U.v.Beckerath

4.2.33.

Gutscheine der Landwirtschaft.

 

(Anmerkung von H. Rittershausen: "Wichtig fuer Bank-Theorie.")

 

      Einigkeit besteht in unserem Gremium darueber, dass Rueckstrom von Zahlungsmitteln besser ist als "Deckung" im herkoemmlichen Sinne des Wortes, ja - dass die Sicherung durch "Deckung" im Wesentlichen auf Einbildung beruht, und dass der Rueckstrom das einzig Richtige ist. Welche Arten des Rueckstromes gibt es, und welche kommen fuer ein Zahlungsmittelinstitut in Frage? Mir scheint, dass es folgende Arten gaebe, die alle fuer ein Zahlungsmittel-Institut wichtig sind,

 

a.) Rueckstrom dadurch, dass ein Verkauf getaetigt wird, der Kaeufer die emittierten Zahlungsmittel anschafft, und der Verkaeufer sie dem Institut aushaendigt. Das Institut hatte die Forderung mit seinen Zahlungsmitteln entweder angekauft oder hatte sie beliehen.

      Man muss sich aber darueber klar sein, dass  das eigentliche Agens der Rueckstroemung die Gewalt des Staates ist, der die Parteien zwingt, ihre Vertraege zu erfuellen.  (Rittershausen untertriebt diese Stelle. Beckerath's folgende Anmerkung laesst mich aber vermuten dass er hier eine Konzession gegenueber der Nazi-Mentalitaet nachte. Z.) (Dass auch Selbsthilfe-Organisationen diese Rolle uebernehmen koennten, kann hier uneroertert bleiben.) Ich moechte das betonen, weil in unserm Kreise die Meinung geaeussert wurde, dass die Landwirtschaft der Exekutivgewalt des Staates fuer nicht absehbare Zeit entzogen ist, und dass daher Verpflichtungen, welche Landwirte eingehen, keine wirtschaftliche Bedeutung haben, z.B. auch nicht die Verpflichtung, Gutscheine bei Verkaeufen wie bares Geld anzunehmen. Vielleicht ist diese Meinung richtig; dann sind aber Landwirte auch als Kunden von Verrechnungsbanken nicht geeignet.

 

b.) Rueckstrom durch Besteuerung. Im Grunde handelt es sich um einen zwangsweisen Verkauf von Steuerquittungen durch den Staat (Unterstreichung von Ri.), also nicht um etwas von  a.) ganz und gar Verschiedenes. Die Bevorschussung von Steuern durch eine Bank, d.h. die Ersetzung von Staatspapiergeld durch Banknoten ist daher auch mehr eine Frage der Zweckmaessigkeit als eine des Prinzips. Lorenz Stein ist z.B. fuer eine Staatsbank. Wir sind aus sehr guten Gruenden, die Stein nicht kennen konnte, fuer Staatspapiergeld.

 

c.) Rueckstrom durch Absatz von Waren oder Dienstleistungen, auf welche grosse Klassen der Bevoelkerung nicht verzichten koennen, ja - deren Erwerbung sie nicht einmal aufschieben koennen. (Unterstreichung von Ri., der hier auch ein Fragezeichen anbrachte.)

      Mit dieser Art von Rueckstrom hat sich unser Gremium bisher noch nicht befasst. Ich haette auch nichts dagegen, wenn diese Art von Rueckstrom noch auf lange Zeit oder gar dauernd aus dem Kreise unserer Betrachtungen ausgeschlossen bleibt; denn Meinungsverschiedenheiten sind dabei unvermeidlich. Das gilt auch fuer die von mir angeregten Gutscheine. Sollte sich darueber nicht schon in der naechsten Sitzung eine Einigung herstellen lassen, so will ich lieber den Vorschlag zurueckziehen.

