U.v.Beckerath
21.12.1952.
Lieber Herr Quilitz,
lassen Sie mich kurz das
Endergebnis unserer Besprechung am 19. cr. wiederholen:
die gesamte, aeltere Literatur
ueber das Geldwesen setzt folgende Irrtuemer als Wahrheiten. und zwar als
Selbstverstaendlichkeiten voraus:
1.) Bei "richtigem"
Verhalten der an der Geldwirtschaft Beteiligten steht immer genuegend viel Geld
zur Verfuegung, so dass kein volkswirtschaftlich notwendiger Umsatz zu
unterbleiben braucht. Wenn zu manchen Zeiten in manchen Sphaeren der Wirtschaft
das Geld fehlt, so liegt ein schuldhaftes Verhalten Einzelner vor, sei es, dass
die Einzelnen oder grosse Gruppen "spekuliert" haben (der Begriff
"Spekulation" bleibt dabei im Dunkel), sei es, dass die Regierung die
ihr anvertraute Volkswirtschaft nicht genuegend vor Geldabfluss
"geschuetzt" hat. (Die uebliche Begruendung der Forderung auf
"Schutzzoelle".)
Sogar ein Denker wie Adam Smith vertritt die Meinung, dass
immer genug Geld im Verkehr sei, und dass die Regierung sich nicht mit dem
Problem zu beschaeftigen brauche, die Wirtschaft liquide zu halten. In dem
Kapitel: "Grundsaetze des Handels- oder Merkantilsystems" sagt er:
(ich schreibe aus der Uebersetzung von Stoepel ab, neu herausgegeben von
Prager):
"...wenn
Geld fehlt, so wird der Tausch an seine Stelle treten, wenn er auch mit grossen
Unbequemlichkeiten verknuepft ist. Kaufen und Verkaufen auf Kredit und
monatliche oder halbjaehrliche Abrechnung der Kaufleute wuerde das Geld schon
leichter ersetzen.
Ein
gut eingerichtetes Papiergeld aber wird seine Stelle nicht nur ohne
Unbequemlichkeit, sondern oft sogar mit Vorteil ersetzen. Die Fuersorge der
Regierung waere daher in keiner Hinsicht so unnuetz angewandt als in der
Ueberwachung der Goldmenge im Lande. Etc."
Die Ausfuehrungen von Adam
Smith entsprechen nicht den Erfahrungen unserer Zeit. A.S. kommt gar nicht auf
den Gedanken, dass auch Papiergeld knapp werden koenne. Dabei lagen auch im
18-ten Jahrhundert genug Erfahrungen vor, aus denen sich ergab, dass sowohl
Zwangskursgeld als zwangskursfreies Papiergeld sehr knapp werden
koennen, so dass z.B. viele Lohnempfaenger nicht in Geld entlohnt werden
koennen.
Noch leichter als Adam Smith macht sich David Hume die Sache.
Hume erklaert - - an sich mit Recht - - dass bei Geldknappheit ja die Preise
sinken, und dass dadurch zuletzt ein Ausgleich herbeigefuehrt werde. Das
stimmt, und wenn die Preissenkung innerhalb weniger Stunden geschaehe, und wenn
ausserdem die Schulden entsprechend der Preissenkung herabgesetzt
wuerde, so waere alles in Ordnung.
Die neuere Wissenschaft ist kaum ueber Adam Smith und David
Hume hinausgelangt, ist daher nicht im Stande, die einfache Frage zu
beantworten: Was macht man bei
Geldknappheit????? Wie kommt man ihr zuvor?????
2.) Die Verrechnung ist
zwar in mancher Hinsicht ein Fortschritt gegenueber dem Barzahlungssystem, sie
ist aber nicht etwa als die Grundform der Zahlung anzusehen, gegenueber welcher
die andern Formen (z.B. Zahlung mit Muenzen, mit Noten u. dgl.) nur ein Ersatz
sind. Eher ist das Umgekehrte der Fall.
