BERLINER GESELLSCHAFT VON 1952 ZUR BEKAEMPFUNG DER URSACHEN DER ARBEITSLOSIGKEIT

 

18.8.1953.

 

Protokoll zur Sitzung am 17. August 1953.

 

      Die Sitzung beginnt um 20 Uhr und findet in der Wohnung von Herrn Kortmann statt. Es sind alle Mitglieder anwesend. Als Gast ist anwesend Herr Zube.

 

      Im Anschluss an die Zeitungsberichte ueber die Verhandlungen der vier Besatzungsmaechte ueber die Zukunft der Ostzone wird an die vor einiger Zeit geschehene Aeusserung des Senators Klingelhoefer erinnerte dass die Arbeitsbeschaffung fuer die Ostzone das bei weitem schwierigste Problem fuer den Westen sei. Klingelhoefer hob s.Zt. hervor, dass die von der Ostzone an Russland zu leistenden Reparationen auch eine weitgehende Arbeitsbeschaffung fuer die Ostzone darstellten. Der Westen muesse rechtzeitig fuer Ersatz sorgen.

 

      Die Anwesenden erkennen an, dass der Senator die allgemeine Meinung der Wirtschafter und der Politiker ausgesprochen hat, stellen aber fest, dass

 

1.) die Arbeit nicht Selbstzweck ist, sondern vernuenftigerweise den Zweck hat den Bedarf der Arbeitenden, ihrer Angehoerigen, etc. zu befriedigen,

2.) eine Arbeit, die nicht diesem Zweck dient, ebenso gut unterbleiben koennte, ohne dass die Lebenshaltung des Volkes verschlechtert wird, und noch der Vorteil gewonnen wird, dass der Einzelne freie Zeit gewinnt,

3.) eine Wirtschaftsauffassung schon dadurch als irrig gekennzeichnet ist, dass sie in Arbeiten fuer Reparationen einen Vorteil fuer die Arbeitenden zu erkennen glaubt, dessen Wegfall Probleme schafft.

 

      Die Anwesenden geben ihrer Meinung Ausdruck, dass die Arbeitsbeschaffung fuer die Ostzone nur durch das Programm unserer Gesellschaft geschehen kann. Dieses Programm sagt aus,

 

I.) dass der eigne Bedarf der Arbeitenden, ihrer Angehoerigen, etc. eine praktisch unerschoepfliche Quelle der Arbeitsbeschaffung ist,

II.) dass sich eine Vollbeschaeftigung ergeben muss, wenn es gelingt, diesen Bedarf in Nachfrage zu transformieren. Der Begriff "Nachfrage" ist dabei im handelsueblichen Sinne zu nehmen, d.h.: sie ist von einem Angebot von brauchbaren Zahlungsmitteln begleitet,

III.) dass typisierte Verrechnungsanweisungen, die der Arbeitende auch als Zahlungsmittel gegen sich selbst gelten laesst, ein brauchbares Zahlungsmittel im Sinne von II.) sind;

IV.) dass der freie Verkehr unfehlbar die vom Arbeitenden in Zahlung gegebenen Verrechnungsanweisungen zum Arbeitenden zurueckfuehrt, dadurch noch dessen Arbeit eine Nachfrage in handelsueblicher Form moeglich macht, und so fuer jeden Menschen eine Vollbeschaeftigung bewirkt, wenn er nicht gerade Turmspitzenvergolder ist oder Schlangenbaendiger,

V.) dass ein freier Verkehr mit Verrechnungsanweisungen auch alle Probleme des Aussenhandels loest, falls nicht etwa unwissende und im wirtschaftlichen Denken ungeuebte Regierungen es verbieten oder erschweren.

 

      Die Eroerterung ueber die Transformation von Bedarf in Nochfrage fuehrt weiterhin zur Aufstellung folgender Grundsaetze, denen alle Anwesenden zustimmen:

 

Einige Grundsaetze fuer Zahlungsmittel im allgemeinen und Verrechnungsanweisungen im besonderen.

 

1.) Behoerdliche Anordnungen vermoegen Zahlungsmitteln keinen Wert zu verleihen. Wenn ein den Zahlungsmitteln aufgezwungener Wert und ihr Verkehrswert gleich sind, so ist dies nur dadurch moeglich, dass die Zahlungsmittel im freien Verkehr ebenso bequem verwendbar sind, wie es frueher die Goldmuenzen waren. Bei einem solchen Verkehrswert aber ist es ueberfluessig, den Zahlungsmitteln ausserdem noch Zwangswert zu verleihen.

 

2.) Voraussetzung fuer die bequeme Verwertbarkeit ist die voellig freie Uebertragbarkeit von jedermann an jedermann.

