4.II.1952

U.v. Beckerath,

(1) Berlin-Friedenau,

Schmargendorfer Strasse 21, III.

Amerikanischer Sektor

 

Herrn David,

 

wenn ich in unseren Eroerterungen ueber die Verrechnungswechsel hervorgehoben hatte, dass die Vereinigung vieler, dem Publikum unbekannter Firmen zu Emissionsgemeinschaften notwendig sei, die jeder kennt, und die gleichzeitig Annahmegemeinschaften sein koennen, so glaube ich doch, dass auch der Verrechnungswechsel Einzelner, die keiner Gemeinschaft angeschlossen sind, kuenftig eine wirtschaftliche Rolle spielen wird, vielleicht sogar der kleine Verrechnungswechsel von Arbeitslosen. Ist einmal erst durch die Einfuehrung des Verrechnungswechsels im Aussenhandel ein grosser Teil der Arbeitslosigkeit beseitigt, ist denn noch durch Einfuehrung des Verrechnungswechsels im inlaendischen Grosshandel ein weiterer Teil der Arbeitslosigkeit beseitigt, so spielen die dann noch vorhandenen Arbeitslosen oekonomisch eine andere Rolle als sie vorher spielten; sie werden dann - - wenn sie wirklich arbeitsfaehig sind - - nur als voruebergehend arbeitslos gelten und dadurch in gewissem Ausmass kreditwuerdig sein. Wer aber kreditwuerdig ist, der kann Verrechnungswechsel ausstellen.

 

      Der individuelle Verrechnungswechsel "kleiner" Leute hat bereits auf 2 Gebieten der Wirtschaft eine grosse Rolle gespielt, obwohl er in der Rechtsform eines gewoehnlichen Eigenwechsels erschien:

 

1.) In Frankreich, wo schon seit dem Erlass der sehr guten Wechselordnung Colbert's das ganze Volk mit dem "billet" umzugehen weiss, mit dem Erfolg, dass Frankreich von fast allen groesseren, internationalen Geldkrisen verschont blieb. Der Durchschnitt der umlaufenden Wechsel scheint (nach Proudhon) etwa auf 10 Franks oder weniger gelautet zu haben.

 

2.) In den Kolonien (auch im ehemalig deutschen Ostafrika), wo Schuldscheine ueber kleine Betroege, I owe you" (geradezu zum Substantiv geworden) massenhaft ausgegeben wurden.  In beiden Faellen sorgen kleine Provinzbankiers und Wechselhaendler dafuer, dass die Scheine dem Ausgeber praesentiert werden, wenn er selbst Zahlungen zu bekommen hat. (In der hoechst interessanten und mit bestem, sozialen Verstaendnis geschriebenen Beschreibung der Forschungsreisen von J.W. Helfer i.J. 1836 in Indien durch die Graefin Pauline Nostitz - die mit Helfer verheiratet war - - ist anschaulich beschrieben, wie nie ein Englaender mit Bargeld bezahlt, sondern immer nur mit einer Art Schecks. Eingeborene Bankiers, Sircars, kauften die Schecks auf und sorgten dafuer, dass sie gegenueber dem Ausgeber als Zahlungsmittel verwendet wurden. Ob solche Verhaeltnisse noch in den letzten Jahren der englischen Herrschaft in Indien bestanden, weiss ich nicht.) (Anm. von J.Z. : Ich las von solcher Zahlungsweise in Singapur, kurz bevor es von der Japanischen Armee besetzt wurde.)

 

Bei voellig freier Wirtschaft werden die von einzelnen Personen ausgegebenen, kleinen Verrechnungswechsel von Spezialisten aufgekauft und an die rechte Stelle geleitet werden, sogar die Wechsel von Arbeitslosen. Mag auch dabei zum Schaden der Ausgebenden ein Disagio entstehen, so lange dieses Disagio nicht zu gross ist (ich holte 20% noch fuer tragbar) gleicht die grosse, persoenliche Unabhaengigkeit durch die Ausgabe eigner Verrechnungswechsel den Nachteil durch das Disagio aus. Der ja nie ganz abzuschaffende, oekonomische Zwang, sich monetaer einem Kollektiv anschliessen zu muessen, ist sozial unerwuenscht.

 

Beckerath.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Page 2170.