Schon vor rd. 100 Jahren da schaetzte der Bankier und
Mathematiker Lubbock, dass in
England nur etwa 1/100 aller Umsaetze in bar bezahlt wurden. In Deutschland
werden z. Zt., wenn man die Boersenumsaetze ausser Betracht laesst, ueber 9/10
aller Umsaetze bargeldlos, d.h. durch Verrechnung bewirkt. (Es waere leicht
nachzurechnen; ich kann hier aber keine Einzelheiten geben.)
Im
Mittelalter war der Anteil der Verrechnung an der Gesamtzahlung vielleicht
groesser als heute. Das entnehme ich Nachrichten bei Roscher ueber den
Zahlungsausgleich auf Messen im Mittelalter (z.B. auf jeder Messe zu Lyon - -
halb jaehrlich - - rd. 25 Millionen Dukaten) und ferner einer Nachricht in
Cantor's "Geschichte der Mathematik", worin Cantor zeigt, dass der eigentliche
Zahlungsausgleich sich bei den Grosskaufleuten vollzog, und auf den Messen nur
Restsalden gecleart wurden. (Cantor bringt eine Photokopie einer Seite eines Hauptbuches
aus dem Mittelalter - - es ist buchhalterisch nichts daran zu verbessern!)
Solche
und andere Tatsachen haetten schon vor vielen Jahrzehnten die Wissenschaft
darueber aufklaeren koennen, dass die Aufrechnung jedenfalls tatsaechlich seit Jahrhunderten die
wichtigste Art des Zahlens ist, und daran haette die Wissenschaft eine
Erwaegung knuepfen sollen, ob sie nicht sozusagen die Normalform des Zahlens
ist. Wuerde die Wissenschaft das getan haben, so haette sich sofort der von
einem Laden ausgegebene, und vom Laden in Waren einloesbare Gutschein als die
Grundform der Verrechnung ergeben, und die Wissenschaft vom Gelde waere dann
einen ganz andern Gang gegangen.
Aus dem Irrtum Nr. 1 hat die Wissenschaft als eine
Selbstverstaendlichkeit gefolgert, dass Glaeubiger jeder Art einen
Anspruch auf Muenze oder Noten haben mussten. Hat man aber die Nr. l als einen
Irrtum erkannt, so ergibt sich fuer die Glaeubiger (Lohnempfaenger
eingeschlossen) ein Rechtsanspruch ganz anderer Art.
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Ich suche bis heute nach einem Autor, der das alles mal ganz
klar und deutlich ausgesprochen hat; bis jetzt habe ich keinen gefunden.
Coquelin, "La banque libre", erkennt immerhin, dass
ein Notenmonopol der Regierung eine Art Geldsklaverei ueber das Volk verhaengt,
insbesondere ueber die Lohnempfaenger. Coquelin besitzt auch die in unserer
Zeit verloren gegangene Einsicht, dass das Emissionsrecht als allgemeines
Volksrecht selbst bei schlimmstem Missbrauch keine Inflation bewirken
kann, allerdings sonst allerlei Uebelstaende bei Missbrauch. Und warum keine
Inflation? Weil man ohne Zwangskurs nicht inflationieren kann, d.h. durch
Zahlungsmittelausgabe die Preise erhoehen kann. Zwangskurs aber kann nur
Regierungsgeld besitzen.
Noch viel tiefere Einsichten als Coquelin besitzt John DeWitt Warner
("The currency famine of 1893", publiziert in den Jahrgaengen 1895
und 1896 der New Yorker Zeitschrift "Sound Currency").
Warner ist ganz frei von dem
Wahn aller aelteren Autoren, Adam Smith nicht ausgenommen, dass alles
Papiergeld on demand zum Nennwert einloesbar sein muesse. John DeWitt Warner
hat auch eine ganz deutliche Einsicht in das, was Rittershausen die Ladenfundation
genannt hat. (Die Ladenfundation zur Schuldnerfundation zu erweitern waere der
- - vorlaeufig - - letzte Schritt.)
Die von den aelteren Universitaetsprofessoren verfassten
Schriften aber sind fuer Wahrheitssucher wie sie unzulaenglich; lassen Sie sie
ungelesen! Der Spezialist und der Historiker allerdings koennen noch allerlei
daraus entnehmen.
Mit
bestem Gruss
Ihr
gez.
U.v.Beckerath.
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First published in: Ulrich von
Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe,
Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Pages 2349-2350.