 

3.) Verrechnungsanweisungen, wie unsere Gesellschaft sie vorgeschlagen hat, muessen auf einen Sachwert lauten, z.B. "Gramm Gold" (Es scheint, dass das Gold das kleinste, bis jetzt aufgefundene, monetaere Uebel ist), damit jeder Arbeiter taeglich und stuendlich nachpruefen kann, ob z.B. das papierne "Gramm Gold" am allgemeinen Markt ebenso viel gilt wie ein wirkliches Gramm Gold, und damit er in der Oeffentlichkeit Aufklaerung fordern kann, wenn er findet, dass es nicht der Fall ist.

      Ueberwachung des Wertes der Zahlungsmittel unmittelbar durch das Volk und durch jeden Einzelnen ist noch den Grundsaetzen unserer Gesellschaft erforderlich, insbesondere auch, weil die Ueberwachung durch die Behoerden sich als unwirksam und als nicht zweckdienlich erwiesen hat.

 

4.) Die zeitliche Begrenzung der Gueltigkeit eines Zahlungsmittels, das durch zur Einloesung bereit gehaltene Sachwerte, vor allem Gegenstaende taeglichen Bedarfs, und bereit gehaltene Dienstleistungen gedeckt ist, ist notwendig. Der Gefahr, dass bereit gehaltene Einloesungswerte waehrend der Einloesungsbereitschaft unbrauchbar werden, muss Rechnung getragen werden. Nur sehr ausnahmsweise wird die Frist ein Jahr uebersteigen muessen; meistens werden ein paar Wochen ausreichen. (Milhaud's Meinung, die wohlbegruendet scheint.)

 

5.) Das Grundschema einer Verrechnungsanweisung kenn etwa durch folgenden Text dargestellt werden:

"Wenn mir die gegenwaertige Verrechnungsanweisung als Zahlungsmittel praesentiert wird, so werde ich dem Inhaber in der Zeit vom ..... bis zum ....... Sachwerte oder Dienstleistungen verkaufen und zwar zu keinen unguenstigeren Bedingungen als wenn mir der Nennwert dieser Verrechnungsanweisung in Goldmuenzen gezahlt wuerde, e.h. also die Verrechnungsanweisung mit

 

(Goldwert)

 

anzurechnen. Ebenso werde ich auch diese Verrechnungsanweisung in Zahlung nehmen, wenn damit faellige Schulden an mich bezahlt werden.

Sollte ich bei Praesentation dieser Verrechnungsanweisung weder Sachwerte noch Dienstleistungen abgabebereit haben, oder sollte die Moeglichkeit, faellige Schulden an mich zu bezahlen, nicht bestehen, und sollte es mir auch nicht moeglich sein, binnen 24 Stunden eine Verwertungsmoeglichkeit fuer die praesentierte Verrechnungsanweisung zu schaffen, so hat der Inhaber einen Anspruch auf Auszahlung von Bargeld entsprechend dem Nennwert dieser Verrechnungsanweisung.

Wird die Verrechnungsanweisung an einem andern Tage als an einem Tage innerhalb des oben bezeichneten Zeitraumes praesentiert, so bin ich berechtigt, die sich aus der Anweisung ergebenden Anspruche als noch nicht faellig oder gegebenenfalls als verfallen anzusehen. Verhandlungen ueber irgendeine Leistung meinerseits gegen Verwendung der Anweisung als Zahlungsmittel gegen mich sollen nicht ausgeschlossen sein. Nummer. Bestaetigung eines Treuhaenders ueber den Gesamtbetrag der bis zum Ausstellungstag ausgegebenen Verrechnungsanweisungen.

Datum. Adresse des Ausstellers. Hoechstbetrag an Verrechnungsanweisungen, den der Aussteller bis zum ...... ausgeben wird.

 

6.) Eine moeglichst weitgehende Typisierung der Verrechnungsanweisungen sollte durchgefuehrt werden. Die Betraege koennten etwa 500 Goldmark oder 1000 Goldmark fuer den Grosshandel ausmachen. Fuer den Ladenverkehr sollten die Verrechnungsanweisungen wie Geld gestueckelt sein.

 

7.) Ist ein Einzelner den Teilnehmern am freien Verkehr nicht bekannt genug, so dass er auf Annahme der von ihm ausgestellten Verrechnungsanweisungen nicht rechnen kann, so vereinigt er sich mit Gleichgestellten zu einer Zahlungsgemeinschaft, oder aber er tauscht bei bestehenden Zahlungsgemeinschaften, die eingefuehrt sind, seine eignen Verrechnungsanweisungen gegen deren Verrechnungsanweisungen um und verpflichtet sich, bei Praesentation der Verrechnungsanweisungen der Zahlungsgemeinschaft (z.B. bei der Lohnzahlung, wenn er Lohnempfaenger ist) diese wie Bargeld anzunehmen und ferner seine eignen Verrechnungsanweisungen von der Zahlungsgemeinschaft zurueckzukaufen.

