ARBEITSLOSIGKEIT
UND
KAPITALBILDUNG
Zugleich ein
bankpolitisches Programm
zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise
Von
Dr. rer. pol. Heinrich Rittershausen
Mit 1 Kurve im Text
Jena
Verlag von Gustav Fischer 1930
Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany
LIBERTARIAN
MICROFICHE
PUBLISHING
c/o J. ZUBE, "PEACE
PLANS"
35 OXLEY ST., BERRIMA.
N.S.W. , 2577,
AUSTRALIA,
TEL.(02) 48 771436
(2005 address
details!)
Reproduziert auf Mikrofiche, 1981 als PEACE PLANS No. 393
mit Genehmigung des Autors und
nicht-exklusiver und widerruflicher
Genehmigung des Gustav Fischer Verlags:
Postfach 720143, D 7000 Stuttgart, West Germany.
Druck von Ant.
Kämpfe, Jena
(Innere
Umschlagsseite, Verlagsanzeige.)
V e r l a g v o
n G u s t a v F i s
c h e r i n J e n a
Heinrich Rittershausen
Die Reform
der
Mündelsicherheitsbestimmungen
und der industrielle Anlagekredit
Zugleich ein Beitrag zum Erwerbslosenproblem
VII,
90 S. gr. 8o 1929
Rmk 3.60
Inhalt:
1. Die Bedeutung der Mündelsicherheitsvorschriften.
2. Die geltenden
Bestimmungen. Anhang: Überblick über einige
ausländische Regelungen.
3. Die
Entstehungsgeschichte der Mündelsicherheits-
bestimmungen.
4. Die Notwendigkeit
einer Reform.
5. Volkswirtschaftliche
Prinzipien der Anlage gebundener
Kapitalien.
6. Die Reformvorschläge.
Weltwirtschaftl. Archiv. Bd. 30 (1929), Heft 1:
R. sucht darzulegen, daß infolge
der veralteten Bestimmungen über die Anlegung der Mündelgelder, Sparkasseneinlagen,
Versicherungseinnahmen usw. mehr als die Hälfte des jährlich neugebildeten deutschen
Kapitals in falsche Bahnen gelenkt wird. Der Satz, daß industrieller Kredit und
städtischer Bodenkredit als weniger sicher von der Anlage solcher Gelder
ausgeschlossen sein müssen, ist nach R. nach des Erfahrungen der letzten
Jahr-zehnte und der Entwicklung des industriellen Kapitalismus nicht mehr
aufrechtzuerhalten, insbesondere hat der öffentliche Kredit seine
Vorzugsstellung eingebüßt R's Vorschlag geht dahin,
für die in Frage stehenden Kapitalbeträge auch die Anlage in nach Maßgabe eines
Reichsgesetzes gesicherten Teilschuldverschreibungen von Kreditanstalten
öffentlichen und privaten Rechts und in Forderungen und
Teilschuldverschreibungen zuzulassen, für die eine öffentlicher Aufsicht
unterstehende Kreditversicherungsgesellschaft die Garantie übernommen hat. hn
(J.Z.: Nach dem Leiter
der Finanzabteilung der Berliner LVA, in den fünfziger Jahren, haben die Sozialversicherungsträger
Deutschlands über alternativen Anlagemöglichkeiten schon seit 1923 nur
diskutiert und verhandelt, sind aber, anscheinend, mit ihren Vorschlägen nie an
die Öffentlichkeit getreten. Das wäre "politically
incorrect" gewesen, denn der Staat hatte sich
stets vorbehalten sich an diesen Vermögen zu vergreifen. Dieses staatliche
Privileg hat, gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch noch viel mehr
Unrecht und Schaden angerichtet als die berüchtigte "jus
primae noctis" der
"Adligen" der Vergangenheit.
Der Staat hat diesen Mißbrauch
auch, "tüchtig" unternommen und tut es, meines Wissens, immer noch. Das
durch ihn verschleuderte Vermögen, z.B. für Hitlers Aufrüstung und Kriegführung,
wird dann durch weitere Steuertribute und erhöhte Versicherungsbeiträge "legal"
"ersetzt". – J.Z., 29.6.05.)
Bankarchiv.
15. April 1929:
". . . Dieses Buch,
das nur in der 1875 erschienenen Schrift von Felix Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder
in den deutschen Staaten, einen Vorgänger hat, kann das Verdienst für sich in
Anspruch nehmen, die ganze Materie rechtlich, geschichtlich und
rechtsvergleichend zusammenfassend zu behandeln und vor allem ihre gewaltige
wirtschaftliche Bedeutung zu beleuchten;
Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. H. Göppert, Bonn
Deutsche
Bergwerks-Zeitung. 8. 12. 1929:
" . . . Das ganz
ausgezeichnete Buch verdient die besondere Beachtung der maßgebenden Kreise.
Dr. R. W.
(J.Z.:
Die "maßgebenden Kreise" charakterisieren sich meist durch Unkenntnis
oder Nichtbeachtung solchen Wissens! -
Zeitschr. f. d. ges. Versicherungs-Wissenschaft.
Bd. 29, 3:
Eine Schrift, die im
Kreise der Individualisierung der Sozialversicherung ernste Beachtung verdient;
denn der Verfasser übt scharfe und teilweise sicherlich nicht unberechtigte
Kritik an den bisherigen Bestimmungen über Mündelsicherheit und über die
Vorschriften, die so genannte mündelsichere Anlagen zur Pflicht machen. ... Es
wäre zu wünschen, daß sich an die Vorschläge des Verfassers eine rege
öffentliche Erörterung anschließt
Prof. Dr. A. Manes, Berlin.
(J.Z.:
Prof. Manes schrieb auch ein interessantes Buch über
Staatsbankrotte, von Ulrich von Beckerath sehr empfohlen und daher von mir in
meiner PEACE PLANS Serie verfilmt. – J.Z., 29.6.05.)
Bankwissenschaft, 1929, Heft 3:
"... Das Buch ist so
reich an tatsächlichem, kritisch verarbeitetem Material und an wertvollen, gut
begründeten Vorschlagen, daß es der Beachtung aller dringend empfohlen werden
muß, welchen die Gesundung der deutschen Wirtschaft durch Reform der
Kapitalbewirtschaftung am Herzen liegt. K.
______________________________________________________________________________________________________________
(J.Z.:
Warum hat der Fischer Verlag seine Schriften von Prof. H. Rittershausen nicht
im Druck gehalten? Erkannte er ihre Bedeutung nicht oder wollte er sie sogar
der Öffentlichkeit vorenthalten?
Wenn er die Druckkosten
und das Verlagsrisiko für solche Ausgaben nicht tragen wollte, warum hat er
dann nicht von den sehr erschwinglichen alternativen Medien Gebrauch gemacht,
um sie wenigstens so beständig und
billig anbieten zu können? Ich versuche
das jetzt an seiner Stelle zu tun - wenigstens bis er sich selbst auf solche Möglichkeiten
und seine Veröffentlichungspflicht besinnt.
Ein finanzielles
Einkommen erwarte ich mir von dieser Ausgabe nicht sondern nur die Zufriedenheit
in dieser Hinsicht meine Pflicht getan zu haben, so weit wie ich es
konnte.
Die Welt braucht solche
Ideen - heute vielleicht mehr als je zuvor, um weitere von Regierungen und
ihren Gesetzen und Maßnahmen geschaffene und aufrechterhaltene künstliche Katastrophen
zu vermeiden oder endlich abzuschließen. - PIOT, John Zube, jzube@acenet,com.au Berrima, 4.7.2005.)
_____________________________________________________________________________________________________________
Prof. Dr. W. Kalveram-Frankfurt a.M.
in dankbarer Verehrung
gewidmet
__________________________________________
Vorwort.
Das Nebeneinander von
Massenarbeitslosigkeit, Warenhunger und Absatzstockung wird heute von immer weiteren
Kreisen als paradox empfunden. Das Gefühl, eine Kredit- und Bankorganisation, die solche Störungen erlaubt, könne
nicht in Ordnung sein, gewinnt an
Verbreitung. Die nähere Untersuchung zeigt, daß dieses Mißtrauen der hergebrachten Lehre und Politik
gegenüber berechtigt ist: Sie
erweist, daß das Problem der Arbeitslosigkeit lösbar ist. Allen praktischen Versuchen, durch Ankurbelung der Wirtschaft oder durch öffentliche Arbeiten
zusätzliche Arbeitsgelegenheit zu
beschaffen, scheint der gegenwärtige Kapitalmangel im Wege zu stehen. Die unten entwickelte Theorie
der Kapitalbildung und der
Arbeitslosigkeit erweist die weit verbreiteten Ansichten über das Wesen
des Kapitalmangels als Irrtum und zeigt, daß
es auch heute genügend Kapital gibt, um alle Arbeitslosen zu beschäftigen und zu entlöhnen. Das darauf folgende
Finanzierungsprogramm erläutert im
einzelnen, wie die sehr großen Beträge zur Beschäftigung der arbeitslosen Millionen in wenigen Wochen und Monaten aufgebracht werden können. Die gesamte Last
liegt dabei auf den deutschen Banken, die unserer Wirtschaft schon vor
dem Kriege einen fast märchenhaften
Aufstieg ermöglicht und auch im Kriege
gezeigt haben, was sie leisten können, wenn sie gesund sind und ihre Kräfte voll zu entwickeln vermögen.
Das am Schlüsse gegebene bankpolitische Programm erörtert daher die in den
letzten Jahren entstandenen
Krankheitserscheinungen in unserem Banksystem und gibt eine Therapie zur
Gesundung unserer Banken und dadurch zur
Beseitigung der dringenden Not der Arbeitslosen und der Geschäftsleute.
Meine Untersuchungen sind auf das ganze Gebiet von Arbeitslosigkeit
und Kredit gerichtet gewesen. Wenn ich in der vorliegenden Schrift nur
die den langfristigen Kredit und die Kapitalbildung
behandelnde eine Hälfte meiner
Ergebnisse veröffentliche, so geschieht das, um den Umfang und damit den Preis
des Buches nicht zu sehr anschwellen
zu lassen. Die andere Hälfte der Ergebnisse
soll binnen kurzem unter dem Titel "Arbeitslosigkeit und Banknotenausgabe" veröffentlicht werden.
Auch eine dogmenhistorische und
-kritische Arbeit steht vor der Veröffentlichung.
VI
Bei all diesen Untersuchungen glaube
ich fest auf dem Boden der deutschen bankpolitischen Tradition zu stehen, die
in Adolf Wagner, J. Riesser und Adolf Weber, meinem verehrten Lehrer, ihren besten Ausdruck
gefunden hat. In dem gleichfalls berührten Gebiet der Sozialen Frage sind seit den Forschungen
von Proudhon und Marx bahnbrechende Ideen kaum noch zutage getreten, wie
eine Durchsicht der neueren Erscheinungen zeigt Wenn auch die "Bibliographie
der Arbeitslosigkeit" des Internationalen Arbeitsamts in Genf (1926)
allein für die Jahre von 1914-1925 155 engzeilige Druckseiten voll Schriften
enthält, so ist es mir doch nicht möglich gewesen, auch nur ein Werk darin zu finden, das eine
wirklich volkswirtschaftliche Problemstellung mit einer geschäftlich brauchbaren
Lösung des anfänglich erwähnten Paradoxons verbindet, obwohl doch die Nachfrage
nach einer solchen Lösung überaus dringend ist. Es scheint, als ob die
Sozialpolitiker sich in der neueren Zeit ebensowenig mit dem Geld- und
Bankproblem beschäftigt haben, wie die Bank- und Kredittheoretiker mit der sozialen
Frage in ihrer heutigen Gestalt, der Arbeitslosigkeit.
_________________
Eine besondere Freude ist es mir,
allen denjenigen zu danken, denen ich für das Zustandekommen dieser Schrift
verschuldet bin. Neben Herrn Oberregierungsrat Dr. Morsbach, Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der
Wissenschaften, dem ich meinen einjährigen Austauschaufenthalt in England verdanke, und der
Deutschen Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung
(Notgemeinschaft), die diese Abhandlung gefördert hat, muß ich besonders Herrn
Dr. A. W. Fehling (Berlin), Secretary of the Fellowship Advisory Committee of the Rockefeller
Foundation for the Social Sciences in Germany hervorheben, wie ich überhaupt der Rockefeller Foundation verpflichtet bin,
die beschlossen hat, mir die Fortsetzung meiner Untersuchungen in Frankreich, Spanien
und Italien für ein weiteres Jahr zu ermöglichen.
Berlin-Zehlendorf, im Herbst 1930. Riemeisterstr.
101.
Heinrich
Rittershausen.
_________________________________________________________________________________________
Allgemeine Inhaltsübersicht.
Seite
Vorwort V
Analytisches Inhaltsverzeichnis ...................................................... VIII
Zusammenfassung
der wichtigsten theoretischen Gedanken XIII
Einleitung: Die
Arbeitslosigkeit........................... l
1
Kapitel:
Volkswirtschaftliche Grundbegriffe............................. 20
2. Kapital:
Wesen und Aufgaben der Kapitalbildung und
des langfristigen
Anlagekredits 38
3.
Kapitel: Die gegenwärtige Organisation des Anlagekredits
und ihre Mängel 68
4.
Kapitel: Bisher gemachte unzulängliche Vorschlage zur
Beseitigung der
Arbeitslosigkeit 93
5.
Kapitel: Ein Programm zur Finanzierung von
Arbeitsgelegenheit: 102
a) Das große Mittel.......................................................... 102
b) Die Voraussetzungen.................................................... 129
c) Die Hilfsmaßnahmen................................................. 137
d) Die Annäherung von Reichsbank und
Großbanken 143
Literaturnachweis..................................................................... 149
Alphabetisches
Sach- und Personenregister......................... 151
Analytisches
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Vorwort V
Allgemeine
Inhaltsübersicht VII
Analytisches
Inhaltsverzeichnis VIII
Zusammenfassung der
wichtigsten theoretischen Gedanken XIII
Einleitung.
Die
Arbeitslosigkeit.
1. Geschichte der
Arbeitslosigkeit 1
a) im
klassischen Altertum.
b) im Mittelalter.
c) in der beginnenden Neuzeit.
d) in der Zeit des liberalen Kapitalismus
2. Umfang, Gliederung und
Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der neuesten
Zeit 5
3. Schäden der
Arbeitslosigkeit 11
4. Der Absatzmangel und
sein Verhältnis zur Arbeitslosigkeit 13
5. Arten der
Arbeitslosigkeit 16
6. Definition und Wesen
der objektiven Arbeitslosigkeit als des Mangels
an Arbeitsgelegenheit in zwei Formen 17
Erstes Kapitel.
Volkswirtschaftliche Grundbegriffe.
a) Produktionserlös und
Einkommen 20
1. Die Produktion-Konsumgleichung 20
2. Begrenztheit der Produktionsmöglichkeiten,
Unbeschränktheit der
Konsummöglichkeiten 21
` 3. Die Produktionserlös-Einkommensgleichung 22
4. Das Einkommen 25
5. Der volkswirtschaftliche Einkommensbegriff 25
6. Das abgeleitete Einkommen 26
b) Konsum und Ersparnisse 27
1. Die beiden Möglichkeiten der Einkommensverwendung 27
2. Konsumgüter und Kapitalgüter 27
3. Sparen und übertragener Konsum 28
4. Sparen und Kapitalgüterverbrauch 28
5. Verteilung der Arbeitskräfte auf die beiden
Hauptindustrien 29
6. Kapitalbildung 30
Zusammenfassung 30
c) Die Problematik der
Verteilungslehre und die Störungen im Absatz 31
I. Der Zeitunterschied 31
1. Die Diskontierung 32
2. Die Banken und der Umsatzkredit 32
3. Der Notenumlauf und die Zentralnotenbanken 32
II. Der unvollendete Sparvorgang 33
1. Widerlegung der Ausbeutungstheorie 34
2. Die Verwandlung der Unternehmerersparnisse
in
Kapitalgüter 35
3. Die Vollendung des Kapitalbildungsvorganges
erst
durch die Antizipationskredite 36
4. Die übrigen Probleme des Anlagekredits
im
Rahmen der Erlös-Einkommensgleichung 36
Zweites
Kapitel.
Wesen und Aufgaben der Kapitalbildung
und
des langfristigen Anlagekredits.
a) Die Kapitalbildung 38
1. Wesen der Spargelder 38
2. Arten der Ersparnisse 38
3. Einkommensparen (im Sinne von épargner) 39
4. Die Verschiebung der verfügbaren Arbeitskräfte
innerhalb der Gesamtindustrie
durch Spartätigkeit 42
5. Kostensparen (im Sinne von économiser) 43
6. Die negative Spartätigkeit 46
7. Die Kapitalbildung 46
b) Arbeitslosigkeit
infolge von Rationalisierungen 48
1. Kaufkraftrückgang als Ursache des Fehlschlages
von
Rationalisierungen 48
2. Die angebliche Steigerung der Unternehmerkaufkraft 51
3. Volkswirtschaftlich richtige Rationalisierungen 53
c) Die Effektivierung der
latenten Kapitalbildung 54
1. Latente und effektive Kapitalbildung 54
2. Zielbewußte Produktion von Ersparnissen 55
3. Der antizipierte Emissionskredit bei den deutschen
Großbanken 58
4. Antizipierter Emissionskredit und
Arbeitsgelegenheit
vor dem Kriege 61
5. Die Antizipation der Ersparnisse durch die Banken als
Mittel
zur Vollendung
des Kapitalbildungsprozesses 64
6. Der interlokale Ausgleich durch den Kapitalmarkt 64
7. Abgrenzung gegen die expansive Kredittheorie von Macleod,
Schumpeter,
Hahn u. a. 65
Drittes
Kapitel.
Die gegenwärtige Organisation des
Anlagekredits und Ihre Mängel.
a) Die Vernachlässigung des Antizipationskredits 68
1. Börsentätigkeit und Arbeitslosigkeit vor dem Kriege 68
2.
Der Rückgang und seine Gründe 69
3. Sinken der Führerqualitäten der Bankleiter 70
b) Die Überversorgung des
Geldmarktes auf Kosten
des Kapitalmarktes 71
1. Trennung der kurzfristigen und der langfristigen
Gelder durch
den Zins 71
2. Die Bedeutung des Diskontsatzes für den
langfristigen
Anlagekredit 73
3. Die Fehlleitung langfristiger Anlagemittel durch die
deutsche
Bankorganisation 74
4. Keine erhöhte Verwendungsmöglichkeit für Umsatzkredite 77
5. Die geringere Liquidität der Sparkassen ein wichtiger
Ausgleichsfaktor
am Vorkriegsgeldmarkte 77
6. Die Zunahme echter Spargelder in den Bankdepositen 78
7. Ungesunde Verwendung kurzfristiger Kredite zu
Anlagezwecken 79
8. Die Effektenkredite an die Börse als Sicherheitsventil 80
9. Mangel einer Organisation des langfristigen
Industriekredits 82
10. Zusammenfassung und Abgrenzung gegen
die
Antizipationskredite 84
c) Die Blockierung
des industriellen Kapitalmarkts durch
die
Mündelsicherheits- und
Anlegungsvorschriften 86
1. Wesen und Bedeutung der Mündelsicherheits- und
Anlegungsvorschriften 86
2. Die Verkümmerung des industriellen Anlagekredits
als Folge der
Vorschriften 86
3. Anlegungsvorschriften und Arbeitsgelegenheit 87
4. Ergebnis 88
d) Die Verhinderung der
Wiederhereinnahme der Kapitalflucht in Form von
Anleihen des Auslandes an uns 89
1. Umfang der Kapitalflucht und der Auslandsanleihen 89
2. Identität von Auslandsverschuldung und Kapitalflucht 90
3. Der Kampf gegen die Auslandskredite und seine Folgen 90
Viertes Kapitel.
Bisher gemachte unzulängliche Vorschläge
zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit
Vorbemerkung 93
a) Lohn- und Preissenkung 93
b) Arbeitsverschiebung 94
c) Verstaatlichung der
Wirtschaft 95
d) Arbeitsdienstpflicht 96
e) Sparzwang 97
f) Verweigerung der
Kriegsentschädigungszahlungen 97
g) Erwerb von Kolonien 98
h) Verkürzung der
Arbeitszeit 99
i) Aufnahme von Anleihen 100
Fünftes Kapitel.
Ein Programm zur Finanzierung von Arbeitsgelegenheit.
a) Das große Mittel:
Zusätzliche Kapitalbeschaffung aus der unerschlossenen
latenten Kapitalbildung 102
1. Heilung der Arbeitslosigkeit von ihrer Ursache aus 102
2. Die latente Kapitalbildung als Kapitalquelle 103
3. Grenzen der zusätzlichen Kapitalbildung durch
Antizipationskredite 103
4. Solche Antizipationskredite sind nicht
mit "Kreditausdehnung"
identisch 104
5. Kreditausweitung nach dem Plane von J. M. Keynes 105
6. Die praktische Durchführung der Finanzierungsaktion 107
7. Verwendung der Kapitalien und der Arbeitskräfte zur
Schaffung langlebiger
Kapitalgüter 108
8. Das Baugewerbe als Schlüsselindustrie 109
9. Ein Bauprogramm 109
Wohnungsbau. —
Umgestaltung von Großstädten.
— Bodenmeliorationen.
— Abwässerverwertung. — Straßenbau.
10. Beispiele aus der Geschichte und aus dem Auslande 115
Deutschland vor dem Kriege.
— Umgestaltung von Paris
durch
Haussmann. — Wiederaufbau
Tokios.
11. Staatliche oder private Projekte 117
12. Staatskredite oder Bankkredite 118
13. Banknotenumlauf und Giroguthaben 118
14. Verwendbare und unverwendbare Arbeitskräfte 119
b) Die Voraussetzungen 120
I. Die Senkung des Zinsniveaus 120
1. Rentabilität der Projekte und Zinsniveau 120
2. Ursachen der gegenwärtigen Höhe des
Zinsniveaus 121
3. Befreiung des deutschen Zinsniveaus aus
seiner Abhängigkeit
vom Auslande 123
4. Das Mittel dazu: Abstoßung der
kurzfristigen
Auslandsverschuldung 124
5. Die Überkompensierung der kurzfristigen
Auslands-
verschuldung durch aufzunehmende Anleihen 124
II. Die
Umgestaltung des Großbankgeschäfts 126
1. Liquidität und Antizipation 126
2. Frankreich als Beispiel: Ein Land ohne
Arbeitslosigkeit 127
3. Die Rückkehr zur Arbeitsteilung
zwischen Sparkassen und
Banken 129
4, Die Halbierung der Bilanzsummen bei den
Großbanken 131
a) Rückgang der
Auslandskreditoren.
b) Entbehrliche Devisenreserven.
c) Umwandlung eines Teiles der
inländischen Kreditoren
in Effekten.
d) Abstoßung industrieller
Debitoren.
5. Die Annahme langfristiger Gelder
und
deren Anlage in Effekten 133
6. Die Illiquidität der Großbanken als
internationales Problem 133
England.
— Die Vereinigten Staaten: Anlage der Kreditoren
in Effekten und
Krediten. — Vergleichung mit den deutschen
Banken. — Eine
Äußerung Andersons. — Gefahren von
Bankanlagen in
Effekten.
c) Die Hilfsmaßnahmen 137
1. Popularisierung des Effektenbesitzes 137
2. Förderung der Börse 138
3. Kapitalanlagegesellschaften 138
4. Organisation des industriellen Anlagekredits 139
5. Beseitigung der Ursachen der Kapitalflucht 140
6. Neugestaltung der Mündelsicherheits- und
Anlegungsvorschriften 141
7. Steuerreform 142
d) Die Annäherung von Reichsbank und Großbanken 143
1. Verfeinerung auch des Umsatzkredits 143
2. Förderung des antizipatorischen Bankakzepts 144
3. Zusammenarbeit zwischen Reichsbank und Großbanken 145
Literaturnachweis 149
Alphabetisches Sach- und Personenregister (Hier
gleich anschließend! – J.Z) 151
Sach- und Personenregister.
(Im Original auf S. 151- 154, hier vorverlegt, um
leichter zugängig zu sein. – J.Z.)
Die Ziffern bezeichnen
die Seitenzahlen.
Absatzmangel
13, 20, 21, 50, 51.
— chronischer 51.
Abwässerverwertung 113.
Agrarprogramm 112.
Aktienrechts, Reform des - 140.
Akzeptkredite 60, 66, 144 ff.
Altwohnungen 110.
Amerikanische Banken, Lage d. 133 f.
Anderson, B. M. 135.
Anlagekredit, langfr. 36.
—s, Quelle des 66, 103.
Anlegungsvorschriften
86, 141.
Anleiheaufnahme als
Mittel 100.
Antizipationskredite 36,
58, 60, 61, 64, 85, 97, 103 (Bankakzepte);
145 (Grenzen) — zwei verschiedene Begriffe der, als technisches
Hilfsmittel und als Mittel zur Effektivierung latenter Ersparnisse 85, 126,
127.
— Vernachlässigung der - 68.
Arbeitsdienstpflicht 96.
Arbeitsbeschaffungsanleihen 101.
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Reichsregierung 115, 100.
Arbeitslosigkeit,
Geschichte der 1ff.
- im Mittelalter 2, 3.
- bei Kriegsbeginn 9.
- bei der Demobilmachung
9, 10.
- in Rußland: Fußnote S.
11 u. 23.
- Gesamtzahl 5, 8, 9.
- Arten 15.
- subjektive 15.
- objektive 15, 16, 17.
- Umfang 5.
- Gliederung nach
Berufsgruppen (Tab.) 5, 6.
- innerhalb der Gruppe
Holzarbeiter (Tab.) 6.
- zeitlich (Tab.) 6.
- regional (Tab.) 8.
- Programm gegen 102 ff.
Arbeitslosigkeit, Wesen
der XIII, 17, 19, 51, 54, 102, 144, 146.
— identisch mit
Kapitalflucht 90.
Arbeitslosenversicherung
120.
Arbeitsteilung zwischen
Banken und Sparkassen 129 ff.
Arbeitsverschiebung 94.
Arbeitszeit, Verkürzung
der 99, 100.
Armengesetze 4.
Aufklärungsfeldzug gegen
Kapitalflucht 141,
Ausbeutungstheorie 34.
Auslandsanleihen 89ff., 122, 124, 131.
Auslandskreditoren 124,
131.
Auslandsverschuldung 89,
124.
Bankakzept
60, 66, 144 (antizipator.).
Bankdirektoren 70.
Bankkonten, Vorgänge auf
den, bei Rationalisierungen 52.
Bankkredite, zusätzliche
66, 104.
Banknotenausgabe, -wesen
65, 118, 144. Bankobligationen 133.
Barocks, Egon, Dr. 112.
Baugewerbe, -programm
108, 109 ff.
Beispiele aus d.
Geschichte 115.
Bernhardt, Gg., 145.
Beschäftigungsgrad 50.
Beseitigung der Arbl.
102.
Beurlaubungen 100.
Beveridge 94.
Bilanzsummen, Halbierung
der 131. Bodenmeliorationen 112.
Börse 68, 69, 132, 138
(Förderung der).
Börsenkredite in U.S.A.
134.
Börsenspekulation 81.
Cassel,
Gustaf, 21, 90.
Definition
der Arbl. 17, 19, 41, 51, 53, 54, 102, XIII.
Deflation 105.
Dernburg 147.
Deutsche Bodenkultur
A.-G. 112.
Devisenreserven 131.
direkte Steuern 142, 143,
Diskontierung 32.
Diskontpolitik,
unabhängige 124.
Diskontsatz 73.
Dränagen 112.
Économiser
43.
Effektenabsatz durch
Börsenkr. 81.
Effektenanlage durch
Großbanken 123 ff.
Effektenkredite 80.
Eierfarm als Beispiel 35.
eingefrorene Kredite d.
Großb. 80.
Einkommen 24, 25, 26.
- abgeleitetes 26.
- übertragenes 28.
Einkommensparen 39.
Einkommenspyramide 121.
Einkommensteuer 143.
englische Arbeitsl. 101.
englische Banken 59, 78, 133.
Enquete (Reichsbank) 145.
Erdbeben und Arbl. 116, 117.
Ersparnisse 27 ff., 38 ff., 53.
Ersparnissen, Produktion von 55.
Finanzierungsprogramm
102, 107 ff.
Frankreich als Beispiel
110, 115, 122, 127
Geldmarktes,
Überversorgung des 71.
Genzmer 111.
Giroguthaben 118, 119.
Globalwarenwechsel 147.
Goldbestand der
Reichsbank 122.
Goldklausel 92, 140.
Großbanken 69 (Kreditpolitik), 78, 131 ff
- (Effektenanlagen), 143,
148.
Großindustrie, Kredit der
83.
Grzimek (Abwässerverw.)
113.
Hahn,
A. L. 65.
Handelswechsel 146.
Haußmann (Paris) 110, 111.
Hecht, Felix 83, 139.
Henderson, H. D. 106.
Heymann (Straßenbau) 113,
114.
Hilfsmaßnahmen 137 ff.
Hirsch, Jul. 14, 77.
Indirekte
Steuern 142.
Industriekredite der
Banken 127, 132.
Industriekredit 82, 86,
139 (Org. des).
Illiquidität der
Großbanken 133 ff.
Inflation 105.
Inlandsanleihen 101.
Inseln billigen Geldes
123.
Investment Trusts 138, 139,
142.
Käferlein,
H. 145.
Kanalbauten 112.
Kapitalanlagegesellschaften
138, 139, 142.
Kapital 27,
30, 39, 40, Beschaffung 102. Kapitalbildung 29, 30, 33, 35, 36, 47, 64,
- Mangel an K. 36.
- als Ursache der Arbl.
17.
- effektive und latente
55.
- zusätzliche 53.
- Förderung der 57.
- Vollendung der 36, 55, 58, 64, 67.
Kapitalflucht 8g ff.;
identisch mit Auslandsanleihen 90; Beseitigung der Ursachen der K. 140, 143.
Kapitalgüter 27, 39, 40.
Kapitalmarkt 64.
Kapitalmangel, keine
Ursache der Arbl. 55, 58, 65.
Kapitalquelle 103.
Kaufkraft, aktuelle 52.
— geht unter 53.
Kaufkraftrückgang infolge
von Rationalisierungen 48.
Keynes, I. M. 105.
Kolonien 98.
Kommunistisches
Verteilungssystem 22.
Konsumptivkredite 46.
Konsum 27 ff.;
- Besteuerung 142,143;
- güter 27, 38; - möglichkeiten
(unbegrenzt) 22; -rückgang 51; übertragener 28; - theorie 51, 52. Kostensparen
43 ff.
Kreditausdehnung 104 - 106;
-schöpfung 32; - theorie (expansive) 65.
Kreditorensteigerung 74,
78.
Kriegsentschädigung 97,
88.
Krise d. J.1930 105.
Kursrückgänge 136.
Kurzarbeit 7.
Kurzfristigen Geldern,
Zuwachs an 76, 77.
Landwirtschaft
112.
langfristige Gelder 71,
73, 78.
langfristiger
Industriekredit 82, 84, 86.
Lasten, soziale 54.
latente Kapitalbildung
103.
Liquidität 80, 83; - und
Antizipation 126ff.;
- der Sparkassen 77.
Lohngelder 52.
Lohnsenkungsaktion 70,
93.
Lloyd Georges Vorschlag
101, 106.
MacLeod
65.
McKenna 133.
Meliorationen 112.
Mißbrauch der
Effektivierung 103.
Mittlere Industrie,
Kredit der 139, 142.
Mündelsicherheitsbestimmungen
86.
- Neugestaltung der 141.
Napoleon
III. 110.
Notenbanken 145, 147.
Objektive
Arbl. 15.
Ödländkultivierungen 112.
Paris,
Umgestaltung von 110, 115.
Pariser Grossbanken als
Geldgeber 122, 123.
Pauchalierungssystem 144.
Polen, Kreditwesen von
144.
Preis 24.
Preisniveau 25; -politik
144.
Preissenkung 93.
Preissteigerungen 104,
105.
Prion 76.
Privatdiskonten 144 ff.
Produktivgüter
(Kapitalgüter) 27.
Produktionserlös 23, 24.
Produktionskapazität 18,
55.
Produktions-Konsumgleichung
20.
Produktionsmittel 27, 41.
Produktionsmöglichkeien
(begrenzt) 21, 22.
Programm gegen Arbl. 102
ff.
Prosperitätsproblem 19.
Proudhon 33, 35.
Rationalisierungen
44, 48; volkswirtsch. richtige 53, 59; verfehlte 50, 54.
Reichsbank 73, 74, 118,
143-148.
Reichsetat und Arbl. 117,
140,
Rentablität der Projekte
120.
Rente (Differentialrente)
24, 25.
Reparationslasten 97, 98.
Reportgelder 82
(Anmerk.), 81.
Riesser, J. 145.
Saisonmäßige
Arbl. 94, 100.
Say, I. B. 49.
Schacht 69, 70, 90, 123,
137, 138, 147.
Schäden der Arbl. 11.
Schanzscher Einkommensbegriff
25.
Schmidt, F., Prof. 138.
Schumpeter 65.
Selbstfinanzierung 55.
Solmssen 71.
Sozialisierung 95.
Sparen 27, 38 ff., 41 (s. auch "Kapitalbildung");
negatives 46; unvollendetes 33, 36, 55; Sparzwang 97,
Sparkassen 75 (Kreditoren);
77 (Liquidität); 129ff., 132.
Spekulation 81.
Staatliche oder private
Projekte 117.
Städtebau 111.
Steuern 139, 141;
Steuerbelastung 98; Steuerreform 142.
Straßenbau 113.
subjektive Arbl. 15.
Tokio,
Wiederaufbau von 115, 116.
Trennung der Depositen in
lang- und kurzfristige Mittel 72.
Überkompensierung der
kurzfristigen Auslands-
verschuldung 124 ff.
Überversorgung mit
kurzer. Kredit 36.
Umgestaltung des
Großbankgeschäfts 126 f. Umgestaltung von Großstädten 111.
Umsatzkredit 32, 143; Verfeinerung des – 143.
Umschuldung 82.
Umwandlung von
Vorschüssen in Anleihen 64. Unternehmerkaufkraft 51, 52.
Unternehmer, Aufgabe der
56.
Ursachen der Arbl. 17,
18, 102.
Verschiebung
von Arbeitern 41, 48
Verstaatlichung 95.
Verteilung 31.
Volkseinkommen 98.
Vollendung der
Kapitalbildung 102 ff.
Vorschläge z. Bekämpfung
d. Arbl. 102, 93
Vorräte 66 (Fußnote).
Währung
148.
Weber, Adolf 20, 63, 126,
138. Wechseldiskontvorschriften der Reichsbank 144 ff.
Wiederaufbau von Tokio
115, 116.
Wirtschaftsführer 54.
Young-Plan
11, 97, 98.
Zentralnotenbanken
32, 147.
Zeitunterschied 31.
Zickert, Dr. Herm. 139.
Zins 24, 25; - gefälle
123; - spanne 72; - niveaus (Senkung des) 120 f.
Zünfte 3.
Zwangsarbeit
(Arbeitsdienstpflicht) 96.
(jz1)
- 154 -
XIII
Zusammenfassung der wichtigsten theoretischen Gedanken.
(Fettdruck durch J.Z.)
1. Es gibt zwei Arten der
Arbeitslosigkeit, nämlich diejenige, die durch Störungen im Güterumschlag und im Umsatzkredit
verursacht ist, und diejenige, die durch Störungen in der Kapitalbildung und im
Anlagekredit hervorgerufen ist. In dieser Schrift wird allein die zweite Art behandelt, da die erstere Art
gegenwärtig weniger aktuell ist.
2. Kapitalbildung bedeutet nichts
anderes, als Arbeitskräfte aus der laufenden Konsumgüterproduktion
frei machen für die Herstellung von langlebigen Produktivgütern.
3. Daher ist zu unterscheiden
zwischen der latenten (oder unvollendeten) und der effektiven (oder
vollendeten) Kapitalbildung: Die latente Kapitalbildung tritt ein, wenn durch Entlassung
von Arbeitskräften Ersparnisse erzielt
worden sind. Diese latente Kapitalbildung wird erst dann effektiv, wenn
die entlassenen Arbeitskräfte für die Herstellung von langlebigen Gütern nun
auch angesetzt und entlohnt werden.
4. Arbeitslosigkeit ist also unvollendete
Kapitalbildung.
5. Die überaus große
Arbeitslosigkeit des Jahres 1930 ist
vorwiegend dadurch hervorgerufen, daß die seit 1914 rückständigen
Rationalisierungen von 1925 an in wenigen Jahren nachgeholt wurden. Diese starke Steigerung der Kapitalbildung
wurde nur eingeleitet, aber nicht vollendet: Eine entsprechende Anzahl
von Arbeitskräften wurde zwar eingespart und für die Herstellung
von langlebigen Gütern freigemacht, hier aber nicht angesetzt. Es ist
also viel latente, aber wenig effektive Kapitalbildung vorhanden. (jz2)
6. Dadurch erklärt sich die
Absatzstockung, die heute die Lage der Industrie und des Handels
kennzeichnet: Sie ist durch die Unterbrechung,
das Nicht-Vollenden des Kapitalbildungsvorganges
hervorgerufen. Die Konsumgüter verfaulen und verderben also, während zugleich
große Not unter den Arbeitslosen herrscht.
7.
Daher bedeuten Rationalisierungen geldwirtschaftlich nichts anderes, als Deflation. Es werden weniger Löhne ausgezahlt, während
das Warenangebot unverändert bleibt oder
sogar steigt. Der Glaube, die effektive Kaufkraft der Unternehmer wachse um den ersparten Lohn, wodurch die
Absatzstockung vermieden werde, ist irrtümlich.
8.
Das wirtschaftliche Mittel, die überflüssigen Konsumgüter in die Hände
der notleidenden Bevölkerung zu bringen, ist allein der kurzfristige
Lohngeldervorschuß der Banken an die Unternehmer. Hierdurch kommen die Unternehmer in die Lage,
die Arbeitslosen einzustellen, um mit ihnen Wohnungen usw. zu bauen. Arbeitslosigkeit und Absatzstockung werden
so beseitigt.
9. Diese Erbauung langlebiger Güter
mit kurzfristigen Krediten ist nichts ungewöhnliches, denn
neues langfristiges Kapital tritt niemals in Form von Häusern, Maschinen und
anderen Dauergütern auf, sondern stets in Form von Lebensmitteln und ähnlichen
Konsumgütern parallel mit den durch die Sparvorgänge entbehrlich gewordenen, nun also
verfügbaren Arbeitskräften. Die heutige
Arbeitslosigkeit ist also nur eine Teilerscheinung des
Kapitalbildungsvorganges. Erst die Verwendung dieser Arbeitslosen für die Erstellung von
Kapitalgütern und ihre Entlohnung mit diesen Konsumgütern (aus kurzfristigem
Kredit) vollendet die Kapitalbildung. (jz3)
10. "Kreditausweitung" ist überflüssig und gefährlich; es genügt,
denjenigen Kreditspielraum wieder herzustellen, der vor der mit
Deflation verbundenen Rationalisierung be-
XIV
standen hatte;
schon dann ist die Absatzstockung beseitigt und der ins Stocken geratene Konsumgüterstrom
seinem Ziel wieder zugeleitet, nämlich dem Konsum der eben wieder eingestellten
Arbeiter.
11.
Diese Vollendung der Kapitalbildung mittels kurzfristiger
Baukapitalvorschüsse bewirkt zwangsläufig, daß die echten Spardepositen bei den
Banken und Sparkassen in wenigen Wochen um den vollen Betrag der Vorschüsse
steigen. Und zwar steigt die effektive Kapitalbildung nicht bei den Lohn- und
Gehaltsempfängern, sondern in den Betrieben, d. h. auf den Bankkonten der
geschäftlichen Unternehmungen. Es
bleiben nämlich die Verkaufserlöse unverändert, während die Abhebungen von Lohn-Geldern
bei den Banken sinken, so daß die Guthaben steigen.
12. So suchen wenige Wochen oder
Monate nach Beginn der Bauarbeiten zwangsläufig gerade soviel zusätzliche Kapitalien (genauer
Kapitaldisposition im Gegensatz zu den realen Gebrauchsgütern) Anlage,
wie nötig sind, um die Bankvorschüsse in Hypotheken, Anleihen, Aktien
usw. zu konvertieren. Die Banken erhalten damit ihre Vorschüsse zurück und werden
für neue Aktivität frei.
13. Die Technik dieser die Kapitalbildung
effektivierenden Vorschüsse ist aus dem deutschen
"antizipierten Emissionskredit" zu entwickeln.
14. Voraussetzungen einer Anwendung
dieser Methode in großem Stile sind: Die Senkung des Zinsniveaus, die
durchführbar ist, und eine Umgestaltung des Großbankgeschäfts in
Richtung auf die vor dem Kriege übliche und bewährte Tätigkeit dieser Institute.
15. Man kann also in Zukunft die
angebliche Unlösbarkeit des Problems der
Arbeitslosigkeit nicht mehr mit Kapitalmangel begründen: Ein solcher
besteht höchstens in dem Sinne, daß man versäumt, die vorhandene latente
Kapitalbildung effektiv zu machen. Es ist Sache eines Programms und des guten
Willens, das Versäumte nachzuholen und damit die Arbeitslosigkeit zu
beseitigen. Die Arbeitslosigkeit ist
kein rätselhafter Schlag des Schicksals, sondern eine Störungserscheinung, die
sich beheben läßt.
(J.Z.: Hat
die Österreichische Schule der Volkswirtschaft zu dieser Theorie schon irgendwo
Stellung genommen? Da sie so viel Wert auf die Kapitalbildung legt und jetzt
schon weit verbreitet ist, wäre es eigentlich an der Zeit, 75 Jahre später,
eine solche Stellungnahme endlich anzubieten. - J.Z., 4,7.05.)
____________________
Einleitung.
Die Arbeitslosigkeit.
1.
Geschichte der Arbeitslosigkeit.
a) Im klassischen Altertum konnte von
Arbeitslosigkeit als Massenerscheinung in unserm heutigen Sinne noch keine
Rede sein. Die Handarbeit wurde im wesentlichen den Sklaven überlassen, die als
Sachen galten und von ihren Eigentümern unterhalten wurden. Hätte Mangel an Beschäftigungsmöglichkeit
bestanden,
so hätte sich das in einem starken Angebot an Sklaven ausdrücken
müssen. Wir hören aber von derartigen Krisen nichts. Daß die damalige
Wirtschaftsordnung, in der manuelle Arbeit noch als verächtlich galt, fast
immer ausreichend Arbeitsgelegenheit bot, ist in dem rein agrarisch-regionalen
Charakter des damaligen Systems begründet. Die Verhältnisse waren leicht zu
übersehen, und die Schwierigkeiten, die unser
weltwirtschaftlich-industrielles Zeitalter gebracht hat, waren noch unbekannt
Nur einige geschichtliche Vorgänge
der damaligen Zeit lassen sich unter dem Gesichtspunkte der Arbeitslosigkeit
betrachten 1). Vielleicht ist z. B. der starke Drang nach kolonialer Expansion in Griechenland und
Rom zum Teil aus Übervölkerung und Arbeitslosigkeit zu erklären. Auch die
großartigen öffentlichen Arbeiten sollten nicht nur der Repräsentation dienen,
sondern auch Arbeit und Brot für die Massen geben. Perikles, der derartige
öffentliche Bauprojekte größten Umfanges in Athen durchführte, sprach selbst die Absicht aus,
alle Schichten der Bevölkerung dadurch zu ernähren und zufriedenzustellen. Auch
die Politik der öffentlichen Spenden kann als Maßregel zur Milderung der Folgen
von Arbeitslosigkeit betrachtet werden. In Athen soll im 5. Jahrhundert schon mehr als die
Hälfte der Bevölkerung von den Almosen des Staates gelebt haben. In
Rom bildete sich ein eigentliches "Proletariat" im I. Jahrhundert v.
Chr. aus den landlosen Leuten, die sich in der Hauptstadt ansammelten und vergebens
nach Arbeit sich umsahen. Das mit dem Latifundiensystem verbundene Bauernlegen nahm
immer
größeren Umfang an; die Regierungen sahen sich daher
_______________________________
1)
Ich schließe
mich hier eng an K. Kumpmann, Art. "Arbeitslosigkeit
und Arbeitslosenversicherung" im Hwb. d. St. (4), S. 791, an.
— 2 —
vor
die Notwendigkeit gestellt, die bedrohlich anwachsenden Scharen von mittellosen, aber politisch gleich-berechtigten
Leuten bei guter Stimmung zu erhalten.
Daher wurden seit der Zeit des jüngeren Gracchus (lex frumentaria) auch hier Getreidespenden verteilt, die als eine Art von Erwerbslosenunterstützung angesehen
werden können. Cäsar versuchte vergebens diese Spenden in eine geordnete Armenpflege umzuwandeln; vielmehr wurde
diese unentgeltliche Versorgung der
6. Steuerklasse immer umfangreicher und planloser. In der Kaiserzeit waren es bis 400 000 Menschen, deren Nahrung und Notdurft der Staat zu decken hatte.
b) Auch im Mittelalter gab es das Problem der
Arbeitslosigkeit noch nicht. Die Verhältnisse waren einfach, klein und übersichtlich; die Dorfwirtschaft mit
ihrem agrarischen Charakter beherrschte
den über-wiegenden Teil der Bevölkerung. Bis zum Ende des 1. Jahrtausends waren
die sozialen Verhältnisse durch das Lehnswesen in eine strenge traditionelle
Ordnung gefügt, die von unten nach oben hin jeden band, anderseits von oben
nach unten jeden beschützte. Die Stände waren erblich.
An dieser Lage änderte
sich vom 11. bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wenig. In Europa war
Deutschland das wirtschaftlich führende Land. Die bis 1410 siegreich
vordringende Kolonisation des deutschen Ostens schuf von Zeit zu Zeit Arbeitsgelegenheit
größten Umfanges. Die Lage der Bauern war bis ins 15. Jahrhundert fast überall
erfreulich. Gleichzeitig erlebte das Handwerk und mit ihm die deutsche Stadt
ihre Blütezeit.
c) Erst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts änderten sich
die Verhältnisse allgemein zum Schlechten, zuerst in England und Frankreich, dann in Deutschland.
Die Abhängigkeit der Bauern von den adligen Grundbesitzern begann ihre schlimme
Seite hervorzukehren. In England setzte um die Mitte des 15. Jahrhunderts jene
von Thomas Morus so anschaulich beschriebene Verdrängung der Bauern durch die
Schafzucht ein. Die Vergrößerung der
Weidewirtschaft im Interesse der Wollproduktion kostete bis zur Zeit Heinrichs VIII. etwa 50 000 Bauern die
Existenz, die nun Zuflucht im Heere und in der Stadt suchten. Die immer weiter
zunehmende Einhegung des Gemeindelandes durch den Adel entvölkerte mehr und
mehr das flache Land, indem der gesunde bäuerliche Mittelstand dadurch
ruiniert und vertrieben wurde. Das gutsherrlichbäuerliche Abhängigkeitsverhältnis
verschärfte sich insbesondere in Frankreich, und Deutschland in unerträglicher
Weise. Seit dem dreißigjährigen Kriege war die Lage des Bauernstandes in
Deutsch-
— 3 —
land unhaltbar geworden. Nachdem schon vorher die
Aufstandsversuche, die Bauernkriege, im Blute der Bauern erstickt worden waren, zogen immer
größere Massen freiwillig abgewanderter oder verjagter Bauern zur Stadt und
bildeten da mit fahrenden Leuten, entgleisten Studenten und arbeitslosen
Handwerksburschen ein neues städtisches Proletariat.
Auch die Zünfte waren in dieser Zeit
nicht mehr in der Lage, wie Versicherungskassen zu wirken. In der Blütezeit der
Zünfte hatte die festgefügte zünftliche Verfassung allen Mitgliedern eine dauernde Existenz gesichert;
notleidende Meister, Gesellen und Lehrlinge
waren ausreichend unterstützt worden, ein gewisser fester Absatz und Verdienst
war jedermann garantiert. Der Niedergang dieser zünftlerischen Wirtschafts-Verfassung ist dadurch gekennzeichnet, daß
sich die Zahl derer, die in diesen Institutionen kein Unterkommen gefunden hatten, von der Mitte des 16.
Jahrhunderts an rasch vermehrte.
Diese schutzlos dastehenden Massen, die sich teils aus dem entwurzelten
Bauerntum, teils aus arbeitslosen Gesellen zusammensetzten, waren in sehr schlimmer Lage 1). Ihnen war in der Regel schon von Gesetzes wegen jede Möglichkeit
genommen, sich gewerblich zu
betätigen; es blieb ihnen daher nur das Vagabundentum und die Bettelei mit ihren hohen polizeilichen
Strafen übrig. So vermochten
unternehmungslustige Führer im 30jährigen Kriege Heere von Zehntausenden "aus dem Boden zu stampfen", wenn sie nach Wallensteins Prinzip "der Krieg
ernährt den Krieg" nur Beute und
Nahrung versprachen. Auch im Frieden bildeten die Massen von Arbeitslosen, die als Bettler,
Landstreicher und Diebe herumzogen,
eine Landplage, der gegenüber alle Repressalien — Prügelstrafe, Gefängnis, Stäupen, Aufhängen — sich
als wirkungslos erwiesen.
Die spätmittelalterliche Arbeitslosigkeit hat einen
dichterisch edlen Ausdruck gefunden in einigen der von den Brüdern Grimm
gesammelten Märchen, z. B. den "Bremer Stadtmusikanten" und "Sechse
kommen durch die ganze Welt". Meist sind es entlassene Soldaten, die sich
nach langen treuen Diensten plötzlich dem Nichts gegenübersehen, und
altgewordene Arbeiter (das alte Pferd, der alte Esel, Jagdhund usw.), die ihr
Herr nicht mehr gebrauchen kann. Sie rotten sich voll Zorn zusammen, verbünden
sich gegen diejenigen, die sie ausgestoßen haben, und versuchen sich,
gemeinsam weiterzuhelfen; Die dichterische Lösung; die Grimm in diesen
_______________________________
1) Vgl. Petrenz, Die Arbeitslosigkeit, ihre statistische Erfassung und. ihre
Bekämpfung. Leipzig 1911.
- 4 -
Märchen bietet, ist, daß das reine Denken, eine gute
Idee, die einem unter ihnen einfällt, plötzlich das über sie gebreitete Netz des Elends
zerreißt und ihnen einen Weg zum Glück zeigt.
Vollends zerstört wurde das Zunftwesen
durch das Aufkommen der Manufakturen und der Kraftmaschinen (Wattsche
Dampfmaschine). Dadurch wurden die Preise vieler Waren derartig gedrückt, daß nicht nur die
außerhalb der Zünfte stehenden Massen, sondern die noch von ihnen
beschäftigten Bevölkerungsteile um ihren Verdienst kamen. Die
Unfähigkeit der zünftlerischen Gesellschaft und ihrer Führer, ihren Mitgliedern
Arbeit und Brot zu verschaffen, sollte die mittelalterliche Welt
vernichten, so wie sie die klassischen Gemeinwesen zerstört hatte. Sie hatte
im wesentlichen darin ihre Ursache, daß die Zahl der Gesellen, die jeder Meister
beschäftigen durfte, in den Zunftordnungen festgelegt war (Lassalle), so daß der über diese
Zahl hinausgehende Teil der Bevölkerung auch als Konsument ausfiel, indem keine
weitere Erwerbsmöglichkeit bestand. (jz4)
Ein weiterer Grund waren die
behördlichen und zünftlerischen Preisfestsetzungen, die alle Preissenkungen,
daher jede Erweiterung des Absatzes verboten und dadurch die Einstellung neuer
Arbeiter auch unlohnend machten. Die neue Zeit, d. h. die Abschaffung der Zünfte und die
allmähliche Einführung der Gewerbefreiheit, kam dann, weil die Überzeugung
allgemein geworden war, daß die zünftlerische Verfassung den Aufgaben der Zeit
nicht mehr gewachsen war, daß sie vielmehr das herrschende Elend nur verschlimmern
konnte.
d) Die darauffolgende
merkantilistische Übergangsperiode mit ihrer Armengesetzgebung 1) wurde
abgelöst durch den wirtschaftlichen Liberalismus,
der die staatliche Bevormundung durch den Grundsatz unumschränkter (? J.Z.)
Selbstbestimmung ersetzte. Vom (jz5) freien Wettbewerb erwartete man
damals nicht nur die Belebung aller wirtschaftlichen Kräfte, sondern auch die
Beseitigung der Arbeitslosigkeit.
Wenn erst die Schranken des Zunft- und Konzessionssystems gefallen
wären, würde jeder tätige Bürger, so glaubte man, auch den ihm
gebührenden Platz finden.
Diese Erwartungen sind enttäuscht
worden. "In krassem Widerspruch" sagt K. Kumpmann 2), "zu den Hoffnungen der
_______________________________
1)
Der Ertrag der Armensteuer, die zur Bezahlung der
Wohlfahrtslasten erhoben wurde, stieg von 1785 - 1813
in England von 2 004 238 £ auf 8 640 842 £. Da die
Gesamtbevölkerung nur 9 Mill. Personen betrug, von denen ein großer Teil zu den
Armen rechnete, war die Steuerbelastung infolge der
Armengesetze außerordentlich drückend; der
wirtschaftliche Erfolg der Armengesetze war, da nichts produziert wurde, minimal, und der demoralisierende Einfluß blieb bestehen. Vgl. Rogers,
Geschichte der englischen Arbeit, S. 322.
2)
Hwb.d.St,S.792.
- 5 -
liberalen Theoretiker standen die Tatsachen des 19. und
20. Jahrhunderts. Es erwies sich, daß gerade das Zeitalter des Liberalismus und des
Kapitalismus zugleich das Zeitalter der Arbeitslosigkeit, und zwar einer
ungeheuren unverschuldeten Arbeitslosigkeit des Proletariats werden sollte".
(jz6)
2. Umfang,
Gliederung und Entwicklung der Arbeitslosigkeit
in der neuesten
Zeit
Die Zahl der Arbeitslosen schwankt so stark, daß man sie
vorzüglich zum Gradmesser der Konjunkturen gemacht hat 1). Sie ist zeitlich
und räumlich, branchenmäßig und persönlich den stärksten Veränderungen
unterworfen. Sie tritt nicht nur in der Form voller Beschäftigungslosigkeit,
sondern auch in der milderen Form der Kurzarbeit auf.
Über die Schwankungen
der Arbeitslosigkeit innerhalb der einzelnen Berufe gibt folgende Tabelle
Aufschluß 2):
Die
Beschäftigungslosen im Vergleich zur Gesamtzahl der Arbeiter nach Berufsgruppen
____________________________________________________________________________________________
Berufsgruppen der Berufsabteilungen A – C Arbeitnehmer Von diesen waren in Proz. beschäftigungslos
(Landwirtschaft, Industrie und Handel) am am am
14.
VI. 1895 14. VI. 1895 2.
XII. 1895
_________________________________________________________________________________________
I. Landwirtschaft usw. 5
607 213 0,66 3,62
II. Forstwirtschaft und Fischerei 116 713 1,19
4,76
III. Bergbau, Hüttenwesen usw. 564 922 1,47
2,03
IV. Industrie der Steine und Erden 468 489 1 ,47 5,76
V. Metallverarbeitung. 719 775 2,89 3,75
VI. Maschinen, Werkzeuge usw. 304 463 2,57 3,44
VII. Chemische Industrie
92 582 1,94 2,29
VIII. Forstwirtschaftl. Nebenprodukte usw. 38
116 2,09
2,74
IX. Textilindustrie 878 494 1,64 1,92
X. Papier
121
256 2,60
2,86
XI. Leder
123
914 3,46
6,04
XII. Holz und Schnitzstoffe
456 229 2,93 4,00
XIII. Nahrungs- und Genußmittel 650 970 3,27 4,35
XIV. Bekleidung und Reinigung 775
671 3,13
5,42
XV. Baugewerbe 1
151 851 2,87 15,61
XVI. Polygraphisches Gewerbe 106
626 4,18
4,38
XVII. Künstler u. künstlerische Betriebe
18 756 3,59 5,51
XVIII. Fabrikarbeiter, Gesellen ohne nähere
Bezeichnung
28 542 4,96 35,66
XIX. Handelsgewerbe 626 637 3,52 4,24
XX. Versicherungsgewerbe
18 216 1,50 1,73
XXI. Verkehrsgewerbe 533 150 1,30 3,04
XXII. Beherbergung und Erquickung 316
951 2,54 4,92
13 725 825 1,77 4,80
_______________________________
1.)
z.B. Pigou in seinem Werk "Industrial
Fluctuations".
2.)
Hwb. d. St.
S. 799.
— 6 —
Wie groß die Schwankungen
sogar innerhalb der einen Gruppe "Holzarbeiter" sind, zeigt die
nachstehende Spezifikation aus den Jahren 1926/28 1):
Es waren arbeitslos 1926 1927 1928
bei den: % % %
Bürstenmachern 24,1 9,8 10,3
Drechslern 27,3 15,3 14,5
Stockarbeitern 21,6 11,7 22.1
Knopfmachern 45,6 21,4 27,8
Kammachern 51,2 35,8 24,5
Korbmachern 27,0 14,2 13,6
Klaviermachern 17,8 7,3 7,6
Stellmachern . 36,0 19,7 15,3
Tischlern 27,0 11,6 11,1
Stuhlbauern. 25,2 4,9 3,3
Polierern 28,3 8,6 7,6
Bildhauern 40,1 25,1 24,2
Schiffstischlern 29,3 13,3 11,2
Modelltischlern 18,9
7,0 7,3
Vergoldern 19,8 11,9 10,7
Maschinenarbeitern 24,7 10,7 9,5
Pantinenmachern. 9,5 2,2
4,8
Kistenmachern 22,0 8,3 6,9
Ebenso bedeutend sind die
zeitlichen Veränderungen der
Arbeitslosigkeit 2):
Arbeitslosigkeit unter den Mitgliedern der
Gewerkschaften in den Jahren 1924-1929
Jahr Jan Feb. Mar April Mai Juni Juli Aug Sept. Okt. Nov. Dez.
In Prozenten
1. Alle Gewerkschaften
1924 26,5 25,1 16,6 10,4 8,6 10,5 12,5 12,4 10,5 8,4 7,3 8,1
1925 8,1 7,3 5,8 4,3 3,6 3,5 3,7 4,3 4,5 5,8 10,7 19,4
1926 22,6 22,1 21,6 18,7 18,3 18,3 17,9 17,0 15,6 14,5 14,5 17,2
1927 16,9 15,9 11,8 9,0 7,1 6,4 5,6 5,1 4,7 4,6 7,6 12,9
1928 11,4 10,5 9,3 6,9 6,3 6,2 6,3 6,5 6,6 7,3 9,4 16,7
1929 19,4 22,3 16,8 11,1 9,1 8,6 8,6 9,0 9,6 11,0 -,- -,-
2. Konjunkturgruppe
1924 19,5 18,8 13,1 10,1 8,8 10,6 12,8 12,7 11,2 8,8 6,9 6,2
1925 6,0 5,4 4,7 4,3 3,7 3,5 3,7 4,2 4,5 5,7 8,2 14,7
1926 18,2 19,1 19,7 17,6 17,8 18,0 17,9 17,1 15,6 14,0 13,1 13,3
1927 12,4 11,7 10,0 8,5 7,3 6,7 6,o 5,4 4,8 4,3 4,7 6,2
1928 6,4 6,2 5,9 5,8 5,9 6,0 6,3 6,5 6,4 6,5. 7,3 9,5
1929 10,3 11,4 10,6 9,2 8,6 8,4 8,6 8,6 8,9 9,2 -,- -,-
_______________________________
1)
Vgl. W. Woytinsky, Der deutsche Arbeitsmarkt, Ergebnisse der
gewerkschaftlichen Arbeitslosenstatistik 1919-1929, Berlin 1930, S. 41.
2)
ebendort S.
51.
- 7 -
In Prozenten
3. Saisongruppe.
Jahr Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug Sept. Okt. Nov. Dez.
1924 68,8 69,4 34,0 13,4 7,9 8,5 9,4 10,1 7,4 5,9 9,0 19,6
1925 21,1 18,7 12,0
5,0 3,1 2,8 3,3 4,7 4,7 6,8 5,4 42,8
1926 48,4 38,9 32,0 24,9 21,1 19,8 18,2 16,5 15,6 16,8 21,0 35,9
1927 39,4 37,3 20,8 11,9 6,4 4,9 3,9 3,7 3,9 5,5 20,6 44,0
1928 34,1 30,1 24,6 12,0 8,1 7,0 6,0 6,5 7,4 10,3 18,5 46,7
1929 58,4 68,1 43,4 19,2 11,0 9,2 8,9 10,4 12,8 17,7 -,- -,-
Über
den Grad der Kurzarbeit gibt folgende
Tabelle Aufschluß 1).
