U.v.Beckerath

16.4.1956.

Ihre Briefe vom

10.,11. & 12.4.56.

 

Lieber Herr Humbert,

 

jedem Lande seine eigne Waehrung ist einer Ihrer Programmpunkte. Finden Sie, dass die Praxis, etwa der letzten 30 Jahre, einen solchen Programmpunkt rechtfertigt?

      Ist Ihnen aus der Weltgeschichte ein Land bekannt, das seine eigne Waehrung gehabt hat? Stets war es doch so, dass eine Gruppe im Lande den Einwohnern ihre Meinung ueber die Waehrung aufzwang. Manchmal bestand die Gruppe sogar nur aus einem Menschen, wie im alten Roemischen Reich, in Frankreich unter Philipp dem Schoenen (vom Volke genannt "der Falschmuenzer") und in den Diktaturen der neueren Zeit. Hatte Argentinien unter Peron eine eigne Waehrung? Die Meinung von 3 oder 4 Halunken, die alle vielfache Millionaere unter dem Peron'schen Waehrungsdespotismus geworden sind, war massgebend. Zurzeit ist die Meinung von ein paar jungen Marine-Offizieren massgebend, die vom Geldwesen nicht mehr verstehen wie irgendein Stiefelputzer am Zentralbahnhof von Buenos. Das Volk wird nicht gefragt, und die meisten haben auch kein Interesse an Waehrungsfragen. Das ist natuerlich der Hauptuebelstand.

      Und Deutschland? Verstand etwa der Reichstag, der das Gesetz vom 1.6.1909 ueber den Annahmezwang von Reichsbanknoten beschloss, aus Waehrungssachverstaendigen? War waehrend der Inflation der Reichsbankpraesident Havenstein sachverstaendig? (Er schrieb Artikel gegen die Inflation, die doch seine eigne Reichsbank machte, und nannte die Inflation "trockenen Bolschewismus"; ich habe selbst die Aufsaetze gelesen.) War Schacht sachverstaendig? Der hatte nur Eines begriffen, naemlich dass man die Notenpresse stilllegen musste. Das war allerdings primaer. War Bruening sachverstaendig? Seine Waehrungspolitik produzierte an 7 Millionen Arbeitslose. Dabei hatte er die besten Absichten. War Hitler sachverstaendig? Waren die auslaendischen Experten sachverstaendig, denen wir das gegenwaertig in Kraft befindliche Waehrungsgesetz verdanken mit seinem Par. 3? Wer sich das alles vergegenwaertigt, kann unmoeglich die Meinung haben, dass Deutschland je eine eigne Waehrung gehabt hat. Folgerung: Jedem Lande Waehrungsfreiheit! Was der Waehrungsdespotismus in fremden Laendern fuer Deutschland bedeuten kann, das hat die deutsche Wirtschaft ja gerade in den beiden letzten Jahren am Beispiel Brasiliens und der Tuerkei erlebt. Hunderte von Millionen Mark sind da "eingefroren".

 

Wiedervereinigung. Waehrungsfreiheit, einschliesslich Aufhebung des Zwangskurses fuer die Westmark und die Ostmark, loest leicht die Probleme, die 1000 Regierungsbeamte, und seien sie noch so intelligent, nicht loesen koennen.

 

Goldmuenzen als Wertmesser. Weswegen waren die frueher so gut als Wertmesser geeignet? Die aelteren Oekonomisten stimmten hierin alle ueberein: Die Goldmuenzwaehrung war eine Arbeitswaehrung! In 5 Goldmuenzen zu je 20 Mark steckte ebensoviel Arbeitsaufwand wie etwa in einem Anzug zu 100 Mark, den man etwa bei Wertheim von der Stange kaufte. Der auf die Produktion von Gold und von Goldmuenzen verwendete Arbeitsaufwand ist leicht an Hand von Gewinn- und Verlustrechnungen der Goldbergwerke nachzupruefen. Die "Financial Times" z.B. veroeffentlichen seit Jahrzehnten die Geschaeftsberichte der suedafrikanischen Goldbergwerke (auch heute noch). Manche neueren Schriftsteller, wie z.B. den Oberfinanzrat Bang habe ich im Verdacht, dass sie gegen das Gold geschrieben haben, ohne je den Geschaeftsbericht eines Goldbergwerkes gelesen zu haben. (Addiert man die Ausgaben eines Goldbergwerkes fuer Loehne, Quecksilber, Cyankali, Kohlen, etc., Steuern und Abgaben, so findet sich, dass die Summe fast genau dem Verkaufswert der produzierten Goldbarren entspricht. Sogar heute, wo das meiste, produzierte Gold zu einem Zwangswert abgeliefert werden muss, ist das naeherungsweise der Fall. Wo es nicht der Fall ist, wie z.B. bei einigen kanadischen Goldbergwerken, da verlangen die Bergwerke von der Regierung einen Zuschuss und kriegen ihn auch.)

Die Meinung der aelteren Oekonomisten, dass es nicht an den Goldmuenzen laege, wenn nach sehr reichlichen Ernten fuer eine Goldmuenze viel Lebensmittel zu haben sind, nach einer Missernte dagegen nur wenig, wird ja von vielen Neueren abgelehnt, unter dem System der Waehrungsfreiheit braucht man sich darueber nicht zu streiten, obwohl es immer nuetzlich ist, darueber zu diskutieren. Wer unter dem System der Waehrungsfreiheit Goldmuenzen als Wertmesser verwenden will, der tut es, und wer es nicht will, der laesst es bleiben. Der Austausch zwischen den Anhaengern der beiden Systeme ist ebenso leicht moeglich, wie etwa vor 1870 der Austausch zwischen Hamburg und London moeglich war. Hamburg hatte seine Mark Banko = Silberwaehrung, London seine Goldmuenzen. Deswegen ist nicht ein Taschenmesser weniger von Birmingham nach Deutschland verladen worden als bei Waehrungsgleichheit verladen worden waere, und nicht ein Pfund Schafwolle weniger von Hamburg nach Manchester.

 

Ausbeutung. Hat die wirklich etwas mit Moral oder Ethik zu tun? Mir scheint, wenn der Markt fuer alle Werte voellig frei ist, so koennen die Ausbeutungs- Beflissenen beim schlechtesten Willen nicht mehr ausbeuten. Wie sollen sie das machen?

Zu einem voellig freien Markt gehoert allerdings, dass die Nachfrage ebenso frei ist wie das Angebot. Nachfrage ist aber nicht identisch mit Bedarf. Nachfrage ist ein mit ...

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Page 2057.