche einem einheitlichen Rechte unterliegt. (jz2)

__________________________

1)      § 1807 lautet: "Die im § 1806 vorgeschriebene Anlegung von Mündel­geld soll nur erfolgen:

1.      in Forderungen, für die eine sichere Hypothek an einem inländischen Grundstück besteht, oder in sicheren Grundschulden oder Rentenschulden an inländischen Grundstücken;

2.      in verbrieften Forderungen gegen das Reich oder einen Bundesstaat, sowie in Forderungen, die in das Reichsschuldbuch oder in das Staats­schuldbuch eines Bundesstaates eingetragen sind;

3.      in verbrieften Forderungen, deren Verzinsung von dem Reiche oder einem Bundesstaat gewährleistet ist;

4.      in Wertpapieren, insbesondere Pfandbriefen, sowie in verbrieften Forderungen jederart gegen eine inländische kommunale Körper­schaft oder die Kreditanstalt einer solchen Körperschaft, sofern die Wertpapiere oder die Forderungen von dem Bundesrate zur An­legung von Mündelgeld für geeignet erklärt sind;

5.      bei einer inländischen öffentlichen Sparkasse, wenn sie von der zu­ständigen Behörde des Bundesstaats, in welchem sie ihren Sitz hat, zur Anlegung von Mündelgeld für geeignet erklärt ist.

Die Landesgesetze können für die innerhalb ihres Geltungsbereichs belegenen Grundstücke die Grundsätze bestimmen, nach denen die Sicherheit einer Hypothek, einer Grundschuld oder einer Rentenschuld festzustellen ist". (jz3)

 

      10    

 

            Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Bedeutung der An­legungsvorschriften ist eine Übersicht über das geltende Recht unerläßlich, wobei jedoch auf eine erschöpfende Darstellung verzichtet werden muß 1). Da sich die vorliegende Arbeit ins­besondere mit der Beziehung zwischen den Vorschriften und dem industriellen Anlagekredit beschäftigen soll, werden im fol­genden die Bestimmungen über die vorübergehende Anlage von Mündelgeldern nur kurz erwähnt werden. Die Beschrän­kung auf die langfristigen und dauernden Anlagen rechtfertigt sich im übrigen durch die quantitativ überragende Bedeutung der langfristigen Kapitalanlagen.

 

A. Mündelsichere Wertpapiere und Forderungen.

 

            I. Reichsmündelsicherheit haben 2):

 

1.         a) Forderungen, für die eine sichere Hypothek an einem inländischen Grundstück besteht;

b) sichere Grundschulden oder Rentenschulden an inländischen Grundstücken (BGB. § 1807, I,1). Die Grundsätze für die hypothekarischen Beleihun­gen werden von den Landesgesetzen bestimmt; in Preußen z. B. durch das Ausführungsgesetz zum BGB., Art 73. Diese Bestimmungen haben das ge­meinsam, daß sie nur die Beleihung von landwirt­schaftlichen und städtischen Grundstücken zu lassen, gewerbliche Hypothekendarlehen da­gegen praktisch ausschließen.

2. Verbriefte Forderungen oder Schuldbuchforderungen

a) gegen das Reich,

b) gegen einen Bundesstaat (jetzt: gegen ein Land); (BGB. § 1807, 1,2).

3. Verbriefte Forderungen, deren Verzinsung von dem Reiche  oder einem Lande gewährleistet ist (BGB. § 1807, 1,3).

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1)      Die bis 1921 geltenden Bestimmungen, insbesondere die deutschen Partikularrechte, sind tabellarisch dargestellt im Anhang II zu der Dissertation von Wilhelm Frank, Referendar, Marburg 1921.

2)      Vgl. die Zusammenstellungen insbesondere bei Hans W. Aust, Mündelsicherheit, Magazin der Wirtschaft, 1928, S. 49; Dr. K. Klügmann (Hamburg), Mündelsichere Anlagen, Wirtschaftsdienst, Hamburg 1925, S. 796, und im Handwörterbuch der Rechtswissenschaft von Stier-Somlo und Elster, Art. Mündelsicherheit von Richard Michaelis.

 

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4. Wertpapiere (insbesondere Pfandbriefe); außerdem verbriefte Forderungen jeder Art gegen eine inländische kommunale Körperschaft1); beide jedoch nur, sofern die Wertpapiere oder Forderungen vom Reichs­rat zur Anlage von Mündelgeld für geeignet erklärt sind (BGB. § 1807, 1,4)2).

 

            II. Landesmündelsicherheit:

 

            Die Bestimmungen über die Landesmündelsicherheit von Wertpapieren sind äußerst vielgestaltig; sie gelten nur für die Emissionen solcher Institute, die vor 1900 bereits bestanden, nicht für später errichtete Anstalten.

            a) Preußen. Hier sind landesmündelsicher:

                1. die Rentenbriefe der Rentenbanken, die, weil durch Preußen garantiert, auch reichsmündelsicher sind;

                2. die Emissionen von deutschen kommunalen Kör­perschaften oder deren Kreditanstalten;

                3. die Pfandbriefe der Landschaften und der öffent­lich-rechtlichen Kreditanstalten;

                4. die Kommunalobligationen der preußischen Hypo­theken-Aktienbanken, sofern ihnen nur Darlehen
                    an preußische Kommunen zugrunde liegen, nicht aber die Pfandbriefe dieser Banken.

            b) Bayern. Landesmündelsicher sind:

                1. die Pfandbriefe und Kommunalobligationen der Bayrischen Landwirtschaftsbank;

                2. die Pfandbriefe der übrigen Hypothekenbanken, nicht aber deren Kommunalobligationen (umgekehrt wie in Preußen!).

            c) Sachsen. Hier sind nur die Pfandbriefe der Säch­sischen Boden-Kredit-Anstalt und der Leipziger Hy-

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1)      Vgl. die grundlegende Bekanntmachung des Bundesrats vom 7. Juli 1901, wonach allgemein Mündelgeld in verbrieften Forderungen gegen inländische kommunale Körperschaften oder Kreditanstalten einer solchen an­gelegt werden darf, wenn die Forderungen von seiten des Gläubigers kündbar sind oder einer regelmäßigen Tilgung unterliegen. Eine besondere Erklärung war hier nicht mehr erforderlich.

2)      Seit dem Preußischen Gesetz vom 29. Oktober 1927 sind sogar die Sachwertanleihen dieser Kreditanstalten reichsmündelsicher, obwohl diese Pa­piere lebhaften Kursschwankungen unterworfen und für eins sichere Anlage von Kapitalien wenig geeignet sind.

 

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            pothekenbank mündelsicher, dagegen nicht ihre Kom­munalobligationen.

            d) Baden. Die Pfandbriefe und Kommunalobligationen der Rheinischen Hypothekenbank sind mündelsicher.

            e) Jedes der übrigen 14 Länder weist eine besondere Regelung auf, deren Darstellung zu weit führen würde.

 

            Es herrscht also, um mit Karding zu sprechen 1): " ... wil­der Wirrwarr. Die Pfandbriefe z.B. der preußischen Hypotheken­banken sind nicht mündelsicher; die der thüringischen und süd­deutschen Hypothekenbanken sind es. Dagegen sind in Preu­ßen die Kommunalobligationen der preußischen Hypotheken­banken mündelsicher, vorausgesetzt, daß ihnen nur Darlehen an preußische Kommunen zugrunde liegen. Eine preußische Hypo­thekenbank darf der Stadt Dresden ... kein Kommunaldar­lehen geben, weil ihre Kommunalobligationen dann aufhören, mündelsicher zu sein!! In Preußen sind also die dinglich ge­sicherten Pfandbriefe, das Standardpapier auf dem Rentenmarkte, nicht mündelsicher; die Kommunalobliga­tionen, die regelmäßig im Kurse mehrere Punkte tiefer gehan­delt werden, sind es". In Sachsen und Bayern ist es umgekehrt.

 

B. Mündelsichere Institute.

 

            Mündelvermögen können außer in Wertpapieren aushilfs­weise auch als Depositen bei bestimmten Bankinstituten an­gelegt werden, die vom Gesetz als zur Anlage von Mündelgeld als geeignet erklärt sind. Folgende Anstalten kommen in Frage:

1.      öffentliche Sparkassen, soweit sie im Einzelfalle als zur Anlegung von Mündelgeld geeignet erklärt worden sind (BGB. § 1807, 1,5);

2.      die Reichsbank (§ 1808), die jedoch nur unverzinsliche Depositen annimmt;

3.      die Staatsbanken (§ 1808); also diejenigen von Preußen, Bayern, Sachsen, Thüringen, Hessen, Braunschweig, Oldenburg und Lippe;

4.      die von den Landesregierungen für geeignet erklärten inländischen Banken, z. B. die vier Privatnotenbanken und die seinerzeit zusammengebrochene Pfälzische Bank.

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1)      Die Komödie der Mündelsicherheit von Dr. Karding, Mitglied der Direktion der Gemeinschaftsgruppe deutscher Hypothekenbanken, "Berliner Tageblatt" vom 14. Dezember 1927.

 

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C. Anderweitige mündelsichere Anlagen.

 

            Bis zum Jahre 1923 durften die Gerichte den Vormündern nur dann die Genehmigung zu anderweitiger Anlage im ein­zelnen Falle erteilen, wenn besondere Gründe vorlagen (§ 1811). Das Gesetz vom 23. Juni 1923 brachte hier eine durchgreifende Lockerung, indem die Genehmigung fortan nur beim Vorliegen besonderer Gründe verweigert werden durfte. Alle Anlagearten können jetzt den Vormündern auf besonderen Antrag genehmigt werden, die nicht den "Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung zuwiderlaufen". Wie Kipp schon vor Erlaß dieses Gesetzes zutreffend bemerkte 1), läßt diese Lösung den bisherigen Zustand als Regel bestehen und stellt jede andere Anlage als eine im Einzelfalle der obrig­keitlichen Bewilligung bedürftige hin, so daß die meisten Vor­münder aus Bequemlichkeit oder Bedenklichkeit die gesetzlich zugelassenen Anlagen vorziehen, um nicht erst einen Antrag an den Vormundschaftsrichter stellen und begründen zu müssen. Praktisch spielt daher auch die Lockerungsvorschrift des Ge­setzes von 1923 nur eine ganz geringe Rolle; die überwältigende Mehrheit derjenigen, die Mündelvermögen anzulegen haben, kennt und beachtet nur die unter A und B aufgeführten gesetz­lich zugelassenen Anlagearten.

 

            2. Die mündelsichere Anlage im weiteren Sinne des Wortes 2). — Die bisher erörterten Bestimmungen sollten ur­sprünglich nur für eigentliche Mündelvermögen, für das einge­brachte Gut der Frau, für das Kindesvermögen und die Vor­erben gelten. Sie sind jedoch im Verlaufe der Entwicklung von den großen Kapitalsammelstellen der Volkswirtschaft fast wörtlich übernommen worden, insbesondere von den Sparkassen, den Kirchen, den Sozialversicherungsanstalten und den privaten Versicherungsunternehmungen. Alle diese Institute erweiterten dabei den Kreis der zugelassenen An­lagen um die Pfandbriefe der Hypothekenbanken, die da­durch den Charakter der "Mündelsicherheit im weiteren Sinne" erhielten, um einen Ausdruck zu gebrauchen, der ihrer Stellung am ehesten gerecht wird.

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1)      Kipp, a. a. O., S. 513.

2)      Diesen Ausdruck hat der Verfasser, um den Sachverhalt überhaupt darstellen zu können, neu bilden müssen.

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            Für die Kapitalanlagen der preußischen Sparkassen gilt noch heute im wesentlichen das "Reglement, die Einrichtung des Sparkassenwesens betreffend", vom 12. Dezember 1838 1). Hier wird unter Ziffer 5 bestimmt, daß die Kapitalien, um die Einlagen "gehörig sicherzustellen", nur auf "erste Hypotheken", inländische Staatspapiere, Pfandbriefe und auf andere völlig sichere Art" angelegt, sowie zur Einlösung eigener Schuldobligationen und zur Dotierung kommunaler Leihanstalten ver­wendet werden dürften. Der Begriff der völligen Sicherheit wurde indes auf dem Verordnungswege allmählich so sehr be­schränkt, daß praktisch nur mündelsichere Anlagen möglich waren 2). Das preußische Anlegungsgesetz vom 23. Dezember 1912 3) nebst Ausführungsanweisungen vom 8. Mai 1913 4) ändert hieran grundsätzlich nichts; es zwingt nur die Sparkassen, 25 v. H. ihres Vermögens 5) in mündelsicheren Schuldver­schreibungen auf den Inhaber anzulegen (§ 1), die zu drei Fünftel aus Schuldverschreibungen des Reichs und Preußens be­stehen müssen. Die nach Beendigung der Inflation ergangenen Verfügungen stellen diesen Zustand im wesentlichen wieder her. So erinnert der Erlaß des Ministers des Innern IV b 2087 vom 23. Mai 1924 an die Vorschriften des Reglements von 1838 und erklärt, daß auch das Personalkreditgeschäft 6) nichts an dem für die mündelsicheren Sparkassen entscheidenden Grundsatze ändern dürfe, die Einlagen "auf völlig sichere Art" anzulegen.

            Ähnliche Vorschriften gelten für die Kirchen 7).

            Für die verschiedenen Sozialversicherungsanstalten galten früher im einzelnen voneinander abweichende Bestim­mungen 8).  Das aus Anlaß des Währungsverfalls ergangene

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1)      Abgedruckt bei Max Hahn, Handbuch der preußischen Sparkassengesetzgebung, Bd. I, S. 5.

2)      Vgl. Dr. Erich Hoffmann, Das Anlagegeschäft der preußischen Sparkassen in seiner neueren Entwicklung, Berlin 1926, S. 26.

3)      Ebendort, S. 244.

4)      Ebendort, S. 247.

5)      Bei einem Einlagenbestand von unter 5 Mill. M nur 15 v. H., bei einem solchen von unter 10 Mill. M nur 20 v. H.

6)      Vgl. den wichtigen Erlaß vom 15. April 1921.

7)      In Preußen vgl. z. B. bezüglich der evangelischen Kirche Gesetz vom 8. März 1893 (GS. 21); Kirchenverfassung vom 8. April 1924 (GS. 221); bezüglich der katholischen Kirche insbesondere das Gesetz vom 24. Juli 1924 (GS. 585) über die Vermögensverwaltung der katholischen Kirche.

8)      Vgl. die Aufzählung bei Hugo Hanow, Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, 1. Bd., S. 90 (Berlin 1926).

 

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Gesetz vom 13. Juli 1923) (RGBl. I, 636) hat unter Aufhebung der bisherigen Bestimmungen Vorschriften über die Anlegung des Vermögens geschaffen, die für sämtliche Sozialversiche­rungsanstalten gleichmäßig gelten, also beispielsweise für die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Invalidenver­sicherung und die Angestelltenversicherung. Diese Bestimmun­gen wiederholen zuerst fast wörtlich die Vorschriften des § 1807 BGB. (Reichs- und Staatsanleihen, Kommunalpapiere, Hypotheken; vgl. oben Abschnitt A, I), erwähnen sodann die­jenigen Wertpapiere, die landesgesetzlich zur Anlegung von Mündelgeld zugelassen sind (oben Abschnitt A, II), erklären weiter die auf den Inhaber lautenden Pfandbriefe deutscher Hypotheken-Aktienbanken als geeignete Anlage und be­schließen die Aufzählung mit den oben unter B aufgeführten mündelsicheren Instituten 1). Der Mündelsicherheitsbegriff der Sozialversicherungsanstalten, wenn man überhaupt von einem solchen sprechen kann, deckt sich also mit der Reichs- und Landesmündelsicherheit von Wertpapieren und Instituten zuzüg­lich der Mündelsicherheit der Pfandbriefe der Hypotheken­aktienbanken; er schließt jedoch die oben (unter C) dar­gestellte anderweitige mündelsichere Anlage, bei der die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist, aus.

 

            Ganz ähnlich lauteten die Bestimmungen, welche die An­legung des Prämienreservefonds der privaten Versicherungs­unternehmungen regelten 2). Auch sie erweiterten nur den Kreis der eigentlichen mündelsicheren Anlagen um die Hypo­thekenpfandbriefe 3). Erst das Reichsgesetz vom 19. Juli 1923 gab dem maßgebenden § 59 des Gesetzes über die privaten Ver­sicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 unter dem Ein­fluß des Währungsverfalls eine neue Gestalt, die wichtige Neue-

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1)      Außerdem dürfen nach jedesmaliger vorheriger Genehmigung der Aufsichtsbehörde Grundstücke erworben werden und an gemeinnützige Unternehmungen Darlehen und Beteiligungen gegeben werden (2. Bd. RVO., § 26, Abs. 2 und § 27c); diese Fälle sind ebenso wenig praktisch geworden wie die Anlage in verbrieften kurzfristigen Forderungen (§ 26, Abs. 1, Ziff. 12).

2)      Bis 1923 kommen im wesentlichen in Frage § 59 des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen und für die Lebensversicherungs­unternehmungen die "Übersicht" in der Veröffentlichung des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung, Juni 1903, S. 83 - 86.

3)      Vgl. auch Anhang B des Buches: "Die Kapitalanlagen der deutschen Privatversicherungsgesellschaften", von Hans Hilbert, Jena 1908.

 

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rungen brachte. Es wurden nämlich außer den eigentlichen mündelsicheren Anlagen und den Hypothekenpfand­briefen auch Aktien inländischer Aktiengesellschaften, Indu­strieobligationen und Grundstücke 1) in beschränktem Um­fange als geeignete Kapitalanlagen zugelassen; für die Prämien­reserve von solchen Versicherungen, die in ausländischer Währung zu erfüllen sind, wurden auch ausländische Staats­anleihen und andere sichere Aus-landswerte, insbesondere aber die Auslandsanleihen deutscher öffentlicher Körper­schaften und privater Unternehmungen als geeignete An­lage erklärt. Die vom Reichsaufsichtsamt unter dem 25. Mai 1925 (Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamts 1926, S. 93) ergangenen Ausführungsbestimmungen begrenzen die Anlage in inländischen Aktien auf 10 % des Prämienreserve-Solls und auf voll eingezahlte Werte, die eine amtliche Börsennotiz haben, und bestimmen, daß von dem Aktienkapital eines be­stimmten Unternehmens nicht mehr als 10 % erworben werden dürfen. Die Anlage in Industrieobligationen wird auf eben­falls 10 % der Prämienreserve begrenzt; auch hier sollen nur amtlich notierte Papiere, nach Möglichkeit mit dinglicher Sicherung, erworben werden 2). Auch Grundstücke dürfen nur in ge­ringem Umfange als Kapitalanlage verwendet werden, und nur dann, wenn sie lastenfrei sind.

 

            Abgesehen von dieser als Symptom bedeutsamen Aus­nahme ist den Anlegungsvorschriften der großen Sammelbecken von Sparkapitalien, die wir soeben betrachtet haben, die Be­schränkung auf mündelsichere Anlagen im engeren Sinne und auf die in Preußen und einigen anderen Ländern nicht eigentlich mündelsicheren Hypothekenpfandbriefe gemein­sam. Wir sind daher berechtigt, die Hypothekenpfandbriefe als "mündelsicher im weiteren Sinne" zu bezeichnen, da sie durch diese Spezialvorschriften den Mündelwerten in weitem Maße gleichgestellt sind, wie sie ja auch vom Volk häufig auch in Preußen für mündelsicher gehalten werden.

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1)      Diese waren in der geschichtlichen Entwicklung ursprünglich allgemein für mündelsichere Anlagen geeignet, welche Eigenschaft sie im Laufe des 19. Jahrhunderts verloren. Später sind sie häufig als Anlagen von Instituten zugelassen.

2)      Auf die Zulassung von kurzfristigen Forderungen gegen gewerbliche Unternehmungen usw. ist hier nicht einzugehen, da sich diese Arbeit im wesentlichen auf die langfristigen Anlagen beschränkt.

 

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            Überblickt man den Kreis der mündelsicheren Anlagen im engeren und im weiteren Sinne, so kann man sie trotz ihrer Vielgestaltigkeit unschwer in zwei Gruppen einteilen: öffent­liche Hand und Grundbesitz. Der ersteren gehören an: Reichs- und Staatspapiere, Kommunalanleihen, Kommunalobli­gationen der Hypothekenbanken, Emissionen kommunaler Kre­ditanstalten, Sparkasseneinlagen. Die Gruppe "Grundbesitz" umfaßt: Hypotheken, Grund- und Rentenschulden, Meliorations­darlehen; Pfandbriefe der öffentlichen und privaten Boden­kreditanstalten; Rentenbriefe; Grundstücke. Die bisher behan­delten Mündelwerte lassen sich nahezu restlos auf beide Gruppen verteilen. Eine der Geringfügigkeit wegen zu vernachlässigende Ausnahme bilden nur die mit öffentlicher Garantie ausgestal­teten Forderungen gegen gewerbliche Unternehmungen sowie mit Zinsgarantie ausgestattete Vorzugsaktien 1). Im übrigen ge­nießen die öffentliche Hand und der städtische wie auch landwirtschaftliche Grundbesitz allein den Vorzug der Mün­delsicherheit.

 

            3. Nicht mündelsichere Anlagen. — Nach dieser Zusammenstellung der mündelsicheren Kapitalanlagen verlohnt es sich, festzustellen, welche Anlagen nicht als mündelsicher gelten.

            Nicht mündelsicher sind in erster Linie alle Forde­rungen gegen kaufmännische, insbesondere industrielle Unter­nehmungen, sowie die Teilschuldverschreibungen dieser. Nicht mündelsicher sind also alle Darlehen an Industrie und Gewerbe wie auch alle Industrieobligationen. Ebensowenig sind mündelsicher die Depositen bei den Banken, einschließlich der Großbanken, sowie die Einlagen bei allen Kreditanstalten des Handels und der Industrie. Schließlich sind nicht mündel­sicher die Aktien aller Arten von Unternehmungen, sowie Vor­zugsaktien und Beteiligungen aller Art.

            Nicht zu den mündelsicheren Anlagen gehören auch die gewerblichen Hypotheken. Die Gewährung von hypotheka­rischen Darlehen an Industrie und Gewerbe ist nicht nur den

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1)      Sowie die vom Reichsrat (Bundesrat) auf Grund von § 1807, 4 für geeignet erklärten Wertpapiere. Diese Ausnahme kann vernachlässigt wer­den, da sie bis 1921 nur ein einziges Mal auf eine private Unternehmung an­gewendet wurde (Schuldverschreibungen der Deutsch-Ostafrikanischen Gesell­schaft [Bek. vom 14. August 1903]).

 

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Vormündern und den Verwaltern anderer Mündelkapitalien, ins­besondere der großen öffentlichen Kapitalsammelbecken, unter­sagt, sondern auch den Hypothekenbanken praktisch unmöglich gemacht. Für die eigentlichen Mündelkapitalien werden die Grundsätze, nach denen hypothekarische Beleihungen zu er­folgen haben, durch die Landesgesetze bestimmt, z. B. in Preu­ßen durch das Ausführungsgesetz zum BGB., Art. 73. Diese Bestimmungen schließen gewerbliche Beleihungen praktisch aus.

 

            Dasselbe gilt für die privaten Versicherungsunterneh­mungen. Die noch heute fast unverändert geltenden "Grund­sätze des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung für die Be­leihung und die Ermittlung des Wertes inländischer Grund­stücke" vom 1. März 1904 bestimmen in § 10 folgendes:

 

            "Bei der Beleihung von Grundstücken, die ausschließlich oder zum überwiegenden Teile gewerblichen Zwecken dienen, insbesondere von Fabriken, Mühlen, Warenhäusern, Lager­häusern, Theatern, Saalbauten u. a., ist lediglich der Wert des Grund und Bodens zu berücksichtigen.

 

            Sofern Gasthöfe, Krankenhäuser oder andere ausschließ­lich oder zum überwiegenden Teile gewerblichen Zwecken die­nende Grundstücke zum Umbau in Wohnhäuser geeignet sind und ihre Verwertbarkeit als solche nach Lage der örtlichen und sonstigen Verhältnisse außer Zweifel steht, kann außer dem Werte des Grund und Bodens auch der Wert der Gebäude nach Abzug des für einen solchen Umbau erforderlichen Kosten­betrages in Anrechnung kommen..."

 

            Die hypothekarische Beleihung gewerblich genutzter Grund­stücke ist hierdurch ausgeschlossen. — Ähnlich lauten die Beleihungsvorschriften der Träger der Sozialversicherung.

 

            Auch die Hypothekenbanken, deren Obligationen zu den mündelsicheren Werten im weiteren Sinne des Wortes gehören, dürfen die durch den Absatz der Pfandbriefe gewonnenen Mittel nur in städtischen und land-wirtschaftlichen Hypotheken an­legen; gewerbliche Beleihungen sind ihnen so erschwert, daß sie praktisch keine Rolle spielen. Zwar sind sie nicht an die landesrechtlichen Bestimmungen über den Begriff der "siche­ren" Hypothek (in Preußen Ausführungsgesetz zum BGB., Art. 73) gebunden; vielmehr gelten für sie seit 1899 die Beleihungsvorschriften des § 12 des Hypothekenbank-

 

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gesetzes. Hiernach sind bei der Feststellung des Wertes "nur die dauernden Eigenschaften und der Ertrag zu berück­sichtigen, welchen das Grundstück bei ordnungsmäßiger Wirt­schaft jedem Besitzer nachhaltig gewähren kann".

"Im übrigen sind Hypotheken an Grundstücken, die einen dauernden Er­trag nicht gewähren, insbesondere an Gruben und Brüchen, von der Verwendung zur Deckung von Hypothekenpfandbriefen ausgeschlossen."

Ein Teil der Hypothekenbanken und der öffentlich-rechtlichen Pfandbriefinstitute haben daraufhin ge­werbliche Beleihungen durch interne Vorschriften überhaupt ausgeschlossen; diejenigen Banken, die dies nicht getan haben, sind durch die Aufsichtsbehörden veranlaßt worden, die gesetz­lichen Bestimmungen so auszulegen, daß praktisch Beleihungen dieser Art seit dem Inkrafttreten des Hypothekenbankgesetzes nur noch in kleinstem Umfange vorgekommen sind. Da der Auktionswert von Industriewerken minimal und der Gewinn schwankend ist, hat man nämlich die Industrie ganz allgemein als unter die Einschränkungen des § 12 fallend angesehen, ob­wohl sich aus der Entstehungsgeschichte, wie Sontag 1) wohl zutreffend nachgewiesen hat 2), das Gegenteil ergibt. Die Hypo­thekenbanken kommen daher für gewerbliche Beleihungen nicht in Frage, ebensowenig die Stadtschaften und die Land­schaften. Eine Ausnahme bilden lediglich die Landes- und Provinzialbanken, deren "öffentlich-rechtliche Pfandbriefe" besonders seit dem Reichsgesetz über Pfandbriefe und ver­wandte Schuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher Kredit­anstalten vom 21. Dezember 1927 teilweise der Geldbeschaffung für die Kleinindustrie 3) dienstbar gemacht werden sollen und auch teilweise schon gemacht worden sind. Jedoch spielen diese Darlehen im Verhältnis zu der gewaltigen Summe der Anlagen in Werten der öffentlichen Hand und des Grundbesitzes keine Rolle.

            Hierdurch bestätigt sich die in der Praxis verbreitete An­sicht, daß es unmöglich ist, für gewerbliche oder industrielle Zwecke von Hypothekarinstituten, Versicherungsanstalten oder anderen Stellen, die berufsmäßig fremde Kapitalien auf Hypo-

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1)      Dr. Ernst Sontag, Die Gründung einer Industriehypothekenbank, Kattowitz 1909, S. 20ff.

2)      Vgl. Dr. Fritz Dannenbaum, Deutsche Hypothekenbanken, Berlin 1911, S. 158ff.

3)      Es ist an Darlehen von unter 100 000 RM im Durchschnitt gedacht.

 

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thek ausleihen, eine Hypothek zu erhalten. Nicht nur das ge­samte gewerbliche Obligationen- und Aktienkapital, sondern auch der gewerbliche Hypothekarkredit ist von der Mündelsicherheit ausgeschlossen, ebenso wie der Kre­dit der Banken und Finanzanstalten, deren Mittel dem Gewerbe zufließen.

 

            4. Reflexwirkungen der Anlegungsvorschriften. — Die Bevorzugung bestimmter Wertpapiergruppen durch den Staat hat dazu geführt, daß man diesen Mündelpapieren in wach­sendem Maße eine Art subjektives Recht auf Vorzugsbehand­lung auch in anderer Beziehung zuerkannt hat. So machen die Steuergesetze den Mündeleffekten und deren Emittenten in vielen und entscheidenden Fällen Konzessionen. Z.B. beträgt die Wertpapiersteuer bei den Emissionen der Hypothekenbanken, der Staaten und der Kommunen statt 2 % nur 1/2 %. Die Zins­einnahmen der Hypothekenbanken und ähnlicher Kreditinstitute unterliegen nicht dem 10 %igen Steuerabzuge vom Kapital­ertrag, während diejenigen analoger gewerblicher und indu­strieller Kreditanstalten ihm unterliegen 1), soweit sie nicht mit begünstigtem Auslandskapital arbeiten. Beide Steuern allein wirken für den langfristigen gewerblichen Kredit absolut prohibitiv. Dazu kommen zahlreiche Begünstigungen in den Stempel­steuergesetzen der Länder.

 

            Wichtig ist ferner, daß auch die Bestimmungen der Reichs­bank und der Staatsbanken für die Beleihung von Wertpapieren auf den Unterschied von Mündelwerten und Nicht-Mündelwerten abgestellt sind 2). Da sich alle Banken in ihrer Beleihungspolitik nach der Reichsbank richten müssen, die ja in Zeiten der Not ihre einzigste Quelle baren Geldes ist, haben die Mündel­werte auf diese Weise bei allen Banken den Vorzug der Liqui­dität erhalten. Wer Geld nötig hat, braucht Mündelpapiere gar nicht zu verkaufen, denn er kann sie zu Vorzugs-Zinssätzen beleihen. In Zeiten rückgängiger Kurse wird hierdurch zu­gleich ein Druck auf die Kurse vermieden, indem weniger Not-

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1)      Die Hypothek ist nicht die geeignete Form der langfristigen Kredit­gewährung an die Industrie. Die dieser angemessene Form ist vielmehr die Obligationenanleihe mit Gesamthypothek; für diese ist die Kapitalertragssteuer in jedem Falle abzuführen. Vgl. Reichseinkommensteuergesetz § 83.