Jahr Von 100 Gewerk- Durchschnittliche Durchschnittlicher wöchentlicher
schaftsmitgliedern Verkürzung der Arbeitszeitausfall auf
standen
in Arbeitswoche in 1 Gewerkschaftsmitglied
Kurzarbeit Stunden in Stunden in %
1926
Januar 22,4 17,0 3,8 7,9
Februar 21,4 17,1 3,7 7,6
März 21,3 17,1 3,6 7,6
April 18,4 17,0 3,1 6,5
Mai 17,4 16,8 2,9 6,1
Juni 16,4 16,5 2,7 5,6
Juli 15,9 16,3 2,6 5,4
August 14,4 15,7 2,3 4,7
September 12,1 15,1 1,8 3,8
Oktober 9,8 14,2 1,4 2,9
November 8,1 13,9 1,1 2,3
Dezember 7,1 14,2 1,0 2,1
1927
Januar 6,4 13,5 0,9 1,8
Februar 5,7 13,0 0,7 1,5
März 4,3 12,7 0,5 1,1
April 3,6 12,5 0,5 0,9
Mai 2,8 12,2 0,3 0,7
Juni 2,6 12,3 0,3 0,7
Juli 2,6 12,8 0,3 0,7
August 2,8 12,0 0,3 0,7
September 2,4 12,3 0,3 0,6
Oktober 2,6 12,3 0,2 0,5
November 2,1 12,3 0,3 0,5
Dezember 3,0 13,8 0,4 0,9
1928
Januar 3,5 12,5 0,4 0,9
Februar 3,5 12,3 0,4 0,9
März 3,6 12,2 0,4 0,9
April 4,1 12,1 0,5 1,0
Mai 4,8 12,7 0,6 1,3
Juni 5,6 12,6 0,7 1,5
_______________________________
1) ebendort S. 70-71.
- 8 -
Juli 6,1 12,6 0,8 1,6
August 6,6 12,8 0,9 1,8
September 6,3 12,3 0,8 1,6
Oktober 6,3 12,0 0,8 1,6
November 7,1 11,7 0,8 1,7
Dezember 7,0 13,1 0,9 1,9
1929
Januar 8,2 12,0 1,0 2,1
Februar 8,5 12,5 1,1 2,2
März 7,5 13,1 1,0 2,0
April 6,6 12,6 0,8 1,7
Mai 6,3 13,4 0,8 1,8
Juni 6,2 12,8 0,8 1,7
Juli 6,5 13,4 0,9 1,8
August 6,7 12,9 0,9 1,8
September 6,5 13,1 0,9 1,8
Oktober 6,7 12,8 0,9 1,8
Die regionale Verschiedenheit der Arbeitslosigkeit innerhalb
Deutschlands war gleichfalls sehr verschieden;
von 100 Gewerkschaftsmitgliedern in den einzelnen Bezirken waren im Jahresdurchschnitt
1928 arbeitslos 1):
Bezirke %
Ostpreußen..................... 18,5
Schlesien................... 11,3
Pommern..................... 16,0
Nordmark....................
7,6
Brandenburg................ 7,9
Sachsen.......................
7,6
Mitteldeutschland......... 8,5
Hessen.........................
10,8
Bayern......................... 9,5
Niedersachsen.............. 7,4
Westfalen........................ 6,8
Rheinland...................... 8,3
Südwestdeutschland........ 5,9
Reich 8,6
Faßt man die Gesamtzahl aller
Arbeitslosen ins Auge, so kann man schätzen, daß vor dem Kriege im Durchschnitt 2 - 3 % der gesamten Arbeiterschaft arbeitslos waren. Dieser Prozentsatz
verteilte sich auf die einzelnen Jahre und Monate, wenn man sich auf die Gewerkschaftsmitglieder
beschränkt, wie folgt:
_______________________________
1)
ebendort S.
95.
— 9 -
Arbeitslose
unter den Gewerkschaftsmitgliedern in v. H. 1).
Ende des Monats
Jahr Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez
/Im Durchschnitt
__________________________________________________________________________________________
1903 3,2 2,3 2,6 -
1904 2,0 2,1 1,8 2,4 2,1
1905 1,6 1,5 1,4 1,8 1,6
1906 1,1 1,2 0,8 0,7 1,0 1,1 1,1 1,6 1,1
1907 1,7 1,6 1,3 1,3 1,4 1,4 1,4 1,4 1,4 1,6 1,7 2,7 1,6
1908 2,9 2,7 2,5 2,8 2,8 2,9 2,7 2,7 2,7 2,9 3,2 4,4 2,9
1909 4,2 4,1 3,5 2,9 2,8 2,8 2,5 2,3 2,1 2,0 2,0 2,6 2,8
1910 3,6 2,3 1,8 1,8 2,0 2,0 1,9 1,7 1,8 1,6 1,6 2,1 1,9
1911 2,6 2,2 1,9 1,8 1,6 1,6 1,6 1,8 1,7 1,5 1,7 2,4 1,9
1912 2,9 2,6 1,6 1,7 1,9 1,7 1,8 1,7 1,5 1,7 1,8 2,8 2,0
1913 3,2 2,9 2,3 2,3 2,5 2,7 2,9 2,8 2,7 2,8 3,1 4,8 2,9
1914 4,7 3,7 2,8 2,8 2,8 2,5 2,9 22,4 15,7 10,9 8,2 7,2 -
Bei einer Gesamtzahl von 21 000 000
Personen waren das durchschnittlich 500 000 - 600 000 Arbeiter.
Bei Beginn des Weltkrieges, als alle Aufträge annulliert wurden und die
Friedensproduktion in weitem Maße eingestellt werden mußte, stieg die
Arbeitslosigkeit gewaltig. Legt man die Berichte der Gewerkschaften
zugrunde, so war die Zahl der arbeitslosen Mitglieder im Juli 1914 2,8 %, im
August 22,4 %, im September 15,7 % und im Oktober 10,9 %.
Die Einziehungen zum Heeresdienst und
die Umstellung der Produktion auf den Kriegsbedarf machten nun ihre
Wirkungen auf den Arbeitsmarkt geltend. Bald waren 4 Millionen Arbeiter unter den Waffen.
Seit dem Winter 1916/17 (Hindenburgprogramm) trat Arbeitermangel größten Ausmaßes an
die Stelle der Arbeitslosigkeit. Im Jahre 1917 entfielen auf je 100 offene Stellen nur 54 männliche
und 97 weibliche Arbeitsgesuche (im Januar 1929 lauteten die entsprechenden Zahlen 767
und 337.).
Mit der Demobilmachung kehrten nicht nur etwa 8 Millionen
Heeresangehörige, sondern auch etwa 1 Million Flüchtlinge nach den alten
Arbeitsplätzen zurück. Überraschend schnell gelang es, für diese Massen Arbeit zu
finden, worauf später noch einzugehen sein wird. Die Arbeitslosigkeit, die mit 1 100
000 Unterstützten im Februar 1919 ihren Höhepunkt erreicht hatte, sank infolge der
Inflation von April an rasch. Ähnlich war die Entwicklung in den
andern Ländern. Während das Internationale Arbeitsamt in Genf die
Gesamtzahl der Arbeitslosen in den 20 größten Ländern
_______________________________
1) ebendort S. 102.
— 10 —
für Ende 1910 auf 10 835 000 geschätzt hatten, betrug sie
nach der Berechnung dieses Amtes
1914 13 222 000 und
Ende 1919 32 680 000 Personen; in Europa allein
1910 8 500 000 und
1919 mehr als
26 000 000 Menschen.
In derselben Zeit, die in
Deutschland die Inflation und damit das Verschwinden der Arbeitslosigkeit brachte, trat
in den meisten andern Hauptländern der Welt nach der kurzen inflationistischen Nachkriegsperiode
schon im Jahre 1920/21 ein deflationistischer
Rückschlag ein, der eine Arbeitskrise
größten Ausmaßes brachte. Die Arbeitslosigkeit erreichte einen Höhepunkt, wie er
noch nicht erreicht worden war, seitdem es eine Statistik der Arbeitslosigkeit gab. Im
Januar 1921 betrug die Arbeitslosigkeit in Massachusetts (U.S.A.) 32 % 1), in Dänemark (Februar 1922) 29 %,
Norwegen (Januar 1922) 23%, Holland (März 1922) 21 %, England (Juli
1921) 18 %, in Belgien (Januar 1921) 17 %, Canada (April 1921) 16
1/2 %, in Australien (Juli 1921) 12 1/2 %. Man hat berechnet, daß
allein im Jahre 1921 nicht weniger als 10 Milliarden Goldfranken an
Erwerbslosenunterstützung gezahlt worden sind 2). Nach einigen
besseren Jahren erreichte die Arbeitslosigkeit der Welt im Winter
1929/30 wieder einen Höhepunkt, der sie an die Ziffern des Jahres 1920/21
heranführte. Im März 1930 gab es in Deutschland etwa 3,2 Millionen Erwerbslose, von
denen unterstützt wurden.
von der Reichsanstalt.................... 2 400
000
" " Krisenfürsorge.................. 160 000
" " Wohlfahrtspflege ........... 200 000
2 760000
Von 100 Gewerkschaftsmitgliedern waren arbeitslos
Monatsende Januar Februar März April |
1923 4,2 5,2 5,6 7.0 |
1924 26,5 25,1 16,6 10,4 |
1925 8,1 7,3 5,8 4.3 |
1926 22,6 22,1 21,6 18,7 |
1927 16,9 15,9 11,8 9,0 |
1928 11,4
10,5 9,3 6,9 |
1929 19,4 22,3 16,8 11,1 |
1930 22,2 23,7 21,9 20,5 |
In England
betrug die Zahl der Arbeitslosen zur gleichen Zeit etwa 2 Millionen, in den Vereinigten
Staaten war sie auf die noch nicht vorgekommene Zahl von 5 Millionen gestiegen 3)
und auch
in Japan überschritt sie 1Million. Allein in den Haupt-
_______________________________
1)
In den
Vereinigten Staaten von Amerika zusammen über 4 500 000 Personen.
2)
Hwb. d. St.,
S. 802.
3)
Nach der New
York Times vom 29. Juni 1930 ist die Mindestzahl 6 600 000.
— 11 —
ländern Europas (ohne Rußland 1)) und in den Vereinigten
Staaten waren im Frühjahr 1930 etwa 12 Millionen Menschen arbeitslos. Rechnet man die
Zahl der Angehörigen mit, so kommt man auf etwa 30 Millionen Personen, die
infolge von Arbeitslosigkeit ohne Einkommen waren, die also außerhalb des volks-wirtschaftlichen
Tauschprozesses standen.
3. Schäden der Arbeitslosigkeit.
Allein von 1919—1929 soll die
Gesamtsumme der ausgezahlten Erwerbslosenunterstützungen
in der ganzen Welt über 25 Milliarden Goldfranken
betragen haben. Der gleichzeitige Ausfall an Gütererzeugung wird für Europa und dieselben Jahre auf
30 - 40, für die Erde sogar auf 100 Milliarden Goldfranken geschätzt; er war
danach also mehr als doppelt so hoch, als der Barwert der Young-Annuitäten heute ist. Die seit 1922 weiter eingetretenen materiellen Verluste können auch nicht annähernd berechnet werden.
Viel wichtiger noch sind die moralischen und politischen Schäden.
"Die Arbeitslosigkeit ist die
gefährlichste soziale Erkrankung des Volkskörpers, gefährlich vom Standpunkt
der unmittelbar betroffenen Arbeiter, der gesamten Arbeitnehmerschaft wie der Allgemeinheit.
. . . Die Erfahrung zeigt nur zu häufig das folgende Bild: Der Arbeiter
verliert seine Stelle, Ersparnisse fehlen oder sind schnell verzehrt, eine
Zeitlang fristet die Arbeiterfamilie durch den Verkauf von entbehrlichem,
dann von unentbehrlichem Hausrat, Möbeln, Kleidern die Existenz. Bleiben alle
Bemühungen des Familienvaters, unterzukommen, ohne Ergebnis, dann folgt das krasse Elend, der
Kampf ums Leben. Wirtschaftlich, körperlich und seelisch sinkt
die bisher ordentliche Familie mit reißender Schnelligkeit abwärts. Bald sind
alle Dämme niedergerissen, jede Art von Verderbnis findet leichten Eingang 2)."
Das körperliche
Elend und der seelische Druck, unter dem der Arbeitslose lebt, muß ihn zu Gefühlen
des Hasses gegenüber der herrschenden Gesellschaftsordnung führen, welche
diese auch sei. G. Adler hat daher an Hand
der Geschichte nachgewiesen, daß fast alle Aufstände früher und jetzt mit den
Massen der Erwerbslosen gemacht worden sind, die glauben, ein Recht auf alles
_______________________________
1.)
In Rußland waren nach dem Soviet Union Year-Book
1929, S. 465, am 1. X. 1928 1 374 000
registrierte Arbeitslose vorhanden, bei einer Industriearbeiterschaft von 5 - 6 Mill., also etwa 25 %. Im Jahre 1930
war die Ziffer nach der Roten Fahne fast dieselbe.
2.)
K. Kumpmann,
a. a. O. S. 803.
—
12 —
zu besitzen, da
ihnen alles verweigert wird 1). Mit Recht sagt daher Lindner:
"Vergebens ist das Ansinnen der
Rechtsgesellschaft an den einzelnen Menschen, die bestehenden Rechte zu respektieren, wenn sich dieser
Einzelne innerhalb des bestehenden Rechtssystems wie ein Verlassener vorkommt,
angewiesen auf die wenig trostvolle Aussicht, in diesem System zu verhungern 2)".
Es ist offenbar,
daß auch
in Deutschland die radikalen Parteien immer in den Jahren den größten
Zulauf gehabt haben, in denen die größte Arbeitslosigkeit herrschte. Dazu
kommt, daß die neueste Zeit eine Arbeitslosigkeit unter den Kopfarbeitern,
den kaufmännischen und technischen Angestellten und den leitenden Personen des
Wirtschaftslebens mit sich gebracht hat, wie sie früher nicht bekannt war. Nur sehr wenige dieser "am
laufenden Band produzierten" 3) Intellektuellen
werden das Erlebnis vorübergehender oder dauernder Arbeitslosigkeit zum Anlaß für ein Studium der Frage
nehmen; die Mehrzahl auch dieser
wichtigen Schicht wird vielmehr dem Radikalismus anheimfallen.
Zu der
Erscheinung der Arbeitslosigkeit selbst gesellt sich noch die alles
überschattende Furcht vor
Arbeitslosigkeit. Wenn in Deutschland allein 3/4 aller Verdiener binnen Tagen oder wenigen Wochen
gekündigt werden können 4), wenn sie also täglich den Abgrund vor
sich sehen, so muß das auf ihre Nerven, auf ihre Fähigkeit zu ruhigem Denken, zu
tieferer geistiger Tätigkeit und zu Lebensgenuß einen zerstörenden Einfluß haben.
Familie und Kinder bringen lebens-lange
Verpflichtungen für den Ernährer mit sich, denen nicht etwa
gleichwerte, lebenslange Ansprüche gegenüberstehen,
sondern Rechte, die durch eine 1000 oder 10 000 km entfernt vollzogene Fusion
oder das Stirnrunzeln eines Abteilungsleiters fast sofort beendet werden
können. Diese Unsicherheit der wirtschaftlichen Existenz würde unschädlich sein,
wenn stets Gewißheit bestände, für die verlorene eine neue Stelle zu
bekommen. Der absolute Mangel an Arbeitsgelegenheit verhindert das aber. So ist
_______________________________
1.)
Herkner sagt in seiner "Arbeiterfrage":
"Man kann nicht erwarten, daß unsere Arbeiter mit der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung einen aufrichtigen Frieden schließen, solange sie
ihnen keine ausreichende Schutzwehr gegen den Abgrund der Arbeitslosigkeit
errichtet".
2.)
Zitiert bei C. Buschmann, a. a. O. S. I.
3.)
Ausdruck von Hans Zehrer in der neuen "Tat".
4.)
Selbst nach dem H. G. B. in nur
6 Wochen. Dabei stellt die Fassung des Gesetzes
und die Rechtsprechung selbst allen
Versuchen wohlmeinender Unternehmer, wenigstens
mit einzelnen Arbeitnehmern eine langfristige oder lebenslängliche Anstellung zu
vereinbaren, fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen.
— 13
—
die Arbeitslosigkeit auch die
tiefere Ursache eines großen Teils der politischen, sozialen und
kulturellen Unrast, die das heutige Leben nachteilig beeinflußt
4. Der Absatzmangel und sein Verhältnis zur Arbeitslosigkeit
Wenn ein
Arbeiter oder Angestellter sein Produkt, d. h. seine Arbeit, nicht
verwerten oder verkaufen kann, so nennen wir ihn arbeitslos; ist der
Unternehmer in dieser Lage, so sprechen wir von Absatzmangel. Beide Erscheinungen
sind einander überaus ähnlich, beide treten auch zumeist gleichzeitig auf. Wie
der Arbeiter mehr oder weniger passiv warten muß, bis ein Arbeitgeber
erscheint, der ihn anzustellen bereit ist, ebenso muß der Unternehmer auf die Aufträge warten,
mit denen er allein seine Fabrik in Gang halten und seine Läger verkaufen kann. Der
Laie glaubt häufig, für die Schaffung von Volksreichtum wäre die Produktion
immer größerer Gütermassen in erster Linie erforderlich; zu dem Zwecke sei
Steigerung der Produktion durch technische Höchstleistungen, Serienfertigung
usw. der beste Weg. Die Schwierigkeit, die so produzierten
Warenmengen in die Hand des Verbrauchers zu bringen, wird von den Vertretern
dieser mehr technischen Wirtschaftsauffassung unterschätzt. Das Absatzproblem ist
heute so wichtig geworden, daß das Produktionsproblem vergleichsweise in den Hintergrund tritt:
Fast sämtliche Fabriken und Industrien des Landes könnten mühelos 30 - 50 %
mehr produzieren, da ihre Produktionskapazität nur zu 50 - 70 % ausgenutzt ist,
wenn nur genügender Absatz vorhanden wäre. Der Kenner des Wirtschaftslebens weiß, daß
Produzieren sozusagen "eine Kleinigkeit" ist, wenn nur das Problem
des Absatzes dieser großen Gütermassen lösbar wäre. Tatsächlich bemühen
sich aber soviele Menschen um die Steigerung des Absatzes, daß die Kosten der
Waren beim Konsumenten wohl zu mehr als ein Drittel aus Verkaufspesen bestehen. Die
Inseratenteile der Presse sind angefüllt von Warenangeboten, von dem Schrei
nach Angestellten, die fähig sind, den Absatz zu vergrößern ("Verkaufskanonen");
die Zeit der Leiter aller großen Unternehmungen ist zum größten Teile mit Bemühungen
um Absatz ausgefüllt Überall rufen riesige Läger, die zu verderben oder zu veralten
drohen, nach Absatz: Der Absatzmangel ist
das beherrschende Problem der modernen
Industrie geworden. Das ist um so
überraschender, als gleichzeitig Millionen von Menschen ohne Arbeit und
Einkommen sind, die eine voll
- 14 -
ausreichende
Konsumkraft haben würden, um der Not der Fabrikanten und Händler abzuhelfen. Je
stärker der Absatzmangel ansteigt, um so mehr pflegt die Arbeitslosigkeit zu
wachsen, und umgekehrt. Die Entsprechung
von Arbeitslosigkeit und Absatzmangel ist bisher viel
zu wenig beachtet worden; sie aufzuklären und aus ihr die Lösung beider Probleme zu entwickeln, soll eine der Aufgaben dieser Abhandlung sein.
In zunehmendem Maße erregt die
neue Problemstellung das Interesse der Wissenschaft. So lesen wir bei Foster und Catchings1):
"Wir haben gesehen, daß die
ökonomische Organisation der Gesellschaft innerhalb bestimmter Perioden ihren
Hauptzweck, für Produktion und Distribution zu sorgen, nicht erreichen kann. Das
war z. B. das Unglück der Vereinigten Staaten während der Depression von 1921. Machen wir uns
ein Bild davon: Die Lagerhäuser waren überfüllt mit Baumwolle, Wolle, Leder, Holz,
Kupfer, Chemikalien,— ein Reichtum, der die Träume früherer Generationen weit
übertraf. Weit ausgedehnte Fabrik- und Maschinenanlagen von unvergleichlicher Kapazität,
und dabei Millionen müßiger Hände, bereit zu arbeiten, hundert Millionen unserer
Landsleute, bereit, diese unzähligen Dinge zu genießen, die diese müßigen
Menschen an jenen müßigen Maschinen mit Freude hergestellt haben würden, ja mit
Leichtigkeit
in dieser Zeit wissenschaftlicher Zauberei aus dem Rohstoffüberfluß
hätten herstellen können. Aber Monat um Monat dauerte die Depression; Rohstoffe,
Maschinen, Geld, Menschen — alles im Überfluß, nur nicht die Möglichkeit, sie unmittelbar miteinander in produktive Beziehung zu bringen".
Mit derselben
Klarheit erkennt Prof. Julius Hirsch die
heutige Lage:
"Es bleibt
schon ein etwas merkwürdiger, sagen wir ruhig ein etwas sinnwidriger Zustand, daß wir
nun im dritten Jahre in Deutschland einen ungeheuren ungedeckten Bedarf auf
einem der wichtigsten Gebiete menschlichen Gebrauchs und Verbrauchs feststellen . . . Hier der ungeheure ungedeckte Bedarf, dort die Arbeitshände,
deren Inhaber nichts sehnlicher wünschen,
als diesen Bedarf zu befriedigen, und
zwischen beiden ist merkwürdigerweise auch das Kapital da, manchmal so viel, daß es in Deutschland keine
Anlage finden konnte, sondern sie
zum mindesten als tägliches Geld im Auslande suchen mußte. Hier der ungeheure ungedeckte Bedarf, dort die freien Arbeitshände, zwischen beiden bildet sich
danieder unerhörten Arbeitsamkeit des
deutschen Volkes auch das Kapital wieder, das
_______________________________
1) Vgl Foster
und Catchings,"
"Profits", Boston 1925, zitiert nach E. Altschul, Mag. d. W., 1930,
S. 13.
— 15 —
den volkswirtschaftlichen Sinn und Beruf hat, die beiden zusammenzuführen.
Der ungedeckte Bedarf, die Beschäftigung
suchenden Arbeitshände, das Kapital, alle drei sind da, sie kommen bloß nicht zusammen.
Also muß doch etwas nicht richtig sein im Staate Deutsches Reich" 1).
Wir glauben daher nicht zuviel zu sagen, wenn wir die
Frage der Arbeitslosigkeit und des Absatzmangels die wichtigsten Probleme der
nächsten Jahrzehnte nennen, von deren Lösung die Antwort auf die Frage:
"Aufstieg oder Niedergang"? abhängt. Wenn es heute auch nur möglich
ist, die Grundlinien der Lösung aufzuzeigen, so darf dieses Mißverhältnis
zwischen Aufgabe und Leistung nicht zum Schweigen verleiten. Es muß gelingen,
zwischen den überflüssigen Vorräten, die die Existenz von Hunderttausenden von
Unternehmern zu ruinieren drohen, und den Arbeitslosen dieselbe Verbindung
herzustellen, die zwischen den in Arbeit befindlichen Arbeitern und den Lägern
schon längst besteht. Es muß versucht werden, die Arbeitslosen in den Konsum
wieder einzuschalten, damit die Läger geräumt und dadurch neue
Arbeitsgelegenheit zu ihrer Wiederauffüllung geschaffen werden kann.
Vor einer solchen
Untersuchung ist der vielfältige Begriff der Arbeitslosigkeit in seine
Hauptarten zu zerlegen. Hieraus können sich Anhaltspunkte für die Gründe der Arbeitslosigkeit ergeben.
5. Arten der Arbeitslosigkeit.
Wir können mit K.
Kumpmann folgende Arten der Arbeitslosigkeit unterscheiden 2):
A. Subjektive Arbeitslosigkeit.
I. Infolge von Unfähigkeit des Arbeiters:
1. Aus körperlichen Gründen >)
2. Aus geistigen Gründen >)> absolute oder relative Unfähigkeit
3. Aus sittlichen Gründen >)
II. Infolge von Unwilligkeit des Arbeiters:
1. Allgemeine Arbeitsscheu
2. bei den vorhandenen
Arbeitsbedingungen
a) freiwilliger
Austritt (oder verschuldete Entlassung)
b) Streik und
Aussperrung (soweit die Ursachen beim Arbeiter liegen).
B. Objektive Arbeitslosigkeit:
I. Infolge von Unauffindbarkeit der vorhandenen
Arbeitsgelegenheit (mangelhafter Organisation des Arbeitsmarktes).
_______________________________
1.)
Vgl. den
Bericht über den Handel in "Das Problem der gegenwärtigen
Arbeitslosenkrise in Deutschland", Berlin, 1927, S. 71.
2.)
a.a.O. S.
793.
— 16 —
II. Infolge von Arbeitsmangel:
1. Relativer Arbeitsmangel: der Unternehmer
will keine Arbeit geben:
a) aus persönlichen Gründen
b) aus wirtschaftlichen Gründen.
2. Absoluter Arbeitsmangel: der Unternehmer
kann keine Arbeit geben:
a) unregelmäßig eintretender
Arbeitsmangel (Konjunkturarbeitslosigkeit) hervorgerufen durch:
α) elementare
Ursachen
β)
gesellschaftlich-politische Ursachen
γ)
wirtschaftlich technische Ursachen
δ) durch
Umlaufsstörungen
b) regelmäßig eintretender
(periodischer) Arbeitsmangel:
α)
Modearbeitslosigkeit
β)
Saisonarbeitslosigkeit
γ)
Winterarbeitslosigkeit.
Wir möchten noch hinzufügen:
c) dauernd vorhandener
Arbeitsmangel, hervorgerufen durch Kreditstörungen (Dauerarbeitslosigkeit).
Im folgenden werden wir uns nicht mit der subjektiven,
sondern nur mit der objektiven
Arbeitslosigkeit, insbesondere aber mit dem absoluten Arbeitsmangel
befassen. Diese ist die "wahre Arbeitslosigkeit" (Lorenz von Stein):
die Unmöglichkeit, Arbeit zu finden, obwohl der Arbeiter in jeder Weise
geeignet und willens ist, zu arbeiten, obwohl eine ausgezeichnete Organisation
des Arbeitsmarktes es möglich macht, den rechten Mann an den rechten Platz zu
stellen, obwohl auch der einzelne Unternehmer seinerseits alles tun möchte, um
Arbeitskräfte einzustellen. Hier handelt es sich also um die Unfähigkeit der
Wirtschaftsorganisation, den Arbeitern zu erlauben, sich in den Produktions-
und Konsumprozeß einzuschalten. Wenn die objektive Arbeitslosigkeit erst einmal
beseitigt worden ist, so wird man die subjektive Arbeitslosigkeit leicht der
Fürsorge und die periodische Arbeitslosigkeit den Ausgleichsmaßnahmen
überlassen können. Ein eigentliches Arbeitslosenproblem wird dann nicht mehr
bestehen; dieses besteht nicht in persönlichem Unglück und sachlichen Zufällen,
die die Arbeitsleistung eines Menschen verhindern, ist vielmehr eine
Massenerscheinung, die auf eine Diskrepanz größten Ausmaßes zwischen
Herstellung und Konsum hindeutet.
— 17 —
6. Definition und
Wesen der objektiven Arbeitslosigkeit.
Mit mehr oder weniger juristischen Definitionen wird man
dem Begriff der Arbeitslosigkeit im volks-wirtschaftlichen Sinne nicht gerecht.
Wenn z. B. Petrenz definiert: "Arbeitslos
ist jeder arbeitsfähige Arbeitnehmer, der seine Stellung ohne Verschulden verloren
und trotz Suchens nach Arbeit eine angemessene Beschäftigung noch nicht
gefunden hat" 1), so sind damit keinerlei volkswirtschaftlich faßbare
Merkmale gegeben. Die eigentliche Definition wird sich aus dem Verlaufe der
nachstehenden Untersuchungen heraus ergeben; sie wird an die Begriffe des
volkswirtschaftlichen Güterumsatzes und der Kapitalbildung anzuknüpfen haben.
Wir können einmal davon ausgehen, daß die Menschen sich
einander in ihrer Eigenschaft als Konsumenten Aufträge erteilen, die sie in
ihrer Eigenschaft als Produzenten ausführen. Fällt eine Person als Konsument
aus, so fällt sein Konsum, mithin seine Warenbestellung bei den Produzenten
weg. Die Produktion muß eingeschränkt werden, es wird also ebenfalls eine
Person in der Produktion überflüssig und arbeitslos. Diese Wurzel der Arbeitslosigkeit
bezeichnen wir als Störungen im Güterumsatz und im Umsatzkredit, konkreter
gesagt, als Störungen in dem Austausch zwischen den 32 Millionen wirtschaftlich
tätigen Personen Deutschlands und den vielleicht 10 Millionen Zins- und
Differentialrentenempfängern untereinander.
Eine ganz andere Wurzel der objektiven Arbeitslosigkeit
ist in der Kapitalbildung zu finden. Diese bedeutet, wie wir sehen werden,
nichts anderes, als das Freiwerden von Arbeitern in den vorhandenen Produktionen,
insbesondere in der Konsumgüterindustrie, und ihre Überführung in andere
Produktionen, insbesondere in die Industrie langlebiger Kapitalgüter. Sie ist
in einer allgemeinen Reichtumssteigerung begründet. Diese äußert sich darin,
daß die Volkswirtschaft in der Lage ist, ihre sämtlichen Glieder durch die
Arbeit einer immer kleineren Anzahl von Arbeitskräften mit der täglichen
Nahrung und Notdurft zu versorgen, so daß immer mehr Arbeitskräfte zur
Verfügung stehen, um die heiß erstrebten langlebigen Güter, insbesondere
Produktionsmittel, zu erzeugen. Wenn in dem bei dieser Kapitalbildung nötigen
Übergange der Arbeiter von der einen zu einer andern Produktion sich Störungen
zeigen, so kann ebenfalls
Arbeitslosigkeit größten Umfanges
eintreten.
_______________________________
1)
Dr. Otto
Petrenz, a. a. O., 1911, S. 7.
— 18 —
Dieses ist die zweite volkswirtschaftliche Wurzel der
objektiven Arbeitslosigkeit.
Das volkswirtschaftliche Problem der Arbeitslosigkeit läßt
sich, wenn man von diesen Grundstellungen ausgeht, noch in einer höheren Ebene
betrachten, ganz ohne jede Rücksichtnahme auf das Einzelschicksal der
Betroffenen und sogar der Betroffenen als Klasse. Wenn wir uns die gesamte
deutsche Wirtschaft als eine einzige große Fabrik vorstellen, in der alle
Einwohner arbeiten und von deren Ertrag sie leben, so ist Arbeitslosigkeit nichts anderes, als ein Beweis für eine geringe
Ausnützung der Produktionskapazität dieser Fabrik. Wir wissen aber, daß die
innerbetriebliche Kapitalbildung in stärkstem Maße abhängig ist von dem Grade
der Ausnutzung der vorhandenen Fabrikationsanlagen; solange also die
gesamtdeutsche Produktionskapazität nur zu 65 % ausgenutzt ist, wird die
Kapitalbildung gering und die wirtschaftliche Lage Aller schlecht sein.
Verwendet man dagegen die brachliegenden Kräfte der Millionen von Arbeitslosen,
um mehr Güter zu produzieren, so muß die Gesamtheit reicher werden. Die
erhöhten Ausgaben für Löhne brauchen dabei nicht veranschlagt zu werden, da ein
Teil der Neueingestellten ja dazu benutzt werden kann, um das herzustellen, was
sie brauchen. Eine solche Beschäftigung der Erwerbslosen hat nun keineswegs
nur die Wirkung, daß Ertrag und Kosten in ± 0 aufgehen, sondern den Erfolg,
daß die darniederliegende Produktionskapazität
der Gesamtwirtschaft nunmehr ausgenutzt wird. Es wird also viel mehr als
der Gegenwert der verausgabten Löhne an zusätzlicher Produktion zur Verteilung
verfügbar, die Produktion erfolgt wirtschaftlicher, da die "Efficiency"
gestiegen ist, und die innerbetriebliche Kapitalbildung, die heute zu gering
ist, steigt stärkstens. Eine starke
Kapitalbildung ist daher nur durch Lösung des Arbeitslosenproblems erzielbar.
Daher ist das Erwerbslosenproblem heute keineswegs das
Problem eines fünften Standes, den man, ohne selbst wirtschaftlich geschädigt
zu werden, dem Hungertode überlassen kann, wie Malthus und Ricardo
empfahlen. Die wirtschaftlich führenden Schichten Deutschlands haben nun einmal
eine für ihre Versorgung viel zu große Produktionskapazität hingestellt; sie
haben jetzt nur die Wahl, diese Anlagen, die bei der heutigen geringen Ausnutzung
unrentabel sind, als wertlos abzuschreiben und damit ihr Vermögen wegzuwerfen,
oder für volle Ausnutzung dieser Produktionskapazität zu sorgen, die wieder
ohne die Verwendung der
— 19 —
Erwerbslosen nicht zu
leisten ist. Im Hintergrunde unserer Untersuchungen wird daher stets das volkswirtschaftliche
Problem der Produktionskapazität stehen, das "Properitätsproblem".
Wir können also, unseren späteren Erörterungen
vorgreifend, definieren:
"Arbeitslosigkeit ist eine Störung des
volkswirtschaftlichen Güteraustausches oder der Kapitalbildung, durch welche Arbeiter
in ihrer Eigenschaft als Produzenten derartig aus dem Güterprozeß ausgeschaltet
werden, daß sie auch als Konsumenten wegfallen".
Im wirtschaftlichen Leben
treten, wie die Geschichte zeigt, entweder die eine oder die andere der beiden
Störungen getrennt auf, oder sie erscheinen vereint, wodurch ihre Merkmale
vermischt und schwer trennbar werden. Stets ist die Kehrseite der
Arbeitslosigkeit aber eine Verminderung der Ausnutzung des gesamten
Produktionsapparates, die nachteilig auf den Wohlstand des ganzen Volkes und
die Kapitalbildung der Unternehmungen wirkt.
__________
Erstes Kapitel.
Volkswirtschaftliche
Grundbegriffe.
a) Produktionserlös und Einkommen.
1. Die Produktion-Konsumgleichung.
— Wenn Arbeitslosigkeit bedeutet, daß der Arbeiter objektiv außerstande ist,
Absatz für seine persönliche Arbeitsleistung zu finden, so ist offenbar die
Arbeitslosigkeit eine Art von Absatzmangel, wie er aus dem Warenverkehr bekannt
ist. Der negative Begriff des Absatzmangels ist nur verständlich aus seinem
positiven Korrelat heraus, nämlich dem Zustande des glatten Absatzes, der Deckung
von Produktion und Konsum. Hierin könnte man eine Erörterung des "Soll-sein"
sehen, die wissenschaftlich unzulässig sein soll, da man sich auf das "was
ist" zu beschränken habe. Demgegenüber verweisen wir darauf, daß wir es
hier nicht mit einem ethischen Soll-sein, sondern mit einer wirtschaftlichen Problemstellung
zu tun haben, die nicht fragt, "was ist moralisch besser?", sondern "was
ist wirtschaftlich billiger und zweckmäßiger?" 1). Es ist ebenso Aufgabe
der angewandten Volkswirtschaftslehre, zu sagen, welche wirtschaftlichen
Voraussetzungen und Relationen erfüllt sein müssen, damit sich der
wirtschaftliche Kreislauf vollziehen kann, wie es etwa Aufgabe der angewandten
Physik ist, die physikalische Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen z. B.
eine Dampfmaschine arbeiten kann.
Die Inkongruenz von Produktion und Konsum kann nun in
verschiedenem Sinne in Erscheinung treten. Wenn die Produktion größer ist, als
der Konsum, so wird Absatzmangel vorherrschen. Man sollte meinen, daß das
nur der Fall ist, wenn über den Bedarf der Bevölkerung hinaus produziert worden
ist; die Erfahrung lehrt aber, daß solche Absatzstockungen zeitlich fast immer
mit Perioden
_______________________________
1)
Vgl. Ad. Weber, Kampf zwischen Kapital und
Arbeit, 1920, S. V: " . . Auch das halte ich aufrecht . . ., daß unter
Umstanden das Sollsein im Rahmen des Wirtschaftlichen
nur eine andere Formulierung für das erkannte Sein ist. Wenn ich unter gegebenen
Voraussetzungen zu dem Resultat komme, daß, soweit rein wirtschaftliche
Erwägungen in Betracht kommen, das Wohnungsbedürfnis durch Mietskasernen
billiger befriedigt wird, als durch Kleinhäuser, dann heißt das nichts anderes,
als daß vom wirtschaftlichen
Standpunkte aus Mietskasernen "besser"
sind, daß deren Bau also gefördert werden "soll".
—
21 —
großer Armut bzw.
Arbeitslosigkeit eines Teiles der Bevölkerung zusammenfallen. — Ist die Produktion kleiner, als der Konsum, so
beobachten wir Warenmangel; wir müßten auch hier vermuten, daß ein solcher nur
dadurch zu erklären ist, daß ein Teil der Bevölkerung nichts produziert, also arbeitslos ist. Aber die Erfahrungen der
Kriegswirtschaft zeigen auch hier unerwarteterweise, daß Zeiten des Warenmangels
zumeist mit Zeiten des Arbeitermangels zusammenfallen. — Es ist klar, daß beide
Arten von Inkongruenz zwischen Produktion und Konsum vom Übel sind und daß die
Organisation des Güteraustausches nach Möglichkeit so eingerichtet sein muß,
daß die Gleichheit zwischen Produktion und Konsum gewährleistet ist. Wir haben
es hier mit einem der wichtigsten Probleme der Wirtschaftslehre zu tun, das im
Mittelpunkte jeder Untersuchung über Störungen im Güterkreislauf zu stehen hat.
2. Begrenztheit
der Produktionsmöglichkeiten, Unbegrenztheit der Konsummöglichkeiten. —
Eine Ungleichung zwischen Produktion und Konsum kann nur darin begründet sein,
daß zuviel oder zuwenig produziert
oder zuviel bzw. zuwenig konsumiert
worden ist. Wir haben also zuerst die Frage zu entscheiden, ob sich die
Produktion nach dem Konsum zu richten hat, oder umgekehrt. Wir hören häufig
die Ansicht vertreten, der Konsum sei nur in engen Grenzen variabel; wenn heute
eine Absatzstockung herrsche, so könne man un-möglich den Konsum steigern, um
sie zu beseitigen, man müsse vielmehr die Produktion
einschränken 1). Anderseits wird behauptet, die subjektiven Bedürfnisse der Menschen seien praktisch
unbegrenzt; wenn es also gelinge,
diese Bedürfnisse etwa durch Verteilung einer genügenden Menge von
Zahlungsmitteln zu mobilisieren, so sei es ein Leichtes, alle Güter, die man
nur heranschaffen könne, zum Konsum zu bringen 2). Die unbegrenzte Befriedigung
der Bedürfnisse scheitere also nur an der Unzulänglichkeit der Produktion, die
begrenzt sei, nie aber an der Unzulänglichkeit des Bedarfs. Sache einer
richtigen Güterverteilung sei es, dafür zu sorgen, daß alles Produzierte glatt
abgesetzt werde,
_______________________________
1.)
1) Cassel z. B. sagt in seiner Theor.
Soz. 1918, § 8, S. 49: ". . . Ein vollständiger Absatz für die Produkte kann
nur erwartet werden, wenn die Produktion
in vollständiger Übereinstimmung mit den Wünschen der Kaufkraft geleitet
wird." Das heißt also, daß sich die Größe der Produktion nach der
einmal vorhandenen Kaufkraft zu richten hat! Wir dagegen erklären umgekehrt,
daß sich die Kaufkraft, die zur Verteilung kommt, nach dem Maße der jeweiligen
Produktion zu richten hat, also z. B. um so viel gesteigert werden muß, wie technische
Fortschritte die Erhöhung der Produktion zulassen.
2)
Vgl. z. B. Tarnow, a. a. O. und Garrett, a. a. O.
—
22 —
und Sache einer richtigen
Wirtschaftspolitik sei es, die produktiven Kräfte einer Nation zu befreien und
womöglich zu steigern.
Wir schließen uns diesem letzteren Standpunkte an: Ohne Frage ist das Maß der verteilbaren
Güter beschränkt, indem Arbeitskräfte und Kapitalien (Produktionsmittel)
nur in gewissen Grenzen zur Verfügung stehen. Allerdings hat es das Zeitalter
der Technik vermocht, die Produktivität der Arbeit in vielen Fällen zu
verhundertfachen und vertausendfachen; trotzdem sind Grenzen vorhanden in dem
Sinne, daß bei einem gewissen Stande der Technik und der Wissenschaft
beispielsweise eine Vergrößerung der gesamten Produktion der Welt auf das
Dreifache, nicht aber auf das Sechsfache möglich ist
Der latente Bedarf
dagegen ist unbegrenzt; zum wenigsten so lange läßt sich dagegen nichts
sagen, als ein erheblicher Teil der Bevölkerung noch ohne Essen, ohne
menschenwürdige Wohnung, ohne Badewanne usw. ist. Fraglos ist Überproduktion
auf einzelnen Gebieten möglich, indem etwa zuviel Schuhe erzeugt worden sind;
allgemeine Überproduktion in dem Sinne, jedoch, daß es auch bei richtiger
Proportionierung der Produktion nicht möglich sein sollte, Menschen zu finden,
die bereit sind, die Waren zu benutzen und zu verbrauchen, ist heute nicht
vorstellbar.
So steht also einer
begrenzten aktuellen Produktion ein unbegrenzter latenter Bedarf gegenüber,
und es ist "nur" nötig durch eine richtige Güterverteilung den
latenten Bedarf stets soweit effektiv zu machen, daß die Läger abgesetzt und
die Produktion unvermindert weitergeführt werden kann. Wenn dieses Ergebnis
richtig ist, so müssen alle Theorien falsch sein, die zu dem entgegengesetzten
Ergebnis (der Produktionseinschränkung) kommen, ebenso wie eine Mathematik
falsch sein muß, die zu dem Ergebnis 2 x 2 = 5 kommt. Die gegenteilige Theorie,
wonach die heute vorhandene Kaufkraft auf alle Zeiten dafür maßgebend sein
soll, wieviel produziert werden darf, würde alle Anstrengungen der Technik und
der Wissenschaft zum Fortschritt illusorisch machen. Alle Versuche, die
Produktion zu vergrößern, würden dann an der starren Schranke einer
eingebildeten fixen Kaufkraft scheitern. (jz7)
3. Die
Produktionserlös-Einkommensgleichung. — Wie soll nun eine Güterverteilung
organisiert sein, die jedes Warenquantum, das nur immer produziert worden ist,
glatt zu bewältigen imstande ist? Die kommunistischen Systeme einer mehr oder
weniger zuchthausmäßigen Verteilung sollen hier außer Betracht
— 23 —
bleiben, um so mehr, als
sie dort, wo sie verwirklicht worden sind, die Arbeitslosigkeit nicht haben
bessern können 1). (jz8) Die Mängel des geldwirtschaftlichen
Verteilungssystems, das wir fast in allen Ländern der Welt vorfinden, müßten
erheblich größer sein, als sie zur Zeit sind, um mit den Mängeln dieser
staatlichen Verteilung wetteifern zu können. Es bleibt der Weg, die Verteilung
im Wege des volkswirtschaftlichen Austausches, des Geldes und des Kredits zu
bewerkstelligen.
Jede solche Verteilung geht von dem überaus einfachen
Prinzip aus, daß die Kosten und Gewinne,
die bei der Herstellung von Gütern auflaufen, identisch sind mit dem Einkommen,
das zum Kauf der Güter zur Verfügung steht. Der Verkaufspreis der
Produzenten ist gleich dem Einkaufspreis der Konsumenten. Der Verkaufspreis
setzt sich aus Löhnen, Zinsen und Gewinnen zusammen. Diese werden vom
Unternehmer ausgezahlt und in den Taschen der Lohnempfänger, Zinsenempfänger
und Gewinnerzieler zu Einkommen in gleichem Betrage. Der Preis, den die
Einkommenbezieher also beim Einkauf von Gütern anlegen können und müssen, ist
stets auf den Pfennig gleich dem Verkaufspreise dieser Gegenstände.
Ein Schuhfabrikant z. B, verauslagt täglich Unkosten, wie
Porti, Spesen, Frachten, Steuern usw., er bezahlt laufend Material- und
Rohstoffrechnungen, wöchentlich Löhne und soziale Beiträge, endlich monatlich
Gehälter, Mieten usw. Schließlich zahlt er an die Bank und seine Kommanditisten
Zinsen und entnimmt der Kasse seinen Privatverbrauch und seine Gewinne. Alle
diese Zahlungen, es mögen in einem Zeitabschnitt 1000 000 RM sein, sind für
seine Firma Ausgaben, für die
Empfänger aber Einnahmen und sogar Einkommen.
Sobald der Fabrikant seine Schuhe verkauft hat, erhält er alle diese Auslagen
(einschließlich eines Gewinnes) in Form des Verkaufserlöses wieder zurückerstattet. Diese Rückerstattung
ist darin begründet, daß die 1000 000 RM Ausgaben, die aufgelaufen waren, in
den Händen der Empfänger zu 1000 000 RM Einkommen geworden waren, und daß dieses
von Unternehmern verteilte Einkommen genau hinreicht, um ihm das gesamte
Produkt abzukaufen 2). Volkswirtschaftlich betrachtet lösen sich alle diese
Arten von Ausgaben letzten Endes
_______________________________
1)
Nach dem Soviet Union Year-Book betrug die industrielle
Arbeitslosigkeit in Rußland in den
letzten Jahren ca. 1,3 - 1,4 Mill. Personen, d. h. etwa 20 - 25 %, da die
Zahl der Industriearbeiter etwa 5 - 6 Millionen beträgt. (jz9)
2)
Tritt ein
Händler dazwischen, der das Produkt verteuert, so steigt auch das
Gesamteinkommen entsprechend, nämlich um seinen Profit. Dieses vergrößerte
Gesamteinkommen reicht wiederum aus, um das verteuerte Produkt zu kaufen.
— 24 —
in Lohn, Zins und
Differentialrente auf; man kann daher sagen, daß die Unternehmerschaft als
solche laufend gerade soviel Einkommen in Form von Lohn, Zins und Rente
verteilt, wie zum Absatz der gesamten Produktion erforderlich ist.
Um zu diesem Ergebnis zu kommen, muß man sich von den
tauschwirtschaftlichen Begriffen der "Produktion" und des "Konsums"
loslösen und sich der geldwirtschaftlichen Begriffe des "Produktionserlöses" auf der einen
Seite und des "Einkommens"
auf der anderen Seite bedienen. In der Geldwirtschaft werden die Güter, die ja
bei dem heutigen Stande der Arbeitsteilung für ihre Produzenten persönlich fast
wertlos sind, nicht nur allgemein ausgetauscht, sondern beim Austausch zu
einem bestimmten Preise verrechnet. Der Käufer hat diesen Preis in Geld zu
bezahlen und der Verkäufer in Geld ihn zu erhalten. Wie die Preise zustande
kommen, ist hier von geringer Bedeutung; entscheidend ist, daß der für die
Produktion gezahlte Preis, der Produktionserlös, immer alle die Löhne, Zinsen
und Gewinne enthält, die beim Hersteller 1) aufgelaufen sind, und daß derselbe
Preis stets denjenigen Teil des Einkommens der gesamten Käuferschaft darstellt,
der von diesem Unternehmer in Umlauf gesetzt worden war.
Dabei spielt die Figur des Unternehmers eine wichtige
Rolle: er ist es, der das Einkommen des Volkes auszahlt, indem er Löhne und
Zinsen verausgabt und selbst Gewinne erzielt; und er ist es, der diese
Einkommensarten stets genau in dem
Betrage verteilt, der zum Rückkauf
seiner gesamten Produktion durch diese Ein-kommensbezieher erforderlich
ist. Seine Produktionskosten und Gewinne sind nie größer oder kleiner, als der
Erlös aus dem Verkaufe seiner Fabrikate, ebenso wie die Sollseite seiner Bücher
nie größer oder kleiner sein kann, als die Habenseite. Das, was "der
Unternehmer" (als Klasse betrachtet) erlöst, ist immer das, was er kurz
vorher als Lohn-, Zins- und Renteneinkommen in die Hände der Leute gebracht
hatte. Produktionserlös ist gleich Einkommen. Diese wenig oder gar nicht
beachtete Tautologie wird zum Eckstein der Theorie der Störungen des Güterumlaufs, insbesondere der Arbeitslosigkeit, zu
benutzen sein 2). (jz10)
_______________________________
1)
oder
Weiterverarbeiter, oder Händler usw.
2)
Schon J. B. Say (Traite, 1. Ausg.,
II, S. 175) ist dieser Wahrheit nahe
gewesen, hat aber daraus nur die voreilige Folgerung gezogen, es könne Absatzstockungen nicht geben, da er
die Störungsquellen (vgl. S. 31 ff.) nicht erkannte. Später haben sich besonders
Ad. Wagner, Herrmann,
Schumpeter, Wieser
u. a. mit diesen Fragen beschäftigt; vgl. auch Philippovich, Grundriß I, 17.
Aufl., S. 40: "Produktion und
Konsumption sind die entscheidenden, das Leben der Volkswirtschaft gestaltenden
Tatsachen. Der Zusammenhang zwischen dem volkswirtschaftlichen Produktions-
und Erwerbsprozeß wird dadurch zum wichtigsten Problem der Volkswirtschaft"
(S. 41). Vgl. auch die gesondert erscheinende dogmenkritische Abhandlung des
Verf.
- 25 -
4. Das Einkommen.
— Ebenso, wie also der Produktionserlös sich aus den Aufwendungen für Löhne und
Zinsen und den erzielten Gewinnen 1)
zusammensetzt, fließt das Einkommen aus drei verschiedenen Quellen, nämlich dem
Lohn, dem Zins und der Differentialrente (dem Gewinn am Preise), die wiederum mit den Bestandteilen des Produktionserlöses identisch sind. Dieses Einkommen tritt der
Produktion gegenüber und ist prinzipiell
stets groß genug, um die
gesamte Produktion zu kaufen, wenn nicht eine der später zu erörternden
Störungen auftritt. Dabei spielt die Höhe des Preisniveaus keine Rolle, denn je
höher die Verkaufserlöse, desto größer ist die Masse des durch die Bezahlung
der Produktionskosten in Umlauf gesetzten Einkommens.
5. Der
volkswirtschaftliche Einkommensbegriff.
— Daß diese
Produktionserlös-Einkommensgleichung bisher noch nicht aufgestellt worden ist,
ist anscheinend darauf zurückzuführen, daß der bisher in der
Volkswirtschaftslehre und in der Finanzwissenschaft verwendete
Einkommensbegriff nicht geeignet ist, der Produktion bzw. dem Produktionserlös
gegenübergestellt zu werden.
Der heute vorwiegend vertretene Schanzsche Einkommensbegriff ist umfassender, als der hier aus der
Theorie der Arbeitslosigkeit und des Absatzmangels entwickelte
Einkommensbegriff; daher hat er als steuerlicher
Einkommensbegriff seit 1919 in allen Ländern den Sieg davongetragen, ist er
doch scheinbar geeignet, dem Staat die höchsten Steuereinnahmen zuzuführen.
Trotzdem ist dieser auch von Gustaf
Cassel u. a. vertretene Einkommensbegriff volkswirtschaftlich nicht
brauchbar, da sich der Betrag des so bestimmten Einkommens nie mit dem Wert der
Produktion, die zu Einkommen wird, in Übereinstimmung bringen läßt. Das hat
seine Ursache darin, daß man z. B. den Vermögenszuwachs, der aus einer
Wertsteigerung vorhandenen Vermögens (etwa von Grundstücken oder Wertpapieren)
resultiert, mit zum Einkommen rechnet 2). Man erhält dadurch ein viel zu großes
Ein-
_______________________________
1)
Diese können
positiv oder negativ sein.
2)
Vgl. Cassel, Theor. Soz., 1918, § 8, S. 48:". . . der wichtige
Satz, daß das Einkommen der Gesamtwirtschaft genau hinreicht, um den ganzen
Realverbrauch und außerdem noch den Überschußwert des Realkapitals und des
Grund und Bodens zu bezahlen", oder: "gleich dem Wert des
Realverbrauches mit Zuschlag der Kapitalvermehrung (bzw. mit Abzug der
Kapitalverminderung)" ist.
—
26 —
kommen, mit dem man die
Produktion nicht einmal, sondern vielleicht eineinhalbmal kaufen könnte. Der
vor dem Kriege z. B. im preußischen Einkommensteuergesetz verwendete
Einkommensbegriff 1) wies diesen Fehler nicht auf; er war an der Quellentheorie
der klassischen Nationalökonomie orientiert, die der hier vertretenen
Produktionserlös-Einkommensgleichung sehr nahe stand.
Wenn der Vermögenszuwachs nicht zum Einkommen gehört, so
sind anderseits auch Vermögensminderungen nicht abzugsfähig, insbesondere nicht
die Abschreibungen. Diese sind nur rechnungsmäßige Posten, bedingen aber keine
Verkleinerung der aktuellen Kaufkraft des Einkommensbeziehers in dem
betreffenden Jahre, und auf diese allein kommt es an.
Es würde zuweit führen,
an dieser Stelle auf den überaus wichtigen Einkommensbegriff näher einzugehen;
mag der so entwickelte neue Einkommensbegriff für steuerliche Zwecke geeignet
sein oder nicht — entscheidend bleibt, daß ihm zufolge nur diejenigen Beträge
echtes Einkommen sind, die in Form von Lohn, Zins und Gewinn von Unternehmern
mit der Absicht ausgeschüttet worden sind, sie aus dem Produktionserlös wieder
zu-rückerstattet zu erhalten. Nur dieser Einkommensbegriff ermöglicht die
Aufstellung unserer Produktionserlös-Einkommensgleichung, nur er ist daher
eine geeignete Grundlage zur Untersuchung der Absatzstockungen.
6. Das abgeleitete
Einkommen. — Neben dem direkten Einkommen aus der produktiven Wirtschaft
ist das abgeleitete Einkommen der Beamten, der Unterstützungsempfänger usw. zu
betrachten. Durch Steuern oder freiwillige Beiträge wird den Einkommensträgern
ein Teil ihrer Bezüge genommen und anderen Individuen als Einkommen zugewiesen.
In Deutschland werden zur Zeit etwa 25 Milliarden RM, also fast ein Drittel des
Volkseinkommens, durch Steuern des Reichs, der Länder und der Kommunen den
direkten Einkommensbeziehern entzogen und zumeist (etwa 80 %) den Beamten und
Pensionären als abgeleitetes Einkommen ausgezahlt. Hierdurch wird die
Gesamtsumme des durch Produktion entstandenen Einkommens weder vermehrt, noch
vermindert. Durch Ableitung von Einkommen kann weder eine Verminderung der
Gesamtkaufkraft (Absatzstockung) bewirkt werden, noch eine Steigerung. Man kann eine Absatzstockung nicht dadurch beseitigen,
daß man etwa die Kaufkraft der Erwerblosen erhöht, indem man den in Arbeit
befindlichen Werktätigen höhere
_______________________________
1)
Einkommen aus
Grundbesitz und Gewerbebetrieb (Rente), Einkommen aus Arbeit (Lohn) und aus
Kapitalvermögen (Zins), sonst nichts.
- 27 -
Steuern oder Beiträge
abnimmt Durch derartige Maßnahmen, wie überhaupt durch die meisten Maßnahmen,
deren die öffentliche Hand fähig ist, wird nur vorhandenes Einkommen von einer
Hand in die andere übertragen, nicht aber neues geschaffen.
b) Konsum und Ersparnisse.
1. Die beiden
Möglichkeiten der Einkommensverwendung. — Es kommt nun darauf an, welche Verwendung
das Einkommen findet. Nicht das ganze Einkommen wird direkt von denen konsumiert,
die es bezogen haben; vielmehr wird gewöhnlich ein Teil unverbraucht gelassen,
also gespart. Ersparnisse können den Zweck haben, Rücklagen für die Zukunft, z.
B. fürs Alter zu schaffen, oder Zinsertrag zu bringen, sie können aber auch
einfach unverwendete Überschüsse darstellen. Man kann also Einkommen auf
zweierlei Art verwenden: man kann es konsumieren
oder man kann es sparen. Ist ein
festes Einkommen gegeben, so kann der Konsum nur insoweit wachsen, wie man die
Spartätigkeit beschränkt, und umgekehrt.
2. Konsumgüter und
Kapitalgüter. — Dieser grundlegenden Zweiteilung der Einkommensverwendung
in Konsum und Ersparnisse entspricht die Scheidung aller Güter, die überhaupt
produziert werden können, in Konsumgüter und Kapitalgüter. Wir unterscheiden nämlich
zwischen den Konsum- oder Verbrauchsgütern, die durch den einmaligen Konsum-
oder Verzehrsakt vernichtet werden, und den Kapitalgütern, auch
Produktionsmittel, Produktiv- oder Gebrauchsgüter genannt, die langlebig sind
und durch Gebrauch oder Benutzung Verwendung finden. Der Hauptteil der Konsumgüter wird von den Lebensmitteln,
den Getränken und Kleidungsstücken sowie von
den immateriellen Diensten und Leistungen, z. B. den Verkehrsleistungen gebildet. Wenn auch Kleidungsstücke oft eine Lebensdauer
von mehreren Jahren haben und nur durch Gebrauch nützlich sind, so rechnet man
sie doch zweckmäßigerweise zu den Konsumgütern. Sie werden nämlich ebenso wie
die Konsumgüter aus dem Einkommen auf
einmal bezahlt, während Kapitalgüter regelmäßig in Raten (Annuitäten bei
Anleihen usw.) bezahlt werden. —
Der Hauptteil der Kapitalgüter
dagegen besteht aus den Wohngebäuden und den Produktionsmitteln (im engeren
Sinne), d.h. Den Werkzeugen, Maschinen, Fabriken, Eisenbahnen, Brücken usw.
Entsprechend der Scheidung aller Güter in Konsumgüter und
Kapitalgüter unterscheidet man auch
zwischen zwei Haupt-
—
28 —
industrien: Der Konsumgüter- und der Kapitalgüterindustrie.
3. Sparen und
übertragener Konsum. — Diese beiden Arten der Güterherstellung werden aus
ganz verschiedenen Quellen gespeist. Sie entsprechen den beiden Arten der
Einkommensverwendung, die wir soeben kennengelernt haben: Der Gesamterlös der
Konsumgüterproduktion ist gleich dem konsumierten Teile des Volkseinkommens,
und die Gesamtsumme der Ersparnisse ist gleich dem Gesamterlös der
Kapitalgüterproduktion. Es können also nie mehr Wohnungen und andere langlebige
Güter hergestellt werden, als gespart worden ist.
"Sparen" bedeutet nämlich nicht, daß die Güter,
die man mit dem ersparten Einkommen hätte kaufen können, unverbraucht bleiben
und verderben. Die Ersparnisse werden vielmehr zu einer zweiten Art von
abgeleitetem Einkommen, genauer gesagt zu "übertragenem Einkommen":
der entsprechende Betrag Kaufkraft wird vom Sparer z. B. erst an die Sparkasse
übertragen, von dieser an einen Bauunternehmer, und von diesem an die
Bauarbeiter, in deren Lohntüten diese "Ersparnisse" ein zweites mal zu Einkommen werden. Soweit
der Bau-Unternehmer etwa Eisenträger kaufen mußte, wandern sie weiter an das
Stahl- und Walzwerk, wo sie als Lohneinkommen an die dortigen Arbeiter
ausgezahlt werden usw. —
4. Sparen und
Kapitalgüterproduktion. — Genau besehen, wird das ersparte Einkommen
entweder direkt zur Anschaffung von Produktionsmitteln verwendet: Das pflegt
der Unternehmer zu tun, dessen Reingewinn höher ist, als sein
Privatverbrauch: Er kauft neue
Maschinen. Oder es wird bei Banken und Sparkassen
als Einlage eingezahlt, oder endlich, es wird zum Ankauf
von Pfandbriefen, Obligationen und Aktien verwendet. In allen diesen Fällen
werden die unverbrauchten Konsumgüter, auf die der Sparer in Höhe seiner Ersparnisse
einen Anspruch gehabt hatte, letzten Endes als Lohn, Zins und Rente denjenigen
ausgezahlt, die aus der Kapitalgüterindustrie Einkommen beziehen: Beim
Unternehmer, der aus Ersparnissen neue Maschinen kauft, dient der Kaufpreis, den
er an die Maschinenfabrik bezahlt, offenbar zur Bezahlung der Löhne, Zinsen und
Renten, die in dieser Fabrik fällig
werden. Läßt der Unternehmer die neuen Maschinen in eigner Regie her-
stellen, so zahlt er selbst diese seine Ersparnisse als Einkommen an seine
Arbeiter usw. aus. Sind die Ersparnisse bei den Banken usw. eingezahlt worden,
so bleiben sie zumeist keinen Tag ungenützt; meist wartet schon jemand darauf,
aus ihnen ein Darlehen
— 29 —
oder einen Kredit
irgendwelcher Art zu erhalten. Derartige Kredite werden praktisch ausnahmslos 1)
in Produktionsmitteln und andern Kapitalgütern investiert, da ihre Schuldner
anders die Zinsen nicht aufbringen
können, die sie laufend zu zahlen haben. Investieren in Produktionsmitteln
heißt aber, solche durch irgendeinen Unternehmer von Arbeitern mit Hilfe von
Produktionsmitteln herstellen lassen. Genau so ist es bei dem Ankauf von Obligationen
und Aktien. So dienen die Ersparnisse
bis zum letzten Pfennig der der Entlöhnung von Produktionsmittelarbeitern und der Zahlung der dabei fällig
werdenden Zinsen und Renten. Es ist nicht einzusehen, was mit erspartem
Einkommen anders geschehen könnte; die
Summe der Einkommen, die aus der Produktionsmittelindustrie bezogen werden,
kann nie größer oder kleiner sein, als die Summe der Ersparnisse. In Konsumgütern
kann man Ersparnisse nicht anlegen, da diese verderben würden, (jz11) auch
andere Quellen da sind, aus denen eine solide Lagerhaltung finanziert wird. Aufhäufen
von Geld, z.B. Banknoten, bedeutet auch nichts anderes, als ein Bankguthaben,
denn die Notenbank muß einen entsprechenden Teil ihrer Aktiven in Krediten
anlegen, Aufhäufen von Edelmetallen wirkt wie Konsum, kann aber außer Betracht
bleiben, da es heute in nennenswertem Umfange nicht mehr vorkommt; und andere
Möglichkeiten gibt es nicht.
