U.v.Beckerath
3.9.1951.
Sehr geehrter Herr Humbert,
daraus, dass sich seit sehr
langer Zeit das Gold als das kleinste, monetaere Uebel bewaehrt hat,
folgt noch nicht, dass die Menschen nicht vielleicht mal durch Nachdenken oder
durch Erfahrung oder durch die wirtschaftliche Entwicklung zu besseren
Geldgrundlagen gefuehrt werden als das Gold ist.
Die Bonitaet des Goldes beruht u.a. darin, dass es wesentlich
ein Arbeitsprodukt ist. Marx schaetzt, dass zu seiner Zeit eine Troy-Unze (31,1
Gramm) Feingold in etwa 10 Tagen produziert werde. Es scheint, dass sogar noch
fuer unsere Zeit diese Schaetzung so einigermassen zutrifft. Wann Russland in
neuester Zeit seine Waehrung ganz offiziell als eine Goldwaehrung proklamiert
hat, so ist das also vom marxistischen Standpunkt aus gar kein Widerspruch.
Goldwaehrung ist Arbeitswaehrung.
Wie die Tatsache zu beurteilen ist, dass die russischen Arbeiter kein
Gold besitzen duerfen, das will ich hier nicht eroertern.
Die Betrachtungen von Marx, die zum Teil noch eingehenderen
frueherer Oekonomisten (Adam Smith) ueber die Arbeit als den Wert bildendes
Element des Goldwertes sind sonderbarerweise fast unbekannt. Daran mag es
liegen, dass auch Sozialisten meistens die Goldwaehrung ablehnen und eine
"reine Arbeitswaehrung" fordern. Wenn die Betr. sich vorher mit Adam
Smith, Marx, etc. auseinandersetzen, so mag die Forderung sehr wohl zu etwas Besserem
fuehren als der Goldwaehrung. Tun sie das nicht, so werden sie allerdings
wahrscheinlich Irrtuemer begehen, die bereits von Adam Smith, Marx, etc.
ueberwunden waren. Jedenfalls sollte jeder Konstrukteur einer Arbeitswaehrung
folgendes wissen:
1.) Kraft, Arbeit und Leistung sind fuer
Techniker ganz verschiedene Begriffe.
2.) Arbeitskraft ist etwas Ruhendes,
z.B. ein ruhendes Gewicht, z.B. Wasser, das nicht in Bewegung ist. Daraus folgt
schon, dass Kraft an sich keinen Wert haben kann, es sei denn einen Wert durch
die Hoffnung, sie werde mal in Bewegung geraten. (Anm. von J.Z. 12.6.83:
Beispiel: Ein faulenzender starker Mann.)
3.) Arbeit ist
das Produkt aus Kraft und Weg. Man nennt die Arbeit, ein Kilogramm einen Meter
hoch zu heben, ein Meterkilogramm. Das mkg ist also die Masseinheit fuer die
Arbeit.
4.) Bei erwarteter Arbeit ist es wichtig zu
wissen, innerhalb welcher Zeit man sie erwarten kann. Als Einheit der Arbeitsleistung
oder des Arbeitseffektes hat man die Meter-Kilogramn-Sekunde gewaehlt. also die Leistung, ein Kilogramm in
einer Sekunde einen Meter hoch zu heben.
Ein Mensch leistet in 8 Stunden unter z. Zt. als normal
geltenden Verhaeltnissen rd. 200 000 Meterkilogramm d.h. arbeitstaeglich. Bei
sportlichen Wettkaempfen leistet er erheblich mehr, ebenso bei militaerischen
Uebungen.
Hieraus ergibt sich schon, dass man nicht ohne weiteres eine
"Arbeitsstunde" als Werteinheit annehmen kann, also z.B. 25 000
Meterkilogramm pro Stunde. Jeder fragt da gleich: "Eines Athleten? Eines
Schneiders von durchschnittlicher Konstitution? Was sonst?"
Die technische Entwicklung kommt da aber dem Menschen entgegen.