2)      Vgl. Bankgesetz § 21, Ziff. 3; Bestimmungen der Reichsbank und der verschiedenen Staatsbanken für den Lombardverkehr.

 

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verkäufe vorkommen. Die Kursentwicklung der mündel­sicheren Papiere wird also stets stabiler sein, was einen wei­teren Anziehungspunkt darstellt. Zugleich eignen sich lombard­fähige Effekten sogar zur zeitweisen hochverzinslichen Anlage von kurzfristigen Bankmitteln; Sparkassen, Genossenschafts­banken u. a. werden schon aus diesem Grunde häufig als Käufer auftreten.

            Nicht zuletzt diese gewissermaßen als Reflexwirkungen der Anlegungsvorschriften aufzufassenden Bevorzugungen haben alle nicht-mündelsicheren Papiere und deren Emittenten in eine üble Lage versetzt. Alle Versuche, den Markt des langfristigen ge­werblichen Kredits zu organisieren, sind bei dem geltenden Recht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Folge ist bisher gewesen, daß einmal nur verschwindend wenige gewerb­liche und industrielle Emissionen am Markte sind, daß weiter­hin aber auch deren finanztechnische Entwicklungsstufe hinter derjenigen der besten Emissionstypen des Staates, des Grund­besitzes und der Kommunen zurückgeblieben ist.

 

            5. Die Lage im Auslande. — in England 1) müssen nach Common Law alle diejenigen Kapitalien, die nach deut­schem bürgerlichem Recht in Mündelwerten anzulegen sind, einem Trustee übertragen werden, der daran Eigentum erwirbt. Jedoch ist die Einrichtung des Trustees viel weiter ausgebreitet, als sich hieraus ersehen läßt. Bei der Übertragung von Grund­stücken z. B. muß, da man Grundbücher nicht kennt, zwischen die Personen des Verkäufers und des Käufers ein Trustee ein­geschoben werden, der die Verteilung des Kaufpreises an alle diejenigen Personen zu übernehmen hat, welche hypotheken- oder eigentumsartige Rechte an dem Grundstück haben oder zu haben vorgeben 2). Diese Verteilung nimmt in vielen Fällen mehrere Jahre in Anspruch 3). — Die weite Verbreitung der Trusteeschaft hat dazu geführt, daß sich sehr bedeutende, durch keine Inflation verminderte Vermögen in der Verwaltung von Trustees befinden, die ihr Amt zum Teil berufsmäßig, zum Teil ehrenamtlich ausüben.

            Die Vermögensanlagen, die diesen Trustees gestattet sind,

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1)      und Wales. In Schottland und Irland gelten andere Bestimmungen.

2)      Vgl. Property Act 1925.

3)      Zugleich wird durch die Einschiebung des Trustees eine Art von gut­gläubigem Erwerb durch den Käufer möglich gemacht.

 

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sind seit dem Jahre 1893 umfassend geregelt und in der Trustee Act 1925 1) neu formuliert und erweitert worden.

            Sektion 1 des Gesetzes enthält eine Aufzählung von zuge­lassenen Anlagen (Trustee Securities) 2): Staatspapiere und vom Staate garantierte Werte, indische Anleihen, Kommunalanleihen, englische und indische Eisenbahnobligationen, Anleihen von Wasserwerken, sowie Hypotheken und hypothekenähnliche Rechte an Grundstücken. Am Schluß wird in einer General­klausel (I r.) bestimmt, daß das zuständige Gericht auf beson­deren Antrag auch andere Werte genehmigen kann.

            In Sektion 2, 5 und 8 werden sodann Höchstkurse be­stimmt, oberhalb deren ein Ankauf der Effekten nicht mehr zu­lässig ist und bezüglich der Hypotheken die Anlage auf die erste Stelle und auf zwei Drittel des Taxwertes beschränkt.

            Abgesehen von der Bestimmung der Höchstkurse ent­spricht diese Regelung fast genau der deutschen, wobei aller­dings zu beachten ist, daß das Gesetz, wie Gutteridge sich ausdrückt, gleich allen anderen englischen Gesetzen, "nicht an die Stelle des bisherigen Caselaw 3) getreten ist. Es hat nur die leitenden Rechtsgrundsätze festgesetzt; folglich bleibt vieles aus dem Case law auch weiterhin in Kraft" 4).

 

            Der entscheidende Unterschied zwischen dieser eng­lischen und der deutschen Regelung liegt darin, daß in Eng­land die Versicherungsunternehmungen in ihren Anlagen gesetzlich völlig frei und nur an die Tradition und die Kontrolle der Öffentlichkeit gebunden sind 5). Die Gesellschaften konnten daher einen wesentlichen Teil ihrer Kapitalien in den Obliga­tionen und Vorzugsaktien der britischen Investment Trusts anlegen, d. h. solcher Gesellschaften, die sich berufsmäßig mit Vermögensverwaltung und der langfristigen Ausleihung von Ka­pitalien für industrielle und kommunale Zwecke beschäftigen

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1)      15 Geo. 5. Ch. 19.

2)      Von einem wörtlichen Abdruck muß abgesehen werden, da die Aufzählung etwa drei Druckseiten einnimmt.

3)      D.h. den seit Jahrhunderten angesammelten mit Gesetzeskraft ausgestatteten Entscheidungen der höchsten Gerichte.

4)      Vgl. Rechtsvergleichendes Handwörterbuch, Berlin  1927, Band  1, S. 84.

5)      Öffentlich-rechtliche Lebensversicherungsanstalten gibt es in England ebensowenig, wie öffentliche Sparkassen. Die Funktionen der deutschen Spar­kassen werden in England von den Depositengroßbanken, den Investment-Trusts und den Bausparkassen besorgt.

 

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und vermöge ihrer Kapitalstärke und ihrer Erfahrung die Risiken über alle Erdteile, Branchen, Währungen und Wert­papiertypen verteilen können. Die dadurch erreichte Sicherheit hat sogar den Stürmen der Jahre 1914 -1928 standgehalten und ist allgemein hoch anerkannt worden.

 

            Für die Schweiz gilt hinsichtlich der Anlage von Mündel­geldern der Artikel 401 des Zivilgesetzbuches. Die Genehmi­gung des Gerichts muß in jedem Falle eingeholt werden; dafür sind aber alle Arten von Kapitalanlagen gestattet 1). Ebenso wie das englische, kennt auch das schweizerische Versiche­rungswesen keinerlei Anlegungsvorschriften. Die schweize­rische Aufsichtsbehörde hat es absichtlich vermieden, einen Kanon für Vermögensanlagen aufzustellen, indem sie stets in der Mannigfaltigkeit der Anlagen eine Teilung des Risi­kos sah 2). Hohes Verantwortungsbewußtsein der Gesellschaften und ausgedehnte Publizität, manchmal unterstützt vom Auf­sichtsamt, haben in hinreichendem Maße für Solidität gesorgt. Dieses Verfahren hat sich praktisch bestens bewährt, "ein Be­weis, daß volle Freiheit in der Ausübung der kaufmännischen Betätigung nicht immer Zügellosigkeit nach sich zieht" 2). Wenn das englische und das schweizerische Versicherungswesen in bezug auf Sicherheit und Kapitalkraft schon vor dem Kriege führend geworden war, so verdankt es diese Stellung nicht zu­letzt seiner zweckmäßigen Anlagepolitik, die weitschauender und rentabler sein konnte, als die der deutschen Gesellschaften, deren Hände durch einengende Vorschriften gebunden waren.

 

            Im französischen Recht war durch den Code civil (Art. 450, 455, 456) nur bestimmt, daß der Vormund das Ver­mögen als guter Hausvater verwalten und den Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben anlegen muß (employer), ohne daß bestimmt wäre, wie. Es wird jedoch aus dem Gesetz vom 27. Februar 1880 gefolgert, daß der Vormund bei der Anlage von Geld der Zustimmung des Familienrates und, wenn es sich um einen Betrag von mehr als 1.500 Fr. handelt, der gericht-

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1)      1) Auch die Ausführungsgesetze der Kantone enthalten keine einengenden Bestimmungen; z. B. sagt das Genfer Gesetz vom 3. Mai 1911 nicht viel mehr, als das ZGB. selbst; vgl. Art 33: "placé en titres sûrs, agréés par l'autorité tutélaire..." —; vgl. auch den Kommentar von Egger, Zürich 1914, Bd. 2, S. 554ff., sowie Bd. 7 und 8 (Ausführungsgesetze der Kantone).

2)      Hans Hubert, a. a. O. S. 189.

 

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lichen Zustimmung bedarf 1). Bei den französischen Versiche­rungsgesellschaften liegt es der Generalversammlung ob, einen Katalog der Anlagewerte aufzustellen. In Börsenwerten aller Art, wenn sie von der Generalversammlung genehmigt sind, können bis zu ein Viertel der Aktien angelegt werden. — Die Sparkassen haben in Frankreich infolge der Eigentümlichkeit der bis 1927 bestehenden Gesetze nur eine geringe Entwicklung nehmen können; die Spartätigkeit wandte sich den Anlage­papieren und den Depositenbanken zu, die keinerlei einengenden Vorschriften unterlagen. Die französische Regelung ist also nicht so frei, wie die der Schweiz, aber bedeutend freier, als die Deutschlands.

 

            Die österreichischen Bestimmungen, sowie die der Suk­zessionsstaaten entsprechen im allgemeinen den deutschen 2). Interessant ist, daß es infolge der Vorschriften heute beispiels­weise in der Tschechoslowakei den großen Sparinstituten kaum noch möglich ist, geeignete Anlagen für die ihnen zu­fließenden Spareinlagen zu finden. Denn auch in der Tschecho­slowakei sind im wesentlichen nur Anlagen in Werten der öffentlichen Hand und des Grundbesitzes gestattet, deren Kredit­bedarf seit längerer Zeit im wesentlichen gedeckt ist. Die an­deren Wirtschaftszweige, insbesondere die mittlere Industrie, leiden an einem lähmenden Kreditmangel, da ihnen der vor­handene Kapitalüberfluß nicht zugeführt werden darf. Man ist daher schon dabei, ein dem Kabelpfandrecht ähnliches Pfand­recht an Überlandzentralen zu schaffen, um neue Anlagemöglich­keiten zu erschließen.

 

            Die amerikanischen Vorschriften sind vor dem Kriege den deutschen angenähert worden, z. B. in New York durch Ge­setz vom 27. April 1906. Die Kapitalanlage der meisten großen Sammelbecken von Volksersparnissen ist aber bis heute von ein­engenden Vorschriften 3) im allgemeinen nicht betroffen 4). Da-

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1)      Vgl. Kipp, a. a. O.S. 498; Colin-Capitaut, Cours élementaire I (3 éd., 1921), S. 511 ff., 515ff.; Comptabilitc des deniers pupillaires, Ministères de l'intérieur et des finances, Receuil des lois ... Bulletin mensuel, Paris, Mai 1910.

2)      Vgl. ABGB. § 220.  Dieser gestattet jede Art von vorteilhafter Ver­wendung und Ausleihung gegen gesetzmäßige Sicherheit auch an Privatpersonen.

3)      Abgesehen von den Liquiditätsvorschriften für die Banken.

4)      Vgl. L. R. Robinson, Investment Trusts, New York 1926, S. 336ff.

 

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her haben auch dort die Investment Trusts, die sich gewisser­maßen als Versicherungsgesellschaften für Vermögensanlagen zwischen dem unkundigen Sparer und die Kapitalanlage stellen, einen gewaltigen Aufschwung genommen. Allein von 1924 bis 1927 sind etwa 45 neue Investment Trusts gegründet worden, die sich ihrer Aufgabe zum Vorteil der Kapitalanleger und der amerikanischen Wirtschaft mit bestem Erfolge unterzogen haben. So kommt auch hier der Hauptteil der gebundenen Kapi­talien nicht nur der öffentlichen Hand und dem Grundbesitz, sondern der gesamten Wirtschaft zugute, wodurch zugleich eine größere Risikoverteilung für den Sparer erreicht wird.

 

 

 

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III. Die Entstehungsgeschichte der Mündelsicherheitsbestimmungen.

 

            Die Ausschließung der Industrie und des Gewerbes von der Benutzung der Mündelkapitalien muß insbesondere des­wegen Verwunderung erregen, weil man in Deutschland als einem der stärksten Industrieländer der Welt viel eher das Gegenteil erwarten könnte. Es fragt sich, ob diese Vernach­lässigung der Industrie von den Schöpfern des BGB. gewollt war, oder ob sie sich als das Ergebnis einer zufälligen histo­rischen Entwicklung darstellt. Eine kurze Überprüfung der Entstehungsgeschichte der Mündelgelderbestimmungen scheint daher angezeigt.

 

            a) Im römischen Recht. — In den meisten Ländern war die Vormundschaft anfänglich eine privat-rechtliche Familien­angelegenheit, bei der die Interessen des Vormundes ein gewich­tiges Wort zu sprechen pflegten. Erst das römische Recht er­hob die Vormundschaft zu einem einzig dem Interesse des Mün­dels dienenden öffentlichen Amt. Anfänglich herrschte Gewohn­heitsrecht; für die Mündelgelder war in erster Linie die Anlage in fruchttragenden Grundstücken zu erstreben 1). In zweiter Linie stand die Anlage in passenden Titeln, insbesondere in Hypotheken 2). Durch diese Anlage der Mündelgelder in Grundstücken und Hypotheken wurde zur damaligen Zeit der Immobiliarverkehr wie auch der ländliche Realkredit, insbeson­dere in den Provinzen, wesentlich gefördert 3).

 

            Honorius und Arcadius, die die Anlage von Mündel­geldern gesetzlich regelten, haben an dieser Rechtslage nichts

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1)      Digesten, Buch 26, Titel 7, lex 3, § 2; lex 7, § 3.

2)      Digesten, Buch 26, Titel 7, lex 8, 1; 12,4; 13,1 und 49.

3)      Vgl. Felix Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder in den deutschen Staaten, Stuttgart 1875, S. 71.

 

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Wesentliches verändert. Auch sie bestimmten, daß Liegen­schaften anzukaufen seien; wenn dies untunlich war, z. B. weil vorteilhafte Grundstücke nicht zu finden waren, war Ausleihen gegen Zins, insbesondere auf Hypothek, geboten 1).

 

            Auf einem ganz anderen Standpunkte steht das neue Justinianische Recht. Es schrieb in der Novelle 72c, 6 und 7 vor, daß die Mündelvermögen in der Regel in barem Gelde aufzu­bewahren seien; nur wenn die Einkünfte zum Unterhalt des Mündels nicht ausreichten, sollten sie verzinslich, zumeist in Hypotheken, angelegt werden. In dritter Linie kam der Erwerb von Grundstücken in Frage. Diese Neuregelung scheint durch die schweren Wirtschaftskrisen veranlaßt worden zu sein, unter denen das römische Reich als Folgeerscheinung fortgesetzter Deflation damals litt. Die Anlage in Sachwerten, insbesondere in Grundstücken, führte damals zu schweren Verlusten; Hypo­theken waren zwar vom Wertschwund verschont, dafür aber kaum erhältlich, weil kein Schuldner bereit war, in wenigen Jahren dem Werte nach vielleicht das Doppelte des Erhaltenen zurückzuzahlen. So mag die Anlage in Geld als der einzige Aus­weg erschienen sein; wobei man nicht erkannt haben wird, daß diese Hortung barer Münze die Deflationskrisen noch ver­stärken mußte.

 

            Die Bestimmungen des klassischen römischen Rechts mit ihrer Bevorzugung des Grundbesitzes und des Grundkredits waren ein vollkommener Ausdruck der damaligen Wirtschaftszustände. Es gab damals keinen Kapitalismus in unserem Sinne, geschweige denn einen Effektenkapitalismus. Es gab nur sehr wenig Industrie; die Anlage von Vermögen in geschäftlichen Unternehmungen war weder notwendig, noch überhaupt mög­lich. Das Problem, welche von mehreren Anlagearten vorzu­ziehen sei (Grundbesitz, Staat, Industrie), konnte damals noch nicht erörtert werden, indem nur Grundstücke und Rechte an solchen für die Vermögensanlage überhaupt in Frage kamen. Wenn die Bestimmungen des römischen und des gemeinen Rechts allein Immobiliaranlagen zuließen 2), so taten sie dies nicht mit Rücksicht auf die besondere Sicherheit des Grund-

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1)      Codex Justinianus, Buch 5, Titel 37, lex 24.

2)      Für kurzfristige Depositen waren schon im Altertum andere Anlagen vorgesehen, insbesondere die Tempel der Götter, die unseren heutigen Depo­sitenbanken entsprochen haben mögen.

 

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besitzes, sondern deshalb, weil es keine andere Möglichkeit der zinsbaren Anlage langfristiger Kapitalien gab 1).

            Die Grundlage der damaligen Produktion war der länd­liche und städtische Grundbesitz; an ihm war die überwiegende Mehrzahl der Erwerbstätigen beschäftigt. Die Teilnahme am Grundeigentum war außerdem mit besonderen bürgerlichen Vorrechten verbunden. Die Bestimmungen des römischen Rechts entsprachen also den Interessen derjenigen, deren Ver­mögen angelegt wurden, in weitem Maße.

 

            b) Im deutschen Recht. — Der Sachsenspiegel kannte noch das Nutzungsrecht des Vormundes: "Mündelgut soll weder wachsen, noch schwinden."

            Nach dessen Untergang schrieb die Mehrzahl der Parti­kularrechte die Anlegung der flüssigen Mündel-Gelder in Grund­stücken oder in durch Grundstücke gesicherte Renten vor. Man verlieh das Geld auch gegen Zins an Städte oder Stifter. Nach einzelnen Rechten war die Ablieferung an die Obrigkeit und Verzinsung durch diese, oder Anlage durch die Behörde vor­geschrieben 2).

            Die gemeinrechtliche Praxis brachte unter Führung des Reichskammergerichts das klassische römische Recht zur An­wendung und setzte die Novelle Justinians, obwohl sie glossiert ist, einstimmig außer Anwendung 3). Neben der Anlage in Grundstücken waren aber bald auch gute Hypotheken und später der Ankauf von Staatspapieren zugelassen 2). Der Be­griff der "pupillarischen Sicherheit", unserer heutigen "Mündel­sicherheit", wurde klar herausgearbeitet.

 

            c) Das preußische Recht bis zur Schaffung des BGB. — Durch das Preußische Allgemeine Landrecht (II, 18, 599), das die römisch-rechtlichen Grundsätze übernahm, wurde die zins­bare Anlegung gegen Hypothek zur Regel und der Erwerb von Grundeigentum zur Ausnahme:

            "Eine sichere zinsbare Unter­bringung der Gelder der Pflegebefohlenen ist dem Ankauf von Grundstücken vorzuziehen, wenn nicht von letzteren besondere Vorteile mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erhoffen sind."

Neben Hypotheken waren auch Staatspapiere zugelassen.

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1)      Vgl. Hecht, a. a. O. S. 155.

2)      Vgl. Wilh. Frank, a. a. O. S. 6ff.

3)      Vgl. Windscheid, § 439, Anm. 7; Pernice, Savigny, Z. 19,123; Dernburg, III, § 49.

 

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Im übrigen sah das Gesetz von einer genauen Umschreibung der einzelnen Anlegungsarten ab, da der Vormund nach Preu­ßischem Landrecht nur untergeordnetes Organ der Obervor­mundschaftsbehörde war, so daß sich Richtlinien für ihn er­übrigten.

            Die preußische Allgemeine Depositalordnung vom 15. Sep­tember 1783 und die zu ihr ergangenen zahlreichen Ausführungs­erlasse erweiterten diesen herkömmlichen Katalog sicherer Werte im wesentlichen nur um die landschaftlichen Pfandbriefe, bei denen eine Spezialverpfändung von Hypotheken vorlag, und in der Mitte des neuen Jahrhunderts um die mit Staatsgarantie ausgegebenen Eisenbahnobligationen deutscher Privatbahnen 1).

            Im Jahre 1868 fand in Preußen eine Enquete über die Frage statt, ob zur Hebung des Realkredits und zur Milderung der Not der Landwirtschaft den Pfandbriefen der Hypotheken­aktienbanken die Depositalfähigkeit, d.h. die Eignung als An­lage für Mündelgelder, zu verleihen sei 2). Unter den Sach­verständigen befanden sich u. a. Rodbertus auf Jagetzow, Sombart und Bankier Mendelssohn-Bartholdy. Die Kom­mission sprach sich nahezu einstimmig für die Gewährung der Mündelsicherheit an die Pfandbriefe aus.

            Trotzdem beließ es die Preußische Vormundschaftsordnung von 1875, die das durch viele Nachträge unübersichtlich ge­wordene preußische Recht neu kodifizierte, bei der bisherigen Regelung. Die römisch-rechtlichen Überlieferungen hatten im Laufe der Zeit die Ausdeutung erfahren, daß Forderungen nur dann als geeignet für die Anlage von Mündelgeldern gelten sollten, wenn eine sichere Hypothek für sie bestellt war. Von diesem Hypothekarprinzip glaubten die Schöpfer der Preu­ßischen Vormundschaftsordnung nicht abgehen zu können; sie ließen daher nach wie vor nur die Pfandbriefe der alten Land­schaften zu, die rechtlich mit den zugrunde liegenden Hypo­theken beinahe identisch waren 3), nicht aber die Pfandbriefe der Hypothekenbanken. Dieses Vorgehen war insoweit berech­tigt, als die meisten Hypothekenbanken damals ihren Pfand-

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1)      Infolge der Verstaatlichung der meisten Privatbahnen im wesent­lichen gegenstandslos geworden.

2)      Auch diese Enquete scheint merkwürdigerweise allen Schriftstellern, außer Hecht, a. a. O., unbekannt geblieben zu sein.

3)      Auf ihnen war ursprünglich neben der Gesamthaftung der Kreditverbundenen das speziell verpfändete Grundstück im einzelnen verzeichnet.

 

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briefen noch keine abgesonderte Befriedigung vermittels Spezialdeckung gewährt hatten 1). Diese Pfandbriefe waren damals also nichts anderes als einfache ungedeckte Bankobligationen. Ein deutsches Hypothekenbankgesetz gab es noch nicht. Eine Erklärung, daß Hypothekenpfandbriefe allgemein mündel­sicher sein sollten, konnte vom Gesetz also noch nicht erwartet werden. —

            Die wichtigste Neuerung, die die Preußische Vormund­schaftsordnung brachte, war das Prinzip der Selbständigkeit des Vormundes unter Aufsicht des Vormundschaftsgerichts (§39). Um die Verantwortung des Vormundes zu mindern und die Ge­fahren zu beseitigen, die aus seiner Selbständigkeit folgten, brachte sie einen genauen Katalog der zugelassenen Werte, der mit der bisherigen Regelung übereinstimmte, aber die Kommunalanleihen nunmehr grundsätzlich einbezog; auch wurden die Sparkassen zur vorübergehenden Anlage für geeignet er­klärt 2).

 

            d) Das Reichsrecht seit Schaffung des BGB. — Die Bestimmungen der Preußischen Vormundschafts-Ordnung gingen im wesentlichen unverändert in das neue Bürgerliche Gesetz­buch über 3). Neu war, daß die Sparkassen für die dauernde Anlage von Mündelgeldern zugelassen wurden. Aus dieser Rege­lung erwuchs eine Reihe von besonderen Problemen:

            1. Am 1. Januar 1900 trat gleichzeitig mit dem BGB. das Reichshypothekenbankgesetz in Kraft, obwohl es mehrere Jahre später als das BGB. im Reichstage verabschiedet war. Es schrieb die Spezialverpfändung der Deckungshypotheken zu­gunsten der Pfandbriefinhaber zusammen mit einem gesetz­lichen Vorzugsrecht im Konkurse für alle Hypothekenaktien­banken 4) vor, wie sie Felix Hecht schon um 1865 in vorbild­licher Weise bei der Rheinischen Hypothekenbank in Mann­heim als Erster eingeführt hatte.

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1)      Nur die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank kannte ein ver­tragliches Pfandrecht der Pfandbriefinhaber an den Hypotheken, dessen Gültigkeit allerdings bestritten wurde.

2)      Andere Partikularrechte, z. B. das Sächsische, waren weitherziger: Nach dem sächsischen BGB. § 1934 mußte der Vormund inländische Staats­papiere oder diesen gleichgestellte Kreditpapiere kaufen oder das Geld gegen ausreichende Hypothek oder gegen sonstige Sicherheit zinsbar ausleihen.

3)      Vgl. Denkschrift zum Entwurf eines BGB., Berlin 1896, S. 250.

4)      Andere Gesellschaftsformen waren nicht mehr zulässig.

 

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            Die Bestimmungen des BGB., die hinsichtlich der Hypo­thekenpfandbriefe auf dem Nichtvorhandensein solcher Siche­rungen beruhten, waren also in diesem Punkte schon am Tage ihres Inkrafttretens veraltet. Die Motive zum BGB. hatten diese Schwierigkeit vorausgesehen und in Ziffer 4 des § 1807 einen Weg zur Abhilfe geöffnet, indem hiernach der Bundesrat bevollmächtigt war, auch andere Wertpapiere, insbesondere Pfandbriefe, als mündelsicher zu erklären. Dies ergibt sich aus der Erörterung der Anträge der Hypothekenbanken in der Kommission, wo z. B. gesagt wurde:

            "Weder vom Standpunkte des Mündels, noch mit Rücksicht auf die allgemeinen Kredit­verhältnisse         würde es angemessen sein, die Anlegung in an­deren als den (im § 1807) unter Nr. 2 - 4 bezeichneten       Wert­papieren unbedingt auszuschließen" 1).

Der Bundesrat hat sich jedoch niemals bereitfinden lassen, die damals gemachten Ver­sprechungen einzulösen; er glaubte wahrscheinlich im Gegensatz zu den Absichten der Urheber des BGB., dem Staatskredit den Vorrang vor den Pfandbriefen einräumen zu müssen.

            Die Pfandbriefbanken haben seitdem nicht aufgehört, ihre Ansprüche geltend zu machen, um so mehr, als mehrere außer­preußische Länder den Pfandbriefen ihrer Hypothekenaktien­banken von jeher die Mündelsicherheit gewährt haben (z. B. Sachsen und Bayern). Dazu kommt, daß einige süddeutsche Institute diese für den Absatz der Pfandbriefe so wichtige Eigenschaft letzthin auf Umwegen zu erreichen verstanden haben 2).

 

            2. Für die Entwicklung des Reichsmündelsicherheitsrechts seit 1900 ist weiter bedeutsam, daß die Bestimmungen in dem entscheidenden Punkte von der Praxis auf der einen Seite und der Wissenschaft und der Rechtsprechung der höchsten Ge­richte auf der anderen Seite ganz verschieden ausgelegt werden.

 

            Bei den bisherigen Erörterungen ist stets davon aus­gegangen worden, daß der Vormund nach § 1806 BGB. ver­pflichtet ist, das Mündelvermögen verzinslich anzulegen, und daß eine solche verzinsliche Anlage eben nur nach § 1807 erfolgen darf. M. a. W.: Wir hielten die Vorschriften des BGB. für zwingend, für verbindlich für den Vormund. Das

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1)      Vgl. Motive zum Entwurf I. Lesung, Bd. IV, S. 1114.

2)      Vgl. Aust, a. a. O.; insbesondere durch die Übernahme der Garantie für die Zinsen durch das zuständige Land.

 

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scheint selbstverständlich, ist es aber nicht. Das Kammergericht hat nämlich am 4. Juli 1913 beschlossen, der Vormund bedürfe nicht der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn er Mündelgeld in einer offenen Handelsgesellschaft anlegen wolle 1). Das KG. sagt, § 1806 mache dem Vormund die verzinsliche Anlage der Gelder nicht zur unbedingten Pflicht, die Rechts­lage sei vielmehr folgende: Wolle der Vormund das Mündel­vermögen verzinslich anlegen, so müsse er die Anlegungs­arten der §§ 1807 und 1808 wählen. Halte der Vormund aber eine nicht verzinsliche Anlage für das Mündel für vorteilhafter, so bedürfe es nicht einer "Gestattung" aus § 1811, da diese Vor­schrift sich nur auf verzinsliche Anlagen beziehe. Bei den Ein­künften aus der offenen Handelsgesellschaft handele es sich aber um eine Art von Dividende, nicht um Zinsen. Es sei Sache des pflichtgemäßen Ermessens des Vormundes, ob der Vormund eine solche "nutzbare", aber nicht "zinsbare" Anlage wähle. Maßstab für sein Handeln sei das Interesse des Mündels. Das Gericht sei gar nicht in der Lage, gemäß § 1811 zu gestatten; es würde, wenn es in Betracht käme, nur nach §§ 1820 - 22 ge­nehmigen können. Zur Begründung beruft sich das Kammer­gericht auf die Motive (IV, S. 1110): Es "soll dem Vormund nicht verwehrt sein, die Mündelgelder, soweit dies nach den Verhältnissen dem Mündel vorteilhaft ist, auch in anderer Art, als durch zinsbare Anlegung, nutzbar zu machen, sei es durch Ankauf von Grundstücken oder durch Anlegung der Gelder in einem Handelsgewerbe oder in einem anderen gewerblichen Be­triebe u. dgl. (vgl. auch die Motive des bayer. Entwurfs S. 70). ... Jene Freiheit der Verwaltung wird dem Vormund durch § 1664, Abs. 1" (jetzt § 1806) "gewahrt, in welchem die Pflicht des Vormundes, die Mündelgelder nach § 1664, Abs. 2 und 3" (jetzt § 1807) "zinsbar anzulegen, sich nur auf solche Gelder bezieht, welche nicht erforderlich sind, um die laufenden und andere durch die Vermögensverwaltung begründete Aus­gaben zu bestreiten". Dies ist die Auffassung des Kammer­gerichts.