So werden die Ersparnisse zweimal zum Einkommen: einmal
bei dem, der sie macht, und zum zweiten male bei demjenigen, der sie direkt
oder indirekt (durch die Banken) in Form von Einkommen aus der Produktionsmittelindustrie
bezieht. Da auch von letzterem Einkommen wieder ein Teil gespart zu werden
pflegt, können die Ersparnisse teilweise noch mehrfach zu Einkommen werden,
worauf aber hier nicht einzugehen ist. Jedenfalls werden aber auch die aus der
Produktionsmittelindustrie stammenden Ersparnisse mindestens noch ein
zweitesmal zu Einkommen in derselben Industrie.
5. Verteilung der
Arbeitskräfte auf die beiden Hauptindustrien. — Die Arbeiter, die
Konsumgüter herstellen, decken also nicht nur ihren eigenen Bedarf an solchen
Waren, sondern noch dazu den Konsumbedarf der Arbeiter, die Kapitalgüter herstellen.
Ebenso muß die Produktion der Kapitalgüterarbeiter die ganze Wirtschaft mit
Kapitalgütern und Produktionsmitteln ver-
_______________________________
1)
Abgesehen von
Konsumptivkrediten.
— 30 —
sorgen, nicht nur die
eine Gruppe der Arbeiter. Wie viele
Arbeiter in der Produktionsmittelherstellung tätig sein und von den übrigen
Arbeitern mit Konsumgütern versorgt werden können, ohne selbst
Unterhaltungsmittel zu produzieren, hängt von dem Maße der Spartätigkeit ab. Also
entscheidet die Spartätigkeit über die Verteilung der Arbeiterschaft auf die
beiden Hauptindustrien: Wenn etwa ein Drittel des Einkommens gespart und zwei
Drittel konsumiert werden, so dienen nur letztere zwei Drittel des Einkommens
zum Unterhalt der in der Konsumgüterindustrie beschäftigten Arbeiter und zur
Zahlung der dort fällig werdenden Löhne, Zinsen und Differentialrenten; das
letzte Drittel Einkommen dient übertragen der Beschäftigung und Ernährung der
Kapitalgüterarbeiter, genau genommen zur Zahlung der dort fälligen Löhne,
Zinsen und Renten.
Dabei ist die Höhe der Spartätigkeit nicht vom
Landeszinsfuß abhängig 1), sie ist vielmehr eine Funktion der Volksgewohnheiten
und besonders des Grades der Ausnutzung der gesamten volkswirtschaftlichen
Maschine, worauf später noch näher einzugehen sein wird. Durch diese
Kapitalbildung ist das Angebot an Kapitaldisposition begrenzt und bestimmt
6. Kapitalbildung.
— Sparen ist nach all dem gleichbedeutend mit Kapitalbildung: Unter "Kapital"
sind Häuser, Maschinen, Brücken und alle anderen langlebigen Gebrauchsgüter zu
verstehen, die man durch Aufwand von Lohn, Zins und Gewinn herstellen kann.
Alle diese Werte werden in gerade dem Maße produziert, wie gespart wird, wie Einkommen
also übertragen wird. Demnach ist richtiges Sparen nicht allein eine Art
Enthaltung, sondern auch noch eine
positive Leistung, nämlich die Verwendung der ersparten Konsumgüter für den
Unterhalt von solchen Arbeitern, die Sachen von dauerndem Wert herstellen;
kurz, Kapitalbildung durch Sparen ist nichts anderes als die Herstellung von
realen Kapitalgütern selbst.
Zusammenfassung.
— Wir fassen also zusammen: Der Erlös aus dem Verkauf der Produktion besteht
aus zwei Teilen: dem Erlös der Konsumgüterproduktion und dem Erlös der
Kapitalgüterproduktion. Beide werden von der Unternehmerschaft in Form von
Produktionskosten 2), also von Lohn, Zins und Gewinn als Einkommen
_______________________________
1)
Nachdem Cassels
dahingehender Beweisversuch vollständig fehlgeschlagen ist; vgl. die gesondert
erscheinende dogmenkritische Arbeit des Verf.
2)
Hier
einschließlich Differentialrente gemeint.
- 31 -
an die beteiligte
Bevölkerung ausgeschüttet. Dieses Einkommen wird teils zum Konsum verwendet,
teils gespart Die Konsumausgaben sind gleich dem Erlös der
Konsumgüterproduktion und die Ersparnisse gleich dem Erlös der
Kapitalgüterproduktion, sodaß beide Teile der Produktion restlos abgesetzt
werden können: die Konsumgüterproduktion an die "Konsumenten", die
Produktionsmittelproduktion an diejenigen Unternehmer, Hausbesitzer usw.,
denen die Sparer ihre Spargelder direkt oder auf dem Wege über die Banken
geliehen hatten.
Genau genommen ist es
also nicht so, daß Produktion gleich Konsum ist, wie wir erst angenommen hatten,
vielmehr würde das nur gelten, wenn man unter "Konsum" die gesamte
Güterabnahme einschließlich der langlebigen Güter verständen. Da der Sprachgebrauch
aber dem entgegensteht, haben wir dem Begriff der zweigeteilten
Gesamtproduktion auch eine zweigeteilte Einkommensverwendung
gegenübergestellt, von der der "Konsum" (im engeren Sinne) nur ein
Teil ist. Es bleibt aber bestehen, was das Ziel der Auseinandersetzung war, daß
nämlich Produktion gleich Einkommen ist, so daß prinzipiell ein glatter Absatz
aller hergestellter Güter gewährleistet erscheint.
c) Die Problematik der Verteilungslehre und die Störungen im Absatz.
Mit dieser einfachen Lösung, daß es nämlich
logischerweise gar keine Absatzstockungen geben könne, haben sich seit J. B. Say
eine große Anzahl von Nationalökonomien begnügt Heute, wo die Tatsache des
Absatzmangels offener zutage liegt als je, reicht diese Antwort nicht mehr aus.
Eine genaue Analyse zeigt denn auch, daß die Produktion-Einkommensgleichung nur
unter bestimmten Voraussetzungen
gilt, die noch nicht erwähnt sind.
I. Der
Zeitunterschied. — So müssen wir uns zuerst vor Augen halten, daß der
Absatz der Produktion nicht eine mathematische Gleichung, sondern ein in der
Zeit sich vollziehender Vorgang ist. Daher ist es von entscheidender Bedeutung,
wann der Unternehmer den Produktionserlös verteilt, durch den die Käufer in die
Lage versetzt werden sollen, seine Ware zu kaufen.
Verteilt der Unternehmer den Erlös erst nach dem Verkauf, so würden wir eine
unmögliche Voraussetzung machen, indem der Unternehmer solange nichts verkaufen kann, als
er noch keine Kaufkraft verteilt hat. Erste Voraussetzung der Gültigkeit
— 32 —
unserer Gleichung ist
also, daß der Unternehmer Mittel und Wege findet, den Erlös schon zu verteilen,
ehe er ihn hat.
1. Die
Diskontierung. — Das kann geschehen, indem der Unternehmer etwa Geld
vorgeschossen erhält, ehe er die Ware verkauft hat, oder indem er die Ware
selbst auf Ziel verkauft, den Erlös aber von dritter Seite sofort erhält. Die
Erfahrung hat gezeigt, daß der erste Weg äußerst gefährlich ist, indem die
Unternehmer dann verleitet werden, Waren herzustellen, die sich später als
unverkäuflich erweisen und wertlos werden. Man hat daher schon seit den
Erfahrungen der schottischen Banken dieses "Lombardprinzip"
aufgegeben und ist zum "Diskontprinzip" übergegangen.
Hierdurch wird der Unternehmer in die Lage versetzt, schon dann Lohn und Zins
zu verteilen und Gewinn zu realisieren, wenn sein Produkt zwar an den Handel
verkauft, der erlöste Preis aber noch nicht bezahlt ist. Durch eine solche
Diskontierung wird der ihm angeschlossene Teil der Bevölkerung gerade insoweit
kaufkräftig, daß die Güter restlos vom
letzten Konsumenten aus der Hand des Handels gekauft werden können. Die
Produktion ist damit abgesetzt, die Läger sind geräumt und die vorhandenen Arbeitskräfte sind wieder von neuem erforderlich, um weitere
Waren herzustellen.
2. Die Banken und
der Umsatzkredit. — Diese Diskontierung wird von den Kreditbanken
geleistet. Ihr richtiges Funktionieren ist also die zweite Voraussetzung, die
erfüllt sein muß, wenn die Gleichung verwirk-licht werden soll. Die Banken bedienen sich zur Durchführung ihrer
Aufgabe des Umsatzkredits, der eine umfangreiche Organisation verlangt, die von
der Metropole bis ins letzte Dorf reichen muß.
Einer weitverbreiteten Ansicht zufolge haben die Banken
auch die Macht der Kreditschöpfung, sie können also bewirken, daß insgesamt
mehr Kaufkraft zu (zur? - J.Z.) Verfügung steht, als von den Unternehmern in
Umlauf gesetzt worden war. Hier werden eingehende Untersuchungen über die
Zweckmäßigkeit des gegenwärtigen
Kreditsystems erforderlich sein, um beurteilen zu können, ob etwa hier
die Ursache des Absatzmangels, von dem die Arbeitslosigkeit nur eine Abart ist,
zu finden sei.
3. Der Notenumlauf
und die Zentralnotenbanken. — Die Leistungen der Banken wiederum hängen in
hohem Maße ab von der Qualität und der Quantität des Geldes, daß sie von den Zentralnotenbanken
ihrer respektiven Länder zur Verfügung gestellt erhalten, weiter auch von der
Kreditpolitik dieser Banken und ihren Maßnahmen zum Ausgleich der
internationalen Zahlungs-
— 33 —
bilanzen. Eine eingehende
Untersuchung dieser Gruppe von Problemen, die sich an den Umsatzkredit, die
Kreditbanken und die Noteninstitute knüpft, würde zu dem Ergebnis führen, daß
eine tiefergreifende, in Jahrzehnten durchzuführende Reform unseres Banksystems
anzubahnen ist. Damit wäre gegenüber der im Jahre 1930 besonders scharf
auftretenden akuten Arbeitslosenkrise nichts gewonnen. Da sich gleichzeitig
ergibt, daß die besondere Schärfe und der ungewöhnliche Umfang dieser
gegenwärtigen Arbeitslosenkrise nicht durch derartige Störungen des
Umsatzkredits, sondern durch Stockungen in der Kapitalbildung und im Anlagekredit
verursacht sind, wird sich die vorliegende Schrift auf die Behandlung dieser
letzteren Probleme beschränken. Hier sind
sofortige und wirksame Maßnahmen möglich, da hier nicht eine Umgestaltung
der vorhandenen Bankorganisation, sondern nur eine neue und bessere Bankpolitik gefordert zu werden braucht. Nach der
Durchführung dieses "Bank- und Finanzierungsprogramms" wird noch
eine gewisse Arbeitslosigkeit übrig bleiben, die nur durch eine tiefergreifende
Änderung der Bankorganisation
beseitigt werden kann. Die im wesentlichen fertiggestellte Abhandlung, die
sich mit diesen Problemen und Maßnahmen beschäftigt, hofft der Verfasser im nächsten
Jahre veröffentlichen zu können.
II. Der
unvollendete Sparvorgang. — Eine weitere Gruppe von Störungen muß sich aus
der Eigentümlichkeit des Sparvorganges ergeben. Wir hatten gesehen, daß die
Spartätigkeit nicht mit der negativen "Enthaltsamkeit", dem
Nicht-Konsumieren, zu verwechseln ist. Ihr muß sich vielmehr ein positives
Element zugesellen, wenn aus dem "Enthalten" ein "Kapitalbilden"
werden soll. Dieses positive Element ist nicht nur beim volkstümlichen
Sprachgebrauch heute sehr oft zu vermissen, sondern auch in der
wissenschaftlichen Behandlung des Kapitalbildungsproblems 1). Schon Proudhon war sich der hier gelegenen
Schwierigkeit bewußt, indem er die Preissteigerung, von der die Waren beim Verlassen
der Fabrik betroffen werden, für die Absatzschwierigkeiten seiner Zeit
verantwortlich machte. Er glaubte, daß der Profit
die Ursache dieser Störungen sei, indem durch ihn die Ware so verteuert würde,
daß sie für die Kaufkraft derer, die sie hergestellt hatten, unerreichbar
werde.
_______________________________
1)
Eine solche
gibt es erst seit wenigen Jahren. Vgl. die ausführlichen Literaturangaben in
meiner Schrift "Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen", Teil
V, und bei Lampe a. a. O.
— 34 —
1. Widerlegung der
Ausbeutungstheorie. — Diese Ausbeutungstheorie kann in zwei Formen
vertreten werden: Entweder sagt sie, der Arbeiter erhalte nicht seinen vollen
Arbeitsertrag, werde also betrogen, oder sie sagt, der Profit mache einen Teil
der produzierten Waren unverkäuflich.
Hier muß zuerst hervorgehoben werden, daß es für die
Lösung des Absatz- und Arbeitslosenproblems an sich gleichgültig ist, ob die
Arbeiterklasse den vollen Ertrag ihrer Arbeit erhält oder nicht, wenn sie nur
in Arbeit und Lohn erhalten wird und wenn nur dafür gesorgt wird, daß derjenige
Teil der Produktion, um den man sie "betrogen" hat, andern
Konsumenten zugeführt wird, also nicht auf den Lägern verdirbt. Die Betrachtung
des täglichen Lebens zeigt nun aber, daß diese der Arbeiterschaft
vorenthaltenen Güter unverkäuflich sind. Eine Ausbeutung, die für die Ausbeuter
aber ohne Nutzen ist, verdient ihren Namen nicht
Gegen die erste Form der Ausbeutungstheorie ist weiter
folgendes zu sagen: Allerdings wird das Produktionsergebnis auf Lohn, Zins und
Rente verteilt, und nicht allein auf den Lohn, also die Arbeiter. Es ist also
richtig, daß die Arbeiter nicht das volle Ergebnis der Produktion zugewiesen
erhalten. Trotzdem bedeuten Zins und Rente keine Verminderung ihres Anteils,
denn Zins wird nur gezahlt, wo die Arbeit durch Werkzeuge, Maschinen usw., also
durch Kapital unterstützt wird. Die durch dieses Kapital erzielte
Mehrproduktion ist stets größer, als die Zinsbelastung; der Anteil der Arbeiter ist also auch nach Bezahlung der Zinsen noch
größer; mindestens ebenso groß, als er wäre, wenn die Arbeit ganz ohne Hilfe
von Kapital ausgeführt worden wäre.
Ebensowenig wird der Lohn durch die gleichzeitige Zahlung
der Differentialrente geschmälert. Man muß davon ausgehen, daß der Arbeiter nur
den Lohn beanspruchen kann, der sich unter den ungünstigen Bedingungen gewähren
läßt. Andernfalls müßten die Arbeiter in den besser gelegenen Betrieben mehr
Lohn erhalten, obwohl sie dort nicht mehr arbeiten; was dem Prinzip widerspricht,
daß es am Markte auch für die Arbeit nur einen
Preis geben kann. Die Differentialrente ist nur der Mehrgewinn derjenigen
Unternehmer, die unter günstigeren Bedingungen produzieren; sie ist nicht Teil
des Preises, sondern Gewinn am Preise, über die Lohn- und Zinskosten hinaus.
Hiernach kann man von einer Ausbeutung des Arbeiters in
dem Sinne, daß ihm ein Teil seines Arbeitsertrages entzogen wird,
- 35 -
nicht sprechen.
Wie steht es aber mit der zweiten Form der
Ausbeutungstheorie, die darauf hinausläuft, daß Absatzstockung und
Arbeitslosigkeit durch die Preissteigerung der Güter zu erklären sind, der
keine entsprechende Einkommensvermehrung gegenübersteht?
Auch diese Behauptung ist
auf den ersten Blick falsch. Wenn die Ware z. B. beim Verlassen der Fabrik oder
später in der Hand des Händlers eine Preissteigerung von 5000 RM durchmacht, so
muß notwendigerweise gerade dadurch das Einkommen des Fabrikanten oder des
Händlers um 5000 RM erhöht worden sein. Sobald der Bezieher dieses "Profits"
also sein zusätzliches Einkommen ausgibt oder an eine Bank überträgt, macht er
gerade diejenige Kaufkraft geltend, die zum Absatze des ganzen Produkts bisher
fehlte. Und wenn der letzte Kleinhändler noch einmal 10 % drauf schlüge, so
erhöht er doch im selben Augenblicke sein Einkommen und seine Kaufkraft um
denselben Betrag. So ist der Gedanke unrichtig, daß der Profit (Zins oder
Rente) an der Überproduktion Schuld sei; das Einkommen ist vielmehr stets
ausreichend, um das gesamte Produkt zu kaufen.
2. Die Verwandlung
der Unternehmer-Ersparnisse in Kapitalgüter. — Und doch steckt in der Ausbeutungstheorie,
wie Proudhon sie formuliert hat, ein
richtiger Kern. Der Teil der Produktion, der den Arbeitern "vorenthalten"
und dem Unternehmer zugeteilt worden ist, kann nämlich trotz der Kaufkraft des
Unternehmers nicht abgesetzt werden, weil sich die Nachfrage des Unternehmers
auf ganz andere Warengattungen zu richten pflegt, als sie am Lager zur
Verfügung stehen.
Nehmen wir das Beispiel
einer Eierfarm: Ihr Besitzer gewinnt täglich 1000 Eier, von denen er 800 auf
die 80 Arbeiter verteilt, die in seinem Betrieb tätig sind und das nötige
Futter erzeugen. 200 Eier bleiben für den Unternehmer übrig. Er selbst kann
natürlich, um im Beispiel zu bleiben, nur 10 davon essen. So müssen seine Ersparnisse,
nämlich die andern 190 Eier, verfaulen, wenn
er nicht dafür sorgt, daß sie in langlebige und ertrag-bringende Kapitalgüter
verwandelt werden. Diese Verwandlung seiner ersparten Konsumgüter in
dauerhafte Werte kann der Besitzer nur dadurch erzielen, daß er 19 Arbeitslose
anstellt, sie etwa zur Errichtung eines Wohn- oder Mietshauses verwendet und
sie mit 10 Eiern pro Kopf täglich entlohnt. Nur
so kann er das Verfaulen der Eier vermeiden, Absatz für die ersparten Güter
schaffen und das Ziel des Sparens erreichen: den Besitz eines dauerhaften
Gutes, das womöglich Zinsen bringt. Wenn der Unternehmer diese Verwand-
- 36 -
lung der "innerbetrieblichen"
Kapitalbildung in richtiges Kapital nicht selbst vornimmt, muß er sie andern
Unternehmern, in den meisten Fällen unter Vermittlung der Banken, überlassen.
3. Die Vollendung
des Kapitalbildungsvorganges erst durch die Antizipationskredite. — Diesen
Zweig der bankmäßigen Betätigung nennt man den langfristigen oder den Anlagekredit. So wird eine Untersuchung der
Organisation des Anlagekredits nötig
sein, wenn man die Ursachen der Absatzstockungen ermitteln will. Dabei wird der sogenannte "antizipierte
Emissionskredit", allgemeiner der "Antizipationskredit" eine besondere
Rolle spielen. Man bemerkt nämlich in dem eben genannten Beispiel, daß dem Unternehmer gar kein langfristiges
Kapital zur Verfügung stand, mit dem allein er nach herrschender Ansicht
dauernde Kapitalgüter, wie Häuser, bauen darf. Es standen ihm nur Konsumgüter,
die in der Geldwirtschaft durch den kurzfristigen Kredit repräsentiert werden,
zu Verfügung. Hätte er, wie das heute beim soliden Unternehmer und Bankier
üblich ist, solange gewartet, bis ihm jemand langfristiges Kapital leihen
würde, so wären nicht nur die Erwerbslosen brotlos geblieben und die Eier
verfault, sondern es wäre auch die
Herstellung des realen Kapitals unterblieben. Damit wäre aber auch
der Sparvorgang unvollendet geblieben und man hätte sich mit Recht nicht nur über Arbeitslosigkeit und
Absatzmangel, sondern auch über Mangel an Kapitalbildung beklagt.
Aus der genaueren Untersuchung dieser Frage wird sich ergeben
(unten Kapitel 2), daß der
Sparvorgang in der Geldwirtschaft
tatsächlich nicht ohne Antizipationskredite vollendet werden kann, also
nicht ohne die Verwendung eines bestimmten Betrages von kurzfristigem Kredit zur Erstellung von langlebigen Kapitalgütern,
wie Häusern, Fabriken usw. Wir kommen daher zu dem Ergebnis, daß die Proudhonsche Theorie der
Absatzstockungen solange nicht unberechtigt ist, als nicht durch
Antizipationskredite für eine Umwandlung der Konsumgüter, also eine Anlage der
in Bildung begriffenen Profite (Ersparnisse) gesorgt wird.
4. Die übrigen
Probleme des Anlagekredits im Rahmen der Erlös-Einkommensgleichung. —
Weiter
wird bei den Fragen des Anlagekredits der Banken zu erörtern sein, ob und wie
weit zur Zeit etwa eine Überversorgung des kurzfristigen Kredits auf Kosten
des Anlagekredits herrscht, und welche Rolle der Diskontsatz der Reichsbank
hierbei gespielt hat. Auch
- 37 -
die Frage der
Kapitalanlegungsvorschriften, die große Teile der Kapitalbildung in bestimmte,
nicht immer wirtschaftlich erwünschte Bahnen zwingen, und das Problem der
Kapitalflucht und der Auslandsanleihen werden zu behandeln sein, wenn
ermittelt werden soll, wie Störungen im Absatz der Arbeitskraft und der Waren entstehen
können und wie sie zu beseitigen sind.
Die praktischen
Vorschläge, die aus diesen theoretischen Untersuchungen zu gewinnen sind,
werden im wesentlichen in der planmäßigen Umwandlung vorhandener latenter
Ersparnisse in effektive Kapitalbildung gipfeln. Nicht nur das Mittel dazu,
die Antizipationsvorschüsse, sondern auch die Bauprojekte, die durch diese
Kapitalbildung verwirklicht werden sollen, werden zu erörtern sein. Die beiden
Voraussetzungen einer solchen produktiven Bankpolitik sind die Senkung des
Zinsniveaus, deren Durchführbarkeit zu beweisen ist, und die Umgestaltung des
Großbank-Geschäfts. Daneben werden die Hilfsmaßnahmen und die neuen Aufgaben
der Reichsbank zu behandeln sein.
____________________
Zweites Kapitel.
Wesen und Aufgaben
der Kapitalbildung und des langfristigen Anlagekredits.
a) Die Kapitalbildung.
1. Wesen der
Spargelder. — Das gesamte Einkommen wird keineswegs nur für
Konsumgüterbedarf ausgegeben, vielmehr wird immer ein Teil von ihm gespart. (jz12) Der einfachste Fall des
Sparens liegt vor, wenn ein Teil des Einkommens, d. h. der auf einen Einkommens-träger
entfallenen Konsumgüter, nicht direkt verzehrt wird.
In der Geldwirtschaft werden solche unverbrauchten Einkommens teile zumeist in
Geldform als Sparguthaben bei einer Bank
eingezahlt, durch welchen Vorgang sich ihre weitere Verwendung im allgemeinen
dem Gesichtskreis des Sparers selbst
entzieht. Die Banken und Sparkassen verwenden solche Depositen, um daraus
Kredite in gleicher Höhe auszugeben; sie übertragen also tatsächlich die
unverbrauchten Konsumgüter, die der Sparer nicht zu verwenden wußte, an andere
Individuen, die imstande sind, sie regelrecht zu konsumieren. Die Kreditnehmer
benutzten die erhaltene Kaufkraft, um für gerade den Betrag Konsumgüter zu
erwerben, der vorher erspart war. Oft tun sie das nicht selbst, sondern
überlassen es denjenigen, die von ihnen Lohn empfangen. Dieser Fall ist so sehr
die Regel, daß tatsächlich fast die gesamten Ersparnisse des Volkes an
Unternehmer gelangen, die sie als Lohn an Arbeiter und Angestellte auszahlen.
2. Arten der
Ersparnisse. — Diese Spargelder sind aber nicht die einzige Art von
Ersparnissen die es gibt. Vielmehr ist dieses (1) Zurücklegen von Einkommen,
das wir "Einkommensparen'' nennen wollen, wohl zu unterscheiden von (2)
der Spartätigkeit im
— 39 —
Sinne des französischen
Ausdrucks économiser, die wir "Kostensparen" nennen werden, und (3)
der negativen Spartätigkeit. Die Summe von (1) und (2) abzüglich der negativen
Spartätigkeit wird Kapitalbildung
genannt. Sparen ist also nicht mit Kapitalbildung identisch, aber ihr sehr
ähnlich.
Bei der Theorie des Sparens ist bisher zu wenig beachtet
worden, daß das deutsche Wort "Sparen"
zwei ganz verschiedene Bedeutungen hat, woraus sich ein Teil der Meinungsverschiedenheiten
über den Sparbegriff erklären mag. Man sagt von einem Angestellten, der
monatlich einen Teil seines Gehalts zur Sparkasse bringt, er "spart";
man sagt aber auch von einem Fabrikanten, der seine Unkosten senkt, oder einer
Hausfrau, die einen fleischlosen Tag einführt, sie "sparen", obwohl
in beiden Fällen eine ganz andere Tätigkeit vorliegt. Das eine Mal handelt es
sich um aufsammeln, anhäufen von
Dingen bzw. Bankguthaben, das andere Mal handelt es sich um eine strenge
Durchführung des Wirtschaftsprinzips, um die Erreichung des wirtschaftlichen
Zweckes mit geringeren Mitteln, als bisher, also um eine Rationalisierung.
Die französische Sprache,
die einen gemeinsamen Oberbegriff für beide Tätigkeiten nicht kennt, unterscheidet
daher richtig zwischen épargner und économiser. Dasselbe Verhältnis wird im
Deutschen wohl am besten durch die zusammengesetzten Worte "Einkommensparen"
und "Kostensparen" ausgedrückt, da das eine Mal am Einkommen, das
andere Mal an den Selbstkosten gespart wird. Weil mit den Worten "sparen",
"aufhäufen" und "rationalisieren" oft ganz andere
Tatbestände gemeint werden, werden wir davon absehen, diese wenig brauchbaren
Ausdrücke zu verwenden und uns der neu gebildeten Ausdrücke bedienen, wo es
nötig ist.
3. Einkommensparen
(im Sinne von épargner). — Welche volkswirtschaftliche Bedeutung hat nun
sparen im Sinne von épargner?
Wenn in einer
Volkswirtschaft etwa 1/10 des Gesamteinkommens gespart wird, so kann das nur
heißen, daß die Arbeit von 9/10 der Arbeitenden hinreicht, um 10/10 der
werktätigen Bevölkerung mit Konsumgütern zu versorgen. Das letzte Zehntel der
Bevölkerung braucht sich nicht mehr in der Konsumgüterproduktion zu betätigen,
um seinen Bedarf zu erarbeiten; es lebt von den Waren, die die andern 9/10
gespart hatten, indem sie den entsprechenden Teil ihres Geldeinkommens
unverbraucht zur Bank brachten. Dieses
letzte Zehntel der Bevölkerung, das von der übrigen Bevölkerung ernährt wird,
ist also verfügbar, um die überall
— 40 —
so dringend begehrten Kapitalgüter herzustellen, insbesondere die Produktionsmittel.
Wir sind uns klar darüber, daß eine Wirtschaft, in der
alle Hände voll beschäftigt sind, um den laufenden Konsumgüterbedarf zu
beschaffen, zwar keine Arbeitslosigkeit kennt, aber doch größte Armut zeigen
muß, indem die Arbeit ohne Werkzeuge, Straßen, Verkehrsmittel verrichtet werden
muß, indem ferner die Bevölkerung ohne oder ohne neue Wohnungen usw. hausen
muß. Der Augenblick, in dem es gelingt, die Ernährung der gesamten Bevölkerung
mit nur 90 % der Arbeiter zu bewerkstelligen und 10 % verfügbar zu machen, um
Wohnungen, Wege, Brücken usw. zu bauen, ist der Wendepunkt von der Armut zum Wohlstand.
Wir werden sehen, daß dieser Fall auch heute wieder in
verstärktem Maße gegeben ist, daß man aber merkwürdigerweise jetzt mit den
überschüssigen Arbeitskräften nichts anzufangen weiß, ihr Vorhandensein
vielmehr als ein nationales Unglück betrachtet; ein Gedanke, der den Einwohnern
in dem oben erwähnten Beispiel sicher als unbegreiflich erschienen wäre.
Offenbar sind diese freigesetzten Arbeitskräfte allein in der Lage, durch
Herstellung neuer Kapitalgüter und Produktionsmittel das Los des ganzen Volkes
zu erleichtern.
In der Tat werden nun auch die Spargelder (épargner) der
Nation fast ausschließlich zur
Herstellung von Kapitalgütern verwendet Die Beträge, die bei Banken und
Sparkassen eingezahlt werden, können von diesen Instituten regelmäßig nur zur
Herstellung von Produktionsmitteln ausgeliehen werden, da die Banken und
Sparkassen für die Einlagen Zinsen bezahlen müssen. Es kommen also nur solche
Ausleihungen in Frage, die ihrerseits wieder Zinsen zu bringen vermögen, und
das sind praktisch nur Umsatzkredite und Anlagekredite. Da die Umsatzkredite,
wie sich zeigen läßt, aus den Giroguthaben und dem Banknotenumlauf voll und
ganz bestritten werden, bleibt für Spargelder nur die Ausleihung in
Anlagekrediten als einzige Anlagemöglichkeit übrig. Das trifft natürlich nur
für den Durchschnitt der gesamten Volkswirtschaft zu, während die Verhältnisse
bei den einzelnen Banken von Fall zu Fall verschieden liegen können. Bei
Ausleihungen, die nicht in eine dieser Kategorien fallen, würde die Bank niemals
sicher sein, das Kapital, insbesondere aber Zinsen zurückzubekommen, da solche
unproduktiven Kredite kein Substrat haben, das einen Überschuß abwirft, aus dem
also die Zinsen bezahlt werden können.
- 41 -
Auch wenn die Spargelder zum Ankauf von Obligationen, Anleihen oder Aktien
verwendet werden, findet das zurückgelegte Geld seine Anlage in
Produktivgütern, d. h. es wird zur Bezahlung der Lohn- und sonstigen Kosten von
Produktionsmitteln, Häusern usw. verwandt. Das ist sogar bei Stadtanleihen der
Fall, denn die Diskussion zwischen dem früheren Reichsbankpräsidenten Schacht
und dem Städteverband über die Verwendung der Auslandsanleihen hat ergeben,
daß nur ganz wenige Prozent Anleihesummen auf relativ unproduktive Güter, wie
z. B. Sportanlagen (also immerhin für Kapitalgüter), und der volle Rest auf
werbende Zwecke, insbesondere auf die Erweiterung der Gas- und Elektrizitätswerke
entfällt — Ebenso ist die Anlage von Spargeldern in Pfandbriefen zu beurteilen. Eine solche Anlage bedeutet die
Verwendung der unverbrauchten Konsumgüter für Lohnzahlungen an Bauarbeiter,
sachlich also für die Förderung des Wohnungsbaues, einer besonders wichtigen
Klasse von Kapitalgütern.
Hat ein Unternehmer selbst die Ersparnisse zurücklegen
können, so wird er damit entweder sein Bankguthaben erhöhen oder seine
Bankschuld tilgen, welche Fälle oben bei der Erörterung der Bankdepositen bereits
einbegriffen sind, oder er wird neue Maschinen kaufen. Dann dient der
Kaufpreis, den er an die Maschinenfabrik bezahlt, offenbar zur Bezahlung der
Löhne, Zinsen und Differentialrenten, die in dieser Fabrik fällig werden. Oder
der Unternehmer läßt die neuen Maschinen in eigener Regie selbst herstellen:
Dann zahlt er selbst diese seine Ersparnisse an seine Produktionsmittelarbeiter
aus. So werden zurückgelegte Einkommensersparnisse
stets in Produktionsmitteln und anderen Kapitalgütern investiert. Alle
solche Ersparnisse dienen letzten Endes der Entlohnung von Produktionsmittelarbeitern
und der Zahlung der dabei fällig werdenden Zinsen und Renten.
Mithin ist die
volkswirtschaftliche Aufgabe des Sparens die Freisetzung von Arbeitskräften
innerhalb der Konsumgüterindustrie, damit diese verfügbar werden, um langlebige
Kapitalgüter herzustellen. Ohne die Spartätigkeit wäre das Leben des
Menschen von dem der Tiere wenig verschieden, die ihren Tag fast ausschließlich
der Einsammlung von Konsumgütern widmen müssen. Die Vermehrung und Verfeinerung
des Sparens ist also eins der wichtigsten Mittel, um die Grundlagen der
menschlichen Kultur zu verstärken, denn nur durch Sparen ist die Erstellung
langlebiger Güter, die plan-
— 42 —
mäßige Fürsorge für die
Zukunft, die Sicherung des Lebens gegen die Einflüsse der Naturgewalten und die
feinere geistige Gestaltung möglich. Alle diese Komponenten der menschlichen
Kultur setzen die Befreiung der damit Beschäftigten von der unmittelbaren
Konsumgüterproduktion voraus.
4. Die
Verschiebung der verfügbaren Arbeitskräfte innerhalb der Gesamtindustrie durch
die Spartätigkeit. — Wenn die Spargelderanlage in Bankguthaben, in Aktien,
in Pfandbriefen usw. typisch für die Vorgänge auf der Geldseite der Wirtschaft
ist, welches sind die analogen Vorgänge
auf der Sachgüterseite?
Gehen wir aus von einer
Wirtschaft, in der überhaupt nicht gespart wird. Der Beginn der Spartätigkeit
auf Seiten der Einkommensbezieher bedeutet hier offenbar Rückgang der Nachfrage
nach Konsumgütern, dementsprechend die Notwendigkeit, die Konsumgüterproduktion einzuschränken. Wenn der volkswirtschaftliche
Zweck des Sparens die Freisetzung von Arbeitskräften innerhalb der
Konsumgüterindustrie ist, damit diese verfügbar werden, um Produktionsmittel
herzustellen, so muß offenbar der Beginn
der Spartätigkeit Leute aus ihren Arbeitsstellen in der
Verbrauchsgüterindustrie herauswerfen. Denn die Einschränkung der Konsumgüter-Produktion
hat nur Sinn, wenn sie von Personalentlassungen begleitet ist. Würde man etwa
aus sozialen Gründen oder durch Sozialgesetze gezwungen auf den Beginn der
Spartätigkeit nicht durch Personalabbau in der Verbrauchsgüterindustrie
antworten, so würden die Selbstkosten in der Konsumgüterindustrie die gleichen
bleiben, obwohl die Produktionsmenge eine geringere wäre. Die Kosten und
Preise pro Stück Ware würden also derartig steigen, daß die eben begonnene
Spartätigkeit sofort wieder aufhören würde, indem die Einkommensbezieher wieder
ihr volles Einkommen ausgeben müßten,
um das bisherige Quantum von Konsumgütern einkaufen zu können. Überdies würde
der Zweck des Sparens gär nicht erreicht werden.
So bedeutet der Beginn oder die Steigerung der Spartätigkeit
stets eine Einschränkung der Produktion durch Personalabbau. Genauer gesagt,
wird für je 50 RM zusätzlicher Ersparnisse in der Woche ein Konsumgüterarbeiter
mit einem Wochenlohn von 50 RM entlassen werden müssen. Ohne diese Entlassung
kann der Zweck des Sparens, die Überführung von Arbeitern in die
Produktionsmittelindustrie, nicht erreicht werden.
— 43 —
Sobald der Betrag der jährlichen Ersparnisse einen einigermaßen konstanten
Wert erreicht hat, werden weitere Entlassungen natürlich nicht mehr in
Frage kommen. Wenn z. B. Jahr für Jahr 10 % des Volkseinkommens gespart werden,
so werden 90 % der Arbeiter 1) in der Konsumgüterindustrie arbeiten, während 10
% der Arbeiter laufend von den 10 % unverbrauchten Konsumgütern ernährt
werden, die "erspart" worden sind. Diese letzteren werden die
Arbeiter in den Produktionsmittelindustrien sein.
Konstante Akkumulation von Spargeldern hat also keinen Einfluß auf den Arbeitsmarkt, nur die Steigerung der Spartätigkeit ist
es, die Arbeitslosigkeit in den Konsumgüterindustrien hervorruft, indem sie
einen Teil der Arbeiter zwingt, in die Produktionsmittelindustrie abzuwandern.
So ist die gegenwärtige Arbeitslosigkeit
in Deutschland erklärlich, wenn man bedenkt, daß wir am Abschlüsse einer
Periode plötzlicher Rationalisierungen größten Umfanges stehen, nachdem solche
während des Krieges und der Inflation ungewöhnlich lange aufgeschoben worden
waren.
Natürlich ist auch die umgekehrte Erscheinung denkbar:
Wenn die laufende Spartätigkeit sinkt,
indem bei gleichem Einkommen mehr konsumiert wird, so muß der
Beschäftigungsgrad in der Verbrauchsgüterindustrie steigen und Arbeitslosigkeit
in der Produktionsmittelindustrie eintreten.
In welcher Weise die Abwanderung
der Arbeitskräfte in die Produktionsmittelindustrie vor sich geht, ist nach
dem Gesagten leicht erkennbar. Offenbar
stehen der Produktionsmittelindustrie aus den neuen Spargeldern auf die Mark
genau soviel zusätzliche Kredite zur Verfügung, wie nötig sind, um die
freigewordenen Arbeiter in der Produktionsmittelindustrie zu den alten Löhnen
wieder einzustellen. Denn es ist genau soviel mehr gespart (aufgesammelt)
worden, wie in der Konsumgüterindustrie durch Entlassungen an Löhnen gespart
(rationalisiert) worden ist. Das führt uns auf die Betrachtung des Sparens im
Sinne von économiser.
5. Kostensparen
(im Sinne von économiser). — Die eben behandelte aufhäufende Spartätigkeit erzwingt
eine Selbstkostenermäßigung im gleichen Betrage innerhalb der
Konsumgüterindustrie; sie erzwingt sie, weil Tausende von Unternehmungen durch
den
_______________________________
1)
Genauer der
Löhne (ausgezahlt werden).
— 44 —
Absatzrückgang vor die
Alternative gestellt werden: entweder Verlust und Untergang, oder
Kostensenkung.
Da die Zinsen und andere
konstanten Kosten in der industriellen Kalkulation bekanntlich unveränderlich
sind, beim Sinken des Absatzes also nicht kleiner werden, kann eine solche
Kostensenkung nur in der Form von Arbeiterentlassungen verwirklicht werden.
Aufhäufung (sparen)
innerhalb der Einkommenssphäre geht also stets parallel mit Kostensenkung
innerhalb der Produktionssphäre, und zwar im gleichen Betrage.
Es gibt nun aber
Kostensenkungen innerhalb der Produktionssphäre, die keineswegs durch einen Absatzrückgang
erzwungen sind. Vielmehr können solche Maßnahmen ebensowohl der Initiative
der Unternehmer, der Verbreitung neuer Erfindungen, dem Wettbewerb, dem
Gewinnstreben usw. entsprungen sein.
Bekannt ist die "New
Industrial Revolution"1), die große Rationalisierungswelle,
mit der sich die deutsche Industrie von 1924 - 1928 nach der Zerstörung der
Kalkulationsgrundlagen durch die Inflation wieder an die Spitze der
Industrieländer Europas zu stellen versuchte. Hier wurden große Mengen von
Arbeitskräften entlassen, indem man neue Arbeitsmethoden, neue Maschinen, neue
Stücklohnverfahren usw. einführte, um die Selbstkosten zu vermindern und auf
diese Weise mehr Reingewinn zu erzielen.
Wenn auch zwischen den
Begriffen der "Selbstkostensenkung" und der "Rationalisierung"
im Einzelnen manche Unterschiede bestehen mögen, so genügt hier die Feststellung,
daß Sparen im Sinne von économiser
nichts anderes ist als der vorhin beschriebene Vorgang der Kostensenkung auf der Produktionsseite. Beide Sparbegriffe
unterscheiden sich dadurch, daß die
Kostensenkung beim Einkommensparen eine erzwungene ist, während sie beim
Kostensparen freiwillig ist.
Der Begriff des
Einkommensparens umschließt stets den Begriff des Kostensparens, indem jedes Einkommensparen
ein Kostensparen in gleichem Betrage erzwingt.
Der Begriff des
Kostensparens dagegen setzt keine Veränderung auf der Einkommensseite voraus.
Natürlich hat auch das
Kostensparen seine Rückwirkungen auf
die Einkommensseite, indem der Reingewinn des Betriebes, also das Einkommen,
vermehrt wird, sodaß bei gleichem Konsum nun mehr gespart wird. Stets geht aber beim Einkommensparen der Anstoß
von der Einkommens-
_______________________________
1)
Buchtitel von
Meakin.
— 45 —
seite aus, während er
beim Kostensparen von der Produktionsseite ausgeht. Das Vorhandensein einer gemeinsamen
Wurzel für beide Sparbegriffe im Kostensparen beweist, daß der deutsche Sprachgebrauch,
der zwischen épargner und économiser nicht unterscheidet, keineswegs falsch
ist.
Die durch Rationalisierungen aller Art freiwillig
ersparten Kosten im Sinne des économiser machen einen sehr bedeutenden Teil der
Volksersparnisse aus. Ist ihr Betrag von Jahr zu Jahr in der ganzen Volkswirtschaft
gleich und nur von Betrieb zu Betrieb verschieden, so geht von hier kein
Anstoß zur Abwanderung von Arbeitskräften aus. Soviel Arbeiter, wie in dem
einen Betrieb der Verbrauchsgüterindustrie infolge einer gelungenen Rationalisierung
überflüssig werden, finden in einem anderen Betrieb derselben Industrie
Aufnahme, der zusätzliche Arbeiter einstellen muß, obwohl seine Produktion
nicht gestiegen ist. (jz13) Dasselbe ist innerhalb der
Produktionsmittelindustrie der Fall. Sobald aber jedes Jahr ein wachsender Teil der Selbstkosten erspart
wird, sobald also die Industrie im Laufe der Jahrzehnte immer rationeller
organisiert wird, muß dieselbe Folge eintreten, die eine Zunahme der
Spartätigkeit zeigt: es müssen Arbeiter von der betroffenen Konsumgüterindustrie
abwandern in die Produktionsmittelindustrie, oder, wenn sie schon bisher in
dieser Industrie beschäftigt waren, müssen sie
in neue Zweige der Produktionsmittelindustrie verschoben werden.
Da auch diese
Kostenersparnisse volkswirtschaftlich gesehen letzten Endes nichts als
zurückbehaltene Löhne sind, die Anlage suchen und entweder direkt oder indirekt
(durch die Banken) wieder als Lohnkredite an die Produktionsmittelindustrie
ausgeliehen werden, so steht auch hier wieder gerade derjenige zusätzliche Kreditbetrag
für Lohngelder in der Produktionsmittelindustrie zur Verfügung, der den eben
entlassenen Arbeitern entzogen worden ist, der also gerade hinreicht, um sie
vollzählig zu den alten Löhnen wieder einzustellen.
Der Vorgang der Kostensenkung in der Industrie und der
Landwirtschaft ist nicht etwa für die neueste Zeit typisch, sondern so alt, wie
der wirtschaftliche Fortschritt überhaupt. Besonders seit Beginn des kapitalistischen
Zeitalters hat er ein lebhaftes Tempo angenommen, so daß heute die zur Versorgung
der gesamten Bevölkerung
erforderlichen Konsumgüter mit weit weniger Kosten hergestellt werden, als
etwa im Jahre 1875; d.h., daß heute ein geringerer Prozentsatz der Bevölkerung
in der Konsumgüterindustrie beschäftigt ist, als im Jahre 1875. Das
- 46 -
ergibt sich z. B. aus der
folgenden Statistik des Stat. Reichsamts 1):
1. Beschäftigte
Personen:
1875
1925
Konsumgüterindustrie
……………………………………………… 3,5 Mill. 6,2 Mill.
(Nahrung, Bekleidung, Wohnungsaustattung, Gerätschaften) 65 % 49
%
Produktionsmittelindustrie
…………………………………………. 1,9 Mill. 6,5 Mill.
(Kraftstoffe, Grundstoffe, Konstruktionen,
Baugewerbe) …. 35 % 51 %
2. Kraftmaschinen-Leistung:
Konsumgüterindustrie ……………………………………………… 35 % 26 %
Produktionsmittelindustrie
…………………………………………. 65 % 74 %
Während also im Jahre
1875 noch 2/3 der Bevölkerung Verbrauchsgüter produzieren mußten, damit alle Einwohner
konsumieren konnten, brauchte im Jahre 1925 nur noch die Hälfte der Bevölkerung
dieser in gewissem Sinne unproduktiven Tätigkeit obzuliegen; damals waren nur
1/3 für die Herstellung von produktiven Anlagen frei, heute sind es 1/2 der
Bevölkerung.
6. Die negative
Spartätigkeit. — Sowohl die Einkommensersparnisse als auch die
Kostenersparnisse können bei der Berechnung der gesamten Kapitalbildung nicht
mit ihrem Bruttobetrage angesetzt werden. Von den Einkommensersparnissen ist
vielmehr derjenige Betrag abzusetzen, der von einzelnen Einkommensträgern über das vorhandene Einkommen hinaus verbraucht worden ist, und von
den Kostenersparnissen die Betriebsverluste.
Ein solches "über seine Verhältnisse leben" ist
bei beiden Ersparnisarten dadurch möglich, daß Kon-sumptivkredite in Anspruch genommen werden. In normalen Zeiten
spielen solche Konsumptivkredite eine überaus geringe Rolle, weil die
betreffenden Individuen keine ertragbringende Kreditunterlage zu haben pflegen,
aus der der Zinsendienst sich bestreiten läßt. Anders war das bei dem deutschen
Grundbesitz, insbesondere der Landwirtschaft nach Beendigung der Inflation. Die
Hypothekenlast war größtenteils ausgelöscht und es war reichlich Platz in den
Grundbüchern für eine Neuverschuldung, ohne daß man aber stets daran gedacht
hätte, dauerhafte Gegenwerte für das erhaltene Geld aufzuführen. Die Erlöse der
Neuverschuldung sollen im Betrage von 3 - 5 Milliarden RM für die Bezahlung
laufender Betriebsverluste und voreilige, mißglückte Rationalisierungsmaßnahmen
verwendet worden sei. Freilich
_______________________________
1)
Vgl. Deutsche
Wirtschaftskunde 1930, S. III.
- 47 -
konnte man dadurch
landwirtschaftliche Arbeitskräfte vor der Entlassung bewahren; nachdem die
Löhne aber ausgezahlt worden waren, war kein rentabler Gegenwert da, der der
volkswirtschaftlichen Güterproduktion hätte dienstbar gemacht werden können.
Hätte man die Hypothekarkredite besseren Verwendungsarten zugeführt, so wären
aus ihnen genau so viel Löhne gezahlt worden, es wären aber Gegenwerte erstellt
worden, die das Volksvermögen erhöht und die Aufbringung der Zinsen ermöglicht
hätten. Die Verwendung dieser Milliarden zu konsumptiven Zwecken bedeutete also
für den Arbeitsmarkt keine größere Entlastung, als eine produktive Verwendung,
stellte aber einen volkswirtschaftlichen Verlust in größtem Ausmaße dar 1). —
Seitdem die Grundbuchstellen wieder besetzt sind und keine Möglichkeit zu einer
so plötzlichen Zusatzverschuldung mehr besteht, spielen die Konsumptivkredite
keine Rolle mehr. Außerhalb der Betriebe kann es sich bei den Konsumptivkrediten
im wesentlichen nur um kleinere Kredite etwa zu Ausbildungszwecken oder aus Krankheitsgründen
handeln.
Die andere Möglichkeit des Konsums über das Einkommen
hinaus liegt in dem "Rückgriff auf die Vermögenssubstanz." Wenn ein
Rentner oder eine Aktiengesellschaft einen Teil ihres Vermögens "verbraucht",
so ist dies nur bildlich zu verstehen, da sich Kapitalgüter nicht verzehren
lassen. Es findet vielmehr ein schrittweiser Verkauf von Vermögensstücken
statt. Die Käufer sind letzten Endes immer Sparer, die das von ihnen unverbraucht
gelassene Einkommen direkt oder auf Umwegen dem in Not geratenen Verkäufer zur
Verfügung stellen, indem sie dafür die verkauften Aktien usw. erwerben.
In beiden Fällen des Überkonsums dienen die ersparten
Konsumgüter, die "Ersparnisse", nicht der Ernährung bzw. Entlohnung
von Produktionsmittelarbeitern zwecks Herstellung langlebiger Kapitalgüter,
sondern dem Konsum, d. h. der Entlohnung von Arbeitern ohne Schaffung neuer Werte oder dem privaten Verbrauch überhaupt
ohne Arbeitsleistung wirtschaftlicher Art. Es läßt sich der Fall denken, daß
dieser "Überkonsum" gerade so groß ist, wie die Summe der
Ersparnisse. Dann würde trotz der Spartätigkeit die ganze werktätige Bevölkerung
in der Verbrauchsgüterindustrie tätig sein, ohne daß Arbeitskräfte in der
Produktionsmittelindustrie angesetzt werden könnten.
_______________________________
1)
Man hätte
vielleicht die Aufnahme von Neuhypotheken
ohne den Nachweis landeskulturell nützlicher Verwendung für die Jahre
nach der Inflation verbieten müssen.
- 48 -
Von den beiden Arten der
Ersparnisse, den Einkommensersparnissen und den Kostenersparnissen, ist also
dieser Überkonsum abzuziehen, weshalb
man diesen Teil mit Recht als "negative Ersparnisse" bezeichnet.
7. Die
Kapitalbildung. — Die Kapitalbildung ist hiernach aus der Summe beider
Ersparnisarten abzüglich der negativen Ersparnisse zu berechnen.
Faßt man die Ergebnisse der Untersuchung über das Wesen
der Kapitalbildung zusammen, so muß man zuerst hervorheben, daß die
Kapitalbildung über die Verteilung der Arbeitskräfte auf die beiden
Hauptindustrien, nämlich die Konsumgüter- und die Produktionsmittelindustrie,
entscheidet. Kapitalbildung ist die Fähigkeit
einer Nation, Arbeiter zu ernähren, ohne daß sie sich an der
Verbrauchsgüterproduktion zu beteiligen brauchen, und sie für die Herstellung
von Produktionsmitteln anzusetzen 1). Diese Verteilung der Arbeitskräfte
auf beiden Industrien wird bedingt durch den Prozentsatz vom Volkseinkommen,
der unverbraucht gelassen wird, und durch den Grad der Wirtschaftlichkeit der
Produktion. Eine solche einmal feststehende Verteilung wird verschoben, wenn der
Ersparnisprozentsatz wächst oder sinkt und dadurch Entlassungen in der einen
Industrie erzwingt, oder wenn die Wirtschaftlichkeit der Produktion mittels
Entlassungen gesteigert wird. In beiden Fällen können die zur Abwanderung
gezwungenen Arbeitskräfte neue Stellen zum alten Einkommen erhalten, da die so
erzielten zusätzlichen Ersparnisse nach Anlage suchen und nur hier, also nur zur Wiedereinstellung und Entlohnung der
Entlassenen in der Produktionsmittelindustrie verwendet werden können. —
b) Arbeitslosigkeit
infolge von Rationalisierungen.
1.
Kaufkraftrückgang als Ursache des Fehlschlags von Rationalisierungen. — Wir
haben gesehen, daß es für Ersparnisse beider Arten nur eine Anlagemöglichkeit
gibt: die Anlage in
Produktionsmitteln, genauer: die Überweisung der in Rede stehenden
unverbrauchten Konsumgüter an solche Arbeiter, die durch den Sparvorgang in der
Konsumgüterindustrie freigeworden sind. Denn nur Produktionsmittel bringen Ertrag, nur aus ihnen können
_______________________________
1)
Dieses letzte
Merkmal fehlt bei den bisherigen Definitionen, die die Literatur aufweist.
— 49 —
Zinsen herausgewirtschaftet
werden; nur die Erstellung neuer Produktionsmittel
kann als Anlagemöglichkeit in Frage kommen, da die Arbeitskosten älterer
Produktionsmittel schon in früherer Zeit aufgebracht worden sind und hier nicht
mehr interessieren, wo es sich um die Aufsuchung zusätzlicher Anlagemöglichkeiten handelt. Endlich kann nur die
Beschäftigung der entlassenen
Arbeiter in Frage kommen, da alle anderen Arbeiter schon in festen Händen sind.
Es gibt, von unwesentlichen Einzelfällen abgesehen, überhaupt keine
Möglichkeit, zusätzliche Ersparnisse anders anzulegen, als in Löhnen an
diejenigen Arbeiter, die durch die zusätzliche Kapitalbildung ihre
Arbeitsstellen verloren hatten.
So wäre Arbeitslosigkeit infolge von Rationalisierungen
unmöglich? Das haben J. B. Say und
andere behauptet. So einfach ist die Lösung aber nicht, denn die gegenwärtige
Lage des Arbeitsmarktes lehrt, daß sie in großem Umfange Tatsache ist. Dieses für die heutige Situation entscheidende
Phänomen kann nur geklärt werden, wenn man sich die bei einer Rationalisierung
zu beobachtenden Umsatzvorgänge klar vor Augen hält.
Wenn in Deutschland im Jahre 1925 z.B. 3 Millionen Arbeitskräfte
infolge von Rationalisierungen entlassen wurden, die bisher wöchentlich 50 RM
verdient hatten, so bedeutete daß für die Industrie tatsächlich die ersehnte
Unkostensenkung von wöchentlich 150 Mill. RM, d. h. um jährlich rund 7 1/2
Milliarden. Nimmt man beliebige Zahlen und schätzt man den Wert der gesamten
industriellen, gewerblichen und landwirtschaftlichen Produktion auf 75
Milliarden RM, so war die Kalkulation der Industriellen offenbar die, diesen
Produktionswert, den man bisher ohne jeden Reingewinn, oft mit Verlust, zu
Selbstkosten beispielsweise von 76 Milliarden erzeugt hatte, mit nur 68 1/2 Milliarden
RM Selbstkosten herzustellen. Dann blieb ein Reingewinn von jährlich 6 1/2
Milliarden RM, während man bisher 1 Milliarde Verlust gehabt hatte.
Bei dieser Kalkulation hatte man angenommen, daß der Absatz mit 75 Milliarden RM vor und nach
der Rationalisierung unverändert
bleiben würde. Eine solche Annahme ist durchaus verständlich, wenn man überlegt,
daß die Industrieführer ja keine Volkswirtschaftler sind, die, ohne an ihren
Betrieb zu denken, nur die gesamte Volkswirtschaft im Auge haben. Vielmehr ist
jeder Industrielle bei seiner Rationalisierungskalkulation allein von seinem
Betrieb ausgegangen; er hat sich gesagt, daß eine Entlassung von 500 Mann im
Verhältnis zu der Kaufkraft von fast 30 Millionen Arbeitern und Angestellten in
Deutschland, die in Arbeit bleiben,
— 50 —
gar nichts bedeutet. Er
hat nicht berücksichtigt, daß alle andern Arbeitgeber Deutschlands in der
gleichen Zeit auch mit Rationalisierungen beschäftigt waren, daß überall
ungefähr im gleichen Verhältnis Entlassungen vor-genommen wurden. Er hat also
nicht daran gedacht, daß die von ihm vorgenommene Entlassung von 500 Arbeitskräften
volkswirtschaftlich der Entlassung und Arbeitslosigkeit von 3 Millionen
Arbeitern gleichkommt Ein solches Ansteigen der Arbeitslosigkeit bedeutet aber
einen Ausfall an Kaufkraft, eine Verminderung
des Absatzes. Wenn 3 Millionen Arbeitskräfte entlassen werden, so sinkt der
Absatz offenbar in den Branchen, die Arbeiterbedarf herstellen und feilbieten,
also besonders in der Konsumgüterindustrie, schon nach wenigen Tagen um 150
Mill. RM. wöchentlich, also um jährlich 7 % Milliarden RM. Das ist gerade der
Betrag, den man durch die Rationalisierung mehr zu verdienen gehofft hatte.
Das Ziel der
Rationalisierung war gewesen, Kostenersparnisse im Betrage von 7 1/2
Milliarden RM zu erzielen. Dieses
Streben nach Ersparnissen war auch volkswirtschaftlich vernünftig gewesen, da
man mit dem zusätzlich gebildeten
Neukapital von 7 1/2 Milliarden jährlich, das Anlage suchen mußte, gerade die 3 Millionen entlassenen
Arbeitskräfte zu einem Lohn von 50 RM wöchentlich wieder hätte beschäftigen
können. Dieses Ziel mußte verfehlt
werden, weil der Absatz um den
gleichen Betrag sank. Die
Selbstkosten der Industrie betrugen nun 68 1/2 Milliarden RM, die Einnahmen aus Verkäufen aber nur 67
1/2 Milliarden anstatt 75 Milliarden,
so daß keinerlei Reingewinn verblieb,
obwohl man mit 6 1/2 Milliarden Reingewinn sicher gerechnet hatte. Der Beschäftigungsgrad
der Industrie, der eben eine entscheidende Rolle spielt, hatte sich um 10 %
vermindert; die fixen Produktionskosten, insbesondere die Zinsen, verminderten
sich nicht im gleichen Maße, blieben vielmehr unverändert; die aufs äußerste
herabgesetzten Lohnkosten ließen sich nicht mehr vermindern. So war der industrielle Apparat schlechter
ausgenutzt; er arbeitete teurer; der
erhoffte Reingewinn wurde durch die Verschlechterung des Beschäftigungsgrades
wieder aufgefressen.
Wenn aber die erwarteten Kostenersparnisse ausblieben, so
war auch keine zusätzliche Kapitalbildung da, mit der man den Arbeitsuchenden
Löhne in der Produktionsmittelindustrie hätte auszahlen können. Die Rationalisierungen,
die in solcher Weise durchgeführt worden sind, haben sich also nicht nur
privatwirtschaftlich,
- 51 -
sondern auch
volkswirtschaftlich als verfehlt erwiesen: Nicht nur die erhoffte Rentabilität
der Einzelbetriebe ist ausgeblieben, sondern auch die Kapitalbildung ist verhindert worden, mit der allein man die
entlassenen Arbeitskräfte wieder in den Produktionsprozeß eingliedern kann.
Aus vorübergehender Arbeitslosigkeit zum Zwecke des Abwanderns in die
Produktionsmittelindustrie ist Dauerarbeitslosigkeit
geworden, die das soziale Gebäude aufs schwerste zu erschüttern droht; aus
Rationalisierung und Umstellung ist chronischer Absatzmangel geworden; dabei ist der Kapitalmangel so groß, daß es unmöglich erscheint, Arbeit zu
beschaffen, um wieder Absatz und Besserung herbeizuführen.
Durch diese Charakterzüge ist die moderne
Arbeitslosigkeit, ja überhaupt die gegenwärtige Wirtschaftslage insbesondere in
Deutschland, England und den Vereinigten Staaten gekennzeichnet. Mit einem Wort
gesagt: der durch die Entlassungen verursachte
Konsumrückgang ist der eigentliche Grund, warum hinterher Ersparnisse zur
Wiederbeschäftigung der abgebauten Arbeitskräfte in der Produktionsmittelindustrie
nicht zur Verfügung stehen.
Chronische
Arbeitslosigkeit, Absatzrückgang, Kapitalmangel gehören daher zusammen; sie
sind ebenso die Kennzeichen von Störungen in der Kapitalseite der Wirtschaft, wie Diskontschwierigkeiten und
Vertrauenskrisen zusammen mit akuter Arbeitslosigkeit bezeichnend sind für
Störungen auf der Umsatzseite der
Wirtschaft.
Eine solche volkswirtschaftliche Kritik der in den
letzten Jahren üblichen Rationalisierungsmethoden könnte zu der Schlußfolgerung
führen, daß Rationalisierungen überhaupt zwecklos und zu unterlassen sind.
Dieser Gedanke ist offenbar falsch; man kann nicht auf die eine der beiden
Quellen der Kapitalbildung, die Kostensenkung, einfach verzichten, ohne auf
wirtschaftlichen Fortschritt überhaupt zu verzichten. Zudem zeigt die
Geschichte, daß der Wohlstand der Massen gerade im letzten Jahrhundert, das die
stärksten Rationalisierungen brachte, wesentlich gestiegen ist
So wird man nach einer volkswirtschaftlichen und
finanztechnischen Methode zu suchen haben, wie man rationalisieren kann, ohne
durch Absatzrückgang um den Erfolg des Werkes betrogen zu werden.
2. Die angebliche
Steigerung der Unternehmerkaufkraft. — Der schwache Punkt der gegenwärtig
üblichen Rationalisierungs-
- 52 -
methode ist offenbar, daß
sie annimmt, der Absatz werde sich nach der Rationalisierung auf gleicher Höhe halten.
