U.v.Beckerath

8.7.1956

 

Lieber Herr Traeger,

 

 

Herrn Walker hatte ich zu unserer Sitzung am 6.7.54 eingeladen. Ich habe darueber nachgedacht, weshalb er wohl nicht gekommen sein mag und auch auf meine diversen Briefe nicht reagiert hat. Einer der Gruende duerfte folgender sein:

      Die modernen OEkonomisten - - ausgenommen vielleicht nur Rittershausen - - sind der Meinung, dass es doch ganz gleichgueltig sei, ob die Preise infolge von Geldvermehrung steigen oder infolge von Warenmangel. Die Meinung des Volkes ist von jeher die gleiche gewesen, weil das Volk ja den Begriff "Geldvermehrung'" nicht kennt. (Welcher Arbeiter oder Geschaeftsmann hat in der Zeit von 1914 bis 1923 je den Reichsbankausweis angesehen und sich fuer den Betrag der ausgegebenen Noten interessiert!!! Ich bin ueberzeugt, dass nicht einmal Minister (mit  wenigen Ausnahmen), Abgeordnete und hoehere Beamte das getan haben. Die Ausnahmen haben wohl kaum 1% der in Frage kommenden ausgemacht.)

      Frueher habe ich versucht, einigen meiner Bekannten den Unterschied zwischen einer auf Geldvermehrung beruhenden Inflation und einer auf Warenmangel beruhenden Preissteigerung beizubringen. Die Antwort war immer: Sehnse - - wir sind Praktiker! Und das muessen Sie doch zugeben, fuer die Hausfrau ist es doch gleichgueltig, ob sie weniger kaufen kann, weil die Menge des Geldes vermehrt wird, oder weil weniger Waren am Markte sind!!! (Hae, hae, hae!!!) Geben Sie's zu!!! Und dann fuhren die Anhaenger Gesell's fort: also nennen wir doch der Einfachheit halber beides Inflation! Und wenn wir nicht nur eine stabile Waehrung verlangen, sondern ausserdem ein stabiles Preisniveau, so schlagen wir doch zwei Fliegen mit einer Klappe. Wir schuetzen die Hausfrau vor Preiserhoehungen durch Geldvermehrung und vor Preiserhoehung durch Warenmangel. Und nachdem wir mal erst zu diesem, rein praktischen Standpunkt gelangt sind, ist fuer uns Waehrung und Preisniveau ein und dasselbe!

 

Die Widerlegung ist ja einfach fuer Leute, die bereit sind, zuzuhoeren.

1.) Die "Hausfrau" ist ja nicht nur die Hausfrau des staedtischen Arbeitnehmers, des Pensionaers, etc., auch Bauern, Handwerker, Kaufleute haben Hausfrauen, und deren Haushaltungsgeld erhoeht sich, wenn der Ehemann hoehere Preise nimmt. (Erhoeht sich nicht von selbst - - natuerlich - - aber, nach einer kleinen haeuslichen Scene erhoeht sich’s.)

 

2.) Wenn die Preiserhoehung durch Geldvermehrung bewirkt wurde, dann gehen die Preise fast niemals wieder auf den Stand zurueck, den sie vor der Geldvermehrung hatten. Zwar berichtet die Weltgeschichte von einigen Faellen, in denen die Regierung das waehrend der Inflation ausgegebene Geld (Papiergeld) wieder einzog. Das wichtigste Beispiel ist das Englands nach den Napoleonischen Kriegen. Es geschah das, was immer bei Deflationen geschieht: Es musste Militaer zuhalten. Wie dicht England damals vor einer sozialen und einer politischen Revolution stand, ist in manchen Geschichtswerken dargelegt und besonders gut in Beer, "History of British Socialism". Wenn die alte Waehrung wieder hergestellt wird, so geschieht es fast immer durch Denomination, d.h. die Regierung erklaert: Kuenftig gelten so und so viel Papiereinheiten gleich einer alten Goldeinheit. So wurde es ja auch in Deutschland gemacht, wo zuletzt eine Billion Papiermark einer Goldmark gleichgesetzt wurde.

Anders, wenn die Preise durch Warenmangel erhoeht waren. Sowie der Warenmangel aufhoert. gehen die Preise zurueck ohne alle Mitwirkung der Regierung.

 

3.) Die Anhaenger der Preisindexwaehrung stellen sich die Verminderung der Geldmenge als ebenso einfach vor wie die Vermehrung. Der Unterschied ist aber der gleiche wie: Eine Last von vielen Zentnern einen Berg herunterrollen zu lassen, oder die Last wieder hinaufzuschaffen. Der Gedanke bewirkt das eine ebenso leicht wie das andere. Leute, die noch nie dabei gewesen sind, wenn einem Betrieb ploetzlich die Zahlungsmittel entzogen werden, die meinen, es handele sich um eine Art Buchungsvorgang. Sollposten werden ins Haben uebertragen. Das kostet ja keine Muehe!