            § 1806 schreibt die verzinsliche Anlegung vor von "Geld, soweit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereitzuhalten ist". Auch Kipp muß nach der Entstehungsgeschichte zugeben, daß

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1)      Vgl. Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts­barkeit. Zusammengestellt im               Reichsjustizamt, 1913, S. 79; Das Recht, 1914, Nr. 2093. — Vgl. auch Frank, a. a. O. S. 60ff. und Kipp, a. a. O. S, 509ff.

 

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unter "Ausgaben" auch die durch die Vermögensverwaltung begründeten zu verstehen sind. Die eben dargelegte Auffassung geht also dahin, daß der Vormund das Geld z. B. in Mobilien, Schiffen, G.m.b.H.-Anteilen usw. anlegen kann, da er das zu deren Bezahlung notwendige Geld nicht mündelsicher anzulegen braucht. Der Vormund kann also jede beliebige Anlegungsart wählen und ist nur dann zur Befolgung des § 1807 verpflichtet, wenn er keine bloß nutzbare, sondern eine verzinsliche An­legung wünscht. Diese Ansicht wird auch vom Bayerischen Obersten Landesgericht geteilt. Derselben Ansicht sind fast alle Kommentare, so Achilles, Planck, Staudinger, Fuchs, Blume; auch der Kommentar der Reichsgerichtsräte. Es ist also unmöglich, diese Meinung als absurd abzulehnen. Dagegen sprechen sich lediglich Joseph 1), Frank und Kipp aus.

            Welche von beiden Ansichten die richtige ist, kann dahin­gestellt bleiben, sicher ist, daß die Öffentlichkeit von der eben dargelegten Auffassung nichts gewußt hat und daß die Praxis der Vormundschaftsgerichte auch in der Inflationszeit durch­gängig jede nicht verzinsliche Anlage für verboten gehalten hat; sonst wäre die immer lebhaftere Forderung nach Revision des Gesetzes nicht erklärlich. Interessant auch für die zukünftige Entwicklung des Rechtsgebietes ist aber, daß die Auffassung der Urheber des BGB., auch industrielle und gewerbliche Anlagen seien geeignet zur Anlage von Mündelgeldern, sich immer wieder durchgesetzt hat.

 

            3. Im übrigen wurde dem Streit durch das am Ende der Inflationsperiode ergangene Gesetz vom 23. Juni 1923 ein Teil seiner Bedeutung genommen. Fortan mußten andere Anlagen genehmigt werden, wenn sie nicht   den "Grundsätzen einer ordentlichen Vermögensverwaltung" zuwiderliefen.  Die Geneh­migung darf nur beim Vorliegen wichtiger Gründe verweigert werden. Jedoch spielt diese Lockerungsvorschrift praktisch heute kaum noch eine Rolle; einmal pflegen die Vormünder die Mühe zu scheuen, einen Antrag zu stellen und zu begründen; sodann aber berührte diese Novelle, da nur zu § 1806 ergangen, nicht die großen "Sammelbecken" der Volksersparnisse, deren Anlegungsvorschriften auf § 1807 aufgebaut sind.

 

            4. Gehen wir zur Geschichte der Anlegungsvorschriften der übrigen Körperschaften, Anstalten und Gesellschaften über, die bezüglich ihrer Vermögensanlagen gesetzlich gebunden sind, so

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1)      Archiv ziv. Praxis, 117, 395ff.

 

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genügt es, festzustellen, daß die Sozialversicherungsgesetz­gebung anfänglich den § 1807 nahezu wörtlich übernommen, aber, wie wir sahen, die Hypothekenbankpfandbriefe als weitere Anlage hinzugefügt hat. Das Gesetz vom 13. Juli 1923 brachte dann gemeinsame Vorschriften für alle Anstalten, die gleich­zeitig den Kreis der zu-lässigen Anlagen bedeutend erweiterten 1).

            Die privaten Versicherungsunternehmungen waren bis zum Erlaß des Gesetzes vom 12. Mai 1901 in ihrer Anlegungspolitik gänzlich frei. Das Versicherungsaufsichtsgesetz brachte die er­wähnten einengenden Bestimmungen, die durch Gesetz vom 19. Juli 1923 ebenfalls gelockert wurden 1).

 

            5. Die seit der Stabilisierung verflossene Periode ist ein­mal gekennzeichnet durch die erwähnten Bemühungen der Hypo­thekenbanken, für ihre Pfandbriefe die Mündelsicherheit zu er­reichen, sowie durch neue Bestrebungen von Reich, Staat und Gemeinde, die Mündelkapitalien zur Deckung ihres Kredit­bedarfs zu verwenden. Staatssekretär a. D. Dr. Schröder, der Präsident der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) setzte sich in einem im Oktober 1928 in Frankfurt a. M. gehaltenen Vor­trag "sehr lebhaft für eine Erweiterung des Kreises von Abnehmern öffentlicher Anleihen ein... und forderte die Beseitigung der aus der Inflation übrig gebliebenen Milderungsvorschriften, regte sogar eine Prüfung an, ob nicht auch andere Vermögensträger, z.B. die privaten Lebens­versicherungsgesellschaften, in einer ihren Bedürfnissen angepaßten Form zur stärkeren Anlage in diesen Wertpapieren herangezogen werden sollten" 2). Auch haben zum Teil er­folgreiche Verhandlungen zwischen den Reichsministerien, der Reichsbank und den Trägern der Sozialversicherung statt­gefunden, um einerseits Kredite für das Reich, andererseits für die Landwirtschaft bei diesen Anstalten flüssigzumachen. Daneben meldete der Wohnungsbau seine Ansprüche auf Mündelgelder und Versicherungsreserven an 3). Man sieht, der Kampf um die Mündelgelder und die Reserven der Sozial- und Privatversicherung ist im Gange; im Augenblick scheint es, als ob die Mächtigsten in diesem Streite Sieger bleiben sollen, ohne Rücksicht auf volkswirtschaftliche Belange, die eine kluge Wirtschaftspolitik in den Vordergrund zu stellen hätte.

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1)      Vgl. oben S. 14ff.

2)      Vgl. den Bericht im Magazin der Wirtschaft 1928, Nr. 44 und 46.

3)      Vgl. Magazin der Wirtschaft, 1928, Nr. 44 und 46.

 

 

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IV. Die Notwendigkeit einer Reform.

 

1. Die Benachteiligung von Industrie und Gewerbe.

 

            A. Entwicklung Deutschlands vom Agrarstaat zum Industriestaat. — Aus der Entstehungsgeschichte ist der Schluß zu ziehen, daß die geltenden Mündelsicherheitsbestimmungen nahezu unverändert aus dem römischen Recht über­nommen wurden. Es ergibt sich aus ihr weiter, daß man diesen Vorschriften nicht deswegen ihre heutige Form gab, weil man Grundbesitz und öffentliche Körperschaften für sicher, das Gewerbe aber für unsicher hielt, sondern allein deshalb, weil die Regelung der Preußischen Vormundschaftsordnung von 1875 im Verkehr der Gerichtsbehörden als brauchbar bewährt war und weil anderweitige wirtschaftliche Notwendigkeiten da­mals noch nicht vorlagen. Soweit aber damals schon die Be­rücksichtigung der Industrie in Re-de stand, standen die Väter des BGB. ihr sympathisch gegenüber, ohne dieser ihrer Auf­fassung allerdings klaren Ausdruck gegeben zu haben.

 

            Die Gedanken des römischen Rechts, die sich solcherart bis auf den heutigen Tag in unserem Mündel-gelderrecht er­halten haben, waren, wie erwähnt, ein zweckmäßiger Aus­druck der Wirtschaftsverhältnisse des Altertums und auch noch des Mittelalters. Sie entsprachen den Verhältnissen des auf Landwirtschaft aufgebauten antiken und mittelalter­lichen Wirtschaftssystems. Sie stimmten auch mit den wirt­schaftlichen Bedürfnissen der Bevölkerungskreise überein, aus denen die Mündelkapitalien stammten; denn Förderung des Grundkredits war damals der geeignete Weg zur Hebung der Lage der fast ausschließlich in der Landwirtschaft tätigen Be­völkerung. Dazu waren die Bestimmungen die einzig möglichen, weil nennenswerte Industrien nicht vorhanden und Methoden zur Sicherung industrieller Kredite noch nicht gefunden waren. Die Schaffung des BGB., in dem die heutigen Vorschriften verankert sind, erfolgte in einer Periode der größten Um­wälzung, die die Wirtschaftsgeschichte gesehen hat. Den Ur­hebern des Gesetzes war die Tragweite dieser Verände­rungen keineswegs zum Bewußtsein gekommen; sie über-

 

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nahmen die Bestimmungen, ohne hinreichend zu prüfen, ob sie in dem anhebenden Zeitalter effektenkapitalistischer Industrie­staaten noch Sinn haben würden, auch ohne vorauszusehen, daß dreißig Jahre später die Hälfte der Nationalersparnisse ihnen unterworfen sein würde.

 

            Die Umwälzung, die bei der Schaffung des BGB. noch nicht vorausgesehen worden war, war die Entwicklung Deutschlands von einem Agrarstaat zu einem der größ­ten Industriestaaten der Erde. (jz4)

 

            Die Bevölkerungszahl des Reiches stieg von 40 Mill. in 1870 auf 50 Mill. in 1892 und auf 68 Mill. im Jahre 1913, die Kohlenproduktion, ein Maßstab der industriellen Entwicklung, von 30 Mill. t im Jahre 1870 auf 70 Mill. t im Jahre 1890 und auf 190 Mill. t im Jahre 1913. Die Elektrizitätsindustrie Deutsch­lands war 1913 größer als die aller übrigen Staaten der Welt zusammengenommen, und die chemische Industrie Deutschlands war überhaupt ohne Rivalen. Die Finanzierung dieses auch von Amerika bis dahin nicht erreichten Aufschwungs wurde von dem vorbildlichen deutschen Banksystem geleistet, das sich auf die bedeutenden mobilen Privatvermögen eines zahl­reichen Mittelstandes stützen konnte. Einengende Bestim­mungen waren damals nur in geringem Grade vorhanden, da die Sozialversicherung noch im Entwicklungsstadium war und die Lebensversicherungsreserven bis 1903 irgendwelchen An­lagevorschriften noch nicht unterworfen waren. Nur ein ge­ringer Prozentsatz der jährlichen Volksersparnisse wurde von ihnen betroffen.

 

            Krieg und Inflation haben das mobile Vermögen des Mittelstandes vernichtet, der industriellen Finanzierung also gerade ihre wesentliche, weil langfristige, Kapitalquelle ge­raubt. Die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Mündelsicherheits- und Anlagevorschriften auf mehr als die Hälfte der jähr­lichen Kapitalneubildung hat eine kapitalpolitisch entscheidende Bedeutung erlangt, da sie den größten Teil des langfristig verfügbaren Kapitals den öffentlichen Körperschaften und dem Grundbesitz zuweisen, so daß vorwiegend nur die Bankdepositen und andere Ersparnisse kurzfristigen Charakters der Indu­strie und dem Gewerbe verblieben sind. So ist die Industrie heute von ihren Kapitalquellen abgeschnitten, während sie deren doch gerade in diesen Jahren dringender als je be­darf, um der Bevölkerung Beschäftigung zu geben.

 

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            B. Die Bedeutung der Industrie für das heutige Deutschland. — Es ist nicht ohne Interesse, die Bedeutung der Industrie für das heutige Deutschland mit einigen Ziffern zu belegen und den Anteil zu berechnen, den die Industrie heute am langfristigen Kredit der gesamten Volkswirtschaft hat.

            Schon bei der Berufszählung im Jahre 1907 entfielen in Millionen Personen 1):

                                                auf die Industrie     auf die Landwirtschaft
            Erwerbstätige .......................     11,3                             9,9

            Berufszugehörige  ................      26,4                           17,7

 

            Die Bedeutung der Industrie war also schon im Jahre 1907 erheblich größer, als die der Landwirtschaft. Seither hat sich die Bedeutung der Industrie als Arbeitgeber schätzungsweise noch um 20 % erhöht. Nach der Betriebszählung von 1925 betrug die Gesamtzahl der in Industrie, Handel und Verkehr Beschäftigten, ohne Berufszugehörige, 18 739 000. Hiervon ent­fielen auf die Industrie 2) 12 694 000, die also in ihrer Existenz von der Kreditlage der Industrie bzw. der Ausgestaltung der Anlegungsvorschriften abhängig sind.

 

            Die Bedeutung der Industrie im engeren Sinne gegenüber derjenigen von Handel, Banken, Verkehrs-, Versicherungs- und Beherbergungsgewerbe läßt sich aus der Statistik entnehmen, die über das Ergebnis der Veranlagung zur Industriebelastung (Dawes-Lasten) veröffentlicht worden ist 3). Danach hatte die Industrie 4) im Jahre 1927, wenn man die kleineren Betriebe mit weniger als 50 000 RM Gewerbekapital wegläßt, ein Anlage- und Betriebskapital von 25,5 Milliarden RM, wogegen der Handel, die Banken, das Verkehrs-, Versicherungs- und Hotel­gewerbe zusammen 5) nur über ein solches von 13,26 Milliarden RM verfügten.

Zwei Drittel des gewerblichen Vermögens Deutschlands entfallen also auf die Industrie; nur ein Drittel auf die übrigen Gewerbe.

__________________________

1)      Vgl. Zizek, Grundriß, a.a.O. S. 282.

2)      Einschl. Handwerk.

3)      Nach der Statistik der Industriebelastung bei der zweiten Umlegung dieser Steuer im Jahre 1928. Vgl. den Artikel von Dr. Max Lion im "Ber­liner Tageblatt" vom 4. Februar 1928.

4)      Industrie, Bergbau, See- und Binnenschiffahrt, Privat- und Klein­bahnen.

5)      Zuzüglich der Industriefirmen mit weniger als 50 000 RM, aber mehrals 20 000RM Kapital; im übrigen alle Betriebe mit mehr als 20 000 RM Kapital.

 

-    38    -

 

Die Industrie ist hiernach der größte Arbeitgeber und Kapitalverbraucher. Ihre Benachteiligung durch die An­legungsvorschriften fällt um so schwerer ins Gewicht, als sie auch der größte Güterproduzent Deutschlands ist. Man kann annehmen, daß wenigstens drei Fünftel der gesamten Produktion in Deutschland Industrieproduktion ist. Denn die Zahl der Beschäftigten zusammen mit der Angabe des investierten Kapitals erlaubt einen Rückschluß auf die ge­zahlte Lohnsumme, die zusammen mit den Kosten des Kapital­dienstes entscheidend für den Wert der Produktion sein muß.

 

            C. Der bisherige Anteil der Industrie am langfristigen Kredit. — Im Vergleich mit dieser überragenden Bedeutung der Industrie für die wirtschaftliche Existenz Deutschlands muß ihr Anteil am langfristigen Kredit als geringfügig bezeichnet werden, was sich aus folgenden Ziffern ergibt:

 

            Nach Helfferich 1) setzte sich die Gesamtsumme der Neu­emissionen an festverzinslichen Werten in den Jahren 1888 bis 1913 folgendermaßen zusammen 2):

 

                                                            Mill. M

            Staatsanleihen                           11 366

            Kommunalanleihen                      5 428

            öffentliche Hand zus.:                16 794
            Bodenkreditpfandbriefe            10 430

            Demnach:        

            Öffentliche Hand und

            Grundbesitz zusammen:          27 224
            Dagegen:
            Industrieobligationen
                3 165

 

            Es wurden also in dem Vierteljahrhundert vor Ausbruch des Krieges etwa 9mal soviel Mündelobligationen als Industrieobligationen emittiert und gekauft. Sogar an Aus­landswerten wurden 10 722 Mill., also 3 mal soviel wie Industrie­obligationen, herausgebracht.

            Zieht man nicht die Emissionen, sondern den am Ende des Jahres 1912 noch vorhandenen Bestand in Betracht, so er­hält man folgendes Bild 3):

__________________________

1)      Deutschlands Volkswohlstand  1888 - 1913, 6. Aufl.,  1915, S. 116; Additionen, vom Verf.

2)      Kurswerte; ohne die ausländischen Emissionen in Deutschland.

3)      Vgl. die Zusammenstellung in Schmalenbach, Finanzierungen, 1921, S. 283; dazu die Vierteljahrshefte zur Stat. d. Deutschen Reichs.

 

   39  

 

            I. Staatsschulden:                                            Milliarden M

                        Fundierte Schuld des Reichs     ..........                4,68

                                 "           "      Preußens .............                  9,27

                                 "           "      Bayerns ...............                 2,29

                                 "           "      übrige Länder .....                   3,94

                                                            Zusammen:                   20,18

            II. Kommunalanleihen:

                        Stadt- und Gemeindeanleihen    .........                4,59

                        Anl. von anderen Selbstverwaltungs-

                        körpern ............................................                 1,75

                                                            Zusammen:                     6,34

            III. Emissionen des Grundbesitzes:

                        Landschaftliche Pfandbriefe ………                    2,80

                        Pfandbriefe der Pfandbriefinstitute                     17,05

                                                            Zusammen:                   19,85

Mündelwerte im weiteren Sinne insgesamt:                                46,37
Demgegenüber:
Privatobligationen ................................................                      4,61

 

            Der Bestand an Mündelwerten war also 10mal so groß wie der Bestand an Industriewerten 1).

            Dieses Verhältnis blieb nach der Stabilisierung nahezu unverändert. Nach der Statistik der Bodenkreditinstitute 2) betrug der Umlauf am 30. April 1928:

                                                                                                in Milliarden RM

                        Pfandbriefe ...............................................         4,16

                        Kommunalobligationen ..............................         1,27

                        Liquidationspfandbriefe .............................         1,20

                                                                                                  6,63 3)

Die seit der Stabilisierung außerdem herausgekommenen In­landsanleihen betragen:

                                                                                                Mill. RM

                        1924  …………………………………             176,3  2)

                        1925  …………………………………             144,6  2)

                        1926  …………………………………          1 306,0  2)

                        1927  …………………………………          1 528,9  3)

                        1928 (1. Quartal) …………………….              605,8  3)

                                                                                                3 761,6

__________________________

1)      Hierin sind die Vermögensanlagen in mündelsicheren Hypotheken, die ohne Vermittlung der Bodeninstitute getätigt wurden, ebensowenig ent­halten wie die Emissionen von Aktien, die im wesentlichen in das Gebiet des gewerblichen Unternehmerkapitals gehören und mit den fest verzinslichen Werten nicht verglichen werden können.

2)      Vgl. Bankwissenschaft, 1928, S. 324; sowie Wirtsch. u. Stat.

3)      Einschließlich der ins Ausland verkauften Stücke. Diese dürften ausgeglichen werden durch den Erwerb von Auslandsanleihen durch Inländer, insbesondere durch deutsche Versicherungsgesellschaften (zur Deckung von Dollarversicherungen).

 

    40   

 

Die Gesamtsumme der inländischen Neuemissionen von fest­verzinslichen Papieren seit der Stabilisierung beträgt also 10 390 Mill. RM.

            Dagegen belief sich die Summe der seit der Stabilisierung an deutschen Börsen neu zugelassenen Industrieobligationen Ende 1927 nur auf 588 Mill. RM 1). Hierzu sind für an Börsen offiziell nicht zugelassenen Anleihen rund 25 % zuzuschlagen, da anzunehmen ist, daß sich das Verhältnis der zugelassenen zu den nicht zugelassenen Obligationen seit 1913 nicht wesentlich verändert hat. Man erhält dann als Gesamtbetrag der seit 1924 neu emittierten industriellen Inlandsanleihen etwa 750 Mill. RM 2).

            Setzt man diese Ziffer von den eben genannten 10 390 Mill. RM ab, so verbleibt ein Angebot von 9,6 Milliarden Mündelwerten, das seit 1924 auf genommen worden ist, gegen­über 0,75 Milliarden Industrieanleihen. Das Verhältnis der Industrieanleihen zu den Mündelwerten ist also mit 9,6 : 0,75 noch ungünstiger als vor dem Kriege, sicherlich ein beacht­liches Ergebnis 3).

           

            Obwohl also die überragende Bedeutung der Indu­strie für das deutsche Wirtschaftsleben nicht bezweifelt werden kann, haben die Industriegesellschaften doch nur einen Anteil von weniger als ein Zehntel an der Versorgung mit langfristigem Kredit gehabt. Zweifellos ist dies nicht den Anlagevorschriften allein zuzuschreiben; unzweckmäßige Diskontpolitik hat kostspielige Umwege des Kapitals zur Folge gehabt, besondere Besteuerung hat die Emissionen der Indu­strie verteuert, auch waren die Industrieobligationen größten­teils den, durch Hypothekeninstitute versicherten Emissionen des Grundbesitzes nicht gleichwertig, wie überhaupt der Markt der Industrieobligationen nur mangelhaft organisiert war. Trotz­-

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1)      Diese Ziffer ergibt ein Auszug aus Dr. Zickerts Fondsanalysen, 1928, wo sämtliche Anleihen ausgeführt sind. Nach Fertigstellung des Manu­skripts erhalte ich die Statistik des Reichsamts, veröffentlicht in Wirtschaft und Statistik, August 1928, die dieselben Ziffern ergibt.

2)      Einschließlich der Riesenanleihen, z.B. allein Ver. Stahlwerke 126 Mill. RM; für Anleihen unter 25 Mill. verbleiben nur rund 245 Mill. RM.

3)      Es würde m. E. unzulässig sein, auch die Aktienemissionen in die Vergleichung einzubeziehen, da man alsdann auf der anderen Seite auch die Kapitalien zu berücksichtigen hätte, die z.B. in der Landwirtschaft als Eigenkapital investiert sind. (jz5)

 

    41   

 

dem fällt der größte Teil der Verantwortung für die geringe Entwicklung des langfristigen industriellen Kredits den Mündel­sicherheitsbestimmungen zur Last. Sie haben die Nach­frage nach industriellen Festwerten seit Jahrzehnten so sehr beschränkt, daß dieser Kreditzweig notwendiger­weise verkümmern mußte.

 

            D. Erzwungene Umwege über ausländische Börsen­plätze. — Heute ist es so weit gekommen, daß die deutsche Indu­strie deutsche Versicherungskapitalien nur erhalten kann, wenn sie den Umweg über New York einschlägt; und daß die deutschen Versicherungsgesellschaften deutsche Industrieobligationen nur dann unbegrenzt 1) erwerben dürfen, wenn sie in Amerika und an anderen außerdeutschen Börsenplätzen emittiert sind. Denn ein großer Teil 2) der zur Zeit laufenden Versicherungsverträge, insbe­sondere der Lebensversicherungsverträge, lautet heute noch auf Goldmark und ausländische Währung, hier zumeist auf Dollar. Zur Deckung dieser Versicherungen müssen Dollarreserven ge­bildet werden. Hier hat das Reichsaufsichtsamt erfreulicher­weise auch die Anleihen deutscher Körperschaften und Indu­striegesellschaften empfohlen und zugelassen, was es bei inlän­dischen Anleihen derselben Emittenten nicht tun zu können ver­meinte 3). Daher haben die deutschen Lebensversicherungs­gesellschaften in den letzten Jahren bedeutende Käufe deutscher Auslandsanleihen vorgenommen; nach Heichen 4) ist in ihnen der Hauptkäufer von deutscher Seite zu erblicken. Welchen Umfang die Rückkäufe angenommen haben können, geht aus dem Bericht des Berliner amerikanischen Handelsattaches All­port vom 3. März  1928 hervor: "Die Erschöpfung des deut-

__________________________

1)      Über 10 % ihrer Prämienreserven hinaus.

2)      Nach dem Geschäftsbericht des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung für 1927 betrugen die Lebensversicherungsabschlüsse:

                                                                                                1924                1927

                                    auf Reichsmark  .............................         2 %               69 %

                                      "   Goldmark   ................................    90 %                25 %

                                                                                                } 98 %             } 31 %

                                      "   fremde Währung .....................          8 %                  6 %

des gesamten Bestandes.

4)      Auf eine Anfrage, ob zur Deckung derartiger Versicherungen aus­ländische Staatsanleihen angeschafft werden dürfen, hat das Amt "nach anfänglichen Bedenken für diesen Fall den Ankauf in            einem nicht allzu großen Betrage gutgeheißen, jedoch generell die Anlage in Anleihen deutscher Körperschaften empfohlen unter Hinweis auf die Interessen der deutschen Wirt­schaft" (vgl. den Bericht).

5)      Deutscher Kapitalexport, Berliner Tageblatt vom 2. August 1928.

 

    42   

 

schen Emissionsmarktes, die andauernd seit Februar 1927 be­standen hat, ... wird jetzt zum Teil durch starke Rückkäufe deutscher Dollarwerte erklärt. Auf Grund amerikanischer Schät­zungen wird angenommen, daß ungefähr ein Viertel oder un­gefähr 300 Mill. Dollar deutscher Dollaranleihen ... zurück­gekauft worden sind". Derselbe Bericht zitiert eine Äußerung 1) Ferdinand Eberstadts, des Mitinhabers von Dillon, Read & Co., der Bank, die die meisten deutschen Emissionen in Amerika herausgebracht hat, die daher über eine besondere Er­fahrung auf diesem Gebiete verfügt: "Ferdinand Eberstadt schätzt, daß zwei Drittel der Rhein-Elbe-Union-Obligationen und der Siemens-Bonds von Deutschland zurückgekauft worden sind; ungefähr ein Drittel der Obligationen der Deutschen Bank 2) und der Vereinigten Stahlwerke; ziemlich der Gesamt­betrag der in New York begebenen Diskonto-Anteile und ein großer Teil der Bonds der Berliner Elektrizitätswerke".

            Sicherlich bringt diese Auswirkung der Anlegungsvor­schriften manchen amerikanischen Banken einen schönen Ge­winn; es muß aber bezweifelt werden, ob eine solche Einschal­tung eines überflüssigen ausländischen Zwischenglie­des notwendig und im deutschen Interesse ist.

            Sicher wäre es einfacher und billiger, den deutschen Unter­nehmungen zu erlauben, auch Inlandsanleihen auf ausländische Währung herauszubringen, und zwar ohne steuerliche Mehr­belastung 3), und den deutschen Lebensversicherungsgesell­schaften zu erlauben, ihre Reserven allgemein in solchen Werten anzulegen.

            Gewiß ist, daß die Kapitalnot der deutschen Industrie durch die derzeitigen unglücklichen Anlegungs-vorschriften maß­geblich mit verursacht worden ist, damit aber auch die all­gemeine schwierige Lage der deutschen Wirtschaft, insbeson­dere des deutschen Arbeitsmarktes. Sollten die im folgenden er­örterten weiteren Bedenken gegen die gegenwärtig geltenden Bestimmungen eine hinreichende Grundlage zu Reformbestre­bungen abgeben, so wird man an der heutigen Bedeutung der Industrie und ihres Kredits für das wirtschaftliche Wohl des

__________________________

1)      Erschienen in den New Yorker Times vom 19. Februar 1928.

2)      Diese Anleihe von ca. 100 Mill. RM war ausschließlich für die deutsche Mittel- und Kleinindustrie bestimmt.

3)      Die Befreiung von der Kapitalertragsteuer wird bezeichnenderweise nur für Auslandsanleihen gewährt!

 

   43   

 

Landes nicht vorbeigehen können und eine gerechte Lösung suchen müssen, die ohne Umwege der Industrie diejenigen Kapitalquellen eröffnet, die sie heute unter veränderten Ver­hältnissen braucht.

 

 

2. Die Bevorzugung der öffentlichen Körperschaften.

 

            A. Die Anlegungsvorschriften als Mittel zur Förde­rung des Absatzes von Staatspapieren. — Weiter ist den be­stehenden Vorschriften die einseitige Bevorzugung der öffentlichen Körperschaften gemeinsam. Seit der Entstehung der mo­dernen Staaten und kommunalen Körperschaften im Mittelalter ist ihr Kreditbedarf unablässig gestiegen. Für die ersten 15 Jahrhunderte unserer Zeitrechnung ist das Anwachsen der mate­riellen Macht der Kirche, ihr Eingreifen in alle Verhältnisse des Lebens und der Wirtschaft, wie es heute noch bei manchen Ländern des Orients gefunden wird, charakteristisch. Seither haben die Staaten die damalige kirchliche Tradition der Über­schätzung der materiellen Macht und des wirtschaftlichen Ein­flusses übernommen und immer weiter ausgebildet. Der riesige Kreditbedarf der modernen Staaten hat in den letzten 2 Jahrhunderten immer mehr dazu geführt, die Anlegungsvor­schriften als Mittel zur Förderung des Absatzes von Staats- und Kommunalpapieren zu betrachten und auszu­gestalten.   Charakteristisch für die heutigen Auffassungen der
Vertreter des Staates, an die sich die Öffentlichkeit im Laufe der Zeit gewöhnt hat, ist die Äußerung des Staats-sekretärs Dr. Schröder, des Präsidenten der Preußischen  Staatsbank 1):

 

"... Reich und Länder sehen in den Sparkassen geeig­nete Instrumente, um das Sparkapital des Publikums für ihre Zwecke mobil zu machen ..."

           

Es wird zu prüfen sein, inwieweit diese Auffassung wirtschaftlich berechtigt bzw. tragbar ist 2).

 

            B. Ausbeutung der wirtschaftlich Schwachen. — In erster Linie bedeuten die Anlegungsvorschriften, wenn sie, wie bisher, nicht dem Schutz der Mündel, sondern vorwiegend staatsfinanziellen Zwecken dienen, eine Ausbeutung aller dieser

__________________________

1)      Zitiert nach Magazin der Wirtschaft, Nr. 46, vom 15. November 1928.

2)      Bezüglich der staatsphilosophischen Seite der Frage vgl.R. Wolzendorff, Der reine Staat, S. 4ff. und die Schriften von Kelsen; sowie W. v. Humboldt.

