U.v.Beckerath
17.12.1949.
Ihr
Brief vom 14. cr.,
eingegangen
heute.
Lieber Herr Dr. Picard,
gestern Abend kam ein
Bezirks-Direktor einer Versicherungs-Gesellschaft zu mir, den die Direktion der
AEG - - Allgemeine Elektrizitaets-Gesellschaft - - mal Weltfirma gewesen - -
gebeten hatte, ihr Ratschlaege fuer die Pensionsrueckstellungen einer Anzahl
ihrer Angestellten ( etwa 150 ) zu machen. Fragte mich, ob ich ihm dabei helfen
wollte. Das musste ich ablehnen und zwar deshalb, weil bei
Pensionsrueckstellungen die Steuern eine sehr viel groessere Rolle
spielen als saemtliche versicherungs-technische Grundlagen. Ob man die alte
Sterbetafel von Suessmilch anwendet oder eine moderne, einen Zins von 3% oder
einen von 5%. die Invaliditaets-Tafel von Zimmermann mit ihrem nunmehr fast ein
Jahrhundert altem Material oder eine moderne Tafel, mit Beruecksichtigung der
Versicherungsdauer und sonstigen Finessen aufgestellt, das ist fast
gleichgueltig gegenueber den Steuern. Hinzu kommt dann noch das
Waehrungsrisiko, das allerdings in erster Linie die Pensionaere trifft, weniger
den Arbeitgeber. Die ueberwiegende Bedeutung gerade der nicht-mathematischen
Elemente erkannte mein Bekannter dann auch und wird der AEG entsprechend
berichten. Was die Hoehe der Steuern anlangt, so kann man die aus den
Steuergesetzen nicht ohne weiteres entnehmen. Das Wichtigste steht meistens in
irgendwelchen Entscheidungen der Finanzbehoerden, in Gerichts-Entscheidungen.
in Gutachten einer Handelskammer etc., wovon nur derjenige etwas erfaehrt, der
am Orte wohnt und bestaendig mit den Sachen zu tun hat. Hier kaemen hessische
Steuern in Frage und Bundessteuern, und wie die sich auswirken, das kann man
von Berlin aus nicht erkennen.
Die Rueckstellungen in Bundesanleihen, in Stadtanleihen, in
Hypotheken und solchem Kram anzulegen, heisst heute einfach das Geld zum
Fenster hinauswerfen. Ob eine Anlegung in Sachwerten (das kleinere Uebel, aber
immerhin ein Uebel - - ca va sans dire - -) moeglich ist, das muss nun geprueft
werden.
An alles das dachte ich, als ich soeben Ihren Brief las. Dass
Sie jetzt dabei sind, die Bedeutung der Waehrung fuer das
Versicherungswesen so eingehend zu studieren, das hat mich sehr gefreut, und
ich habe so 'ne Ahnung, als ob das der Schweizer Versicherungswirtschaft mal
irgendwie zugute kaeme.
Haben
Sie den Aufsatz von Prof. Riebesell in der "Versicherungswirtschaft"
vom 15.8.1949 ueber das Waehrungsrisiko gelesen? Prof. R. ist der einzige
Fachmann in Deutschland. der sich ernstlich mit dem Waehrungsrisiko
beschaeftigt. Es koennte sein, dass in der Schweiz Sie der einzige sind.
Aber,
nun zu Ihren Fragen :
l.) Ist der Waehrungsverfall
in Laendern wie England nicht darauf zurueckzufuehren, dass diese Laender ueber
ihre Verhaeltnisse leben? d.h.. sie
verbrauchen mehr als sie produzieren? Wenn ja, ist die Austerity-Politik der
englischen Regierung dann nicht gerechtfertigt? Genau so, wie sich eine
Privatperson einschraenken muss, wenn ihr Einkommen abnimmt.
Diese
Frage fuehrt gleich mitten in die moderne Waehrungs-Theorie hinein. Ich
will versuchen, sie zu beantworten.
Die aeltere Waehrungs-Theorie
wuerde gesagt haben: Was hat die Lebenshaltung eines Landes mit seiner Waehrung
zu tun? Kann das Meter dadurch schlechter werden, dass das Gemessene
irgendwie nicht einwandfrei ist, kann das Zeitmass Stunde in Verfall geraten dadurch,
dass die Menschen ihre Stunden schlecht anwenden?