 

4.) Der Hinweis, dass Preisrueckgaenge infolge von zunehmendem Angebot von Ware beim gegenwaertigen, kapitalistischen System fast so wirken wie eine  Deflation (nicht immer, aber oft), geht fehlt. Warum? Er trifft nur beim gegenwaertigen System zu.

a.) Bei sinkenden Preisen behalten doch die Arbeiter zunaechst mal ihre Ansprueche auf hoeheren Lohn, gleichgueltig ob der Betrieb die alten Loehne bei sinkenden Preisen herauswirtschaften kann oder nicht. Folge: Der Arbeitgeber muss schleunigst den Betrieb schliessen und die Arbeiter aufs Pflaster setzen. Waere der Betrieb produktivgenossenschaftlich organisiert, so verminderten sich die Arbeitsentgelte zwar entsprechend den sinkenden Preisen, aber eine Notwendigkeit, den Betrieb stillzulegen, bestaende nicht.

b.) Bei sinkenden Preisen kauft allerdings das Publikum nicht sofort, sondern es wartet ab, ob die Preise nicht noch weiter sinken, und erst, wenn sich eine steigende Tendenz bemerkbar macht, wird wieder gekauft. Das ist aber nur deshalb moeglich, weil das gegenwaertig umlaufende Zwangskursgeld ohne Verlust gehortet werden kann. Waere die Laufzeit passend begrenzt, so waere die Hortung unmoeglich. Die von Gesell vorgesehene "Umlaufssicherung" von 1 o/oo  woechentlich macht auf die Geldbesitzer keinen Eindruck, wenn sie durch "Zuwarten" bei sinkenden Preisen einen groesseren Vorteil haben als den kleinen Verlust von l o/oo woechentlich.

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      Das alles sind Gedankengaenge, die von fast allen Gesellianern (und nicht nur von denen) als "theoretischer Quatsch" abgelehnt werden. Tatsaechlich: In Volksversammlungen kann man die Argumente nicht vortragen, weil der Durchschnitts-Teilnehmer nicht bereit ist, solchen - - Mitdenken erfordernden - - Argumenten zuzuhoeren und lieber "Schluss, Schluss!!"  schreit.

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      Wer Preiserhoehung ohne weiteres als einen inflatorischen Vorgang betrachtet, der wird auch die Behauptung nicht gelten lassen, dass man nur bei Zwangswert und Zwangsumlauf des Papiergeldes inflationieren kann, dass aber ein nicht mit Zwangskurs ausgestattetes Zahlungsmittel unweigerlich abgelehnt wird, wenn das Volk dahinter kommt, dass zu viel davon ausgegeben wird. Ohne eine Presse, die darauf hinweist, wird das Volk allerdings so rasch nicht dahinter kommen. Zuletzt begreift das Volk aber auch ohne Presse.

      Wenn Edelmetallmuenzen erlaubt sind, so geschieht bei UEberemissionen von zwangskursfreiem Geld folgendes: Alle Waren erhalten zwei Preise, einen in Edelmetallmuenzen und einen in entwertetem Papier. Solches Papier lehnt aber das Volk ab, wenn es darf, ohne lange zu fragen, warum das Papier entwertet ist. Dadurch wird jeder Versuch, ohne Zwangskurs zu inflationieren, im Keime erstickt.

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      Alles, was ich hier sage, ist uns seit Jahren bekannt. Herrn Walker ist es aber nicht bekannt, sonst wuerde er in seinen Schriften entweder pro oder contra Stellung dazu genommen haben. Weil aber Herrn Walker z.B. nicht bekannt war, dass man ohne Zwangskurs beim schlechtesten Willen nicht inflationieren kann, so musste ihm meine Darlegung als ohne Fundament erscheinen, wonach die Zahlungsmittel seiner Gesellschaft schon deshalb nicht inflatorisch wirken koennten, weil sie keinen Zwangskurs haetten. Mit einem solchen Argument kann Herr Walker nichts anfangen, weil er selbst den Zwangskurs als einen unwichtigen Umstand ansieht.

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      Ich gestehe, dass ich ernstlich damit gerechnet hatte, Herrn Walker fuer unsere Sache zu gewinnen. Ich rechnete sogar damit, dass er eine fuehrende Rolle spielen werde, nachdem er sich mit unserm System genau bekannt gemacht hat. Offenbar habe ich mich geirrt. Schade!

 

Mit bestem Gruss

U.v.Beckerath

gez. Bth.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 3500-3501.