 

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schutzbedürftigen Individuen; eine Sonderbesteuerung der­jenigen, für die zu sorgen man vorgibt. Denn der Staat ist nicht mehr auf die freie Konkurrenz am Kapitalmarkte angewiesen, er braucht nicht den Zinssatz zu bieten, der sich nach Maßgabe der Qualität seiner Obligationen durch Angebot und Nachfrage am Markte bildet, sondern es genügt, wenn er einen gerin­geren, wirtschaftlich nicht gerechtfertigten Satz bietet, da er die Macht hat, große Teile des Volkes und die Verwalter der Volksersparnisse zum Ankauf seiner Emissionen zu zwingen. Die Ausbeutung der Schützlinge ist also darin zu finden, daß die Mündelkapitalien nicht den bei  gleicher oder größerer Sicherheit anderweitig erreichbaren Zinsertrag erbringen können. Schon im Jahre 1868 wurde von Röpell-Danzig zu Beginn der Enquete, welche die Preußische Regierung über die Mündel­sicherheitsprobleme anstellte, auf diese Tatsachen hingewiesen; Röpell äußerte seine Bedenken gegen jede Art von Anlegungsvorschriften,

 

            "weil überhaupt die Einführung der Depositalfähigkeit von Wertpapieren als die Erzeugung eines Monopols zu beklagen ist und die Jetztzeit alle Veranlassung hat, dieses ursprünglich aus fiskalischen   Motiven, dann aus Gedanken quasi schutzzöllnerischer Natur gepflegte Monopol, mit dem man gewissermaßen das Vermögen der Minorennen, Kirchen etc. expropriiert, gänzlich abzuschaffen"      (Enquete, S. 145). (jz6)

 

 

            C. Die Behandlung der Mündelkapitalien in der In­flation. — Es ist in diesem Zusammenhange kaum nötig, auf die Vernichtung der Mündelkapitalien durch die Inflation hinzuweisen, die wir im letzten Jahrzehnt erlebt haben. Be­kanntlich zeigt die Geschichte des Altertums und des Mittel­alters wie insbesondere die Geschichte Chinas, daß bis heute nahezu in jedem Jahrhundert eine Inflation oder eine Deflation die Wirtschaft und die mobilen Vermögen zerstörte. Leider ist es in fast allen Fällen der Staat gewesen, der durch die Produk­tion eigenen Geldes oder durch die Inanspruchnahme über­mäßiger Kredite bei Notenbanken die Inflationen direkt ver­ursacht hat, gezwungen durch Kriegsnotwendigkeiten oder Miß­wirtschaft. Demnach ist der Staat an sich wenig geeignet, An­weisungen bezüglich der Anlage fremder Kapitalien zu er­teilen. Als Mindestes wird man aber stets verlangen können, daß der Staat bei der Aufwertungsgesetzgebung unparteiisch auch sich  selbst gegenüber verfährt. Das ist bei der Auf-

 

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Wertungsgesetzgebung von 1924 - 26 nicht der Fall gewesen. Nachdem die Gläubiger der öffentlichen Körperschaften in Deutschland während der Inflation nahezu alles verloren hatten und auf eine Aufwertung beschränkt blieben, die auch bei den produktiven Anleihen der städtischen Gas- und Elektrizitätswerke in keinem Verhältnis zu der Aufwertung privater Schuldverhält­nisse stand, hat man ihnen durch die Praxis der "Treuhänder" das Recht auf Zusatzaufwertung genommen 1). Die öffentlichen Körperschaften hätten eine derartige Enteignung nicht wagen können, wenn sie auf die freie Konkurrenz am Kapitalmarkte an­gewiesen gewesen wären. Gestützt auf den sicheren Absatz, den die Anlagevorschriften ihren Werten erzwingen, konnten sie sich je­doch über die herrschenden Regeln hinwegsetzen. — Es scheint wirtschaftspolitisch notwendig, auch diese Dinge zu erwähnen und Maßnahmen zur Besserung der Verhältnisse zu erstreben, weil Schweigen allein das Vertrauen nicht wiederherstellen kann.

 

Das Vorhandensein bedeutender deutscher Kapitalien in der Schweiz, das jeder schweizerische Bankier bestätigen wird, durch das der mächtige Aufschwung des schweizerischen Bank­wesens im Verlaufe der letzten 10 Jahre überhaupt erst zu er­klären ist, sollte hier eine Mahnung sein. Die trustartige Zu­sammenballung gewaltiger Effektenpakete in schweizerischen Finanzierungsgesellschaften ist nur durch den Zufluß solcher deutscher und französischer Kapitalien zu erklären, die der kurz­sichtigen Gesetzgebung ihrer Regierungen entgehen wollten. Die deutsche Wirtschaft, insbesondere das deutsche Bankwesen, haben Anspruch darauf, denjenigen Anteil am industriellen Finanzierungsgeschäft der Welt zu haben, der ihrer Qualität entspricht. Es ist keine gute Wirtschaftspolitik, die Abwande­rung des großen Geschäfts ins Ausland von Staats wegen zu fördern.

 

            D. Wandlung des Urteils über die Sicherheit der Staaten überhaupt. — Überhaupt wird es unvermeidlich sein, die Vorstellung von der absoluten Überlegenheit des Staates und seines Kredits einer Prüfung zu unterziehen. Vielleicht haben private Wirtschaftskörper auf die Dauer einen sichereren

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1)      Vgl. insbesondere die Aufsätze des Bankiers Dr. Ramin in der "Berliner Börsenzeitung" im Jahre 1927. — Als Treuhänder wurden zumeist Dezernenten der Bezirksregierungen eingesetzt; in vielen Fällen haben diese Treuhänder Weisungen über die Durchführung ihrer Tätigkeit von der vorgesetzten Behörde, also einer Partei, entgegennehmen und ausführen müssen.

 

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Bestand als die öffentlichen!

 

            "Vor dem Kriege galten die Staats­anleihen der Länder mit ... geordneter Finanzverwaltung als die sicherste Vermögensanlage. Diese Wertschätzung kam in dem günstigen Kursstand derartiger Werte zum Ausdruck. ... Seit den Erfahrungen des Weltkrieges und der Inflation in den verschiedenen Ländern hat diese Wertschätzung der Staats­anleihen als Kapitalanlage etwas gelitten. Die Staaten, die sich durch Verleihung der Mündelsicherheit an ihre Anleihen als Schuldner eine bevorzugte Stellung am Kapitalmarkte ... ge­sichert hatten, nützten auch während des Krieges und besonders bei der Regelung der Inflationswirrungen ihre Doppelstel­lung als Gesetzgeber und als Schuldner zu einer Bevor­zugung aus. Das deutlichste Beispiel für die auch in der Ver­gangenheit nicht seltene Handhabung der Gesetzgebung zum Vorteil der eigenen Schuldverhältnisse der Staaten bietet die deutsche Gesetzgebung über die Aufwertung, die den privaten Schuldnern eine Aufwertung von 15 - 25 % zur Pflicht gemacht hat, die eigenen und die den eigenen ähnlichen Anleihen aber größtenteils nur mit 2 1/2 % aufwertete" 1) 2).

 

            Die Wertschätzung der Staatsanleihen als sicherste Anlage hat daher eine starke Einbuße erlitten, während das Ansehen der An­leihen privater Schuldner entsprechend gestiegen ist. Das geht so weit, daß auch die Kurse beider Arten von Anlage­papieren sich angeglichen haben. So kann man in Zukunft nicht mehr mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß die Rente erstklas­siger Privatwerte höher sein wird, als die von Staatspapieren; vielmehr ist das umgekehrte Verhältnis sehr wohl denkbar.

            "Die Erfahrung hat gelehrt, daß bei außerordentlichen Verhält­nissen die Gläubigeransprüche an private Schuldner besser geschützt sind, weil bei diesen die Gesetzgebung nicht in eigener Sache urteilt" 2).  So ist denn der physische und recht-

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1)      Daß diese Methoden auch seither nicht aufgegeben worden sind, läßt sich aus der ungewöhnlichen Tatsache entnehmen, daß der Tilgungsfonds der Altbesitzanleihe, der die erstaunliche Höhe von rund 200 Mill. RM erreicht hat, nicht etwa zur Stützung des Kurses der aufgewerteten Reichsanleihe in Stücken dieser Anleihe selbst, die eine hohe Verzinsung bringen, sondern in der neuen  5 (6) % igen Reichsanleihe von  1927 angelegt wurde!  (Vgl. Den Aufsatz von Herbert v. Breszca im Bankarchiv vom 15. Juli 1928).

2)      Vgl. Dr. Hermann Zickert, Einleitung zu Fondsanalysen 1927. Zickert ist der Herausgeber der einzigsten deutschen Finanzzeitschrift, die sich ausschließlich mit der Vertretung der Interessen der Kapitalanleger beschäftigt (Wirtschaftlicher Ratgeber, Berliner Aktionär).

 

   47   

 

liche Bestand privater Wirtschaftskörper vielleicht auf die Dauer langer Zeiträume besser gesichert 1), als der von Staaten, wie ja überhaupt im Verlaufe des letzten Jahrhunderts die Be­deutung der großen Aktiengesellschaften gegenüber den Staaten immer mehr gestiegen ist. Es ist unmöglich, an dieser Stelle auf die Frage "Staat oder Privatwirtschaft" näher einzugehen; es kann nur auf die Entwicklung hingewiesen werden, die die privaten Gesellschaften mehr und mehr den Staaten gleich­gestellt hat. Die Wirtschaftspolitik wird auf die Dauer nicht umhin können, hieraus ihre Konsequenzen zu ziehen.

 

            Zugunsten der gesetzlichen Bevorzugung der öffent­lichen Körperschaften kann insbesondere eingewendet werden, daß ein bedeutender Teil dieser Kapitalien werbend angelegt wird, also etwa in kommunalen Betrieben Verwendung findet. Diese Einrede ist berechtigt, soweit die produktive Anlage in Rede steht, sie ist aber keine Begründung für irgendeine Be­vorzugung. Mit demselben Rechte könnte die Privatindustrie zwangsweise Verbilligung ihres Kredites verlangen, da sie sonst gezwungen sei, die Preise zu erhöhen. Die werbenden Betriebe sind mehr zufällige Nutznießer einer Vorzugsstellung, die nicht für sie, sondern für staatsfinanzielle Zwecke geschaffen und ausgebaut wurde. (jz7)

 

            Unter den produktiven Anlagen ist rühmlich zu er­wähnen eine Anzahl von Krediten, die vom Reichs-Arbeitsministerium und einigen anderen Reichs- und Landesstellen zwecks Förderung der Wirtschaft gewährt wurden. In erster Linie ist da an die Kultivierung des hessischen Rieds, die Meliorations­arbeiten in Hannover, an der Seeküste und in Thüringen (Rhönhuten) zu denken. Diese Zeugnisse vorbildlicher wirtschaft­licher Arbeit können aber nur zu der Frage führen, warum nur öffentlichen Körperschaften, nicht aber Privaten solche Möglichkeiten gegeben worden sind 2). Die Bevorzugung der

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1)      Vgl. Kipp, a.a.O.:  S. 503: "Es soll nicht erörtert werden, ob der Gedanke der Bevorzugung der öffentlichen Institute als Anlagestellen noch heute berechtigt ist. Die alte Idee von der unerschütter-lichen Sicherheit des Staates und der ihm eingegliederten öffentlichen Körperschaften und Anstalten hat in der heutigen Zeit unglücklicherweise einen schweren Stoß erlitten ...."

2)      Man kann kaum glauben, daß hier immer noch der alte Einwand spukt, wonach nur öffentliche Körperschaften öffentliche Interessen wahrzu­nehmen fähig sind. Welcher Unterschied besteht zwischen dem Kommunalverband, der durch Verbessemngsarbeiten den Arbeitsmarkt entlastet, und der Privatfirma, die durch Neueinstellungen dasselbe tut? Doch nur der, daß beide verschiedene Phraseologien anwenden; der eine glaubt für die Arbeits­losen, der andere: für sich zu wirken. Für eine vertiefte wirtschaftliche Be­trachtung ist eine gute Bank- und Kapitalpolitik die beste Sozialpolitik, der Unternehmer ebensosehr ein Organ zur Entlastung des Arbeitsmarktes, wie der Dezernent in der produktiven Erwerbslosenfürsorge.

 

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öffentlichen Körperschaften ist ein Verstoß gegen den Grund­satz der Gleichberechtigung aller Bürger vor dem Staat als der gesetzgeberischen Gewalt. Der im Staatsrecht längst ge­läufige Grundsatz von dem Unterschied zwischen dem Staat im Sinne des öffentlichen Rechts und dem Staat als Fiskus muß ohne Zweifel auch in der Wirtschaftspolitik beachtet werden. Der Staat als Fiskus ist Bürger wie jeder andere. Er darf nicht bevorzugt werden, wenn die Wirtschaft in ihrem schweren inter­nationalen Konkurrenzkampf nicht geschwächt und das Ver­trauen zum Staat als Richter und Gesetzgeber nicht unter­graben werden soll.

 

            Zur Verteidigung der staatlichen Vorrechte am Kredit­markte kann weiter gesagt werden, daß deren Aufhebung eine Erhöhung der Steuerbelastung zur Folge haben könne, indem für den gleichen Kapitalbetrag mehr Zinsen ge­boten und aufgebracht werden müßten. Dieser Mehrbelastung an Zinsen ist jedoch die Entlastung des Etats der Er­werbslosenfürsorge gegenüberzustellen 1). Es ist nicht ver­ständlich, mit welchem Recht die Staaten heute unter Berufung auf das Schlagwort "Bekämpfung der Erwerbslosigkeit und der Krise" jährlich Hunderte von Millionen für verlorene Zu­schüsse ausgeben, die sie entweder von den Steuerzahlern oder von den Arbeitnehmern eingezogen haben, wenn man gleich­zeitig sieht, wie die Industrie und die Arbeitnehmer durch andere Maßnahmen um ihren langfristigen Kredit gebracht werden, so daß es der Industrie un-möglich werden muß, ihre Aufgabe als wichtigster Arbeitgeber zu erfüllen. Hunderten von Millionen Ausgaben steht eine Zinsersparnis von nur wenigen Millionen gegenüber, ungerechnet die dauernde Schädigung der Wirtschaft.

 

            Eine Verteuerung des öffentlichen Kredits bis zu dem durch die Marktverhältnisse bestimmten Maß würde auch eine richtige Kalkulation der öffentlichen Werke ermöglichen, die erforderlich ist, um nachzuprüfen, welche Werke der privaten Konkurrenz nicht gewachsen sind. —

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1)      Im Jahre 1929 etwa 200 Mill. RM.

 

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            Nirgends in der Welt ist Eigennutz mit selbstloser Für­sorge vereinbar. Der Staat kann nicht Schutzmaßnahmen für Mündel- und Spargelder ergreifen und damit zugleich den finanzpolitischen Zweck der Erlangung billigen Kredits für sich selbst verbinden.

 

            "Die verwerfliche Anschauung, als sei der Staat berechtigt, über die Mündel- und Stiftungs­gelder nach             seinem Belieben zu verfahren, muß früher oder später fallen" 1).

 

Eine Reform der Anlagevorschriften wird bestrebt sein müssen, Anlagen zu finden, die den Inter­essen der Mündel und Sparer entsprechen, wie das bei allen wahrhaften Schutzmaßnahmen selbstverständlich ist. Man wird zugleich an der Änderung des Urteils über die Staats- und die Privatwerte nicht vorübergehen können. Die Idee des Schutzes muß sittlich ernst genommen und verwirklicht werden. Damit wird, wie noch zu zeigen sein wird, auch der Wirtschaft der beste Dienst erwiesen werden.

 

3. Die Bevorzugung der Landwirtschaft.

 

            Nur wenige Worte sind über die Stellung der Land­wirtschaft zur Verteilung der Ersparnisse des Volkes zu sagen. Die Landwirtschaft war zuerst da, ihr Kreditbedarf ist durch eine mehrtausendjährige Tradition als legitim anerkannt. Diese Ansprüche, soweit sie wirtschaftlichen Zwecken dienen, dürfen auch in Zukunft nicht in Frage gestellt werden. Die wirtschaft­liche Gesundheit unserer Landwirtschaft ist heute noch viel wichtiger als vor dem Kriege. Leider kann die Landwirtschaft zur Zeit als das schwächste Stück unserer Wirtschaft bezeichnet werden. Während es der Industrie, dem Gewerbe und dem Handel unter unsäglichen Opfern in den vier seit der Stabili­sierung verflossenen Jahren gelungen ist, auf ganz neuen Wegen eine neue Rentabilität und die volle Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkte zu erreichen 2), hat ein wesentlicher Teil der Landwirtschaft und ihrer offiziellen Vertreter ihre Aufgabe vornehmlich in einem Wettlauf um Reichs- und Staatskredite und andere auf politischen Wegen erreichbare Vorteile gesehen. Wie anders wäre schon heute die wirtschaftliche Lage Deutsch­lands, wenn nicht die 6 oder 8 Milliarden RM neuen lang-

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1)      Vgl. Hecht, a.a.O.  S. 71.

2)      Vgl. W. Meakin, The New Industrial Revolution, London 1928, der insbesondere die Ansicht widerlegt, als sei die weltberühmte deutsche "Rationalisierung" irgendwie mit amerikanischen Methoden vergleichbar.

 

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fristigen Kredits, die in den letzten 4 Jahren in die Landwirt­schaft geflossen sind, größtenteils unproduktiv, zur Deckung fortgeschleppter Verluste, verwendet worden wären! Kein Land ist reich genug, um solche Beträge gleichsam ins Meer werfen zu können!

 

            Die Geschichte lehrt, daß staatliche Hilfsaktionen stets der rationalisierenden Aufbauarbeit hinderlich ge­wesen sind. Solange man noch glaubt, die als Leiter landwirt­schaftlicher Betriebe ungeeigneten, vielleicht menschlich wert­vollen Elemente halten zu müssen, wird man rückwärts gehen. Die Landwirtschaft wird auch in Deutschland einen starken Aufschwung nehmen, wenn man nicht mehr in der Menge des Kredits, verbunden mit hohen Zinslasten, sondern in der Melio­ration 1) das wesentliche sieht, die man mit einem kleineren Kreditbetrage geschaffen hat 2). Hätte die Landwirtschaft in den vergangenen 4 Jahren so gehandelt, so würde sie gerade die mehreren Milliarden gar nicht gebraucht haben, die un­produktiv vertan worden sind. Dieselben Mittel hätten der Industrie zugute kommen können, ohne der Landwirtschaft zu fehlen. Die Landwirtschaft wäre von den erdrückenden Zins­lasten verschont geblieben, unter denen sie heute leidet; der Be­schäftigungsgrad der Industrie wäre ein besserer und vielleicht wäre sogar die Auslandsverschuldung eine geringere!

 

            Wenn es also zu einer Neugestaltung der Mündelsicher­heitsvorschriften kommen sollte, so wird die Landwirtschaft sich nicht auf das Gegenargument beschränken können, ihr dürfe kein einziges Kreditteilchen entzogen werden, da sie sonst zu­grunde gehe. So einfach liegt die Frage nicht. Eine vertiefte Betrachtung wird vielmehr zeigen, daß auch hier kein Grund für die Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes gefunden werden kann.

 

4. Das Verlangen nach Reform gerechtfertigt.

 

            Überblickt man die bisher erörterten Bedenken gegen die heute gültigen Anlagevorschriften, so wird man sich dem Eindruck nicht entziehen können, daß eine Reform notwendig

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1)      Meliorationen sind im weitesten Sinne zu verstehen; der Begriff soll auch die Standardisierung der Produkte, die Verbesserung der Marktorganisation (Getreide, Vieh) usw. umschließen.

2)      Die landwirtschaftliche Fachwelt ist sich hierin ziemlich einig; vgl. die Äußerungen und Musterleistungen von Ärebö, Schurig-Markee, Colsman, Grzimek und vielen anderen.

 

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ist. Die Industrie ist vom langfristigen Kredit abgeschnitten, die Arbeitsgelegenheit für die Arbeiterschaft ist dementsprechend be­schränkt, ausländische Banken sind unnötigerweise eingeschaltet, die öffentlichen Körperschaften und die Landwirtschaft sind in schädlichem Maße bevorzugt, die Mündel werden als Ausbeu­tungsobjekte, anstatt als Schutzbefohlene betrachtet, es herrscht ganz allgemein ein Kampf um die Mündelgelder und die Re­serven der Sozialversicherungsanstalten, bei dem die Macht, nicht aber das Recht und das höhere Interesse der Volkswirt­schaft entscheidet. Dazu kommt, daß die Pfandbriefe der Hypo­thekenaktienbanken in sinnwidriger Weise zum Nachteil des Wohnungsbaues bisher in mehreren Ländern nicht mündelsicher sind 1) und daß die geltenden Bestimmungen, da sie über nahezu 50 Landesgesetze verstreut sind, ganz unübersichtlich sind und einer Neukodifizierung bedürfen. Vergleicht man hiermit die Tatsache, daß die gel-tuenden Vorschriften die Hälfte oder zwei Drittel unserer gesamten Kapitalneubildung beherrschen, daß sie also zu den wirtschaftlich wichtigsten Vorschriften über­haupt gehören, so wird man mit dem Urteil nicht zurückhalten können, daß die bisherige Planlosigkeit auf einem der wich­tigsten Gebiete der Kapitalpolitik nicht weiter verantwortet werden kann.

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1)      Sinnwidrig, weil seit Erlaß des Hypothekenbankgesetzes die ding­liche Sicherung dieser Pfandbriefe allgemein gewährleistet ist.

 


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V. Volkswirtschaftliche Prinzipien der Anlage gebundener Kapitalien.

 

            Vorbemerkung. — Grundlage jeder zukünftigen Reform der Anlegungsvorschriften wird eine volks-wirtschaftliche Durch­forschung der Materie sein müssen. Es würde ein besonderes Werk erfordern, wollte man die Prinzipien darlegen, nach denen die Anlegung von Kapitalien allgemein zu erfolgen hat. Wir werden uns im folgenden auf einige besonders hervorstechende Gesichtspunkte zu beschränken haben, die bei der Anlage der hier in Rede stehenden gebundenen Vermögen nicht außer acht gelassen werden dürfen.

 

            Grundsätzlich entspricht jeder Art von Ersparnissen eine spezielle, dem besonderen Zweck angemessene Anlage. So würde die Anlage von Mündelgeldern anders zu beurteilen sein, als die von Versicherungsreserven oder etwa Kirchenvermögen. Jedoch ist es nicht ratsam, mehrere Klassen von Kapitalien bzw. für jede Kapitalart eine besondere Art der Anlage zu unterscheiden, da die Öffentlichkeit für diese Nuancen kein Verständnis haben würde. Es empfiehlt sich daher, von der Beschränkung auf die "Mündel"-Gelder von vornherein abzugehen und das Gesamt­problem der bisher behandelten Kapitalarten ins Auge zu fassen, die man unter dem Oberbegriff der "gebundenen Kapitalien" zusammenfassen kann. Dabei sollen die kurzfristigen Depositalgelder wie bisher aus dem Kreise der Untersuchung ausge­schlossen bleiben, weil deren Anlage nach ganz anderen Prin­zipien zu erfolgen hat, auch von wesentlich geringerer Bedeu­tung für die Volkswirtschaft ist.

 

            Bei jeder Kapitalanlage ist der Natur der Sache nach zu unterscheiden zwischen der realen Anlage in irgendwelchen Sachgütern, Maschinen, Waren, Grundstücken usw., die jedem Kapitalteil entspricht, zweitens der mehr finanztechnischen Frage der Verkörperung solcher Kapitalien in irgendwelchen Forderungen, verbrieften Rechten, Anteilen usw. und drittens der Frage der Sicherheit, die in dem vorliegenden Falle von

 

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besonderer Bedeutung ist. Im folgenden sollen drei Prin­zipien aufgestellt und begründet werden, von denen jedes ein­zelne das Endergebnis einer Prüfung je einer der drei Fragen zusammenfaßt: Das Prinzip der Zweck-Anlage, das Kate­gorienprinzip und das Versicherungsprinzip.

 

A. Das Prinzip der Zweckanlage.

 

            1. Begriff. — Das Prinzip der Zweckanlage geht aus von jenem alten Grundsatz der Bankpraxis, wonach man die Depositen der Bank stets als Leihkapitalien wieder demjenigen Personenkreis zuführen soll, dem sie entstammen 1). Um die Rich­tigkeit dieses Wortes nachprüfen zu können, muß man ver­suchen, den volks-wirtschaftlichen Sinn der Spar- und Leihtätigkeit festzustellen. Man erhält als Ergebnis, daß das Aus­leihen, also das "Anlegen", stets auf demselben Wege zu erfolgen hat, den man schon beim Sparen eingeschlagen hat, d. h.,
daß es sich nach dem inneren Zwecke zu richten hat, den der Sparer mit seiner Sparsamkeit zu erreichen bestrebt war.

 

            2. Die Kapitalbildung. — Die Mündelgelder und die übrigen hier behandelten gebundenen Kapitalien sind fast aus­schließlich durch Spartätigkeit entstanden; die den Vorschriften unterliegenden Institute, als Sparkassen, Versicherungsanstalten, Hypothekenbanken usw., dienen fast allein der Verwaltung von Sparkapitalien; sie nehmen, wie wir statistisch festgestellt haben, mehr  als 50 % der gesamten laufenden Neuersparnisse der Nation in sich auf.

 

            Wir können nun mit Liefmann 2) die Begriffe "Sparen" und "aus Einkommen Kapital bilden" einander gleichsetzen 3).

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1)      Diesen Grundsatz haben die Sozietäten (öffentl.-rechtl. Lebensversicherungsanstalten) sogar in ihre Satzungen aufgenommen.

2)      Robert Liefmann, Theorie des Sparens und der Kapitalbildung, Schmollers Jahrbuch, N. F., Band 36, Heft 4, 1912.

3)      Es ist nicht möglich, an dieser Stelle auf den Streit einzugehen, der über die Begriffe des Sparens und der Kapitalbildung seit mehr als 150 Jahren in der nationalökonomischen Literatur herrscht. Bis 1900 war das Problem in erster Linie, ob Sparsamkeit zur Kapitalbildung beitrüge oder nicht. Vgl. Ad.  Smith, Wealth of Nations, Book II, Chapter 3 (Oxford 1880, S. 340): "Parsimony and not industry is the immediate cause of the increase of capital. Industry indeed provides the subject, which parsimony accumulates. But whatever industry might acquire, if parsimony did not save and store up, the capital would never be the greater". In derselben Richtung bewegen sich die Ge­danken von Malthus (Princip-les, S. 8 - 9), Sismondi (Nouveaux Principes, 1819, Buch IV, Kap. 4, S. 330), Roscher (Grundlagen, § 45), Georg Sartorius (Von der Sparsamkeit und der Vermehrung des Nationalreichtums durch sie), Lauderdale (J. Maitland Earl of, An Inquiry into the Origin and nature of public wealth, S. 207 - 209), Justi (J. Heinr. v., Staatswirt­schaft, Bd. 1, S. 402 - 403), Conrad (Grundriß I, § 10) u. a. — Die gegen­teilige Ansicht, Sparen könne nie zur Kapitalbildung führen, wird von Rodbertus (Das Kapital, 1884, Bd. II, S. 231 - 255) und Lassalle (Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, Berlin 1877) vertreten. Vgl. über diesen Streit die Darstellungen von R. Liefmann, a. a. O.; Robertson (Right Hon. John. Mac Kinnon, The fallacy of saving, London 1892); Lexis (Allg. Volkswirtschaftslehre, S. 64). Seit der Jahrhundertwende wird die volks­wirtschaftliche Seite des Sparvorganges und der Anlage der Sparkapitalien in der gesamten Literatur nur im Rahmen der Lehre von der Überkapitalisation behandelt, sowie bei der Zinstheorie gestreift; vgl. insbesondere: von Manteuffel, Das Sparen, sein Wesen und seine volkswirtschaftliche Wir­kung, Conrads Jahrbücher, 26. Bd., Jena 1900; E. C. K. Gonner, Interest and Saving, London 1906; Liefmann, a.a.O., 1912; A. Lampe, Zur Theorie des Sparprozesses und der Kreditschöpfung, Jena 1926; Dr. Ferd. Homann, Das Sparen, Jena 1927; Domela-Nieuwenhuis, Das Sparen als ökon. u. soz. Grundsatz, Halle 1889. Auch die Literatur über das Zinsproblem kann herangezogen werden, insbesondere Cassel, Böhm-Bawerk u. a. —

 

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Die Anlegungsvorschriften behandeln also die Kapitalbildung; sie schreiben vor, in welcher Weise die Kapitalbildung eines Landes verwendet werden soll. Diese Bedeutung der Anlegungsvorschriften ist bisher von der Wissenschaft noch nicht erkannt worden. Die Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften wer­den weder in den Lehrbüchern noch in der Spezialliteratur über Sparen, Kapitalbildung, Kapitalanlage usw. erwähnt. Alle Schrift­steller gehen davon aus, daß der Kapitalmarkt frei sei 1), kommen daher zumeist zu voreiligen Schlußfolgerungen, sowie sie sich mit der heutigen Wirklichkeit beschäftigen. Die Tat­sache, daß der Kapitalmarkt heute nicht frei, sondern durch eine tief eingreifende staatliche Gesetzgebung reglementiert ist, wird bei der nun folgenden Untersuchung des Sparvorganges nicht aus dem Auge gelassen werden dürfen.

 

            3. Sparen und Kapitalmarkt. — In der primitiven Wirt­schaft ist es klar, daß sich die Kapitalanlage nach den Be­dürfnissen des Sparers zu richten hat: Bei einem Einsiedler z. B. hat der Begriff "Sparen" überhaupt nur Sinn, wenn die er­sparte Zeit und Arbeitskraft in Dingen angelegt wird, die der

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1)      So z.B. Manteuffel, Liefmann, Lampe, Hohmann, Polak.

 

(J.Z.: Die auf S. 54 weitergeführten langen Anmerkungen zu S. 53 habe ich hier weggenommen und S. 53 zugefügt. Ich habe gleichfalls in anderen solchen Fällen gehandelt.)