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      Wir waren alle darueber einig, dass die Gutscheine der Reichsbahn i. J. 1923/24 ein sehr gut fundiertes Zahlungsmittel waren. Ferner: I. J. 1924 machte die F.-Bank einmal Herrn Prof. Dr. Warmbold den Vorschlag, im Industriegebiet grosse Kantinen (oder wie man's nennen will) einzurichten, und moeglichst grosse Arbeitermengen mit diesen Kantinenbons (Warengutscheinen. Wertmarken, oder wie man's nennen will) zu entlohnen. Auch diese Bons waeren ein absolut sicher fundiertes Zahlungsmittel gewesen. Wir beriefen uns s.Zt. auf die Erfahrungen bei Krupp vor 50 Jahren. Diese Erfahrungen waren aber ganz und gar in Vergessenheit geraten. Prof. Warmbold reiste s. Zt. deshalb nach Essen, Herr von Bohlen-Halbach lehnte aber den Vorschlag als "inflatorisch" ab. Auch Schlubsch-Hamburg, den wir fragten, warnte, allerdings hauptsaechlich weil er die groessten Bedenken hatte. Grossindustriellen, die er fuer ueberaus schlechte Zahler hielt, groessere Warenmengen zu liefern.

 

Laesst sich nun das Prinzip, welches einerseits den "Oeser-Bons". ferner den alten Krupp'schen Wertmarken und aehnlichen Einrichtungen zum Grunde lag, auf eine einfache Formel bringen? Vielleicht. Man koennte etwa sagen: Wenn jemand lebensnotwendige Waren oder Dienstleistungen bereit haelt, so kann er auf die betreffenden Waren oder Dienstleistungen hin Gutscheine ausgeben, die ebenso sicher fundiert sind, wie Banknoten.

      Bis zu welcher Grenze kann der Emittent gehen?  Koennen "kleine" Emittenten, die selbst an ihrem Wohnort wenig bekannt sind, dadurch fuer einen groesseren Bezirk emissionsfaehig werden, dass sie sich vereinigen, z.B. durch eine Zentralbank? Zu welchen Bedingungen koennte dies geschehen? Ist neben der Finanzierung von Verkaeufen eine Finanzierung nach Art der Oeser-Bons ueberhaupt notwendig oder doch wenigstens so nuetzlich, dass man sich dafuer einsetzen sollte? Welche Nachteile oder gar Schaeden entstehen, wenn diejenigen, die Gutscheine nach Art der Oeser-Bons ausgeben koennten, es nicht tun oder nicht tun duerfen? Das alles sind Fragen, die in der Theorie der Umlaufsmittel noch nie behandelt worden sind, wenn man nicht den ersten Versuch dazu Durch Andrews vor ca. 100 Jahren in Amerika ausnimmt. (Nur wenn man ihn ausnimmt! J.Z. 26.9.83.)

 

Fuer uns ist aber vor allem eine Frage wichtig, naemlich die Frage: Sind die neuen Bons Lombardgeld?????

Dass die Oeser-Bons - - weniger als 1/10 der damaligen Jahreseinnahme der Reichsbahn - -  kein Lombardgeld gewesen sind, ist gewiss. Dass aber etwa eine Emission von 10 Milliarden schlimmer gewesen waeren als Lombardgeld, ist ebenfalls gewiss. Wo ist die Grenze? Eines erkennt man jedenfalls am Beispiel der Oeser-Bons: Eine einfache Vermehrung der Quantitaet schafft Zahlungsmittel, die von der ersten, geringen, emittierten Menge nicht nur dem Grade, sondern dem Wesen nach ganz verschieden sind. Es ist damit - um ein Gleichnis aus der Physik zu gebrauchen - - aehnlich wie mit der Erwaermung von l kg Eis. Erwaermt man das Eis von - 20° auf -2° so ist der Vorgang ein einigermassen kontinuierlicher, und das Eis aendert seine Natur waehrend der Erwaermung nicht. Erwaermt man aber das Eis weiter, von -2° auf +2°, so verbraucht dieser Vorgang nicht nur ein Vielfaches der Waermemenge, welche bei der ersten Erwaermung aufgewendet wurde, sondern das Eis veraendert auch seine Natur in betraechtlichem Masse. indem es schmilzt.

Aehnlich ist es, wenn dem Verkehr Gutscheine ueber ein gewisses Mass hinaus zugefuehrt werden.