Diese Annahme ist um so unrichtiger, als das Wesen der Rationalisierung ja in
einer Verminderung des Lohnanteils pro Einheit des Produkts besteht.
Man hat nun gesagt, daß die Kaufkraft der Unternehmer ja
um gerade soviel steige, wie die der Arbeiter gesenkt worden sei. Die
Steigerung der Unternehmerkaufkraft vermag aber für den Ausfall an
Arbeitskaufkraft solange keinen Ersatz zu bieten, als sie nicht oder nicht voll
in Höhe des Ausfalls aktuell ausgeübt
wird. Sie kann im allgemeinen schon deshalb nicht effektiv verausgabt werden,
weil der Unternehmer fast immer nur in
einer Branche tätig ist. Sparen
bedeutet aber Abwanderung der Arbeitskräfte, also eine Entfernung der Arbeiter aus dem Bereich des Unternehmens, das die
Rationalisierung durchführt und die Kostenersparnisse erzielt.
Man könnte vielleicht
annehmen, daß der Unternehmer ja seine Ersparnisse auf der Bank ansammelt und daß
die Banken gar nicht anders können, als diese Gelder anderweitig auszuleihen,
so daß die Verschiebung der Kaufkraft von der Konsumgüterindustrie in die
Kapitalgüterindustrie und damit die notwendige Verschiebung der Arbeitskräfte von den Banken geleistet wird. Das ist
aber nicht der Fall, wie die folgende Überlegung zeigen wird.
Praktisch spielt sich der Vorgang meist so ab, daß der
Unternehmer, der zusätzliche Kosten erspart hat, seinen eigenen Verbrauch
nicht oder nur unverhältnismäßig wenig erhöht. Von Seiten des Unternehmerkonsums
ist also eine Belebung des Arbeitsmarktes nicht zu erwarten. Der Unternehmer
hofft vielmehr darauf, daß sich seine Bankschulden
nunmehr vermindern bzw. seine Bankguthaben vermehren werden. Er stützt
diese Hoffnung aber nicht auf die Überzeugung, daß auf seinem Bankkonto mehr Erlöse aus Verkäufen eingehen
werden, sondern nur darauf, daß er von jetzt an wöchentlich weniger Lohngelder bei der Bank abheben wird, während
die eingehenden Rechnungsbeträge gleich hoch bleiben.
Was geschieht bei
den Banken, wenn die Unternehmer weniger Lohngelder abheben? Die Banken lassen
entsprechend weniger Bargeld bei der Zentralnotenbank holen und diskontieren
weniger Wechsel bei ihr. So sinkt also der Notenumlauf und damit die verteilte
Kaufkraft. Keineswegs aber verbleiben den Banken nun die nicht beanspruchten
Lohngelder zur anderweitigen Verfügung; die von den Unternehmern weniger ver-
- 53 -
teilte Kaufkraft, tritt
nicht an anderer Stelle wieder zutage, etwa in der Kapitalgüterindustrie,
sondern sie geht unter. Die durch
Rationalisierung ersparte Lohnkaufkraft wird nicht an eine andere Stelle
verschoben, sondern sie wird vernichtet!
Das zeigt sich auch auf den Bankkonten der Unternehmer:
Anstatt unveränderter Eingänge bei gesunkenen Abhebungen für Löhnungszwecke,
beobachtet man verminderte Eingänge,
da ja der Notenumlauf und das in Verkehr gesetzte Einkommen zurückgegangen
ist. Das erstrebte Ziel: vermehrter Reingewinn, vermehrte innerbetriebliche
Kapitalbildung, erhöhte Bankguthaben, aus deren Ausleihung erhöhte Nachfrage am
Arbeitsmarkt — alles das ist nicht erreicht worden. Die als unausbleiblich
erwartete Steigerung der Unternehmerkaufkraft, mit der die Schäden des Sinkens
der Arbeiterkaufkraft hätten ausgeglichen werden können, ist ausgeblieben, ja
sie muß ausbleiben, solange nichts zu ihrer Effektivierung getan wird.
3.
Volkswirtschaftlich richtige Rationalisierungen. — Eine erfolgreiche
Rationalisierung wird also nicht nur auf eine exakte Lösung der
ingenieurtechnischen und betriebswirtschaftlichen Fragen Wert zu legen haben,
sondern auch darauf, daß der bisherige Absatz unter allen Umständen erhalten
bleibt. Das kann nur geschehen, indem
man den abgebauten Arbeitern unverzüglich wieder Arbeit verschafft. Eine
Rationalisierung ist nur dann vollständig, wenn sie die Arbeitsbeschaffung für
die Entlassenen einbegreift. Gelingt es, die von der Rationalisierung betroffenen
Arbeiter sofort wieder in den volkswirtschaftlichen Güterumsatz einzuschalten,
so bleibt der Absatz auf gleicher Höhe, es
werden also die zusätzlichen Ersparnisse tatsächlich erzielt, um derentwillen
man die Rationalisierung begonnen hatte. Bei verminderten Lohngelderabhebungen
bleiben die Eingänge aus verkauften Waren auf den Bankkonten der Unternehmer auf
der alten Höhe, die Schulden der Unternehmer sinken also, und die Bankguthaben
steigen. Das hat die weittragende Bedeutung, daß nun auch die zusätzliche Kapitalbildung da ist, ohne welche die Beschäftigung
der abgewanderten Arbeiter nicht möglich wäre.
Allerdings wird man dem Unternehmer, der 5 oder 500
Arbeiter entläßt, nicht immer zumuten können, sich persönlich um das Schicksal
der Entlassenen, das nach dem Gesagten auch sein Schicksal ist, tatkräftig zu
bekümmern. Gerade auf diesem Gebiete
herrscht aller-
— 54 —
dings noch überall ein
manchesterliches Denken im üblen Sinne; man entläßt Leute, ohne Rücksicht auf
die Folgen für die übrige Wirtschaft, unklugerweise sogar ohne tiefere
Berücksichtigung der eigenen Interessen, die in viel höherem Maße mit dem
Gesamtinteresse verknüpft sind, als vermutet wird. Wenn auch der Zusammenhang
zwischen den Fehlschlägen der Rationalisierung und dem eben dadurch
herbeigeführten Absatzrückgang heute noch nicht erkannt wird, so bricht sich
doch schon die Erkenntnis Bahn, daß man bei der Rationalisierungskalkulation
zum mindesten nicht die Steigerung der sozialen Lasten berücksichtigt hatte,
die direkt oder indirekt durch die folgende Dauerarbeitslosigkeit veranlaßt
ist.
Wenn die einseitig technische und nicht
volkswirtschaftliche Behandlung der Rationalisierung eine der Ursachen der
Arbeitslosigkeit ist, so müßte man bei dem heute vorherrschenden etatistischen
Denken die Rettung etwa in einer Gesetzgebung sehen, die dem Unternehmer für
jede entlassene Arbeitskraft einen Sonderbeitrag zur Erwerbslosenfürsorge
auferlegt. Dieser Betrag könnte so hoch sein, daß einzelne Unternehmer oder de-ren
Verbände sich vielleicht bemühen würden, neue Arbeitsgelegenheit zu schaffen,
um ihren Mitgliedern die Zahlung der Sonderbeiträge zu ersparen. Daraus könnten
sich aber bürokratische Kapitalverschwendungen größten Umfanges entwickeln,
ohne daß ein Erfolg gewährleistet wäre, weil das Problem ja letzten Endes ganz
außerhalb des Problemkreises der Arbeitgeberverbände liegt.
Nicht Syndizi, sondern Bankiers werden die Lösung bringen
müssen. Es handelt sich nicht um eine Ver-ursachung der Arbeitslosigkeit, für
die der einzelne Unternehmer verantwortlich gemacht werden kann. Ihm kann
keineswegs zugemutet werden, von der Entlassung abzusehen, denn dann würde ja
die so erfreuliche und im tiefsten produktive Tatsache der Kostenersparnis gar
nicht eintreten, die vermehrte Kapitalbildung also noch mehr verhindert
werden. Es kann nur verlangt werden, daß die Wirtschaftsführer als Klasse die
Zusammenhän-ge überschauen und dafür sorgen, daß an anderer Stelle ein Ersatz
für die verlorenen Arbeitsplätze geschaffen wird. Das kann nur durch eine
geeignete Organisation des Kredits geschehen, wie noch zu zeigen sein wird. Die
Kredit-und Bankorganisation muß so eingerichtet sein oder werden, daß sie die
völlig normale und herkömmliche Erscheinung der Rationalisierung bewältigt und
laufend den abwandernden Arbeitskräften Lohn und Brot zu verschaffen vermag.
- 55 -
c) Die
Effektivierung der latenten Kapitalbildung.
1. Latente und
effektive Kapitalbildung. — Die Kapitalbildung besteht also aus zwei
verschiedenen Bestandteilen, von denen keiner entbehrlich ist: a) Der
Einkommens- oder Kostenersparnis und b) der Abwanderung und Wiederansetzung der
freigewordenen Arbeitskräfte zur Erzeugung von Produktivgütern. Fehlt eines
dieser Bestandteile, so ist der Kapitalbildungsvorgang noch unvollendet, die Kapitalbildung ist nur latent vorhanden. Erst wenn der zweite
Bestandteil hinzutritt, wird der Sparprozeß vollendet,
die Kapitalbildung also effektiv.
Diese in der Wissenschaft noch neue Erkenntnis ist von grundlegender Bedeutung
für die hier behandelte zweite Art 1) der Arbeitslosigkeit
Wenn man sagt, diese
Arbeitslosigkeit sei durch Kapitalmangel verursacht, so ist das nur insoweit
richtig, als der Kapitalbildungsprozeß wohl eingeleitet
ist (daher Arbeitslosigkeit), daß ihm aber der notwendige Abschluß fehlt. Dieser Abschluß kann aber nicht von dem Eintreten irgendeines
außerhalb der Arbeitsbeschaffung liegenden Vorganges erwartet werden, sondern
nur von der produktiven Beschäftigung der Erwerbslosen selbst. Insofern ist es
sogar falsch, im Kapitalmangel die Ursache der Arbeitslosigkeit zu sehen;
vielmehr kann man sagen, die Arbeitslosigkeit sei die Ursache des
Kapitalmangels, nämlich der mangelnden Vollendung des eingeleiteten
Sparprozesses.
2. Zielbewußte
Produktion von Ersparnissen. — Es wird heute in der Öffentlichkeit viel von
der Förderung der Kapitalbildung gesprochen. Die Kapitalbildung will man, wenn
sie erst einmal da ist, zur Beschäftigung der Arbeitslosen verwenden. Ein
solches privatwirtschaftlich-bürokratisches Denken entspricht nicht den
volkswirtschaftlichen Tatsachen. Schuld an der Kapitalknappheit sind die
umfangreichen Arbeiterentlassungen, die den Absatz so sehr vermindert haben,
daß nunmehr ein zu großer Produktionsapparat für die verminderte Versorgung
vorhanden ist, daß also die Kosten im Verhältnis zur verbliebenen
Produktionsmenge in der gesamten Volkswirtschaft zu groß sind. Dieses
ungünstige Kostenverhältnis, diese zu geringe Ausnutzung der Produktionskapazität
läßt eine Kapitalbildung in den Betrieben nicht zu. Der Schrei nach
Kapitalbildung, und zwar gerade nach Kapitalbildung in den industriellen
Betrieben, nach "Selbstfinanzierung", ist sonach verständlich 2).
_______________________________
1)
Wegen der
eisten Art vgl. oben S. 31—33 und die vor der Veröffentlichung stehende
besondere Abhandlung des Verf.
2)
Vgl: die Denkschrift des
Reichsverbandes der Deutschen Industrie: "Aufstieg oder Niedergang". Berlin
1930.
- 56 -
Nur die Lösung ist nicht richtig: Nicht Senkung der
sozialen Lasten, der Löhne usw., denn dadurch würde der Absatz noch weiter
sinken und der Verlust weiter ansteigen. Das Unternehmertum wird sich vielmehr
auf seine geschichtliche Aufgabe besinnen müssen, Arbeit zu geben. Nur durch Darbietung zusätzlicher Arbeitsgelegenheiten
kann die Wurzel der heutigen Krisenerscheinungen, die unzureichende Ausnutzung
des Produktionsapparates, beseitigt werden, da solche Arbeitsbeschaffung das
Volkseinkommen und den Verbrauch steigert. Wie schon erwähnt, liegt in der
Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht nur eine allgemeine Tendenz zur Marktstärkung,
sondern sogar wertmäßig eine genaue Entsprechung. Jede neu eingestellte
Arbeitskraft, die 50 RM wöchentlich erhält, vergrößert den Absatz um
ebensoviel; hatte man gehofft, durch Entlassung von 3 Millionen Arbeitskräften
jährlich 7 1/2 Milliarden Lohnkosten zu sparen, so erreicht man durch deren
Wiederbeschäftigung tatsächlich eine zusätzliche
innerbetriebliche Kapitalbildung von 7 1/2 Milliarden, die auf den Pfennig
hinreicht, um die erforderlichen Löhne bei der Wiederbeschäftigung der
Entlassenen laufend zu finanzieren. Dabei sind die Einkommensersparnisse, die
von den Neu-Eingestellten zur Sparkasse gebracht werden, noch gar nicht berücksichtigt;
sie mögen weitere etwa 5 % von der Lohnsumme ausmachen.
Für das Unternehmertum als Ganzes ist also die Schaffung neuer Arbeitsgelegenheit der einfachste
Weg zur Kapitalbildung in den Betrieben, d. h. zum Reingewinn: Jede auf
neu erschlossenen Arbeitsgebieten in produktiver Weise neu eingestellte
Arbeitskraft, die wöchentlich 50 RM Lohn erhält und konsumiert, steigert den
Umsatz der gesamten Industrie um 50 RM wöchentlich. Die Unkosten dagegen
bleiben unverändert, da nur der vorhandene Produktionsapparat besser ausgenutzt
wird, nicht aber zusätzliche Zinslasten entstehen. Wenn die eingehenden
Rechnungsbeträge aber steigen, während die Unkosten unverändert bleiben, so heißt
das, daß die Reingewinne steigen, also volkswirtschaftlich gesehen im
wesentlichen die Differentialrenten. So bedeutet tatsächlich in der gesamten
Volkswirtschaft die Steigerung des Beschäftigungsgrades durch vergrößerte Umsätze von 50 RM wöchentlich
eine Erhöhung der effektiven Kapitalbildung um ebenfalls 50 RM wöchentlich. Umgekehrt
bedeutet jeder unbeschäftigte Arbeiter einen vermeidbaren Ausfall an
Volksersparnissen im Betrage von 50 RM wöchentlich, jede Million
Arbeitsloser also einen solchen in Höhe von 50 Mill. RM
— 57 —
wöchentlich oder 2500
Millionen jährlich. Eine Wirtschaftsführung,
die eine Förderung der Kapitalbildung durch Gewinnsteigerung der Betriebe
anstrebt, braucht also nichts anderes zu tun, als Arbeit für die entlassenen,
ja für alle noch außer Arbeit befindlichen Arbeitskräfte zu schaffen.
Dagegen kann nicht eingewandt werden, daß die
Bereitstellung neuer Arbeitsgelegenheit wöchentlich genau soviel Lohnausgaben,
also Unkosten bedingt, wie eingenommen werden, so daß eine zusätzliche Bildung
von Gewinnen und Ersparnissen unmöglich sei. Denn die Arbeiter sollen ja nicht
an ihren alten Arbeitsstellen, wo sie mit Recht entbehrlich geworden sind,
wieder eingestellt werden, sondern neue
produktive Werte schaffen! Sie sollen neue Industrien aufbauen, neue
Verkehrswege, neue Wohnungen schaffen, alles ertragbringende langlebige
Kapitalgüter, die die Zahlung von Zinsen und Tilgungsraten auf das Baukapital
ohne jeden fremden Zuschuß aus sich heraus
gestatten.
Wesentlich ist dabei
zweierlei: Daß die solcherart beschäftigten Arbeiter voll als Konsumenten erhalten
bleiben (und das geschieht ohne weiteres), und daß sie veranlaßt werden,
solche Werte zu schaffen, die nachgefragt und rentabel sind, damit die neu
investierten Löhne aus dem Ertrag der neuen Sachgüter selbst verzinst und
getilgt werden können. Die Arbeiter sollen also nicht nur voll
weiterkonsumieren, sondern sich ihren
Unterhalt selbst verdienen. Sie dahin zu bringen, ist die Aufgabe der
Wirtschaftsführung.
Wir hatten in den theoretischen Grundbegriffen erklärt,
daß die Konsumgüterproduktion gleich dem Konsum und die Produktionsmittelproduktion
gleich der Summe der Ersparnisse sei. Dieser Satz kann hier er-klärend benutzt
werden: Bei einer volkswirtschaftlich richtigen Rationalisierung, wie sie hier
vorgeschlagen wird, bleibt der Konsum unverändert; in der Konsumgüterindustrie
zeigt sich also weder Absatzrückgang noch Absatzsteigerung. Aber die
Kapitalbildung steigt. Daher kann und muß die Produktionsmittelproduktion im
gleichen Betrage steigen. Ein Teil der Konsumgüter, die bisher noch von den in
der Konsumgüterindustrie beschäftigten Arbeitskräften verzehrt worden waren,
und ein Teil dieser Arbeiter selbst wird frei, um die volks-wirtschaftlich
wichtigeren Kapitalgüter zu
produzieren bzw. diese Arbeiter bei ihrer neuen Beschäftigung zu ernähren. So
bewirkt die echte Rationalisierung gerade das, was für den wirtschaftlichen
Fortschritt entscheidend ist: Sie ermöglicht es, die Versorgung des ganzen
Volkes mit Konsum-
- 58 -
gütern durch einen
kleineren Aufwand nationaler Arbeit zu bewerkstelligen, so daß mehr Arbeitskräfte als bisher für die
Produktion von Produktionsmitteln und anderen langlebigen Gütern verfügbar
sind.
Hiernach ist auf die allgemeine Klage über Kapitalmangel,
über zu geringe Kapitalbildung zu antworten: Wenn Euch Kapital fehlt, so produziert es! Sorgt für die
Beschäftigung aller Arbeitslosen, laßt sie geeignete Kapitalgüter herstellen,
so wird das für ihre Entlohnung bzw. zur Finanzierung der neuen Baulichkeiten erforderliche
Neukapital sich sofort bilden. Die Kapitalbildung kann also in dem Umfange,
in dem Arbeitslose zur Verfügung stehen, absichtlich hervorgerufen werden.
Die Wirtschaft ist nicht abhängig von den zufälligen Zuflüssen, die der Kapitalmarkt
hat, sondern sie kann stets wenigstens diejenige Menge Neukapitals bewußt
produzieren, die zur Einstellung aller Arbeitslosen erforderlich ist.
Die Ausdrucksweise, daß
sich Kapital planmäßig bilden lasse, soll nur heißen, daß der unvollständige
Kostenersparnisvorgang, als den wir die Rationalisierung erkannt haben, planmäßig vollendet werden kann, daß man die latente Kapitalbildung also in
effektive Kapitalbildung verwandeln kann. Diese Ausdrucksweise stimmt
überein mit der Auffassung, daß dem Kapital, genauer der Kapitaldisposition,
stets Sachkapital in Gestalt von Maschinen, Häusern usw. zugrunde liegen muß,
und daß man Arbeitslose zweifellos verwenden kann, um solche langlebigen Güter
herzustellen. In diesem Sinne kann man einem vorhandenen Kapitalmangel (Mangel
an Kapitaldisposition), wenn er von Arbeitslosigkeit begleitet ist, abhelfen,
indem man die Arbeitslosen benutzt, um Kapital (Kapitalgüter) zu produzieren.
(jz14) Wie die dargestellte
Hervorrufung effektiver Ersparnisse aus latenten und die dabei erforderliche Finanzierung
der Neubauten im einzelnen finanztechnisch zu bewerkstelligen ist, wird nunmehr
darzulegen sein.
3. Der
antizipierte Emissionskredit bei den deutschen Großbanken. — Offenbar
genügt es, wenn die Banken mehr
Ersparnisse ausleihen, als ihnen zur Verfügung stehen. Sie müssen also kurzfristige
Vorschüsse nicht nur für Umsatzzwecke gewähren, sondern auch zur Erstellung von
Produktionsmitteln. Diese Vorschüsse bedeuten volkswirtschaftlich nichts anderes,
als daß man den zusätzlichen Produktionsmittelarbeitern Anweisungen auf die für
sie vorhandenen Konsumgüter in die Hand gibt, damit sie erst einmal ihren
Konsum unverändert aufrecht erhalten können. Das Vor-
- 59 -
handensein der
erforderlichen Verbrauchsgüter ergibt sich aus der Tatsache, daß diese Leute entlassen worden sind; würde Mangel an
solchen Waren sein, so hätte man sie dringend gebraucht, um Konsumgüter, zum mindesten
für ihren eigenen Bedarf, zu produzieren. — Der solcherart aufrechterhaltene
Konsum macht die vorhergegangenen Rationalisierungen erfolgreich, die latente
Kapitalbildung wird nun erst effektiv; so werden laufend genug zusätzliche
Ersparnisse gebildet, um den Banken die Abdeckung der Vorschüsse aus
langfristigen Mitteln zu ermöglichen.
Ein Blick auf das Banksystem, das Deutschland in den
Jahrzehnten vor dem Kriege einen selbst für amerikanische Verhältnisse kaum
glaublichen Aufschwung ermöglicht hat, wird zeigen, daß hier nichts grundsätzlich neues, sondern nur die
Fortführung einer alten Tradition verlangt wird. Die deutschen Großbanken
unterschieden sich vor dem Kriege besonders von den englischen
Depositeninstituten dadurch, daß sie sich lebhaft im industriellen
Kreditgeschäft betätigten, was bei den englischen Instituten strengstens verpönt
war. Die Industrie braucht Umsatzkredit und Anlagekredit, so wie die
Landwirtschaft etwa Wechselkredit für die Erntebewegung und Hypothekarkredit
für Grundverbesserungen und ähnliche langlebige Anlagen benötigt. Während die
englischen Banken nur den Umsatzkreditbedarf der Industrie befriedigten und
jedes Übergreifen in den industriellen Anlagekredit ablehnten, gewährten die
deutschen Großbanken stets beide Kreditarten an die Industrie. Es liegt im
Wesen des Anlagekredits, der der Erstellung der Maschinen, Gebäude und
sonstigen fabrikatorischen Anlagen dient, daß er nicht in wenigen Monaten
zurückgezahlt werden kann, wie der Umsatzkredit, daß er vielmehr langfristige
Kreditmittel voraussetzt, die nur im Verlaufe vieler Jahre in kleinen Raten
getilgt zu werden brauchen. Solche langfristigen Mittel sind die bei den Banken
eingezahlten Ersparnisse des Volkes. Sie stehen den Kreditbanken aber nicht in
ausreichendem Maße zur Verfügung. Dazu kommt, daß auch diejenigen echten langfristigen
Ersparnisse, die bei den Banken als Depositen eingezahlt sind, größtenteils in
der Rechtsform des täglichen Geldes oder mit kurzfristiger Kündigung dort
stehen, auch wenn sie jahrzehntelang nicht abgehoben werden, weil die Banken
wirklich langfristige Depositen nicht entgegennehmen 1). Eine Bank, die
industriellen
_______________________________
1)
Am 30. April
1930 hatten die Berliner Großbanken unter 12,2 Milliarden Kreditoren nur 456
Millionen RM Kreditoren mit einer Laufzeit von über 3 Monaten, von denen wieder
der größte Teil auf Gelder von 3 - 6 Monaten entfallen dürfte.
— 60 —
Anlagekredit gewährt,
läuft daher das Risiko, daß sie diese kurzfristigen
Gelder langfristig festlegt und zahlungsunfähig
wird, sobald größere Beträge von Depositen abgehoben werden. Dies ist die
Ursache für die Ablehnung des eigentlichen industriellen (Anlage-)
Kreditgeschäftes durch die englischen Großbanken.
Demgegenüber vermochten die deutschen Großbanken eine
neue Methode der Kreditgewährung zu entwickeln, die es tatsächlich möglich
macht, mit kurzfristigen Geldern industrielle Anlagen zu finanzieren. Sie
wählten sich solche Industrieunternehmungen aus, die groß und bekannt genug
waren, um als Emittenten eigener Aktien oder Teilschuldverschreibungen an der
Börse erscheinen zu können. Diesen gewährten sie etwa zur Erweiterung der
Fabrikanlagen Kontokorrentvorschüsse und Akzeptkredite 1) weit über das Maß
des Umsatzkredits hinaus. War der Neubau fertig, so veranlaßten sie die
fragliche Industriefirma, eine Obligationenanleihe herauszugeben oder das
Aktienkapital zu erhöhen. Die neu geschaffenen Effekten vertrieben sie
vermittels des engmaschigen Netzes von Filialen und Depositenkassen, das ihnen
zur Verfügung stand, an ihre Depositäre, also an ihre Sparer. Der Teil der
Bankdepositen, der in dem Industriekredit festgelegt gewesen war, ging damit
der Bank verloren; er wurde nunmehr direkt von den Sparern an die Industrie
gegeben. Die Kredite der Bank sanken entsprechend, denn die Banken deckten mit
dem Erlös der Anleihe bzw. der Kapitalerhöhung den aufgelaufenen Millionensaldo
auf dem Konto der Industrieunternehmung ab. Sie halsten also nur die für sie
selbst unerwünschten illiquiden Industriekredite in Form von Effekten ihren
eigenen Einlegern auf, die sie wünschen mußten, weil solche Anleihen mehr
Zinsen brachten, als Spareinlagen. So trugen sie das Risiko der Illiquidität
stets nur wenige Monate oder Jahre lang und stets nur für einen kleinen Teil
ihrer Industriekunden gleichzeitig; danach verkauften sie die illiquide
Forderung, in Aktien oder Teilschuldverschreibungen aufgeteilt, an ihre
Kundschaft, wodurch sie sich selbst wieder liquide machten.
Mit diesem sogenannten "antizipierten Emissionskredit" 2) ist der Hauptteil der
deutschen Industrie, insbesondere die Schwerindustrie des Ruhrgebiets und
Berlins, in wenigen Jahrzehnten aufgebaut worden. Die Methode hat vorzüglich
gearbeitet und weniger Nachteile gezeigt, als das englische System. Man muß
schon bei
______________________________
1)
Vgl. unten
Kap. 5 d, 2: Die Förderung des antizipatorischen Bankakzepts.
2)
Ausdruck von Hecht, Somary, Rießer u. a.
— 61 —
Jeidels 1) nachlesen, um heute noch zu verstehen, welche ungeheuren Summen laufend
in dieser Weise der Industrie vorgeschossen wurden, bis sie bei günstiger
Börsenlage an den Kapitalmarkt abgestoßen werden konnten. Besonders ein großer
Teil des Umlaufs an Bankakzepten war als Vorläufer von Emissionen anzusehen:
nach Rießer wurden in Deutschland
etwa 30 % aller Kontokorrentkredite in Akzepten der Banken gewährt; Ende 1913
wies das Akzeptkonto der 160 deutschen Kredit-Aktienbanken die Summe von 2 6244
Mill. M. auf, d.i. 36 % des gesamten damaligen Wechselumlaufs. Heute dagegen
betragen die Bankakzepte nicht mehr als etwa 500 Mill. RM (1930).
4. Antizipierter
Emissionskredit und Arbeitsgelegenheit vor dem Kriege. — Diese Zeit der
Blüte des "antizipierten Emissionskredits"
steht nun in engem Zusammenhang mit der
Tatsache, daß es eine nennenswerte objektive Arbeitslosigkeit in Deutschland
vor dem Kriege nicht gegeben hat. Die hierin liegende volks-wirtschaftliche
Bedeutung der neuen Kreditmethode ist heute wie damals nicht erkannt worden;
erst der heutige Druck des Arbeitslosenproblems nötigt zu ihrer Würdigung.
Aber die Rolle des antizipierten Emissionskredits
erschöpfte sich nicht in der Umwandlung kurzfristiger in langfristige Kreditmittel;
die neue Kreditmethode machte vielmehr mehr
Ersparnisse zum Ausleihen verfügbar, als Depositen überhaupt da waren. Die
Banken wurden nämlich in diesen Jahrzehnten des Aufschwunges von den
Industriellen um Kredite bestürmt. Da es sich nicht um Umsatzkredite handelte,
konnten solche Darlehen eigentlich nur
aus Depositen, d. h. aus Ersparnissen, gewährt werden. Die
Kreditorenziffern der Großbanken wuchsen aber längst nicht so schnell an, wie das
nötig gewesen wäre, um die Kreditansprüche ihrer industriellen Kunden zu
befriedigen. Die Banken befanden sich in einer gewissen Zwangslage, da sie bei Verweigerung
solcher Kredite fürchten mußten, daß der Kunde zur Konkurrenz abwanderte. So
griffen sie zu dem anscheinend gewagten Auskunftsmittel, mehr Kredite zu gewähren, als ihnen Depositen überhaupt zur Verfügung
standen. Sie wandten sich zu dem Zwecke an den Geldmarkt, zum Teil auch an die
Reichsbank, wie der hohe Privatdiskontenbestand der Reichsbank (zeitweise 50 %)
zeigte.
Die Periode der Industrialisierung Deutschlands war im
Grunde nichts als eine Zeit fortgesetzter Rationalisierungen und Erweiter-
_______________________________
1)
Das
Verhältnis der Großbanken zur Industrie, Berlin 1902.
— 62
—
ungen. Fortgesetzt
wurden, besonders in der Konsumgüterindustrie, Leute entlassen, fortgesetzt
mußten für diese abgebauten Arbeitskräfte sowie den aus der
Bevölkerungsvermehrung sich ergebenden Nachwuchs, der in dieser Industrie keine
Aussichten hatte, neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die zur Errichtung ganzer neuer Fabriken usw. erforderlichen Kapitalien waren naturgemäß bei der Entlassung der
Arbeitskräfte noch nicht da: so half man sich damit, daß man vorläufig
kurzfristige Kredite gewährte, mit denen man Konsum und Kapitalbildung aufrecht
erhielt, bis die Kapitalbildung so weit fortgeschritten war, daß man an die
Umwandlung der Vorschüsse in langfristige Anleihen denken konnte. Im Maße des
Fortschreitens der Arbeiten sammelten
sich dann auch tatsächlich in der gesamten Wirtschaft die Mehrersparnisse an,
die zur schließlichen Konversion dieser Vorschüsse in Anleihen usw.
erforderlich waren. So erzeugten die
Arbeitslosen die zu ihrer Beschäftigung erforderliche Kapitalbildung selber. (jz15)
Inwiefern waren die Ersparnisse noch nicht da? Man könnte annehmen, daß sie
nach unserer Theorie ausreichend zur Verfügung stehen müßten, da der Absatz ja
nun aufrechterhalten blieb, die Rationalisierung gelungen war und die
Kapitalbildung effektiv sofort einsetzte. Hier ist eine nähere Erläuterung am
Platze: Die Kapitalbildung begann nur, sie lieferte pro Woche gerade soviel
Neuersparnisse, als Löhne für die entlassenen Arbeitskräfte gespart wurden bzw.
für die zusätzlich eingestellten Arbeiter neu verausgabt werden mußten. Das
heißt also, daß am Tage der Entlassung noch keinerlei zusätzliche Ersparnisse
bemerkbar waren, und in den folgenden Wochen nur Beträge in Höhe der jeweils
gesparten Wochenlöhne, die sich zudem über das ganze Land verteilten. Wenn also
z. B. 100 Arbeitskräfte mit einem Wochenlohn von 50 RM durch eine
Rationalisierung zum Abwandern in eine andere Industrie gezwungen wurden, so
betrugen die zusätzlichen Ersparnisse am Ende der ersten Woche nach der
Wiedereinstellung nur 5000 RM, ein Betrag, der bei den Banken kaum bemerkt
werden konnte.
Dieser Punkt ist besonders wichtig. Denn infolge der
Teilung der Produktion, des Handels und des Bankwesens in Hunderttausende von
Einzelbetrieben fehlt den Unternehmern und den Banken die Übersicht. Die Banken
können nicht warten, bis eine Spargelderstatistik erscheint, die ihnen sagt,
wieviel Spargelder vorhanden oder zu erwarten sind. Auch können die Ersparnisse
in ganz andern Landesteilen oder bei Konkurrenz-Instituten auf-
- 63 -
treten, ohne daß sie
davon erfahren. Der Kapitalmarkt ist außerdem in hohem Maße von dem Zufluß von
und dem Abfluß nach dem Auslande abhängig, wie noch zu zeigen sein wird; seine
Zinssätze sind daher nicht immer ein brauchbarer Maßstab für die Menge der
vorhandenen Ersparnisse; übrigens ist der Kapitalmarkt stark von
Spezialgesetzen, wie Zöllen, Steuern und Anlegungsvorschriften, eingeengt.
Entscheidend aber ist,
daß es für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf die werdenden und zukünftigen
Ersparnisse ankommt, also auf ein noch gar nicht wirksames Angebot am
Kapitalmarkte. So handeln die Banken besonders heute (? - J.Z.), wo sie
korrekt und weniger wagemutig, als vor dem Kriege sind, rein nach ihrer
privatwirtschaftlichen Liquidität, die ihnen gebietet, niemals mehr Gelder für
langfristige Zwecke auszuleihen, als ihnen an Depositen langfristigen
Charakters zur Verfügung steht. Da mit den Arbeitslosen nur langlebige Güter
produziert werden können, zu deren Herstellung regelmäßig ein großer
Kapitalaufwand erforderlich ist, muß der Unternehmer vor Beginn der Arbeiten
sein Projekt ordnungsmäßig finanzieren,
d. h. er muß Verträge mit Banken abschließen, die ihm die insgesamt erforderlichen Ersparnisse in Form von Anleihen, Hypotheken
oder andern langfristigen Mitteln von vornherein
sichern. Derartige Zusicherungen abzugeben, glauben die Banken aber nicht
in der Lage zu sein, da ihnen zusätzliche Ersparnisse noch gar nicht oder fast
gar nicht zur Verfügung stehen. In unserm Beispiel würden die Banken auch eine
Woche nach Beginn der Arbeiten erst 5000 RM zusätzliche Ersparnisse erhalten
haben, während der Wert des zu finanzierenden Neubaues vielleicht 500 000 RM
beträgt. Die Kreditinstitute lehnen daher, wenn sie vorsichtig geleitet sind,
eine solche Finanzierung in Höhe von 500 000 RM ab. Es finden sich also keine
Unternehmer, die die Arbeiter beschäftigen; die Herstellung der Kapitalgüter
unterbleibt, Konsum und Kapitalbildung gehen zurück und die Arbeitslosigkeit
wird verewigt.
Vor dem Kriege war das anders. Die Banken wurden von
wagemutigen Führerpersönlichkeiten geleitet, die es mit der korrekten
Einhaltung der Liquidität oft nicht genau nahmen. Die Kritik der Öffentlichkeit
an diesem spekulativen Verhalten der Banken war scharf, bis zum Erscheinen des Adolf Weberschen Werkes "Depositen-Banken
und Spekulationsbanken" sogar fast einmütig. Die Großbankleiter selbst
waren sich darüber klar, welches Risiko sie eingingen, indem sie mehr
Anlagekredite gaben, als ihnen
- 64 -
Mittel zur Verfügung
standen. Die volkswirtschaftliche Richtigkeit ihres Handelns blieb ihnen
verborgen; daher zeigten sie nicht selten ein schlechtes Gewissen, indem sie
sich mit kleinlichen Gründen zu entschuldigen versuchten.
5. Die
Antizipation der Ersparnisse durch die Banken als Mittel zur Vollendung des Kapitalbildungsprozesses. — Wir finden
also in der "Antizipation der
Ersparnisse" wie wir sie nennen wollen, also in der Vorwegnahme der Spartätigkeit durch
Zwischenkredite der Banken die erprobte und adäquate Lösung des Problems,
wie man latente Kapitalbildung in effektive verwandeln, der
Rationalisierungswelle zu Erfolg verhelfen und die Masse der Arbeitskräfte
durch Produktion von Kapitalgütern beschäftigen kann. Durch diese Antizipation
der Ersparnisse bleibt der Konsum auf der veranschlagten Höhe; infolgedessen
steigt die Kapitalbildung um den mit der Kostenersparnis bezweckten Betrag, so
daß die Arbeiter an anderer Stelle weiter ihren Unterhalt finden können.
Die zusätzlich produzierten Kapitalgüter können von den
Banken in Form von Hypotheken und Anleihen usw. langfristig beliehen werden;
auf Grundlage dieser Beleihungen können Pfandbriefe, Industrieobligationen,
Stadtanleihen, Aktien und andere Wertpapiere emittiert werden, die am Markte
denen angeboten werden müssen, in deren Betrieben das zusätzliche Kapital
gebildet worden ist. Dieses Angebot an Effekten-kapital muß logischerweise
gleich der Nachfrage sein, da dem Werte nach ebensoviel Wohnhäuser, Fabriken
usw. neu gebaut sein müssen, wie zusätzliches Kapital gebildet worden ist 1).
So können die "Antizipations-vorschüsse" der Banken dem Betrage nach mit Sicherheit in Effekten umgewandelt,
bei der Bank also zurück-gezahlt werden.
6. Der interlokale
Ausgleich durch den Kapitalmarkt. — Es bleibt noch die volkswirtschaftlich weniger
belangreiche Frage übrig, was zu geschehen hat, wenn die Bank A den
Antizipationskredit gewährt hat, die Ersparnisse aber bei der Bank B
eingezahlt werden. Es ist zu antworten, daß der Kapitalmarkt für den Ausgleich
zu sorgen hat Die Ersparnisse bei der Bank B suchen nach Anlage; bei
einigermaßen richtiger Zinspolitik müssen sie als Nachfrage nach Wertpapieren
am Kapitalmarkt erscheinen und auf das Effektenangebot treffen, das von der
Bank A ausgeht. So
_______________________________
1)
Beide sind
nämlich gleich der Lohnsumme der abgebauten und an anderer Stelle neu
eingestellten Arbeiter.
- 65 -
muß es zum Kauf bzw. zum
Verkauf kommen und weder die Bank A, noch die Bank B kann in Verlegenheit
geraten. Sache der Spekulation, d. h. der Lagerhaltung im Effektenhandel, ist
es dabei, für die Nachfrage nach Wertpapieren stets ein reichliches Sortiment
der verschiedensten Anlagen bereitzuhalten, damit die individuellen Wünsche der
Anleger befriedigt werden können, und Aufgabe des Börsenkurses ist es, weniger
gefragte Effekten so zu verbilligen, daß auch sie von der Nachfrage aufgenommen
werden.
Bei dieser Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit,
soweit sie aus Störungen in der Produktionssphäre zu erklären ist (durch
Antizipationskredite), können also Arbeiterentlassungen vermieden werden; es
kann stets soviel effektives Kapital bereitgestellt werden, daß die
Beschäftigung der gesamten werktätigen Bevölkerung gesichert ist. Kapitalmangel kann eine Ursache der Arbeitslosigkeit
nicht mehr sein.
7. Abgrenzung
gegen die expansive Kredittheorie von Macleod, Schumpeter, Hahn u. a. — Man
könnte versucht sein, dieser Lehre dieselben Einwände entgegenzuhalten, die
einer andern heute verbreiteten Theorie vielleicht mit Recht entgegengehalten
werden: Der expansiven Kredittheorie. Eine kurze Auseinandersetzung mit dieser
Lehre mag daher erwünscht sein:
Während die expansive Kredittheorie den Standpunkt vertritt,
Kredit könne aus dem Nichts geschaffen werden, die von den Banken periodisch
hervorgerufenen Kreditinflationen seien der große Hebel der Kapitalbildung und
des Fortschritts und nur fortgesetzte Krediterweiterung könne günstige
Konjunkturen schaffen, hat die herrschende Lehre daran festgehalten, daß die
Banken nie mehr Kredit gewähren können und sollen, als ihnen Depositen zur
Verfügung stehen. Man kann diesen Satz mit Bezug auf den Umsatzkredit einer Modifikation unterziehen, indem man nachweist,
daß seine besonderen Quellen (der Notenumlauf und die Giroguthaben) sich
zugleich mit den tatsächlichen Güterumsätzen beliebig zusammenziehen und
erweitern und indem man zeigt, daß die Umsatzvorschüsse der
Girodepositeneinzahlung vorhergehen
müssen, damit der Tauschprozeß erst einmal in Gang gesetzt werden kann 1). Nun
kommen wir für das Gebiet des Anlagekredits
zu einer
_______________________________
1)
Vgl. die vor
der Veröffentlichung stehende Schrift des Verf.: "Banknotenausgabe und
Arbeitslosigkeit". (jz16)
- 66 -
ähnlichen Lösung 1): Auch der Anlagekredit hat in der
Kapitalbildung seine besondere Quelle, die sich je nach dem Maße der
wiederbeschäftigten Arbeitskräfte als mehr oder weniger ergiebig zeigt; und
auch hier muß ein kurzfristiger Vorschuß zeitlich vorhergehen, damit die
Kapitalbildung überhaupt in Gang kommt.
Das scheinen uns notwendige
Modifikationen der Theorie, die aber den ersten Grundsatz von der Übereinstimmung
der langfristigen Depositen mit den langfristigen Ausleihungen bei den Banken
prinzipiell nicht in Frage stellen.
Antizipationsvorschüsse
dürfen nur in dem Umfange gewährt werden, in welchem unbeschäftigte, nicht-konsumierende
Arbeitskräfte zur Verfügung stehen 2), niemals aber unbegrenzt, wie es die
Ansicht der expansiven Kredittheorie ist.
Unbeschäftigte
Arbeitskräfte, die nicht konsumieren, sind ein nicht ausgebeuteter Markt; ihn
zu erschließen, sind solche antizipativen Kredite geeignet.
Sind aber sämtliche
objektiv geeigneten Arbeitskräfte erst einmal beschäftigt, so muß jede weitere
Gewährung solcher Kredite eine Nachfrage am Warenmarkte hervorrufen, der keine
entsprechende Produktion gegenübersteht Auch eine zusätzliche Kapitalbildung
folgt dann nicht mehr, da vorher keine Entlassung von Arbeitskräften erfolgt,
also keine Kostenersparnisse latent vorhanden sind. Diese Kredite können daher
später nicht in langfristige Anleihen umgewandelt werden. Illiquidität der
Banken und Inflation der Preise müssen die Folgen einer solchen expansiven
Kreditpolitik sein.
Der Gedanke, daß die
Zahl der noch unbeschäftigten Arbeitslosen das Maß der zusätzlichen Bankkredite
bestimmen muß, ist naheliegend, wenn man sich den Geldschleier hinwegdenkt
und vor Augen hält, daß für die Arbeitslosen Lebensmittel und Kleidungsstücke
genug in den Läden liegen, und auch die Produktionskapazität der Industrie für
alle ausreichen würde. Es handelt sich nur darum, die brachliegenden
Arbeitskräfte zu benutzen, um Werte zu schaffen und dadurch zugleich den Konsum
und die Kapitalbildung auf die erforderliche Höhe zu bringen. Eine
_______________________________
1)
Über den
Unterschied von Umsatz- und Anlagekredit vgl. die genauere Darstellung in
meinem Aufsatze "Die Auswahl und Sicherung langfristiger
Industriekredite", in "Bankwissenschaft" 1930, 2. Augustheft, S.
347- 360.
2)
Eine weitere
Grenze für das Maß der Antizipationskredite liegt in dem Umfange der Vorräte an Konsumgütern in den Lagern
und Läden. Denn in den ersten drei Wochen dieser Vorschüsse sind noch keine
zusätzlichen Waren da, es muß also von den Lagern gezehrt werden können, wenn Preissteigerungen
vermieden werden sollen; vgl. Fußnote I, S. 65. (jz17)
- 67 -
weitere Kreditexpansion
ist durch nichts gerechtfertigt. Der Kreditorganismus einer Volkswirtschaft
dient nicht der Spekulation und Preistreiberei, sondern der Bewerkstelligung
des Konsumgüterumschlages und der Beschäftigung der dabei nicht benötigten
Arbeitskräfte mit Wohnungsbauten, Eisenbahnbauten usw. zum Nutzen aller.
Hält man an dem vorher entwickelten Begriff der Kapitalbildung
1) fest, so dürfen langfristige Kredite offenbar im Maße beider Zweige der
Spartätigkeit gegeben werden, ohne daß es erforderlich ist, daß die
Neukapitalbildung schon auf einem Bankkonto eingezahlt ist. Es genügt, wenn die geschilderte
Kapitalbildung durch Kostenersparnisse tatsächlich eingeleitet worden ist;
Sache der Zwischenkredite ist es, sie vor dem Versiegen zu bewahren bzw. sie effektiv
zu machen.
Die hier vertretene Kredittheorie glaubt also im
Gegensatz zu der expansiven Theorie nicht, daß Kapitalbildung oder Kredit aus
dem Nichts geschaffen werden könne. Sie glaubt insbesondere nicht, daß die Kapitalbildung
ohne die Durchführung von Kostenersparnissen (Arbeiterentlassungen) allein
durch kreditpolitische Maßnahmen irgendwie gesteigert werden könne. Sie
behauptet nur, daß durch zweckmäßige Antizipationskredite Störungen und das Versiegen einer Kapitalbildung vermieden
werden können, die vermöge von Rationalisierungsmaßnahmen latent schon vorhanden ist, daß also eine latente Kapitalbildung zu
einer effektiven gemacht werden kann.
_______________________________
1) Vgl. S. 47.
_________________
Drittes Kapitel.
Die gegenwärtige
Organisation des Anlagekredits und ihre Mängel.
a) Die Vernachlässigung des
Antizipationskredits.
1. Börsentätigkeit
und Arbeitslosigkeit vor dem Kriege. — Wir hatten gesehen, daß das starke Angebot von Arbeitsgelegenheit, das vor
dem Kriege zu beobachten war, seine Ursache in der ausgedehnten Pflege des
antizipierten Emissionskredits hatte.
Wie eng der Zusammenhang zwischen der Gewährung von
Antizipationskrediten bzw. der sich daraus ergebenden Börsentätigkeit mit der
Arbeitslosigkeit von jeher gewesen ist, beweist das nebenstehende (hier: unten stehende! - J.Z.) Schaubild des
Instituts für Konjunkturforschung 1). Es ergibt sich daraus die alte Erfahrung,
daß die Arbeitslosigkeit sehr stark sinkt, wenn die Börsentätigkeit sich
lebhaft gestaltet, wenn also durch Antizipation von Ersparnissen eine starke
effektive Kapitalbildung hervorgerufen worden ist, die nach Anlage sucht,
während gleichzeitig die Banken ihre Antizipationskredite in Effekten umwandeln
und auf den Markt werfen.
Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Börsentätigkeit, die wir seit Mai
1927 in Deutschland beobachten, wahrscheinlich noch viel kleiner ist, als sie
vor dem Kriege in den stillsten Zeiten (etwa 1901) war, so können wir uns nicht
wundern, daß heute die Arbeitslosigkeit dauernd noch größer ist, als sie
damals nur in den Krisenzeiten (1901, 1909) war. Die Gesetzmäßigkeit, die
damals den Andrang bei den Arbeitsnachweisen und die Börsentätigkeit
miteinander ver-
_______________________________
1)
Vierteljahrshefte
z. Konj., 1926 IV, S. 44.
- 69 -
knüpfte, gilt auch heute
noch; man kann nicht hoffen, die
Arbeitslosigkeit zu beseitigen, wenn man nicht entschlossen ist, vorher der
Börsentätigkeit wieder aufzuhelfen.
Was
versteht man unter "lebhafte Börsentätigkeit", welches sind die Gründe
für ein Steigen der Aktienkurse, wie es das Schaubild zeigt? Offenbar ist die
Voraussetzung für beide, daß eine starke Kapitalbildung vorhanden ist und daß die Banken in der Lage sind, reichlich
neue Effekten zu produzieren. Wie wir
gesehen haben, ist es der antizipierte Emissionskredit, der in bedeutsamer
Weise gerade diese beiden Voraussetzungen vereinigt und verwirklicht.
2. Der Rückgang
und seine Gründe. — Schon die hohe Arbeitslosigkeit, die wir heute haben,
deutet darauf hin, daß der Antizipationskredit seit der Vorkriegszeit stark
zurückgegangen ist, daß sich also die Kreditpolitik der Großbanken in den
vergangenen 20 Jahren geändert hat. Auf die einzelnen Gründe dieser Veränderung
kann hier nicht eingegangen werden; es ist aber wohl Tatsache, daß der
antizipierte Emissionskredit heute nur noch wenig in Übung ist. Man erkennt das
nicht nur an dem geringen Umlauf von Bankakzepten, sondern auch daran, daß
heute die Börse fast tot daliegt. So ist es heute unmöglich, größere Pakete von
Aktien oder Obligationen zu plazieren, was doch die Voraussetzung für
Antizipationskredite ist. Zugleich ist das Emissions- und Konsortialgeschäft
auf einen Bruchteil seines früheren Umfanges gesunken. Für diese Entwicklung
trägt in erster Linie die kapitalfeindliche, genauer gesagt die den
Erwerbslosen schädliche Wirtschaftspolitik des Reichs und der Reichsbank die Verantwortung.
Besonders schädlich war die irrige Vorstellung des Reichsbankpräsidenten
Schacht, daß die für Börsenkredite verwendeten Gelder der produktiven
Wirtschaft verloren gehen 1), und sein Glaube, die gefährlichen kurzfristigen
Auslandskredite an Deutschland würden sich vermindern, wenn er die Börse
stillegen und dadurch ihren Geldbedarf ausschalten würde 2).
Kampf gegen die Börse
heißt Kampf gegen die Antizipationskredite und die gesamte Finanzierung der Industrie;
Besteuerung der Börse und des Kapitalverkehrs be-
_______________________________
1)
Z. B. sein
Ausspruch, die Auslandsanleihen seien nicht in die Wirtschaft, sondern in die
Gastwirtschaft geflossen.
2)
Die Statistik
zeigt, daß sie sich in Verfolg der Schachtschen Politik nahezu verdoppelt haben.
- 70 -
deutet Besteuerung gerade
derjenigen Finanztransaktionen, mit denen allein neue Arbeitsplätze für die Millionen
abgebauter Arbeitskräfte gefunden werden können. Noch in den Jahren 1926/27
hat der deutsche Kapitalmarkt Riesenemissionen, wie die Vereinigten Stahlwerke
1) und der I. G. Farbenindustrie A. G. aufnehmen können; in jenen Jahren ist
ein großer Teil der Rationalisierungen mittels Antizipationskrediten finanziert
worden. Der Erfolg war, daß fast 2 Millionen Arbeitslose allein in dieser
kurzen Periode von der Wirtschaft absorbiert werden konnten, so daß die
Wiederkehr des Vorkriegszustandes am Arbeitsmarkte dicht bevorzustehen schien.
Erst durch die rigorosen Eingriffe des Reichsbankpräsidenten Schacht ist diese
neue und hoffnungsvolle Entwicklung unterbunden worden. Die großen Verluste,
die die Banken infolge dieser Maßnahmen erlitten haben 2), haben ihnen die
Freude an gewagten Finanztransaktionen, wie sie nun einmal nötig sind, wenn Arbeitsgelegenheit
beschafft werden soll, verdorben.
3. Sinken der
Führerqualitäten der Bankleiter. — Dazu kommt, daß ein hoher Prozentsatz
der Großbankleiter sich in vorgerücktem Alter befindet und daß der Einblick in
die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge fast überall fehlt. In welchem Grade
hier Mängel vorhanden sind, ergibt sich nicht nur aus den Reichsbank- und
Großbank-Berichten der Inflationszeit, worauf Ad. Weber hingewiesen hat 3), sondern auch aus neueren Äußerungen,
von denen etwa die bekannte Empfehlung einer Lohnsenkungsaktion im Geschäftsbericht
der Deutschen Bank und Diskontogesellschaft für 1929 genannt sein möge, in dem
es heißt:
"Wäre die Nominalhöhe der Löhne und Gehälter in
Deutschland 10 % niedriger — das ist die Steigerung der letzten 2 Jahre, die
sich als untragbar erwiesen hat —, so ständen wir nicht so unter dem Druck der
Arbeitslosigkeit. Die Produktion könnte
gesteigert und damit verbilligt werden, so daß, abgesehen von der Wirkung
auf Außenhandel und Zahlungsbilanz, durch sinkende Preise der Reallohn, auf den
es doch letztlich ankommt, bald nur wenig vom heutigen abweichen würde. Einen,
wenn auch nicht gleichwertigen, so doch genügenden Ersatz einer Lohnreduktion,
die in Deutschland aus politischen Gründen wenig Aussicht auf Verwirklichung
hat, würde eine Verlängerung der Arbeitszeit bieten.
____________________________________
1)
Deutsche
Tranche 126 Mill. RM.
2)
Das
Massensterben der Privatbankiers geht zum größten Teil auf die am "schwarzen
Freitag" erlittenen Verluste zurück.
3)
Vgl. das
Vorwort zu "Effektenbörse und Volkswirtschaft", a. a. O. S. VII.
- 71 -
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Höhe des Zinsfußes,
das dritte große Hemmnis unserer Wirtschaftsentfaltung, sich erheblich
ermäßigen würde, wenn eine rationelle Wirtschafts- und Finanzpolitik die
Kapitalbildung bei den Unternehmungen wieder ermöglichte und dadurch deren
übermäßiges Kreditbegehren milderte."
Leider unterläßt der Bericht, zu bemerken, wie die
gesteigerte Produktion trotz gesenkter Löhne abgesetzt werden soll. Allerdings
ist die Kapitalbildung in den Betrieben von entscheidender Bedeutung; sie kann
aber nur durch bessere Ausnutzung der Produktionskapazität gesteigert werden.
Ob die für den Bericht verantwortlichen Persönlichkeiten wirklich geglaubt
haben, man könne diesen vermehrten Absatz durch Lohnherabsetzung erreichen, erscheint
nicht sicher; zum mindesten muß es befürchtet werden. Noch vielsagender ist
das, was in den Berichten nicht
gesagt wird: Über die tiefgreifenden Umschichtungen des deutschen Kreditsystems,
von denen die Rede gewesen ist und noch sein wird, findet man hier nur wenige
Andeutungen. Die Rolle der Ankurbelungs- und der Antizipationsvorschüsse wird
nicht erkannt; selbst Solmssen stimmt
in die allgemeine Klage über den Kapitalmangel ein, ohne zu erkennen, daß es in
seiner Hand lag, aus der latenten Kapitalbildung eine effektive zu machen:
"Die deutschen Großbanken sind gleichsam Lokomotiven unter Dampf",
sagte er noch am 5. Februar 1930 in seinem Züricher Vortrage, "denen jetzt
mangels der Schienen in Form des erforderlichen Kapitals die Möglichkeit
abgeht, ihre gewaltige Aktionskraft zum Wohle der Wirtschaft ihres Landes und
der Welt voll zur Geltung zu bringen"! 1)
Erkenntnis und Wissen sind aber unumgängliche Voraussetzungen
des hier notwendigen Handelns, ohne die Arbeitslosigkeit und Absatzmangel nicht
beseitigt werden können.
b) Die Überversorgung des
Geldmarktes auf Kosten des Kapitalmarktes.
1. Die Trennung
der kurzfristigen und der langfristigen Gelder durch den Zins. — Die Behandlung
des Kapitalbildungsproblems hat gezeigt, daß der langfristige Anlagekredit
alle diejenigen Depositen und Spargelder sammeln muß, die nicht dem
Güterumschlag dienen, und daß er diese vereinigten Mittel wieder
_______________________________
1)
Berlin 1930,
S. 25.
— 72 —
gehörig verteilen muß, wenn die volle
Beschäftigung der gesamten Bevölkerung sichergestellt sein soll.
Um die erste dieser Aufgaben erfüllen zu können, muß die
Kreditorganisation eine Trennung der Depositen und Spargelder in lang- und
kurzfristige Mittel ermöglichen. Die Banken müssen ihren Kreditoren ansehen
können, ob die Gelder nur für Tage entbehrlich und daher nur für
Umsatzfinanzierungen brauchbar sind, oder ob es sich um Depositen handelt, die
voraussichtlich für Jahre und Jahrzehnte unverändert stehen bleiben werden, da
der Sparer nur den Zinsgenuß beansprucht. Eine solche Trennung in kurzfristig
gemeinte und langfristig gemeinte, einfacher ausgedrückt in kurzfristige und
langfristige Depositen ist in Deutschland zur Zeit fast unmöglich. Während die
Unterscheidung zwischen beiden Arten von Depositen für die deutschen Großbanken
vor 30 Jahren noch wenig erforderlich war, weil diese Banken fast nur echte
Giro-, also Kassenführungsguthaben unter ihren Kreditoren besaßen, ist sie
heute dringend erforderlich, da die Großbanken mit dem Heranwachsen ihres
Filialnetzes zu Sparinstituten geworden sind, die über bedeutende Beträge
langfristiger Depositen verfügen, wenn diese auch in der Rechtsform des
täglichen Geldes verbucht sind.
Übergibt jemand seine Ersparnisse einer Bank oder Sparkasse,
so glaubt er sich der Verpflichtung enthoben, ebenso sorgfältig an die
Trennung von kurzfristigen und langfristigen Kapitalien zu denken, wie er es
wohl tun würde, wenn er die Mitverantwortung für die Versorgung der Wirtschaft
mit Anlagekredit trüge. Er faßt vielmehr den Zinsgewinn ins Auge, den ihm seine
Kapitalanlage bringen kann. Nun hat man von jeher langfristige Kapitalien
nutzbringender verwenden können, als kurzfristige, man hat also schon immer für
langfristig festgelegte Gelder einen höheren Zinssatz gezahlt, als für
tägliches Geld oder Monatsgeld. Ist der Zinssatz für langfristige Anlagen im
Vergleich zu dem Satze für tägliches Geld genügend hoch, so treibt das natürliche
Interesse die Sparer, nur diejenigen Gelder, die sie wirklich als jederzeitig
greifbare Kassenreserven halten müssen, als tägliches Geld anzulegen. Alle
übrigen Kapitalien werden sie auf längere Frist festlegen, um den hohen Zins
für derartige Gelder zu genießen. Nur bei
einer hinreichenden Spanne zwischen dem Zinssatz für tägliches Geld und für
langfristige Kapitalanlagen wird also das Selbstinteresse des Sparers, seine
Kapitalien fristgerecht anzulegen, wieder hergestellt sein und genügen. Fehlt
die Zinsspanne oder ist sie
— 73 —
nicht ausreichend
bemessen, so werden die Sparer einen großen Teil ihrer langfristigen
Ersparnisse als tägliches Geld anlegen. Schon die Bequemlichkeit würde sie dazu
treiben. Täglich fällige Guthaben ersparen ihnen das Nachdenken über die Anlage
in Pfandbriefen, Aktien usw., belassen ihnen vollste Freiheit der Disposition
und schließen Kursverluste aus, die bei der Veräußerung von langfristigen
Anlagen, z. B. von Wertpapieren, immerhin eintreten können.
2. Die Bedeutung
des Diskontsatzes für den langfristigen Anlagekredit. — Für die Bemessung dieser
Zinsspanne zwischen kurz- und langfristigen Anlagen hat nun der Diskontsatz der
Zentralnotenbank eine entscheidende Bedeutung. Nach ihm richten sich die
Banken bei der Festsetzung der Zinssätze, die sie auf Guthaben vergüten, ebenso
die Sparkassen, so daß der Zinsabstand nach der Rendite der Festverzinslichen
hin durch ihn reguliert und bestimmt wird. Die Gefahr eines zu niedrigen
Diskontsatzes kann nicht leicht praktisch werden, denn bei ihm würden der
Notenbank derart viel Wechsel zum Diskont angeboten werden, daß sie nur wenige
Tage einen in dieser Richtung falschen Satz zu halten vermöchte. Wohl aber kann
eine Notenbank mit Monopolrecht lange Zeit hindurch einen zu hohen Diskontsatz
halten. Klagen über den Verlust der "Herrschaft am Geldmarkt", über
großes Angebot an Auslandsgeldern usw. pflegen dann an der Tagesordnung zu
sein.
Ein derartiger zu hoher
Diskontsatz bewirkt eine ebenfalls zu hohe Festsetzung der Depositenzinssätze
durch die Banken und Sparkassen. Die Spanne zwischen dem Zinserträgnis eines
Pfandbriefes und eines Depositenkontos sinkt also, unter Umständen auf einen
unbedeutenden Betrag. Der Sparer und Depositär hat also keine hinreichende Veranlassung
mehr, sein Guthaben in Pfandbriefe, Aktien oder andere dauernde Vermögensanlagen
zu konvertieren. Die Kreditoren der Banken werden daher steigen und von nun an
zum Teil langfristige Ersparnisse enthalten; man wird Überfluß haben an kurzfristigen
Geldern.
Eine unrichtige Diskontpolitik macht also die erforderliche
Trennung der kurzfristigen und langfristigen Ersparnisse bei den Banken
unmöglich. Das Angebot an langfristiger Kapitaldisposition, das, wie wir sahen,
schon durch die Folgen von Rationalisierungen leicht unzulänglich wird, muß
weiter sinken, wenn erhebliche Beträge echter Spargelder durch eine solche
Zinspolitik vom Kapitalmärkte ferngehalten und dem Geldmarkte zugetrieben
— 74 —
werden. Nun deuten
verschiedene Anzeichen darauf hin, daß die deutsche Reichsbank aus Gründen der
Börsenpolitik, der Währungs- und Reparationspolitik im Verlaufe der letzten
Jahre den Diskontsatz künstlich hoch-gehalten hat; wir werden daher zu prüfen
haben, ob sich das Eintreten der Folgewirkungen: Überfluß am Geldmarkte, Mangel
am Kapitalmarkte, für die letzten Jahre in Deutschland statistisch feststellen
läßt.