Ist es ein Einwand gegen die
Stabilitaet der Kilowattstunde, wenn die Abnehmer - - wie in Berlin sehr
haeufig - - ihr Kontingent ueberschreiten und dann allerlei Unannehmlichkeiten
haben? Kann die KWSt. ueberhaupt durch irgendeinen Missbrauch gefaehrdet
werden?
Das
hoert sich mal zunaechst ein bisschen bloed an, aber: Ein Herzog von
Wuerttemberg veraenderte - - es war im Mittelalter - tatsaechlich das Raummass,
als ihm gewisse Holzlieferungen unbequem wurden, und behauptete, dass die Wirtschaftslage des Landes das
notwendig mache. Heute wuerde mancher Waehrungs-Theoretiker vielleicht sagen:
Aber, der Herzog hatte ja ganz recht - - der Kubikfuss war eben durch die
Wirtschaft in Verfall geraten! Na - -
der Herzog liess mit sich reden. Als die Holzzehnten der Bauern faellig wurden,
da stellte er nicht nur den alten Kubikfuss (oder wie's damals hiess) wieder
her, sondern vergroesserte ihn noch, und als die Bauern nicht entsprechend
liefern wollten, da schickte er ihnen Soldaten auf den Hals. Die
"Erfordernisse der oeffentlichen Wirtschaft" hatten sich eben wieder
mal geaendert.
Das Zeitmass zu aendern
war fuer manchen Pontifex Maximus nur ein Klax. Wenn ihm die Nase der Konsuln
nicht gefiel, dann veraenderte er die Laenge des Jahres entsprechend,
und die Konsuln - - immer nur auf ein
Jahr gewaehlt - - mussten abtreten. Mal verlaengerte auch der Pontifex Maximus
die Laenge eines Jahres auf etwa 500 Tage (wenn ich's recht behalten habe) und
entsprechend die Amtsdauer der Konsuln. Es galt als ein Beweis der ueberaus
grossen Maessigung Julius Caesars, dass er - - als Pontifex - - freiwillig auf
das Recht verzichtete, die Laenge des Jahres entsprechend "der politischen
Lage" festzusetzen, und einen neuen Kalender einfuehrte. (Anm. von J.Z.,
6.7.83: Einige sehr verbreitete
moderne Beispiele sind die Abkuerzungen der Wahlperioden und die Veraenderungen
der Wahlbezirke durch die jeweiligen Regierungen, wenn immer sie sich davon
einen Vorteil versprechen, und die Australische Regierung scheut auch vor
rueckwirkender Gesetzgebung nicht zurueck!)
Dass
Regierungen, die Raum-Masse und Zeit-Masse entsprechend den "gegebenen
Verhaeltnissen" festsetzen, mit dem Wertmass nicht viel Umstaende
rochen, ist nicht zu verwundern. Haeufige Abwertungen kennzeichnen die ganze
antike und die mittelalterliche Geschichte. Die Masse zu fixieren war ja das
selbstverstaendliche Privileg des Herrschers, warum sollte das Wertmass eine
Ausnahme machen?
Mit
den andern Massen wurden die Regierungen allerdings allmaehlich vorsichtig. Das
Beispiel der Wuerttemberger, die ihren das Masswesen bestaendig
"anpassenden" Herzog zum Teufel jagten, duerfte sehr dazu beigetragen
haben, bei den Regierungen richtige Vorstellungen ueber die Zweckmaessigkeit
stabiler Masse zu verbreiten.
Nebenbei:
Die Einfuehrung der Sommerzeit scheint mir ein Beweis dafuer zu sein, dass die
alte Mentalitaet noch keineswegs verschwunden ist. Allerdings koennten die
Anhaenger der Sommerzeit zugunsten jener alten Mentalitaet anfuehren, dass hier
durch eine Abaenderung am Zeitmass nach allgemeiner Meinung mehr Vorteile als
Nachteile geschaffen worden sind, so dass die Forderung neuerer Theoretiker:
"Politiker - - vergreift euch nicht an den Massen" als nicht
ueberall berechtigt erscheint. (Ich bin fuer Konstanz der Masse auf allen
Gebieten.)
