U.v.Beckerath
30.X.1953
Protokoll zur Sitzung am 29.X.1953.
Die Sitzung beginnt um 19 1/2 Uhr. Die Herren Lifka
(vgl. Prog. der Sitzung vom 22. cr.) und Kortmann sind nicht anwesend.
Herr Zube weist auf folgendes hin: Wenn wir
oeffentliche Versammlungen veranstalten, so wird gegen uns zweifellos geltend
gemacht werden, dass die Staatseisenbahnen das von vielen verteidigte Prinzip
der moeglichst weitgehenden Zentralisation rechtfertigen. Die deutschen
Staatsbahnen z.B. fuhren wenigstens ebenso schnell, sicher und billig als die
englischen oder die franzoesischen Bahnen, die in den Haenden von mehreren Privatgesellschaften
waren. Erst recht gilt dies von einer Vergleichung mit andern auslaendischen
Bahnen, z.B. den amerikanischen. Herr Zube bittet um Angabe, welche Argumente
unsere Gesellschaft dem entgegenzusetzen haette. Es wird ihm folgendes
erwidert:
Die deutschen
Bahnen waren nur in geringem Masse zentralisiert, das Wort im gewoehnlichen
Sinne genommen. Es waren zahlreiche Eisenbahndirektionen gebildet, und das
Wesentliche des Betriebes lag in deren Hand. Das Ministeriun griff ein, wenn es
sich z.B. um Vereinheitlichung der Tarife handelte, um die Sicherung der
Anschluesse von Fernzuegen, falls die Direktionen sich darueber nicht einigen
konnten, um die Gewinnung einheitlicher Grundsaetze fuer die Bezahlung der
Eisenbahnbeamten, u. dgl. Solche
Vorteile haetten sich auch durch Anwendung der Hertzka'schen Prinzipien
gewinnen lassen. Der jaehrliche Ueberschuss der Preussisch-Hessischen
Einsenbahngemeinschaft betrug rd. 700 Millionen RM, also ungefaehr so viel wie
die Militaerausgaben Norddeutschlands. Als nachher die Militaerlasten stiegen,
wurden auch die Tarife erhoeht. Hatte das Volk nach den Grundsaetzen Hertzka's
unmittelbaren Einfluss auf das Eisenbahnwesen, d.h. hier: auf die
Eisenbahngenossenschaften nehmen koennen, so haette der Staat wahrscheinlich seine
Militaerausgaben auf andere Weise decken muessen, die mehr aufgefallen waere.
Gerade dadurch aber waere ein Anlass gegeben gewesen, den Pazifismus und seine
Durchsetzung gruendlicher zu eroertern, als es geschehen ist. Die
Gleichgueltigkeit gegenueber dem Pazifismus aber war die wichtigste Ursache der
beiden Weltkriege.
Herr Zube
bittet dann Argumente darzulegen, die man dem Vorwort entgegensetzen koennte:
Die Ladengemeinschaften sind doch auch nur eine Konzession an das
Zentralisierungsprinzip. Die Gesellschaft besteht also - - so wird man vielleicht sagen - - in der
Praxis auf der Anwendung dieses Prinzips, waehrend sie es in der Theorie
ablehnt.
Die
Mitglieder einigen sich auf folgendes: Das Zentralisierungsprinzip, so wie es
in oeffentlichen Versammlungen verstanden wird, schliesst eine sehr weitgehende
Befehlsgewalt der obersten Zentrale ein. Bei Ladengemeinschaften kommt eine
solche Befehlsgewalt nicht in Frage. Auch steht es nach den Grundsaetzen
unserer Gesellschaft jeder Gruppe von Laeden frei, sich neue
Ladengemeinschaften zu schaffen, falls sie mit den bestehenden nicht zufrieden
sind. Eine solche Freiheit widerspricht aber dem Zentralisationsprinzip in der
Form, wie es gewoehnlich verstanden wird. Es ist ja ein Unterschied, ob eine
Zentrale der zu jeder Zeit absetzbare Diener derjenigen ist, welche die
Zentrale geschaffen haben, oder ob die Zentrale der Herr aller derer
ist, die der Zentrale angeschlossen sind, von ihnen nicht absetzbar, wohl aber
befugt, sie abzusetzen.
Herr Zube bittet dann zu
erhoertem, wie viel Arten von Zahlungsmittelfundationen es gibt, und wie man
sich versichern koenne, alle in der Praxis moeglichen Fundationen in einem
aufzustellenden Verzeichnis erfasst zu haben.