Die Zahlungsgemeinschaften werden in erster Linie Ladengemeinschaften sein, und die Einzelnen, die sich ihrer bedienen, werden die Kaeuferkunden der Ladengemeinschaften sein.

Auch soll die Gruendung von Spezialbanken beguenstigt werden (z.B. durch Befreiung von allen Steuern), die sich der Rueckleitung von im Verkehr befindlichen Verrechnungsanweisungen zu den Ausstellern widmen.

Die Einfachheit und die Durchsichtigkeit dieser Vorgaenge wird bei der gegenwaertigen Ausbildung der Umgangssprache dadurch beeintraechtigt, dass die Umgangssprache nicht fuer alle Vorgaenge passende Ausdruecke besitzt. Die Sprache der Wissenschaft aber besitzt sie, und Aufgabe der Reformer muss es sein, die wissenschaftlichen Ausdrucksformen volkstuemlich zu machen.

 

8.) Betriebe werden sich Lohngelder dadurch verschaffen, dass sie bei Ladengemeinschaften deren wie Geld gestueckelte Verrechnungsanweisungen entleihen und dafuer den Ladengemeinschaften die Vorauszahlungsverpflichtungen der Besteller verpfaenden.

 

9.) Grundsatz muss sein: Der Verkehr soll nicht etwa gezwungen werden, sich ausschliesslich mit Verrechnungsanweisungen "kleiner Leute" oder als klein anzusehender Ladengemeinschaffen zu helfen. Es darf nicht uebersehen werden, dass Muenzen oder typisierte, kleine Edelmetall-Barren einen grossen Teil des Zahlungsmittel Verkehrs vermitteln werden, soweit das Ladengeschaeft in Frage kommt. Auch werden Verrechnungsscheine der obersten Behoerden (in Berlin z.B. des Senats) einen grossen Teil des Verkehrs vermitteln. Rechnet man auf jeden Einwohner West-Berlins einen notwendigen Betrag an typisierten Zahlungsmitteln von 300 DM, so ergaebe sich ein Gesamtbetrag von 600 Millionen DM, d.h. etwa eine halbe Jahreseinnahme des Senats. Das koennte insofern als normal angesehen werden, als z.B. zur Zeit Bruenings der umlaufende Papiergeldbetrag ebenfalls rd. der halbe Jahresbetrag der Einnahmen der oeffentlichen Hand war.

Nicht zu vergessen ist auch, dass die Verkehrsunternehmen einen grossen Betrag ausgeben koennen, der keine andere "Deckung" hat, als dass die Verkehrsunternehmungen ihre Anweisungen beim Verkauf von Fahrkarten und von Frachten wie bares Geld annehmen, aehnlich wie auch der Senat sich darauf beschraenken kann, die von ihm emittierten Scheine bei Steuerzahlungen wie bares Geld anzunehmen.

      Es muss aber Vorsorge getroffen werden, dass der Verkehr sich im Falle einer Geldkrise sofort (d.h. binnen einer Stunde) selbst helfen kann, so dass auch in dem Falle das Wirtschaftsleben ungestoert weiter geht, wenn saemtliche Zahlungsmittel der vorgenannten Art ploetzlich gehortet werden. Damit dies geschehen kann, ist es zweckmaessig, die Zahlungsgemeinschaften auch in Zeiten normalen Wirtschaftsablaufs in Gang zu halten, damit sie bei Stoerungen sofort funktionsfaehig sind und nur erweitert zu werden brauchen. Man heizt ja auch die Kessel eines Schiffes, das jeden Augenblick den Befehl zum Auslaufen bekommen kann, nicht erst dann an, wenn der Befehl eintrifft.

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Das Wesen der von uns angestrebten Reform kann man auch so ausdruecken:

 

Die Privilegien, die bisher nur der Grosshandel besass, und durch die er sich weitgehend vom staatlichen Geld emanzipiert hatte, so dass er fast alle seine Umsaetze durch Verrechnung bezahlte, diese Privilegien sollen nun auch den Arbeitern und aendern "kleinen Leuten" zugaengig sein.

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Die Sitzung wird um  1/2 1 Uhr morgens geschlossen.

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Der Schriftfuehrer

U.v. Beckerath.

gez. Bth.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 2546-2548.