3. Die Fehlleitung
langfristiger Anleihemittel durch die deutsche Bankorganisation. — Nach der
Veröffentlichung des Stat. Reichsamtes "Die deutschen Banken 1924 - 1926"
betrugen die Kreditoren der sechs Berliner Großbanken Ende 1912 4,60 Milliarden Mark, während sie Ende 1929
auf 11,4 Milliarden RM gestiegen waren. Die darin sich ausdrückende Steigerung
von fast 7 Milliarden ist aber nicht voll auf Rechnung der Einlagesteigerung
zu setzen, vielmehr zum Teil auf die Angliederung von 43 Aktienbanken und 56 Privatbanken,
die im Verlaufe der Zwischenzeit erfolgt ist 1). Die Statistik des Berliner
Tageblattes vom 24. März 1928, die diese Angliederungen einbezieht, soweit es
sich um den Ankauf von Aktienbanken handelt, kommt auf eine Kreditorensumme von
5,76 Milliarden Mark für Ende 1912. Berücksichtigt man dazu die bis Ende 1929 erfolgten
Angliederungen von Aktienbanken, so wird man auf eine Kreditorensumme von rund
6 Milliarden Mark für Ende 1912 kommen. Ende 1929 beliefen sich diese
Kreditoren auf 11 410,33 Mill. RM. Die Nettosteigerung beträgt also allein bei
den fünf Berliner Großbanken 2) rund 5,4 Milliarden RM. Allerdings sind dabei
nicht die Kreditoren der mit diesen Großbanken vereinigten Privatfirmen berücksichtigt.
Wir lassen diese außer Acht, da an die Stelle der Privatbanken ein starkes
öffentliches Bankwesen getreten ist, von dem allein die erheblich aufgeblühten
Staats- und Landesbanken insgesamt seit 1913 einen Zuwachs an Kreditoren
gehabt haben dürften, der den Ausfall dieser Privatbanken mindestens kompensiert.
Hiernach sind im Jahre 1930 rund 5,4 Milliarden RM mehr
für kurzfristige Ausleihungen verfügbar gewesen, als im Jahre 1912. Dieser
Betrag erhöht sich durch die stark erweiterte Tätigkeit der Sparkassen im
kurzfristigen Kreditgeschäft um weitere Beträge:
_______________________________
1)
Diese ist
leider vom Stat. Reichsamt nicht berücksichtigt worden.
2)
Deutsche und
Diskonto, Dresdner, Darmstädter und
Nationalbank, Commerz- und Privatbank, Berliner Handelsgesellschaft.
- 75 -
Ende 1913 waren nur 3 %
der Mittel der deutschen Sparkassen kurzfristig angelegt 1), Ende 1929 2)
dagegen 30 %. Von den Aktiven aller deutschen Sparkassen, die sich Ende 1913
auf 20 801,8 Mill. M beliefen, waren damals nur 127 Mill. = 3 % m Kasse,
Bankguthaben, Wechseln und Schuldnern als kurzfristigen Anlagen investiert,
alles übrige 3), nämlich 94,1 %, in Hypotheken, Wertpapieren und
Kommunaldarlehen, also in langfristigen Anlagen 4). Am Ende des Jahres 1929
betrugen die Kredite und Wertpapierbestände aller deutschen Sparkassen (ohne
die Girozentralen, ohne Kasse und Bankguthaben) 10 080,8 Mill. RM. Hiervon
waren 3007,3 Mill. RM, mithin 30 % oder mehr als das Vierfache des ausmachenden
Betrages von 1913 dem kurzfristigen Geschäft gewidmet und nur 7073,5 Mill.
gleich 70 % dem langfristigen Geschäft. Demnach sind heute bei den Sparkassen
ungefähr 2,4 Milliarden RM mehr kurzfristige Ausleihungen festzustellen, als im
Jahre 1913.
Allerdings hat sich auch das Passivgeschäft der deutschen
Sparkassen seit 1913 verändert. Im Jahre 1913 machten die Spareinlagen (19
689,7 Mill. M) 94,7 % der Gesamtpassiven (20 801,8 Mill. M) aus, Ende 1929 aber
nur noch 83,1 % (9 275 Mill. RM), während 16,9 % (1885 Mill. RM) auf die Giro-,
Scheck-, Kontokorrent- und Depositeneinlagen entfielen, die 1913 kaum vorhanden
waren (nur 0,3 %) 5). Die Sparkassen haben also in den vergangenen 16 Jahren
das kurzfristige Bankgeschäft aufgenommen und damit 1885 Mill. RM zusätzliche
Mittel geworben, die früher von dem privaten Bankwesen verwaltet worden waren.
Sie haben sich aber nicht damit begnügt, diesen Betrag voll der kurzfristigen
Anlage zuzuführen, sondern sie haben dem neuen kurzfristigen Geschäft noch
weitere 1122 Mill. RM aus ihren langfristigen Spareinlagen zugeführt.
_______________________________
1)
Vgl.
Vierteljahrhefte 1927 III, S. 65.
2)
2) Vgl.
Wirtschaft und Statistik, 1930, S. 301
: Von
den 10 080,8 Mill. RM Gesamteinlagen
der deutschen Sparkassenorganisation (ohne Girozentralen), die Ende 1929 dem
Kreditgeschäft und der Wertpapieranlage dienten, waren investiert
in Hypotheken 4 143,8
in Wertpapieren 1 460,3
in Kommunaldarlehen 1 469,3
langfristige
Anlage insgesamt ... 7 073,5 = 70 %
in Wechseln 378,5
in Debitoren 2
628,8
kurzfristige
Anlage insgesamt... 3 007,3 = 30 %.
3)
Abgesehen von
363,5 Mill. M "sonstigen Aktiva" (1,7 %).
4)
Vgl. zur
Sparkassenstatistik 1913 und 1926 Vierteljahrshefte zur Stat. d. d. R., 1927,
III, S. 64 ff.
5)
Vgl.
Vierteljahrshefte 1927, III, S. 65; Wirtschaft und Statistik 1930, S. 301.
- 76 -
Hiernach haben die
Berliner Großbanken, die sich ausschließlich auf die kurzfristige Anlage ihrer
Mittel beschränken, am 1. Januar 1930 rund 5,4 Milliarden RM mehr kurzfristige
Mittel zur Verfügung gehabt, als 1913, und die Sparkassen, die sich der kurzfristigen
Anlegung nach dem Kriege neu zugewandt haben, widmeten diesem Zweige rund 2,4
Milliarden RM. Dazu kommt, daß sich der Notenumlauf der Reichsbank von Ende 1913
bis Ende 1929 um rund 2,5 Milliarden RM gehoben hat 1); auch aus dieser Quelle
sind etwa 1,5 Milliarden neu für Umsatzkredite verfügbar geworden 2). Insgesamt
waren also schon aus diesen Quellen am 1. Januar 1930 9,3 Milliarden
RM mehr an kurzfristigen Umsatzkrediten
verfügbar, als 1913.
Daß diese Schätzung keineswegs zu hoch ist, wird durch
eine Statistik der Wirtschaftskredite aller Bankgruppen in Deutschland
bewiesen, die Prion gibt 3). Hiernach
betragen die Bilanzpositionen Kontokorrent-Debitoren, Wechsel, Lombards und
Warenvorschüsse am 30. Juni 1928:
11 Großbanken 9 703 Mill. RM
Sonstige Akt. Bkn. 1 480 " "
Öff.-r. Kr.-Anst 3 536 " "
Sparkassen 2
324 " "
Genossenschaften 2 057 " "
Girokassen
254
" "
19 393 Mill. RM
Wegen der von Mitte 1928
bis Ende 1929 eingetretenen starken Steigerungen muß man die Summe derselben
Posten per 1. Januar 1930 auf mindestens 22 Milliarden RM schätzen. Die
entsprechende Ziffer für 1913 kann kaum größer als 8 - 9 Milliarden M gewesen
sein, da sich die öffentlichen Anstalten vor dem Kriege kaum im kurzfristigen
Geschäft betätigten und die Großbankdepositen nur die Hälfte der heutigen
betrugen.
Der Zuwachs würde sich
hiernach sogar auf etwa 13,5 Milliarden RM belaufen.
_______________________________
1)
Die Kredite
der Reichsbank an die Wirtschaft betrugen am 31. Dez. 1913 nur 1584 Mill. M,
Ende1927 aber 3 206 Mill. RM.
2)
Darüber
hinaus kann man unbedenklich einen Teil der Devisen und Auslandswechsel der
Reichsbank zu den Wirtschaftskrediten rechnen, denn ebenso wie die Reichsbank heute
im Unterschiede zu 1913 mit diesen Mitteln die ausländischen Wirtschaftsumsätze
finanziert, beteiligen sich die ausländischen Notenbanken an der deutschen
Umsatzkreditgewährung, indem sie Devisenguthaben teilweise in RM halten, was
sie vor dem Kriege nicht getan haben.
3)
Vgl. Der
deutsche Geld- und Kapitalmarkt seit der Stabilisierung, in "Strukturwandlungen
der d. Volkswirtschaft", Berlin 1929, S. 346.
- 77 -
Nehmen wir einen Zuwachs
von 9 auf 20 Milliarden, also um 11 Milliarden als das mindeste an, so bleibt
uns noch übrig, die übliche Geldwertkorrektur anzubringen, indem wir die Ausgangsziffer
von 9 Milliarden mit 1,4 multiplizieren (= 12,6). Wir erhalten dann, im
heutigen Geldwerte gemessen, einen Zuwachs
an kurzfristigen Ausleihungen bzw. Krediten in juristisch kurzfristiger Form
von nicht weniger als 7,4 Milliarden RM seit 1912.
4. Keine erhöhte
Verwendungsmöglichkeit für Umsatzkredite.
— Ein so bedeutendes Mehrangebot an Umsatzkredit wäre nur dann gesund, wenn die Anlagemöglichkeit im gleichen Maße gestiegen
wäre. Das ist aber nicht der Fall. Wenn auch die Lagerhaltung im Einzelhandel
an vielen Stellen gestiegen sein mag, so ist
sie doch, im Ganzen genommen, infolge der zunehmenden Rationalisierung der
Lagerhaltung in der Industrie und im Großhandel sowie durch die Beschleunigung
des Güterverkehrs auf der Achse wahrscheinlich gleich geblieben 1). Wir wissen aber, daß Umsatzkredite nur zur Güterbewegung verwendet werden
können. Ist die Güterbewegung in bezug auf Wert und Umschlagszeit nicht gestiegen,
so ist für vermehrte Umsatzkreditgewährung in der Volkswirtschaft kein Raum.
5. Die geringere
Liquidität der Sparkassen ein wichtiger Ausgleichsfaktor am Vorkriegsgeldmarkte.
— Vor dem Kriege war die Lage eine andere: Damals konnte von einem Überangebote
an kurzfristigen Mitteln nicht die Rede sein. Es ist vielleicht der interessanteste
Zug des deutschen Bankwesens vor dem Kriege gewesen, daß die Sparkassen
übermäßig viel langfristige Anlagen hatten und so ein Gegengewicht gegen die schon damals übermäßigen
kurzfristigen Anlagen 2) der Groß- und Kreditbanken bildeten. Wenn die
Sparkassen damals 94,1 % ihrer Gelder langfristig anlegten 3), obwohl diese
Gelder zum allergrößten Teil in Tagen oder wenigstens Monaten fällig waren, so
handelten sie bankmäßig falsch; sie verstießen gegen das bankmäßige Grundgesetz
und waren illiquide 4). Jedoch erfüllten sie damit unbewußt eine wichtige volks-
_______________________________
1)
Vgl. die
diesbezüglichen Spezialarbeiten von Prof. Julius
Hirsch a. a. O.
2)
Übermäßig im
Verhältnis zur Zusammensetzung ihrer Depositen, von denen ein Teil echte Spargelder
waren.
3)
Allein 63,1%
in Hypotheken.
4)
Sie waren dazu
vermutlich berechtigt, weil damals
selbst Hypotheken leicht veräußerlich schienen und die Unterstützung der
öffentlichen Verbände hinter ihnen stand.
- 78 -
wirtschaftliche Funktion,
indem sie etwa ebenso viele Milliarden zuviel
langfristig anlegten, wie von den Banken zuviel kurzfristig angelegt wurden. Indem die Sparkassen sich
heute rühmen können, eine privatwirtschaftlich ausreichende oder sogar gute
Liquidität zu besitzen, kommen sie als Ausgleichsfaktor früher höchster Bedeutung
in Fortfall. Sie legen heute nicht nur die Girogelder gänzlich kurzfristig an,
sondern auch noch rund 15 % der Spargelder, so daß sie heute das übermäßige
Angebot an Umsatzkredit nicht nur nicht
mehr kompensieren, sondern sogar durch ihre eigenen kurzfristigen Anlagen
noch verstärken 1).
6. Die Zunahme
echter Spargelder in den Bankdepositen. — Wenn heute über 7 Milliarden mehr
Mittel für kurzfristige Ausleihungen zur Verfügung stehen, so ist das nur
dadurch zu erklären, daß sich in den Bankdepositen nicht mehr nur Giro- und
Kassenhaltungsguthaben befinden, sondern in zunehmendem Maße auch echte Spargelder. Seit die Großbanken
sich ein Netz von Filialen und Depositenkassen angegliedert haben, sind sie in
zunehmendem Maße zu Sparinstituten geworden. Besonders deutlich wird diese
Entwicklung an den englischen Großbanken, die Ende 1929 über 32 Milliarden RM
(£ 1625 Mill.) Depositen verfügten, ein Betrag, der zweifellos zu Bewältigung
des Güterumschlages viel zu groß ist, da dieser auch einschließlich des internationalen
Verkehrs kleiner ist, als der deutsche. Seitdem die deutschen Großbanken ihren
Depositenbestand von etwa 6 Milliarden (1913) auf fast 12 Milliarden
gesteigert haben, sind sie in eine ähnliche Lage gekommen. Während aber die
englischen Großbanken die Konsequenzen aus der Entwicklung zu Sparbanken
gezogen haben, indem sie allein 4 Milliarden RM (196,55 Mill. £) in Effekten
investierten, haben die deutschen Großbanken an der überholten Tradition
festgehalten, Effektenanlagen zu vermeiden. Die sechs Berliner Großbanken 2)
weisen per 1. Januar 1930 bei einer Bilanzsumme von 13 765 Mill. RM nur
folgende Effektenanlagen auf:
Börsengängige Effekten 169 Mill. RM
(davon festverzinsliche 24 Mill.)
Nicht notierte Effekten 23
" "
Insgesamt 192 Mill. RM
________________________________________
1)
Prion steht diesem Gedanken offenbar ganz
nahe, indem er, ohne ihn auszusprechen,
erklärt: "Die Wandlungen auf dem Gebiet des Sparkassenwesens sind die wichtigste
Erscheinung im deutschen Bank- und Kreditwesen des letzten Jahrzehnts". Vgl.
Der deutsche Kapitalmarkt seit der Stabilisierung, in Strukturwandlungen der
deutschen Volkswirtschaft, Berlin 1929, S. 347.
2)
Einschließlich
der Reichskreditgesellschaft.
— 79 —
Die mit 167 Mill. zu
Buche stehenden Konsortialeffekten können dabei nicht gezählt werden, weil sie
nicht zwecks eigener Vermögensanlage, sondern als Lagersortiment für den
Verkauf an die Kundschaft zu gelten haben. Es sind also nur etwa 1 3/4 % der
Aktiva der Banken in Effekten angelegt, dabei nur 2 Promille in fest-verzinslichen,
während die englischen Großbanken 12 % ihrer Depositen in Effekten investiert
hatten.
7. Die ungesunde
Verwendung kurzfristiger Kredite zu Anlagezwecken. — Da der
Umsatzkreditbedarf der Wirtschaft allein aus den besonderen Quellen dieses
Kredits, den Banknoten und den Giroguthaben, gedeckt wird, haben die Banken
keine Möglichkeit gehabt, die zusätzlichen kurzfristigen Mittel von über 7
Milliarden in Umsatzkrediten anzulegen. Sie waren gezwungen, diese Gelder in
Produktionsmitteln und ähnlichen langlebigen Gütern zu investieren, da es eine
dritte Art der Kapitalanlage nicht gibt. Diesem Zwange versuchten sich freilich
die Kreditinstitute zu entziehen, da sie sich aus Liquiditätsgründen
verpflichtet fühlten, sich auf kurzfristige Anlagen zu beschränken.
Mit kurzfristigen Ausleihungen, die mit oder ohne Willen
der Banken von den Schuldnern langfristig verwendet werden, ist aber eine
gesunde Finanzierung von Produktivgütern unmöglich. Vielmehr ist die für die
Finanzierung von Produktionsmitteln einzig geeignete Kreditform der langfristige Kredit. Die Kapitalbildung,
die in dieser Gestalt auf dem Wege über die Entlohnung von
Produktionsmittelarbeitern in dauerhafte Kapitalgüter verwandelt wird, hat die
Eigentümlichkeit, nicht durch sofortigen Verzehr, sondern durch jahrzehntelangen Gebrauch nützlich zu
sein. Ein so gewährter Kredit kann also nie sofort, sondern nur in jahre- und jahrzehntelangen
Raten (Annuitäten) getilgt werden, und zwar aus den Überschüssen, die das
erstellte Gut abwirft. Ein Schuldner, der kurzfristige Kredite annimmt und
damit Produktivgüter errichtet, macht sich selbst also die jederzeitige
Erfüllung seiner Verpflichtung unmöglich, die dahin geht, sofort oder innerhalb
weniger Monate zu bezahlen. Keine Bank sollte ihre Hand dazu hergeben, einen
solchen Mißbrauch der Rechtsform des Umsatzkredits zu unterstützen oder zu
dulden. Ein solcher Vorwurf muß aber einer Bankorganisation gemacht werden, die
etwa 7 Milliarden RM mehr Mittel kurzfristig ausgeliehen hat, als sie vor dem
Kriege für denselben Zweck auszuleihen vermochte, obwohl der Kreditbedarf
inzwischen nicht wesentlich gestiegen ist. Der Zu-
— 80 —
wachs kann von den Schuldnern gar nicht
anders, als in Produktivgüter investiert worden sein.
Verfolgen wir die Verwendung der zusätzlichen 7
Milliarden im einzelnen, so finden wir, daß etwa 2000 Mill. auf die stark gestiegene
kurzfristige Verschuldung der Kommunalverbände entfallen, die am 30. September
1929 2337,8 Mill. RM betrug, während sie vor dem Kriege nicht größer als 300
Mill. M gewesen zu sein scheint 1). Es handelt sich hier keineswegs um die
Finanzierung von Warenumsätzen, sondern um langfristige Anlagen, um städtische
Wasserwerke, Elektrizitätswerke, Schlachthäuser, Schulen, Rathäuser und ähnliche
Dauergüter, die in der Hoffnung auf spätere Anleiheaufnahme gebaut worden
sind, bis die plötzlich durch die Anleiheberatungsstelle eingetretene
Kreditsperre die beabsichtigte Umschuldung unmöglich machte. Diese 2 Milliarden
kurzfristige Kredite sind also nichts anders als eingefrorene Zwischenkredite;
sie stellten die Finanzierung langfristiger Anlagen mit Hilfe von juristisch
kurzfristigen Krediten dar. Die Finanzierung erfolgte mit Hilfe von juristisch
kurzfristigen Krediten, obwohl die Mittel, die verwendet wurden, ihrem
eigentlichen Charakter nach langfristige waren. Die Banken wählten also
folgenden umständlichen Weg: Sie erhielten echte Spardepositen, also
langfristige Mittel, nahmen diese in der Rechtsform kurzfristiger Mittel herein
und liehen sie kurzfristig aus, obwohl der Empfänger sie wieder langfristig
anlegte. Anstatt also langfristige Mittel einfach und ehrlich langfristig
anzulegen, wählten sie einen überaus komplizierten Weg, der ihnen hohe Risiken
und dem Schuldner noch höhere Gefahren aufbürdete, ohne für den Depositär
vorteilhaft zu sein 2).
8. Die
Effektenkredite an die Börse als Sicherheitsventil. — Ein anderer Teil der
Überversorgung des Geldmarktes ist der Börse in der Form von Effektenkrediten
und Reportgeldern zugeflossen. Bei einer ausreichenden Spanne zwischen dem
Zinssatz für tägliches Geld und der Rendite der festverzinslichen Papiere bzw.
der Aktien sehen sich die Einleger der Banken veranlaßt, selbst Effekten für ihr Guthaben zu kaufen. Ist die Spanne aber so
gering, daß den Banken und Sparkassen
zuviel Gelder in Form
_______________________________
1)
Vgl. Die
Schulden der Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern und der Gemeindeverbände. Wirtsch. u. Stat.
1930, S. 292.
2)
Diese eingefrorenen Zwischenkredite dürfen
nicht mit den nützlichen Antizipationskrediten
verwechselt werden, denn sie stammen aus echten schon bei den Banken eingezahlten
Spargeldern, während Antizipationskredite solche Ersparnisse erst hervorrufen
sollen. Vgl. S. 84 u. 85.
— 81 —
täglich fälliger Guthaben
zufließen, so bleibt keine andere Möglichkeit, als daß die Banken ihrerseits
Effekten erwerben, da andere Möglichkeiten, solche Gelder zu beschäftigen,
fehlen. Die Depositenbanken lehnen nun in Deutschland eine solche Anlage ab.
Um trotzdem wenigstens indirekt Mittel in Effekten anlegen zu können, hat man
in der Börsenspekulation einen Vermittler
eingeschoben. Der Spekulant hält sich einen Effektenvorrat mit fremdem Gelde;
er besitzt Wertpapiere und schuldet dafür Geld. Er übernimmt also gerade das
Risiko, das den Banken untragbar erscheint: jederzeit verpflichtet zu sein die
Schuld zurückzuzahlen, ohne jedoch die Sicherheit zu haben, daß am Tage des
Rückrufs der Gelder die Effekten auch verkäuflich sind. Der Spekulant übernimmt
das Risiko, langfristige Anlagen mit kurzfristigem Gelde zu finanzieren, weil
er große Gewinnchancen sieht und oft wenig zu verlieren hat. Aus Gründen des
Ressentiments und der Moral ist er überall verachtet; in Krisenzeiten pflegt er
als der Sündenbock hingestellt zu werden. Und doch ist die Effektenspekulation
bei unserer heutigen Bankverfassung unentbehrlich, wenn die Verwendung der
Volksersparnisse für langfristige Anlagen, d. h. die Beschäftigung der
Arbeitslosen mit diesen Ersparnissen sichergestellt werden soll. Denn die
Spekulation erlaubt den Banken, ihre kurzfristigen
Mittel nicht in Form eigenen Aktienbesitzes, sondern in Form von Krediten fast
ohne Risiko 1) den langfristigen
Anlagezwecken der Wirtschaft dienstbar zu machen. Jede Million zusätzlicher
Börsenkredite ermöglicht der Spekulation den Hinzukauf weiterer Aktien in
gleichem Betrage. Die Effektenspekulation zusammen mit dem Report- und
Lombardgeschäft ist also ein Apparat zur Anhäufung von Effektenbesitz, eine
Maschinerie zur Förderung des Effektenabsatzes. Soviel Börsenkredite gewährt
worden sind, soviel Aktien haben sich neu absetzen lassen. Wenn in den Jahren
1926/27 Effektenkredite im Betrage von 4 Milliarden RM gewährt worden sind 2),
so hatte die Industrie also für 4000 Mill. RM
_______________________________
1)
Seit
Einführung der Liquidationskassen in Deutschland und der Maklersyndikate in
Frankreich sind Verluste so gut wie gar nicht mehr eingetreten.
2)
Die Effektenkredite betrugen am 30. April 1927
(zwei Wochen vor dem "schwarzen Freitag") nach den
Zweimonatsbilanzen:
1. Reportgelder:
bei den Berliner Großbanken
856 Mill. RM
84 Kreditbanken 1072 "
"
21 Staats- und Landesbanken
133 " "
16 Girozentralen 30 " "
2091 Mill. RM
2. Kredite
gegen Unterlage von Effekten:
nach sorgfältiger Schätzung mindestens
ebensoviel ………………….. 2000 Mill. RM
Insgesamt 4091
Mill. RM
—
82 —
Emissionen absetzen können,
für die sonst kein Käufer dagewesen wäre!). Wie früher nachgewiesen, müssen
diese 4 Milliarden letzten Endes als Löhne in der Produktionsmittelindustrie
ausgezahlt worden sein. Daß das der Fall gewesen ist, zeigt ein Blick auf die
Arbeitsmarktstatistik: Im Jahre 1927 sind tatsächlich rund 2 Millionen
Erwerbslose neu eingestellt worden. Bei einem Lohnbetrage von RM 2000. - pro
Kopf und Jahr erfordert die Entlohnung von 2 Millionen Arbeitern in einem Jahre
etwa 4 Milliarden RM, also gerade den Betrag der gesamten Börsenkredite. Wie
segensreich diese vier Milliarden für die deutsche Wirtschaft gewesen sind,
braucht nicht betont zu werden; sie haben die Durchführung der
Rationalisierung, die zeitweise Beseitigung der Erwerbslosigkeit und einen
allgemeinen Aufschwung durch die daraus folgende Konsumsteigerung gebracht, von
der politischen Beruhigung ganz abgesehen. Die im Mai 1927 erfolgte Stillegung
der Börse durch die börsenfeindliche Politik der Reichsbank wurde schon
erwähnt, sie hat nicht nur die Börse als das unentbehrliche Umschuldungsorgan zur Übernahme von
Antizipationskrediten lahmgelegt, sondern auch den großen Absatzmarkt für Wertpapiere versperrt, den die
Effektenkredite der Banken eröffnet hatten.
9. Mangel einer
Organisation des langfristigen Industriekredits. — Heute sind die
Effektenkredite der Banken bis auf wenige Hundert Millionen
zusammengeschrumpft. Den noch verbleibenden zusätzlichen 5 Milliarden
kurzfristiger Mittel der Banken und Sparkassen steht also nur noch die
Beschäftigung als eingefrorene industrielle Debitoren offen. Offenbar haben die
deutschen Banken ihre Umsatzvorschüsse an die Industrie und das Gewerbe im
Laufe der Jahre stärker ausgedehnt, als die Güterumsätze in der gleichen Zeit
gestiegen sind. Sie sind also von der Sphäre des Umsatzkredits mehr und mehr in
die Sphäre des Anlage-
_______________________________
1)
Dagegen
spricht nicht, daß aus den Reportgeldem auch die oft
recht erheblichen Kursgewinne des verkaufenden Teils der Spekulation bezahlt
werden mußten. Diese Gewinne wurden nämlich von den Effektenverkäufern zum
allergrößten Teil kurz darauf wieder in andere Effektenarten investiert. Die
Eigentümer des Vermögens wechselten also, aber nicht die Kapitalempfänger (die
Industrie), auch nicht dem erhaltenen Betrage nach.
- 83 -
kredits hinübergeglitten,
denn die erhöhten Kreditmittel können von den Unternehmungen nur zu Betriebsverbesserungen
und Erweiterungen benutzt worden sein.
Bei der Großindustrie, die in der Lage ist, mit ihren
Emissionen direkt an die Börse heranzutreten, sind diese Kredite weniger gefährlich,
da diese Schuldnerkategorie börsenfähig ist. Bei der mittleren und Kleinindustrie
haben die Banken dagegen nicht die Möglichkeit, den Vorschuß bei gelegener Zeit
in eine Wertpapieremission umzuwandeln. Hier geschieht die Überschreitung der
Grenze des Umsatzkredits zum Nachteil sowohl der Kreditgeber, als auch der
Kreditnehmer. Der Kreditgeber, der in der Lage sein muß, seine Depositen jeden
Tag zurückzuzahlen, wird illiquide, da solche Kredite in die Gattung der "eingefrorenen"
gehören, wenn sie auch weiter unter Debitoren gebucht werden. Ebenso übel ist
die Lage des Kreditnehmers. Nicht nur der Industrielle, der einen solchen
Kredit nimmt, sondern auch der Bankier, der ihn gibt, sind sich bei seiner Gewährung
stillschweigend darüber im klaren, daß eine plötzliche Rückzahlung durch den
Kunden unmöglich ist. Sie vereinbaren aus formellen Gründen eine etwa 3
monatige Rückzahlungsfrist, um dem Liquiditätsbestreben des Bankiers Rechnung
zu tragen; dabei wird vorausgesetzt, daß die Bank von ihrem Rückforderungsrecht
keinen Gebrauch macht 1). Mit einem solchen zweideutigen Kreditvertrage ist
aber weder den Bankeinlegern, noch der Industrie gedient. Die in den
Bankbilanzen ausgewiesene Liquidität besteht in Wahrheit gar nicht, da sie nur juristisch
statuiert ist, wirtschaftlich aber nicht vorhanden sein kann. Andererseits ist
dem Industriellen mit einer stillschweigenden Zusage, man wolle von dem
Rückforderungsrecht keinen Gebrauch machen, nicht geholfen; im Falle der Not
oder der Schikane wird die Bank doch kündigen und damit die Schlinge zuziehen,
die sie — ohne es zu wollen — um den Hals des Industriellen gelegt hatte.
Heute wie vor dem Kriege hört man also auf Seiten der
Industrie nicht die Klage über ein "zu wenig" an Kredit, sondern über
die falsche Art und Weise der
Kreditgewährung. Alle Kreditmittel, die den Bedarf an Umschlagskredit
übertreten, sollten offen und klar in langfristiger Form gewährt werden; dann
werden sich die Banken nicht über die Unfähigkeit ihrer Schuldner zu beklagen
brauchen, auf Erfordern den Debetsaldo abzutragen, und
_______________________________
1)
Vgl. Felix
Hechts Vortrag vor dem
Mitteleuropäischen Wirtschaftsverein im Jahre 1908, a. a. O.
- 84 -
die Industriellen werden ihre
Selbständigkeit nicht mehr durch die Übermacht der Banken bedroht finden.
Eine Kreditorganisation, die nicht den Banken erlaubt,
für ihre Spargelder eine adäquate Anlage zu suchen, und die es der Industrie
unmöglich macht, den an sich vorhandenen langfristigen Kredit auch in langfristiger
Form aufzunehmen, ist als fehlerhaft zu bezeichnen.
Der Umsatzkredit fand in den Notenbanken und den
Großbanken schon früh eine vorzügliche Organisation.
Auch der Bodenkredit und der langfristige Agrarkredit sind
in den Hypothekenbanken und den öffentlich-rechtlichen Pfandbriefinstituten
bestens organisiert.
Zuletzt hat das Problem des langfristigen Kommunalkredits
eine adäquate Lösung gefunden, indem die Deutsche Girozentrale — Deutsche
Kommunalbank durch Sammelanleihen die Kreditbedürfnisse der vielen kleinen,
nicht marktfähigen Kommunen zusammenfaßte und durch ein großes, einheitliches
und sicheres Börsenpapier (die deutschen Kommunal-Sammelanleihen) befriedigte.
Der letzte Zweig des deutschen Kredits, der noch nicht
seine zweckmäßige Organisation gefunden hat, ist der langfristige
Industriekredit. Er wird noch immer in der Form des Handelskredits gewährt, die
ihm in keiner Weise gerecht wird 1). Die Kapitalbildung, d. h. die Überführung
von Arbeitern in neue Produktionsmittel-Industrien, wird dadurch aufs äußerste
erschwert.
Daß die letzten rund 5 Milliarden RM überschüssiger Spargelder
in solchen juristisch kurzfristigen, der Sache nach aber langfristigen
Krediten an die Industrie ihre Anlage gefunden haben, läßt sich statistisch
schwer beweisen, weil diese Art von Krediten in den Debitoren der Bankbilanzen
stecken, ohne daß die Möglichkeit besteht, sie auszusondern. Man kann nur aus
der Liquiditätsverschlechterung der Großbanken unmittelbar nach den börsenfeindlichen
Maßnahmen des Jahres 1927 auf eine derartige Tendenz schließen 2) sowie daraus, daß die Bankdebitoren
heute mehr als doppelt so hoch sind, wie vor dem Kriege, was durch zusätzliche Warenumsätze
nicht erklärt werden kann.
10. Zusammenfassung
und Abgrenzung gegen die Antizipationskredite. — Wir hatten festgestellt,
daß die Gesamtmenge der effektiven, bei den Banken also schon eingezahlten
Ersparnisse nur dann ausreicht, alle Arbeitskräfte zu beschäftigen, wenn keine
neuen Rationalisierungen, genauer gesagt keine neuen Kosten-er-
_______________________________
1)
Vgl. S. 66,
Fußnote 1.
2)
Vgl. die
Großbankabschlüsse für 1927.
- 85 -
sparnisse vorgenommen
würden. Auch in diesem günstigen Falle würden sich schwere Störungen am Arbeitsmarkte
zeigen, wenn ein Teil dieser vorhandenen Ersparnisse gar nicht oder nur auf Umwegen
seiner eigentlichen langfristigen Bestimmung zugeführt würde. Wir haben
gesehen, daß diese Situation in Deutschland gegenwärtig Wirklichkeit ist; daher
haben wir in dem vorliegenden Abschnitt verlangt, daß alle wirklichen
Ersparnisse auch tatsächlich der Arbeitsbeschaffung, d. h. der langfristigen
Investierung, zugeführt werden.
Mit dieser einfachen Diagnose ist aber der Tatbestand,
den uns die Wirtschaft der Gegenwart bietet, nicht erschöpft; nicht nur die
mangelhafte Verteilung der vorhandenen
Kapitalbildung ist Ursache der Arbeitslosigkeit, sondern auch die mangelnde
Vollendung des Sparprozesses bei der über jene Art der Kapitalbildung hinausgehenden
latenten Kapitalbildung. Die Kapitalbildung wird also, soweit sie
effektiv ist, schlecht verteilt, und soweit sie nur latent ist, nicht in
effektive Kapitalbildung verwandelt.
Dagegen könnte man einwenden, daß die Ausleihung ursprünglich
langfristiger Depositen in Form kurzfristiger Zwischenkredite ja nichts anderes
darstellt, als die Gewährung von Antizipationskrediten. Allerdings wird auch
hier von den Banken die Technik des antizipierten Emissionskredits angewandt.
Man erkennt aber, daß dieser antizipierte Emissionskredit etwas ganz anderes
sein kann, als die hier geforderte Antizipation von Ersparnissen.
Ersterer ist eine
Vorwegnahme des Erlöses zukünftiger Emissionen, letztere eine Vorwegnahme
zukünftiger Ersparnisse, die schon heute latent vorhanden sind.
Die Kredittechnik des
antizipierten Emissionskredits kann für beide Fälle verwandt werden; im einen
Falle erleichtert sie die Verteilung schon vorhandener effektiver Ersparnisse,
ohne irgendeine effektivierende Wirkung auf die latenten Ersparnisse auszuüben,
im anderen Falle verwandelt sie latente Ersparnisse in effektive, und zwar kann
sie das nur dann, wenn die vorhandenen Ersparnisse schon erschöpft sind.
Die
betriebswirtschaftliche Technik des antizipierten Emissionskredits kann also
die vorhandene effektive Kapitalbildung nun dann erweitern, nämlich um die
latente Kapitalbildung, wenn sie über das Maß der effektiven Kapitalbildung
hinaus angewandt wird; nur dann wird sie zu der hier behandelten Antizipation
von Ersparnissen.
— 86 —
c) Die Blockierung
des industriellen Kapitalmarkts durch die
Mündelsicherheits-
und Anlegungsvorschriften.
1. Wesen und
Bedeutung der Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften. — Wenn die
vorhandene Kreditorganisation schon der Aufgabe nicht gewachsen ist, die vorhandenen
echten Ersparnisse auf geradem Wege der Produktionsmittelindustrie zu zuführen
und die darüber hinaus latent vorhandenen Ersparnisse zu effektivieren, so wird
die Lage noch verschlimmert durch die Tatsache, daß die heute gültigen
Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften noch aus einer Zeit stammen, in
der Deutschland noch ein Agrarstaat war, in der also die Zulassung des
Anlagekreditbedürfnisses der Landwirtschaft
und des städtischen Wohnungswesens ausreichte. Inzwischen
hat sich Deutschland zum größten Industriestaat Europas entwickelt, dessen Bevölkerung
zu 2/3 von der Industrie lebt und nur
durch sie erhalten werden kann. Die Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften
für gebundene Kapitalien sind aber, wie
sich nachweisen läßt, aus Gründen der Gerichtsverfassung seit der Zeit der
Römer noch im wesentlichen unverändert geblieben. Sie haben aber, unbemerkt
von der volkswirtschaftlichen Wissenschaft und den am Industriekredit und an der
Arbeitsbeschaffung interessierten Volkskreisen, ihr Anwendungsgebiet besonders
im Laufe der letzten 30 Jahre gewaltig erweitern können.
Mehr als die Hälfte der sichtbaren deutschen Kapitalbildung wird heute direkt durch die Mündelsicherheitsvorschriften
des Bürgerlichen Gesetzbuches beherrscht oder fließt in große
Kapitalsammelbecken, wie die Sparkassen, die Lebensversicherungsinstitute, die
Sozialversicherungsanstalten, die Hypothekenbanken usw., die alle mit nur geringen Ausnahmen den
Mündelsicherungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches oder der einzelnen
Landesrechte unterliegen 1).
2. Die
Verkümmerung des industriellen Anlagekredits als Folge der Vorschriften. —
So wird dieser entscheidende Teil der jährlichen
Kapitalbildung durch gesetzlichen Zwang einseitig für bestimmte Kreditbedürfnisse
reserviert, während die übrigen
_______________________________
1)
Vgl. Dr. H. Rittershausen, Zwangswirtschaft auf dem
Kapitalmarkt? Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen und die Zukunft des
industriellen Anlagekredits, in der Bankwissenschaft, Heft 20 vom 20. Januar
1930, S. 801—811. (jz18)
- 87 -
gesetzlich nicht
privilegierten Kapitalanlagen mehr oder weniger leer ausgehen. Nicht nur die
Großindustrie, sondern auch die mittlere und Kleinindustrie, die schon durch
den Mangel einer Organisation des langfristigen Industriekredits stark
benachteiligt ist, hat keinen Zugang zu diesem bedeutsamen Ausschnitt des Kapitalmarkts.
Wenn also durch Rationalisierungen Umschichtungen am Arbeitsmarkte erforderlich
werden, wenn Arbeitskräfte in neue Industrien übergehen müssen, dann steht die
Wirtschaft vor der unübersteigbaren Schranke der Anlegungsvorschriften. Rein
finanztechnisch hat das zur Folge gehabt, daß der industrielle Anlagekredit,
insbesondere der mittleren Industrie, im Laufe der Zeit verkümmert ist, da er
den Fortschritt, die Verfeinerung und die Sicherungsmaßnahmen, die die andern
Kreditzweige in der Zwischenzeit haben entwickeln können, nicht hat mitmachen
können; er war von seinen Quellen abgeschnitten und konnte sich zum mindesten
in Deutschland nicht so entwickeln, wie er das hätte tun können und in anderen
Ländern getan hat.
3.
Anlegungsvorschriften und Arbeitsgelegenheit. — Nur die Finanzierung von
agrarischen Produktionsmitteln, von Wohngebäuden und von staatlichen Ausgaben ist
heute erlaubt; die Finanzierung gewerblicher und industrieller
Produktionsmittel, offenbar eine der Hauptvoraussetzungen der Beschäftigung
der Industriearbeiterschaft Deutschlands, fällt außerhalb der Mündelsicherheits-
und Anlegungsvorschriften. Da heute — im Gegensatz zu der Zeit, in der die
Mündelsicherheitsvorschriften entstanden sind — 2/3 der Bevölkerung von der
Industrie leben, hätte die Versorgung dieses Bevölkerungsteiles mit
ausreichenden Produktionsmitteln voll und ganz die Aufgabe wohl durchdachter
Mündelsicherheitsvorschriften zu sein; denn
welche bessere Verwendung läßt sich für Mündel- und Institutsgelder denken, als
eine solche, die gerade der Schicht Arbeitsgelegenheit verschafft, aus der sie
stammen? 1). Das ist in der Geschichte immer Aufgabe und Erfolg guter
Mündelsicherheitsvorschriften gewesen, wie die römische und mittelalterliche
Regelung beweist, die in einer Zeit ländlich-bäuerlicher und
städtisch-handwerklicher Wirtschaft die Anlegung der Gelder in ländlichen und
städtischen Hypotheken
__________________________________
1)
Vgl. Dr. H. Rittershausen, Die Reform der
Mündelsicherheitsbestimmungen und der industrielle Anlagekredit, zugleich ein
Beitrag zum Erwerbslosenproblem. Jena 1929. Hier ist im einzelnen das Beweismaterial
für die obigen Behauptungen zu finden; der Verf. kann sich daher hier kurz
fassen.
-
88 -
verlangte, so daß mit diesen Kapitalien für
Arbeitsgelegenheit der großen Masse der Bevölkerung gesorgt werden konnte.
4. Ergebnis. —
Es bleibt also für die Erstellung der nötigen industriellen Produktionsmittel
heute nur noch die innerbetriebliche Kapitalbildung und der geringe Teil der
freien Kapitalbildung, der nicht den großen Kapitalsammelbecken anheimgefallen
ist. Wir haben schon festgestellt, daß die innerbetriebliche Kapitalbildung
solange latent und unfruchtbar bleiben muß, als sie nicht durch
Antizipationskredite effektiviert wird, und daß von der geringen freien
Kapitalbildung noch die den Kreditinstituten zufließenden Mittel teilweise
verloren gehen bzw. kostspielige Umwege über den kurzfristigen Kredit und die
Börsenkredite einschlagen. So ist es nicht verwunderlich, daß die Industrie nur
den zehnten Teil der Kapitalien erhält, die den Mündelwerten zufließen. In den
Jahren 1888 - 1913 sind 46,37 Milliarden M Mündelwerte emittiert worden gegen
4,61 Milliarden Privatobligationen, und vom November 1923 bis zum 30. April
1928 9,6 Milliarden RM Mündelwerte gegen
750 Mill. RM Industrieobligationen 1). Hiermit ist offenbar der Rolle, die
Industrie und Gewerbe in Deutschland für die Beschäftigung der Bevölkerung
spielen, nicht genüge geschehen.
Wir können daher nochmals folgendes Ergebnis zusammenfassen:
Die Kapitalbildung der
gesamten Wirtschaft ist laufend bereits um die latente Kapitalbildung in Höhe
des vollen Lohnausfalles der Arbeitslosen geschmälert. Diese verminderte, zur
Beschäftigung der außer Arbeit Befindlichen also "nicht mehr ausreichende"
Kapitalbildung wird von der gegenwärtigen Bankorganisation nur teilweise und
dann noch in bedenklich kurzfristiger Form an die Stellen des Kapitalbedarfs
weitergeleitet. Dabei bilden die Anlegungsvorschriften eine weitere Barriere,
die einen der wichtigsten Kapitalverbraucher, die Industrie und das Gewerbe,
zum großen Teile ausschließt. Die
Versorgung der Industrie, unseres größten Arbeitgebers, mit langfristigem
Kredit, ist also denkbar unzweckmäßig geordnet.
_______________________________
1)
Vgl. Rittershausen, Die Reform der
Mündelsicherheitsbestimmungen, a. a. O. S. 40. (jz19)
- 89 -
d) Die Verhinderung
der Wiederhereinnahme der Kapitalflucht
in Form von
Anleihen des Auslandes an uns.
1. Umfang der
Kapitalflucht und der Auslandsanleihen. — Dieser Gesamteindruck von der gegenwärtigen
Organisation des langfristigen Anlagekredits in Deutschland wird verstärkt
durch die Fehler, die man augenscheinlich bei der Behandlung der Kapitalflucht
gemacht hat. Der Reichsfinanzminister Moldenhauer
hat auf eine Anfrage des Abg. Keil
(Soz.) im Haushaltsausschuß des Reichstags erklärt, verschiedene Banken
schätzten den Umfang der Kapitalflucht auf 6 - 8 Milliarden RM. Daß diese
Ziffern nicht übertrieben sind, beweisen die Verhältnisse in der Schweiz. Von
den Fr. 6318 Mill. fremden Mitteln, die den 8 schweizerischen Großbanken Ende
1929 zur Verfügung standen, sollen nach neuesten Schätzungen 1) rund Fr. 2000
Mill. ausländischen Ursprungs sein. Dazu kommen die umfangreichen Verkäufe
schweizerischer Effekten an Deutsche und die Bankeinlagen und Effekten, die von
Privatpersonen Schweizer Nationalität für Rechnung von Deutschen gehalten
werden.
Wenn die Kapitalflucht also tatsächlich 6 - 8 Milliarden
RM beträgt, so ist es interessant, zu sehen, daß sie fast genau mit dem
Gesamtbetrag der Auslandsanleihen übereinstimmt, die Deutschland seit 1924 hereingenommen
hat:
Auslandsanleihen:
1924 1002
Mill. RM 2)
1925 1320
" " 3)
1926 1770 "
"
1927 1659 " "
1928 1537 "
"
1929 4) 373 "
"
Insgesamt 7 661 Mill. RM
Die gesamte Auslandsverschuldung Deutschlands ist
allerdings höher, da die kurzfristigen Schulden hinzukommen. Diese schätzt man
ebenfalls auf etwa 6 - 8 Milliarden RM 6).
_______________________________
1)
Vgl. Frankf.
Zeitung vom 20. Mai 1930.
2)
Nach dem
Stat. Jahrbuch 1927, S. 389; einschl. Dawes-Anleihe (960 Mill. RM).
3)
Die Jahre
1925 - 1930 nach "Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung",
herausgegeben von der Reichskreditgesellschaft, 1930, I.
4)
Für das erste
Halbjahr 1930, das aber auch oben bei
der Kapitalflucht nicht mitgerechnet ist, kommen einschl. der Young- und
Zündholzanleihe 1117 Mill. RM hinzu.
5)
Nach den
Feststellungen des Stat. Reichsamtes befanden sich unter den Kreditoren der 6
Berliner Großbanken im Jahre 1928 43 %
Auslandsgelder. Solmssen schätzte den
Satz für 1930 in seinem Züricher Vortrage auf 50 %.
— 90 —
Die deutsche
Kapitalflucht ist demnach gerade so groß, wie die gesamte kurzfristige,
oder wie die gesamte langfristige
Auslandsverschuldung Deutschlands!
2. Identität von
Auslandsverschuldung und Kapitalflucht. — Beide Summen stimmen jedoch nicht
nur dem Betrage nach, sondern auch materiell miteinander überein. Die enormen
Kapitalien, die uns in Form von Anleihen "aus dem Auslande"
zugeflossen sind, sind in Wirklichkeit deutsche Kapitalien, die aus Gründen des
Ausgleichs der internationalen Zahlungsbilanzen vom Auslande nur wieder in
Deutschland investiert werden können.
Kein Land kann mehr Kapital im Ausland anlegen, als den Exportüberschuß seiner
Handelsbilanz 1), bedeuten doch Auslandsanleihen, um einen Ausdruck Cassels zu gebrauchen, nichts anderes
als die Finanzierung des Exportüberschusses des darlehngebenden Landes an das
darlehnnehmende Land 2). Werden von den Bürgern eines Landes aus außerwirtschaftlichen
Gründen, wie im Falle der Kapitalflucht, trotzdem mehr Kapitalien im Auslande
angelegt, so sorgt die Zahlungsbilanz und das internationale Zinsgefälle dafür,
daß diese selben Beträge in Form von Auslandskrediten an uns zurückfließen.
3. Der Kampf gegen
die Auslandskredite und seine Folgen. — Durch diese Erkenntnis erhält der
Kampf, den insbesondere der Reichsbankpräsident Schacht gegen die Hereinnahme
von Anleihen und kurzfristigen Geldern aus dem Auslande geführt hat, eine
besondere Bedeutung. Als Schuldner von Auslandsanleihen kommen praktisch nur die
66 ganz großen, auch in den Ver. Staaten börsenfähigen Industrieunternehmungen
Deutschlands 3) und die Länder und Städte in Frage. Die Großindustrie hatte
bereits ihren Kreditbedarf fast vollständig gedeckt. Als Schacht daher im Jahre
1927 die bekannten Richtlinien der "Anleiheberatungsstelle'', die zum
Zwecke der Erschwerung der Aufnahme von Auslandsanleihen gegründet war,
durchsetzte, war damit praktisch ein Verbot
der Aufnahme von Auslandsanleihen
zustande gekommen. Denn wenn sich die Richtlinien auch nur mit den Anleihen
der Länder und Kommunen beschäftigten, so genügte das, weil die 66
Unternehmungen der Großindustrie bereits
gesättigt
_______________________________
1)
Im weiteren
Sinne.
2)
Cassel,
Geldproblem der Welt, S. 84.
3)
Nach der
Betriebszählung von 1925 gab es nur 66 Unternehmungen mit über 5000 Arbeitern.
- 91 -
waren, und andere
Personen als Träger von Auslandsanleihen nicht in Frage kamen. Dieses verbotähnliche
Vorgehen gegen die Auslandsanleihen wurde verschärft durch die Verweigerung der
bis dahin üblichen Befreiung der Auslandsanleihen von der Kapitalertragsteuer.
Ohne eine solche Befreiung waren deutsche Anleihen im Auslande nicht
unterzubringen.
Der Kampf gegen die Auslandskredite, der nach den im Juli
1930 veröffentlichten "Richtlinien für das Schuldenwesen der
Gemeinden" 1) in Zukunft in verschärfter Form fortgesetzt werden soll, ist
also nichts anderes, als ein Kampf gegen
deutsches Kapital: man weigert sich, denjenigen Teil der innerdeutschen
Kapitalbildung, der seinen Weg ins Ausland gefunden hat, in Form von
Auslandskrediten wieder ins Inland hereinzulassen. Kapitalbildung durch
Ersparnisse ohne sofortige Wiederanlage des Ersparten bedeutet aber Arbeitslosigkeit. Der durch die Kapitalflucht
verursachte Teil der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit kann nur behoben werden,
wenn alles getan wird, den geflüchteten
Kapitalien den Heimweg zu erleichtern,
damit sie dort Arbeitsgelegenheit bieten, wo sie durch ihr Entstehen
Arbeitslosigkeit geschaffen haben.
Die Frage wäre von geringer Bedeutung, wenn es sich um
kleine Beträge handelte. 8 Milliarden RM sind aber ein Betrag, der ausreicht,
um 4 Jahre lang eine Million Arbeitskräfte bei einem Jahreseinkommen von 2000
RM zu beschäftigen. Beträge von solchen Dimensionen sind heute unentbehrlich;
Deutschland ist nicht reich genug, um auf 8 Milliarden verzichten zu können.
Es kann nicht eingewandt werden, daß diese Beträge ja infolge
der Automatik der Zahlungsbilanz doch stets wieder nach Deutschland
zurückgeflossen sind. Denn wegen der Verhinderung der Auslandsanleihen sind sie
nur in kurzfristiger, also praktisch fast unverwendbarer Form vorhanden
gewesen. Zweifellos ist hier eine der Wurzeln der Überversorgung des
Geldmarktes auf Kosten des Kapitalmarktes zu finden. Wenn die Banken dadurch
gezwungen sind, Milliardenbeträge an formell kurzfristigen Mitteln kurzfristig
und doch für Anlagezwecke auszuleihen, dann wird ihre Liquidität so sehr
angespannt, daß sie zur Betätigung im eigentlichen antizipierten
Emissionskredit zum Zwecke der Effektivierung der Kapitalbildung gar nicht
mehr kommen können. Daß diese Lage heute eingetreten ist, ist nur durch die Anleihepolitik zu erklären,
die
_______________________________
1)
Entwurf des
Reichsfinanzministeriums.
— 92 —
diesen deutschen
Kapitalien, so dringend sie auch gebraucht wurden, das Recht auf Anlage in
Deutschland verweigerte.
Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß auch die deutsche Bankorganisation nicht von dem
Vorwurf freizusprechen ist, nicht alles getan zu haben, um eine direkte
Kapitalanlage in Deutschland sicher und vorteilhaft erscheinen zu lassen. Von
diesem Standpunkte aus ist die deutsche Kapitalflucht nichts anderes als der
Beweis, daß ein Teil der deutschen Kapitalanleger die Einrichtungen der
ausländischen Konkurrenzbanken denen der deutschen Institute vorzieht. Es kann
nicht bezweifelt werden, daß die deutsche Öffentlichkeit wie auch der deutsche
Reichstag gern bereit gewesen wären, jedem Plane zur währungstechnischen
Sicherung von Kapitalanlagen ihre Unterstützung zu leihen 1). Solche Vorschläge
sind aber nicht gemacht worden; und eine Beseitigung der steuerlichen Gründe
zur Kapitalflucht, die oft verlangt worden ist, dürfte nicht ausreichen.
_______________________________
1)
Hier ist z.
B. an eine Verbesserung der Goldklausel in den Anleiheverträgen usw. zu denken.
______________________
- 93 -
Viertes Kapitel.
Bisher gemachte
unzulängliche Vorschläge zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit.
Vorbemerkung.
— Es wird für den Leser nicht schwer sein, auf Grund der bisherigen Darlegungen
zu den von anderer Seite gemachten Vorschlägen selbst kritisch Stellung zu
nehmen und im einzelnen zu ermitteln, wie die verschiedenen Gegenwartsprobleme
zu beurteilen sind. Die nun folgende Darstellung kann daher äußerst kurz
gehalten werden; sie soll nur Andeutungen bringen, da naturgemäß eine
erschöpfende Behandlung auch nur einer der hier erörterten Fragen der Praxis
eine bänderreiche Darstellung verlangen würde. Diejenigen Probleme sind in den
Vordergrund gestellt, die von prinzipieller Bedeutung für die Reform unseres
Bank- und Kreditsystems sind; Einzelheiten von erheblicher aktueller, aber
geringer prinzipieller Bedeutung sind weggelassen worden.
Alle hier folgenden Einzelvorschläge erhalten ihren
eigentlichen Sinn erst durch den Inhalt der vorhergegangenen Kapitel 1 - 3,
denn eine erhebliche Anzahl von Fachausdrücken wird in einer Bedeutung
gebraucht, die von den bisher üblichen Definitionen abweicht, und alle
entscheidenden Argumente erscheinen allein in den grundsätzlichen Kapiteln. Der
Leser, der nur die Vorschläge liest, muß also zu einer unrichtigen Meinung
kommen; er wird etwas ganz anderes verstehen, als gemeint war.
Um den zahlreichen Einwendungen zu begegnen, die erhoben
werden könnten, werden zuerst diejenigen Vorschläge zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit behandelt, die als verfehlt anzusehen sind, wenn man sie an
den Ergebnissen der bisherigen Darstellung mißt.
a) Lohn und
Preissenkung. — Es braucht hier nicht mehr besonders bewiesen zu werden,
daß sich zusätzliche Arbeitsgelegenheiten
im volkswirtschaftlichen Sinne nicht durch Lohn- und Preisabbau schaffen lassen
1). Selbst wenn die Lage einiger In-
_______________________________
1)
Vgl. die
bevorstehende besondere Veröffentlichung des Verf., a. a. O.
— 94 —
dustrien, z. B. der
Produktionsmittelgruppe, dadurch soweit verbessert würde, daß neue
Arbeitskräfte eingestellt werden können, würde sich die Arbeitslosigkeit in den
anderen Industrien doch entsprechend erhöhen. Dabei ist noch zu
berücksichtigen, daß eine obrigkeitliche oder sonst zwangsweise Veränderung der
Preise im allgemeinen unmöglich ist, wie die Erfahrungen der Zwangswirtschaft
im Kriege bewiesen haben. Nur solche Preise, die bisher künstlich hochgehalten worden sind, lassen sich ermäßigen; die
Wirkung einer solchen Preisermäßigung, die niemals großen Umfang haben kann,
kann nur eine andere Verteilung des Volkseinkommens, nicht aber die Schaffung
zusätzlicher Arbeitsgelegenheit sein.
b)
Arbeitsverschiebung. — Vor dem Kriege galt die Arbeitsverschiebung, d. h.
die Verlegung der öffentlichen Aufträge auf Zeiten der Krisen und der
Arbeitslosigkeit, als das vornehmlichste Mittel zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit 1). Wie schon der Name sagt, kann damit grundsätzlich keine
neue Arbeitsgelegenheit geschaffen, vielmehr nur die vorhandene zeitlich besser
verteilt werden. Eine solche Arbeitsverschiebung ist von nicht geringer
Bedeutung, soweit der saisonmäßige Ausgleich in Rede steht. Die winterliche
Arbeitslosigkeit kann erheblich gemildert werden, wenn die Städte z. B. ihre
Straßenbauaufträge soweit tunlich im Winter ausführen lassen. Als Mittel gegen
die konjunkturelle oder Dauerarbeitslosigkeit ist dagegen die
Arbeitsverschiebung nicht brauchbar. Sie scheitert regelmäßig daran, daß im Augenblick der Not auch die öffentlichen
Kassen leer zu sein pflegen. Ohne Kapital können aber auch nach Ansicht der
Anhänger der Arbeitsverschiebung keine öffentlichen Arbeiten begonnen werden.
Dieser Hinderungsgrund wirkt jeder zweckmäßigen konjunkturellen
Arbeitsverteilung so sehr entgegen, daß nichts von dem Prinzip übrig bleibt.
Nur in Zeiten der Hochkonjunktur fließen die Steuern so reichlich, daß die
öffentlichen Körperschaften zu größeren Investitionen geneigt sind. Man
überschätzt dann regelmäßig den Steuereingang der nächsten Jahre, der erfahrungsgemäß
wieder schlechter wird, sodaß man gerade im Augenblick der höchsten
Arbeitslosigkeit sich leicht in einer Geldklemme befindet. Die Tatsachen
erzwingen dann sogar noch einen Abbau der öffentlichen Ausgaben, also eine Verminderung der Arbeitsgelegenheit aus
öffentlichen Aufträgen, wo doch gerade in solchen Zeiten dem Prinzip zufolge
die öffentlichen Mittel freigebiger ver-
_______________________________
1)
Vgl.
Beveridge, Unemployment a Problem of Industry, London 1912.
- 95 -
ausgabt werden sollten. Diese Sparmaßnahmen der
öffentlichen Hand im unrechten Augenblick erleben wir gerade heute wieder.
Dagegen
hilft auch nicht die Ansammlung von Kapitalfonds als Reserve für schlechte
Zeiten, denn alle derartigen Reserven müssen bis zum Zeitpunkt ihrer
Inanspruchnahme irgendwie investiert werden. Ihre tatsächliche Verwendung
bedeutet dann aber nichts anderes, als die Zurückziehung aus der bisherigen
Anlage und die Investierung in eine neue. Man müßte also neue Löcher aufreißen,
um alte zuzustopfen. Solange diese Gegebenheiten sich nicht ändern, werden die
Ergebnisse auch der Arbeitsverschiebung durch Reservenansammlung enttäuschend
sein.
c) Verstaatlichung
der Wirtschaft. — Einen viel radikaleren Standpunkt nehmen Diejenigen ein,
die in der Arbeitslosigkeit ein Wesensmerkmal der "kapitalistischen"
Wirtschaftsordnung sehen, das man nur beseitigen kann, indem man die "kapitalistische"
durch die "sozialistische" Ordnung ersetzt. Eine solche sozialistische
Ordnung der Wirtschaft kann in zweierlei
Form gedacht werden: in Gestalt der Verstaatlichung der Produktionsmittel
zwecks machomäßiger Beherrschung und Bewirtschaftung des Produktionsapparates 1)
und in Gestalt einer mehr oder weniger bankmäßigen Organisation des privaten
Austauschs, um jedem das Produzieren und den Konsum des Produzierten zu
ermöglichen, der sich am Austausch beteiligen möchte 2).
Die Theorie und die
Erfahrungen der letzten Jahrzehnte beweisen, daß auch eine weitgehende
Verstaatlichung der Wirtschaft und eine vollkommene Zusammenballung aller Macht
in wenigen Händen nicht in der Lage sind, die fehlende Arbeitsgelegenheit zu
beschaffen, wenn diese Macht nicht ausgeht von den verborgenen Gesetzen des
Austausches und der Kapitalbildung und nur zu deren Verwirklichung benutzt
wird. Diese verborgenen Gesetze des Austauschs und der Kapitalbildung sind
aber von denen, die zur Verstaatlichung raten, bisher nicht ausreichend oder
gar nicht dargestellt worden; vielmehr ist das Hauptgewicht auf den Wechsel in
der Person des Eigentümers (Verstaatlichung) und auf die machtpolitischen
Fragen, nicht aber auf die der Organisation des Geldes, des Kredits und der
Banken, gelegt worden. Schon Proudhon
hat gezeigt, daß die gerade für die Arbeitsklasse so gefährliche
Verstaatlichung mit ihrem polizeimäßigen Zwangsregime gar nicht erforderlich
ist, um diesen wirtschaftlichen Gesetzen, wenn
_______________________________
1)
Vgl. das
System von Marx.
2)
Vgl. das
System von Proudhon.
- 96 -
man sie nur einmal
erkannt hat, Geltung zu verschaffen. Eine freiwillige bankmäßige Organisation
ist durchaus genügend, wenn sie nur durch eine unzweckmäßige Organisation der
Kollektivbedürfnisse (Staat) nicht gestört wird.