Die Ladenfundation sei eine moegliche Fundation. Den Beweis hat
das Eisenbahngeld geliefert, denn rein begrifflich ist die Eisenbahn ein
"Laden", exakter: eine Verkaufsstelle, fuer Befoerderungskilometer.
Eine
weitere Fundation sei das Einloesungsprinzip nach dem bis 1914 bestandenen
Schema in vielen Laendern.
Zander in
seiner Schrift "Ausweg aus dem Waehrungs-Chaos" hat noch einige
Prinzipien, so wie sie ihm in der Literatur begegnet sind, aufgefuehrt, z.B.
das "Vertrauens-Prinzip".
Gegenwaertig
dominiert das Zwangskursprinzip.
Es wird
Herrn Zube folgendes erwidert:
Man muss
unterscheiden zwischen dem richtigen Prinzip und den vielen, moeglichen,
irrigen Prinzipien. Das richtige Fundationsprinzip ist - - ganz allgemein
ausgedrueckt- - die Schuldner-Fundation. Eine Emissionszentrale - - wie z.B.
gerade die von uns angestrebte Ladengemeinschaft - - wird den angeschlossenen
Laeden, Arbeitgebern, Genossenschaften, Handwerkern, Aerzten, etc. einen Betrag
leihen, den diese Schuldner aller Wahrscheinlichkeit nach zurueckzahlen
koennen. Dieser Betrag wird im Allgemeinen die Summe der faelligen Loehne,
Mieten, Handwerker-Rechnungen fuer notwendige Reparaturen und aehnliche,
unvermeidliche Verwaltungskosten nicht ueberschreiten. In den Darlehensvertrag
zwischen Zentrale und Laden (Arbeitgeber, Genossenschaft, etc.) ist die Klausel
aufzunehmen, dass der Schuldner zu jeder Zeit berechtigt ist, Teilzahlungen
vorzunehmen. Ferner ist zu vereinbaren, dass der Schuldner mit einem Zinssatz
belastet wird, der ihn anspornt, die Schuld moeglichst bald zurueckzuzahlen.
Schliesslich ist zu vereinbaren, dass wenn der Schuldner die Schuld nicht
"planmaessig", d.h. wenigstens etwa in 13 Wochenraten, zurueckgezahlt
hat, er der Ladengemeinschaft ueber die Restschuld Eigenwechsel ausstellt, aber
mit einem angemessenen Aufschlag, etwa 30% der Restschuld. Diese Eigenwechsel
haetten Verrechnungswechsel zu sein. Sollten Verrechnungsurkunden nicht als
Wechsel anerkannt werden, so waeren Verrechnungs-Anweisungen auszustellen.
Da die
Ladengemeinschaft eine Genossenschaft ist, so kann sie die vereinnahmten
Zinsen, Darlehens-Zuschlaege etc. nicht behalten; sie muss diese Ertraege - -
abzueglich der eignen Verwaltungskosten - - an die Mitglieder verteilen.
Notwendig ist dabei ein Verteilungsschluessel, der die puenktlichen Zahler
beguenstigt. Dadurch wird der Zins fuer die puenktlichen Zahler in der Praxis
zu Null oder wird gar zu einem Bonus an die puenktlich zurueckzahlenden Laeden.
Die andern Schuldner aber, die saeumig waren und dadurch die Menge der
umlaufenden Gutscheine unnoetig vermehrten, die bleiben mit der Differenz
zwischen Darlehenszins und Genossenschafts-Dividende belastet und das um so
hoeher, je saumseliger sie sind.
Vom
Standpunkt der Ladengemeinschaft aus sind durch dieses Verfahren die Darlehen
zinslos. Vom Standpunkt der puenktlichen Zahler aus sind sie ebenfalls zinslos.
Vom Standpunkt der saeumigen Rueckzahler aus aber sind die Darlehen
zinspflichtig, und unter Unstaenden hoch.
Alle
moeglichen, richtigen Systeme lassen sich unter dieses Schema bringen. Sogar
die Kantinen der suedamerikanischen Bergwerke, in denen die Lohnzahlungsschecks
der Bergarbeiter in Gegenstaende taeglichen Bedarfs eingeloest werden, diese
Kantinen funktionieren genau wie die Ladengemeinschaften, wenn auch unter
voellig anderen Rechtsformen. Die baldige, notwendige Rueckzahlung wird ersetzt
durch den Vermerk auf dem Gutschein, dass nach Ablauf einer gewissen Frist die
Kantine die Gutscheine nicht mehr einzuloesen braucht. Der hohe Zins wird
ersetzt durch die Ausgaben des Bergwerks, entstehend durch seine Bemuehungen
die umlaufenden Gutscheine wieder einzuziehen, denn viele Gutscheine im
Verkehr, von denen es aber ungewiss ist, ob die Kantine sie in Waren einloesen
wird, erwecken Misstrauen und Unzufriedenheit. Desgleichen nicht aufkommen zu
lassen, hat das Bergwerk aber ein grosses Interesse.