 

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Einsiedler später einmal nützlich verwenden kann, also etwa in Feuerungsmaterial und Lebensmitteln für den Winter 1). Würde er Dinge minderer Wichtigkeit sparen, ohne vorher für das Wichtigste gesorgt zu haben, so wäre seine Torheit offenkundig. In der Tauschwirtschaft ist die Lage schon etwas komplizierter; der Einzelne braucht hier nicht unbedingt für seine eigenen zukünftigen Bedürfnisse zu sparen 2); es genügt, wenn er Dinge spart, die für Andere zukünftig notwendig sein werden, unter der Voraussetzung, daß Andere für seine Zukunft sparen. Der Tausch der Güter und Leistungen sorgt dann dafür, daß jeder zu seinem Recht kommt 3).

Noch komplizierter sieht die Sache aus, wenn das Geld dazwischen tritt: Hier wird dem Sparer das Nachdenken darüber, ob ein Anderer die von ihm produzierten Güter auch gegen die von ihm selbst für die Zukunft benötigten eintauschen wird, abgenommen. Der Preis seiner Produkte und der Zinssatz am Kapitalmarkte besorgen die Verteilung auto­matisch vermöge einer großen Anzahl von Hilfseinrichtungen, als der Händler, Banken, Börsen usw. 4). Denn wer in der Geld­wirtschaft spart, häuft nicht mehr Sachgüter bewußt für seinen eigenen oder fremden Gebrauch auf, sondern er verkauft sie zum günstigsten Preise und erhält Geld dafür. Das erhaltene Geld speichert er nicht auf, sondern er legt es an. Das Streben nach Vorteil zwingt ihn, seine Produktion und seine Leistungen so einzurichten, daß er möglichst hohe Preise für seine Verkäufe oder seine Arbeit und möglichst hohen Zins für seine Kapital­anlagen erhält 5). Ein solches hohes Einkommen wird der Sparer aber nur dann haben, wenn er diejenigen Dinge produziert oder Arbeiten leistet, nach denen gegenwärtig am meisten Nachfrage herrscht, die also hoch im Preise stehen, und wenn er sein Geld

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1)      Vgl. Manteuffel, S. 21; Roscher, Grundlagen, § 45, Anm. 12.

2)      Vgl. Manteuffel, S. 22; Roscher, § 43, Anm. 6 und 7.

3)      Vgl. Homann, a.a.O. S. 53.

4)      Vgl. N. J. Polak, Grundzüge der Finanzierung mit Rücksicht auf die Kreditdauer, Berlin 1926, S. 25: "Wie überall, so besteht auch hier die Tendenz der Gleichgewichtslage. Der große Regulator des Wirtschaftslebens, die Preisbildung, verhindert im allgemeinen eine zu weitgehende dynamische Anwendung statisch ersparter Kapitalien. Zu geringe Produktion von Ver­brauchsgütern führt zu unverhältnismäßig starker Preissteigerung, und diese wieder zur Ausdehnung der Produktion solcher Güter... Diese Schätzung kann sich unter normalen Verhältnissen nicht weit von der Wahrheit entfernen ..."

5)      Vgl. Liefmann, a.a.O. S. 19.

 

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so anlegt, daß es eine möglichst hohe Rente bringt. Der Sparer, um den es sich hier handelt, wird daher in der Geldwirtschaft die volkswirtschaftlich richtige und auch für seine eigene zu­künftige Versorgung geeignete Anlage einfach durch Umschau auf dem Kurszettel und Vergleichung der Zinssätze am Markte finden. Das ist natürlich nur möglich, wenn Kapitalmarkt und Zins ungehindert ihre Ausgleichsfunktion ausüben können. Wird die regulierende Tätigkeit des Marktes an irgendeiner Stelle aufgehoben, so kann dasselbe eintreten, was in dem eben erwähnten Beispiel der törichte Einsiedler erlebte: Das Land ist mit Unnötigem reichlich versorgt, während das Nötigste fehlt; oder das Land muß übermäßig importieren, da bedeutende Kapi­talien verlustbringend und an der falschen Stelle angelegt sind 1).

            Derartiges kann sich in der Geldwirtschaft besonders leicht ereignen, weil in ihr dem Sparer jedes Bewußtsein über den Zusammenhang von Spartätigkeit und Güterversorgung zu fehlen pflegt. Demjenigen, der spart, ist es in unserem Wirtschafts­system keineswegs mehr klar, was mit den Geldern geschieht, die er etwa zur Sparkasse bringt. Wer etwa für 10 000 RM Hypothekenpfandbriefe kauft, um seine Ersparnisse darin anzu­legen, denkt nicht daran, daß er damit die Hypothekenbank in die Lage versetzt, ein Baudarlehen von 10 000 RM zu gewähren, so daß eine wohnungslose Familie eine Neubauwohnung er­halten kann. Er hat vielmehr nur den Zinsertrag im Auge, den ihm die Pfandbriefe jährlich bringen sollen. Diese Trennung der Spartätigkeit von dem Bewußtsein des damit verfolgten Zweckes, die unser System der Arbeitsteilung und der Massen­produktion erst ermöglicht, ist so lange unschädlich, als sich wenigstens die führenden Leute der Wirtschaft und der Gesetz­gebungsmaschine der Zusammenhänge bewußt bleiben. Geht aber auch diese Erkenntnis verloren, dann kann leicht das ein­treten, was für die heutige Lage kennzeichnend ist: Man "regelt" eine Sache gesetzlich, indem man mangels Kenntnis der eigent­lichen volkswirtschaftlichen Zusammenhänge Bedürfnisse sekun-

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1)      Vgl. Dr. F. Hohmann, a.a.O. S. 53: "Der isolierte Wirtschafter, der spart, ... um Produktionswerkzeuge zu schaffen, wird nicht dann die Sparleistung entbehren, wenn er sie zur Vollendung der einmal begonnenen Kapitalproduktion noch weiterhin nötig hat. Er wird, solange nötig, sich selbst die Sparleistung weiterhin zur Verfügung stellen. Der Produzent der Tauschwirtschaft ist nicht davor gesichert, in dem Augenblick, wo er der Leistung bedarf, kein entsprechendes Angebot zu finden".

 

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dären Charakters, also etwa die Förderung des Staatskredits, zum Leitmotiv der Regulierung macht. Die Folge ist, daß die Ersparnisse falsch angelegt, ja zum großen Teile unproduktiv verwendet werden, so daß hinterher der zukünftige Bedarf, für den man gespart hatte, nicht gedeckt werden kann. Würde man sich der wirtschaftlichen Zusammenhänge bewußt sein, so hätte man vor allem danach streben müssen, nicht in die Frei­zügigkeit des Kapitals einzugreifen, nicht einzelnen Kapitalver­brauchern ein Monopol zu geben und andere auszusperren, son­dern dem Zinssatz seine regulierende Funktion zu lassen.

 

Das Prinzip der Zweckanlage verlangt also in erster Linie, daß die Gleichberechtigung aller Nachfragenden am Kapital­markte hergestellt wird. Nur dann kann die Industrie die­jenigen Güter produzieren, nach denen die lebhafteste Nach­frage herrscht, nach denen im Grunde die Sparer selbst ver­langen, für die sie gespart haben. Wird das Prinzip verletzt, so braucht man sich nicht zu wundern, daß ausländische Import­waren herangezogen werden, um das Bedürfnis zu decken, auch in den Fällen, in denen natürliche oder betriebstechnische Vorzüge der ausländischen Industrien nicht vorhanden sind.

 

Eine falsche Beeinflussung des Kapitalmarktes führt also zur Beschäftigung ausländischer Industrien und Arbeiter, während gleichzeitig inländische Industrien und Arbeitskräfte feiern müssen. Die Kapitalien werden, wie das Beispiel der Landwirt­schaft in den letzten Jahren zeigt, nicht am Punkte der höchsten Wirtschaftlichkeit angesetzt, sondern unproduktiv vertan, wäh­rend gleichzeitig dringender Bedarf nach Anlagekapital, etwa in der Industrie, ungedeckt bleibt 1).

 

            4. Sparen und zukünftiger Konsum. — Die Betrach­tungsweise, die die Richtung der jeweiligen Kapitalanlage von den jeweiligen Markt- und Zinsverhältnissen abhängig macht, gestattet jedoch kaum eine Voraussage darüber, welche Be­dürfnisse in den nächsten 30 Jahren als die dringendsten sich erweisen werden, denen also die Ersparnisse des Volkes mit dem natürlichen Hilfsmittel des Zinses zuzuleiten sein werden. Sie

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1)      Vgl. N. J. Polak, a.a.O. S. 24:

"Ist die Schätzung eine Unterschätzung, so wird die Entwicklung der Wirtschaft dadurch verzögert, weil weniger Kapital in ausdauernden Produktionsmitteln angelegt wird, als dazu verfügbar war".

 

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verlangt daher die Ergänzung durch ein tiefergehendes Ver­ständnis des anfänglich erklärten Prinzips der Zweckanlage:

 

            Von wenigen Ausnahmen abgesehen, spart der Sparer, um für seine und seiner Angehörigen Zukunft zu sorgen. Am deut­lichsten wird dies in der Lebensversicherung, wo aus jährlichen Pflichtbeiträgen ein Kapital angesammelt wird, das dem Ver­sicherten im Alter oder den Angehörigen nach seinem Tode aus­gezahlt wird. Einzelne Sparer sparen, um sich später einmal ein Haus zu bauen, andere, um im Alter die notwendigen laufenden Einkäufe für ihren Lebensunterhalt machen zu können usw. Diese Absichten der Sparer stimmen über-ein mit den Anlagearten, die für derartige Kapitalien nahezu allein in Frage kommen. Es sind dies fast ausschließlich die produktiven Anlagen; also die­jenigen, die nicht durch Verbrauch, sondern durch Gebrauch nützlich sind, die mehr Ertrag bringen als bei ihnen Unkosten auflaufen, also Häuser, Maschinen, Fabriken zur Produktion der Industrieerzeugnisse, Bodenmeliorationen zur Erhöhung der Fruchtbarkeit des Bodens, Eisen- und Straßenbahnen, Unter­richtsanstalten usw. 1). Die zukünftigen Bedürfnisse der Ge­samtheit aller Sparer stehen nun quantitativ in einem ganz be­stimmten Verhältnis zueinander. Die spätere Produktion dieser Waren-Quantitäten macht erforderlich, daß das Sachkapital, d.h. der Maschinenpark, die Baulichkeiten usw., in einem bestimmten zweckmäßigen Verhältnisse auf die produzierenden Branchen und Betriebe verteilt ist. Es ist daher von einschneidender Wichtigkeit, daß von den gesamten laufend erübrigten Neuersparnissen den verschiedenen Produktionszweigen gerade so viel zugeführt wird, daß diese Branchen später in der Lage sind, den zukünftigen Bedarf des Sparers zu decken. Ein Ver­stoß gegen diese Forderung muß stets von bedenklichen Folgen für die gesamte Wirtschaft begleitet sein. Werden z.B. alle Ersparnisse im Wohnungsbau angelegt, so wird dann, wenn die Sparer im Alter beginnen, ihr Kapital zu verbrauchen, Überfluß an Wohnungen und Mangel an Waren herrschen. Werden sie

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1)      Vgl. Manteuffel, a.a.O. S. 2:

"Unter diesen Gütern, in denen die ersparten Werte angelegt werden, nehmen die Kapitalgüter die wichtigste Stelle ein ... Durch ihre Eigenschaft, sich selbst zu vermehren ..., bilden sie den wichtigsten Teil des Vermögens und darin, daß die ersparten Werte zumeist in Form von Kapitalgütern angesammelt werden, liegt mithin die hauptsächlichste Bedeutung des Sparens". — Vgl. dort weiter S. 26 und S. 139.

 

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einseitig in der Landwirtschaft angelegt, so werden 1) zuviel Lebensmittel und zuwenig Wohnungen und Industriewaren da sein. Der einzelne Sparer, der etwa für sein zukünftiges Haus spart, kann nun nicht erwarten, daß gerade sein Kapital in Hypotheken zur Förderung des Wohnungsbaues angelegt wird 2), denn der Kapitalmarkt sorgt für einen gesunden Austausch. Aber die Gesamtheit der Sparer ist darauf angewiesen, daß ihre Kapitalien zweckmäßig über die verschiedenen Branchen ver­teilt werden, damit die Einzelnen im Alter auch wirklich die Lebensmittel und Industrieprodukte preiswert erhalten können, für die sie ihr Leben lang gespart haben. Die Kapitalanlage hat sich also nach den zukünftigen Bedürfnissen der Sparer zu richten, wenn der Zweck des Sparens überhaupt erreicht werden soll 3). Diese bisher wenig beachtete nationalökonomische For­derung hat schon Hecht vor 53 Jahren beiläufig erhoben. Er er­klärte in diesem Zusammenhange:

 

            "Nur eine ganz unbeholfene Wirtschaftsraison kann zu der summarischen Maßregel führen, daß man       kurzer Hand ein eigentümlich geartetes Kreditbedürfnis durch ein ganz anders geartetes Anlagebedürf-           nis befriedige. Wenn eine solche Wirtschaftspolitik lange geherrscht hat und noch vielerorts herrscht, so     erklärt sich dies nur daraus, daß diejenigen, welche Volkswirtschaft studieren, sie nicht anwenden, und         daß viele, welche in der Wirtschaftspraxis tätig sind, die Volkswirtschaft nicht studieren" 4).

 

            Das Prinzip der Zweckanlage verlangt daher zweitens, daß die Ersparnisse allgemein nach den in Zukunft zu erwartenden Konsumenteninteresse der Sparer angelegt werden. Ver­wendet man die Kapitalien dieser Regel entgegen, so braucht man sich nicht zu wundern, wenn geordnete wirtschaftliche Ver­hältnisse nicht zu erzielen sind und diejenigen im Alter darben müssen, welche ihr Leben lang fleißig gearbeitet haben.

 

            Statistik der Altersversorgung. — Mag die Intelligenz des Durchschnittssparers zu einer umfassenden Vorstellung über

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1)      Vorausgesetzt, daß sie eine produktive Anlage gefunden haben.

2)      Vgl. Polak, a. a. O. S. 36.

3)      Vgl. R. Liefmann, a.a.O. S. 16:

"Es handelt sich hier nicht um die Frage, wann und in welchem Grade und zu welchem Zwecke man seinen Konsum beschränkt, sondern darum, was mit dem nicht zum Konsum ver­wendeten Einkommen geschieht".

4)      Vgl. Felix Hecht, a.a.O. S. 226.

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den mit dem Sparen in der Zukunft angestrebten Erfolg auch nicht ausreichen, so kann doch die Wissenschaft aus der Stati­stik des Konsums der "Alten" ungefähr die Verteilung der An­sprüche abschätzen, die später einmal mit den Ersparnissen be­friedigt werden sollen. Wenn hiermit auch nur ein Teil der mit dem Sparen verfolgten Zwecke erfaßt werden kann, so ist doch schon dieses Teilergebnis sehr lehrreich.

 

            Im Jahre 1910 entfielen von 1000 der Gesamtbevölkerung. auf die einzelnen Altersklassen:

 

unter 5

 120.0

  5 -  10

 113.9

10 -  15

 106.6

15 -  20

   96.8

20 -  25

   86.4

25 -  30

   77.4

30 -  40

139.0

40 -  50

104.9

50 -  60

  76.3

60 -  70

  50.5

70 -  80

  23.4

80 und darüber

    4.9

 

Man kann also schätzen, daß auf das erwerbstätige Alter, d. h. auf das 18. - 58. Lebensjahr, ungefähr die Hälfte der Bevölke­rung entfällt, und daß die "Alten", d.h. die mehr als 60jährigen, nicht mehr ganz ein Zehntel der Erwerbstätigen ausmachen. Wenn man den Alten erlauben will, daß sie ebenso leben wie die Erwerbstätigen, und wenn man den letzteren die Möglich­keit geben will, so zu sparen, daß sie im Alter wirklich so leben können, dann wird die Summe der Altersrenten ungefähr ein Zehntel der Löhne, Provisionen und sonstigen Einkommen aus­machen. In Deutschland würde also einem Einkommen von 40 Milliarden aus Löhnen, Provisionen usw. eine gesamte Alters­rente von etwa 4 Milliarden RM gegenüberstehen.

 

            Industrie und Altersversorgung. — Die Altersrente müßte von einem Kapital von ungefähr dem Zwölffachen der Altersrente aufgebracht werden, also von einem Kapital von etwa 50 Milliarden. Rechnet man weiterhin, daß die Alten von ihrem Einkommen ungefähr ein Drittel für Lebensmittel und zwei Drittel für Industrieprodukte ausgeben, dann müßte die Industrie allein aus den Rücklagen der Nation fürs Alter 30 bis 35 Milliarden RM langfristiges Kapital erhalten und die Landwirtschaft den Rest.

 

    61   

 

            Eine solche zweckmäßige Verteilung ist durch die heutige Gesetzgebung über die Mündelsicherheit un-möglich gemacht. Neun Zehntel aller Ersparnisse der hier in Frage kommenden Art fließen zwangsläufig den mündelsicheren Anlagepapieren, also der öffentlichen Hand und dem Grundbesitz zu. Für die Industrie bleibt nur ein Bruchteil des dringendsten Bedarfs.

 

            Hiergegen kann nicht eingewendet werden, daß andere Ersparnisse, die mit der Altersversorgung nichts zu tun haben, der Industrie in hinreichendem Maße zufließen. Die Industrie ist, wie erwähnt, nicht nur durch die Kapitalanlagevorschriften, sondern auch durch zahlreiche steuerliche und andere Bestim­mungen benachteiligt. So beträgt die Wertpapiersteuer bei der Ausreichung von Industrieobligationen 2 %, also das Vierfache derjenigen für Anleihen des Grundbesitzes und des Staates; auch sind Industrieobligationen nicht lombardfähig bei der Reichsbank und den Staatsbanken. Ein genügender Zustrom von anderen Kapitalien ist um so mehr erschwert, als die Er­richtung und der Betrieb von speziellen Kreditanstalten für langfristige Darlehen, die die Landwirtschaft und den städti­schen Grundbesitz überhaupt erst kreditfähig gemacht haben (Hypothekenbanken), für die Industrie durch die heutige Steuer­gesetzgebung unmöglich gemacht ist 1).

 

           

            Bemerkt zu werden verdient, daß es sich bei den Spar­kapitalien, die der Altersversorgung des Volkes dienen, nicht um Vermögensanlagen handelt, die nur wachsen und nie ab­nehmen. Es findet vielmehr ein beständiges Wachsen und Ver­gehen statt. Beständig sterben Rentenempfänger und beständig nutzen sich die Produktionsmittel ab. Beide Größen stimmen, was wenig beachtet wird, einigermaßen überein und betragen etwa 5 % p. a. So entspricht das Sterben der Menschen dem Ab­altern der Produktionsmittel, den Abschreibungen der Industrie und der Annuitätentilgung der Anleihen 2). Wenn die Erwerbs­tätigen nicht verhindert werden, zweckmäßig für ihr Alter zu

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1)      Soweit das inländische Passivgeschäft betroffen wird. Mit Hilfe von Auslandsanleihen, die Steuerbefreiungen genießen, können solche Gesell­schaften heute schon arbeiten.

2)      Gustav Cassel erwähnt in Nature and Necessity of Interest, S. 82, der Zinssatz sei in gewisser Weise abhängig von der Lebensdauer des Menschen. Dem kann keineswegs beigepflichtet werden; vgl. die Widerlegungen bei Ad. Weber, Allg. Volkswirtschaftslehre,  1928, S.  274, und Ed. Lukas, Ehrenberg-Festgabe, S. 61.

 

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sorgen, so bietet die Abschreibung und Tilgung der Anlagen aus Überschüssen den Weg, das in den Jahren der Arbeitsfähig­keit aufgesparte Realkapital im Alter wirklich ratenweise dem Verbrauch zuzuführen.

 

            Der Anspruch der Industrie und der Arbeiterschaft auf die Reserven der Sozialversicherung. — Wenn die Er­sparnisse des deutschen Volkes größtenteils für die spätere Ver­sorgung der Sparer und Versicherten mit Industrieprodukten be­stimmt sind und die Industrie in der Lage sein soll, diesen zu­künftigen Bedarf zu decken, so hat sie eine Art wirtschaftlichen Anspruchs darauf, daß man ihr die fraglichen Ersparnisse auch wirklich zukommen läßt. Der "Anspruch" ist zwar nicht rechtlich klagbar, er kann nicht erzwungen werden; gewährt man ihn aber nicht, so kann die Industrie auch nicht gezwungen werden, die Versorgung des Volkes preiswert zu leisten bzw. den überschüssigen Menschenmassen Beschäftigung zu geben. Insofern liegt es im Interesse beider Parteien, ihn zu erfüllen. Zum mindesten ist die Industrie auf Grund dieses Anspruchs berechtigt, die Mit­verwaltung derjenigen Kapitalien zu fordern, die von den Er­werbstätigen durch periodische Beiträge für die Sozialver­sicherung aufgesammelt werden. Diese Mitverwaltung darf sich nicht darin erschöpfen, daß die Vertreter der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer sich aussuchen dürfen, in welchen von den zur Wahl stehenden Werten der öffentlichen Hand und des Grundbesitzes sie die Reserven anlegen wollen. Sie wird sich vielmehr darauf zu erstrecken haben, nach den noch zu er­örternden Richtlinien die geeigneten industriellen Kapital­anlagen auszusuchen, da die Landwirtschaft bisher schon einen hinreichenden Anteil erhalten hat.

 

            Wenn die Reserven der Sozialversicherung, soweit sie aus der Industrie stammen, in der Industrie angelegt werden, so wird nicht nur die Vorsorge verwirklicht, die der Versicherte er­wartet. Es wird darüber hinaus noch in wirksamer Weise der Erwerbslosigkeit gesteuert, die heute die schwerste Gefahr für das Individuum ist. Anlage von Kapitalien in der Industrie heißt Anlage in Produktionsmitteln. Jede solche Anlage schafft auf die Dauer mehr Arbeitsgelegenheit, als durch etwaige Ratio­nalisierungsmaßnahmen eingespart worden ist. Denn jede Mark, die in Produktionsmitteln investiert wird, gibt nicht nur den Arbeitern der Produktionsmittelindustrien vorübergehende Be-

 

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schäftigung, sondern bedeutet zugleich die Schaffung neuer dauernder Arbeitsplätze, von denen allein eine Besserung des Arbeitsmarktes auf lange Sicht erhofft werden kann. So kann von einer zweckmäßigen Anlegungspolitik auch die Verminde­rung des Risikos der Erwerbslosigkeit für den Einzelnen und die Einsparung bedeutender Ausgaben zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei Wirtschaft und Staat erwartet werden.

 

            Das Prinzip der Zweckanlage, der Gedanke, daß die Er­sparnisse so angelegt werden müssen, wie es den Bedürfnissen der Sparer entspricht, führt also nicht nur zu der Forderung nach Freizügigkeit und Gleichberechtigung am Kapitalmarkte, sondern darüber hinaus zu der weiteren Forderung, einen an­gemessenen Teil der Volksersparnisse der Industrie zukommen zu lassen. Als angemessen wird dabei derjenige Teil zu gelten haben, der auf die Industrie entfällt, wenn man das Verhältnis des Verbrauchs von Industrieerzeugnissen zum Verbrauch der Erzeugnisse und Leistungen anderer Wirtschaftszweige fest­stellt. Die Reserven der Sozialversicherung, soweit sie aus der Industrie stammen bzw. für die Industriearbeiterschaft bestimmt sind, wird man bevorzugt der Industrie zukommen lassen müssen.

 

B. Das Kategorienprinzip.

 

            Begriff. — Nicht nur die Richtung und der Umfang der Kapitalanlage in bestimmten Sachwerten, sondern auch die Rechtsformen sind zu erörtern, in denen derartige Kapital­anlagen verkörpert sind bzw. sein sollen. Hier besagt das Kategorienprinzip, daß nur solche Anlageformen für Mündelgelder in Frage kommen können, deren Beschaffen­heit und Qualität sich ohne detaillierte Prüfung schon nach der Gattung beurteilen lassen.

 

            Die Vormünder zu individueller Prüfung nicht im­stande. — Diejenigen Personen, für deren Vermögensanlage die Vorschriften bestimmt sind, sind im allgemeinen nicht in der Lage, eine individuelle Prüfung der einzelnen Forderungen, Titel, Wertpapiere usw. hinsichtlich deren Sicherheit und Renta­bilität vorzunehmen. Es ist ganz unmöglich, beispielsweise als Vormünder nur solche Personen zu bestellen, die über eine ein­gehende Kenntnis des Finanzfaches verfügen. Ebensowenig kann von den Verwaltern von Stiftungen, von den Ehegatten, die das eingebrachte Gut der Frau anzulegen haben, und den

 

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vielen anderen Personen, die gebundene Kapitalien verwalten, eine hinreichende Kenntnis des Kapitalmarktes erwartet werden. Es werden also nur solche Effekten für die Anlage in Frage kommen, deren Qualität sich schon nach der Gattung be­urteilen läßt, der sie angehören.

Beispielsweise sind die 8 % Goldpfandbriefe der Berliner Hypothekenbank allein durch ihre Zugehörigkeit zur Gattung der Hypothekenpfandbriefe hin­reichend klassifiziert. Papiere dagegen, zu deren Beurteilung eine besondere sachverständige Untersuchung in jedem Einzel­falle erforderlich ist, sind für die Anlage von Mündelvermögen im engeren Sinne nicht geeignet. Damit scheiden Industrie­obligationen und -aktien solange aus, als nicht besondere Vor­kehrungen getroffen sind.

 

            Effektenkategorien, ihre Entstehung und ihre Vor­züge. — Überblickt man den Effektenmarkt, so findet man schon heute eine Anzahl von Typen, von Kategorien, die durch die Verfeinerung der finanziellen Methoden geschaffen wurden. So haben der Hausbesitz, die Landwirtschaft und neuerdings auch die Kommunen bereits geeignete festverzinsliche Effekten­typen herausgebracht. Beim Hausbesitz sind es die Emissionen der Hypothekenbanken 1) und der Stadtschaften (Hypotheken­pfandbriefe), bei der Landwirtschaft diejenigen der Landschaften (landschaftliche Pfandbriefe) und bei den Kommunalverbänden die in den letzten Jahren aufgetauchten Sammelanleihen der Deutschen Girozentrale — Deutschen Kommunalbank. Es ist interessant, den Werdegang dieser letzteren zu verfolgen: Wäh­rend im Jahre 1913 noch zwei Lücken in der Organisation unseres Kreditsystems bestanden: die Desorganisation des Mark­tes der Kommunalobligationen und des Marktes der Industrie­obligationen, ist die eine nunmehr durch die bahnbrechende Tat des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes geschlossen. Bis vor wenigen Jahren emittierte jede kleine Stadt, jeder Kreis, ja selbst größere Landgemeinden Anleihen auf eigene Faust. Diese Anleihen waren so klein, daß sie keine Börsennotiz er­halten konnten, und daß kein ausreichender Markt da war, selbst wenn Börsennotiz vorhanden war. Infolgedessen war es

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1)      Deren Ausleihungen sind fast ausschließlich solche auf städtische Hypotheken; nur die Preußische Pfandbriefbank und wenige andere Institute bilden mit einem starken Bestand landwirtschaftlicher Hypotheken eine Ausnahme.

 

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zwar leicht, ein Stück einer solchen Anleihe zu erwerben, aber sehr schwer, es ohne Verlust wieder zu verkaufen, um so mehr, als diese kleinen Kommunen nicht finanzkräftig genug waren, sich um das fernere Schicksal ihrer Anleihen zu kümmern. Die anlagesuchenden Kapitalisten wandten sich daher von diesem Marktgebiet ab, so daß trotz aller Bevorzugung Kommunal­kredit oft nur zu ungünstigen Bedingungen zu erhalten war.

 

            Dieser unerfreuliche Zustand wurde durch die Emission der Sammelanleihen des Sparkassen- und Giro-Verbandes und einiger provinzieller Girozentralen in vorbildlicher Weise be­hoben. An die Stelle beispielsweise von 100 kleinen Individual­anleihen, deren Güte im einzelnen schwer zu beurteilen war, trat eine große Sammelanleihe, für die die einzelnen Gemeinden pro rata ihres Anteiles hafteten. Diese Haftung wurde durch die zusätzliche Haftung des Deutschen Sparkassen- und Giro­verbandes, eines Zweckverbandes aller Kommunalverbände, noch verbessert. So war nicht nur ein Risikoausgleich innerhalb der Gemeinden, sondern auch ein großes börsenfähiges Papier mit großem Markt und leichter Verkäuflichkeit geschaffen. Im Gegensatze zu den kleinen Individualanleihen, auf denen diese Sammelanleihe beruhte, war sie ein Typ, eine Kategorie. Sammelanleihen sind typisierte Individualanleihen, indem sie alles Typische mit letzterem gemeinsam haben, während das Individuelle zurückgetreten ist. 

 

            Derselbe Weg ist seinerzeit auch zwecks Organisierung des Bodenkredits von den Pfandbriefinstituten beschritten wor­den. Individualhypotheken erfordern eine eingehende Prüfung ihrer Sicherheit in jedem Falle, erfordern stete Liquidität des Kapitalisten, um gegebenenfalls das Grundstück in der Zwangs­versteigerung übernehmen zu können, und sind schwer ver­käuflich. Die Pfandbriefinstitute, die aus vielen Einzelhypo­theken den typisierten Hypothekenbrief (= Pfandbrief) schufen, haben alle diese Schwierigkeiten beseitigt und ebenfalls, schon 100 Jahre früher, einen Wertpapiertyp geschaffen, der eine nähere Prüfung nicht erfordert und zu-gleich vielmals sicherer und liquider ist.