Überhaupt ist die Vorstellung, daß Sozialismus und
Verstaatlichung der Wirtschaft identisch sind, nur in Mitteleuropa verbreitet,
wo sie als eine Erbschaft des Polizeistaates aufzufassen ist. In Frankreich und
vielen anderen Ländern 1) sieht man heute mehr als je in der Verstaatlichung
den Feind des Sozialismus, der sozialen Frage, der Versuche, planmäßig
Arbeitsgelegenheit zu beschaffen.
Solange nicht dargetan ist, mit welchen Kapitalien und
auf welche Weise in einer verstaatlichten Wirtschaft, wie etwa in Rußland, die
fehlende Arbeitsgelegenheit beschafft werden soll, und wie das mangelnde Kapital
beschafft werden soll, ohne das auch in Rußland keine Arbeiter beschäftigt
werden können 2), ist die Sozialisierung im Sinne der Verstaatlichung nicht als
eine brauchbare Methode zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit anzusehen. Wohl aber
könnte die andere Form des ursprünglichen Sozialismus, die in einer immer
feineren Ausbildung der betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen
Methoden zwecks Förderung von Austausch und Kapitalbildung die Lösung der
sozialen Frage sieht, sich als eine geeignete Therapie der Arbeitslosigkeit
erweisen.
d)
Arbeitsdienstpflicht. — Ein anderer Ausläufer des machtpolitischen Denkens
ist der Vorschlag, gleichsam zum Ersatz des alten stehenden Volksheeres eine
Arbeitsdienstpflicht einzuführen, die nicht nur moralische Wirkungen haben,
sondern insbesondere auch eine Lösung der Erwerbslosenfrage darstellen soll.
Der Gedanke mutet geradezu grotesk an, heute, wo man für 2 - 3 Millionen
Arbeitswillige keine Arbeitsgelegenheit finden kann, eine weitere Million
ausheben zu wollen, ohne für sie Arbeit zu haben. Er ist nur verständlich aus
der immer noch verbreiteten Anschauung, die Arbeitslosen seien in Wirklichkeit
Drückeberger und Faulpelze, die man nur zur Arbeit zu zwingen brauche, um das
Problem zu lösen. Wenn das auch für einen gewissen Prozentsatz aller
Bevölkerungsschichten zutrifft, so wird doch dadurch die Tatsache nicht aus der
Welt geschafft, daß das Problem eben nicht
in der
_______________________________
1)
Z. B. auch
nach der Praxis des englischen Sozialismus Macdonaldscher
Färbung.
2)
Nach der dort
herrschenden Theorie, in der der Antizipationskredit nicht zu finden ist.
— 97 —
Beschaffung von
Arbeitskräften, sondern in der Bereitstellung von Arbeitsgelegenheit besteht.
Über diese und über die Finanzierungsfrage enthalten aber die verschiedenen in
Buchform vorliegenden Vorschläge so gut wie nichts, ebensowenig, wie die
diesbezüglichen Anträge der Wirtschaftspartei im Reichstag (1930).
e) Sparzwang.
— Gerade diese Mängel hofft ein anderer Vorschlag zu vermeiden, der davon ausgeht, daß die Ursache der Arbeitslosigkeit im
Kapitalmangel zu finden ist. Durch zwangsweises Sparen soll die Kapitalbildung gehoben
werden; so sollen die Mittel zur Beschäftigung der Erwerbslosen beschafft
werden.
Dieser Vorschlag verkennt das Wesen der Kapitalbildung. Nach unserer Definition
müßte ein solcher Sparzwang eine Neuverteilung der Arbeitskräfte, d. h. eine
Abwanderung eines Teiles der Arbeiter aus ihren bisherigen Arbeitsplätzen in
neue Arbeitsstellen zur Folge haben. Wie schon der Name "Sparzwang" besagt, würde man aber
nur die mit dem zusätzlichen Sparen untrennbar verbundenen zusätzlichen Entlassungen erreichen, solange man nicht den Sparzwang durch einen "Antizipationszwang" ergänzt, was freilich
praktisch unmöglich ist. Denn mit Sparen
allein erreicht man keine Kapitalbildung, sondern nur Entlassungen. Wünscht man
neue effektive Kapitalbildung, so muß man die latente Kapitalbildung durch
Antizipationskredite zur effektiven machen. Wir haben gesehen, daß man heute
nicht einmal die überall unausgenutzt vorhandene
latente Kapitalbildung effektiviert; wie will man also hoffen, durch weitere
Vermehrung dieser latenten Kapitalbildung, die für sich allein nur schädlich
ist, eine Besserung herbeizuführen?
Ein weiteres Bedenken der Idee des Sparzwanges ist die
Schwierigkeit der Anlage der so
gesammelten Mittel. Da eine Behörde die Verwaltung führen würde, müßte man sich
auf absolut "sichere" Anlagen beschränken. Als solche gelten aber
nach herrschender Ansicht nur mündelsichere
Werte. Welche Bedenken gegen die schon bisher übertriebene einseitige Anlage
der Volksersparnisse in Mündelwerten gerade vom Standpunkte der Arbeitsbeschaffung
aus zu erheben sind, sahen wir schon. Diese Bedenken würden erhöht werden, wenn
auch die durch Sparzwang gewonnenen Kapitalien in dieser oft schädlichen Weise
verwendet würden.
f) Verweigerung
der Kriegsentschädigungszahlungen. — Andere Anhänger der vorwiegend politischen
Betrachtungsweise glauben in den enormen Kriegsentschädigungszahlen von rund
- 98 -
2 Milliarden RM jährlich,
zu denen Deutschland verpflichtet ist, die Wurzel auch der Arbeitslosigkeit zu erblicken.
Diesen muß gesagt werden, daß das deutsche Volkseinkommen sogar bei der
heutigen schlechten Wirtschaftslage 70 - 90 Milliarden RM beträgt 1), daß die
Kriegsentschädigung also nicht mehr als 2 - 3 % vom Einkommen ausmacht. Die
Steuerlast, die das Deutsche Reich, die Länder und Gemeinden ihren Bürgern
auferlegt haben, beträgt demgegenüber rund 25 Milliarden, also etwa das 12
fache der Reparationslasten. Auch im Vergleich zu anderen Ländern ist die
deutsche Belastung nicht so hoch, daß sie als Erklärung für die herrschende
Dauerarbeitslosigkeit dienen könnte; England z. B. zahlt rund 7 1/2 Milliarden
RM jährlich allein für den Dienst seiner Staats- und Kriegsschulden. (jz20)
g) Erwerb von
Kolonien. — Wieder ein anderer Vorschlag zur Beseitigung der
Arbeitslosigkeit geht dahin, das "überschüssige" Menschenmaterial
nach dem Auslande abzuschieben, es am besten in geschlossenen Siedlungen zur
Erschließung eigener Kolonialgebiete zu verwenden. Demgegenüber ist nicht
allein auf das gesundheitsschädigende und rassenzerstörende Klima der in Frage
kommenden tropischen Landstriche hinzuweisen, sondern auch darauf, daß man mit
demselben Geld- und Kapitalaufwand hier in Deutschland nachweislich doppelt so
viel Arbeitsplätze schaffen könnte, wie drüben. Die Ansiedlung eines Weißen in
den Tropen kostet mindestens 20 - 50 000 RM, wenn man die den heimatlichen
Steuerzahlern aufzubürdenden Verwaltungs- und "Pazifizierungs-"
Kosten mitrechnet. In Deutschland sind die Kosten einer Siedlerstelle nur halb
so hoch. Die Kolonisierung von Neuland kann überhaupt grundsätzlich nur in der
Weise geschehen, daß durch eine Geld- und Kreditorganisation ein
wirtschaftlicher Austausch zwischen den Kolonisatoren untereinander und mit der
Heimat in die Wege geleitet wird. Dazu ist Umsatzkredit und Anlagekredit
erforderlich, letzterer insbesondere in Form von Antizipationskrediten. Es ist
nun nicht einzusehen, warum man diese arbeitsbeschaffenden Umsatz- und
Antizipationskredite gerade in Afrika bereitstellen soll, und nicht im
Heimatlande selbst, was doch viel näher liegt und aus den verschiedensten
Gründen mehr und dauerhafteren Erfolg verspricht. Wenn man eingesehen hat, daß
die wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nur durch eine gute Kredit-
_______________________________
1)
Vgl. wegen
der letzteren Ziffer Woytinsky, wegen
der ersteren (amtliche Schätzung)
"Deutsche Wirtschaftskunde",
bearbeitet im Stat. Reichsamt, 1930, S. 330.
- 99 -
Organisation erfolgen
kann, so ist die Anwendung dieser Erkenntnis auf die deutschen Verhältnisse
wichtiger, als auf einen tropischen Wüstenstrich. Fehlt diese Erkenntnis aber,
so wird es auch in den Tropen nicht gelingen, diejenigen Arbeitslosen auf die
Dauer zu beschäftigen, die man im Heimatlande nicht unterzubringen vermochte 1).
h) Verkürzung der
Arbeitszeit. — Gegenüber diesen mehr oder weniger politischen Vorschlägen verdient
der rein wirtschaftliche Gedanke Beachtung, das Angebot an Arbeitskraft, das
man der Zahl der Arbeitskräfte nach nicht vermindern kann, dadurch zu
verknappen, daß man die Zahl der Arbeitsstunden pro Kopf vermindert. Man denkt
sich also das Maß der Arbeit, das täglich verrichtet werden muß, als
unveränderlich und gegeben, und verändert nun die Anzahl der Arbeitskräfte,
die zur Bewältigung dieses Quantums erforderlich sind. So glaubt man erreichen
zu können, daß nicht nur ein Teil der Arbeiterschaft, sondern alle Arbeiter
verwendbar werden.
Dabei vergißt man aber, daß das Freiwerden und Zurverfügungsein
von Arbeitskräften, als welches die Arbeitslosigkeit im Grunde anzusehen ist,
eigentlich nicht ein Mangel, sondern der Hebel größten wirtschaftlichen
Fortschritts ist. Arbeitslosigkeit entsteht, wenn einzelne Industrien
Arbeitskräfte zu entbehren vermögen, da sie mit den Natur- und Menschenkräften
sparsamer zu wirtschaften gelernt haben. Diese vergrößerte Wirtschaftlichkeit
der Produktion darf nicht durch Leistungsverminderungen totgeschlagen werden,
sie ist vielmehr nur dann sinnvoll, wenn die freigewordenen Arbeitskräfte zur Errichtung neuer Güter benutzt werden,
an denen noch Mangel herrscht, oder deren Qualität und Zustand bisher
gesundheitlich teilweise unerträglich war, wie z. B. Wohnungen. Hier heißt
Herabsetzung der Arbeitszeit nichts anderes als Verewigung des gegenwärtigen
Lebensstandards, der doch keineswegs bisher schon zufriedenstellend ist. Durch
Arbeitszeitverkürzung im Wege des Gesetzes 2) kann vielleicht die Arbeitslosigkeit
beseitigt werden, aber nur unter Opferung der Vorteile einer aufsteigenden
Zukunft. Dieses Opfer würde die Nation, die damit beginnt, auf
_______________________________
1)
Übrigens
vergißt man, daß die Auswanderung von 1 Mill. Menschen den Wegfall von l Mill.
Käufern für die deutsche Industrie bedeutet, was neue Arbeitslosigkeit im
Gefolge haben muß.
2)
Auf die damit
meist bezweckte gleichzeitige Erhöhung des Stundenverdienstes ist hier nicht einzugehen;
es ist hier nur von einer solchen Arbeitszeitverkürzung die Rede, die eine
entsprechende Senkung des Pro-Kopf-Verdienstes mit sich bringt. (jz21)
—
100 —
die Dauer in Rückstand
bringen hinter den Nationen, die sich dazu nicht entschließen können; es
scheint uns solange zu groß, als es noch andere Wege gibt, die Arbeitslosigkeit
zu bekämpfen, nämlich die planmäßige Vollendung eben des
Kapitalbildungsvorganges, der die Ursache der Entlassungen gewesen war.
Wohl aber können
Beurlaubungen und Arbeitszeitverkürzungen mit Recht erwogen werden, wenn es
sich darum handelt, die saisonmäßige
Arbeitslosigkeit des Winters auszugleichen. Sobald einmal feststeht, daß
man aus klimatischen Gründen im Winter unmöglich diejenige Arbeiterzahl
beschäftigen kann, wie im Sommer, muß entschieden werden, ob es nicht am besten
ist, die winterliche Arbeitszeit überall oder in bestimmten Branchen so sehr zu
vermindern, daß Platz wird für die sommerlichen Saisonarbeiter. Wenn aus
klimatischen Gründen die produktive Verwendung der brachliegenden Arbeitskräfte
nicht möglich ist, kann man in den herbstlichen Entlassungen nicht mehr die
Einleitung eines Kapitalbildungsprozesses erblicken, den man nur zu vollenden
brauchte, um die Kapitalien zu erhalten, die man zur Wiederbeschäftigung der
Entlassenen nötig hat. Es liegt dann vielmehr eine Arbeiterentlassung anderen
Charakters vor, die heute den Entlassenen selbst und der
Arbeitslosenversicherung zur Last fällt. Eine Verteilung dieser Lasten auf die
Schultern der gesamten Wirtschaft durch eine allgemeine winterliche
Arbeitszeitverkürzung bzw. Beurlaubung kann daher sehr wohl erwogen werden.
i) Aufnahme von
Anleihen. — Ein rein wirtschaftlicher Vorschlag, der sich zwar als
unbrauchbar erweist, aber schon zu dem hier vertretenen Programm überleitet,
geht dahin, große Anleihen aufzunehmen und so das Kapital zu beschaffen, mit
dem man die Erwerbslosen beschäftigen kann. Insbesondere die Pläne der
Regierung Brüning gehen in dieser
Richtung. Diesem Vorhaben ist folgendes entgegenzuhalten: Wenn Auslandsanleihen gemeint sind, die echtes
1) Auslandskapital beschaffen sollen, so muß notwendig ein Strom von
Auslandswaren in Höhe des Anleihebetrages nach Deutschland hereinfließen, da
anders echte Auslandsgelder nicht verfügbar sein können 2). Der Import muß
also um den Betrag der Anleihe steigen. Eine solche Anleihe kann offenbar den
Arbeitsmarkt nicht entlasten, denn sie bietet keine
_______________________________
1)
Solches
Kapital, das nicht nur die Rückkehr geflüchteter Kapitalien oder die Stundung
von Reparationszahlungen bedeutet.
2)
Vgl. den
Ausspruch Cassels oben S. 90.
—
101 —
Gelegenheit, Waren durch
inländische Arbeiter herzustellen, da die Waren bereits fertig hereinkommen.
Soweit aber die Aufnahme von Inlandsanleihen
gemeint ist, würde dadurch nur das vorhandene
Kapital von anderen Verwendungen
abgelenkt werden. Die effektive, bei den Banken eingezahlte, am Markte
erscheinende Kapitalbildung ist begrenzt; soviel man davon für eine öffentliche
Arbeitsbeschaffungsanleihe abzweigt, entzieht
man der Privatwirtschaft, die dann nur entsprechend weniger Arbeitslose
anstellen kann.
Der berühmte Vorschlag Lloyd Georges: "We can Conquer Unemployment'' (London 1929)
ist damit erledigt, soweit die Finanzierung in Rede steht, die nach Lloyd George durch Anleihen erfolgen
sollte 1). Eine Politik, die sich zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit
desselben Kapitals bedienen will, das bisher schon verwandt wurde, um noch
größere Arbeitslosigkeit zu verhindern, verspricht keinen Erfolg. So sind auch
die im Jahre 1930 erwogenen Pläne zu verurteilen, große Reichsanleihen
aufzulegen, um aus deren Ertrag Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu finanzieren.
Wohl gemerkt, ist die Anleiheaufnahme nur
zu verurteilen, wenn sie der Auszahlung der zusätzlichen Löhne vorausgehen soll, wenn also erst die Anleihe aufgenommen werden, und dann die zusätzlichen
Einkommen verteilt werden sollen. Eine solche Anleiheaufnahme schafft keine
neue Kapitalbildung. Zusätzliche
effektive Kapitalbildung ist aber nötig, um die Erwerbslosen zu beschäftigen,
die mit der bisher verfügbaren Kapitalmenge nicht in Brot gesetzt (jz22) werden
konnten.
_______________________________
1)
Dieser
Vorschlag sieht die Ausführung gewaltiger öffentlicher Arbeiten im Betrage von
etwa 5 Milliarden RM vor. Er stand im Mittelpunkt des englischen Wahlkampfes
im Jahre 1929.
___________________
- 102 -
Fünftes Kapitel.
Ein Programm zur
Finanzierung von Arbeitsgelegenheit.
a) Das große Mittel; Zusätzliche
Kapitalbeschaffung
aus der unerschlossenen latenten
Kapitalbildung.
1.
Heilung der Arbeitslosigkeit von ihrer Ursache aus. — Wir haben anfangs zwischen der latenten und der
effektiven Kapitalbildung unterschieden. Dabei haben wir festgestellt, daß der
Vorgang der Kapitalbildung nur dann
vollendet wird, wenn die ersparten oder durch Sparen verdrängten
Arbeitskräfte unverzüglich wieder beschäftigt werden. Die gegenwärtige
Arbeitslosigkeit hat ihre Ursache im wesentlichen darin, daß in den Jahren von
1924 bis 1928 mit einem Male alle die
Rationalisierungen nachgeholt worden sind, die seit 10 Jahren infolge des
Krieges und der Inflation unterblieben waren. Diese stoßweise Kapitalbildung
verlangte stoßweise Überführung der entbehrlich gewordenen Arbeitskräfte in
neue Beschäftigungen, wenn der Kapitalbildungsvorgang überhaupt vollendet
werden sollte. Diese ist aber unterblieben, man hat sich damit begnügt, zu "rationalisieren",
zu entlassen, sodaß jetzt nur latente Kapitalbildung vorhanden ist.
Hiermit kommen wir zum Ergebnis unserer Untersuchungen: Wenn die heutige Arbeitslosigkeit dadurch
verursacht ist, daß die Kapitalbildung nur latent vorhanden, also unvollendet
ist, so kann sie nur durch Vollendung des Kapitalbildungsvorganges beseitigt
werden. Die latente Kapitalbildung muß zu effektiver Kapitalbildung umgewandelt
werden, die Arbeitslosen müssen also beschäftigt werden, damit durch ihre
Beschäftigung diejenige zusätzliche Kapitalbildung effektiv entsteht, die zur
Lohnzahlung an die Neueingestellten erforderlich ist. Wie dieser Vorgang im einzelnen
sich abspielt, ist dargetan worden; es genügt zu erwähnen, daß Antizipationskredite das Mittel sind,
mit dem allein die Lohnzahlungen erst einmal bewerkstelligt, der Kapitalbildungsprozeß
also in Gang gehalten und abgeschlossen werden kann.
—
103 —
2. Die latente
Kapitalbildung als Kapitalquelle. — Die umfangreichen
Rationalisierungen der letzten Jahre, die die Ursache der Arbeitslosigkeit
sind, haben einen gewaltigen Vorrat
latent vorhandener Kapitalbildung geschaffen, den wir nun zum Leben
erwecken können. Der herrschende Absatzmangel, die übergroßen Lagervorräte, die
der Erwerbslosigkeit wegen unverkäuflich sind, zeigen, woher die
Subsistenzmittel zu nehmen sind, wo also das "Kapital" steckt, mit
dem man die neu anzusetzenden Arbeitskräfte entlohnen kann. Wir brauchen nicht
das mühselige Werk der so überaus schwierigen technischen Rationalisierungen
noch einmal zu wiederholen, um Kapital zu bilden; es genügt vielmehr, den
angesammelten reichen Vorrat latenter Kapitalbildung in Gestalt der
eingesparten Arbeitskräfte und der unverkäuflichen Vorräte effektiv zu machen.
Ist dieser Vorrat latenter Kapitalbildung auf alle Fälle
ausreichend, um die heute vorhandenen Arbeitskräfte sämtlich zu beschäftigen?
Er ist es, da diejenigen
Arbeitslosen, die ihre Arbeitsstellen nicht durch die Folgen von Rationalisierungen
verloren haben, durch Maßnahmen auf dem Gebiete des Umsatzkredits
wiedereingeschaltet werden können. Alle Rationalisierungs-Arbeitslosen haben
gerade durch ihr Entlassenwerden, also durch die Einsparung ihres Lohnes, durch
ihr Nichtkonsumieren diejenige Voraussetzung zur effektiven Kapitalbildung
geschaffen, die wir "latente Kapitalbildung" genannt haben. Die latente Kapitalbildung ist also stets
gerade so groß, daß sie für alle diejenigen ausreicht, die infolge von
Rationalisierungen arbeitslos geworden sind.
Eine Quelle, die stets soviel Wasser liefert, wie man
braucht, nennt man unerschöpflich. Da wir nicht die Absicht haben, mehr Kapital
aus der Quelle zu schöpfen, als zur Beschäftigung aller Arbeitslosen erforderlich
ist, können wir auch die latente Kapitalbildung als eine praktisch unerschöpfliche Quelle für langfristiges Kapital zur
Beschäftigung der Arbeitslosen bezeichnen.
3. Grenzen der
zusätzlichen Kapitalbildung durch Antizipationskredite. — Trotzdem darf
kein Mißbrauch mit der Effektivierung der latenten Kapitalbildung durch
Antizipationskredite getrieben werden.
Zwei Grenzen sind dem gesunden Antizipationskredit gesetzt:
Er darf nicht zu Anleihen
ans Ausland oder zu Spekulationen verwendet werden, sondern nur zur Schaffung zusätzlicher
Arbeitsgelegenheit. Nur dann erzeugen Antizipationskredite zusätzliche effektive
Kapitalbildung. Zweitens muß beachtet
werden, daß die Antizi-
— 104 —
pationskredite
volkswirtschaftlich die Aufgabe haben, diejenigen in den Läden und auf den Lägern
befindlichen Konsumgüter, welche durch die vorgängigen Entlassungen
unverkäuflich geworden sind, absetzbar zu machen, indem die Entlassenen neue
Stellen und neue Einkommen erhalten.
Hieraus ergibt sich, daß
der Umfang der Antizipationskredite nie den Umfang der gewissermaßen steckengebliebenen
Konsumgütermengen 1) überschreiten darf. Nur so werden Preissteigerungen durch
diese "Kreditausdehnung" mit Sicherheit verhindert.
Es wird dann nämlich
keine zusätzliche Nachfrage geschaffen, die den Preis der Waren in die Höhe
treiben könnte, sondern es wird nur dafür gesorgt, daß die Nachfrage und der
Preis nicht sinkt.
Der gesunde
Antizipationskredit ist also einerseits durch die Zahl der noch vorhandenen
einstellungsfähigen Arbeiter begrenzt, anderseits durch die Menge der Waren,
die durch die Entlassung, also seit dem Entstehen der Arbeitslosigkeit,
unverkäuflich geworden sind.
4. Solche
Antizipationskredite sind nicht mit "Kreditausdehnung" identisch.
— Bei der Behandlung des Umsatzkredits
haben wir festgestellt, daß eine Ausdehnung dieser Kreditart mit Notwendigkeit
zu einem vermehrten Angebot von Konsumgütern führen müsse 2). Umsatzkredite
sind nur diskontierte Verkaufserlöse; soviel echter Umsatzkredit also gewährt
wird, soviel Waren müssen an den Markt kommen, und soviel Einkommen muß auch
verteilt worden sein.
Bei den Antizipationskrediten, die in das Gebiet des Anlagekredits fallen, ist das anders.
Die Kaufkraft aus solchen Krediten wird ebenfalls fast vollständig in Gestalt
von Löhnen, Zinsen usw. frei; sie wird auch fast allein zum Ankauf von
Konsumgütern benutzt, aber ihr steht keine
zwangsläufige Steigerung des Warenangebots gegenüber, da langlebige
Kapitalgüter hergestellt werden, nicht aber Konsumwaren.
Man könnte daher meinen, daß die plötzliche Gewährung
von Antizipationskrediten zu einer Preissteigerung führen müsse, indem die
Nachfrage steigt, ohne daß ein erhöhtes Warenangebot da ist. Das ist jedoch
nicht der Fall. Denn eine Ausdehnung des
Kredits liegt gar nicht vor, da durch die Antizipationskredite nur soviel
Kredit und Kaufkraft verteilt werden soll, wie vorher da war,
einschließlich der inzwischen erzielten latenten Ersparnisse (Kapitalbildung).
Der Verzicht auf Antizipation, den wir heute zusammen mit seiner Folgeerscheinung,
der
_______________________________
1)
Dem Werte
nach.
2)
Vgl. die
besondere Abhandlung des Verf.
— 105 —
Dauerarbeitslosigkeit,
beobachten, ist eigentlich nicht ein Verzicht auf Ausdehnung des Kredits,
sondern eine Kontraktion, eine Deflation, da durch die Entlassung der
Arbeitskräfte Lohngelder erspart werden, so daß der Banknotenumlauf sinkt. Die
hier vorgeschlagenen Antizipationskredite
stellen also keine Ausdehnung der Kredite dar, sondern nur eine unverminderte
Aufrechterhaltung des Kreditspielraums, der durch die Folgen der Rationalisierungen
bedroht ist. Wir haben in der bisherigen Darstellung mit Recht vermieden, eine
Kreditausdehnung mit ihren unvermeidlichen inflatorischen Folgen
vorzuschlagen; jetzt können wir feststellen, daß die hier verlangte
umfangreiche Gewährung von Antizipationskrediten nichts mit Kreditausdehnung
zu tun hat.
Die Antizipationskredite
sollen vielmehr nur das Vakuum ausfüllen, das durch die vorherigen Entlassungen
herbeigeführt ist, indem Arbeiterentlassungen
unweigerlich deflatorische Folgen haben.
Immerhin ist es denkbar, daß die Antizipationskredite
eine gewisse preissteigernde Wirkung haben. Wenn nämlich die Entlassungen,
also der Ursprung der Arbeitslosigkeit, schon lange zurückliegt, so kann die
Krise und die Not der Kaufmannschaft infolge der Absatzstockung so groß werden,
daß die Preise unter die niedrigst mögliche Kalkulation sinken. (jz23) Werden
die Antizipationskredite nicht sofort oder alsbald nach den Entlassungen
gewährt, sondern erst nach Monaten oder Jahren, so müssen sie natürlich eine
Korrektur dieser Schleuderpreise nach sich ziehen. Es tritt dann eine
Preissteigerung insoweit ein, bis die früheren Preise wieder hergestellt sind.
Eine weitere Preissteigerung ist nicht zu erwarten.
Die Preisstürze des Jahres 1930 scheinen größtenteils den
soeben gekennzeichneten Charakter zu haben; so würden durch die Antizipationskredite,
mit denen die Arbeitslosigkeit beseitigt werden soll, die Preise vielleicht
wieder auf das Niveau von 1927/28 steigen. Es ist bekannt, daß hierdurch kein
Schaden entstehen, vielmehr der Zusammenbruch von Hunderten von Firmen und
Unternehmungen vermieden werden würde. Schleuderpreise
sind ebenso ungesund wie Boom-Preise; es ist kein Einwand gegen einen
Vorschlag, wenn man sagt, er verhindert Schleuderpreise.
5.
Kreditausweitung nach dem Plane von J. M. Keynes. — Im Gegensatz zu dem
hier vertretenen Plane hält Keynes
eine Kreditausweitung für unumgänglich, wenn die Arbeitslosigkeit be-
—
106 —
seitigt werden soll 1).
Seine Vorschläge sind aber so ähnlich den unsrigen, daß man nur sagen kann:
Keynes wird durch ein richtiges Gefühl fast zur richtigen Lösung geführt; er
weiß nicht, daß die von ihm vorgeschlagene Kreditausweitung ("expansion of
credit") in Wirklichkeit gar keine ist; er setzt sich all den Vorwürfen
aus, die mit Recht gegen die Kreditausweitung erhoben werden, obwohl er das gar
nicht nötig hätte.
Das liegt daran, daß Keynes über keine brauchbare Kapitalbildungstheorie
verfügt. Er und Henderson erwähnen in
der Schrift "Can Lloyd George do it?" 2) mit keinem Worte, daß die
geforderte "Kreditausweitung" zwangsläufig die erhöhte Kapitalbildung
produziert, deren man bedarf, um die Antizipationsvorschüsse später in
langfristige Kredite und Anleihen umzuwandeln. Er fühlt jedoch instinktiv das
Richtige, denn auch er legt auf die Art der Verwendung
der Kredite das entscheidende Gewicht. Nur wenn gleichzeitig mit der Kreditausdehnung
Arbeiten und Unternehmungen im Inlande begonnen werden, die Erwerbslose
beschäftigen, ist die Kreditausdehnung ungefährlich 3). Da er aber den Begriff
der latenten Kapitalbildung nicht kennt, gedenkt er das notwendige langfristige
Kapital aus den Ersparnissen der Erwerbslosenversicherung und aus einer Verringerung
der Anleihegewährung an das Ausland zu gewinnen. Von diesen Posten kann nur der
erstere in Rechnung gestellt werden, der sehr gering ist; würden aber selbst
beide verfügbar sein, so würde der Betrag im Falle Deutschland doch nie
ausreichen, die Antizipationsvorschüsse zurückzuzahlen. Dies haben seine Gegner
nach-gewiesen; in der Befürchtung, die Banken würden auf den zusätzlichen
Krediten sitzen bleiben und illiquide werden, hat man den Keynesschen Gedanken
abgelehnt 4). So nahe Keynes der
Wahrheit war, die Engländer haben seine Schwäche erkannt
_______________________________
1)
Ähnlich Pigon, vgl. Industrial Fluctuations,
Part. II, Kap. X.
2)
The Pledge
examined by J. M. Keynes and H. D. Henderson, London 1929, S. 34 ff.
3)
S. 36, 37:
"Thus ist not safe for the Bank to expand credit unless it is certain beforehand
that there are home borrowers standing ready to absorb it at the
existing rates of interest." . . .
"Thus we accept Mr. Mc Kenna's
contention that an expansion of credit is the key
to the Situation. But if we were
simply to increase credit without providing a specific use for it
at home, wie should be nervous that
too much of this extra credit would be lent
to foreigners and taken away in gold. We conclude, therefore, that, whilst an increased volume of bank-credit is probably a sine qua
non of increased employment,
a programme of home investment, which will obsorb this increase
is a sine qua
non of the safe expansion of credit."
4)
Vgl. Memoranda
on Certain Proposals Relating to unemployment, presented by the
Minister of Labour to Parliament, März 1929, S. 43
ff.
—
107 —
und auf die Durchführung
des großen Programms zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit verzichtet, obwohl
eine genauere Untersuchung gezeigt haben würde, daß der Plan durchführbar und
gesund ist, wenn nur seine Finanzierung geändert wird.
Hiernach ist es also nicht nur notwendig, sondern auch unbedenklich,
daß die Banken oder andere Stellen zusätzliche Kredite im Betrage von Hunderten
von Millionen gewähren, um die Erwerbslosen mit Arbeit zu versehen.
6. Die praktische
Durchführung der Finanzierungsaktion. — Wie ist nun die praktische Durchführung
einer solchen Kreditaktion zu denken? Die Voraussetzung ist, wie später noch
zu zeigen sein wird, ein so niedriges Zinsniveau, daß Bauprojekte aller Art
rentabel werden. Bei einem Hypothekenzinssatz von 3 1/2 - 5 % z.B. würde der
Bau von Wohnhäusern überaus rentabel sein, da dann die Mieten in Neubauten
niedriger sein würden, als in zwangsbewirtschafteten Häusern. Eine ähnlich
große Nachfrage würde sich nach Meliorationsarbeiten, Straßenbauten und vielen
andern Objekten einstellen. Unterstellen wir hier, daß sich ein so niedriger
Zinsfuß verwirklichen läßt, so würden eine große Anzahl von Bauunternehmern,
von Siedlungsgesellschaften, von Fabrikanten, Gemeinden und andern
Arbeitgebern mit Kreditwünschen an ihre Bankverbindung herantreten. Die Banken
würden zusätzliche Ersparnisse noch nicht zur Hand haben; sie würden sich aber
wie vor dem Kriege bereitfinden, trotzdem kurzfristige Vorschüsse zu gewähren,
um erst einmal die Bauarbeiten in Gang zu bringen. Die Laufzeit der Vorschüsse
würde auf etwa 1 - 3 Monate über die eigentliche Bauzeit hinaus bemessen
werden, um Zeit für die endgültige Finanzierung zu gewinnen. Während der
Bauzeit würde sich, wie dargetan, im Durchschnitt des ganzen Landes die Kapitalbildung
der Betriebe stärkstens heben. Die zusätzliche Bildung von effektivem Kapital
aus latenter Kapitalbildung würde bei den Banken eingezahlt bzw. zur Abdeckung
eingefrorener Bankkredite benutzt werden. Ihr Umfang würde genau der
zusätzlichen Kreditgewährung der Banken entsprechen; wenn also in einem
Vierteljahre für die Beschäftigung von 2 Millionen Erwerbslosen eine Milliarde
RM Vorschüsse neu gewährt worden sind, so würden in demselben Vierteljahr die
Bankdepositen aus zusätzlicher Kapitalbildung der Unternehmungen um gerade eine
Milliarde steigen. Dieser Betrag würde nun gerade hinreichend sein, um die
antizipatorischen Vorschüsse der Banken abzudecken.
Die Banken oder die
—
108 —
Depositäre würden nämlich
bestrebt sein, diese Milliarde RM neuen Depositenkapitals irgendwie anzulegen, und die Bauherrn würden
Hypotheken bzw. Pfandbriefdarlehen suchen,
um ihre kurzfristigen Bankschulden abzutragen. Der Ausgleich zwischen diesen
beiden entgegengesetzten Bestrebungen würde sich am Kapitalmarkte vollziehen,
indem die anlagesuchenden Kapitalisten etwa die angebotenen Pfandbriefe kaufen
würden. Damit wären die Konten der Bauunternehmer bei den Banken wieder
ausgeglichen und die Antizipations-vorschüsse voll und ganz an die Banken
zurückgezahlt. Die Banken wären also schon wenige Wochen nach Schluß des
Vierteljahrs, von dem hier die Rede war, wieder voll liquide und in der Lage,
von neuem eine Milliarde RM oder mehr vorzuschießen, damit die Bauarbeiter
wieder auf neuen Bauplätzen Stellungen bekommen könnten.
Dieser Vorgang müßte sich
nicht absatzweise, sondern kontinuierlich abspielen; in ihm wäre die
Effektivierung der Kapitalbildung durch Antizipationskredite verwirklicht.
7. Verwendung der
Kapitalien und der Arbeitskräfte zur Schaffung langlebiger Kapitalgüter. —
Bei diesem Finanzierungsplan sind insbesondere drei Fragen zu klären: Was soll gebaut werden? Wer soll bauen und wer soll Kreditgeber sein?
Bei der Frage nach der Art der Objekte, die gebaut werden
sollen, ist vor allem zu entscheiden, ob Konsumgüter
oder langlebige Kapitalgüter hergestellt werden sollen. Diese Frage ist
von entscheidender Bedeutung, denn wenn etwa Konsumgüter hergestellt werden 1)
und diese sind ohnehin schon im Übermaße vorhanden, so würde eine noch größere
Absatzstockung eintreten. Aus unserer Analyse ergibt sich, daß die heutige
Arbeitslosigkeit nicht durch Störungen im Umsatzkredit, sondern durch Rationalisierungen
verursacht ist. Es sind also in den Läden reichlich unverkäufliche Konsumgüter
vorhanden. Auch nach dem Verkauf dieser un-verkäuflichen Vorräte ist die
Konsumgüterproduktion für alle
Arbeitskräfte ausreichend, da die Absatzstockung ja gerade darin besteht, daß
zwar eine genügende Produktion für alle,
nicht aber ein Absatz an alle vorhanden ist.
Noch aus einem anderen Grunde kann heute nur die Produktion
langlebiger Kapitalgüter in Frage kommen: Als Folge des Antizipationskredits
wird eine zusätzliche Kapitalbildung erwartet. Kapitalbildung muß aber
angelegt werden und verlangt
_______________________________
1)
Das verlangt
z. B. Cassel - Stockholm, zitiert bei
Ad. Lampe, Notstandsarbeiten oder Lohnabbau, Jena 1927, S. 2, 10. Zeile von
unten.
- 109 -
Zinsen vom Tage der Investierung an. Zinsen bringen können aber nur langlebige
Kapitalgüter, die nicht durch den einmaligen Verzehrsakt, sondern durch langjährigen Gebrauch nützlich sind.
8. Das Baugewerbe
als Schlüsselindustrie. — Von geringerer Bedeutung ist die Frage, welche Art von langlebigen Kapitalgütern
hergestellt werden soll. Es kommen durchaus nicht nur die Produktionsmittel im engeren Sinne, als Fabrikanlagen, Eisenbahnen,
Brücken usw. in Betracht, sondern ebensosehr die andern langlebigen
Kapitalgüter, insbesondere Wohnhäuser,
an denen bei niedrigen Mieten ein ungemein starker Bedarf herrschen würde,
solange die großstädtischen und ländlichen Wohnungsverhältnisse so schlecht
sind, wie heute.
Umfangreiche Untersuchungen haben nachgewiesen, daß das Baugewerbe in höchstem Maße den
Charakter einer "Schlüsselindustrie"
hat. Wenn auch nur ein Teil der Kosten, die der Haus- und Industriebau
verursacht, direkt in Löhnen an
Bauarbeiter ausgezahlt wird, so dient doch der ganze Rest der nicht weniger
wichtigen indirekten
Auftragserteilung an die Industrie. Nicht nur die Zementindustrie, die
Holzindustrie und die Ziegeleien, sondern auch die Eisenindustrie, die
chemische Industrie, die elektrische Industrie, die Papier-Industrie, die
Möbelindustrie, die Textilindustrie, die Linoleumindustrie, die Glasindustrie,
ja sogar indirekt auch der gesamte Maschinenbau profitieren durch die
Ankurbelung der Bauindustrie. Man kann durch eine genaue Analyse der Branchen,
in denen unsere Arbeitslosen zu finden sind, nachweisen, daß die Arbeitslosen,
die wir heute haben, sich fast genau nach dem Verhältnis auf die verschiedenen
Branchen verteilen, in dem diese Branchen direkt oder als Unterlieferanten am
Baugewerbe beteiligt sind. Das gilt nicht nur für die Arbeiter und exekutiven
Arbeitskräfte, sondern auch für die Angestellten und dispositiven Arbeitskräfte.
In wie vollkommener Weise durch diese Ingangsetzung der Kapitalgüterindustrien
zwangsläufig auch die Stockung in den Konsumgüterindustrien
beseitigt wird, haben wir eingehend dargelegt (vgl. Kapitel 2). Hiermit ist
bewiesen, daß durch eine Ankurbelung der verschiedenen Baugewerbe (im weitesten
Sinne) zugleich auch die gesamte Wirtschaft in Gang gebracht und die gesamte
Arbeitslosigkeit beseitigt werden kann.
9. Ein Bauprogramm.
— Es könnte nicht schwer sein, für die Zweifler, die nicht glauben, daß es genügend
Bauprojekte gibt, ein umfangreiches detailliertes Bauprogramm aufzustellen. Da
hier
—
110 —
nur die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit durch Lösung der Finanzierungsfragen,
behandelt wird, genügt eine kurze Aufzählung der Projekte, die in Frage kommen
könnten:
Im gesamten deutschen Bauwesen
sind nach den Berechnungen des Instituts für Konjunkturforschung in den
letzten Jahren jährlich mindestens 8,8 Milliarden RM investiert worden, was
ungefähr einem Viertel der industriellen Wertschöpfung Deutschlands
entspricht. Eine Erhöhung der Bauaufträge um 25 - 50 % würde allein genügen, um
fast sämtliche Arbeitslosen zu absorbieren; in diesem Falle müßten etwa 1 - 2
Milliarden Antizipationskredite mehrfach im Jahre gewährt und wieder
zurückgezahlt werden, so daß eine jährliche Gesamtbausumme von zusätzlichen 3 -
5 Milliarden RM Kredit verausgabt würde.
Besondere Berücksichtigung würde der Wohnungsbau finden müssen. Wenn erst infolge niedriger
Hypothekenzinsen die Neuwohnungen
billiger werden, als die Altwohnungen,
dann kommt die Zeit, wo man die unhygienischen, überalterten und verwohnten
Gebäude aus der Gründerzeit abbrechen kann. Sobald diese Altgebäude wegen
Wegzugs der Mieter mehr und mehr leerstehen, wird nicht nur die
Zwangswirtschaft auch ohne Aufhebung der diesbezüglichen Gesetze praktisch
beseitigt sein, da niemand mehr bereit und gezwungen sein wird, die hohen
gesetzlichen Mietzinsen zu zahlen, sondern auch die Hausbesitzer werden dann
nicht umhin können, entweder zu verkaufen, oder neu zu bauen. Bei niedrigem
Zinsniveau tritt also zu dem heutigen "normalen" Wohnungsbedarf, der
unter der Annahme der Unveränderlichkeit des Quantums der Altwohnungen
errechnet ist, noch der gewaltige, seit 16 Jahren künstlich zurückgedämmte Ersatzbedarf für die abbruchreifen
Althäuser 1).
Hierbei wird man den Plänen auf Umgestaltung verschiedener deutscher Großstädte, insbesondere der
Hauptstadt Berlin, nähertreten
müssen. Es ist bekannt, das Napoleon III., von dem die arbeitslosen Bevölkerungsmassen
Frankreichs eine Lösung des Erwerbslosenproblems erwarteten, durch Haußmann
_______________________________
1)
Berlin hatte
im Jahre 1930 noch 11 600 Haushaltungen, die in Baracken und in Behelfswohnungen untergebracht sind, 7000 Familien,
die in völlig abbruchsreifen
Altwohnungen leben, und 36 000 Haushaltungen, die in Wohnungen leben, die in
den nächsten 10 Jahren unter allen Umständen abgebrochen werden müssen. Dazu
kommt die laufende Vernichtung von Wohnraum durch Büro- und Geschäftshausbauten
in der Innenstadt und die mehreren tausend Laubenbesitzer, die mit ihren Familien
in Behausungen leben, die keine Behörde als dauernden Wohnraum ansprechen oder
abnehmen kann.
— 111 —
einen großen Teil der
Pariser Innenstadt hat niederlegen lassen, um an der Stelle schmutziger Gassen
und elender Wohnungen breite, schöne Boulevards 1) mit gesunden und wohnlichen
Seitenstraßen zu errichten.
Daß solche Projekte trotz des erhöhten Bedarfs an Straßenland
sogar rentabel sind und ohne Verlust für die Stadt durchgeführt werden können,
hat z. B. die vorbildliche Umgestaltung von Stuttgart gezeigt, wo man den
erforderlichen Mehrwert durch die Zulassung einer größeren Stockwerkzahl
beschafft hat 2). Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß eine großzügige
Umgestaltung der Berliner Innenstadt aktuell werden würde, sobald die Finanzierungsfragen
als lösbar erwiesen sind und der Zinssatz ein hinreichend niedriges Niveau erreicht
hat. Insbesondere wäre dabei wohl an das gewaltige Straßenviereck zu denken,
das zwischen dem Hal-leschen Tor, dem Oranienburger Tor, dem Schönhauser Tor
und dem Kottbuser Tor gelegen ist. Ebenso wie Paris durch Haußmann, könnte
Berlin durch eine derartige einheitliche architektonische Gestaltung einen Weltruf
gewinnen 3). Voraussetzung dazu wäre eine intensive Tätigkeit der Parlamente
auf diesem Gebiete 4), damit die Enteignungsgesetze, Bauordnungen 5), Steuergesetze
usw. soweit verbessert werden, daß sie ihrem Zwecke zu dienen vermögen, nämlich
der Förderung des Wohlstandes der Bevölkerung 6).
_______________________________
1)
Der Boulevard
Haußmann ist nach dem Initiator dieser größten städtebaulichen Schöpfung der Neuzeit
benannt.
2)
Vgl.
Geheimrat Prof. Genzmer,
Bebauungspläne, im Taschenbuch für Bauingenieure, III. Aufl., S.1970.
3)
Von der
propagandistischen Wirkung derartiger Bauten im Auslande für den deutschen Export braucht hier nicht gesprochen zu
werden,
4)
Gewisse
Vorarbeiten zu kleineren städtebaulichen Vorhaben befinden sich schon an
verschiedenen Stellen im Stadium der Erwägung.
(jz24)
5)
Vgl. z. B. die
Bauordnung für die Stadt Berlin vom 3. Nov. 1925, die ein solches Projekt nicht
zulassen würde.
6)
Genzmer, a. a. O., der als Kapazität auf diesem Gebiete anzusehen ist, fordert
insbesondere, "daß die Bestimmungen der Enteignungsgesetze, die zumeist in
erster Linie auf die Landstraßen, Eisenbahnen und Wasserstraßen zugeschnitten
sind, in sofern für die städtischen Verhältnisse günstiger gestaltet werden,
daß die Vorteile, welche den Anliegern aus der Verbreiterung der Straße
erwachsen, auf die Entschädigungssumme in Anrechnung gebracht werden dürfen.
Diese Vorteile bestehen namentlich darin, daß die Bauordnungen bei größeren
Straßenbreiten höhere Häuser zulassen, und daß die Auslagen in den
Schaufenstern bei auskömmlicheren Breiten der Bürgersteige besser betrachtet werden
können".
Weiter fordert Genzmer,
"daß die Stadtgemeinden das Recht erhalten, auch noch solche
Grundstücksflächen, die außerhalb der künftigen Straßenfläche liegen, und die
zur wirtschaftlichen Durchführung von Straßendurchbrüchen und von
städtebaulichen Sanierungen ganzer ungesunder Stadtteile erforderlich sind, zu
enteignen, was in den meisten Bundesstaaten Deutschlands bisher leider noch
nicht der Fall ist" (S. 1968/69). Die Vorfälle bei den freihändigen Grundstückserwerbungen
im Jahre 1930 in der Umgebung des Berliner Alexanderplatzes haben gezeigt, daß
eine solche Gesetzesverbesserung nicht nur aus arbeitsmarktpolitischen Gründen dringend
erforderlich ist.
—
112 —
An weiteren Projekten, die der Ausführung harren, sind in
erster Linie die landwirtschaftlichen Boden-Meliorationen
zu nennen. Hier ist das Vorurteil unausrottbar, solche Vorhaben seien
unrentabel. In Wahrheit trifft das nur für Ödlandkultivierungen, Kanalbauten
usw. zu, während die eigentlichen Meliorationen von Kulturland, insbesondere Dränagen, Vorflutregelungen, Ent- und
Bewässerungsanlagen, Mergelungen, aber auch Beregnungsanlagen nach dem
Gutachten des Dr. Egon Barocka von
der Deutschen Bodenkultur A.-G. 1) überaus
rentabel sind 2). Das Gutachten weist an Hand der Berechnungen der
bedeutendsten Sachverständigen und mit Hilfe von umfangreichen Statistiken für
jede Art Meliorationen nach, wie hoch erfahrungsgemäß der Mehrertrag roh und
rein sich stellt. In der Mehrzahl der Fälle ergibt sich eine Verzinsung des neu
investierten Kapitals in Höhe von 20 - 35 % jährlich, so daß nicht nur die
Verzinsung, sondern auch die Tilgung in 6 - 10 Jahren allein aus den
zusätzlichen Reinerträgen möglich ist. Hier ist nach Ansicht aller
landwirtschaftlichen Sachverständigen ein Agrarprogramm
zu finden, das eine durchgreifende Agrarhilfe bringen könnte, da es nicht die
einmalige Abschreibung von weiterlaufenden Verlusten bezweckt, sondern endlich
der Quelle der Verluste zu Leibe
geht, indem es die Selbstkosten der Landwirtschaft senkt. Deutschland hat in
den Landeskulturämtern, den Kulturbauämtern und den Kreiswiesenbaumeistern 3)
ein Netz von vorzüglich eingearbeiteten Behörden verfügbar, die eine sachgemäße
Ausführung der Arbeiten sicherstellen. Projekte, die dringlich sind und der
Ausführung harren, sind in großer Zahl vorhanden. In den Bodenverbesserungs-
und Wassergenossenschaften des öffentlichen Rechts stehen Rechtsträger zur
Verfügung, die eine nahezu absolute dingliche Sicherung bieten und ein Risiko
bei der Kredithergabe fast ausschließen. Abgesehen vom Kapital sind also alle
Voraussetzungen zu einer gesunden wirtschaftlichen Investitionstätigkeit
gegeben.
_______________________________
1)
Die Deutsche
Bodenkultur A.-G. ist das
Spitzeninstitut des Reichs und der Länder für landwirtschaftlichen
Meliorationskredit.
2)
Vgl.
Gutachten über die Rentabilität von landwirtschaftlichen Meliorationen, Deutsche
Bodenkultur A.-G., Berlin 1929.
3)
Bzw. den
entsprechenden Behörden in den außerpreußischen Ländern.
- 113 -
Auch die Abwässerverwertung
ist zu erwähnen. Wahrend der Boden auf den heute üblichen Rieselfeldern
derartig mit Düngestoffen überladen wird 1), daß er chemisch und
bakteriologisch verdorben wird, würde er bei einer zweckmäßigen Ausnutzung der
großstädtischen Abwässer sehr hohe landwirtschaftliche Reinerträge bringen.
Oberamtmann Grzimek und andere
Sachverständige propagieren daher den Bau von Rohrleitungen in der Länge von
mehr als 100 km, um in weitem Abstand von den Großstädten eine rentable
Landwirtschaft auf Grundlage der Abwässerverwertung aufzubauen, die uns vom
ausländischen Gemüse- und Düngerbezug unabhängig machen soll. Auch hier fehlt
nur das Kapital, um den Plan zu verwirklichen.
Ein weiteres vorläufig unerschöpfliches Feld menschlicher
Tätigkeit ist der Straßenbau. In
Deutschland ist ein sehr großer Teil des Straßennetzes den Anforderungen des
Automobilverkehrs nicht mehr gewachsen. Nach den Berechnungen von Dr. Heymann 2) sind 15 800 km Staatsstraßen,
22 300 km Provinzialstraßen und 62 500 km Kreis- und Gemeindestraßen, also fast die Hälfte des Gesamtnetzes als
dringend umbaubedürftig zu bezeichnen. Die Umbaukosten werden geschätzt
bei den Ländern auf ………………………………… 1020 Mill. RM
" ", Provinzen auf .................................................. 1760 "
"
" " preuß.
Kreisen einschl. der Gemeindelandstraßen auf 1290 "
"
" " außerpreuß. Kreisen auf ……………………..
550
" "
Zusammen
auf 4 620 Mill. RM
Einschließlich
notwendiger Neubauten ergibt sich also eine Bausumme von rund 5 Milliarden RM,
wozu noch der Bedarf der Städte für die Zugangs- und Ausfallstraßen käme. Nach
Abzug einiger Posten, die für die Anleihefinanzierung nicht geeignet sind,
kommt die Studiengesellschaft für die Finanzierung des deutschen Straßenbaus
auf eine Investitionssumme von 3,5 Milliarden RM. Im Jahre 1928 wurden 280
Mill. RM langfristig für Straßenbauten verwandt. Bei Fortsetzung der bisherigen
Finanzierungsweise würde daher der errechnete Bedarf erst in etwa 13 Jahren
befriedigt sein. Bei einer Abkürzung des Programms auf 8 Jahre müßten die jährlichen
langfristigen Aufwendungen um 157,5 auf 437,5 Mill. RM gesteigert werden, wie
folgende Tabelle zeigt:
_______________________________
1)
Er erhält
etwa das 7 fache des Quantums Abwasser, das er vertragen kann.
2)
Vgl. die
Denkschrift der Studiengesellschaft für die Finanzierung des deutschen Straßenbaus,
Berlin 1930.
- 114 -
Gesamtaufwendungen Gestaltung
des ordentlichen Wegeetats
A) Unterhaltung
Annuitäten für Ver- (in Mill. RM)
B) Langlebige Investitionen zinsung u.
Amortisa- Belastung des
C)
Kurzlebige Investitionen tion langlebiger ordentlichen
D)
Gesamtaufwendungen für Straßenbau
Investitionen bei Etats bei einem
E) Unterhaltung
einem Zinssatz
Zinssatz von
Jahr
F) Kurzlebige Investitionen von
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
A B C D E F 5 % 7 % 9 % 5 % 7 % 9 %
1930/31 298 437,5 125 860,5 298 125 35,1 41 3
47,9 458,1 464,3
470,9
1931/32 298
437,5 125 860,5
298 125 70,2
82,6 95,8
493,2 505,6 518,8
1932/33 298
437,5 125 860,5
298 125 105,3
123,9 134,7 528,3
546,9 566,7
1933/34 298
437,5 125 860,5
298 125 140,4
165,2 191,6
563,4 588,2 614,6
1934/35 298
437,5 125 860,5
298 125 175,5
206,5 239,5 598,3
629,5 662,5
1935/36 298
437,5 125 860,5
298 125 210,6
247,8 287,4
633,6 670,8 710,2
1936/37 298
437,5 125 860,5
298 125 245,7
289,1 335,3 668,7
712,1 758,3
1837/38 298
437,5 125 860,5
298 125 280,8
330,4 383,2
703,8 753,4 802,0
3,5 Mrd.
1Mrd.
Ein solcher Ausbau des Straßensystems würde volkswirtschaftlich
eine überaus produktive Maßnahme sein, wenn sich auch privatwirtschaftlich seit
Abschaffung der Wegegelder für die Straßeneigentümer keine Rentabilität mehr
errechnen läßt: Zunächst kann es keine produktivere Ausgabe geben, als diejenige,
durch die ein seit Jahrzehnten nur unvollkommen ausgenutztes Vermögen von 11
Milliarden RM (das alte Straßennetz) produktiv gestaltet wird. Dann aber ist im
einzelnen zahlenmäßig nachzuweisen, welche Ersparnis an Volksvermögen sich
durch ein gutes Straßennetz erzielen läßt. Die Studiengesellschaft berechnet im
einzelnen die Ersparnisse und ermittelt als Minderausgaben für Reifen,
Kraftstoffe, Reparaturen und Abschreibungen, die sich für die Automobile bei
Fahrt auf guten Straßen ergeben, nur für die nächsten 10 Jahre insgesamt auf
2500 Mill. RM, obwohl die Lebensdauer der Anlagen das mehrfache betragen
würde. Auch hier ist die Durchführung des Projekts bisher nur an den
Schwierigkeiten der Beschaffung effektiver Kapitalbildung gescheitert, die nach
unseren Ausführungen jedoch lösbar sind.
Wenn auch die
Arbeitskraft der 2 - 3 Millionen Arbeitslosen groß ist, so sind doch die Möglichkeiten,
diese Arbeitskraft zur Ernährung der Arbeiter selbst und zur Erstellung von
Kapitalgütern auszunutzen, so viele, daß in absehbarer Zeit von wirklichem
Mangel an Betätigungsmöglichkeiten nicht gesprochen werden kann. Die Denkschrift
über die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Reichsregierung 1) führt z. B.
folgende Positionen auf (S. 8 - 14):
_______________________________
Reichstg. III. 1924/27.
Drucksache Nr. 2921. Ausgegeben
am 24. Jan 1927.
— 115 —
Reichsbahn Straßenbau
Reichspost Meliorationen
Bau von Wasserstraßen Siedlung
Wohnungsbau Exportförderung
Bau von Landarbeiterwohnungen Exportkreditversicherung
Öffentliche Notstandsarbeiten Reparationslieferungen.
Über die
Finanzierung spricht diese Denkschrift von 17 Seiten Länge allerdings nur in einer Spalte: die Gelder sollen dem Steueraufkommen entnommen werden. Wir haben bereits
gesehen, daß hierdurch eine
Umwandlung der latenten Ersparnisse in effektive Kapitalbildung nicht bewirkt werden kann.
Durch die hier
vertretene Auffassung allein können die Mittel beschafft werden, die nötig
sind, um die Arbeitslosen in Lohn und Brot zu setzen; gleichzeitig können mit
den brachliegenden Kräften dieser Millionen-Armee, welche auf ihren Heerführer
zu warten scheint, die erwähnten produktiven Werke größten Umfangs zum Nutzen
Aller geschaffen werden.
10. Beispiele aus
der Geschichte und aus dem Auslande. — Dieser scheinbare Optimismus ist berechtigt,
weil die deutsche Kreditorganisation vor
dem Kriege schließlich gar nichts anderes geleistet hat, als das, was hier als
neu erscheint. Die gewaltigen Industrien, die Großstädte, das Eisenbahn-
und Straßennetz, die damals in wenigen Jahrzehnten gebaut wurden, hätten
nachweislich mit den eingezahlten Bankdepositen und dem bezahlten
Effektenverkauf allein niemals
finanziert werden können. Der antizipierte Emissionskredit war es, der unsere damals
sehr liquiden Großbanken in die Lage versetzte, nicht nur privatwirtschaftlich
zukünftige Emissionserlöse zu realisieren, sondern gleichzeitig
volkswirtschaftlich latente Kapitalbildung zu effektivieren.
Das Beispiel der Umgestaltung der Stadt Paris zur Zeit Napoleons III. ist schon
erwähnt worden. Eine ähnlich erstaunliche Wirkung auf dem Arbeitsmarkt und die
Kapitalbildung hat der Wiederaufbau der
japanischen Hauptstadt Tokio nach der Zerstörung durch Erdbeben und Feuer
im Jahre 1923 gehabt. Ein Überblick über die dortigen Leistungen wird in Japan
Advertiser gegeben: Gebaut wurden bis 1929
7 Brücken erster Klasse 3
neue Parks
400 kleinere Brücken 117 neue Schulen
52 Hauptstraßen ] in einer Länge von 203 000 neue Gebäude.
73 Nebenstraßen] 22 engl. Meilen
—
116 —
Die Zeitung berichtet über die Besichtigungsfahrt des
Kaisers:
"Eine Besichtigung der wieder aufgebauten Stadt
erfordert einen halben Tag. An etwa einem halben Dutzend Orten machte der
Kaiser halt, an denen sich ein besonders eindrucksvolles Bild bot. An der Halle
der namenlosen Toten wurde der Opfer der Katastrophe gedacht, wenige Minuten
darauf der Neubau einer Schule besucht. Es war ein Bild, das wenige Herrscher
in der Geschichte gesehen haben werden, eine neue Hauptstadt, die sich in sechs
Jahren nach einer ungeheuren Katastrophe wieder erhoben hat. Es ist schwer zu
bestimmen, was den größten Eindruck hervorrief, wenn das Bild als Ganzes so
überwältigend ist. Die lange Fahrt längs des prächtigen Showadori, einer
Hauptstraße, die jetzt die Stadt durchschneidet, wo früher ein Netzwerk von
armseligen Straßen war, war das wirkungsvollste Beispiel des neuen Straßenzuges.
Diese breiten, vornehmen Straßen stehen in starkem Kontrast zu den engen
ungepflasterten Gäßchen des alten Tokio, ebenso wie die imposanten Brücken über
den Sumida aus Eisen und weißem Granit zu den altmodischen engen Bauwerken der
Vergangenheit einen erfreulichen Gegensatz darstellen. Der Wiederaufbau
Tokios hat 1600 Mill. gekostet: nicht nur die Bewohner der Hauptstadt selbst
können stolz sein, sondern das ganze Land hat sich tatkräftig daran beteiligt.
Das Gebiet, das von dem großen Erdbeben betroffen war, war etwa 25 Hektar groß,
nahezu die Hälfte des Gesamtgebietes der Stadt. Es gibt in der Geschichte kein
Beispiel, daß eine solche Riesenaufgabe nach einem so furchtbaren Erdbeben mit
gleicher Schnelligkeit gelöst wurde. Für Schulbauten wurden 80 Mill.
ausgegeben. Zugleich wurden auch die Wasserversorgung und die Kanalisation
verbessert und noch andere Vorkehrungen getroffen, Tokio zu einer modernen
idealen Stadt zu machen 1)."
Es ist besonders bemerkenswert, daß Japan im Augenblick
der Beendigung dieser großen Bauten, die größtenteils mit kurzfristigem Kredit
in Angriff genommen werden "mußten" (!), weil es an langfristigem
Kapital gebrach, von einer sehr großen Arbeitslosigkeit heimgesucht worden ist.
Die Zahl der Erwerbslosen ist dort im Jahre 1930 um mehr als 1 Million über das
saisonübliche gestiegen. Wir erkennen leicht die Wurzel dieser
Arbeitslosigkeit: Um den Wiederaufbau leisten zu können, um also Millionen von
Händen für dieses große Werk freizumachen, mußte
_______________________________
1)
Vgl. Vorwärts
vom 28. Mai 1930.
- 117 -
die japanische Wirtschaft
so sehr rationalisiert werden, daß die übrigen Erwerbstätigen diese
Arbeitskräfte miternähren konnten. Sobald die Wiederaufbauarbeiter entlassen
wurden, sank der Beschäftigungsgrad der übrigen Wirtschaft sehr stark, so daß
die effektiven Ersparnisse, mit denen bisher die aufgelegten Anleihen gekauft
worden waren, insoweit wegfielen. Es trat also nun "Kapitalmangel"
ein, denn mit latenter Kapitalbildung konnte man keine Anleihen verkäuflich
machen, wenn man sich nicht zu Vorschüssen entschloß. Die eingetretene Arbeitslosigkeit,
die nichts als eine durch Entlassungen verursachte Deflation ist, beweist aber,
daß man Antizipations-vorschüsse nicht oder nicht in genügendem Maße angewendet
hat. Man war also der durch die Wiederaufbauarbeiten gestiegenen vergrößerten
Kapazität der Industrie nicht gewachsen, wie man das heute in noch größerem
Maße in den Vereinigten Staaten sieht. Würde ein neues Erdbeben einen gleichen
Schaden anrichten, so würde man zum Handeln gezwungen werden: sofort würden
Arbeit und Kapital für die Millionen Menschen von neuem da sein.