Zweckmaessig
waere es, die angemessenste Rechtsform auch in die Erscheinung treten zu
lassen. Das koennte geschehen, indem die Kantine die Rechtsform eines den
Arbeitnehmern gehoerigen Konsumvereins erhaelt. Der Konsumverein gliedert sich
eine Emissionsabteilung an, und die leiht dem Bergwerk die Gutscheine gegen
Zins. Der Konsumverein wird bestaendig von einer Kontrollkommission ueberwacht,
deren Majoritaet aus Arbeitern besteht. Die Kommission ueberwacht auch die
Emissionsabteilung. Nach kurzer Zeit werden die Mitglieder der
Kontrollkommission einen vollen Einblick in das Funktionieren des Systems
gewonnen haben.
Systeme,
die "richtig" sind, aber nicht unter das System der
Schuldnerfundation fallen, gibt es nicht. Auch die scheinbar so ganz anders
aufgebaute "Steuerfundation" ist durchaus eine Schuldnerfundation.
Schuldner sind die Steuerzahler. Die Steuerzahler haben ein Interesse daran,
die Gutscheine des Fiskus in ihrem Zahlungsverkehr anzunehmen und sie
moeglichst rasch dem Fiskus zuzuleiten, indem sie ihre Steuern damit bezahlen.
Die
Anzahl der unrichtig konstruierten Systeme ist fast so gross als die Anzahl der
moeglichen Irrtuemer ueber die eigentliche Natur der Zahlungsmittel. Aus
folgendem duerfte sich ergeben, dass beim gegenwaertigen Stand der Wissenschaft
die Gesamtanzahl der Fundationen nicht festzustellen ist.
Vor etwa
100 Jahren gab Spanien ein neues Papiergeld aus. Um nach Moeglichkeit zu
verhindern, dass dieses Papiergeld sich nicht entwertete, wurden zwei
Massnahmen ergriffen:
1.) Die
Scheine wurden in Gegenwart von Zeugen auf silbernen Platten gedruckt, um sie
dem Silbergeld moeglichst aehnlich zu machen.
Das Druckverfahren wurde oeffentlich bekannt gemacht.
2.) Die
Platten wurden vor dem Druck von einem hohen Geistlichen geweiht.
Tatsaechlich entwerteten sich die Scheine nicht, so dass die Praxis die
hier gewaehlte Fundation zu rechtfertigen schien. (Lorenz von Stein sagt: Die Steuerfundation -
- die hier der Geistlichkeit zu Hilfe kam - - funktioniert immer, so lange die Summe des Papiergeldes
etwa 1/4 oder 1/3 der Staatseinnahmen
nicht ueberschreitet.)
Es wird dann noch im Besonderen die Frage eroertert,
ob das Vertrauen eine Fundation sein koenne. Es wird darauf hingewiesen,
dass fast alle Geldtheoretiker das Vertrauen fuer unerlaesslich halten. Es wird
ferner darauf hingewiesen, dass zur Zeit das Vertrauen in die westdeutsche
Waehrung steigt, und dass die Zeitungen gerade dieses Vertrauen als eine
wesentliche Ursache des relativ hohen Kurses der Westmark an allen Boersen
erklaeren. Bei dieser Eroerterung wird aber darauf hingewiesen, dass die Teilzahlung
in sehr vielen Branchen (sogar Weihnachtsgaense kann man auf Teilzahlung
kaufen) einen nie vorher beobachteten Umfang angenommen hat. Der
"Tagesspiegel" erklaerte in einem vor einigen Wochen erschienenen
Aufsatz (Hafferberg lebte noch) die Teilzahlung als ein "negatives Sparen".
Das Volk hat zwei Inflationen erlebt und die Abwertung der Westmark von 30
$-Cents auf 23 $-Cents. Die Volksmentalitaet ist jetzt: An der naechsten
Geldentwertung wollen wir verdienen, nicht verlieren. In dieser
Mentalitaet kommt aber eigentlich kein Vertrauen zum Ausdruck, das Wort im
ueblichen Sinne genommen, mag auch fuer die naechsten Wochen keine
Geldverschlechterung erwartet werden.
…
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First published in: Ulrich von
Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe,
Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Page 2642-2643.