Eroerterungen
ueber das Wertmass sind deswegen schwierig, weil ja der Wert fuer jeden
Menschen etwas anderes ist als fuer alle andern. Ich habe hier in Berlin einen
gar nicht dummen Schriftsteller kennen gelernt, der in einer seiner Schriften
behauptete; In Wirklichkeit gaebe es ueberhaupt keine Werte. "Wert"
sei nur ein Vorurteil der Menschen, aehnlich wie der Donnergott der alten
Religionen, der ja auch scheinbar durch die palpabelsten Tatsachen bewiesen
ist, und doch existiert er nicht. Kennen lernte ich den Mann zur Nazizeit. Er
prophezeite mir die Zerstoerung des Stadtviertels, in dem wir wohnten und
fluechtete nach Koenigsberg. Er kam gerade zurecht, um die Zerstoerung
Koenigsbergs zu erleben. Nachher habe ich nichts mehr von ihm gehoert.
Erst
lange nachher begriff ich, was er eigentlich meinte. Der Mann war
Krypto-Kommunist, und der Kommunismus erklaert:
Der Einzelne hat nicht das Recht, etwas zu bewerten; das ist ein
Privileg der "Gesellschaft", d.h. der Regierung.
Die
mathematische Volkswirtschaftslehre zeigt, dass allen individuellen Bewertungen
etwas Gemeinsames zum Grunde liegt, und die Erfahrung zeigt, dass das Bewerten
dem Menschen so natuerlich ist wie das Atmen. Die Theorie geht dann weiter von
der Tatsache aus, dass fuer einen Robinson eine Wertskala nicht weniger besteht
als fuer einen Grosskaufmann, und fuer zwei Robinsons demonstriert die Theorie
schon, dass wenn sie miteinander in einen Tauschverkehr treten, sie sich
zuletzt auf ein bestimmtes Gut als ein Wertmass einigen, welches dann
das Geld ihres Tauschverkehrs
wird. Die mathematischen Erklaerungen Launhardt's darueber haben mir besonders gut gefallen.
(Dass der Launhardt so ganz vergessen ist!)
Im
Laufe des 19-ten Jahrhunderts hat sich der Wert des Goldes als das fuer
unsere wirtschaftlichen Verhaeltnisse beste Wertmass erwiesen.
Allerdings
haben einige Theoretiker - - der bedeutendste von ihnen Irving Fisher - -
behauptet : Die Erfahrung hat gerade erwiesen, dass das Gold kein gutes
Wertmass ist, denn seine Kaufkraft schwankt ja, und in welchem
betraechtlichen Ausmass, das hat erst die Theorie der Indexzahlen demonstriert.
Die Kaufkraft aber i4 das, was dem Golde eigentlich seinen Wert gibt. Das Ideal
ist eine Geldeinheit von stabiler Kaufkraft.
Hiergegen
haben sich aber mehrere Wissenschaftler von Rang gewendet. Einer von ihnen war Jevons.
Der hat zwar ein paar Jahrzehnte vor Irving Fisher gelebt, aber die Argumente
des Fisher waren ja lange vor ihm bekannt, nur nicht so gut mathematisch
formuliert. Jevons sagt dem Sinne nach:
Leute - - haltet doch den Durchschnittsmenschen nicht fuer so dumm oder
so utopisch! Der will gar kein
Wertmass von konstanter Kaufkraft. Er weiss so gut wie der Bauer, dass der
Arbeitsertrag unmoeglich konstant sein kann und vom Wetter und allerlei
Zufaellen abhaengt. Auch, dass bei knappem Arbeitsertrag, z.B. bei knapper
Ernte, die Preise steigen muessen, das begreift er vollkommen, und wenn man ihm
berichtet, die Regierung habe etwas erfunden, um diese natuerliche Auswirkung
zu beseitigen, dann wird er misstrauisch. Wenn man ihm die Freiheit dazu
einraeumt, dann schliesst er alle Vertraege in Gold ab, bzw. auf der Grundlage
von Goldwert, verlangt Loehne in Goldwert, Preise, Mieten etc. in Goldwert.