Es ist nicht einzusehen,
warum erst ein Erdbeben Zerstörungen anrichten muß, ehe man die vorhandenen
Konsumgüter und Arbeitskräfte zur Schaffung nützlicher Werke verwenden kann;
man kann die produktiven Kräfte der Nation zweifellos auch ohne Erdbeben zur
Entfaltung bringen. Der hier gemachte Vorschlag geht daher eigentlich nur
dahin, ähnliche große Bauten mit Hilfe der überschüssigen Menschen und Konsumgüter
durchzuführen, ohne erst ein Erdbeben abzuwarten.
11. Staatliche
oder private Projekte. — Nachdem nunmehr klargestellt ist, daß es unter den
gemachten Voraussetzungen an Projekten und produktiven Werken zur Beschäftigung
der Arbeitslosen nicht fehlen wird, ist die zweite Frage zu beantworten, ob es
nämlich der Staat oder die private Wirtschaft sein soll, die man mit der
Durchführung der Arbeiten betrauen muß. Auf den umfangreichen Meinungsstreit
über das Für und Wider der staatlichen Wirtschaft braucht hier nicht
eingegangen zu werden: Da es sich in diesem Kapitel nur um praktische
Vorschläge für die Gegenwart handelt, genügt es, den Standpunkt einzunehmen,
auf den sich ein sozialdemokratischer Redner im Reichstag stellte: Die
Beschäftigung von 2 - 3 Millionen Arbeitslosen durch den Staat würde Aufwendungen
von mindestens 6 Milliarden RM jährlich verlangen. Der Staat, d. h. das Reich
oder die Länder, müßten sich also jährlich um diesen Betrag neu verschulden,
d. h. der Reichsetat würde
—
118 —
um ca. 40 % gesteigert
werden müssen. Ein derartiger Vorschlag kommt bei der heutigen Leere der
öffentlichen Kassen überhaupt nicht in Frage; er scheidet aus der praktischen
Diskussion aus. Es bleibt also nur übrig, die private Wirtschaft in einen
solchen Zustand zu bringen, daß sie die Arbeitslosen ihrerseits aufnehmen
kann.
Grundsätzlich ist noch zu bemerken, daß es keinen Unterschied
ausmacht, ob ein Arbeitgeber des öffentlichen oder des privaten Rechts
Arbeitskräfte anstellt, da dem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber volkswirtschaftlich
keine andern Kapitalquellen zur Verfügung stehen, als dem privaten: die
Kapitalbildung einschließlich des Teils, der vorläufig noch latent geblieben
ist.
12. Staatskredite
oder Bankkredite. — Da der Staat heute in Deutschland kaum Kredit hat, kann
er auch keinen geben. Damit ist die Frage schon teilweise beantwortet, ob der
Staat oder die Banken heute die Kredite geben sollen, mit denen allein die
Arbeitslosigkeit beseitigt werden kann.
Nun handelt es sich allerdings um
Antizipationsvorschüsse, zu deren Gewährung langfristige Mittel überhaupt nicht
erforderlich sind. Die Quellen der Antizipationskredite sind die Notenemission
der Reichsbank und die Giroguthaben in den verschiedenen Gironetzen. Die
Reichsbank z. B. könnte also theoretisch dem Reich große Geldsummen etwa in
Banknoten zur Verfügung stellen, damit die Reichsbehörden mit diesem an Private
zur Ankurbelung des Bauwesens Kredite geben könnten. Abgesehen davon, daß ein
solches Kreditgeschäft der Reichsbank nicht gestattet sein würde, kommt eine
solche Vermittlerrolle des Reichs praktisch wohl gar nicht in Frage. Soweit das
Reich aber Spezialbanken für die Gewährung von Antizipationskrediten ins Leben
ruft, könnte es diese Institute nur aus Steuermitteln speisen, wie das
teilweise bei der Deutschen Bau- und Bodenbank A.-G. in Berlin der Fall ist.
Dann aber kann deren Geschäftsumfang nur relativ gering sein, denn
überschüssige Steuergelder für solche Zwecke sind nicht verfügbar.
So kommen für die Gewährung von Antizipationskrediten
praktisch nur die Banken, nicht aber der Staat in Frage.
13. Banknotenumlauf
und Giroguthaben. — Die Banken, ob sie nun in privater oder öffentlicher Rechtsform
arbeiten, haben dieses Privileg der Gewährung von Antizipationskredit schon
des-
- 119 -
halb, weil sie vermöge
des Notenumlaufs und der Giroguthaben über die Quellen der Antizipationskredite verfügen. Dazu kommt, daß in
Deutschland die Großbanken sich von jeher der Pflege des antizipierten Emissionskredits
besonders angenommen haben; daß sie ihn begründet und erfolgreich zu hoher
Blüte geführt haben. Nur das Institut, das die Konten der Arbeitgeberkundschaft
selbst führt, das die Verminderung von Lohngelderabhebungen bei Rationalisierungen
als erstes spürt und ein Lebensinteresse an der kapitalbildenden Kraft der
Industrie hat, ist in der Lage, sachgemäß
die Quellen des Notenumlaufs auszuschöpfen (durch Rückgriff auf die Reichsbank)
1). Bei denselben Depositengroßbanken, die die Antizipationskredite geben,
wachsen auf den Konten der Depositäre alsbald die zusätzlichen Spardepositen
empor, die einige Monate lang die Kreditorensumme erhöhen und die Banken instand
setzen, die Antizipationskredite erheblich länger, als die 25 Tage, die der
Warenumschlag und der Umsatzkredit normalerweise dauert 1), durchzuhalten.
Diese erhöhten Depositen sind es dann auch, die mehr und mehr Anlage in
Pfandbriefen, Obligationen und Aktien suchen, wenn das Zinsniveau niedrig genug
ist. Solche Effekten sind aber größtenteils durch Vermittlung derselben
Depositengroßbanken emittiert worden, denn in demselben Maße, wie die Depositäre
ihre Depositen in Effekten umwandeln, müssen die Banken ihre Debitoren in
Effekten verwandeln: den antizipierten Emissionskredit in Emissionen umgießen.
Man kann beweisen, daß eine zusätzliche Gewährung echter Umsatzvorschüsse in
jedem verlangten Maße möglich und stets unschädlich ist 1); nach dem Gesagten
gilt dasselbe von den echten Antizipationsvorschüssen: auch bei ihnen ist die
Benutzung des Notenumlaufs und der elastischen Giroguthaben als Kreditquelle
unbegrenzt möglich und sicher unschädlich. Unbegrenzt bedeutet dabei "innerhalb
des Gebiets der echten Antizipationsvorschüsse", deren Grenzen schon
erörtert waren.
14. Verwendbare
und unverwendbare Arbeitskräfte. — Wenn gesagt worden ist, daß sich durch
ein derartiges Finanzierungsprogramm alle Arbeitslosen beschäftigen lassen, so
gilt das natürlich nur für die objektiv verwendbaren
Arbeiter. Ein bestimmter Prozentsatz jeder Bevölkerungsschicht ist zur
Arbeit nach heutigen Begriffen untauglich oder vermindert tauglich. Diese
subjektive Arbeitslosigkeit ist schon in der Einleitung ausgeklammert
_______________________________
1)
Vgl. die
bevorstehende besondere Veröffentlichung des Verf. über "Banknotenausgabe
und Arbeitslosigkeit." ("Die Arbeitslosigkeit als Problem des
Umsatzkredits und der Zahlungsmittelversorgung." - J.Z.)
—
120 —
worden: hier steht nur die objektive, nicht
saisonmäßig bedingte Arbeitslosigkeit in Rede. Es ist auch nicht möglich,
Arbeitsgelegenheit gerade in der branchenmäßigen Verteilung zu bieten, wie sie
heute unter den Erwerbslosen zu finden ist; der fortlaufende Prozeß der Neuverteilung
der Arbeitskräfte einer Nation, als den wir die Kapitalbildung erkannt haben,
verlangt vielmehr, daß ein Teil der Entlassenen seinen Beruf wechselt. Für die genügende Fachausbildung dieser zum
Wechsel gezwungenen Arbeiter zu sorgen, ist Sache der Arbeitsämter und der
Städte 1); diese Fürsorge kann hier nicht behandelt werden, wo nur die
Schaffung von Arbeitsgelegenheit für die verwendbaren Kräfte in Rede steht.
So schwer die Not der übrig bleibenden körperlich und
geistig vermindert Tauglichen auch nach der Beseitigung der eigentlichen
Arbeitslosigkeit noch bleiben wird, so muß doch gesagt werden: Wenn erst einmal
die "wahre" Arbeitslosigkeit beseitigt ist, kann die besondere
Fürsorge für diese kleine Minderzahl, die in Deutschland vielleicht 300 000
Personen ausmachen wird, nicht mehr schwer sein. Alle Kräfte eines reichen
Landes können sich dann auf dieses soziale Sonderproblem, das eigentlich
außerhalb der Arbeitslosenfrage liegt, konzentrieren. Sache der
Arbeitslosenversicherung muß es aber bleiben, Schutz gegen den Verdienstausfall
bei vorübergender Entlassung, während der Stellungsuche und während der
Fachausbildung zu einem neuen Beruf zu gewähren.
b) Die
Voraussetzungen.
I. Die Senkung des Zinsniveaus.
1. Rentabilität
der Projekte und Zinsniveau. —Die erste und wichtigste Voraussetzung zur Durchführung
dieses Finanzierungsplanes ist eine nachhaltige Senkung des Zinsniveaus.
Ausreichende Antizipationskredite würde man auch bei hohem Zinsniveau geben
können, allein man würde keine Schuldner finden, die bereit wären, bei hohen
Zinslasten Kapitalgüter zu erbauen. Denn die Rentabilität langlebiger
Kapitalgüter hängt nicht in erster Linie von den Produktionskosten, sondern von
der Zinsbelastung ab: Kostet ein Bauwerk
100 000 RM, und ist das
Kapital ratenweise
_______________________________
1)
Vgl. z. B.
die vorbildlichen Maßnahmen der Stadt Düsseldorf, dargestellt in der Schrift "Brachliegende
Arbeitskraft", hrsg. von der Stadtverwaltung. Düsseldorf 1927.
—
121 —
unter Zuhilfenahme der
ersparten Zinsen in 30 Jahren zu tilgen, so beträgt die jährliche Verpflichtung
für Zinsen und Tilgung (Annuität)1)
bei 3 1/2
% Zinsen 2) RM 5 437.13
bei 10 % Zinsen RM 10 607,92.
Die Wohnungsmieten müssen
also bei einem Zinssatz von 10 % etwa doppelt so hoch sein, als bei einem
Zinssatz von 3 1/2 %. Nun zeigt aber die Einkommenspyramide, daß nur die
kleinen Einkommen, die für die Tragung kleiner Mieten in Frage kommen, in
großer Zahl vertreten sind; die großen Einkommen, die man zur Vermietung teuerer
Wohnungen braucht, sind dagegen selten. In viel schnellerem Maße, wie die
Einkommen pro Kopf steigen, sinkt die Anzahl der Einkommensbezieher: das geht
so weit, daß nach der Einkommensteuerstatistik im Jahre 1926 in Deutschland
nur 308 373 Personen vorhanden waren, deren Einkommen über 8000 RM betrug 3).
Daraus geht hervor, daß die Nachfrage nach Kapital bei hohen Zinssätzen nur gering sein kann;
sie wird bei hohen Zinssätzen fast immer so klein sein, daß die vorhandenen Arbeitslosen nicht beschäftigt werden
können. Alle Versuche, trotz hohen Zinsniveaus etwa durch verlorene
Zuschüsse des Reichs oder durch Zinsverbilligung zu Lasten des Etats eine
Beschäftigung der Arbeiterschaft zu erreichen 4), müssen auf die Dauer
fehlschlagen, denn die Summen, die zur Beschäftigung aller Arbeitslosen gebraucht werden, sind zu groß, als daß sie der
Reichshaushalt tragen könnte.
Solange das hohe Zinsniveau bestehen bleibt, sind die
Mehrzahl auch der besten Bauprojekte notwendig unrentabel. Die gesamte hier begründete und
ausgearbeitete Finanzierungsaktion würde also aus Mangel an Objekten scheitern
müssen, wenn es nicht gelingt, das Zinsniveau wirksam herabzusetzen.
2. Ursachen der
gegenwärtigen Höhe des Zinsniveaus. — Es mußte daher ein Verfahren gefunden
werden, das eine Senkung des Zinsniveaus mit rein wirtschaftlichen Mitteln
gestattet. Dazu war zunächst zu ermitteln, welches
die Ursachen des hohen Landeszinsfußes sind, den wir seit Jahren in
Deutschland beobachten. Der Hinweis auf den Kapitalmangel kann nicht ge-
_______________________________
1)
Vgl. Spitzer, Tab. V, S. 268 und 292.
2)
Jährlich,
postnumerando.
3)
Vgl. Deutsche
Wirtschaftskunde, vom Stat. Reichsamt, 1930, S. 319.
4)
Z. B. durch
billige Hauszinssteuerhypotheken.
—
122 —
nügen, denn wir haben bei
anhaltender "Kapitalknappheit" sehr verschiedene Zinssätze gehabt.
Auch geht, wie erörtert, der von Cassel
aufgebrachte Gedanke fehl, daß ein hoher Zinssatz einen besonderen Anreiz zur Kapitalbildung
biete. (jz25) So wird man nicht umhin können, in unserer Abhängigkeit vom Zinsniveau des Auslandes die Ursache des hohen
Landeszinssatzes zu erblicken. Unsere Handelsbilanz ist in den letzten Jahren
vorwiegend passiv gewesen; zur Deckung des Saldos mußten wir Auslandskredite
hereinnehmen. Dazu kamen die Reparationszahlungen, die wir ebenfalls durch
Kredite des Auslands aufgebracht haben und schließlich die Kapitalflucht
deutscher Steuerzahler, die 6 - 8 Milliarden RM betragen haben soll, und deren
Objekt, das geflüchtete Kapital, vom Auslande wieder in Form von Anleihen in
Deutschland investiert werden mußte. So hat Deutschland heute eine Auslandsverschuldung
von ca. 15 Milliarden, von denen etwa die Hälfte auf kurzfristige Kredite
entfällt. Diese kurzfristigen Auslandsgelder
können jeden Tag oder jeden Monat gekündigt werden und müssen dann, da
Devisen aus einem Exportüberschuß nicht verfügbar sind, letzten Endes mit dem
Golde der Reichsbank zurückgezahlt werden. Die für solche Transaktionen
bereiten Gold- und Devisenbestände der Reichsbank sind aber sehr klein; wenn
die Gold- und Devisenvorräte des Zentralinstituts auch im Jahre 1930 rund 3
Milliarden betrugen, so sind hiervon doch etwa 2 Milliarden als 40 % ige
Notendeckung unentbehrlich und gebunden (jz26), so daß nur ein Kampffonds von 1
Milliarde RM übrigbleibt. Selbst einschließlich der Devisenreserven der
Großbanken stehen nur etwa 3 Milliarden
an bereiten Mitteln zur Verteidigung der Zahlungsbilanz zur Verfügung, während
die sofort fälligen Verpflichtungen sich auf über 7 Milliarden belaufen.
Sein oder Nichtsein unserer Währung ist also ganz in die Hand der ausländischen
Bankiers gelegt.
Wenn sie einheitlich
kündigen, kann die Stabilität der Reichsmark mit gar keinen Mitteln
aufrechterhalten werden; keine Kreditrestriktionen, keine wirtschaftlichen
oder gewaltsamen Mittel können aus den vorhandenen 3 Milliarden die 7 machen,
die nun einmal in Gold oder Devisen vorhanden sein müßten. Daß diese Gefahr
nicht nur theoretisch, sondern sehr real über uns schwebt, haben die Vorgänge
während der Pariser Konferenz (1929) gezeigt, als die Pariser Großbanken, die
schon vor dem Kriege als die größten Geldgeber des Berliner Marktes bekannt
waren, ihre deutschen Guthaben auf Veranlassung ihrer Regierung kündigten, was
nicht (jz27)
—
123 —
mehr als ihr gutes Recht
war. Sinken der Notendeckung auf 40 %, scharfe Kreditrestriktionen und
panikartige Zustände mit vermehrter Kapitalflucht und Arbeitslosigkeit waren
die Folge 1).
Diese fast sklavische Abhängigkeit unserer deutschen
Währung vom Auslande ist die Grundtatsache des heutigen Zinsmarktes. Wir müssen
nämlich, um eine Kündigung der Auslandsgelder zu vermeiden, unser Zinsniveau stets höher halten, als
das des Auslandes; es muß ein Zinsgefälle
von uns zum Auslande vorhanden sein, das in ruhigen Zeiten einen genügenden
Anreiz für die ausländischen Geldgeber bietet. Daher ist jetzt auch die Auffassung
herrschend geworden, es sei die Hauptaufgabe der Diskontpolitik, dieses
Zinsgefälle immer wieder herzustellen, obwohl dieser Gedanke der normalen
Diskontpolitik eigentlich fern liegt.
Schacht hat vor
dem Enqueteausschuß 2) selbst mit aller Deutlichkeit auf diese Abhängigkeit
hingewiesen und erklärt, daß die innerdeutschen Wirtschaftszustände auf das
Zinsniveau fast ohne Einfluß sind, da unsere Zinssätze sich nach denen des
Auslandes zu richten haben.
3. Befreiung des
deutschen Zinsniveaus von seiner Abhängigkeit vom Auslande. — Eine Senkung
des Zinsniveaus im Inlande wäre bei Durchführung des geforderten Antizipationsprogramms
wirtschaftlich durchaus berechtigt, denn die effektive Kapitalbildung würde
sehr stark steigen, das Kapitalangebot also ein sehr großes werden. Wenn man
sich vor Augen hält, daß auch sehr arme Länder 3) fast dauernd sehr niedrige
Zinssätze von 2 - 5 % hatten, wenn sie nur über ein gutes Bankwesen verfügten,
so kann man in der inländischen Wirtschaftslage keinen Grund erkennen, warum
das Zinsniveau die gegenwärtige Höhe, die durch das Zinsgefälle vom Auslande
diktiert ist, beibehalten soll.
Der Versuch, die Herrschaft dieses Zinsgefälles zu
stürzen, ist nun keineswegs aussichtslos. Es ist bekannt, daß auch in der
letzten Periode hoher Zinssätze (1927/28) einige Länder als "Inseln billigen Geldes" eine Ausnahmestellung
einnahmen, und zwar insbesondere Schweden und Frankreich. Hier wurden
Börsengelder mit 2 - 3 % ausgeliehen, die gleichzeitig in Deutschland, England,
_______________________________
1)
Wie die
Leichtfertigkeit des damaligen Reichsbankpräsidenten zu beurteilen ist, der
diese Gefahr vorausgesehen haben mußte, und die zum mindesten erforderliche Übertragung
der Gelder auf neutrale Plätze unterließ, ist hier nicht zu erörtern.
2)
Vgl. Die
Reichsbank, a. a. O, S. 148, 149.
3)
Z. B.
Schottland.
—
124 —
Spanien, Italien, Polen
usw. 6 - 10 % und mehr kosteten. Das hatte seine Ursache darin, daß jene Länder keine kurzfristige
Auslandsverschuldung hatten. Die Guthaben der Banken Frankreichs usw. im
Auslande übertrafen die kurzfristige Auslandsverschuldung, es bestand also
kein Zinsgefälle, das diese Währungen bedrohte. Infolgedessen hatten es diese
Länder nicht nötig, ihr Zinsniveau über dem des Auslandes zu halten; sie
konnten eine unabhängige Diskontpolitik machen
und ihr Zinsniveau so einrichten, wie es ihre wirtschaftlichen Erfordernisse, insbesondere
also das freie Spiel der inländischen Nachfrage und des inländischen Angebots
an Kapital verlangten.
4. Das Mittel dazu: Abstoßung der kurzfristigen Auslandsverschuldung. —
Eine solche unabhängige
Diskontpolitik kann auch
Deutschland führen, wenn es sich der drückenden kurzfristigen
Auslandsverschuldung entledigt.
Die kurzfristige Auslandsverschuldung hat, wie wir
gesehen haben 1), ihre gegenwärtige Höhe nur erreichen können, weil den
einzigen Schuldnern, die praktisch in Frage kamen, nämlich den Ländern und Kommunen,
die Aufnahme von Auslandsanleihen seit 1927 verboten war. Denn eine andere
Tätigkeit hat die sogenannte Anleihe-"Beratungsstelle" des
Reichsfinanzministeriums und der Reichsbank nicht entfaltet: Sie hat das
Zustandekommen von Auslandsanleihen planmäßig verhindert. Die ungedeckten Salden der Zahlungsbilanz konnten nur
deswegen zu einer solchen Höhe auflaufen, weil die Banken diese für sie
unangenehmen Kreditoren nicht durch langfristige Anleihen der öffentlichen
Körperschaften konsolidieren konnten. Wollen wir uns also der kurzfristigen Auslandsverschuldung
entledigen, so müssen wir denselben Weg wieder rückwärts schreiten, der uns in
diese Lage gebracht hat: Wir müssen die
Anleiheberatungsstelle und mit ihr alle Erschwernisse der Aufnahme
langfristiger Auslandsanleihen beseitigen
und zuerst einmal darangehen, die 7 Milliarden kurzfristige Schulden in
langfristige Anleihen umzuwandeln.
5. Die
Überkompensierung der kurzfristigen Auslandsverschuldung durch aufzunehmende Anleihen.
— Heute ist Deutschland in der Lage eines Industriellen, der seine Fabrik mit
kurzfristigen Bankschulden erbaut hat und nun nicht nur in seiner Existenz von
dem guten Willen der Bank abhängig ist, sondern
_______________________________
1)
Vgl. oben S.
90, 91.
— 125 —
auch sieht, daß die Bank ihm den Zinssatz diktiert, da er ohne
sie nicht leben kann. Unsere Wirtschaftsführer gleichen Fabrikdirektoren, die
in dieser Lage alles tun, um das Zustandekommen einer langfristigen Anleihe zu
verhindern. Ein tüchtiger Kaufmann versucht in solcher Lage mit allen Mitteln,
eine Obligationenanleihe aufzunehmen, um aus deren Erlös die Bankschulden
abzudecken und vielleicht sogar ein
Guthaben bei der Bank zu unterhalten. Dann
kann er der Bank den Zinssatz mehr oder weniger vorschreiben, denn wenn ihm
die Bank seinen Willen nicht tut, zieht er sein Guthaben zurück und geht zu
einer anderen Bank.
Deutschland 1) muß also, um eine unabhängige Zinspolitik
treiben zu können, nicht nur die
vorhandenen Auslandsschulden durch Anleihen kompensieren, sondern darüber
hinaus noch weitere Anleihen aufnehmen, um mehr Guthaben im Auslande zu
besitzen, als Schulden kurzfristiger Natur. Durch diese "Überkompensation der kurzfristigen
Auslandsverschuldung", wie wir dies neue, bisher noch nicht
diskutierte Verfahren nennen wollen, wird Deutschland
von einem Schuldnerland zu einem Gläubigerland. Es beseitigt damit die
Herrschaft des Zinsgefälles und erlangt die Freiheit, sein Zinsniveau so tief
herabzusetzen, wie es zur Beschäftigung aller Arbeits-losen in den
Kapitalgüterindustrien erforderlich ist. (jz28)
Freilich hat man den besten
Zeitpunkt zur Konsolidierung der schwebenden Auslandsschulden verpaßt, da
inzwischen in dem wichtigsten Geldgeberlande eine schwere Krise ausgebrochen
ist, die die Aufnahmefähigkeit der ausländischen Börsen für deutsche Anleihen
stark vermindert hat. Man sollte aber annehmen, daß wohlvorbereitete
Besprechungen etwa mit den am Anleihegeschäft besonders interessierten
Auslandsbanken die Situation auch heute noch klären und bessern können, denn
diese Banken kennen wahrscheinlich die Verhältnisse im deutschen Bankwesen
recht gut; ihr Vertrauen wird steigen, wenn sie sehen, daß eine Abkehr von der
bisherigen Vogel-Strauß-Politik beabsichtigt ist. Den Auslandsbanken ist ja
auch nicht damit gedient, Debitoren in Milliardenbeträgen zu besitzen, von
denen jedermann weiß, daß sie im entscheidenden Falle aus Mangel an Gold und
Devisen nicht bezahlt werden können. Sie werden eine Konsolidierung dieser
schwebenden Schulden also nicht nur aus Gründen der Provisionseinnahme
begrüßen.
_______________________________
1)
D. h. die
deutschen Gesellschaften, Firmen, Körperschaften usw.
—
126 —
Wir haben bei der Behandlung der Kapitalflucht gesehen,
daß die erleichterte Aufnahme von Auslandsanleihen schon deshalb notwendig ist,
damit die deutsche Kapitalbildung, auch wenn sie den Weg ins Ausland genommen
hat, der Beschäftigung derjenigen deutschen Erwerbslosen dienstbar gemacht
werden kann, die eben durch diesen Kapitalbildungsvorgang ihre Stelle verloren
hatten. Hier sehen wir, daß dieselbe Politik deswegen noch wichtiger ist, weil ohne sie das inländische Zinsniveau nicht
herabgedrückt werden kann. Mit dieser Ermäßigung der Zinslasten steht und fällt
aber jedes Programm zur Finanzierung der Arbeitsgelegenheit.
II. Die
Umgestaltung des Großbankgeschäfts.
1. Liquidität und
Antizipation. — Die erste
Voraussetzung zur Durchführung des Finanzierungsprogramms ist also die Senkung
des deutschen Zinsniveaus.
Die zweite Voraussetzung ist eine sehr
hohe Liquidität der deutschen Kreditbanken. Sie ist von ganz anderer Art:
durch sie sollen nicht nur genügend Objekte und Arbeitsmöglichkeiten gefunden
werden, wie durch die Zinssenkung; durch sie soll vielmehr die gefahrlose
Gewährung so umfangreicher Antizipationskredite, wie sie hier nötig sind, erst
ermöglicht werden.
Wir hatten zwei
Begriffe der Antizipation unterschieden: Den (unechten) antizipierten
Emissionskredit als kredittechnisches Verfahren, und die echte Antizipation
von Volksersparnissen als volkswirtschaftlichen Vorgang. Wir hatten gesehen,
daß man jenes banktechnische Verfahren bei der Ausleihung schon als Depositen
eingezahlter effektiver Ersparnisse ebensowohl
anwenden kann, wie bei der Vorschußgewährung aus der Quelle der Noten- und
Giromittel, ohne Vorhandensein
ausreichender Depositen. Nur die letztere Anwendung des kredittechnischen Verfahrens
der "antizipierten Emissionskredite" hatten wir die "Antizipation
von Ersparnissen" genannt; nur durch sie wird der latente Kapitalbildungsvorgang
vollendet.
Die Banken dürfen nun,
wie Adolf Weber 1) nachgewiesen hat,
antizipative Kredite aller Art keineswegs
unbegrenzt gewähren, wenn sie nicht ihre Liquidität und Sicherheit
ernstlich gefährden wollen. Sie dürfen solche Kredite etwa nur bis zur Hälfte ihres Eigenkapitals
ausgeben, wenn sie sicher gehen wollen, da sie mindestens privatwirtschaftlich
mit dem Einfrieren solcher Debitoren rechnen müssen. Sie dürfen sich nur soweit
in
_______________________________
1)
Vgl. das
grundlegende Werk "Depositenbanken und Spekulationsbanken" a. a. O.
— 127 —
dieses riskantere "irreguläre"
Geschäft einlassen, daß auch ein etwaiger Totalverlust ihren Bestand nicht
gefährden kann.
Diese äußerste
Grenze ist nun bei den Banken schon seit langem überschritten, denn sie haben unbewegliche
Industriekredite größten Ausmaßes unter ihren Debitoren. Wir haben gesehen,
daß der Umfang der Debitoren heute 2 - 3 mal so groß ist, wie vor dem Kriege,
ohne daß sich die Anlagemöglichkeit, also der volkswirtschaftliche Güterumschlag,
vermehrt hat. Wir haben nachgewiesen, daß die Banken seit der Unterdrückung der
Börsentätigkeit diese illiquiden Industriekredite, die sich in
Milliardenbeträgen unter den Debitoren befinden müssen, nicht mehr an die Börse
abstoßen konnten. Wir konnten daraus den Schluß ziehen, daß mehr als 7
Milliarden RM echter Spardepositen in Gestalt des antizipierten
Emissionskredits ausgeliehen und illiquide geworden sind. Der unechte antizipierte Emissionskredit ist also heute schon so
überspannt, daß für die echte Vorschußgewährung über das Maß der Bankdepositen
hinaus nichts übrig bleibt. Die echte Antizipation von Ersparnissen ist
gegenwärtig nicht möglich, weil die Banken schon durch die falsche Ausleihung
der vorhandenen Ersparnisse illiquide geworden sind.
Da die Banken aus Liquiditätsgründen immer nur einen sehr
geringen Spielraum für die Gewährung volks-wirtschaftlicher Antizipationskredite
haben, müssen sie diesen geringen Kreditspielraum voll und ganz für den echten Antizipationskredit aufheben. Sonst
versagen sie im echten Antizipationskredit, weil sie sich im unechten übernommen
haben. Die Bankentätigkeit ist also auch
hier wieder für die Lösung der Arbeitslosenfrage von größter Bedeutung; nur
wenn die Banken auf höchste Liquidität bedacht sind, gewinnen sie diejenige
Schlagkraft, welche zur Überführung der rationalisierten Arbeitskräfte in neue
Tätigkeiten erforderlich ist. So ist höchste Liquidität der Banken die
Voraussetzung wirksamer Antizipationskredite und wirksamer Kapitalbildung.
2. Frankreich als
Beispiel: Ein Land ohne Arbeitslosigkeit. — Hier ist das Vorbild des
französischen Bankwesens beachtlich: In Frankreich gibt es keine Sparkassen und
öffentlich-rechtlichen Banken mit kurzfristigem Geschäft, die Depositen
konzentrieren sich also viel mehr, als in Deutschland, bei den vier
Depositengroßbanken 1). Und trotzdem belaufen sich die Depositen insgesamt
_______________________________
1)
Crédit
Lyonnais, Comptoir National, Société Générale, Crédit Commercial.
—
128 —
nur auf rund 5 1/2 Milliarden RM 1), das ist unter Berücksichtigung der
gesunkenen Kaufkraft des Geldes weniger, als vor dem Kriege, aber auch noch
nicht einmal halb soviel, wie der Depositenbestand der deutschen Banken für kurzfristigen
Kredit, selbst wenn man die geringere Bevölkerungszahl veranschlagt. Die
französischen Großbanken müssen demnach ihre Ausleihungen tatsächlich auf die
Finanzierung des Güterumschlages beschränkt haben; sie erfreuen sich einer
glänzenden Liquidität 2) und haben ihre gesamte Stoßkraft verfügbar, wenn es
heißt, über das Maß ihrer Depositen hinaus echte antizipierte Kredite zu geben.
Hier liegt wahrscheinlich die Wurzel des erstaunlichen
Phänomens, daß Frankreich unter den großen Industrieländern der Welt das
einzigste ist, das von Arbeitslosigkeit bisher verschont geblieben ist 3).
Dieser für unsere Begriffe niedrige Depositenbestand
erklärt sich daraus, daß man in Frankreich
schon vor Jahren durch umfangreiche Anleiheaufnahme die Abhängigkeit von
ausländischem Zinsniveau abgeschüttelt hat, daß man das Zinsniveau
stärkstens gesenkt hat und daß heute wie vor dem Kriege von den französischen
Großbanken praktisch keine Zinsen vergütet werden. Denn wenn selbst hier und da
1/2 - 1 % Kreditzinsen gezahlt werden, so werden doch stets am Ende des Halbjahres
so viel Provisionen und Spesen belastet, daß die Konten als praktisch zinslos
angesehen werden können. In Frankreich ist also jeder Sparer gezwungen,
Pfandbriefe und andere Effekten zu kaufen, wenn er Zinsertrag von seinen
Ersparnissen zu haben wünscht. Die "Überversorgung des Geldmarktes auf
Kosten des Kapitalmarktes", von der wir im 3. Kapitel, unter b gesprochen
haben, ist also in Frankreich nicht vorhanden: Wer überhaupt Zinsertrag haben
will, muß sein Bankguthaben in Effekten verwandeln 4), daher sind die gesamten
Bankdepositen des Landes nicht größer, als der Bedarf an echtem
Umschlagskredit. Alle echten Ersparnisse
werden zwangsläufig in Effekten
_______________________________
1)
Am 31. Dezember
1928 34,445 Mill. Fr., am 31. Dezember 1929 32,905 Mill. Fr.
2)
Vgl. M. Grinberg-Paris, Der franz. Goldmarkt
seit der Frankenstabilisation, Bankwissenschaft 1930, S. 230, sowie das Werk von Ehrensperger.
3)
Große französische Industriegesellschaften klagen
in ihren Geschäftsberichten, daß
sie leider den vorliegenden Auftragsbestand nicht erledigen können, da keine
Arbeiter erhältlich sind! (z. B. Acièries de Longwy 1928).
4)
E. Kaufmann a. a. O. berichtet, daß die
französischen Sparkassen vor dem Kriege gehalten waren, alle Sparguthaben, die
10 000 Fr. überschritten, auch ohne Einwilligung des Inhabers in Effekten umzuwandeln.
- 129 -
angelegt, so daß ein großes Angebot echten Sparkapitals bemerkbar ist. Die
Hauptsache scheint uns aber zu sein, daß solchermaßen eine vorzügliche Bankenliquidität gesichert
ist, die den Kreditinstituten bezüglich
des Antizipationskredits eine Stoßkraft verleiht, wie wir sie an unseren deutschen
Banken nicht mehr beobachten können.
3. Rückkehr zur
Arbeitsteilung zwischen Sparkassen und Banken. — Das Beispiel Frankreichs
zeigt, daß eine Senkung des Zinsniveaus sich nicht nur in den Gewinn- und
Verlustrechnungen der Banken bemerkbar macht, sondern geradezu revolutionäre
Wirkungen auf das Geschäft der Großbanken und der Sparkassen ausüben muß. Es
ist nötig, klar vorherzusehen, welches diese indirekten Wirkungen sein werden,
und alles zu tun, um die unumgängliche notwendige "Umgestaltung des
Großbankgeschäfts " zu beherrschen
und nicht von ihr überrannt werden.
Bei der Senkung des Zinsniveaus kommt der Senkung des
Diskontsatzes nur symptomatische Bedeutung zu. Wir sehen heute wieder klar, daß
Diskontsenkungen ihre Wirkungen verfehlen, wenn sie nicht von einer Ermäßigung
des Habenzinssatzes 1) im Depositen- und Spargeschäft begleitet sind. Die
Habenzinssätze sind der wichtigste Selbstkostenfaktor im Bankgewerbe, sie sind
daher entscheidend für die Debetzinssätze, d. h. für die Bedingungen, die man
den Schuldnern auferlegen muß. Wir sehen heute, daß die Banken ihre Habenzinsen
nicht weiter ermäßigen können, weil die Sparkassen
sich weigern, ihre Zinssätze zu verringern.
Das hat seinen guten Grund. Es ist notwendig, sich den grundsätzlichen Unterschied zwischen Banken
und Sparkassen in Deutschland zu vergegenwärtigen, wenn man die zukünftige
Entwicklung des Zinsniveaus richtig beurteilen will: Die Banken beschäftigen
auch heute noch mehr als die Hälfte ihrer Mittel im echten Umsatzkredit, die Sparkassen nur etwa 15 %; die Sparkassen pflegen
das langfristige Anlagegeschäft
(Effekten, Hypotheken, Kommunaldarlehen usw.) mit rund 85 % ihrer Mittel, die
Banken gar nicht (dagegen haben die Banken die kleinere Hälfte ihrer Mittel in industriellen Anlagekrediten 2)
festgelegt). Ein Institut kann
schwerlich auf die Dauer beide
Kreditarten zugleich pflegen: Im Anlagekreditgeschäft
verlangen die Sparer hohe Zinsen, wie man sie nur zahlen kann, wenn man sehr
_______________________________
1)
Der auf
Depositen vergütet wird.
2)
Wiewohl in
der Form kurzfristiger Kontokorrentvorschüsse.
— 130 —
niedrige Unkosten hat und
sich mit einer sehr kleinen Marge begnügt, sonst ziehen die Sparer ihre
Guthaben zurück und kaufen sich selbst Pfandbriefe und Hypotheken. — Das Umsatzkreditgeschäft dagegen verursacht
sehr viel Mühe und Kosten, verlangt also eine höhere Zinsmarge, als sie im
Anlagekreditgeschäft erzielbar ist. Auch tritt beim Umsatzkredit ein starker
Konkurrent auf: die Zentralnotenbank, die ja auch direkt mit der Kundschaft
verkehrt und sehr billig sein kann, weil sie auf ihren Notenumlauf gar keine
Zinsen zu zahlen hat. Ein Institut, das in der Kreditgewährung mit der
Reichsbank konkurrenzfähig sein will, kann unmöglich gleichzeitig hohe Zinsen
für seine Gelder bezahlen, wie eine Sparkasse. Die Sparkasse ist auf ihrem
Gebiet überlegen, weil sie dem Sparer die höheren Zinsen zu bieten vermag, aber
nur solange, wie sie auf das mühevolle und niedrig verzinsliche
Kontokorrentgeschäft verzichtet; die Bank ist im Umsatzkredit überlegen, weil
sie für ihre Gelder wenig oder gar keine Zinsen zahlt und daher billiger sein
kann als die Sparkasse. (jz29)
Wenn also heute die Sparkassen sich weigern, ihre
Einlagenzinssätze herabzusetzen, so handeln sie richtig, weil sie damit nur die Stärke ihrer Position im
Anlagekreditgeschäft betonen. Die Banken können auf diesem Gebiet nicht mit
ihnen konkurrieren; versuchen sie es trotzdem, so müßten sie ihren Schuldnern
so hohe Debetzinsen belasten, daß sie ihre Debitoren-Kundschaft verlieren. Vielmehr müssen die Großbanken das Gebiet
pflegen, auf dem sie den Sparkassen überlegen sind: sie müssen den Umsatzkredit so verbilligen und
dabei auch den Kleinkredit so pflegen, daß sie das kurzfristige Geschäft der
Sparkassen erhalten. Wenn die kurzfristigen Sparkassendebitoren zu den Großbanken
abwandern, weil sie hier billiger bedient werden, so muß das den Großbanken ein
Äquivalent für das verlorene Spar- und Anlagenkreditgeschäft sein, in dem die
Sparkassen ihnen überlegen sind.
Dies System war vor dem Kriege verwirklicht: Es ist kein Zufall,
daß die Sparkassen vor dem Kriege 97 % ihrer Mittel langfristig anlegten und
die übrigen 3 % in Kasse und Bankguthaben. Die Sparkassen wußten, daß sie bei
den hohen Zinsen, die sie vergüteten, im Umsatzkredit nicht konkurrenzfähig
waren. Während der Inflation haben die Sparkassen ein ausgedehntes Umsatzkreditgeschäft
aufgebaut; ob dieser Geschäftszweig bei richtiger Kostenverteilung heute noch
rentabel ist, ob er nicht vielmehr auf Kosten des Anlagekreditgeschäfts, also
der Sparer und der Kommunen, künst-
- 131 -
lich erhalten wird, mag
dahingestellt sein; denn unter dem bisherigen System überhoher Diskontsätze mag
dieser Kreditzweig auch bei den Sparkassen noch rentabel gewesen sein. Sobald die bisherige künstliche
Diskontpolitik aber fällt, wird sich das bankmäßige Geschäft der Sparkassen auf
die Dauer nicht mehr halten lassen. Wir werden dann zu der Arbeitsteilung
zwischen Großbanken und Sparkassen zurückkehren müssen, die wir vor dem Kriege
hatten, nicht veranlaßt durch Resolutionen und Kampf der Interessenten,
sondern gezwungen durch das Rentabilitätsgesetz. Diese Konsequenz einer
weitschauenden Zinssenkungspolitik muß schon heute ins Auge gefaßt werden, wenn
die Stellung der Kreditinstitute im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit richtig
beurteilt werden soll.
4. Die Halbierung
der Bilanzsummen bei den Großbanken. — Wir müssen also damit rechnen, daß
die Sparkassen ihre hohen Einlagenzinssätze auch in Zukunft aufrechterhalten
und dadurch einen Teil der Großbankkreditoren an sich heranziehen, während
zugleich die Reichsbank mit ihrem billigen Diskontsatz auf die Großbanken
drückt und sie erfolgreich zur Senkung ihrer Debet- und Kreditzinsen nötigt. Die
Großbanken würden damit nur solche Kreditoren verlieren, die sie zur
Umsatzfinanzierung gar nicht gebrauchen; sie können diesen Geschäftszweig zur
Not opfern, während sie das Umsatzkreditgeschäft niemals aufgeben können.
Diese Konstellation läßt
den Schluß zu, daß die von der Reichsbank zu betreibende Zinssenkungsaktion
nicht durch die Sparkassen aufgehalten werden kann, daß sie sich vielmehr
durchsetzen wird.
Welches sind nun die Folgen dieser projektierten
Zinssenkung für das Geschäft der Großbanken?
(a) Zuerst würden die Depositen
etwa auf die Hälfte ihres heutigen Bestandes sinken müssen, da für mehr keine
Beschäftigung im Umsatzkredit zu finden ist. Weil die gesamte hier geforderte
Entwicklung eingeleitet sein muß durch die Abstoßung
der Auslandskreditoren der Banken 1), so würden sich die Hauptveränderungen
hier vollziehen. In dem Maße, wie die Länder und Kommunen Auslandsanleihen
aufnehmen, können sie Bankschulden zurückzahlen. Die Ausleihungen der Banken sinken also im gleichen Schritt mit den
Auslandskreditoren. Die Banken werden nicht in Ungelegenheiten gebracht,
sondern erhalten Debitoren zurückgezahlt und zahlen damit selbst Kreditoren
zurück.
_______________________________
1)
Vgl. S. 124.
— 132 —
Nur sind es allerdings zum großen Teil nicht die Banken,
sondern die Sparkassen, die Kredite
an Länder und Kommunen gegeben haben. Sie erhalten diese Kredite zurückgezahlt,
ohne daß sich ihre Kreditoren vermindern,
da sie keine Auslandsgelder hereingenommen haben. Hier vollzieht sich der
Ausgleich auf andere Weise:
Die Sparkassen müssen die
zurückgezahlten Mittel beschäftigen, sie werden daher Wertpapiere kaufen bzw. Hypotheken
erwerben. Beides bedeutet aber nur, daß sie die eingefrorenen Bankdebitoren
erwerben. So fließt also auch hier der Erlös der Auslandsanleihen schließlich
den Großbanken zu; Debitoren werden zurückgezahlt, so daß die
Auslandskreditoren zurückgezahlt werden können.
(b) Wenn die heute etwa 6 Milliarden betragenden
Auslandskreditoren der Großbanken zurückgezahlt sind, so werden auch die etwa 2 Milliarden RM ausmachenden Devisenreserven entbehrlich, die die
Großbanken bisher halten mußten 1). Schon daraus ergibt sich eine weitere
erhebliche Verminderung der Debitoren.
(c) Von den inländischen
Kreditoren würde bei scharfer Zinssenkung zweifellos ein Teil zu den Sparkassen
abströmen. Ein größerer Teil würde
vermutlich, wenn die Banken einigermaßen tüchtig sind, in Pfandbriefe,
Staatsanleihen, Industrieobligationen und Aktien investiert werden. Man muß
sich dabei vorstellen, daß Sinken des
Landeszinsfußes Hausse an der Börse bedeutet.
Fortgesetztes Steigen der Börsenkurse bis vielleicht auf das Doppelte würde den
Depositären die Anlage in Wertpapieren überaus verlockend erscheinen lassen. Die
Banken würden dabei reichlich an Provisionen und Bonifikationen verdienen:
rechnet man, daß nur 2 Milliarden in neue
Emissionen von Pfandbriefen, Aktien usw. investiert werden, und rechnet man nur
2 % Bonifikation, ohne alle Konsortialgewinne, so kommt man allein auf 40 Mill.
RM Bonifikationseinnahme als Ersatz für die entgehenden Zinsen. Überhaupt
würden die Gewinne aus dem Effektengeschäft in weitem Maße an die Stelle der
Zinsgewinne treten, wie das auch vor dem Kriege üblich war, sodaß sich die
Banken wahrscheinlich nicht schlecht stehen würden.
(d) Diese Konvertierung von Depositen in Effekten würde nichts
anderes bedeuten, als die Abstoßung weiterer eingefrorener Debitoren. Die
Großbanken produzieren diese Effekten selbst, indem sie ihre industrielle
Kundschaft veranlassen,
_______________________________
1)
Diese
Guthaben bei ausländischen Banken waren ohnehin nur durchlaufende Posten, da
die ausländischen Banken diese Gelder an einer anderen Stelle ihres Hauptbuches
wieder an dieselben deutschen Banken ausgeliehen hatten.
—
133 —
Anleihen aufzunehmen,
oder ihr Kapital zu erhöhen. Aus dem Erlös solcher Emissionen werden die
Bankschulden abgedeckt, während gleichzeitig die Depositäre vermittels des
Netzes von Depositenkassen veranlaßt werden, mit ihren Depositen solche
Wertpapiere zu erwerben.
5. Annahme
langfristiger Gelder und Anlage in Effekten. — Schließlich ist noch zu
überlegen, ob nicht auch die deutschen Großbanken dem Beispiel der englischen
und schweizerischen Großbanken folgen und sich offiziell mit dem langfristigen
Geschäft befassen sollen. Sie könnten z. B. langfristige Depositen gegen
Sparbücher oder Bankobligationen 1) hereinnehmen und mit diesen langfristige
Industriekredite gewähren 2), die besonders in der Bilanz ersichtlich gemacht
werden müßten. Oder sie könnten dafür Effekten, insbesondere Staatspapiere, Industrieobligationen
und Pfandbriefe erwerben 3). Dieses Problem kann hier nur aufgeworfen, nicht
aber gelöst werden.
6. Die Illiquidität der Großbanken als
internationales Problem. — Der übermäßige
Zustrom fremder Gelder, und damit die verschlechterte Liquidität der
Banken, die unserer Ansicht nach eine der Wurzeln der Arbeitslosigkeit ist, ist
nicht nur ein deutsches, sondern ein internationales Problem. Für England hat McKenna, der Präsident der Midland Bank,
im Jahre 1927in seiner bekannten Generalversammlungsrede ausdrücklich auf diese
Fragen hingewiesen 4). Die größten
Ausmaße haben diese Nachkriegs-Schwierigkeiten aber in den Vereinigten Staaten angenommen,
so daß es sich verlohnt, dieses warnende Beispiel kurz zu behandeln.
Die gesamten Mittel der Banken in den Vereinigten Staaten
betrugen im Jahre 1914 (30. Juni) 20 789 Mill. Dollar, im Jahre 1928 (31.
Dezember) aber 58 266 Mill. Dollar. Auf
den ersten Blick ist klar, daß so
enorme Mittel unmöglich in Umsatzkrediten angelegt werden können. (jz30) So ist
denn auch ein großer und wachsender Teil der Gelder von den Banken in Effekten
angelegt worden:
_______________________________
1)
In der
Schweiz üblich.
2)
Wie im Falle
der Amerikaanleihen der D-D-Bank und der Commerz- und Privatbank.
3)
In England
üblich, vgl. oben S.79.
4)
Abgedruckt in
Post-War Banking Policy von McKenna, S. 118.
— 134 —
Anlagen der
amerikanischen Banken in Millionen Dollar 1):
Kredite
2) Effekten 3) Zusammen
1914 (30. Juni) 15 248 5 541 20 789
1921 " 28
970 11
029 39
999
1928 " 39
464 17
801 57
265
(davon Member Banks 24
303 10
758 35
061)
Eine Spezifikation der
Posten "Kredite" und "Effekten" für alle Banken der Vereinigten Staaten ist nicht erhältlich; wir
müssen uns daher mit der Spezifikation der Mitgliedsbanken des Federal Reserve
Systems (Member Banks) begnügen.
Diese ergibt folgendes Bild:
Zusammensetzung der "Effektenanlagen" der
Mitgliedsbanken am 30. Juni 1928
(in Millionen Dollar 4) ):
USA.-Staatspapiere
4225
USA.-Länder- und
Kommunalanleihen 1367
Sonstige Obligationen
3512
Bundes-Reserve-Bank-Aktien 142
Andere Aktien 407
Sonstige inländische Wertpapiere 378 10 032
Ausländische Wertpapiere
726
Insgesamt 10 758
Zur Erläuterung diene,
daß der gesamte Kurswert aller an der New Yorker Börse gehandelten Papiere Ende
Juni 1930 64 Milliarden Dollar betrug. Hiervon befand sich also, wenn man alle
Banken betrachtet, etwa ein Viertel im
direkten Eigentum der Banken (17 801 Mill. Dollar)! Hierzu kommt der
indirekte Effektenbesitz:
Zusammensetzung der "Kredite" der Mitgliedsbanken am 30. Juni 1928
(in Millionen Dollar) 5):
1. Gegen Unterpfand an Effekten:
a) Beleihung von USA.-Staatspapieren 178
b) Beleihung von anderen Aktien und
Obligationen 8 890 9 068
2. Sonstige Kredite:
a) gegen Verpfändung von Grundstücken:
landwirtschaftliche
Beleihungen 444
andere
Beleihungen 2 623
3 068
b) anderweitig gesichert und ungesichert 12
167 15 235
Insgesamt 24 303
_______________________________
1)
1) Vgl. Annual
Report of the
Federal Reserve Board,
1928, S. 111 ("All Banks"
No. 44).
2)
Loans.
3)
Investments.
4)
Vgl. Annual
Report, 1928, S. 119, No. 53.
5)
Ebenda,
S. 118, No. 52.
— 135 —
Hiernach sind sogar von
den "Kreditoren" die Hälfte in Effektenlombards und Hypotheken
festgelegt. Von den gesamten 35 Milliarden Dollar Mitteln der Mitgliedsbanken
waren im Jahre 1928 illiquide
festgelegt:
in Effekten 10 758 Mill. Dollar
in Lombards und Reports 9 068
" "
in Hypotheken 3 068
" "
Insgesamt 22 894 Mill. Dollar
das sind mehr als 65 %.
Damit ist nicht die privatwirtschaftliche Liquidität gemeint, die vielleicht
noch ausreichend ist, sondern die gekennzeichnete Fähigkeit, im
volkswirtschaftlichen Sinne für die Beschäftigung der Millionenarmee von
Arbeitslosen zu sorgen. Jene kann nicht vorhanden sein, wenn die Banken eines
Landes einen so hohen Prozentsatz ihrer fast ausschließlich kurzfristig
fälligen Depositen in illiquider Weise angelegt haben 1).
Es ist klar, daß Banken,
die in solcher Weise "vollgestopft" sind mit effektiv langfristigen
Krediten aus kurzfristigen Mitteln, keine Neigung mehr haben können, diese
Kreditgewährung auszudehnen, um der
Wirtschaft zu Hilfe zu kommen und den Erwerbslosen Arbeit zu beschaffen.
Die Bedeutung der Lage der Banken für die Konjunkturbelebung
und die Arbeitslosigkeit scheint auch in den Vereinigten Staaten langsam
erkannt zu werden: B. M. Anderson,
der Volkswirtschaftler der Chase National Bank in New York 2), des größten
Bankinstituts der Welt, hat Ende Juni 1930 anläßlich einer Bankiertagung
Zeitungsmeldungen zufolge 3) die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf eine
seiner Ansicht nach höchst gefährliche Entwicklungstendenz im amerikanischen
Bankwesen gelenkt. Nach Ansicht des Redners
"haben die amerikanischen Banken ihre Anlagen an den Effektenmärkten,
womit sowohl der eigene Effektenbesitz der Banken, als auch die
Effektenbeleihungen gemeint sind, besonders in der letzten Zeit in einer Weise gesteigert, die zu
ernsten Bedenken Veranlassung gibt. Der
Anteil der Effektenanlagen und Effektenbeleihungen ist bei rund 600
Mitgliedsbanken des Bundesreservesystems in den Jahren 1921- 1929 von 46 auf 60
% der gesamten Ausleihungen und
Investitionen gestiegen und
_______________________________
1)
Die Depositen
betrugen am 31. Dezember 1927 36 669
Mill. Dollar; wenn sich darunter auch 12 764 Mill. Dollar "Time
deposits" befanden, so handelt es
sich doch hier um eine Kündigungsfrist von
einem oder wenigen Monaten, nicht aber um langfristige Gelder.
2)
Morgan-Konzern.
3)
In den
Berliner Blättern vom 7. Juli 1930.
- 136 -
hat sich in den ersten fünf Monaten dieses Jahres weiter
auf etwas über 63 % erhöht. Diese
Entwicklung ist, wenn sie auch
in Zeiten der Hochkonjunktur unbedenklich erschien, im gegenwärtigen Stadium
der Wirtschaftsdepression
unbedingt als gefährlich zu bezeichnen. Der Redner weist darauf hin, daß die
Ban- ken bei dem ersten Anzeichen
einer Konjunkturbelebung einem starken Kreditansturm seitens der Industrie und des Handels ausgesetzt sein
werden. Um diesen großen Kreditbedarf dann befriedigen zu können, werden sie zwangsläufig den
Effektenmärkten beträchtliche Mittel entziehen müssen. Es ist vorauszusehen, daß diese Umschichtung an der
Entwicklung der Effektenmärkte nicht spurlos vorbei- gehen werde. Ein Rückschlag an den Effektenmärkten zu
einer Zeit, zu der sich eine Konjunkturbele- bung
anbahnen will, würde jedoch der Wirtschaft neue Schwierigkeiten in den Weg legen."
Man findet also drüben dieselbe Problematik, wie hier.
Die Lage der amerikanischen Banken ist aber eine noch unangenehmere, als die
der deutschen Institute: Die amerikanischen Banken haben fast zwei Drittel
ihrer Depositen illiquide angelegt, die deutschen Banken nur etwa die Hälfte.
Die amerikanischen Banken haben vor-wiegend Effekten gekauft, an denen sie hohe
Kursverluste erleiden können, während die deutschen Banken eingefrorene Industrie-
und Kommunalkredite haben, bei denen wenigstens Kursrückgänge ausgeschlossen
sind.
Wie gefährlich derartige Kursrückgänge für
Depositenbanken sind, zeigt ein Blick auf die Entwicklung des Zins- und des
Kursniveaus in den letzten 100 Jahren: Die 3 %ige französische Staatsrente
von 1825 (Perpétuelle) notierte
1825 (höchst) 76,35
1830 (niedr.) 55,95
1840 (höchst) 86,65
1848 (niedr.) 32,50
1892 (höchst) 100,70
1897 (höchst) 105,25
1924 (niedr.) 48,00
Die Kursschwankungen sind
also auch bei sichersten Papieren sehr groß. Bei steigendem Zinssatz müssen die
Verluste an Effektenanlagen daher für die Depositenbanken eines Landes bald unerträglich
werden 1). Dies ist ein weiterer Grund, warum das Zinsniveau so eingerichtet
werden muß, daß alle irgendwie entbehrlichen, also im Grunde langfristigen
Depositen der besseren Rente wegen von den Sparern direkt in Effekten angelegt werden sollen. Nur so fließt alles
verfügbare Kapital ohne Umwege der Produktion von Kapitalgütern zu, nur so wird das
Kursrisiko den
_______________________________
1)
Vgl. die
Kursverluste der deutschen Sparkassen in dem Jahrzehnt vor dem Kriege.
— 137 —
Sparern selbst
aufgebürdet und dadurch die Liquidität und Aktionsfähigkeit der Banken auch in
Krisenzeiten gewährleistet.
So kann die amerikanische Arbeitslosigkeit, soweit sie
durch diese Störungen verursacht ist, auch nur dadurch beseitigt werden, daß
die Banken ihre Bilanzsummen halbieren und sich liquide machen. Die Bevölkerung
muß also auch in Amerika viel mehr daran gewöhnt werden, daß Bankdepositen
nicht notwendig Zinsen bringen, und daß man selbst Wertpapiere kaufen muß, wenn
man auf Zinsgenuß Wert legt.
c) Die
Hilfsmaßnahmen:
1. Popularisierung
des Effektenbesitzes. — Wenn man eingesehen hat, daß zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
ein liquides Bankwesen unentbehrlich
ist, daß man also ohne die Abwälzung des Kursrisikos auf die Schultern der
Sparer nicht auskommt, muß man darangehen, die nötigen Schritte zu tun, um den
Effektenbesitz in der Öffentlichkeit anziehend
und populär zu gestalten.
Weite Kreise des Volkes
sehen immer noch in einer "festen" Börse eine abgefeimte
Veranstaltung der Kapitalisten, um sich auf Kosten anderer zu bereichern. Die
Tatsache, daß die Börse ein Organ zur Verteilung der Volksersparnisse an die Arbeitslosen,
also zur Arbeitsbeschaffung ist, ist sogar einem erheblichen Teile der "bürgerlichen"
Wirtschaftsführer unbekannt. Noch 1927 wurde anläßlich der Börsenrestriktionen
lebhaft über die Frage diskutiert, ob die Börse der produktiven Wirtschaft Kapital
wegnehme, ein Standpunkt, den sogar der Reichsbankpräsident Schacht vertrat.
Da kann es nicht verwundern, wenn die breiten Schichten des deutschen Volkes,
die heute als Sparer eine so wichtige Rolle auf dem Kapitalmarkte spielen, der
Börse und dem Effektenbesitz kühl gegenüberstehen. Hier bietet sich für die Aufklärungsarbeit der Banken und Sparkassen
noch ein reiches Tätigkeitsfeld. Störend wirkt insbesondere, daß die Namen
unserer Wertpapiere vom Volke anscheinend nicht mehr verstanden werden. Heute
würde man wohl nicht mehr den Schwerpunkt auf den Rechtscharakter legen und z.
B. "Pfandbrief" sagen, wie das damals richtig war, als der
unvergleichliche wirtschaftliche Fortschritt, der in dieser Schöpfung lag,
jedem Gutsbesitzer und damit fast jedem Wirtschaftler wohlbekannt war.
Vielleicht würde man heute "Arbeitsbeschaffungsbrief'' oder etwas
Ähnliches sagen, was den Interessen des Publikums näher liegt.
- 138 -
Notwendig wäre insbesondere, den verschiedenen
Bevölkerungsschichten die für sie besonders wichtigen Vermögensanlagen nahezubringen,
den Städtern z. B. die Stadtanleihen, die Emissionen der öffentlichen Versorgungsbetriebe
und die Hypothekenpfandbriefe, der ländlichen Bevölkerung die landschaftlichen
Pfandbriefe und die Emissionen von Meliorationskreditanstalten, der Industriearbeiterschaft,
deren Sparkapital eine immer größere Rolle spielen wird, die
Industrieobligationen, die industriellen Vorzugsaktien usw.
2. Förderung der
Börse. — Notwendig ist auch, daß die Regierung, die Reichsbank und die
Parlamente aufhören, in der Börse ein "Monte Carlo ohne Musik" zu
sehen, daß sie ihre Kampfstellung aufgeben und sich zu einer positiven
Förderung des Börsenwesens entschließen, und zwar in moralischer und in
steuerlicher Beziehung. Indem der Reichsbankpräsident Schacht im Mai 1927 durch
seinen "Husarenritt" die Börse
erschlug, beseitigte er das Organ des Kapitalmarktes, dessen wichtigste
Bestimmung es ist, den Banken ihre illiquiden Debitoren abzunehmen. Er tötete
damit den eben wieder neu erstandenen "antizipierten Emissionskredit", lähmte also unser
Banksystem und machte es unfähig zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit 1). Es
ist dringend zu fordern, daß Derartiges sich nicht wiederholt.
3. Kapitalanlagegesellschaften.
— Unter den Mitteln, den Effektenbesitz zu popularisieren, dürfte auch der
Investment Trust nicht vergessen werden, der geeignet ist, auch dem Kleinsparer
die Vorteile sachverständiger Auswahl, raschen Zugreifens und der Mischung der
Risiken zukommen zu lassen, die sonst das Monopol der Großkapitalisten sind. Diese
"Kapitalanlagegesellschaften", wie sie in Deutschland genannt werden,
haben sich insbesondere in Schottland und England seit 70 Jahren bestens
bewährt; sie legen die Gelder ihrer Mitglieder in Effekten der verschiedensten
Art an, so daß eine an Versicherung erinnernde Risikoverteilung erzielt wird.
Selbstverständlich kommt alles auf die Persönlichkeiten an, die solche
Gesellschaften leiten. Prof. F. Schmidt-Frank-
_______________________________
1)
Über die wirtschaftliche
Bedeutung dieses "Schwarzen Freitags" vgl. "Effektenbörse und
Volkswirtschaft" von Dr. R. Gunzert,
Dr. B. Bennig, Dr. E. Veesenmayer, Jena 1929. In seinem
Vorwort dazu sagt Prof. Ad. Weber
(München) u.a. folgendes:
"Nur auf dem Weg, wenn man will auf dem Umwege über die Effekten-Börse
werden gerade in Zeiten stockenden Geschäftsgangs die notwendigen Kreditausweitungen erfolgen, die der darniederliegenden
volkswirtschaftlichen Gütererzeugung wieder in die Höhe verhelfen."