 

            Beim Staatskredit sind spezielle Wertpapierformen dieser Art nicht ausgebildet worden. Bei ihm hat aber von jeher die Größe der Anleihen den Typencharakter ersetzt, da die Riesen­emissionen der Staaten stets ohne weiteres den Markt hatten, der für die anderen Kreditzweige erst organisiert werden mußte. (jz8)

 

 

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            Der Mangel einer Kategorie industrieller Werte. — Während also der Bodenkredit und der Staatskredit seit langer Zeit und neuerdings auch der Kommunalkredit organisiert sind, entbehrt der langfristige industrielle Kredit einer solchen Organi­sation: Es fehlen hier Effektentypen, die ohne individuelle Prü­fung von vornherein als sicher und empfehlenswert angesehen werden können. Die wenigen Riesenemissionen, die an Größe die Staatsanleihen oft übertreffen, wie z. B. die Anleihe der Ver­einigten Stahlwerke von 1927 im Betrage von 126 Mill. RM, können keinesfalls einen Ersatz für derartige Typen darstellen. Einmal sind sie dem Absatz im Auslande vorbehalten; sodann aber kann die Privilegierung einzelner besonders großer Gesell­schaften nicht in Betracht gezogen werden. Auch ist die Sicher­heit noch nicht ausreichend, indem die Spezialisierung auf eine einzige Branche ein Risiko enthält, das den Mündelvermögen nicht zugemutet werden kann. — So ist bis heute noch beim Erwerb von Industrieobligationen in jedem einzelnen Falle eine gründliche Prüfung mindestens der Bilanz und der letzten Ge­schäftsergebnisse erforderlich. Derartige Individualeffekten sind aber zur Anlage von Mündelgeldern ungeeignet.

 

            Schaffung einer industriellen Anlagekategorie. — Wenn eine Reform der Mündelgeldervorschriften also den indu­striellen Kredit in dem erforderlichen Umfange berücksichtigen will, so kann das nicht mit einem Schlage geschehen; denn die geeignete Effektenkategorie besteht noch nicht, sie muß erst geschaffen werden. Banken und Industrie werden sich auf die Dauer der Aufgabe nicht entziehen können, geeignete Typen industrieller Werte zu schaffen. In den angelsächsischen Län­dern haben die Investment Trusts diese Aufgabe zum großen Teil gelöst.

 

            Der Investment Trust darf nicht mit trustartigen Gebilden sonstiger Art verwechselt werden. Er hat sich die Aufgabe gestellt, mit Hilfe eines Stabes von Spezialisten den­jenigen die Mühe der Individualprüfung in Vermögensanlagen abzunehmen, die hierzu entweder nicht fähig sind oder nicht die hinreichende Zeit haben. Gleichzeitig übernimmt er die Sicherung dieser Anlagen. Er unterscheidet sich von Industrietrusts, Holding-Gesellschaften, Finanzierungsbanken und anderen Formen durch die strenge Befolgung nachstehender Prinzipien:

 

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1.      Kapitalbeschaffung: durch Absatz eigener Emissionen (Obligationen, Vorzugsaktien, Aktien, Genußscheine u. ä.);

2.      Zweck: Erwerb sicherer rentierlicher Effekten;

3.      Verteilung des Risikos auf die verschiedensten Bran­chen, Gegenden, eventuell Effektengattungen und Währungen, in mehreren Hunderten von Posten;

4.      Vermeidung jeder Verantwortung in Form von Mehrheiten, Kauf nur kleiner Posten, nur zu Anlagezwecken;

5.      Management of Portfolio: Realisierung erzielter Kursgewinne, jedoch nur zur Überweisung an die Reserven; Kauf neuer unterwerteter Papiere.

 

            Die Obligationen 1) und Vorzugsaktien der alten und gro­ßen Investment Trusts sind in Wahrheit typisierte und ver­sicherte Industrieobligationen 2). Der Trust legt seine Ak­tiven in Industrieobligationen an und gibt in gleichem Betrage eigene Effekten dafür aus, die durch das Portefeuille ebenso ge­sichert sind, wie die Hypothekenpfandbriefe durch die Deckungs­masse an Hypotheken. Für Sicherheit ist durch andere be­sondere Maßnahmen in nahezu vollkommener Weise gesorgt (vgl. C: Versicherungsprinzip). Die Bedeutung der Investment Trusts für die angelsächsischen Länder läßt sich daraus ent­nehmen, daß allein die englischen, schottischen und amerika­nischen Gesellschaften Anteile, Vorzugsaktien und Obligationen im Werte von über 30 Milliarden RM im Umlauf haben; der größte Investment Trust, die Bancitaly Corporation, verfügt allein über nahezu 300 Mill. Dollar.

 

            Solche Trust-Obligationen werden in England in aus­gedehntem Maße nicht nur von großen und größten Versiche­rungsunternehmungen, Kirchen, Universitäten und Sparkassen, sondern auch von Vormündern für Mündelvermögen gekauft. Sie stellen vielleicht die in Deutschland noch fehlende Kategorie der Industrieanlagen dar. Die Steuergesetz­gebung und die Anlegungsvorschriften haben bisher die Grün­dung von Investment Trusts in Deutschland nahezu unmöglich gemacht; die in Deutschland arbeitenden Firmen mußten ihren

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1)      Von diesen wird selten mehr als etwa das Doppelte des haftenden Kapitals ausgegeben.

2)      Soweit es sich um Gesellschaften handelt, die sich mit Industrieanlagen befassen. Einige Trusts haben sich auf Kommunalpapiere, Auslandswerte u. dgl. spezialisiert.

 

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Sitz nach der Schweiz, Holland, England, Amerika und anderen Ländern verlegen. Immerhin besteht bereits seit 1923 ein Trust, der nur mit Inlandkapital arbeitet; außerdem sind Gesellschaften gegründet worden, die steuerfreies Auslandskapital benutzen und hoffentlich bestrebt sind, auch ihre Passivtätigkeit im Laufe der Zeit auf das Inland auszudehnen. Man wird diese Bestrebungen mit Aufmerksamkeit zu verfolgen haben, da sie den wohl einzig gangbaren Weg zur Durchführung der Reform der Anlegungsvorschriften bieten, deren Richtung durch die vorhergegangene Untersuchung gegeben ist.

 

C. Das Versicherungsprinzip.

 

            Bisher Hypothekarprinzip. — Sieht man von der Anlage in Werten der öffentlichen Hand ab, so sind nach dem geltenden Mündelsicherheitsrecht Anlagen prinzipiell nur zulässig, wenn eine sichere Hypothek bestellt werden kann. Das gilt sowohl für Vermögen, die vom Vormund direkt angelegt werden, wie auch von den Kapitalien, die den Pfandbriefinstituten, Spar­kassen und Versicherungsträgern zufließen und von diesen investiert werden. Der Zugang zu demjenigen Teile der Volksersparnisse, der den Anlagevorschriften folgt, ist heute also nur durch hypothekarische Sicherstellung zu erreichen.

            Diese Konstruktion des römischen Rechts ist verständlich, wenn man berücksichtigt, daß im Altertum andere brauchbare Sicherungsmaßnahmen nicht bekannt waren. Die Vorzugsstellung, die die dingliche Sicherheit im römischen Recht einnahm, ist nicht in der besonderen Qualität begründet, sondern darin, daß eine Wahl zwischen verschiedenen Siche­rungsmaßnahmen nicht gegeben war.

 

            Sicherung und Versicherung im Bankwesen unserer Zeit. — Inzwischen hat sich das Gebiet der Kreditsicherung mit der Ausdehnung des modernen Bankwesens außerordentlich entwickelt. Die Hypothek ist für die Kreditabteilung der heu­tigen Bank nur eine von vielen Maßnahmen, keineswegs immer die verläßlichste. Das Kreditversicherungswesen ist im Begriff, sich zu einer besonderen Wissenschaft zu entwickeln, wie das Anwachsen der Spezialliteratur und die Gründung von beson­deren Kreditsicherungsgesellschaften beweist.

            Zugleich mit dem Kreditsicherungswesen hat das Ver­sicherungsprinzip eine ungeahnte Bedeutung im Bankwesen

 

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unserer Zeit erlangt. Zuerst kannte man Versicherungen nur bei Risiken, die durch Naturereignisse bedingt sind, also bei Feuerschäden, Schiffsunfällen, Tod usw. Darauf entwickelte sich das Kreditversicherungswesen, und zwar in zwei Formen: die Übernahme des Delkrederes von Forderungen bei fremden Fir­men durch eine besondere Versicherungsgesellschaft gegen Prä­mie und die Selbstversicherung der eigenen Forderungen durch Risikomischung und -ausgleich bei den Banken 1). Das erstere Prinzip, das heute von den Kreditversicherungsaktiengesellschaften betrieben wird, hat sich besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelt. Auch in Deutschland besteht eine Anzahl von Gesellschaften, die erfolgreich arbeiten. Diese Gesellschaften übernehmen gegenüber dem Gläubiger die Garantie dafür, daß die Forderung zurückgezahlt wird; sie können das Risiko natürlich nur dann übernehmen, wenn der Schuldner in der Lage ist, ihnen hinreichende Sicherheiten zu stellen und wenn sie einen kleinen Teil der Zinsen als Prämie erhalten. Ihr Geschäft beruht darauf, daß erfahrungsgemäß von beispielsweise 1000 versicherten Forderungen à 1000 RM nur etwa 5 faul werden. Eine Prämie von 5 vom Tausend auf den Gesamtbetrag von 1 Million würde also genügen, um das Risiko abzudecken.

 

            Eine viel größere Bedeutung hat das bankmäßige Ver­sicherungsprinzip gewonnen. Wir erwähnten die Typisierung von Individualhypotheken zu Pfandbriefen durch die Pfandbrief­institute. Hier übernimmt die Bank jedoch nicht nur die Typi­sierung, sondern auch die Versicherung der Hypotheken, in­dem sie zu der Sicherheit der Deckungsmasse noch das Prinzip der Risikoverteilung und die eigene Haftung mit ihrem ge­samten Aktien-kapital und Reserven hinzufügt. Bekanntlich sind ja auch die ersten Hypothekenbanken in Norddeutschland auf Vorschlag von Hübner als Hypothekenversicherungsgesell­schaften gegründet worden, welchen Namen z. B. die Preu­ßische Pfandbriefbank mehrere Jahre lang getragen hat 2).

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1)      Die Brokerbanken und andere Spezialinstitute werden hier nicht zu den eigentlichen Banken gerechnet.

2)      Vgl. u.a. Saling 1928/29, II., S. 595.   Die i.J. 1862 gegründete Preußische Hypotheken-Versicherungs-Aktiengesellschaft, jetzige Preußische Pfandbriefbank A.-G.,  ist heute die zweitgrößte der deutschen Hypothekenbanken. Auch die bekannte Norddeutsche Grundkreditbank in Weimar, gegründet i.J. 1868, führte bis 1885 zu ihrem Namen den Zusatz "Hypothekenversicherungs-Aktiengesellschaft". Vgl. Saling 1928/29, II., S. 573. Siehe auch von Poschinger, Bankwesen und Bankpolitik in Preußen, Band III.

 

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Pfandbriefe sind also nicht nur typisierte, sondern auch ver­sicherte Hypotheken. — In ähnlicher Weise können Banknoten angesehen werden als versicherte und typisierte Handelswechsel, Bankdepositen als versicherte und typisierte Kontokorrentkre­dite und schließlich Kommunalobligationen als versicherte und typisierte Kommunaldarlehen. Wir sahen bereits, daß die In­vestment Trusts im Begriff sind, dem Typisierungsgedanken eine weitere Zukunft zu eröffnen. Auch sie haben die Versiche­rung mit der Typisierung kombiniert; ihre Trust-Zertifikate stellen typisierte und versicherte Industriekredite dar. Die­jenigen Investment Trusts, die auch Aktien kaufen, erobern dem neuen Gedanken sogar das Gebiet des Unternehmerkapitals, indem ihre Emissionen typisierte und generalisierte Industrie­aktien darstellen.

 

            So beherrscht der bankmäßige Versicherungsgedanke schon heute das gesamte Bankwesen aller Länder der Erde 1). Er hat schon heute unbemerkt das Hypothekarprinzip praktisch in den Hintergrund gedrängt. Niemand hält heute mehr die Hypothek für die sicherste, bequemste und rentabelste Anlage; vielmehr bevorzugt man allgemein das Depositenkonto, das Sparkassenguthaben, den Pfandbrief, die Kommunalobligation. Nur diese, nicht Hypotheken, gelten als Anlagen erster Klasse.

 

            Versicherungsprinzip statt Hypothekarprinzip. — Gegen­über dieser machtvollen Entwicklung des Kreditversicherungs­wesens wird man die einseitige Bevorzugung der Hypothek heute als überlebt bezeichnen können. Das Hypothekarprinzip er­weist sich immer mehr als ein Hemmschuh der Entwicklung, indem es den Übergang zu erprobten neuen Formen der Finanz­technik erschwert, wenn nicht verhindert. Ist doch ein Finanz­markt, dem man durch die Anlegungsvorschriften alle Kraft entzogen hat, kein geeigneter Boden für das Wachstum der heute nur noch für Deutschland neuen Investment Trusts.

 

            Der weitere Hauptmangel der Hypothek ist es, daß bei ihr eine individuelle Prüfung erforderlich ist.   Die anderen Siche-

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1)      Auch in China z. B. sind dieselben Formen seit Jahrhunderten ver­treten. Vgl. Dr. rer. pol. Ku Sui-lu, Die Form der bankmäßigen Transaktionen im inneren chinesischen Verkehr, mit besonderer Berück-sichtigung des Notengeschäfts. Hamburg 1926. (jz9)

 

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rungsmaßnahmen kranken fast alle an demselben Mangel. Sie sind daher schwerlich geeignet, bei Wahrung der vollsten Sicherheit den Zugang zum Industriekredit zu eröffnen.

 

            Eine Reform der Anlegungsvorschriften, welche die ge­kennzeichnete gesunde Entwicklung zu vollkommeneren Wirt­schaftseinrichtungen nicht gänzlich übersehen will, wird daher bei dem einer früheren Wirtschaftsepoche angehörenden Hypo­thekarprinzip nicht stehen bleiben können. Man wird vielmehr aus der Entwicklung der Finanztechnik in den letzten 100 Jahren die Konsequenzen ziehen und das Hypothekarprinzip durch das Versicherungsprinzip ersetzen müssen.

            Das Versicherungsprinzip kann in seinen beiden Formen für die zukünftigen Anlegungsvorschriften verwendet werden: in Form der Kreditversicherung und in Gestalt der bankmäßigen Versicherung.

 

            Kreditversicherung. — Am einfachsten stellt sich die Verwendung von Kreditversicherungsgesellschaften dar. Be­stimmt man, daß solche Forderungen und Teilschuldverschrei­bungen für die Anlage von Mündelgeldern geeignet sein sollen, für die eine Kreditversicherungsgesellschaft die Garantie über­nommen hat, so führt man eine neue Sicherung ein, die sich ohne nähere Prüfung als Kategorie beurteilen läßt. Der Ein­wand, daß die Zuverlässigkeit der Kreditversicherungsgesell­schaft außer Frage stehen müsse, wird dadurch aus der Welt geschafft werden können, daß nur solche Gesellschaften zuge­lassen werden, die der Reichs- oder Landesaufsicht unterstehen 1).

Die Frage der eigentlichen materiellen Sicherheit der im ein­zelnen gewählten Kapitalanlage verliert damit für den Vormund ihre Bedeutung, sie wird eliminiert. Der Vormund oder Ver­walter von gebundenen Kapitalien würde nur darauf zu achten haben, daß die Garantie vorhanden ist; die Maßnahmen zur Sicherung der Forderung verlieren damit nicht an Wichtigkeit, aber sie werden zwei sachverständigen Parteien übertragen: dem Schuldner und der Kreditversicherungsgesellschaft. Die Sicherung ist dann nicht mehr auf das eine Mittel der Hypo­thek beschränkt, sie kann vielmehr von Fall zu Fall den wirt­schaftlichen Bedürfnissen der Parteien angepaßt werden. Die

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1)      Die Kreditversicherungsgesellschaften unterliegen bereits nach dem Gesetz betr. die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 der staatlichen Aufsicht.

 

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Satzungen und Konditionen der Kreditversicherer werden schon für eine hinreichende Vereinfachung und Klärung des Gebietes sorgen, wie es schon heute der Fall ist. Entscheidend bleibt, daß das äußerst schwierige technische Problem der Kreditsiche­rung dem unzuständigen Verwalter abgenommen und der fach­lich geschulten Stelle übertragen wird. Der Vormund wird von Verantwortung entlastet, Fachleute treten an die Stelle von Laien.

            Gegen die Kreditversicherung kann nicht eingewendet wer­den, sie stelle ein verteuerndes Zwischenglied dar. Ihre Lei­stung ist die Steigerung der Sicherheit, dafür erhält sie ihre Prämie, die sie ihrerseits fast ganz zur Deckung von Ausfällen unter den versicherten Forderungen verwendet. Ihre persön­lichen und sachlichen Unkosten sind ebenfalls wert- und sicherheitserhöhend, denn sie sind die Voraussetzung für die Fach­kenntnisse ihrer Leiter. Ein solches nützliches Zwischenglied kann man ebensowenig als überflüssig bezeichnen, als eine Hypothekenbank, die ja ungefähr dieselben Funktionen hat.

 

            Bankmäßige Versicherung. — Die bankmäßige Versiche­rung, d. h. der Gedanke der Risikomischung innerhalb der Be­stände einer Bank, ist schon im bisherigen Mündelsicherheitsrecht im weitesten Maße zugelassen, wenn man auch den Versicherungs­charakter nicht erkannt hat. Hypothekenpfandbriefe, die Sammel­anleihen der Kommunalverbände und viele andere Anlagen ver­danken ihre Sicherheit dem bankmäßigen Versicherungsprin­zip 1). Dieses Prinzip allein erlaubt die Ausdehnung der zu­lässigen Anlagen auf industrielle Werte, auf Investment Trust-Emissionen; es schließt die bisherigen erstklassigen Werte in natürlicher Weise ein, z. B. die Pfandbriefe und die Kommunalsammelanleihen usw. Es ist, wie die Entwicklung der Depositen­großbanken, der Hypothekarinstitute und der Sparkassen ge­zeigt hat, mindestens so sicher wie das Hypothekarprinzip; es ist erprobt, bewährt und sogar populär. —

 

            Die Sicherheit von Kapitalanlagen in der Industrie überhaupt. — Die erörterten Prinzipien der Zweckanlage, der Kategorien und der Versicherung werden für die Neugestal­tung der Anlegungsvorschriften maßgebend sein müssen. Vor der Behandlung der Reformvorschläge wird aber noch auf die Frage einzugehen sein, ob die Industrie als solche überhaupt

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1)      Nicht ihrer Unterlage. Hypotheken z. B. waren früher, wie noch zu zeigen sein wird, recht gefährlich.

 

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geeignet ist, den Untergrund für sichere Kapitalanlagen ab­zugeben. Wie stets betont, hat bei der Verwaltung der Mündel­kapitalien der Gedanke der Sicherheit im Vordergrunde zu stehen. Industrielle Werte können nur dann in gleichem Maße wie andere Anlagepapiere berücksichtigt werden, wenn sie die­selbe Sicherheit bieten, wie diese.

 

            Betrachtet man die Geschichte der verschiedenen Kredit­zweige, so fällt besonders auf, daß auch diejenigen Kreditarten, die sich heute schon längst des besonderen Vertrauens der Geld­geber erfreuen, anfänglich als unsicher und gefährlich gegolten haben. Beispielsweise gilt der Wechselkredit noch heute in den Kreisen der Nichtfachleute mit Recht als äußerst gefährlich; jeder Nichtkaufmann hütet sich, mit Wechseln etwas zu tun zu haben. Und doch haben die Depositenbanken und die Noten­banken, indem sie ihre Organisation den Besonderheiten dieses ursprünglich vielleicht gefährlichsten aller Kreditzweige an­paßten, den Wechselkredit zum sichersten aller Geschäfte machen können. So betrugen die Verluste der Reichsbank in den Jahrzehnten vor dem Kriege nach von Lumm nur 20 M auf jede Million Mark angekaufter Wechsel 1). — Dasselbe war beim Bodenkredit zu beobachten; auch er galt ursprünglich als gefährlich. Ein geregelter Grundstücksmarkt war nicht vor­handen, die Preise für Grundstücke schwankten beträchtlich; nie­mand konnte voraussehen, welcher Betrag etwa in einer Ver­steigerung zu erlösen sein werde. Dazu kam der Mangel eines sicheren Rechtes und in den meisten Ländern das Fehlen von Grundbüchern. Bei der Beleihung von städtischen und länd­lichen Grundstücken spielte außerdem die Brandgefahr eine große Rolle, die die Kapitalanlage fast mit Totalverlust be­drohte; erst im Laufe der letzten 150 Jahre hat man ver­standen, dieses besondere Risiko durch Feuerversicherung ab­zudecken. Es ist daher verständlich, daß die Gesetzgeber von den Zeiten des alten Rom bis zur neueren preußischen Rechts­entwicklung Grundstücke und Hypotheken nicht deswegen als mündelsicher erklärten, weil sie sie auch nur einigermaßen für sicher hielten, sondern nur aus dem Grunde, weil sie die einzigen zinsbringenden langfristigen Kapitalanlagen überhaupt waren und weil die wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung eine Förderung des Agrarkredits notwendig machten.

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1)      Diskontpolitik, 1926, S. 30.

 

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            Es hat sich gezeigt, daß ein Kreditzweig jedesmal dann einen hohen Grad von Sicherheit erreichte, wenn er die ihm angemessene, auf seine Eigenarten Rücksicht nehmende Organisation fand. Der Bodenkredit fand diese Organisation in der Schaffung des Grundbuchwesens, in dem Aufkommen der Feuerversicherung und in der Entwicklung der Landschaften und der Hypothekenbanken. Der Kommunalkredit fand in ähnlicher Weise seine Organisation durch die Entwicklung der Staatsaufsicht über die kommunalen Finanzen und die Schaffung der Kommunalsammelanleihen. Der langfristige industrielle Kredit hat die ihm angepaßte Organisation in Deutschland noch nicht gefunden; die ihn betreffenden Fragen werden daher häufig von den Leitern der Kreditabteilungen der Handelsbanken bearbeitet, die sich seinen Eigenarten infolge der Organisation ihrer Institute ebensowenig anpassen können, wie sie sich vor 100 Jahren den Besonderheiten des langfristigen Agrar-Kredits anpassen konnten. Nach Schaffung der besonderen Organisation der Hypothekenbanken hat der langfristige Agrarkredit seine Sicherheit beweisen können; auch der langfristige Industriekredit wird seine Sicherheit erweisen, sobald man ihm die ihm gemäße Form gibt 1).

 

            Diese Ansicht wird gestützt durch die Erfahrungen, die man bisher mit der Sicherheit industrieller Anlagen gemacht tat. Angesichts der gewaltigen Ausdehnung und der beherrschenden Rolle, die die Industrie in den modernen Großstaaten spielt, angesichts der bedeutenden Kapitalien, die heute frei­willig und zur Zufriedenheit der Kapitalisten in der Industrie investiert sind, würde es schwer sein, von der "Unsicherheit der Industrie" zu sprechen. Dazu kommt die unleugbare Tatsache, daß der Markt der Industrieobligationen weder vor dem Kriege, noch heute in Deutschland oder im Auslande zu Klagen Anlaß gegeben hat. Fälle von Zahlungseinstellungen sind sehr selten gewesen, wahrscheinlich prozentual erheblich seltener, als die Zahlungseinstellungen von Staaten und Städten. Überaus wenig Geld ist an Industrieobligationen verloren worden, obwohl die im vorigen Abschnitt für unerläßlich erklärten besonderen Sicherungs- und Versicherungsmaßnahmen (Investmenttrusts usw.) noch gar nicht angewandt worden waren.

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1)      Vgl. die Verhandlungen des Mitteleuropäischen Wirtschaftsvereins vom 27. Mai 1907, S. 59ff.

 

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            Die letzten Zweifel hat Edgar Lawrence Smith besei­tigt 1), indem er statistisch für die Zeit von 1860 -1921 nach­wies, daß im Durchschnitt sogar Aktien eine größere Sicher­heit gezeigt und eine höhere Rente abgeworfen haben, als fest­verzinsliche Werte 2). Diese Regel gilt sogar dann, wenn die Aktien im ungünstigsten Jahre, d. h. zum höchsten Kurse ge­kauft und zum niedrigsten Kurse verkauft wurden. Aktien sind auf die Dauer eine Kapitalanlage, die an Sicherheit an der Spitze steht. J. M. Keynes - Cambridge hat infolgedessen wiederholt vorgeschlagen, daß die Lebensversicherungsgesell­schaften schon aus Sicherheitsgründen einen Teil ihrer Reserven in Aktien industrieller Unternehmungen anlegen sollten 3). Ähn­liche Ansichten vertritt Professor Irving Fisher 4).

            Daher ist die Ansicht begründet, daß Kapitalanlagen in der Industrie grundsätzlich an Sicherheit allen anderen erstklassigen Anlagen gleichstehen. Trifft man dazu die im Boden- und Kommunalkredit bewährten besonderen Ver­sicherungsmaßnahmen, wie oben vorgeschlagen, auch beim lang­fristigen industriellen Kredit, so erhält man eine Kapitalanlage, die sogar die besonderen Sicherheitserfordernisse erfüllt, die bei der Anlage gebundener Kapitalien zu verlangen sind.

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1)      Common Stocks as long-term Investments, New York 1926.

2)      In den Vereinigten Staaten, also bei relativ stabiler Währung.

3)      Vgl. J. M. Keynes, Kapitalanlagepolitik der Lebensversicherungsgesellschaften nach englischer Auffassung, Ztschr. f. d. ges. Versicherungswissenschaft, Bd. 27, Heft 1, 1927. In welchem Maße die englischen Versicherungsgesellschaften diese Gedanken in die Praxis umgesetzt haben, zeigt der Jahresbericht der Prudential, der größten britischen Versicherungsgesellschaft (vgl. Times vom 8. März 1929).

4)      I. Fisher, Yale Universität, Wann soll man sein Geld in Aktien an­legen? Wirtschaftsdienst, Hamburg 1926, Heft 10.

 

 

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VI. Reformvorschläge.

 

            Wege zur Reform. — Reformen können in verschiedenem Sinne erwogen werden. Am einfachsten wäre es vielleicht, die Gesetzgebungsmaschine überhaupt nicht zu benutzen und ein­zelnen industriellen Emissionen von Fall zu Fall durch Spezialerlaß des Reichsrats auf Grund von § 1807, Ziff. 4, die Mündelsicherheit zu verschaffen.

            Dieser Weg mag in der Über­gangszeit gangbar sein 1), kann aber eine umfassende Regelung nicht ersetzen. Schon Hecht weist zutreffend darauf hin, daß die alten preußischen Bestimmungen zu ihrem Nachteil da­durch entstanden sind, daß die Frage nie als Gesamtproblem, sondern durch den Antrag irgendeines Kreditinstituts an das zuständige Ministerium akut wurde. Die meist ablehnende Ent­scheidung erfolgte dann aus dem Gesichtspunkte heraus, einem einzelnen Institute keinen Vorteil vor anderen zu verschaffen; die wirtschaftliche Frage als solche kam bei dieser Behandlung zu kurz. Diese Verhältnisse sind bis heute im wesentlichen unverändert geblieben; nur eine reichsgesetzliche Neuregelung vermag daran etwas zu ändern.

Der von Karding und anderen erhobenen Forderung nach einer systematischen Gesamtrege­lung des Gebiets wird man sich daher nicht verschließen können.

 

            Demgegenüber ist wiederholt die Forderung aufgestellt worden, von einer Regelung des Rechtsgebiets, sei es durch Spezialerlasse oder durch Gesetz, überhaupt abzusehen, da gar keine Regelung, d.h. völlige Freiheit des Vormundes das beste sei 2). Diese Gestaltung erklärt auch Kipp 3) grundsätzlich für die sachgemäße. Hierzu ist zunächst zu sagen, daß eine auf gesunden wirtschaftlichen Prinzipien aufgebaute Neuregelung nicht die Schaffung eines neuen Monopols, sondern die Beseiti-

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1)      So hat man im Jahre 1927 in Hamburg den Emissionen der Schiffspfandbriefbanken, die wirtschaftlich einen rein industriellen Charakter haben, die Mündelsicherheit verliehen.

2)      Vgl. die zitierte Äußerung von Röpell - Danzig, S. 44.

3)      S. 512.

 

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gung eines bestehenden bedeutet, so daß sehr wohl auch ein prinzipieller Gegner gesetzlicher Eingriffe sich mit einer gesetz­lichen Neuregelung befreunden könnte. Mit Kipp ist weiterhin auf die Bedenken hinzuweisen, die diesem Vorschlage anhaften. Es ist praktisch unmöglich, stets geeignete Vormünder zu finden, die die genügende Sachkunde und die hinreichende Verant­wortungsfreudigkeit aufweisen. Die Aufhebung der Vorschriften über die Mündelsicherheit würde überdies in weiten Kreisen als die Entziehung der Mündelsicherheit gegenüber den Instituten aufgefaßt werden, die sie bisher genossen. Es könnte das zu einer unerwünschten Verschlechterung der finanziellen Lage der bisher mündelsicheren Institute führen. Kipp erklärt dazu:

           

            "Solche Rücksicht auf das Finanzinteresse Dritter muß freilich im Vormundschaftsrecht hinter dem          Interesse des Mündels zurückstehen. Aber es ist doch fraglich, ob ein so radikaler Ein­griff wie die             gänzliche Aufhebung der Vorschriften über die Mündelsicherheit notwendig ist".