Sogar der Arbeitgeber ist geneigt, Goldwert-Loehne zu bewilligen, wenn ihm das
Risiko klar gemacht wird, bei knappen Ernten immer so viel an Lebensmitteln
liefern zu muessen, wie bei reichlichen Ernten. "Das kann mich
pleite machen - - sagt er ganz richtig - - "der politischen Lage"
festzusetzen, und einen neuen Kalender einfuehrte. (Anm. von J.Z., 6.7.83: Einige sehr verbreitete moderne Beispiele
sind die Abkuerzungen der Wahlperioden und die Veraenderungen der Wahlbezirke
durch die jeweiligen Regierungen, wenn immer sie sich davon einen Vorteil
versprechen, und die Australische Regierung scheut auch vor rueckwirkender
Gesetzgebung nicht zurueck!)
Dass
Regierungen, die Raum-Masse und Zeit-Masse entsprechend den "gegebenen
Verhaeltnissen" festsetzen, mit dem Wertmass nicht viel Umstaende
rochen, ist nicht zu verwundern. Haeufige Abwertungen kennzeichnen die ganze
antike und die mittelalterliche Geschichte. Die Masse zu fixieren war ja das
selbstverstaendliche Privileg des Herrschers, warum sollte das Wertmass eine
Ausnahme machen?
Mit
den andern Massen wurden die Regierungen allerdings allmaehlich vorsichtig. Das
Beispiel der Wuerttemberger, die ihren das Masswesen bestaendig
"anpassenden" Herzog zum Teufel jagten, duerfte sehr dazu beigetragen
haben, bei den Regierungen richtige Vorstellungen ueber die Zweckmaessigkeit
stabiler Masse zu verbreiten.
Nebenbei: Die Einfuehrung der
Sommerzeit scheint mir ein Beweis dafuer zu sein, dass die alte Mentalitaet
noch keineswegs verschwunden ist. Allerdings koennten die Anhaenger der
Sommerzeit zugunsten jener alten Mentalitaet anfuehren, dass hier durch eine
Abaenderung am Zeitmass nach allgemeiner Meinung mehr Vorteile als Nachteile
geschaffen worden sind, so dass die Forderung neuerer Theoretiker:
"Politiker - - vergreift euch nicht an den Massen" als nicht
ueberall berechtigt erscheint. (Ich bin fuer Konstanz der Masse auf
allen Gebieten.)
Eroerterungen ueber das Wertmass
sind deswegen schwierig, weil ja der Wert fuer jeden Menschen etwas anderes ist
als fuer alle andern. Ich habe hier in Berlin einen gar nicht dummen
Schriftsteller kennen gelernt, der in einer seiner Schriften behauptete; In
Wirklichkeit gaebe es ueberhaupt keine Werte. "Wert" sei nur ein
Vorurteil der Menschen, aehnlich wie der Donnergott der alten Religionen, der
ja auch scheinbar durch die palpabelsten Tatsachen bewiesen ist, und doch
existiert er nicht. Kennen lernte ich den Mann zur Nazizeit. Er prophezeite mir
die Zerstoerung des Stadtviertels, in dem wir wohnten und fluechtete nach
Koenigsberg. Er kam gerade zurecht, um die Zerstoerung Koenigsbergs zu erleben.
Nachher habe ich nichts mehr von ihm gehoert.
Erst
lange nachher begriff ich, was er eigentlich meinte. Der Mann war
Krypto-Kommunist, und der Kommunismus erklaert:
Der Einzelne hat nicht das Recht, etwas zu bewerten; das ist ein
Privileg der "Gesellschaft", d.h. der Regierung.
Die
mathematische Volkswirtschaftslehre zeigt, dass allen individuellen Bewertungen
etwas Gemeinsames zum Grunde liegt, und die Erfahrung zeigt, dass das Bewerten
dem Menschen so natuerlich ist wie das Atmen. Die Theorie geht dann weiter von
der Tatsache aus, dass fuer einen Robinson eine Wertskala nicht weniger besteht
als fuer einen Grosskaufmann, und fuer zwei Robinsons demonstriert die Theorie
schon, dass wenn sie miteinander in einen Tauschverkehr treten, sie sich
zuletzt auf ein bestimmtes Gut als ein Wertmass einigen, welches dann
das Geld ihres Tauschverkehrs
wird. Die mathematischen Erklaerungen Launhardt's darueber haben mir besonders gut gefallen.
(Dass der Launhardt so ganz vergessen ist!)
Im
Laufe des 19-ten Jahrhunderts hat sich der Wert des Goldes als das fuer
unsere wirtschaftlichen Verhaeltnisse beste Wertmass erwiesen.