— 139 —
fürt a. M. weist
besonders darauf hin, daß auch größte Lauterkeit und Tüchtigkeit nur dann
Erfolg verbürgt, wenn für völlige
Unabhängigkeit von den Produzenten und Großhändlern in Effekten, also
insbesondere von den Großbanken gesorgt wird 1), wie das in England stets
üblich war.
Bekanntlich haben die Steuergesetze
bisher mit einer Ausnahme 2) die Gründung von Kapitalanlagegesellschaften
unmöglich gemacht, so daß alle in Deutschland arbeitenden Trusts ihren Sitz in
die benachbarten Länder verlegt haben. Hier sind Gesetzesänderungen dringend
geboten, nicht um ein neues Gebilde künstlich aufzuzüchten, sondern um die
Sperre zu beseitigen, die einer gesunden Entwicklung bisher im Wege stand. Die
Gesetzesänderungen müßten in bezug auf die Körperschaftssteuer völlige
Befreiung vorsehen, da hierdurch dem Reich keinerlei Verluste entstehen: Es
tritt nur ein Zwischenglied zwischen Einkommensquelle und Einkommenbezieher,
die Versteuerung beim Einkommensbezieher findet nach wie vor statt. Sodann ist
eine völlige Abschaffung der Kapitalertragssteuer oder doch eine solche
Regelung nötig, die die Kapitalanlagegesellschaften nicht schlechter stellt,
als die Hypothekenbanken.
In England hat man in klarer Erkenntnis der Wirklichkeit
den Investment Trusts eine hervorragende Stelle im Arbeitsbeschaffungsprogramm
eingeräumt: Man hat im Jahre 1929 unter Führung der Bank von England den
Securities Management Trust als Rationalisierungsbank gegründet.
4. Organisation
des industriellen Anlagekredits. — Die Förderung der Kapitalanlagegesellschaften
bzw. des Passivgeschäfts dieser Gesellschaften läuft nun im Aktivgeschäft auf
nichts anderes hinaus, als auf die Förderung des langfristigen Kredits der
mittleren und kleinen Industrie. Hierin ist eine weitere Hilfsmaßnahme für die
Durchführung unseres Finanzierungsprogramms zu erblicken. Schon Felix Hecht 3) stellte den Gesichtspunkt
der Krisenbekämpfung an die Spitze seines denkwürdigen Vorschlages zur
Organisation des langfristigen Industriekredits. Unsere früheren Ausführungen
haben gezeigt, worin die Mängel der gegenwärtigen Handhabung des Industriekredits
begründet sind. Notwendig ist
_______________________________
1)
Es würde
vielleicht nichts schaden, wenn dieses wesentliche Erfordernis auch zur
Voraussetzung der notwendigen Steuerbefreiung gemacht würde.
2)
Dem Deutschen
Kapitalverein in Berlin, dem Herr Dr. Herm.
Zickert vorsteht.
3)
Vgl. Bericht
über die 2. Generalversammlung des
Mitteleuropäischen Wirtschaftsvereins, Berlin 1908, S. 59 ff.
— 140 —
nicht nur die Gründung
und Förderung besonderer industrieller Kreditanstalten oder
Kapitalanlagegesellschaften, sondern insbesondere die Entwicklung und
Erprobung neuer Kreditmethoden, die
sich den Besonderheiten des langfristigen Industriekredits anschmiegen,
vorzüglich aber dessen eigenartigen Risiken wirksam zu begegnen geeignet sind 1).
Diese Methoden sind besonders auch von den Großbanken anzuwenden, deren
Betätigung in diesem Kreditzweig nicht entbehrt werden kann.
Eine derartige Verbesserung unseres Kreditsystems, die
nun längst überfällig ist, ist eine wirksame und unentbehrliche Hilfsmaßnahme
für die Schaffung von Arbeitsgelegenheit.
5. Beseitigung der
Ursachen der Kapitalflucht. — Sodann muß alles getan werden, um die Flucht deutschen
Kapitals ins Ausland zu vermindern. Es ist vorgeschlagen worden, mit drakonischen
Strafmaßnahmen dagegen vorzugehen. Man darf aber behaupten, daß die Macht des
Staates über seine Bürger niemals so wirksam zu gestalten ist, wie die Macht
des Bürgers über sein Eigentum. Der Fehlschlag der Zwangswirtschaft im Kriege
sollte genügen, um derartige Pläne aus der Diskussion auszuschalten.
Niemand legt sein Kapital ohne Grund im Auslande an.
Zweckmäßig ist es daher, den Ursachen
nachzuforschen und diese zu beseitigen; dann wird die Kapitalflucht von selbst
aufhören.
Als erste Ursache der Kapitalflucht wird der Mangel an Vertrauen zur Währung zu
nennen sein. Dieser hat nicht zuletzt in dem rücksichtslosen Tone seinen
Grund, in dem der politische Kampf heute bei uns ausgefochten wird. Eine Beseitigung
der Arbeitslosigkeit durch planmäßige Verwendung der Kräfte der Nation wird den
politischen Pessimismus und die Kritik mildern, wie man das schon im Jahre
1926/27 beobachten konnte. Eine derartige Wirtschaftspolitik wird auch durch
vermehrte Umsätze automatisch die Reichskassen füllen und den Streit über die
Deckung des Haushaltsdefizits zum Verstummen bringen, der dem Vertrauen zur
Mark sehr abträglich ist. — Das Vertrauen zur Sicherheit des deutschen Kredits
wird auf jede Weise zu fördern sein, z. B. durch eine zweckmäßige Reform des
Aktienrechts. — Auch wird man nachprüfen müssen, ob die übliche
Feingoldklausel, bei der eine Veröffentlichung des Londoner Goldpreises im
Reichsanzeiger er-
_______________________________
1)
Vgl.
Rittershausen, Auswahl und Sicherung langfristiger Industriekredite,
Bankwissenschaft vom 20. August 1930, S. 347 - 360.
— 141 —
forderlich ist, den
Interessen der ängstlichen Kapitalanleger genügen kann.
Die zweite Ursache der Kapitalflucht ist die übermäßige
Besteuerung. Man wird sich langsam an den Gedanken gewöhnen müssen, daß die
Welt so klein geworden ist, wie früher das Deutsche Reich, innerhalb dessen die
Kommunen sich gegenseitig mit Steuerermäßigungen den Rang abliefen, um reiche
Steuerzahler zu angeln. Das Kapital ist nun einmal international beweglich;
solange es also noch Staaten gibt, die keine oder fast keine besonderen
Kapitalsteuern erheben, wird man die Abwanderung des Kapitals ins Ausland nur
verhindern können, wenn man international "konkurrenzfähig" bleibt.
Von diesem Gesichtspunkte aus verdienen unsere Steuergesetze eine gründliche
Durcharbeitung.
Schließlich sollte aber auch mit einer planmäßigen Aufklärungskampagne gegen
die Kapitalflucht zu Felde gezogen werden. Dabei wird insbesondere zu betonen
sein, daß das Ausland uns gerade diese Gelder wieder leiht, und zwar zu verdoppelten Zinsen, und daß sich schon
aus dieser Anlage ergibt, wie wenig sicherer solche Kapitalanlagen sind, als
direkte Anlagen in Deutschland und in deutschen Effekten. Denn wenn das Mißtrauen
gegenüber der deutschen Wirtschaft — das offenbar vom Auslande nicht geteilt
wird — wirklich berechtigt wäre, würden die schweizerischen, holländischen usw.
Banken und Gesellschaften solche Verluste erleiden, daß auch sie in Gefahr geraten
müßten.
6. Neugestaltung
der Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften. — Die Kapitalflucht wird
auch immer noch gefördert durch den Umstand, daß für die Anlage fast der Hälfte
der Volksersparnisse staatlicherseits ganz bestimmte Wertpapierkategorien
vorgeschrieben sind, deren Absatz zwar dem Staate sehr erwünscht, deren Erwerb
aber nicht immer dem Kapitalanleger angenehm ist. Daß das Vorhandensein dieser
Vorschriften ein Anachronismus ist, wurde schon erwähnt. Der Staat ist mehr und
mehr dazu übergegangen, die Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften, die
den Schutz der Mündel und Waisen und
der Kleinsparer bezweckten, in egoistisch-fiskalischer Weise zur Förderung des
Absatzes seiner eigenen Emissionen zu mißbrauchen. Hier müssen Erleichterungen
und Verbesserungen entwickelt werden, die nicht nur eine Schädigung der
Schwachen verhindern, sondern auch den überflüssigen Zwang beseitigen, der die
Kapitalien ins Ausland treiben hilft. Eine solche Reform der Mündelsicherheitsbestim-
— 142 —
mungen 1) würde zur
Organisation des Industriekredits und
zur Beseitigung der Arbeitslosenfrage wirksam beitragen 2).
7. Steuerreform.
— Fast alle diese Maßnahmen sind aufs innigste verknüpft mit steuerlichen
Fragen. Es würde zu weit führen, hier Einzeluntersuchungen anzustellen, klar
ist nur, daß bei sämtlichen Bestimmungen der Steuergesetze nachgeprüft werden
muß, ob und wieweit sie einen hemmenden Einfluß auf das Angebot von
Arbeitsplätzen ausüben. Wenn es möglich ist, daß die Mittel- und Kleinindustrie,
in der im Jahre 1925 4 005 900 Personen beschäftigt waren 3), von der also
über 10 000 000 Menschen lebten, seit Jahren trotz aller Proteste allein durch
steuerliche Vorschriften von den für sie zweckmäßigsten Finanzierungsmöglichkeiten
(Investment Trusts) ausgeschlossen ist, so muß man vermuten, daß noch eine
große Zahl anderer steuerlicher Vorschriften vorhanden ist, die in ähnlicher
Weise prohibitiv wirken. Eine Steuerreform
unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsbeschaffung ist also notwendig.
Dabei wird auch zu prüfen sein, ob die von den Kathedersozialisten
aufgestellte These, indirekte Steuern
seien drückend für die ärmeren Bevölkerungsschichten, den Ergebnissen neuerer
Forschungen noch standhält. Zweifellos sind indirekte Steuern eine Belastung
der Konsumenten; aber nur im Verhältnis der Einkäufe: ein wohl-habender Mann,
der 20 000 M jährlich ausgibt, wird 10 mal so hoch besteuert, wie der Arbeiter,
der nur 2000 M ausgibt. Wenn wir bei der Einkommensverwendung grundsätzlich
unterschieden hatten zwischen dem Konsum
und den Ersparnissen, so muß von
Standpunkt des Arbeiters, besonders des Arbeitslosen
aus, eine Besteuerung des Konsums wünschenswert
sein, da jede Besteuerung der Kapitalbildung (also des nicht verbrauchten
Einkommens) die Schaffung von Arbeitsplätzen vermindert. Die Lage der
Arbeiterschaft, insbesondere
_______________________________
1)
Vgl. meine
Schrift gleichen Namens, Jena 1929, in der ein Gesetzentwurf vorgeschlagen und
begründet ist.
2)
Die
Spitzenverbände der Industrie haben sich über diese letztere Tatsache so sehr
in Unkenntnis befunden, daß sie bei der Beantwortung des vom Reichswirtschaftsministerium
im Jahre 1929 herausgesandten Fragebogens über die Reform der
Mündelsicherheitsvorschriften die Beibehaltung der bisherigen Bestimmungen
befürwortet haben, soweit die
Ausschließung des industriellen Kreditbedarfs in Redestand! Ihre Vorschläge bezogen sich
nur auf Einzelheiten; die entscheidenden Fragen wurden nicht erwähnt.
3)
Betriebe von
201 - 5000 Arbeitern, nach der Zählung von 1925, vgl. "Wirtsch. u. Stat.
1928, S. 48.
—
143 —
die Lohnhöhe, ist
abhängig von dem Spitzenbedarf an Arbeitskräften; eine Vergrößerung der
Nachfrage nach Arbeiten allein kann daher die Lage der arbeitenden Klassen
wirksam bessern. Wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften durch eine Verbrauchsbesteuerung
gesteigert werden kann, so werden die dadurch erzielten Vorteile vermutlich
viel größer sein, als die steuerliche Belastung der Arbeiterschaft, die heute
infolge der Lohnsteuer vielleicht noch höher ist.
Eine Verlegung des Schwerpunktes der
Einkommensbesteuerung vom Gesamteinkommen auf den Verbrauch würde nun dadurch möglich sein, daß man bei der
Einkommensteuer die deklarierten Ersparnisse
durch besondere Vorschriften frei
läßt, um so die Kapitalbildung zu fördern. Man erzielt dann mit dem
komplizierten und überaus teuren Apparat der Einkommensbesteuerung aber nichts
anderes, als was ein indirektes Steuersystem (z. B. die Umsatzsteuer) billig
und einfach erreicht: Die alleinige Belastung des Verbrauchs zum Nutzen der Arbeitsbeschaffung.
Es wird also in den kommenden Jahren zu prüfen sein, ob die Theorie von der
günstigen sozialen Wirkung der progressiven Einkommensteuer, bei der offenbar
das Problem der Arbeitsbeschaffung übersehen worden ist, noch aufrecht
erhalten werden kann.
Eine solche Umstellung des Steuersystems würde nicht nur
arbeitsmarktpolitisch günstig sein, sondern auch die steuerlichen Gründe der Kapitalflucht mit einem Schlage beseitigen. Es würde nicht nur eine
rückläufige Bewegung einsetzen, sondern vielleicht sogar eine Steuerflucht aus
anderen Ländern nach Deutschland beginnen, die von angenehmen Wirkungen
begleitet sein könnte.
d) Die Annäherung
von Reichsbank und Großbanken.
1. Verfeinerung
des Umsatzkredits. — Wir haben unsere "Folgerungen und
Vorschläge", angefangen mit dem "großen
Mittel" der Antizipationsvorschüsse bis zu den Voraussetzungen und den Hilfsmaßnahmen
ganz auf die Eigenart der Arbeitslosigkeit um 1930 abgestellt. Da diese
Periode der Arbeitslosigkeit unseres Erachtens in erster Linie durch Störungen
in der Kapitalbildung verursacht ist, haben wir unsere Vorschläge allein auf
die Beseitigung dieser Störungen eingerichtet. Trotzdem darf nicht vergessen
werden, daß auch der Umsatzkredit und
seine Funktion eine bedeutende Rolle bei der Arbeitslosigkeit spielt. Ein
drastisches Beispiel von der Wichtigkeit
des Umsatzkredits liefern z.B. die
— 144 —
gegenwärtigen Zustände in
Polen. Hier ist es immer noch gang und gäbe, mit Wechseln bis herunter zu 2
Zloty im Detailhandel zu zahlen. Die Zinssätze für Wechseldiskont betragen 24 -
48 %, da die Bank Polski mit illiquidem Wechselmaterial übersättigt ist. Sie
kann kaum noch diskontieren, weil sie ihre gesamten Mittel für Prolongationen
braucht. Lohngelder sind schwer erhältlich, der reibungslose Austausch der
Güter vermittelst des Geldes ist stellenweise zur Unmöglichkeit geworden 1).
Hier ist das Extrem erreicht: Die Notenbank ist sozusagen zur Hypothekenbank geworden,
es fehlt also eine eigentliche Notenbank im schottischen Sinne, die den
Austausch organisieren könnte.
Der Verfasser hofft in seiner nächsten Schrift zeigen zu
können, wie ein Notenbankwesen eingerichtet sein muß, um die Beschäftigung der
Bevölkerung durch gegenseitige Aufträge zu ermöglichen. Nicht das Geldwesen ist es ja, von dem die
Schaffung von Arbeitsgelegenheit durch Umsatzkredit abhängt, sondern viel
enger ein Teilgebiet des Geldwesens, nämlich das Banknotenwesen. Der Arbeitgeber ist es, der das originäre
Volkseinkommen verteilt; hierzu wird er durch die Banknoten und die Notenbank
erst befähigt. Im einzelnen erinnern wir hier nur an die richtige Anpassung
der Umsatzkredite an den effektiven Warenverkauf des Kreditnehmers nach Betrag
und Laufzeit, an das Wesen der Ankurbelungskredite, an die Beseitigung des
Pauschalierungssystems und der Kreditrestriktionen, sowie endlich an die
Notwendigkeit einer Abkehr von der Preisniveaupolitik.
Eine vorzügliche Ausbildung
der mittleren und höheren Bankleiter, besonders der Depositenkassen Vorsteher,
aber auch eine geeignete Aufklärung und Erziehung der Bankkunden dürfte der
Schlüssel zu dieser verfeinerten Bankpolitik sein, in der unendlich viel
Kleinarbeit in Jahren und Jahrzehnten noch zu leisten ist.
2. Förderung des
antizipatorischen Bankakzepts. — Auch an einer Reform der Wechseldiskontvorschriften der Reichsbank wird man nicht
vorbeigehen können. Die bisherigen Bedingungen für den Diskontverkehr haben nur
die Finanzierung des Warenumsatzes alten Stiles im Auge, ohne das Aufkommen des
Kontokorrentverkehrs und die Notwendigkeit von Antizipationskrediten zu
berücksichtigen. Die Ausschließung von Kontokorrent-
_______________________________
1)
Vgl. Dr. F. Seifter, Polens Wirtschaftskrise,
Berliner Tageblatt vom 23. Januar 1930.
— 145 —
krediten aus der
Notendeckung wird solange bestehen bleiben müssen, als man bei der Trennung des
Notengeschäfts von den Depositengroßbanken verbleibt. Wenn man auch über diesen Mangel in den nächsten Jahren
noch hinwegkommen wird, so erscheint doch die heutige offizielle Ausschließung
von Bankakzepten, die vor dem Kriege nicht durchgeführt wurde, kaum als
tragbar. Nach Riesser wurden vor dem
Kriege 30 % aller Kontokorrentkredite in Akzepten der Banken gewährt. Ende
1913 wies das Akzeptkonto von 160 deutschen Kreditaktienbanken die Summe von
2624,4 Mill. M auf 1), das ist 36 % des gesamten deutschen Wechselumlaufs, der
am 31. Dezember 1913 rund 7,2 Milliarden M betrug. "Der Umlauf von
Bankakzepten", sagt der ausgezeichnete Bankdirektor und Praktiker Käferlein 2),
"hatte bei uns riesigen Umfang angenommen. Soweit
große, prosperierende Unternehmungen hieran beteiligt
waren, bildeten häufig derartige Kredite die Vorläufer von Emissionen. Die Bankengagements pflegten in absehbarer Zeit dadurch
ihre Erledigung zu finden, daß die betreffenden Unternehmungen von den Banken veranlaßt wurden, neue Aktien oder
Obligationen auszugeben."
Ein großer Teil dieses
Akzeptsumlaufs befand sich im Portefeuille der Reichsbank, das vor dem Kriege
zeitweise zu mehr als 50 % Privatdiskonten enthalten haben soll.
Wir glauben nachgewiesen zu haben, daß die vergleichsweise
geringe Arbeitslosigkeit Deutschlands vor dem Kriege ihre Ursache in der
freigebigen Verwendung von Antizipationskrediten, also von Vorschüssen über das Maß der verfügbaren Depositen
hinaus hatte. Ähnliches sagte der Sachverständige Bernhard in der Reichsbank-Enquete
1929 (Bericht S. 142):
"Wenn eine Bank früher mit ihren Mitteln knapp war,
und sie hatte Kredite zu gewähren, die sie an sich nicht gut versagen konnte — sie hat das auf die verschiedenen Kunden
verschieden verteilt — dann hatte sie
schon im Interesse ihrer eigenen Kapazitätsausnutzung ein Interesse daran, die
Gewährung ihres eigenen Akzepts an die
Stelle von Hergabe von Geld im Kontokorrentverkehr treten zu lassen."
Die Diskontierung von
Bankakzepten durch die Reichsbank war also vor dem Kriege der gangbare Weg zur Bereitstellung
der Banknoten und des Bargeldes, deren man zur Auszahlung der antizipatorischen
Kredite benötigte.
_______________________________
1)
Ende April
1930 nur 622,6 Mill. RM, d.h. weniger als 500 Mill. Vorkriegsmark.
2)
Vgl. H. Käferlein, Der Bankkredit, 3. Aufl., S.
540, wo auch die vorher genannten Ziffern zu finden sind.
— 146 —
Wenn nun heute Bankakzepte im Gegensatz zur Vorkriegszeit
der Reichsbank nicht mehr genehm sind, so kann sich natürlich der antizipierte
Emissionskredit nicht entwickeln; die Arbeitslosigkeit kann also schon aus
diesem Grunde nicht beseitigt werden.
Diese veränderte Beurteilung des Bankakzepts 1) ist eine
der wichtigsten Tatsachen der gegenwärtigen Banksituation. Das Bankgesetz sagt
am Ende des § 21 Ziff. 2:
"Die von der
Bank diskontierten Wechsel sollen nur gute Handelswechsel sein."
Vor dem Kriege war man
offenbar in der Auslegung dieser Bestimmung weitherzig, denn man hatte
zeitweise mehr als 50 % Bankakzepte im Portefeuille, von denen bestimmt nur ein
kleiner Teil auf Warenunterlage lief. Heute ist das anders geworden: Schacht
hat im Enqueteausschuß erklärt,
"daß nach soliden Bankgrundsätzen das Bankakzept nur
gegeben werden sollte, wenn man zwar nicht jede einzelne kleine Warentransaktion mit einem Bankakzept
sicherstellen will, sondern wenn man einer Warenfirma
insgesamt, ohne auf jede einzelne kleine Transaktion zurückzugreifen, einen den
Warenkredit ersetzenden Kredit zuteil
werden lassen will. Ich meine, in diesem Sinne ist das Bankakzept gewisser maßen als ein Globalwarenkredit bei den
Banken zulässig. Wir vertrauen darauf, daß die Ausnutzung des Bankakzepts für spekulative, langfristige und nicht warenmäßige
Transaktionen auf ein Minimum beschränkt
bleibt 2). . . ."
Schacht weiß also sehr wohl, daß es zwei Arten von Bankakzepten gibt, nämlich das Bankakzept als Globalwarenwechsel
und das antizipatorische Bankakzept. Er geht auch nicht soweit, letzteres
einfach mit den von einer Bank auf eine andere gezogenen Finanzwechseln in
einen Topf zu werfen, die mit Recht zu verurteilen sind. Aber er erklärt klar
und deutlich nur die Globalwarenwechsel für diskontfähig und schließt die antizipatorischen Bankakzepte,
die Vorläufer von Emissionen, vollständig aus. Es ist klar, daß bei solchen
Diskontierungsbedingungen der Reichsbank die Rationalisierungs-Deflation auch
dann nicht behoben und die Arbeitslosigkeit auch dann nicht beseitigt werden
kann, wenn unsere Voraussetzungen erfüllt sind, wenn also das Zinsniveau
gesenkt und die Liquidität der Großbanken wiederhergestellt sein würde. Denn das Bankakzept ist der Kanal, durch den
allein die erforderlichen antizipatorischen Lohngelder von der Reichsbank
_______________________________
1)
Vgl. auch R. Brenninkmeyer, Der Akzeptkredit der
Banken, Leipzig 1916.
2)
Sperrungen
vom Verf.
- 147 -
über die Banken in die Wirtschaft strömen können. Wenn in der wenig tiefgründigen Erörterung der
Bankakzeptfrage im Enqueteausschuß, die an allen diesen Gesichtspunkten
vorbeigegangen ist, zum Schluß bemerkt worden ist, alle Bestrebungen, das
Bankakzept zu fördern, seien an dem Mangel kurzfristiger, sich selbst
liquidierender Kreditansprüche gescheitert (Schacht, S. 142), sowie daran, daß
das Zinsniveau zu hoch sei (hochverzinsliche Anlage in Schatzscheinen usw.),
um Bankakzepte als ertragreiche Anlage anziehend erscheinen zu lassen
(Dernburg), so erledigen sich diese beiden Einwände durch unsere vorherigen
Darlegungen: Bankakzepte als Globalwarenwechsel sind selbstverständlich nicht
erhältlich, da der Bedarf an Umsatzkredit fast überall überreichlich gedeckt
ist. Antizipatorische Bankakzepte
aber würden, wenn die Reichsbank sie zuließe, und unsere Voraussetzungen
erfüllt sein würden, bald stärkstens angeboten werden. Und daß das
gegenwärtige Zinsniveau dem gesunden antizipatorischen Kredit hindernd im Wege
steht, wie Dernburg mit Recht erklärt hat, haben wir selbst besonders
hervorgehoben.
Die Abänderung der Wechseldiskontbedingungen der Reichsbank
oder wenigstens eine veränderte Haltung den Antizipationskrediten gegenüber,
die in Form von Bankakzepten der Reichsbank angeboten werden, ist also ein
dringendes Erfordernis einer erfolgreichen Arbeitsbeschaffungspolitik.
3. Zusammenarbeit
zwischen Reichsbank und Großbanken. — Wir glauben, daß auch hier Mißbräuche
nur verhindert werden können, wenn Wege gefunden werden, sie ein enges
persönliches Zusammenarbeiten der Leiter der Reichsbank mit den Leitern der
Großbanken sicherstellen. Vom Standpunkte der Finanzierung der Arbeitsgelegenheit
aus mutet die Trennung des Notengeschäfts
von dem Kontokorrent- und dem irregulären Geschäft der Depositengroßbanken ein wenig künstlich an. Der Verfasser
hofft, in seiner späteren Schrift nachweisen zu können, daß diese Trennung
heute auch keine Vorzüge mehr bietet in bezug auf die Sicherung der
Goldreserven, den Ausgleich der Zahlungsbilanzen, die Beherrschung des
Devisenmarktes und die Bemessung des Notenumlaufs. Wirtschaftlich ist es von
geringer Bedeutung, ob die Großbanken sich ihren Notenbedarf aus dem eigenen
Tresor holen, wie in Canada, oder vom anderen Ende der Straße her, wo die
Reichsbank ihren Sitz hat. Ob man in Jahrzehnten einmal zur Vereinigung der
Notenemission mit dem Kontokorrentgeschäft
— 148 —
in den Großbanken
vordringen wird, was die Vollendung der "Arbeitsvereinigung im
Bankwesen" bedeuten würde, die unsere großen Bankgelehrten mit Recht
gepriesen haben, kann hier unerörtert bleiben, da hier nur die Theorie der
Arbeitslosigkeit und ihre Bekämpfung durch sofort brauchbare Maßnahmen der Bankpolitik
in Rede steht.
Entscheidend ist die Sicherheit
der Währung und ihre Leistungsfähigkeit,
insbesondere mit Rücksicht auf die Mobilisierung aller Kräfte der Nation. Diese
kann heute nicht mehr durch eine Herrscherrolle der Reichsbank über die
erstarkten Großbanken, sondern nur durch eine enge Zusammenarbeit von
Reichsbank und Großbanken auf allen Gebieten der Bankpolitik gewährleistet
werden, zum Wohle des Volkes, zur Finanzierung von Arbeitsgelegenheit für alle.
________________________
Literaturnachweis.
Die Literatur ist gesammelt in der "Bibliographie der Arbeitslosigkeit",
herausgegeben vom Internationalen Arbeitsamt, Genf 1926, 155 S. Hier sind
insbesondere die Abschnitte "I. Allgemeines" (S. 11—48); "II. Sonderprobleme,
1. Der Wirtschaftskreis, die Geldfragen" (S. 50 - 62); und "III. Die
Schaffung von Arbeitsgelegenheit" (S. 79 - 85) zu beachten, wobei zu
bemerken ist, daß der zuletztgenannte Abschnitt fast nur Schriften über öffentliche
Notstandsarbeiten enthält.
Die vor 1914 erschienenen
Bücher sind in den dort S. 6 angegebenen älteren Bibliographien zu finden.
Man kann die bisherigen Vorschläge zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit durch Schaffung von Arbeits- gelegenheit
in folgenden Gruppen einteilen:
a)
Die
preistheoretische Schule, die glaubt, durch Lohnsenkungen die Arbeitslosigkeit
beseitigen zu können (C. A. Verrijn Stuart-Utrecht, Cassel-Stockholm,
Ad. Lampe u. a.).
b)
Die
konjunkturtheoretische Schule, die
hofft, durch einen Ausgleich der Konjunkturausschläge die Wirtschaft und damit
die Arbeitslosigkeit auf einem mittleren Niveau stabilisieren zu können (Beveridge, Pigou, das Intern. Arbeitsamt, I.
R. Bellerby
u. a.).
c)
Die Inflationstheorie,
die glaubt, durch vermehrte Kredite Arbeitsgelegenheit beschaffen zu können,
ohne jedoch anzugeben, aus welchen Mitteln die zur Abtragung dieser Kredite
nötige langfristige Kapital disposition genommen
werden soll, und ohne zu zeigen, wie man an der drohenden Inflation vorbeikommen
könne (Lloyd George, Keynes u.a.).
d)
Die
gewerkschaftliche Theorie, die in Lohnerhöhungen das geeignete Mittel sieht,
die immer mehr anwachsende Produktion abzusetzen und dadurch auch die Arbeitslosigkeit
zu beseitigen (Tarnow, Woytinsky u.a.).
— 150 —
Diese Schulen sind in der vorhandenen Literatur reichlich
vertreten. Die in der vorliegenden Schrift aufgestellte Theorie, daß die
heutige Arbeitslosigkeit gleichbedeutend sei mit unvollendeter Kapitalbildung,
daß sie also nur zu bekämpfen sei durch Vollendung des
Kapitalbildungsprozesses, wodurch zugleich die erforderliche Menge von
Kapitaldisposition verfügbar wird, ist im Schrifttum der letzten Jahrzehnte
nicht aufgestellt worden.
Da direkte Vorarbeiten mithin fehlen und ein Verzeichnis der mehr oder
weniger zufällig zitierten Literatur
ein falsches Bild von den Grundlagen der Arbeit geben würde, wird an dieser
Stelle auf eine Aufzählung von Schriften verzichtet und nochmals auf die
anfangs erwähnte ausgezeichnete Bibliographie verwiesen. (jz31)
Verlag vom
Gustav Fischer in Jena
Der Notenbankausweis in Theorie
und Wirklichkeit. Von Dr. rer. pol. Robert
B. Käppeli, wissenschaftl. Mitarbeiter am Inst. f. Weltwirtschaft a.
Seeverkehr, Kiel ("Probleme der Weltwirtscluft." Schriften d. Inst f.
Weltwirtschaft u. Seeverkehr a. d. Univers. Kiel. Hrsg. von Prof Dr. Bernhard Harms. Nr. 48.) XV, 258 S. gr. 8° 1930 Rmk 12.—
Der schöpferische Kredit. Von Dr. Hans
Honegger. VI. 135 S. gr. 8o 1929 Rmk 6. —
Als den eigentlichen Grundgedanken dieser "neuen
Kredittheorie" erachtet der Verfasser die Lehre vom Vorrang vor dem
Kapital, Vorrang des Kredits über das Kapital und weiterhin die Lehre von der wissenschaftlichen
Schöpferkraft des Kredits. Die "neue Kredittheorie" bringt das
Verständnis für die wirtschaftliche Wirklichkeit des Alltags näher und läßt uns
das Wesen des Kapitalismus viel tiefer begreifen, als die überlieferte Kredittheorie
das vermag. Honegger will mit seiner Schrift erneut auf die durchgreifende
Rolle des Kreditgedankens für die volkswirtschaftliche Theorie hinweisen und
zur Neubegründung der neuen Kredittheorie im Geiste ihrer bisherigen
Befürworter (Hahn, Macleod) beitragen.
Zur Theorie des Sparprozesses und
der Kreditschöpfung. Von Dr. Adolf
Lampe, Privatdoz. an der Univers. München. XIV, 176 S. gr. 8o 1926 Rmk 7.50
Literarisches
Zentralblatt. 1926,Nr. 15: Dem Systemgebäude Gustav Cassels nahestehend, will Lampe mit der vorstehenden Arbeit
nicht eine neue Zinstheorie geben, sondern "eine besonders geartete
Darstellung der wirtschaftlichen Beziehungen des Zinspreises und des
Sparprozesses unter dem Gesichtspunkt der wertfreien Preistheorie" bieten.
Auf der in den ersten beiden Abschnitten geschaffenen positiven Grundlage setzt
sich Verf. dann mit den Plänen zur Beseitigung der Zinswirtschaft auseinander,
besonders eingehend mit Albert Hahns
"Volks-wirtschaftliche Theorie des Bankkredits".
Das "Sparen" als ein Grundproblem
der Theorie der kapitalistischen Wirtschaft. Von Dr. Ferdinande Homann. VI, 81 S.
gr. 8o 1927 Rmk 3.50
Die Untersuchung geht aus von einer näheren Bestimmung
der Vorstellung der kapitalistischen Wirtschaft, da das Sparen als ein Strukturmoment
im Gefüge dieser Wirtschaft verstanden werden soll, um auf diesem Wege aus der
Erkenntnis der gesellschaftswirtschaftlichen Natur der Sparleistung die
Beziehungen um Zins- und, in einem bestimmt eingeschränkten Sinn, zum
Konjunkturproblem zu gewinnen.
Ihrem rein theoretischen Charakter entsprechend kommen Fragen,
wie sie von ethischen, sozialpädagogischen und nationalen Erwägungen aus
gestellt werden, von vornherein nicht in Betracht Nicht darum, ob aus
irgendwelchen Rücksichten: sozial-ethischen oder persönlichkeitsbildenden (der
äußeren oder inneren Ordnung des eigenen Lebens wegen, oder aus nationalen (z.
B. um das eigene Land reich zu machen um der Machtstellung gegenüber anderen
Völkern willen) gespart werden soll,
handelt es sich, sondern ob aus rein wirtschaftlichen Gründen gespart werden muß.
Das Kapitalzinsproblem im Lichte des Kreislaufs der Waren und des Geldes. Eine Auseinandersetzung mit der herrschenden Zinstheorie. Von Dr. Hans
Marxeli. Mit 2 schematischen Darstellungen im Text IV, 63 S. gr. 8o 1927 Rmk
3.—
Die Arbeit ist keine Zinstheorie, sofern man unter diesem
Namen einen Versuch versteht, das Kapitalzinsproblem mit Hilfe eines einzigen
oder einiger weniger, ad hoc herangezogener Gedanken zu lösen. Eher noch kann
sie aufgefaßt werden als der Versuch eines Beweises dafür, daß man im Interesse
der Lösung des in Frage stehenden Problems irgendwelche besondere, in der
Zinstheorie als sogenannte Erklärungsprinzipien fungierende Gedanken gar nicht
braucht. Schon im Titel wurde dieser Gesichtspunkt durch die Worte: im Lichte des
Kreislaufs der Waren und des Geldes bezeichnet. Sie sollen besagen, daß gewisse
im genannten Kreislauf sich manifestierende volkswirtschaftliche Zusammenhänge zur
Grundlage einer Lösung des Zinsproblems gemacht wurden.
Verlag vom
Gustav Fischer in Jena
Theorie und Politik der Zentralnotenbanken in ihrer Entwicklung. Von Dr. Sven Helander,
hauptamtl. Dozent der Nationalökonomie und Leiter der Handelshochschulkurse
zu Gothenburg.
Erste Hälfte: Theorie der Zentralisation im Notenbankwasen. IX, 149 S.
gr.
8° 1916 Rmk 3.60
Die Reichsbank. Probleme des deutschen Zentralnoteninstituts in
geschichtlicher Darstellung. Von Dr. Gert von Eynern, wissenschaftl. Hilfsarbeiter am Enquete-Ausschuß
(Weltwirtschaftl. Institut, Kiel). Mit 9 Kurven im Text. X, 144 S. gr.
8° 1928 Rmk 8.—
Ein kritischer Beitrag zur Theorie des Bankkredits. Von Dr. Heinrich Mannstädt, o. Prof. an der Univers. Rostock. V,
36 8. gr. 8° 1927 Rmk 1.80
Finanzbedarf und Wirtschaftsleben. Eine theoretische Betrachtung
von Dr. Phil. et rer. pol. Heinrich Mannstädt, Bonn. 30 S. gr. 8°
1922 Rmk —.60
Effektenbörse und Volkswirtschaft. Drei wissenschaftliche
Abhandlungen von Dr. Rudolf
Gunzert, Dr. Bernhard Benning und
Dr. Edmund Veesenmayer. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Adolf Weber. ("Münchener
volkswirtschaftliche Studien."
Begr. von L. Brentano und W. Lotz. Neue Folge, Heft 6.) 264 S. gr. 8° 1929
Rmk 12.—
Inhalt: 1.
Effektenmarkt und Konjunkturverlauf. Von Dr.
Rudolf Gunzert.
2. Der "schwarze
Freitag". Eine Untersuchung des
Börseneingriffs vom 13. Mai 1927. Von Dr.
Bernhard Benning.
3. Die Neugestaltung des
Effektentermingeschäfts seit Wiederaufnahme im
Oktober 1925. Mit besonderer
Berücksichtigung von Liquidationskassen und
Medioliquidation. Von Dr. Edmund Veesenmayer.
Kreditinflation und Wirtschaftskrisen.
Unter besonderer Berücksichtigung der Konjunkturentwicklung Deutschlands vor
dem Kriege. Von Dr. rer. pol. Carl Rosch. V, 194 S. gr. 8° 1927
Rmk 9.50
Die Arbeit
fußt auf der Ertragstheorie von Liefmann
und der Theorie des Bankkredites von Hahn, sowie auf Knapps Arbeit "Theorie des Geldes" und der Analyse des Konjunkturproblems durch den schwedischen Nationalökonomen Cassel.
Der Kreislauf der
Wirtschaft (Zirkulation). Die Überwindung der Arbeitslosigkeit durch Fortbildung der Konjunkturen zu einer
Wirtschaftserweiterung auf erhöhter Organisationsstufe. Von Dr. Folkert
Wilken, Priv.-Doz. in Freiburg
i. Br. Mit 7 Abbild, im Text VIII, 535 S. gr. 8o 1928
Rmk 26.— I
Inhalt:
1. Die
Problemstellung gegenüber der Arbeitslosigkeit. 2. Der wirtschaftliche Kreislauf. 3. Die
Erweiterung des wirtschaftlichen
Kreislaufes. 4. Die Vermehrung der Zirkulationsmittelmenge. 5. Die Verhältnismäßigkeit (Korrespondenz)
innerhalb
der Gesamtwirtschaft. 6. Die evolutionäre Notwendigkeit und die geistigen Voraussetzungen
der Zirkulationswirtschaft. — Sachregister.
Notstandsarbeiten Oder Lohnabbau? Richtlinien der Wirtschaftstheorie
für die Wirtschaftspolitik. Von Dr. Adolf Lampe, ao. Professor an der
Univers. Freiburg. VII, 130 S. gr. 8o 1927 Rmk 6.—
Inhalt: Einleitung. — I. Kapital und Arbeitslosigkeit. 1. Grundsätzliche
Verkennung des Kapitalmangels. 2. Die begrenzte
Elastizität des Kapitalfonds. 3. Der Streit um die
Verwendung des nicht künstlich erweiterten Kapitalfonds. — II. Das gewerkschaftliche
Lohnmonopol und die Arbeitslosigkeit. 1. Der
Streit um das Kaufkraftproblem. 2. Die Beweglichkeit des
Arbeitspreises. — III. Die Überwindung der Arbeitslosigkeit 1. Die
Unfruchtbarkeit der kritisierten Diskussion und die Aufgaben der Theorie. 2. Unzulängliche und unanwendbare Mittel zur Krisenüberwindung. 3.
Produktiver Interventionismus.
====================================================================
Anmerkungen von John Zube
Ich lade jeden Interessenten ein ebenfalls Anmerkungen, klar als solche
gekennzeichnet, diesem Werke beizufügen.
Es könnte dadurch meist nur gewinnen.
Ich finde es schändlich fuer die Volkswirtschaftslehre, dass ein solches
Werk fuer 75 Jahre fast unbeachtet geblieben ist.
Wer noch bessere Vorschlaege
zu diesem Thema zu machen hat sollte sich ebenfalls nicht auf Buchverleger und
die Universitaetswissenschaft verlassen.
Ich bin der Meinung, dass
Prof. Rittershausen auch dieses Buch zwar sehr geistreich und kenntnisvoll und
manchmal mit brillianter Ausdruckweise aber doch in zu grosser Eile geschrieben
hatte und dass es nicht genuegend von ihm selbst revidiert oder vom Verlage
verbessert worden ist. Ich bedauere auch, dass ich ebenfalls nicht dazu kam ihm
meine Fragen und Einwendungen noch zu seinen Lebzeiten vorzutragen und
daraufhin seine Antworten zu erhalten.
Wo ich Einwendungen, aus
einem radikaleren Gesichtspunkte heraus, ausgedrueckt habe, handelt es sich
vielleicht nur um Stellen, wo R. sich diplomatisch ausgedrueckt hatte - um die
Vorurteile seiner Zeitgenossen nicht zu sehr zu provozieren.
Soviel ich weiss, hatte
sich Ulrich von Beckerath ueber dieses Werk nur wenig geaeussert.
PIOT, John Zube,
5.7.2005, jzube@acenet.com.au
jz1: Dies ist zumundest eine der über 150 Krisentheorien.
Leider sprechen und schreiben die meisten Volkswirtschaftler so als ob es nur
ihre Krisentheorie oder einige wenige andere gäbe, statt alle ausreichend zu
untersuchen. Man sollte doch annehmen, das Thema sei wichtig genug um es so
ernst zu nehmen. Aber, gibt es schon z.B. eine Webseite die alle Krisentheorien behandelt und
entweder bestätigt oder ausreichend widerlegt?
Wenn doch nur genügend
Menschen wirklich "greedy" wären für Wahrheiten, die in ihrem Interesse
liegen und innerhalb ihrer eigenen Naturrechte oder individuellen
Menschenrechte. J.Z., 2.7.05.
jz2: (Auch
allzuwenige Bildung über Umsätze und Kapital! - J.Z., 4.7.05.)
jz3: (J.Z.: Freie und vollständige Umsätze für
alle erwünschten und bezahlten Konsumgüter und Dienstleistungen ist eine der
Voraussetzungen für die grösstmögliche Kapitalbildung und den pro-duktiven Einsatz alles wirtschaflichen
Kapitals. - J.Z. - J.Z., 4.7.05.)
jz4: (J.Z.: In den neu gegründeten
Industriestädten gabe es keine Zunfregeln und andere Privilegien. Sie
entwickelten sich daher rasch. - J.Z., 4.7.05.)
jz5: (unvollkommen – J.Z.)
jz6: (J.Z.: Ganz unverschuldet? Haben sich die meisten Arbeiter je um das
Geldwesen und Finanzierungen gekümmert? Auch diejenigen, denen sie vertrauten
ware in dieser Hinsicht allzu unwissend, uninteressiert und mit Vorurteilen
belastet. Gibt es heute viele oder genügend Ausnahmen zu dieser Regel? – J.Z.,
29.6.05.)
jz7: (J.Z.: Rothbard erwartete
hier eine deflationäre "Anpassung" der Preise, Löhne und Verträge und
übersah, daß nur gefallene Preise zum Kaufen anreizen während immer noch
fallende Preise vom Kaufen abschrecken, also eine schon bestehende Deflation
noch schlimmer machen. Er sagte sozusagen: Entweder tauscht ihr nur mit dem
einzigen Geld aus, das wir für ehrlich und ausreichend halten, oder ihr tauscht
nicht aus. Die Konsequenzen dieses exklusiven Zahlungsmittels müßt ihr eben zu
tragen haben und euch daran anpassen. An die Möglichkeiten einer monetären
Emanzipation from seiner Art von idealem Geld dachte er nicht sondern verdammte
sie nur als "unehrlich". Freilich wurden viele unehrliche und
despotische Versuche gemacht "Geld" einfach zu vermehren, über die
Beträge hinaus, die ein freier Markt zum Nennwert annehmen würde. Aber es gab
auch genügend Beispiele, wobei frei emittiertes und vermehrtes Geld doch vom
Verkehr noch zu seinem Nennwert in Goldgewichtseinheiten angenommen wurde,
obwohl es zusätzliches Geld war und nicht immer in Gold einlösbar war. Die wissenschaftliche
Einstellung gegenüber solchen Beispielen hätte sein sollen: Warum erhielten
sich diese Zahlungsmittel auch ohne Zwangskurs und Edelmetalleinlösung zu ihrem
Nominalwert? Mit dieser Einstellung hätte man schließlich die natürlichen
Gesetze der Geldausgabe und des Geld-Rückflusses, der Geldannahme, der
Geldbewertung und der Geldverweigerung, d.h., die gesunde Verrechnung, erkennen
müssen. Aber wenn man immer nur an Goldmünzen und Goldzertifikate einerseits
und andererseits an Zwangskurspapiergeld denkt, dann übersieht man ganz die
ehrlichen Alternativen zu beiden. Leider sah hier Rothbard nicht die
Möglichkeiten für freies Unternehmertum für Ersatzgeld, daß auch in Goldgewichtseinheiten rechnet
und einen freien Marktkurs besitzt, d.h., das ein Disagio leiden und abgelehnt
werden kann und gerade deshalb die
starke Tendenz hat, sich auf seinem Nominalwert zu erhalten, besonders durch die Annahme zum Nennwert bei den
Ausgebern und ihren Schuldnern. Statt dessen sah er auch solche freien
Banknoten oder andere Zahlungsmittel bloß als inflationäre Mehrausgaben von
Geld an, und als ganz betrügerisch. In dieser Hinsicht war er immer noch in der
alten Goldeinlösungsidee stecken beblieben, so wie die meisten anderen
Libertären. In dieser Beziehung sind primitive und veraltete Ideen und
Traditionen auch bei diesen Leuten immer noch vorherrschend. - Was hier in der Vergangenheit als gut genug
erschien, wenn ehrlich verwaltet, das soll auch für die Zukunft, nach diesen
Leuten, das einzig mögliche, erlaubte und ehrliche sein. Sie wollen immer noch
ein einheitliches und ausschließliches Zahlungsmittel, nämlich das, welches sie
für das beste halten. Solche Scheuklappen Gesichtspunkte bringen uns nicht
weiter. - Jedoch: Gold für "Goldbugs" aber freie Goldwertverrechnung
und ihre Zeichen oder Symbole für alle die es wollen oder damit zufrieden sein
würden - und alle anderen Alternativen ebenfalls, also alle
Geldfreiheitsmöglichkeiten, aber alle nur für freiwillige
Zahlungsgemeinschaften. Keine territorial aufgezwungene Geld-, Währungs,
Kredit- und Verrechnungsgesetzgebung für alle. Die Betrugsparagraphen genügen
gegen wirkliche Betrügereien. - J.Z., 2.7.05.)
jz8: (J.Z.:
"Vermindern statt "bessern"? Hier hätte er erwähnen sollten, daß
das despotische Zentralbanksystem, mit seinen inflationären und deflationären
Folgen, zum großen Teil durch das Kommunistische Manifest propagiert worden
ist, und dort gerade als ein unwirtschaftliches
Mittel um den "Kapitalismus" zu stürzen. - J.Z., 2.7.05.)
jz9: (J.Z.:
"betraf"? statt "betrug"? Natürlich, ein Betrug lag hier
auch vor, insofern, als die Opfer des Systems um ihre wirtschaftlich wichtigsten
individuellen Rechte betrogen wurden. - J.Z., 4.7.05.)
jz10: (J.Z.: Noch klarer
würde diese Situation sein unter dem Genossenschafts-Sozialismus, der auch Genossenschafts-Kapitalismus
oder Eigentums- und Marktwirtschaft innerhalb von produktiven Betrieben genannt
werden könnte, und verwechselt werden sollte mit dem
"Genossenschaftssozialismus" von Gleichheits-Fanatikern, die nur
wenig vom Geschäft, vom Eigentum, vom Markt und den individuellen wirtschaftlichen
Menschenrechten verstehen, wenn überhaupt etwas und denen es mehr darum geht
auch verdiente Gewinne von anderen zu verhindern, nur weil sie größer sind als
die eignen, als selbst die größtmöglichen Gewinne aus der eigenen Arbeit, dem
eigenen Eigentum und dem eigenen Denken zu erzielen. - J.Z., 4.7.05.)
jz11: (J.Z.: Jetzt gibt
es auch sehr viele Konserven. Aber Versuche, Preise zu erhöhen dadurch, daß man
solche oder andere haltbare Konsumgüter zurückhält, enden wohl meist als
fehlgeschlagene Spekulationen, es sei denn, man wird "geschützt" als
ihr Besitzer gegen billigere Angebote von anderen. - J.Z., 3.7.05)
jz12: (J.Z.: Ausgenommen
bei den Zuständen einer galoppierenden Inflation. - J.Z., 3.7.05.)
jz13: (J.Z.: Dieser Punkt
ist hier nicht geklärt. Warum muß der andere Betrieb derselben Industrie dann
mehr Arbeiter einstellen. Ich vermute eher, daß das Gegenteil der Fall sein
würde. - J.Z., 3.7.05.)
jz14: (J.Z.: Natürlich
dachte Rittershausen hier nur an die Planung privater Leute, nicht von
Bürokraten. - Hier stehen nicht nur die
Bürokratisierung und staatliche "Regulierung" des Kapitalmarktes
entgegen und die üblichen Schwierigkeiten die die Gewerkschaften machen bei
Lohnsenkungen
[Diese Senkungen werden durch Rationalisierungen manchmal
möglich und, vorübergehend, nötig. Facharbeiter können, z.T., durch bessere
Maschinen und weitere Arbeitsteilung für billigere Arbeitskräfte ersetzt
werden. Aber, auf längere Sicht und im Allgmeinen führen Rationalisierungen zur
Erhöhung von Löhnen dadurch, daß sie den Arbeitern mehr "eiserne
Sklaven" zur Verfügung stellen und sie dadurch noch viel produktiver
machen. Das läßt sich schon bei Handwerkern beobachten, denen jetzt viel
bessere Werkzeuge und Materialien zur Verfügung stehen, so daß sie dieselben
Arbeiten jetzt oft besser oder wenigstens schneller machen können und dadurch
mehr pro Stunde verdienen können. Natürlich werden Arbeiter und Fachkräfte in diejenigen
Betriebe abwandern, die ihnen die höchsten Löhne und andere Vergütungen bieten
können - gerade weil sie ihre Betriebe sehr rationalisiert haben, so daß verhältnismäßig
wenige Arbeiter und mittlere Angestellte genau so viel produzieren können wie
früher ganze Heerscharen von ihnen.]
sondern auch z.B. die
Lizenzzwänge, die oft dazu führen, daß die Neuausgabe von Kapitalsicherheiten
und die Genehmigungen für neue Kapitalbauten auf Monate bis Jahre verzögert
werden, währenddessen aber die von Ri. beschriebene Arbeitslosigkeit durch
Rationalisierungen besteht.
Nur wenn auch alle diese
und andere Hemmnisse beseitigt werden [Gibt es über die schon eine komplette
Liste?] und neue Arten von Unternehmen sogleich geschaffen und finanziert
werden können, d.h., dem Unternehmungsgeist, auch dem von produktiven Genossenschaftlern,
keine engen Schranken mehr gesetzt werden, dann könnten die bei einem Betriebe
entlassenen Arbeiter auch sofort wieder in einem anderen Betriebe - oder im Bau
eines neuen Betriebes beschäftigt werden.
Dazu kommt die
Schwierigkeit, ja sogar Unmöglichkeit durch eine einzige zentrale Notenbank
jederzeit genügend Lohn- und Gehaltszahlungsmittel zur Verfügung zu stellen.
Das letztere Thema behandelte Rittershausen in einem besonderen langen Aufsatz,
der jetzt auf der Website www.reinventingmoney.com
zugängig ist, nicht nur auf meinen PEACE PLANS Mikrofiche: "Unemployment
as a Problem of Turnover-Credits and the Supply of Means of Payment",
1934, 1979, 44 pages. Über diese
bürokratischen und ganz unwirtschaftlichen künstlichen Schwierigkeiten siehe in
neuerer Zeit zwei Bücher von de Soto,
besonders and südamerikanischen Beispielen gezeigt, die u.a. von Laissez Faire
Books vertrieben werden. - Aber leider gibt es auch in den "entwickelten"
Ländern allzu viele Beispiele von produktionsverhindernden Staatseinmischungen.
Unter völliger
Wirtschaftsfreiheit wäre Arbeitermangel
die Regel, nicht die Ausnahme. Löhne oder Gehälter könnten dann aber auch so
hoch werden, daß viele es vorziehen würden nur Teilarbeit zu leisten oder
zwischen verschiedenen Beschäftigungen lange Ferien zu nehmen oder sich schon
frühzeitig zur Ruhe zu setzen. Viele Tendenzen in dieser Richtung bestehen
sogar heute schon, obwohl immer noch ein großes Ausmaß an Arbeitslosigkeit
besteht, nur zum Teil dadurch, daß sie unterstützt wird - ohne
Rückzahlungspflicht. - J.Z., 3. 7. 05.)
jz15: (J.Z.: Hierbei ist
zu beachten, daß dieser Finanzierungsprozeß in Deutschland vor dem 1. Weltkrieg
unter einer stabilen Währung vorgenommen wurde. Termin-Risiken wurden dabei
übernommen aber kein Währungsrisiko.
Wenn, wie Rittershausen
in "Der Neubau des deutschen Kreditsystems" beschreibt, Depositen
nicht mehr hoch belohnt werden, über das Ausmaß hinaus zu dem sie wirklich
kurzfristig angelegt werden können, dann würden Sparer, die hohe Zinsen ernten
wollen, sich auf den Markt von Wertpapieren begehen müssen und könnten dort,
ohne Terminrisiko, ihr Geld langfristig anlegen oder, wenn nötig, durch
Verkäufe ihrer Wertpapiere auf der Börse mobilisieren. - Diese Industriekredite
ware auch relativ kurzfristig und wurden in häufigen Raten abgetragen. Auch
machten sie für viele Betriebe nur einen verhältnismässig kleinen Teil ihrer
laufenden Unkosten aus. Ihre bereits
bestehenden Anlagen produzierten weiter. - J.Z., 3.7.05.)
jz16: (J.Z.: Hierbei ist
zu beachten, daß dieser Finanzierungsprozeß in Deutschland vor dem 1. Weltkrieg
unter einer stabilen Währung vorgenommen wurde. Termin-Risiken wurden dabei
übernommen aber kein Währungsrisiko.
Wenn, wie Rittershausen
in "Der Neubau des deutschen Kreditsystems" beschreibt, Depositen
nicht mehr hoch belohnt werden, über das Ausmaß hinaus zu dem sie wirklich
kurzfristig angelegt werden können, dann würden Sparer, die hohe Zinsen ernten
wollen, sich auf den Markt von Wertpapieren begehen müssen und könnten dort,
ohne Terminrisiko, ihr Geld langfristig anlegen oder, wenn nötig, durch
Verkäufe ihrer Wertpapiere auf der Börse mobilisieren. - Diese Industriekredite
ware auch relativ kurzfristig und wurden in häufigen Raten abgetragen. Auch
machten sie für viele Betriebe nur einen verhältnismäßig kleinen Teil ihrer
laufenden Unkosten aus. Ihre bereits
bestehenden Anlagen produzierten weiter. - J.Z., 3.7.05.)
jz17: (J.Z.: Bei
Kriegszuständen, Erdbeben, Fluten, großen Bränden etc. sind, wenigstens
örtlich, große Vorräte von Konsumgütern für diese Zwecke nicht vorhanden. Sie
könnten aber bei Verkehrssicherheit, Wertbeständigkeit, in Abwesenheit von
bürokratischen und nationalistischen Schranken und unter Steuerfreiheit sehr schnell
herangeschafft werden, bestens als Warenkredite, die künftig durch
Warenlieferungen oder entsprechende Gutscheinausgaben oder Verrechnungen
abzutragen sind. - Auf dieser Grundlage könnte auch eine Versicherung gegen
Naturkatastrophen geschaffen werden, wie U. v. Beckerath mehrfach vorschlug. -
J.Z., 3.7.05.
jz18: (J.Z.: Ich glaube, daß
dieser Aufsatz mir auch noch fehlt in meiner Sammlung seiner Aufsätze. Aber
genau wissen kann ich das erst wenn ich dazu komme alle diese Aufsätze
bibliographisch zusammenzustellen - oder, in einer vollständigen Bibliography
seiner Schriften, als bei mir vorhanden zu kennzeichnen. - J.Z., 3.7.05. )
jz19: (J.Z.: Diesen Titel
hatte ich früher auf Mikrofiche untergebracht und er wird jetzt der nächste
sein unter meinen allzu vielen Digitisierungsaufgaben. Parlamentswesen,
Volkswirtschaft, Buchverleger,
Zeitschriften, andere Massenmedien und auch das Internet haben bisher
versagt solche wichtigen Titel stets und billig allen Interessenten zugängig zu
machen. - J.Z., 3.7.05.)
jz20: (J.Z.: Wenn die
Reparationen wirklich, im Verhältnis
zum Volkseinkommen, sehr hoch gewesen wären, dann hätten sie nicht Arbeitslosigkeit sondern
Überarbeitung für das deutsche Volk bedeutet, z.B. durch einen 16-
Stundentag und Arbeit auch am Wochenende! Logik ist auch in der Volkswirtschaft
unentbehrlich. - J.Z., 3.7.05.)
jz21: (J.Z.: Die
Absurdität eines Vorschlages kann oft am Besten durch einen Grenzfall gezeigt
werden: Sollte man etwa vorschlagen, daß nicht nur Millionen von zusätzlichen
"Arbeitsplätzen" sondern sogar Milliarden geschaffen werden könnten,
nur dadurch, daß man die vorgeschriebene tägliche Arbeitszeit auf eine Stunde,
Minute oder gar Sekunde senken würde? - J.Z., 3.7.05.)
jz22: (J.Z.: Kein
glücklicher Ausdruck! "nicht produktiv beschäftigt? - J.Z.)
jz23: (J.Z.: Notpreise.
"emergency sales prices" oder "auction prices".)
jz24: (J.Z.: Ich wuchs in
der Ebert Siedlung im Wedding auf, damals bald darauf gebaut. - J.Z.)
jz25: Seitenangabe wäre
hier noch einzufügen. Bei kurzen Depositen gegeben verhindert er die
Kapitalbildung, bei Wertpapieren ermutigt er sie. - J.Z., 5.7.05.)
jz26: (? - nur
gesetzlich, nicht wirtschaftlich. - J.Z.)
jz27: (J.Z.: Hier wendet
R. immer noch einen falschen Währungsbegriff an. Ein Wertmaß wird nicht dadurch
verändert, daß man große Schulden hat. Man braucht seine Schulden auch nicht in
Goldmünzen sondern nur in Goldwerten zu zahlen, z.B. in privaten
Zahlungsmitteln die auf dem Paristand stehen mit ihrem nominalen
Goldgewichtswert. Und dieser Paristand kann nicht nur durch Einlösung in
Goldmünzen erreicht werden sondern durch Einlösung zum Nennwert in Waren und
Dienstleistungen sowie Schuldquittungen, die ebenfalls in Goldgewichtswerten
aus-gezeichnet sind. - Werden die "Goldbugs" noch weitere Jahrzehnte
brauchen, um das einzusehen? - J.Z., 3.7.05.
jz28: (J.Z.: Wie
Deutschland durch Aufnahme von langfristigen Anleihen über den Betrag seiner
bisherigen kurzfristigen Auslandsverschuldung hinaus plötzlich zu einem
Gläubigerlande werden würde ist mir nicht klar. Es sei denn dieser Anleiheüberschuß
wäre im Inlande aufgenommen und dann im Auslande angelegt. Aber diesen Guthaben
im Auslande stünden dann immer noch die interne Anleiheverpflichtung gegenüber.
- Selbst Rittershausen hat sich nicht immer klar genug ausgedrückt, wenigstens für
mich nicht. - J.Z., 3.7.05.)
jz29: (J.Z.: Für mich hat
er sich hier nicht klar genug ausgedrückt. Warum soll das Umsatzkreditgeschäft
sehr viel Mühe und Kosten verursachen, wenn es sich für eine freie Notenbank
nur um Umwandlung von guten Handelswechseln in zum Umlauf geeignetere Banknoten
handelt und wenn keine metallische Einlösung für diese gestückelten Wechsel
versprochen wird? Warum soll eine Notenbank Zinsen zahlen für Gelder im
Umsatzgeschäft, wenn sie solche Gelder für das Umsatzgeschäft nicht braucht? -
Verkehrt die Zentralnotenbank wirklich viel direkt mit der Kundschaft in einem ganzen Lande?- J.Z., 3.7.05.)
jz30: (J.Z.: Warum
erwähnt er hier nicht, daß der Umsatzkredit keine Anlage von Sparmitteln braucht
sondern aus sich selbst heraus flüssig gemacht werden kann, traditionell durch
"Wechselstückelung" oder, im Prinzip, durch Verrechnung? - J.Z.,
4.7.05.)
jz31: (J.Z.: Eine
volkswirtschaftliche Wissenschaft, die sich ganz ernst nimmt, würde alle
Krisentheorien zusammenstellen und ausführlich diskutieren, um sie entweder
genügend zu kritisieren oder zu beweisen. Von solchen Versuchen ist mir bisher
nichts bekannt geworden. Infolgedessen schwirren immer noch die unsinnigsten
Hypothesen herum und werden allzu weitgehend als richtig betrachtet. - J.Z.,
7.4.05.)