 

Dieser Ansicht wird man zu­stimmen können. Man wird insbesondere nicht vergessen dürfen, daß die Neugestaltung auch den Weg zeigen muß, wie die steuerliche Gleichberechtigung des gewerblichen Kredits und die Änderung der Lombardbestimmungen erreicht werden kann. Diese zum Teil auf den geltenden Anlegungsvorschriften fußen­den Bestimmungen können aus gesetzestechnischen Gründen nur dann geändert werden, wenn zu dem Hypothekenbankgesetz und den sonstigen Gesetzen, auf die sie in ihren Ausnahmevor­schriften jedesmal Bezug nehmen, ein anderes Gesetz hinzutritt, das eine knappe steuerrechtliche Definition möglich macht. An­ders ist die Ausdehnung der bisherigen steuerlichen Bevor­zugungen auf neue Anlagearten technisch gar nicht durchführ­bar. Eine gesetzliche Regelung irgendwelcher Art wird daher für das Mündelsicherheitsrecht in Zukunft nicht entbehrt werden können.

 

            Bleiben wir bei diesem Ergebnis stehen, so kommen für die Art der gesetzlichen Regelung im wesentlichen zwei Vor­schläge in Betracht.

 

            Einmal kann man, wie Kipp vorschlägt, die schon bisher von den obersten Gerichten und der Rechtswissenschaft ver­tretene Meinung zur Grundlage der Neugestaltung machen, und dem § 1806 BGB. folgende Fassung geben 1):

__________________________

1)      a.a.O. S. 513. Kipp sieht auch eine Abänderung des § 1810 vor, die hier aber nicht behandelt zu werden braucht.

 

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"Der Vormund hat das zum Vermögen des Mündels ge­hörige Geld, soweit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereitzuhalten ist, nach den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Vermögensverwaltung anzulegen. Er hat den Um­ständen nach zu bestimmen, ob die Anlegung in verzinslichen Forderungen oder in anderen Werten erfolgen soll. Für die Anlegung in verzinslichen Forderungen gelten die Vorschriften der §§ 1807 -1809."

 

            Dieser im Jahre 1923 gemachte Vorschlag würde vor dem dann ergangenen Gesetz vom 23. Juni 1923 den Vorzug gehabt haben, daß es eines Antrages des Vormundes im einzelnen Falle nicht bedurft hätte und daß die "anderen Anlagen" der ver­zinslichen Anlage gleichgestellt worden wären. Sie hätte aber den Nachteil gehabt, alle festverzinslichen industriellen Emis­sionen auszuschließen, Beteiligungen an Gewerbebetrieben sowie Aktien aber zuzulassen. Typisierte und versicherte Indu­striepapiere würden also nicht mündelsicher werden, während riskante Beteiligungen und Individualaktien 1), die ein­gehender Prüfung im Einzelfalle bedürfen, mündelsicher wären.

Eine solche Regelung würde den gesunden volkswirtschaftlichen Prinzipien zuwiderlaufen. Sie würde überdies für die Geschäftsgebarung der Versicherungsträger nicht recht geeignet sein.

 

            Es bleibt zuletzt der Weg, einen neuen Katalog der zu­lässigen Anlagearten aufzustellen. Die entwickelten Prin­zipien der Zweckanlage, der Beschränkung auf Kategorien und der Versicherung würden eine hinreichende Grundlage für Re­formvorschläge in Anlehnung an die geltenden Bestimmungen abgeben. Wir glauben, daß auf diesem Wege in einfachster Weise allen Anforderungen Rechnung getragen werden kann, die man auf Grund der bisherigen Untersuchung an das Gesetz wird stellen müssen. Der nachfolgende Vorschlag und die dazu gehörige Begründung werden den Beweis für diese Behauptung zu erbringen haben.

 

            Zuständigkeit. — Daß das Reich für die Regelung des Gebietes zuständig ist, konnte weder nach der alten noch nach der neuen Reichsverfassung zweifelhaft sein 2).

__________________________

1)      Vgl. R. A. Dr. W. Kitzinger, München,  Mündelsichere Kapital­anlage. Jur. Wochenschrift, 50. Jahrg., 1921, Heft 20, S. 1302.

2)      Vgl. Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. IV, S. 1114; Zuständigkeitsgesetz vom 20. Dezember 1873; Reichsverfassung von 1919, Art. 7, Ziff. 1 und 7.

 

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            Der Gesetzesvorschlag. — § 1807 1) des Bürgerlichen Gesetzbuches hätte etwa folgende Gestalt zu erhalten 2):

            "Die im § 1806 vorgeschriebene Anlegung von Mündel­geld soll nur erfolgen":

(Ziff. 1. bis etwa 5: Hier soll das bisherige Reichs- und Landesrecht vereinfacht kodifiziert werden 3), soweit es nicht durch die folgenden neuen Bestimmun­gen ersetzt wird.)

 

            "6. in nach Maßgabe eines (noch zu erlassenden) Reichs­gesetzes versicherten Teilschuldverschreibun-    gen von Kredit­anstalten öffentlichen und privaten Rechts."

            "7. in Forderungen oder Teilschuldverschreibungen, für die eine Kreditversicherungsgesellschaft die        Garantie über­nommen hat 4), welche der Aufsicht des Reiches oder eines Landes untersteht."

 

            Allgemeine Begründung. — Die beiden unter Ziff. 6 und 7 aufgeführten Sätze genügen, um alle bisher erwähnten Mißstände zu beseitigen. Die Hypothekenpfandbriefe erhalten uneingeschränkt die Mündelsicherheit. Der gewerbliche Kredit wird dem Staats- und Grundkredit gleichgestellt. Die Einschal­tung ausländischer Banken als Zwischenglieder fällt. Die Mündelgelder werden in der Weise angelegt, wie es die Inter­essen der Bevormundeten verlangen. Auch die Versicherungs­institute können denjenigen Teil ihrer Reserven, der die Ver­sorgung der Bevölkerung mit Industrieerzeugnissen im Alter zur Aufgabe hat, in industriellen Werten anlegen. Schutz und Sicherheit vermöge des Kategorien- und des Versicherungsprin­zips treten an die Stelle des staatsfinanziellen Interesses. Die Verteilung der Mündelgelder wird dem Kampf der Bewerber entzogen und dem Kapitalmarkt übergeben, dessen Organismus die größte Gewähr für Sachlichkeit und Wirtschaftlichkeit

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1)      Bisherige Fassung vgl. Anm. 1 auf S. 9.

2)      Auch die Bestimmung des §1806 wäre klarer zu fassen, um ihr die erwähnte Doppeldeutigkeit zu nehmen.

3)      Diese Kodifizierung, soweit sie an der bisherigen Lage materiell nichts ändert, kann aus Raummangel hier nicht unternommen werden. Bei ihrer Ausarbeitung werden die Bestimmungen des Gesetzes vom 29. Oktober 1927 einer Prüfung unterzogen werden müssen, die den Sachwertanleihen die Mündelsicherheit geben.

4)      Dieser Vorschlag ist schon von meinem Freunde Ulrich von Beckerath gemacht worden, und zwar in der Österreichischen Revue, Zeitschrift für Versicherung und Geldwirtschaft, Wien, Nr. 37 vom 12. September 1927.

 

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bietet.  Das in die Zukunft weisende Prinzip der bankmäßigen Versicherung tritt gleichberechtigt neben das Hypothekarprinzip.

 

            Besondere Begründung zu Ziffer 6. — In dieser Ziffer wird auf ein noch zu erlassendes Spezialgesetz verwiesen. Es wäre gewiß besser, wenn man in Ziffer 6 ohne eine solche Ver­weisung allein mit den zweckmäßig formulierten Prinzipien der Versicherung und der Typisierung auskommen könnte. Diese beiden Prinzipien enthalten bei sachgemäßer Auslegung alle die fünf Merkmale, durch die die angelsächsischen Investment Trusts definiert sind. Sie würden daher sehr wohl ausreichen, um die Unterlage für die Entwicklung analoger Anstalten für langfristigen industriellen und gewerblichen Kredit auch in Deutschland abzugeben. Da es jedoch in Deutschland derartige Institute bisher kaum gibt, würde eine solche lakonische Be­handlung der Frage leicht zu Schwierigkeiten führen. Es könn­ten Institute minderen Ranges zur Ausnutzung dieser Form der Mündelsicherheit ins Leben gerufen werden, die der Sache des industriellen Anlagekredits Schaden zufügen könnten. So wird man nicht umhin können, ein besonderes Rahmengesetz zu schaffen, das Hypothekenbanken, Landschaften, Investment Trusts und verwandte Institute in bezug auf die hier wichtigen Fragen einem gemeinsamen Rechte unterstellt. Daher ist in dem vorstehenden Entwurf die Form der Verweisung auf ein gleichzeitig zu schaffendes Spezialgesetz gewählt worden.

 

            Dieses Spezialgesetz, betreffend die Ausgabe von typi­sierten und versicherten Teilschuldverschreibungen, würde im Umriß folgende Form haben können:

 

            Die Teilschuldverschreibungen derjenigen Kreditanstalten öffentlichen und privaten Rechts, welche den nachstehenden Vorschriften entsprechen, gelten als versicherte Teilschuld­verschreibungen im Sinne des § 1807 BGB.

            (Folgen die Prinzipien der Organisation und der Beleihungstätigkeit dieser Kreditanstalten.)

 

            Als Teilschuldverschreibungen im Sinne dieses Gesetzes gelten ohne weiteres die Pfandbriefe und Kommunalobliga­tionen der Hypothekenbanken, der öffentlich-rechtlichen Kre­ditanstalten, der Landschaften und Stadtschaften ..., sowie die Rentenbriefe der Rentenbanken usw.

            (Folgt Regelung der Zulassung weiterer Kredit­anstalten.)

 

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            Ein Spezialgesetz dieser Art würde den weiteren Vorteil bieten, daß es die erforderliche Unterlage für die zukünf­tige Abänderung mancher Steuergesetze und der Lom­bardbedingungen abgeben würde, die eine der wichtigsten Konsequenzen aus der Neugestaltung der Hauptvorschriften sein muß.

 

            Im übrigen darf man bei der Betrachtung der Ziff. 6 nicht vergessen, daß die bisherige Gesetzgebung jede Entwicklung des langfristigen Industriekredits unterbunden hat. Diese Versäumnisse der Regierung, der Industrie und der Banken erschweren naturgemäß die Reform der Mündelsicherheits­bestimmungen, da Kategorien von Industriewerten noch fehlen. Trotzdem ist es nicht angängig, dem industriellen Kredit weiter die Vorteile zu versagen, die man den anderen Zweigen des langfristigen Kredits längst gewährt hat, denn die Banken könnten dann mit Recht darauf hinweisen, daß alle Versuche zur Schaffung solcher Typen so lange zum Scheitern verurteilt sind, als ein ungeheures Angebot von Wertpapiertypen besteht, die den Vorzug der Mündelsicherheit haben. Ein solches Verfahren kann nur dazu führen, die absolut und im Vergleich zum Auslande rück-ständige heutige Lage zu verewigen. Wünscht man Beseitigung der für die Mündel unbefriedigenden und für Industrie und Arbeitsmarkt bedrohlichen Lage, so wird nichts anderes übrig bleiben, als der finanztechnischen Entwicklung des langfristigen industriellen Kredits schon heute die Wege zu ebnen. Das kann nur geschehen, indem man die Investment Trusts oder "Anlage-Gesellschaften" bzw. "Industriellen Kreditanstalten", wie man sie wohl nennen wird, gesetzlich in jeder Weise mit den Hypothekenbanken usw. gleich­stellt. Mag diese Gleichstellung den bisherigen Inhabern eines Monopols schmerzlich sein oder nicht, mag die Neuheit des Problems bei manchen Beteiligten Kopfschütteln erregen: wir dürfen nicht zaudern, vorwärtszugehen, wenn sich ein Weg fin­det, Sicherheit mit den Interessen der Bevormundeten und der Gesamtwirtschaft wie auch des Staates 1) zu vereinigen. (jz10)

 

            Weittragende Bedeutung der Ziffer 6. — Es handelt sich hier um eine nationale Aufgabe von größter Bedeutung, nämlich um die wirtschaftliche Zukunft gerade der breiten und kulturell wichtigen Bevölkerungsschichten, aus denen die ge-

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1)      Im tieferen Sinne.

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waltigen Summen der hier behandelten gebundenen Kapitalien stammen. Denn der Wohlstand dieser Schichten ist eng damit verknüpft, wie ihre Sparkapitalien angelegt werden und ob vermöge dieser Kapitalanlagen für Arbeitsgelegenheit und für Deckung der zukünftigen Bedürfnisse dieser Bevöl­kerungsgruppe gesorgt wird. Damit greift die Frage über in die heute so aktuellen Probleme des Kredits, insbesondere der mittleren Industrie 1) und die Frage der heute so sehr ausge­dehnten Erwerbslosigkeit, die immer mehr als ein Angelpunkt der sozialen Frage erkannt wird.

 

            Die Lösung aller dieser Fragen ist unstreitig in starkem Maße abhängig davon, ob es gelingt, die nötigen Kapitalien der richtigen Stelle zuzuführen. In der Landwirtschaft sind sowohl Hypothekarkredite wie auch neue Unternehmer­kapitalien ebenso leicht den mittleren und kleineren, wie den ganz großen Unternehmungen zu-gängig, soweit überhaupt noch ein Kreditspielraum da ist. In der Industrie dagegen ist der Kapitalzuführungsapparat nur für die Großindustrie ent­wickelt. Sie allein hat internationalen Ruf, kann sich daher an die ausländischen Börsen wenden 2), sie allein vermag große Emissionen herauszubringen, die einen bedeutenden Markt und einen stabilen Kurs zeigen, daher verkäuflich sind; sie allein wird von den Zulassungsvorschriften der deutschen Börsen, die bei Anleihen einen Mindestbetrag von 1 000 000 RM bzw. 500 000 RM festgesetzt haben, nicht betroffen 3).

 

            Die mittlere Industrie dagegen ist, wie nachgewiesen, durch die bisherigen Mündelsicherheitsvorschriften und ihre Re­flexwirkungen auf steuerlichem Gebiete von diesen Kapitalquellen besonders einseitig ausgeschlossen 4).   Die von 1924 - 27 er-

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1)      Die mittlere Industrie, zu der man die Betriebe von 201 bis 5000 Arbeitern rechnen kann, beschäftigte im Jahre 1925  4 005 900 Personen. Die Zahl der Beschäftigten einschließlich der Familienmitglieder übersteigt sicherlich 10 Mill. Personen. Vgl. die vorläufigen Ergebnisse der Betriebs­zählung von 1925 in Wirtschaft und Statistik, 1928, S. 48.

2)      2) Dazu kommt, daß an der New Yorker Börse Anleihen unter 2 Mill. Dollar praktisch nicht emitiert werden können, so daß deutsche Unternehmungen mit weniger als ca. 20 Mill. RM Kapital dort keine Anleihen unterbringen können.

3)      Das bedeutet praktisch die Ausschließung aller Industriewerke, deren Aktienkapital unter ca. 2 Mill. RM beträgt.

4)      Auch von den inländischen Kapitalquellen. Denn von den rund 750 Millionen Industrieobligationen, die von 1924 - 27 neu im Inlande heraus gebracht wurden, betreffen nur 31,1 Millionen (einunddreißig!), nämlich 20 einzelne Anleihen, solche Industriefirmen, deren Eigenkapital unter 10 Mill. RM betrug. Diese Ziffer ergibt einen (ein? - J.Z.) Auszug aus Zickerts Fonds-Analysen, 1927.

 

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folgreich durchgeführte Rationalisierung der Großindustrie hat allein im Jahre 1927 die Schaffung von 2 Millionen neuen, dauernden Arbeitsplätzen und die Wiedereinstellung von 2 Mil­lionen Personen ermöglicht. Sie war die Folge der Zuführung neuer bedeutender Kapitalien, insbesondere aus ausländischen Quellen, an die Großindustrie. Sollte es nun nicht möglich sein, auch der mittleren Industrie eine solche Rationalisierung zu ermöglichen, indem man auch ihr ausreichend langfristiges Kapital zuführte? Der Erfolg einer solchen Maßnahme würde sich zweifellos wieder in einer Entlastung des Arbeitsmarktes um mehr als eine Million Personen zeigen. Zu­gleich wäre das der beste Weg, die Kapitalien der Sparer, die ja zumeist von der Industrie wirtschaftlich abhängig sind, ihren eigenen Interessen dienstbar zu machen und den Wiederaufbau einen großen Schritt weiter zu bringen. Die Voraussetzung zu einer solchen Aktion wäre gegeben, indem diese Größenklasse der Industrie 1) heute nicht oder nur in geringem Maße verschuldet ist. Daß die vom Auslande so viel bewunderte deutsche Rationalisierung in erster Linie eine Frage der Beschaffung langfristiger Kapitalien ist, zeigt sich in England, wo es zu keiner allgemeinen Rationalisierung kommen kann, weil die Großbanken ihrer Organisation nach gar nicht in der Lage sind, derartige industrielle Kredite zu gewähren 2). In Deutschland sind die Groß-Banken erfreulicherweise anders organisiert, aber sie können der mittleren Industrie nur sehr wenig Kredit geben, weil sie bei ihr nicht die Möglichkeit haben, das Dar­lehen eines Tages in eine Emission von Obligationen oder Aktien umzuwandeln 3), was sie bei der Großindustrie leicht können 4). Auch sind kurzfristige Bankgelder für die  Indu-

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1)      Im Gegensatz zur Landwirtschaft.

2)      Sie besitzen keinen Vertriebsapparat für Effekten, da ihre Depo­sitenkassen keine Effektenabteilung haben.

3)      Diese Emissionen würden aus den oben dargelegten Gründen unverkäuflich sein.

4)      Die Großbanken selbst dürfen keine größeren Bestände an Effekten halten, da sie mit kurzfristigen Bankdepositen arbeiten und gewärtig sein müssen, diese Einlagen jederzeit zurückzuzahlen.

 

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strie gar nicht von Nutzen 1), da diese auf Aufforderung der Bank jederzeit zurückgezahlt werden müssen. Der Industrielle kann das aber unmöglich versprechen, da er Investitionskredite, die in Maschinen und Gebäuden festgelegt sind, ebenso wie der Hausbesitzer und der Landwirt nur in regelmäßigen jährlichen Tilgungsraten zurückzahlen kann, niemals aber auf einmal. Es handelt sich also gar nicht darum, daß man der Industrie "billige" Kredite verschafft an Stelle der "teuren Bankgelder" 2), sondern daß man langfristige Kapitalien an Stelle von kurzfristigen beschafft.

 

            Wenn allerdings eine öffentliche "Aktion" erforderlich wäre, um solche Mittel erst künstlich herbeizuziehen, müßte man diesem Gedanken skeptisch gegenüberstehen. Tatsächlich ist aber nur nötig, die un-glückselige gesetzliche Benachteiligung zu beseitigen. Man braucht nur den industriellen Kreditzweig mit den übrigen Kreditzweigen gleich­zustellen, dann wird sich in wenigen Jahren diejenige Entwicklung des langfristigen Industriekredits und diejenige Verfeinerung der Finanztechnik zeigen, die zur Rationalisierung der mittleren Industrie bzw. zur Neueinstellung des größten Teils unserer Erwerbslosen erforderlich ist. Denn die Entwicklung dieses Kreditzweiges heißt Anschwellen der Bilanzziffern der darin arbeitenden Gesellschaften, das gleichbedeutend ist mit dem Anwachsen der gewährten, langfristigen Kredite. Da jede Mark langfristigen Kredits in neuen Maschinen und Vertriebsverbesserungen angelegt wird, ist die Entlastung des Arbeitsmarktes die zwangsläufige Parallelerscheinung der Entwicklung des langfristigen Kredits der Industrie.

 

            Besondere Begründung zu Ziffer 7. — Die Bedeutung dieser Bestimmung ist relativ geringfügig, da sie nur wenige Ausnahmefälle betrifft. Ihr Zweck ist, die immer noch verblei­benden Härten zu beseitigen, und auch solchen gesunden Kapital­anlagen, bei denen die Einschiebung von industriellen Kredit­anstalten praktisch nicht möglich ist, von Fall zu Fall den Vor­zug der Mündelsicherheit zu verschaffen.

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1)      Ich gehe davon aus, daß der Bedarf der Industrie an kurzfristigen Umsatzkrediten durch die heutige Bankorganisation ausreichend gedeckt wird.

2)      Bekanntlich sind langfristige Kredite immer teurer als kurzfristige, da an die Geldgeber stets für langfristige Einlagen bzw. Kapitalien mehr Zinsen bezahlt werden müssen, als für täglich kündbare Einlagen.

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            Das wird nur dadurch möglich sein, daß man das Versicherungsprinzip hier nicht in seiner bankmäßigen Form (vgl. Ziffer 6), sondern in der Form der besonderen Kreditversicherungsgesellschaft wirksam werden läßt. Es werden also solche Forderungen für mündelsicher erklärt, für die die Garantie einer Kreditversicherungsgesellschaft beigebracht wird.

Die Kreditversicherungsgesellschaft muß der Aufsicht des Rei­ches oder eines Landes unterstehen, was in Deutschland schon durch das Versicherungsaufsichtsgesetz erreicht ist. Man wird nicht zu befürchten brauchen, daß vermöge dieser Vorschrift alle möglichen faulen Forderungen, für die man nur eben die Garantie erhalten konnte, mündelsicher werden. Vielmehr werden die Versicherungsgesellschaften, die ja das volle Risiko zu tragen haben, von vornherein ihre Geschäftstätigkeit auf be­stimmte Arten von Forderungen beschränken und sich wirksame Sicherheiten geben lassen. Die Individualprüfung und -Sicherung wird dabei ihnen obliegen, nicht dem Vormund; ungeeignete Forderungen werden so ausgeschlossen werden. Auch hier wird also die Prüfung und Überwachung der Unterlagen dem sachunkundigen Vormund abgenommen und der sachverständigen Stelle übertragen.

 

            Ein möglicher praktischer Fall für die Anwendung dieser Kreditversicherungsgarantie ist das Hypothekardarlehen an eine Industriefirma, die in der Rechtsform der Einzelfirma oder der offenen Handelsgesellschaft betrieben wird und sich aus wich­tigen Gründen nicht zur Umwandlung in eine Aktiengesellschaft entschließen kann. In einem solchen Falle ist der Weg der Obli­gationenanleihe nicht leicht gangbar. Der Investment Trust wird daher in manchen Fällen keinen Kredit gewähren wollen 1). Hier könnte die vorliegende Bestimmung mildernd eingreifen.

 

            In den Vereinigten Staaten findet man manchmal die Ver­sicherung von Teilschuldverschreibungen durch Kreditver­sicherungsgesellschaften. Die Prämie betrug z. B. im Jahre 1926 bei 6 1/2 %igen Obligationen von Mortgage Trust Gesellschaften jährlich 1/2 %, so daß dem Obligationär, der diese besondere Sicherung für nötig hielt, 6 % Zinsen verblieben. Dieser Fall würde hierher gehören. Jedoch ist die Garantie einer Versiche-

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1)      Soweit größere Firmen in Frage kommen, halte ich, wie erwähnt, die Hypothek nicht für die geeignete Rechtsform des langfristigen Industrie­kredits.

 

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rungsgesellschaft nicht für solche Schuldverschreibungen ge­dacht, die von Hypothekenbanken und Investment Trusts ausgegeben sind, da hier eine bankmäßige Versicherung durch Mischung der Risiken bereits vorhanden ist.

 

            Möglicherweise könnte diese Bestimmung von Depositen­banken dazu benützt werden, die Mündelsicherheit von Bankdepositen zu erreichen. Der Kunde müßte sich dann einen Zinsabzug gefallen lassen, der als Prämie an die Versicherungs­gesellschaft fließen würde. Die Kreditversicherungsgesell­schaften würden solche Guthaben insbesondere bei alten und bedeutenden Instituten mit einer geringfügigen Prämie ver­sichern, die den Zinsertrag der Anlage nur unwesentlich ver­mindern wird. Diese Banken sämtlich ohne weiteres für depositalfähig zu erklären, weil sie selbst in gewissem Sinne Debi­torenversicherungsgesellschaften darstellen, ist nicht angängig; eine Beschränkung auf die Großbanken würde gegen das Prinzip der Gleichberechtigung verstoßen, und die Ausdehnung auf alle Depositenbanken und Genossenschaftsbanken würde die Sicherheit der Gelder nicht hinreichend gewährleisten. So könnte der Umweg über die Kreditversicherung als geeignet be­trachtet werden, den sicheren Depositenbanken und Kredit­genossenschaften fast dieselben Rechte wie den Sparkassen zu gewähren.

 

            In allen Fällen wird die Konkurrenz verschiedener Kredit­versicherungsgesellschaften dafür sorgen, daß die Höhe der Prämien das Angemessene nicht überschreitet. Eine solche Ge­fahr besteht um so weniger, als der Kapitalanleger nach den neuen Vorschlägen die Auswahl unter einer großen Anzahl von Anlagearten haben würde.

 

            Aus diesen Darlegungen ergibt sich, daß es im Grunde nur wenige Fälle sind, in denen die Garantie einer Versiche­rungsgesellschaft anwendbar wäre. Zudem kann in allen diesen. Fällen ein besonders dringliches Interesse weder der Bevor­mundeten noch der Kapitalempfänger festgestellt werden. Die unter Ziffer 7 vorgeschlagene Vorschrift hat daher den Cha­rakter einer Abrundungsvorschrift und ist von praktisch ge­ringer Bedeutung.

 

            Sonderregelung für große Versicherungsgesellschaf­ten. — Die Weltfirmen unter den Versicherungsgesellschaften könnte man insofern von den Bestimmungen des neuen § 1807

 

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ausnehmen, als man bei ihnen auch diejenigen Anlagen zu­lassen könnte, die den Kreditanstalten nach dem eben erwähnten Spezialgesetz gestattet sind. Denn sie sind gewissermaßen In­vestment Trusts in sich. Sie verfügen über geeignete Anlagen­fachleute mit selbständigem Urteil und eigener Verantwortung, so daß das Kategorien-Prinzip, das zum Schutz des unkundigen Vormunds bestimmt war, entbehrt werden kann. Sie verfügen über große Kapitalien, können ihre Anlagen also sehr wohl über Hunderte von verschiedenen Posten verteilen, bedürfen also der bankmäßigen Versicherung durch ein anderes Institut nicht mehr. In diesem Sinne sagte Hans Hilbert schon im Jahre 19081):

 

            "Seitdem jedoch unsere Geldinstitute — zu denen auch unsere Versicherungsgesellschaften zu rechnen sind — zu Weltinstituten geworden sind, die Kapitalmassen zu verwalten haben, gegen die das Einzelvermögen eines Mündels winzig klein erscheinen muß, ist diese Beschränkung auf einige wenige Anlagemöglichkeiten ein volkswirtschaftliches Kuriosum ge­worden."

 

Das Beispiel der Schweiz zeigt, daß die Befreiung der Weltgesellschaften von den einengenden Anlagevorschriften bei richtiger Einstellung der Aufsichtsbehörde die besten Aus­sichten eröffnet. Das Versicherungswesen ist in seiner heute gesetzlich festgelegten Form einer weiteren Rationalisierung kaum noch zugänglich. Nur die mehr oder minder große Ge­schicklichkeit in der Vermögensanlage wird es den deutschen Gesellschaften ermöglichen, in Zukunft im in- und ausländischen Geschäft eine angemessene Stellung wieder zu erringen.

 

            Die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen den klei­neren Unternehmungen, die nicht kapitalkräftig genug sind, um ihre Anlagen richtig zu mischen, und den großen könnte jedoch dazu führen, diese Ausnahme abzulehnen. Für die übrigen Großanleger gebundener Kapitalien, wie Sparkassen, Kirchen, Stiftungen, kann eine Erweiterung des Anlagekatalogs des neuen § 1807 nicht in Frage kommen. Dieser Katalog bietet eine für alle Fälle ausreichende Auswahl geeigneter Anlagen auch indu­striellen Charakters.

 

            Sonderregelung für die Sozialversicherungsanstal­ten. — Diesen Anstalten, die die Zwangsbeiträge der Arbeit­nehmer und der Arbeitgeber verwalten, liegt in besonderem

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            1) a. a. O. S. 31.

 

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Maße die Verpflichtung ob, ihre Kapitalanlagen bewußt im Interesse dieser Bevölkerungskreise zu ordnen.

            Eine Möglichkeit hierzu bietet die in Versicherungskreisen übliche Unterscheidung zwischen Risiko-Prämie und Prä­mienreserve. Die Beiträge, die zur Sozialversicherung abge­führt werden, dienen nur zum Teil der Deckung des Risikos in dem Zeitabschnitt, für den sie berechnet sind. Im übrigen dienen sie der Ansammlung von Reserven, die erst in späteren Jahren, oft nach Jahrzehnten, gebraucht werden, um das dann gestiegene Todesrisiko zu decken.

Das bekannteste Beispiel ist die Lebensversicherung. Eine bekannte Gesellschaft berech­net bei einem Dreißig-jährigen für 10 000 RM Versicherungs­summe folgende Prämie:

 

            Bei bloßer Risikoversicherung auf 5 Jahre ........ RM 115.—
            Bei Versicherung auf den Todesfall ........           RM 332.—

 

Dabei sind besonders in der ersteren Position hohe Unkosten­zuschläge einkalkuliert; das bloße Todesfallrisiko würde nur eine Prämie von ca. 40 RM jährlich erfordern. Bei der vorherr­schenden Kapitalansammlungsversicherung muß die Prämie von Anfang an bedeutend höher sein (332 RM), weil das Risiko mit dem fortschreitenden Alter des Versicherten wächst und man von einer Steigerung der Prämie in späteren Jahren ab­sehen möchte. In der Gesamtprämie von 332 RM steckt also ein Betrag von über 117 RM, der nicht zur laufenden Auszah­lung für Sterbefälle gebraucht wird, sondern wie ein Spargut­haben von Jahr zu Jahr angesammelt wird. Diese "Prämien­reserve", die auch in den übrigen Versicherungszweigen eine wichtige Rolle spielt (z. B. in der Angestelltenversicherung), ist es, die im wesentlichen in langfristigen Anlagen Verwendung sucht, während die reine Risikoprämie noch im selben Jahre für eingetretene Versicherungsfälle ausgezahlt wird.