Allerdings
haben einige Theoretiker - - der bedeutendste von ihnen Irving Fisher - -
behauptet : Die Erfahrung hat gerade erwiesen, dass das Gold kein gutes
Wertmass ist, denn seine Kaufkraft schwankt ja, und in welchem
betraechtlichen Ausmass, das hat erst die Theorie der Indexzahlen demonstriert.
Die Kaufkraft aber i4 das, was dem Golde eigentlich seinen Wert gibt. Das Ideal
ist eine Geldeinheit von stabiler Kaufkraft.
Hiergegen
haben sich aber mehrere Wissenschaftler von Rang gewendet. Einer von ihnen war Jevons.
Der hat zwar ein paar Jahrzehnte vor Irving Fisher gelebt, aber die Argumente
des Fisher waren ja lange vor ihm bekannt, nur nicht so gut mathematisch
formuliert. Jevons sagt dem Sinne nach:
Leute - - haltet doch den Durchschnittsmenschen nicht fuer so dumm oder
so utopisch! Der will gar kein
Wertmass von konstanter Kaufkraft. Er weiss so gut wie der Bauer, dass der
Arbeitsertrag unmoeglich konstant sein kann und vom Wetter und allerlei
Zufaellen abhaengt. Auch, dass bei knappem Arbeitsertrag, z.B. bei knapper
Ernte, die Preise steigen muessen, das begreift er vollkommen, und wenn man ihm
berichtet, die Regierung habe etwas erfunden, um diese natuerliche Auswirkung
zu beseitigen, dann wird er misstrauisch. Wenn man ihm die Freiheit dazu
einraeumt, dann schliesst er alle Vertraege in Gold ab, bzw. auf der Grundlage
von Goldwert, verlangt Loehne in Goldwert, Preise, Mieten etc. in Goldwert.
Sogar der Arbeitgeber ist geneigt, Goldwert-Loehne zu bewilligen, wenn ihm das
Risiko klar gemacht wird, bei knappen Ernten immer so viel an Lebensmitteln
liefern zu muessen, wie bei reichlichen Ernten. "Das kann mich
pleite machen - - sagt er ganz richtig - - waehrend ein Goldwertlohn mir zwar
unbequem werden kann, mich aber nicht pleite macht. Freilich - - ein
Papiergeldlohn, der bestaendig an Kaufkraft verliert, der ist mir noch
bequemer." (Und gerade den sollst du nicht haben, sagt der verstaendige
Arbeitnehmer, bleiben wir beim ehrlichen Goldwert!) Entsprechendes gilt fuer
das Verhaeltnis zwischen Mieter und Hauswirt, Kaeufer und Ladenbesitzer und
sogar zwischen Staat und Steuerzahler, wenn sie beide ehrlich bleiben wollen.
Laesst man das Gold als das beste Wertmass gelten und fuehrt es
ein, so verliert die Frage: Kann eine Nation durch ein zu gutes Leben die Waehrung
gefaehrden? ihren Sinn.
Nehmen wir einen extremen, nur in der Theorie moeglichen Fall.
Eine Nation isst ihre gesamte Ernte, die auf ein Jahr reichen sollte, in ein
paar Tagen auf. Aus ihren saemtlichen Bedarfsartikeln aber macht die Nation in
ihrem Uebermut ein grosses Feuerwerk und amuesiert sich ein paar Tage lang
recht gut dabei. Eine solche Nation hat bestimmt ueber ihre Verhaeltnisse
gelebt. Was geschieht aber nun mit ihrer Waehrung?
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3.5.1950.
So weit war ich mit dem Brief
gekommen, als mich irgendeine Stoerung zwang, ihn zu unterbrechen. Dann kam
Kaelte - - mein schlimmer Feind - - dann Krankheit, und dann monatelange
Passivitaet. Jetzt geht mir's wieder besser: Gestern 22 Grad im Schatten, heute
immerhin 14. Es heisst jetzt: die paar Wochen bis zum naechsten Winter
ausnutzen. Ich fahre fort:
------
Die Waehrung der Nation bleibt ganz unveraendert,
aehnlich wie Meter, Sekunde und Kilowattstunde bei groesster Verschwendung
derer, die sie anwenden, unveraendert bleiben. Voraussetzung ist nur, dass
irgendein Sachwert als Wertmass zum Grunde liegt. Die Kaufkraft der
Waehrungseinheit allerdings z.B. der Goldstuecke, die wird sich durch die
angenommene Verschwendung sehr geaendert haben.
