U.v.Beckerath
25.1.52.
Einige
Saetze aus der von Rittershausen, Milhaud, Zander und aendern vertretenen
Geldtheorie.
1.) Inflation und Teuerung
sind voellig verschiedene Begriffe. Die Inflation kommt ausschliesslich von der
Geldseite her, die Teuerung ausschliesslich von der Gueterseite.
2.) Deflation und Wohlfeilheit
sind voellig verschiedene Begriffe. Die Deflation kommt ausschliesslich von der
Geldseite her, die Wohlfeilheit ausschliesslich von der Gueterseite.
3.) Preissteigerung darf nicht
mit Teuerung verwechselt werden. Die Preissteigerung kann inflatorischer Art
sein, oder sie kann in der Verminderung der Warenangebote im Verhaeltnis zur
Nachfrage ihre Ursache haben; im letzteren Falle ist sie eine Teuerung. Die
Preissteigerung kann auch zum Teil inflatorischer Art sein und zum Teil eine
echte Teuerung.
4.) Preissenkung darf nicht
mit Wohlfeilheit verwechselt werden. Die Preissenkung kann durch Deflation
bewirkt sein, oder sie kann in der Vermehrung des Warenangebots im Verhaeltnis
zur Nachfrage ihre Ursache haben. Im letzteren Falle stellt sie das Eintreten
einer wirklichen Wohlfeilheit dar. Die Preissenkung kann auch zum Teil durch
Deflation bewirkt sein und zum Teil durch wirkliches Wohlfeilerwerden.
5.) Ohne Zwangskurs des Geldes
kann man nicht inflationieren.
6.) Ohne Notenmonopol kann man
nicht deflationieren.
7.) Findet bei freiem Kurs des
Papiergeldes eine Ueberemission statt, so erfaehrt das Papiergeld im Verkehr
einen Abschlag (ein Disagio), so dass z.B. ein Zwanzigmarkstueck mit 21
Papiermark bezahlt wird. Die Warenpreise bleiben aber unveraendert, wenn sie in
Goldeinheiten (z.B. Goldmark) festgesetzt waren.
8.) Wenn im Verkehr typisierte
Zahlungsmittel fehlen (z.B. den Fabriken bei Geldkrisen die Lohnzahlungsgelder)
so helfen sich die Interessenten durch Emission zwangskursfreien Notgeldes und
zwar so lange, bis an keiner Stelle des Verkehrs mehr die benoetigten,
typisierten Zahlungsmittel fehlen, und bis der Verkehr beginnt, sich zu
weigern, das Notgeld zum gleichen Wert wie Metallgeld anzunehmen. Die
Warenpreise bleiben aber unveraendert, wenn sie in Goldeinheiten (Goldmark,
Gramm Feingold, etc.) festgesetzt waren.
9.) Wenn das Papiergeld nicht
einloesbar ist, so genuegt es zur Aufrechterhaltung der Wertgleichheit des
Papiergeldes mit dem Goldgeld, dass Stellen, welche Gegenstaende taeglichen und
allgemeinen Bedarfs verkaufen, das Papiergeld ebenso annehmen wie Goldgeld.
(Fiskus bei Erteilung von Steuerquittungen, Eisenbahn, Post, Laeden, welche der
das Papiergeld ausgebenden Bank verschuldet sind - - etwa aus
Wechseldiskontierungen - - und welchen die Bank die Verpflichtung auferlegt
hat, das Papiergeld ebenso wie Goldgeld anzunehmen, welchen die Bank aber auch
das Recht eingeraeumt hat, ihre Bankschulden mit dem vereinnahmten Papiergeld
noch am Tage der Einnahme zu pari zurueckzahlen zu koennen, gleichgueltig,
welches der Kurs des Papiergeldes ist.)
10.) Wenn das Papiergeld nach
Nr. 9 fundiert ist, so kann es in einem groesseren Kreis umlaufen als unter
denen, die unmittelbar die Fundation in Anspruch nehmen. Hat das Papiergeld die
Steuerfundation, so laeuft es nicht nur unter denen um, die gerade Steuern
bezahlen muessen; hat das Papiergeld die Ladenfundation (ein von Rittershausen
gepraegter Ausdruck), so laeuft es nicht nur unter denen um, welche in den zur
Annahme des Papiergeldes verpflichteten Laeden etwas kaufen wollen. Gibt die
Eisenbahn Papiergeld aus - - 1923 und 1924 in Deutschland fuer mehrere 100
Millionen (Goldmark) - - so laeuft es nicht nur unter denen um, die gerade die
Eisenbahn benutzen wollen. Die Steuerfundation verleiht dem Papiergeld - - wie
Lorenz von Stein anscheinend als erster festgestellt hat - - den Pariwert fuer
einen Betrag wenigstens gleich den Steuereinnahmen auf drei Monate, auch ohne
Zwangskurs.
11.) Uneingeschraenktes
Ablehnungsrecht des Volkes gegenueber angebotenem Papiergeld (vgl. S 2 des
Bismarck'schen Bankgesetzes von 1875, ferner zahlreiche Gesetze der deutschen
Bundesstaaten in den 100 Jahren vor dem Erlass des Bismarck'schen Bankgesetzes)
macht jeden Missbrauch des Emissionsrechtes durch den Fiskus oder seitens der
Privatpersonen unmoeglich.
12.) Inflation ist nach
Vorstehendem ein Zustand im Geldverkehr, bei welchem Papiergeld nur deshalb
uneingeschraenkt und zu einem vorgeschriebenen Wert angenommen wird, weil
Zwangskurs besteht, der das Anrechnen eines Abschlages (Disagios) unmoeglich
macht.
13.) Deflation ist nach
Vorstehendem ein Zustand im Geldverkehr, bei welchem Mangel an typisierten
Zahlungsmitteln besteht (daher z.B. Arbeiter entlassen werden muessen, weil die
Banken keine Lohngelder vorschiessen wollen oder koennen), aber doch keine
typisierten Zahlungsmittel (typisierte Verrechnungsschecks, Gutscheine u.dgl.)
ausgegeben werden duerfen, weil eine bestimmte Stelle das Notenmonopol hat,
z.B. eine Staatsbank.
14.) Zwangskurs ist die
gesetzliche Vorschrift fuer jeden Geldempfaenger, das Papiergeld oder
unterwertig ausgepraegte Muenzen zu einem bestimmten Wert annehmen zu muessen.
Der fuer jeden Geldempfaenger, praktisch also fuer jeden Untertan,
vorgeschriebene Zwangskurs des allgemeinen Umlaufsmittels darf nicht, wie es in
Berlin in den Eroerterungen ueber Ostmark und Westmark geschehen ist,
verwechselt werden mit einem vorgeschriebenen Wechselkurs.
Das Wort "Zwangskurs" ist weit ueber 100 Jahre alt
und immer im hier dargelegten Sinne gebraucht worden, in
Koeniglich-Preussischen Edikten, in Kaiserlich-Oesterreichischen
Bekanntmachungen und von Marx. Ein anderer Gebrauch des Wortes beweist nur
Unkenntnis der volkswirtschaftlichen Terminologie.
Bth.
25.1.52.
Zuvor hatte B. schon im
Grossen und Ganzen denselben Text produziert
aber noch einige der letzten Punkte ausgelassen. In 1977 uebersetzte ich
diesen Text ins Englische und fuegte ihm noch einen kleinen Kommentar bei.
Beide sind auf den folgenden Seiten wiedergegeben. J.Z. 8.11.83.
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First published in: Ulrich von
Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe,
Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Pages 2149-2150.