Es hat sich gezeigt, dass eine Kilowattstunde genau gleich ist 367 123
Meter-Kilogramm. Wenn daher etwa ein grosses Elektrizitaetswerk 100 Millionen
Menschen mit elektrischer Energie versorgte, so koennte man dessen
Kilowattstunde sehr wohl als Waehrungseinheit annehmen. Vielleicht geschieht
das mal in Zukunft.
Ob die
neue Werteinheit allerdings wertbestaendiger sein wird als die alte, das kann
man bezweifeln.
Angenommen,
das Elektrizitaetswerk geht dazu ueber die Elektrizitaet nicht aus Kohle zu gewinnen, sondern aus Windkraft
(wofuer mehrere Projekte vorliegen), so ist die Produktion von Elektrizitaet
pro Elektrizitaets-Arbeiter sehr viel groesser, d.h. die Kilowattstunde wird
mit erheblich weniger Aufwand erzeugt. Erst recht wird das eintreten, wenn das
Elektrizitaetswerk etwa die Meereswellen verwendet (wie es in Korfu mit
bestem Erfolg versucht worden ist) oder aus der Hoehendifferenz zwischen Ebbe
und Flut, wovon man in der Normandie einen Anfang gemacht hat. Das ergaebe dann
entschieden eine "Kilowattstunden-Inflation", ganz nach Analogie
einer Goldinflation, wie sie z.B. im alten Rom eintrat, als Aemilius Paullus
den Goldschatz der makedonischen Koenige erobert hatte.
Eine
aehnliche Wirkung wuerde eintreten, wenn die Direktion des Elektrizitaetswerkes
die Arbeiter zwingen wuerde, kuenftig um den halben Lohn bei gleicher Leistung
zu arbeiten. Wuerden dagegen die Arbeiter durch einen Streik eine Verdoppelung
des Lohnes erzwingen, so muesste das Elektrizitaetswerk z.B. den Landwirten den
Strompreis in der Weise erhoehen, dass sie doppelt so viel Getreide fuer eine
Kilowattstunde aufwenden wie vorher. Das muesste nach Art einer Deflation
wirken. Schliesslich wuerden die Menschen vielleicht wieder zum frei
gehandelten Gold als Wertgrundlage zurueckkehren, als dem erfahrungsgemaess
kleinsten Uebel.
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Arbeits-Kraft als
Werteinheit ist jedenfalls nicht nur ungeeignet, sie ist unmoeglich. Wer aber
heute versuchen wollte, mit dem Wort Kraft einen aendern Begriff zu
verbinden wie es zur Zeit geschieht, der wuerde damit keinen Erfolg haben.
Gegen den wohlbegruendeten und allgemeinen Sprachgebrauch der Technik waeren
solche Versuche machtlos. Ausdrucksweise und Begriffsbildung der Wissenschaft
der Technik aber fuehren, wie Vorstehendes erkennen laesst, fast von selbst zu
einem brauchbaren Waehrungssystem, von dem nur noch zu pruefen ist, ob es das
beste ist, und allenfalls noch ob gegebenenfalls seine Einfuehrung als eilig
angesehen werden muesste.
Ich selbst bin, wie Sie wissen, der Meinung, dass zur Zeit,
trotz vieler Maengel, das Gold (das frei gehandelte) inner noch das
kleinste, monetaere Uebel ist. Da ich aber nicht moechte, dass andern diese
Meinung aufgezwungen wird, ich auch eine gewisse, wenn auch sehr geringe
Wahrscheinlichkeit zugeben muss, dass sie unrichtig ist, und dass andere es
besser wissen, so fordere ich, dass jeder fuer die von ihm als die beste
angesehene Werteinheit Propaganda machen darf und sie im Verkehr mit seinen
Anhaengern anwenden darf.
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Mit
bestem Gruss
U.v.
Beckerath.
gez.
Bth.
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First published in: Ulrich von
Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe,
Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Pages 1892-1893.