 

Ich war bisher der Ansicht, dass man einen gewissen Teil der Ernte als so gut wie verkauft ansehen kann, obwohl er unmittelbar nach der Aufstapelung in Scheunen und Schobern in Wirklichkeit noch nicht verkauft ist. Auch haben die international arbeitenden Banken seit vielen Jahrzehnten diese Ansicht gehegt. Die amerikanischen Banken haben z.B. Getreide, das unverkauft in den Silos lag, so angesehen, als wenn es schon verkauft waere, und haben die Lagerscheine ebenso beliehen wie Wechsel. Die Banken haben das vielleicht nicht in Bezug auf die ganze Menge des Getreides getan, aber doch etwa in Bezug auf die erste Haelfte. Die Erfahrung von vielen Jahrzehnten hat den Banken recht gegeben. (Unterstreichung von Ri., der hier auch ein Fragezeichen anbrachte.)

Ich bin nun der Meinung gewesen, dass die Steuern etwa ein Zehntel der landwirtschaftlichen Produktion Deutschlands beanspruchen. Dieses Zehntel habe ich als so gut wie verkauft angesehen, obwohl es in Wirklichkeit unverkauft in den Scheunen oder in den Silos liegt. Ich hatte deshalb kein Bedenken, auf das Zehntel hin die Landwirtschaft Gutscheine emittieren zu lassen. (Die aeussere Form in welcher die Emission geschehen koennte, ist nicht primaer wichtig, wenn auch natuerlich an sich wichtig genug.) Bedenken in Bezug auf die Bereitschaft der Landwirtschaft, ihre Bons als Zahlungsmittel gegen sich gelten zu lassen, hatte ich nicht. Den gegenwaertigen Zahlungsstreik der Landwirtschaft hatte ich weniger als "Bockigkeit" der Landwirte angesehen, wie als einen Zusammenbruch des gegenwaertigen Geldsystems an derjenigen Stelle, die am ehesten in der Lage ist, sich gegen dieses System zu wehren. Die Tatsache, dass in tausenden von Faellen die Landwirte mit ihren Produkten zum Finanzamt gefahren sind, dort ihre Wagen abluden und eine Steuerquittung verlangten, zeigt mir, dass die Landwirte an sich ebenso zahlungswillig sind, wie der uebrige Teil der Bevoelkerung. dass sie aber - - ihnen selbst unbewusst - - "ein anderes System" verlangen. (Anfuehrungsstriche von Ri., auch mit einem "!" versehen. Vielleicht hat ihm diese Stelle den Gedanken zu seinem Titel: "Das Andere System" gegeben. J.Z.)

 

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Lombardgeld waeren die Gutscheine nicht. Was ist Lombardgeld? Lombardgeld ist kein unmoegliches Geld, es ist nur schlechtes Geld. Wieso schlecht?  Das Zahlungsmittel-Institut finanziert dabei die Hoffnung und den Wunsch des Warenbesitzers, seine Ware zu verkaufen. Das Risiko der Bank, dass der Warenbesitzer seine Absatz-Chancen ueberschaetzt, findet in einem hohen Lombardzins seinen Ausdruck. "Klappt" nun alles, so wirkt das Lombardgeld deflatorisch, weil die Lombard-Schuldner ja nicht nur das Darlehen, sondern auch die Zinsen aufbringen muessen; fuer letztere aber werden oft genug die Zahlungsmittel fehlen. "Klappt" die Sache nicht, dann wirkt das Lombardgeld gleich inflatorisch oder bekommt ein betraechtliches Disagio, weil die Ladenfundation fehlt und gleichzeitig der Rueckstrom aussetzt. Das alles trifft aber auf das erste Zehntel der deutschen Ernte nicht zu. (Unterstreichung von Ri., mit dem Zusatz: "Gibt es das?")

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Die Finanznoete der Landwirtschaft sind z. Zt. das, was am meisten die Aufmerksamkeit der Regierung und der Regierungsparteien beschaeftigt. Ich meine, wir sollten da Vorschlaege machen. Wenn die Gutscheine beim Gremium keinen Beifall finden, dann sollten wir etwas anderes vorschlagen. Ich habe auch schon daran gedacht, dass man sagen koennte:

Schafft Staatspapiergeld, zum wenigsten fuer Qstpreussen, und leiht einen Teil des Staatspapiergeldes gewissen Banken, die dann das Staatspapiergeld weiter verleihen. Obwohl die Rechtsform eine ganz und gar verschiedene ist, als bei den Gutscheinen, ist's der Sache nach das Gleichen. (Rittershausen strich den letzten Paragraph dreifach an und vermerkte: "gut!“)

 

Bth.

4.2.33.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Page 589-590.