 

            Ein Fortschritt von entscheidender Bedeutung würde es nun sein, wenn die Sozialversicherungsanstalten verpflich­tet würden, die Prämienreserven den einzelnen Betrieben zu belassen. Die Arbeitgeber brauchten also von Beiträgen, zu denen sie selbst und ihre Arbeitnehmer verpflichtet sind, nur den Risikoanteil abzuführen, während die Sparprämie, also derjenige Teil, der der Prämienreserve zugeführt werden soll, ihnen als Darlehen belassen würde. Dieser Vorschlag würde die Sozialversicherungsanstalten von der Sorge befreien, wie sie

 

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ihre Reserven anlegen sollen. Der natürlichste Weg für diese Kapitalien wäre gefunden. Den oft nicht unberechtigten Klagen der Arbeitgeber über die Härte, die die laufende Entziehung so hoher Beträge für sie bedeutet, wäre abgeholfen, indem die Be­triebe weiterhin selbst mit diesen Reserven arbeiten können. Der Arbeiterschaft wäre in wirksamer Weise gedient, indem die Beträge letzten Endes ihr als Lohn ausgezahlt würde. Auch hier müßte die Erleichterung des industriellen Kredits zur Erweite­rung gesunder Werke und zur Steigerung der Nachfrage am Arbeitsmarkte führen. Steigerung der Nachfrage nach Ar­beitern ist aber das wirksamste Mittel zur Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen, vielleicht das einzig wirksame.

Diese durch die Belassungsdarlehen hervorgerufene Ent­lastung des Arbeitsmarktes würde von dauerndem Charakter sein, da für den Gesamtbetrag der Kredite neue Maschinen, damit zugleich neue dauernde Arbeitsplätze und neue produ­zierende Sachgüter geschaffen würden 1).

Auch die Angriffe gegen die heutige Sozialversicherung würden sich mäßigen, wenn den begründeten Beschwerden in dieser Weise Rechnung getragen würde. Das Problem der Thesaurierung in der Sozialversicherung wäre zugleich in idealer Weise gelöst.

 

            Zweckmäßig würde man die Bestimmungen zuerst nur so formulieren, daß die Belassung überhaupt zulässig wird. Darauf würde man mit einer kleinen Anzahl solcher Darlehen Er­fahrungen zu sammeln haben, bis das System in irgendeiner Form eingeführt werden kann.

 

            Selbstverständlich müßte für ausreichende Sicherung dieser Belassungsdarlehen Sorge getragen werden. Nur kredit­würdige und gesunde Betriebe dürfen sie erhalten. Entweder wird man eine nachstellige Hypothek für sie auf den Grund­stücken des Unternehmens bestellen, oder man wird vermöge eines hohen Zinssatzes von etwa 8 % eine eigene Kreditversiche­rungsprämie berechnen und die Risiken unter den Tausenden

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            1) Diese produktive Verwendung der Belassungsdarlehen wäre evtl. vertraglich festzulegen und durch besondere Maßnahmen zu sichern. Dabei könnten die ausgezeichneten Erfahrungen verwertet werden, die man mit der im Preuß. Wassergesetz (§§ 212ff.) vorgesehenen Kontrolle der Verwendung von landwirtschaftlichen Meliorationsdarlehen gemacht hat. Der Unterschied zwischen der modernen Landwirtschaft und der Industrie ist gegenüber der Übereinstimmung des Prinzips nicht von Bedeutung.

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von Betrieben ausgleichen. Zu erwägen wäre auch, nach dem Vorbilde der Sicherung von landwirtschaftlichen Meliorationsdarlehen die Kredite durch ein dem Steuervorrecht ähnliches gesetzliches Vorzugsrecht, das der Eintragung ins Grundbuch nicht bedarf, zu sichern, zu welchem Zwecke die Vorschriften der Sozialversicherungsgesetze nur einer geringfügigen Ausgestaltung bedürften 1).

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            1) Vgl. Preuß. Wassergesetz von 1913, §§ 229ff.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Druck von Ant. Kämpfe in Jena.


 

(Es folgen die dem Buche beigefügten Verlagsanzeigen. - J.Z.)

 

Verlag von Gustav Fischer in Jena

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Die Kapitalanlagen der deutschen  Privatversicherungsgesellchaften und ihre Bedeutung für den deutschen Geld- und Kapitalmarkt. Eine bank­technische Studie. Von Dr. phil. Hans Hilbert. Mit 8 Tabellen im Text. XII, 214 S. gr. 8°   1008       Rmk 6.—

 

            Inhalt: I. Allgemeiner Teil: I. Probleme in der Versicherung. 2. Das kauf­männische Problem bei den einzelnen Versicherungszweigen. 3. Sind bankmäßige Anlagen oder mündelsichere Anlagewerte für die Versicherungen zweckentsprechend und wünschens­wert? — Spezieller Teil: Die kaufmännische Betätigung der deutschen Gesellschaften. 1. Kassenbestände und Guthaben der Gesellschaften. 2. Anlagen in Grundbesitz und Hypotheken. 3. Die Anlage in Wertpapieren: allgemeine Fest­stellungen; die Anlagen der Gesellschaften in inländischen Staatspapieren; Besitz an aus­ländischen Werten; die Versicherungsgesellschaften und der Kommunalkredit; die Anlage in Pfandbriefen; die Anlage in Werten privater gewerblicher Unternehmungen. 4. Bank­mäßige und versicherungsmäßige Aktivforderungen. 5. Verwendung des Kapitals zu ge­meinnützigen Zwecken: Die Rentenversicherung als Kapitalanlage. — Dritter Teil: 1. Die deutsche Gesetzgebung, betr. die Kapitalanlagen der Versicherungsgesellschaften. 2. Das deutsche Versicherungsaufsichtsgesetz, gemessen an der ausländischen Versicherungsgesetz­gebung. — Anhang: 1. Grundsätze für die Beleihung und Ermittlung des Wertes inländischer städtischer Grundstöcke (Verfügung des Deutschen Kaiserlichen Aufsichtsamtes für Privatversicherung). 2. Übersicht über diejenigen Wertpapiere, in denen Bestandteile des Prämienreservefonds der Lebensversicherungsunternehmungen angelegt werden dürfen. 3. Acht statistische und graphische Tabellen. — Literaturverzeichnis.

 

Finanzbedarf und Wirtschaftsleben. Eine theoretische Betrachtung von Dr. phil. et rer. pol Heinrich Mannstädt, Bonn.  30 S. gr. 8° 1922   Rmk  —.60

 

            Wirtschaftsnachrichten. 1922, 10. Mai: Nach einer Orientierung über einige Hauptzusammenhänge im Wirtschaftsleben untersucht Verfasser den Einfluß des Finanzbedarfs der Staaten und seiner Deckung auf das Wirtschaftsleben. Um sich die Mittel für die Deckung seines Bedarfs zu beschaffen, kann der Staat, wie Mann-städt aus­führt, entweder selbst eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit ausüben, oder die Übertragung von Kaufkraft aus den Händen der Privatwirtschaften in die des Staates herbeiführen, oder endlich neue Kaufkraft durch Banknotenausgabe oder Schaffung von Bankguthaben durch Diskontierung von Schatzwechseln erzeugen. In der Broschüre wird dann der Ein­fluß der Zwangsabgaben, der Steuern, Gebühren und Zölle, sowie die verschiedene Wir­kung der verschiedenen Arten derselben näher beleuchtet, durch die Kaufkraft von den Privaten auf den Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben übertragen wird. Zum Schlüsse wendet sich Verfasser den Problemen der Ablösung freiwillig übernommener und der Einlösung zwangsweise auferlegter Verpflichtungen zu und erörtert die Frage der Sach­leistungen und Auslandsanleihen.

 

Der Warenkredit der Banken und seine Sicherstellung.   Von Dr. Arwed Koch, Jena. Zweite Auflage,   VIII, 128 S. gr. 8°  1922    Rmk 2.75

 

            Inhalt: I. Der Warenkredit der Banken. — 1. Begriff und Wesen des Kredites. 2. Einteilung der Kredite unter besonderer Berücksichtigung des Warenkredites. 3. Träger des Kredites. 4. Wirtschaftliche Bedeutung des Warenkredites. — II. Sicherung des Warenkredites. 1. Grundlagen des Warenkreditgeschäftes. 2. Sicherung der einzelnen Warenkreditgeschäfte. a) Das Akkreditiv im Warenkreditverkehr. b) Einzelne Warenkredit­geschäfte. 3. Finanzierung von Ex- und Importgeschäften. 4. Warenveredelungskredite, unter besonderer Berücksichtigung der neuesten österreichischen Gesetzgebung.  Rückblick.

 

Die Kreditnot des städtischen Grundbesitzes und die Reform des Realkredits. Referat für die Immobiliarkredit-Kommission (erweiterte Ausarbeitung) - Von Prof. Dr. Rudolf Eberstadt, Doz. a. d. Univers. Berlin. 40 8° Lex.-8° 1916   Rmk 1.50

 

Verlag von Gustav Fischer in Jena

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Ein kritischer Beitrag zur Theorie des Bankkredits. Von Dr. Heinrich Mannstädt, o. Prof. an der  Universität Rostock.    V, 36 S. gr. 8°   1927   Rmk 1.80

 

            Finanz-Archiv. Bd. 44 (1928), S. 419: In der Schrift Ms. findet die "Volks­wirtschaftliche Theorie des Bankkredites", die von ihrem Verfasser, dem bekannten Bank­theoretiker Altert Hahn für epochemachend gehalten wird, eine neue ernsthafte Kritik. . . . In einem einleitenden Abschnitt werden mit großem Geschick die Grundgedanken der Hahnschen Theorie unter Anführung zahlreicher Zitate vorgetragen. Am Schlusse dieser Darstellung bietet Mannstädt in freier Formulierung drei Thesen, welche den Hauptinhalt der Theorie Hahns treffend wiedergeben und als Basis seiner nachfolgenden Kritik dienen . . .

            Die kleine Abhandlung ist aus der erweiterten Ausführung eines Vortrages ent­standen, der über die einschlägigen Probleme informieren wollte. Diesen Dienst leistet die besprochene Schrift in bester Form, mag man auch im einzelnen anderer Meinung sein als der Verfasser . . . Als weithin gehörter Wirtschaftsführer hat Hahn die Pflicht, seine Lehre entweder zu begründen und auszugestalten oder aber sie preiszugeben. Mannstädt gebührt der Dank der ernsten Wissenschaften dafür, daß er Hahn neuerdings zu solcher Selbstprüfung aufgerufen hat.                                                          Prof.  Adolf  Lampe.

 

Das "Sparen" als ein Grundproblem der Theorie der kapitalistischen Wirtschaft. Von Dr. Ferdinande Homann, Freiburg i. Br. VI, 81 S. gr. 8°  1927      Rmk 3.50

 

            Inhalt: 1. Grundlegende Einleitung. 2. Gesamtwirtschaftliche Begründung der Sparnotwendigkeit und zinstheoretische Konsequenzen. 3. Die individuelle Sparleistung; Untersuchung ihrer Bestimmungsgründe. 4. Konjunkturtheoretische Erörterung; die Grenzen der marktmäßigen Regulierung der Produktion.

 

            Weltwirtschaftliches Archiv. Bd. 28 (1927), Heft 1: Ziel der Arbeit ist, die "Exponenten kapitalistischer Wirtschaftsweise", den Zins, die periodischen Störungen des harmonischen Wirtschaftsablaufs in ihrer Abhängigkeit vom volkswirtschaftlichen Spar­prozeß zu erklären. Die im Vordergrunde stehende Frage nach der Bedeutung des Kapitals für die Gestaltung des fortlaufenden Produktionsprozesses wird mehr dogmenhistorisch als theoretisch-grundsätzlich behandelt. Das Hauptgewicht ist auf Darstellung und Kritik der Casselschen Lehre gelegt.

 

Zur Theorie des Sparprozesses und der Kreditschöpfung. Von Dr. Adolf Lampe, Privatdoz. an der Univers. München. XIV, 176 S. gr. 8° 1926   Rmk 7.50

 

            Inhalt: Einleitung: Die Aufgabe. — I. Grundlegung, 1. Bestimmung des Verfahrens: a) Die Richtung der Untersuchung, b) Die Basis der Beweisführung, c) Die Formen der Beweisführung. 2. Der Preismechanismus und die Produktionsfaktoren (Einkommensbildung der Unternehmer-, Arbeits- und Bodenleistungen). — II. Die funktionellen Beziehungen der Zinswirtschaft. 1. Der Zinspreis: a) Die marktmäßige Erklärung des Zinspreises, b) Der Zins als Einkommen. 2. Die funktionellen Beziehungen des Sparprozesses: a) Der Zusammenhang zwischen Geldsphäre und Güterwelt. b) Gefahrmomente im Ablauf des geldwirtschaftlichen Spar-Prozesses, c) Kons­truktion der Bedingungen einer ungefährdeten Produktionserweiterung. — III. Die ,,Reformierung der Zinswirtschaft". 1. Die verwaltungswirtschaftliche Regulierung des Sparprozesses: a) Die Probleme der reibungslosen Wirtschaftserweiterung, b) Der Zins als volkswirtschaftlicher Kostenfaktor. 2. Reformierung der Zinswirtschaft durch Geldpolitik? a) Positive Untersuchung der wirtschaftlichen Möglichkeiten: Bedeutung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes; Geldvermehrung, Kapitalbildung, Preisniveau (Beziehungen zwischen Geldseite und Warenseite der Wirtschaft; Kreditschöpfung und Warenangebot). b) ökonomisch-kritische Ablehnung wirtschaftlicher Unmöglichkeiten: Ausgangspunkte der Hahnschen Theorie des Bankkredits; die Mittel der Hahnschen Beweisführung. - Schluß: Die Möglichkeiten der verkehrswirtschaftlichen Ausgleichskräfte.


Verlag von Gustav Fischer in Jena

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Der finanzielle Aufbau der englischen Industrie. Von Carl Wolfgang Frhr. v. Wieser †. Herausgeg. von Ernst Herzenberg.   XV, 482 S. Text und 59 S. Anhang,   gr. 8° 1919            Rmk 12.50

            Jahrbücher für Nationalökonomie. 1920, Bd. 114, Heft 3: Der Verf. behandelt in sehr lichtvoller and anschaulicher Weise die Kapitalbeschaffung der industriellen Aktiengesellschaft in England. Dieser Teil ist ein außerordentlich wert­voller Beitrag zur Lehre von der Finanzierung der Industrie und vom Aktiengesellschafts-
wesen, wobei die Unterschiede der englischen Verhältnisse von den deutschen gut heraus­gearbeitet werden. Dem dient auch die im Anbange gegebene Gegenüberstellung deutscher und englischer aktienrechtlicher Bestimmungen. Der übrige Teil des Buches behandelt vor allem Stand und Stärke der industriellen Konzentra-tionsbewegung in England. Für das Verständnis der englischen industriellen Verhältnisse in den letzten Jahren vor dem Kriege ist das Buch von größter Bedeutung. . . .            Prof. Dr. Richard Passow.

 

Kredit im Recht. Eine systematische Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der Bankpraxis. Von Dr. Arwed Koch, Jena. V, 166 S. gr. 8°  1925   Rmk 7.—

 

            Die Aufgabe dieser Schrift ist nicht, das Wesen und den Zweck des Kredites in volkswirtschaftlicher Beziehung darzustellen und beispielsweise zu untersuchen, ob der Kredit additionelles Kapital schafft, ob die durch den Kredit bewirkte Geldvermehrung inflatorische Wirkung besitzt und zu Wirtschaftskrisen führen muß, sondern es soll ge­zeigt werden, welche gesetzliche Regelung der Kredit und die mit dem Kredit ver­bundenen Geschäfte erfahren haben und inwieweit diese Gesetzesbestimmungen auf dem wichtigsten und umfassendsten Gebiete des Kredits, im Bankverkehr — sei es ein­schränkender oder ausdehnender Art — fortgebildet worden sind.

 

Der schöpferische Kredit. Von Dr. Hans Honegger. VI, 135 S. gr. 8°  1929  Rmk 6.—

 

            Inhalt: Einleitung: I. Lehrgeschichtlicher Teil: I. Die überlieferte Kredit­theorie. / 2. Die neue Kredit-Theorie: Macleod. St. Simonisten und Proudhon. Cieszkowski. Schumpeter. / 3. Hahns Kredittheorie. / 4. Die seitherige Entwicklung der neuen Kredittheorie: Hawtrey, Spann und Heinrich. Keilhau. Sombart. Heller. / 5. Die ausgesprochenen Gegner der neuen Kredittheorie; Weber. Wirkt der Kredit preissteigernd? Diehl. Lampe. — II. Aufbauender Teil: 6. Kredit und Kreditvor­gang personalwirtschaftlich betrachtet. / 7. Volkswirtschaftliche Wesensbestimmung des Kredits. / 8. Kredit, Kapital und Vermögen: Kapital und Zins. Der Vorrang des Kredits über das Kapital. Kredit und Vermögen — das Kreditunterpfand. / 9. Der reine und der kapitalistische Kredit und die Kategorientafel des Kredits. / 10. Kredit und Finanzierung. / 11. Kredit und Sparen. / 12. Die Kulanzfinanzierung. / 13. Der schöpferische Kredit: Unmittelbare und mittelbare Produktivität. Die Raum-Überbrückung (Umstellungstheorie). Die Zeitüberbrückung (Vorwegnahmetheorie). Die Güterneuschaffung (Produktivitätstheorie des Kredits). / 14. Die Grenzen des Kredits: das Krisen­problem : Die allgemeine Kredit-unsicherheit. Der volkswirtschaftliche Kreditfonds. Das Krisenproblem. Die Lehre vom kapitalistischen Produktions- Verhängnis. Das Inflations- ­und das Konjunkturproblem. Die sozialen Machtverhältnisse als letzte Krisenursache. / 15. Der schöpferische Kredit und die Banken: Das Wesen der Banken; die Banken als kapitalistische Kreditbürgen. Hahns Banktheorie. Mannstädts Kritik. / 16. Der Kreditbegriff und die neuere systematische Theorie: Die Abkehr vom naturwissenschaft­lich-mathematischen Ideal in der Gesellschaftswissenschaft Die dynamische Theorie. Der Universalismus. Der Mutualismus. / 17. Kurze Zusammenfassung der hier ver­tretenen Ansicht vom Wesen des Kredits. — Namen- und Schlagwörterverzeichnis.

 

Die wirtschaftliche Bedeutung der staatlichen und provinziellen Boden­kreditinstitute in Deutschland für den ländlichen Besitz. Von Dr. Ewald Troch.  ("Sammlung nationalökon. Ab-handlgn."  Hrsg. von Joh. Conrad, Halle a. S., Bd. 51.)   152 S. gr. 8°   1905    Rmk 3.50

 

            Inhalt: Einleitung.     1.   Die Entwicklung der staatlichen und provinziellen Bodenkreditinstitute.

2. Die Unkündbarkeit der ländlichen Darlehen. 3. Die Billigkeit der ländlichen Darlehen und die Unveränderlichkeit ihres Zinsfußes. 4. Die Tilgung der ländlichen Darlehen. 5. Beleihungsgrundsätze.  6. Die Verbindung mit ländlichen Kreisen. 7. Die hessische Hypothekenbank. — Schlußbetrachtung.

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 (J.Z.: Ein Zeitungsausschnitt lag dem Buche bei und auch einige handschriftliche Notizen von Ri. - J.Z.) :

 

            Buchbesprechung in SPARKASSE, Bonn, 1. März 1968:

 

Das Recht der Mündelsicherheit, v. Dr. Siegfried Sichtermann, Kiel, Sparkassenheft Nr. 18, 2. Aufl., Deutscher Sparkassenverlag, Stuttgart 1967, 104 S., 5,20 DM

 

            Die vorliegende 2. Auflage des bekannten Standardwerkes zum Recht der Mündelsicherheit berücksichtigt die in den fast zehn Jahren seit Erscheinen der Vorauflage eingetretenen Än­derungen. Diese beruhen weniger auf Novellierungen der ein­schlägigen Gesetze, als auf Änderungen der tatsächlichen Ver­hältnisse. Hinzu kommt, daß in der Zwischenzeit eine Fülle, von Material aus Literatur und Rechtsprechung angefallen ist das mit in den Text eingearbeitet werden mußte. Das Sparkassenheft präsentiert sich jetzt nach seiner vollständigen Überarbeitung als eine Schrift, die sowohl für die tägliche Praxis als auch für die wissenschaftliche Vertiefung der hierin angesprochenen Probleme unentbehrlich ist.

 

Ri. Notiz: "bitte ihm mein Buch "Die Reform der Mündelsicherheits- ... " senden, Addr. beim (Verleger?- J.Z.) zu erfragen."

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"je ein Expl. Buch "Mündelsicherheit" senden an:

a) Bibl. des Baufs.Amts fuer das Versich. U. Bausparwesen 1 Berlin 15, Ludwigskirchplatz 3. - erl.

b) An den Herrn Preis. Dito persönlich mit der Bitte 3 Expl. Zu verteilen; eins sei an die Bibl. geschickt worden. erl.  Stuttgart 1, Postf. 733    Ri 3/3

ca. 30 Stücke des Buches sind in m. Schrank aus Stahl."

 

(Die letzte Notiz war auf einem Briefformular geschrieben, - J.Z.):

 

"UNIVERSITÄT ZU KÖLN

 

Prof. Dr. Rittershausen                           5 Köln-Lindenthal, den

                                                                Fustenburgstrasse 7, Telefon 434101

 

                                                                Hochhaus WiSo-Fakultät

                                                                Albertus-Magnus-Platz

                                                                Telefon 2024-2406"

 

Die hier angegebene Privatanschrift scheint mir die letzte zu sein von Prof. H. Rittershausen. Vielleicht kann man durch Grundbucheintragung oder Besuch des Hauses erfahren, wem es jetzt gehört. Wahrscheinlich einem der Erben von Prof. Rittershausen. - J.Z., 6.7.05.)

 

 

(Der Rest ist, weiterhin, Schweigen??? - J.Z., 6.7.05. - jzube@acenet.com.au )


 

Anmerkungen von John Zube

 

jz1: (J.Z.: Die Wirtschaftlichkeit oder, vielmehr, Unwirtschaftlichkeit des Territorialstaates ist wohl auch noch nicht genügend untersucht worden, obwohl er uns beständig sehr viel kostet, nicht nur in Steuern sondern auch in Freiheiten und Rechten und trotzdem er jetzt die ganze Menschheit mit WMD bedroht, vorgeblich, um unsere Freiheiten und die Rechte mit ihnen zu "verteidigen! Seine "Atomwaffen" stellen wahrscheinlich seine größte Absurdität dar. - I glaube es war David Friedman der mal sagte: Alles was der Staat tut kostet wenigstens 2 mal so viel, wenn nicht sogar dreimal so viel! Solch ein Gedanke wäre in Buchgröße zu detaillieren. - Wer wird eine Dissertation darüber schreiben? -J.Z., 6.7.05.)

 

jz2: (J.Z.: Rechtsanwälte haben daran oft gar kein Interesse. Im Gegenteil. Sie sind sehr stark im Parlament vertreten und haben dort oft und in vielen Ländern die Vereinfachung der Gesetzgebung z.B. über Ehescheidungen, "real estate titles" und Testamentsangelegenheiten, ihr "Brot und Butter", wie einer sich ausdrückte, sehr verzögert. Jetzt "reformieren" sie die Steuergesetzgebungen, d.h., machen sie noch länger und komplizierter. - J.Z., 5.7.05.

 

jz3: (J.Z.: In einem Zeitalter in dem staatliche Wertpapiere und alle die in inflationiertem Staatspapier ausgezahlt werden können, werden solche Anlagen gesetzlich immer noch als "mündelsicher" angesehen! Väterchen Staat am Werke, oder der "Grosse Bruder", im eigenen Interesse. Natürlich ganz gesetzmäßig! - J.Z., 5.7.05.)

 

jz4: (J.Z.: Zufällig las ich gerade gestern, daß nur noch 4 % der Beschäftigten in Australien in der Landwirtschaft arbeiten. Sie arbeiten länger und für geringere Einkommen als die in der Industrie und im Handel Beschäftigten. Ihre Arbeiten produzieren aber immer noch ca. 22 % des Exports von Australien. Über 90 % der Bevölkerung lebte schon seit Jahrzehnten in den australischen Großstädten. - Hier hat also eine Entwicklung in derselben Richtung stattgefunden. - J.Z., 6.7.05.)

 

jz5: (J.Z.: Hier folge ich seiner Logik nicht. Es handelt sich doch um einen Vergleich vom Ausmaße des Fremdkapitals, nicht um einen des Eigenkapitals. - In Form von Aktien hatte die deutsche Industrie wahrscheinlich sehr viel langfristiges und unkündbares Kapital aufgenommen. - Diese Größe hätte aber hier von der These seines Buches abgelenkt. Ein Vergleich des Eigenkapitals von Landwirtschaft und Industrie, insgesamt und per Betrieb, wäre auch interessant gewesen. - J.Z., 6.7.05.)

 

jz6: (J.Z.: Hinzu kommt, daß die Rückzahlung von Staatsschulden in der Regel nicht aus Erträgen von gesteigerter Produktivität erfolgt sondern, ganz unfreiwillig, von den allgemeinen Steuersklaven zu leisten ist, unter diesen auch alle, deren Vermögen so vom Staate beschlagnahmt und verbraucht wurde. Ein privates Unternehmen kann nicht alle Staatsangehörigen besteuern, um seine eigenen Schulden zurückzuzahlen. Es kann nur in seine Preise, für seine freiwilligen Abnehmer, einen nicht besonders vermerkten Aufschlag einschließen, zur Rückzahlung seiner Schulden, soweit Wettbewerbspreise das möglich machen. Die Sozialversicherten verlieren also so ihre bisher gezahlten Beiträge und müssen sie dann noch einmal zahlen, zusammen mit allen anderen Steueropfern. Eine betrügerische staatliche Gepflogenheit, die, leider, allzuwenig kritisiert wird. Diese Situation wird noch verschlimmert dadurch, daß der Staat die schließlich gezahlten Renten auch noch hoch besteuert und sie durch Inflation vermindert. - Ein gutes Beispiel für die heutigen "Rechtsstaaten". Ich arbeitete in Deutschland in der "Sozial"-"Versicherung" und um diese gesetzlichen Betrügereien bekümmerte sich damals, und wahrscheinlich auch heute noch, fast niemand, am wenigsten diejenigen, denen die Anlage der Sozialversicherungsbeiträge offiziell anvertraut war. - J.Z., 6.7.05.)

 

jz7: (J.Z.: Was meinte er hier unter "werbend"? - J.Z.)

 

jz8: (J.Z.: Steuersklaven oder unfreiwillige Tributzahler gibt es für diesen sehr unfreien "Markt" leider immer noch. Keinem dieser Opfer wird es erlaubt, aus dem Territorialstaate auszutreten und vertraglich, zusammen mit Gleichdenkenden, andere und vielleicht viel bessere Arbeitsbeschaffungs-, Finanzierungs- Währungs-, Zahlungsmittel-, Kredit-,  Verrechnungs-, Versicherungs- und Sicherheits-, Gesundheits-  und Wohlfahrts-Maßnahmen zu treffen als Territorialstaaten ihnen anbieten können oder wollen. Mitgliedschaft in und Tribute an deren territoriale Machtmißbräuchen, militärischen Abenteuern und staatsweiten Mißwirtschaft werden immer noch konstitutionell, legal, juristisch und mit Polizeigewalt erzwungen, ohne daß daran radikale und ausreichend Kritik geübt wird und die exterritorialen und "personal law" Alternativen genügend erörtert werden. - Die Mächtigen in Territorialstaaten wollen auch lieber viele arme und dadurch abhängige Untertanen haben als viele reiche oder wohlhabende und dadurch unabhängige. Daher sind, vielleicht, ihre Armut schaffenden oder aufrecht erhaltenden legalen Maßnahmen nicht nur auf Unwissenheit und Vorurteile zurückzuführen sondern, wenigstens manchmal, absichtlich unternommen um die eigene Macht zu vergrößern und die der Untertanen zu verkleinern. - Solche Neigungen erkennt man manchmal bereits bei kleinen Beamten, nicht nur in dem Größenwahn und den Machtmißbräuchen auf höchster politischer Ebene, die z.B. heute in Australien zu Konzentrationslagern für illegale Einwanderer geführt haben, die sehr kostspielig sind und in denen unschuldige Flüchtlinge und ihre noch unschuldigeren Kinder manchmal bis zu 7 Jahren interniert werden, einige von ihnen dadurch zum Aufstand oder gar zum Wahnsinn treibend. Und dieses Land wird immer noch weitgehend als ein Land der Freiheit angesehen! - Unter weiter bestehender großer Arbeitslosigkeit und Furcht vor ausländischer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt war eine solche "Politik" des Unrechts und der Unfähigkeit bei politischen Wahlen tragbar. -  J.Z., 6.7.05.)

 

jz9: (J.Z.: Offenbar ebenfalls ein wichtiger Titel zum Thema Geld- und Bankfreiheit. Er wurde auch von Ulrich von Beckerath oft erwähnt. Aber, ich allein, kann nicht alle diese Titel digitisieren. Bisher habe ich nur einen und zwar sehr produktiven Mitarbeiter auf diesem Gebiet: T.M. Dutzende wären nötig um auch hier "der Freiheit eine Gasse" zu schaffen. - J.Z., 6.7.05.)

 

jz10: (J.Z.: Wenn die Industriellen und die Arbeitslosen ihr eigenes Interesse genügend verstanden hätten, dann hätten sie diese von Rittershausen zusammengestellten oder gemachten Vorschläge gehörig unterstützt. Aber, wie häufig handeln die meisten Leute ganz vernünftig im eigenen Interesse mit langer Sicht? - Daß auch die meisten Volkswirtschaftler zu diesen Vorschlägen keine Stellung genommen haben ist blamabel für sie. Von Politikern und Journalisten kann man ja gewöhnlich Besseres überhaupt nicht erwarten. Sie verstärken und verbreiten nur die gewöhnlichen populären und oft sehr primitiven und unlogischen Vorurteile, im eigenen Interesse, und gewinnen damit mehr Wähler und Leser. - J.Z., 6.7.05.)