Lebensmittel werden eine Zeitlang sehr teuer sein, und es kann
sehr wohl sein, dass manche sie gar nicht bezahlen koennen. Die muessen dann
hungern oder gar verhungern. Die Waehrung bleibt aber immer noch
unveraendert, es sei denn, die Regierung nimmt Eingriffe daran vor, bestimmt
etwa, dass anstatt des Goldes jetzt Papiermark Zwangskurs haben soll, oder sie
praegt aus einem Kilo Gold mehr Goldstuecke aus als vorher und befiehlt, dass
die neuen, kleinen Goldstuecke ebensoviel zu gelten haben wie die alten. Es
waere keine gute Politik, ausserdem aber staenden die Massnahmen der Regierung
zu dem, womit sie begruendet werden, nicht im Verhaeltnis von Ursache zu
Wirkung, sondern von Motiv zu Handlung. Das ist ein ganz
gewaltiger und grundsaetzlicher Unterschied.
Knappheit und Teuerung stehen im Verhaeltnis von
Ursache zu Wirkung. Wieso? Bei Knappheit da scheiden diejenigen Verkaeufer aus
dem Markt aus, die ohne die Knappheit billig verkauft haetten. Es scheiden auch
diejenigen Kaeufer aus, die nur niedrige Preise bezahlen wollen oder koennen.
Uebrig bleiben diejenigen Verkaeufer, die zu hohen Preisen verkaufen und diejenigen
Kaeufer, die hohe Preise anlegen koennen und wollen. Der Entschluss der
Einzelnen spielt dabei keine groessere Rolle als beim Atmen der Entschluss dazu
oder beim Stoffwechsel der Entschluss, auf den Lokus zu gehen.
Bei Waehrungsveraenderungen aber da muss sich die Regierung die
Sache ueberlegen, und wenn sie es
sich recht ueberlegt hat, dann muss sie einen Entschluss fassen, muss ihn auch
da, wo ehrlich regiert wird, vor den Untertanen begruenden. Es kann sehr
wohl sein, dass die Regierung die Waehrung laesst, wie sie ist, keine Abwertung
vornimmt, keine Inflation und das Gold als Wertmesser beibehaelt. Die Regierung
bleibt dann bei der alten, bewaehrten Lehre: Bei Knappheit sind hohe Preise das
Beste, am raschesten wirkende und jedenfalls schmerzloseste Mittel um
Produktion und Handel anzuregen, den Status quo wiederherzustellen. Bei
genuegend hohen Preisen, da werden sogar die Vorgaerten in den Grossstaedten
mit Kohlkoepfen bepflanzt, und manche halten sich in ihren Wohnungen Kaninchen,
so viel Unstaende das auch macht. Wie das hilft, das haben ja die
letzten Jahre in Deutschland gezeigt. Lebensmittel sind jetzt - - in Gold
gerechnet
(Hier sind einige Zeilen in
meiner Photokopie abgeschnitten S J.Z. 6.7.83.)
Deutschland hat durch ihren Ernaehrungsminister
Niklas verkuenden lassen, dass (es! J.Z.) sie einen Zollschutz
fuer die West-Deutsche Landwirtschaft erwaege, mit aendern Worten also: eine
Selbstblockade, nachdem wir die Blockade durch den Feind losgeworden sind.
(ueber die Selbst-Blockade Berlins zum "Schutz" gegen die billigen
Preise im Ostsektor hoffe ich noch schreiben zu koennen. Es ist ganz toll. Wo
noch vor einem Jahr Russen standen, um die Ausfuhr aus dem Ostsektor
nach den Westsektoren zu verhindern, da stehen jetzt West-Polizisten, um die Einfuhr
aus dem Osten zu verhindern. Alle Parteien West-Berlins billigen das!)
Die Produktivitaet der westdeutschen Landwirtschaft einschl. der
Gaertnerei hat sich tatsaechlich so
gehoben, dass ...
----------------
First published in: Ulrich von
Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe,
Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 440 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Pages 1421-1423.