Zur gegenwaertigen Lage der deutschen Waehrung

 

von Ulrich von Beckerath, 15.9.1924

 

Am 24. September 1914 erliess der Bundesrat folgende Verordnung:

 

 

Par. 1.

 

Die vor dem 31.7.1914 getroffenen Vereinbarungen, nach denen eine Zahlung in Gold zu erfolgen hat, sind bis auf weiteres nicht mehr verbindlich.

 

Par. 2.

 

Diese Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Verkuendigung in Kraft. Den Zeitpunkt des Ausserkrafttretens bestimmt der Reichskanzler.

 

 

Das Gesetz ist eines der kuerzesten, welche waehrend des Krieges erlassen wurden, war aber vielleicht das wirtschaftlich einschneidendste. Die Inflation haette die grosse Vermoegensumschichtung nicht bewirken koennen, wenn das Gesetz der Deutlichkeit halber in Par. 1 noch folgende zwei Saetze enthalten haette: "Die Zahlungen erfolgen in Reichswaehrung, wobei die Menge der aufzuwendenden Zahlungsmittel vom Wertverhaeltnis der Reichswaehrung zum Golde abhaengt. Der Reichskanzler hat das Recht, fuer bestimmte Arten von Schuldvertraegen anstatt des Goldes einen Sachwert oder eine Kombination von Sachwerten vorzuschreiben." - Wie das Oberlandesgericht zu Darmstadt aus der bisher nicht bekannt gewesenen amtlichen Begruendung der Verordnung im vorigen Jahre feststellte, ist die Absicht des Gesetzes ausdruecklich gewesen, den Glaeubiger zu schuetzen und boeswilligen Schuldnern die Ausrede zu nehmen, dass ihnen die vertragsmaessigen Zahlungsmittel fehlten. Ueber die Menge der aufzuwendenden Zahlungsmittel sagt das Gesetz gar nichts, und es lag nur an der Auslegung der Gerichte, dass der Grundsatz: Mark = Mark so lange Zeit als Rechtsgrundsatz gegolten hat. Die mehr oder weniger geschickte Fassung bzw. die richtige Auslegung eines Gesetzes kann also ueber das Schicksal eines Volkes entscheiden.

      Fast genau 10 Jahre nach der oben zitierten Verordnung ist nun wieder ein Grundgesetz ueber die deutsche Waehrung erlassen worden, naemlich das Bankgesetz vom 30. August 1924. Wenn dieses Gesetz von den Gerichten in einem Sinne ausgelegt wird, welcher der richtigen Theorie des Geldes nicht entspricht, dann ist die Gefahr, welche der deutschen Volkswirtschaft von dieser Seite her droht, kaum geringer, als die durch die Inflation, obwohl sie diesmal auf genau der entgegengesetzten Seite liegt, wie vor 10 Jahren.

 

      Ein richtig funktionierendes Geldwesen soll zunaechst einmal die Entstehung zusaetzlicher Kaufkraft verhindern. Es soll also unmoeglich sein, dass der Staat oder irgendjemand anders durch blasses Inverkehrsetzen von Zahlungsmitteln Gueter aus dem Verkehr zieht, ohne dass er gleichwertige Gueter in den Verkehr gesetzt hat. Man muss dabei noch die weitere Forderung stellen, dass die Gueter nicht nur gleichwertig sind, sondern dass schon in der Gegenwart, nicht etwa erst in der Zukunft, Nachfrage danach besteht, und dass der Abnehmer seinerseits kaufkraeftig ist. Wenn diese Vorbedingung erfuellt wird, dann ist eine Inflation ausgeschlossen. Bekannt ist, dass der Grosshandel seine meisten Zahlungen nicht mit Staatsgeld, sondern mit Wechseln bewerkstelligt. Noch niemand hat behauptet, dass hierdurch eine Inflation, d.h. eine Steigerung der Preise bewirkt wuerde, dagegen ist oft dargelegt worden, dass, wenn der Grosshandel sich der Wechsel nicht bedienen duerfte, die dadurch vergroesserte Umstaendlichkeit der Zahlungen eine ganz gewaltige Steigerung aller Preise, mit Ausnahme vielleicht derjenigen fuer Arbeitskraefte zur Folge haben muesste.

      Ein richtig funktionierendes Geldwesen soll die Volkswirtschaft aber ebenso vor Deflation schuetzen. Deflation liegt vor, wenn die einzelnen Teile der Volkswirtschaft ihre vollkommen verkaufsfertigen Waren, nach denen auch eine positive Nachfrage besteht, nicht untereinander austauschen duerfen, weil die Zahlungsmittel zur Vermittlung dieses Austausches fehlen. Da die Grosshaendler untereinander sich immer durch Austausch von Wechseln helfen koennen, so treten die unmittelbaren Wirkungen einer Deflation immer nur in die Erscheinung insofern der Kleinhandel irgendwie beteiligt ist. Um den Kleinhandel mit Zahlungsmitteln zu versorgen, gibt es nun 2 Methoden. Die eine besteht darin, dass man mit Sparkapital Muenzmetall ankauft, dieses ausmuenzt oder Noten darauf ausgibt und denjenigen zur Verfuegung stellt, die mit dem Kleinhandel zu tun haben. Diese Methode ist sehr kostspielig. Die andere Methode besteht darin, dass man Wechsel in so kleinen Betraegen ausstellt, dass sie im Kleinhandel verwendbar sind, und dass man sie unverzinslich macht. Das geschieht am einfachsten dadurch, dass ein Grosshaendler, zu welchem die anderen Vertrauen haben, Wechsel ueber groessere Abschnitte uebernimmt und den Inhabern dafuer erlaubt, unverzinsliche Wechsel in kleineren Abschnitten auf ihn zu ziehen. Der entfallende Zins kann dann gleichzeitig dazu dienen, die Ausfaelle zu decken, welche dadurch entstehen, dass etwa einer der ersten Aussteller eines Wechsels zahlungs- unfaehig wird. Auf diese Weise sind tatsaechlich die ersten Banknoten mit Optionsklausel entstanden, welche also eine ganz andere Bedeutung hatten, als die Banknoten, welche gegen die Deponierung von Metallgeld ausgegeben wurden. Die Optionsklausel besagte einfach, dass die Noten nicht in bar einzuloesen waeren, sondern nur zur Verrechnung dienten. Diese Banknoten kursierten besonders in England, Schottland und den Vereinigten Staaten unter vielen Benennungen. In Frankreich ist etwas Aehnliches, aber in primitiverer Form, heute noch ueblich. Dr. Eugen Kaufmann sagte darueber in seinem Werk "Das franzoesische Bankwesen", erschienen 1911, folgendes:

 

"Die Bedeutung des Wechsels als Vermittler der Kreditgewaehrung im inneren Handels- verkehr ist in Frankreich - infolge der fruehzeitigen Ausbildung des Wechselrechtes, das bereits 1473 in der 'Ordonnance pour le commerce' eine Kodifikation erhielt, von jeher - wesentlich groesser als in anderen wirtschaftlich hoch entwickelten Staaten. Selbst im kleinsten gewerblichen Verkehr ist seine Verwendung als Kreditinstrument seit langer Zeit eingebuergert. Handwerker wie Kraemer zahlen fuer ihre Bezuege allgemein mit kurzfristigen 'billets a ordre', vielfach werden, da die Gewaehrung von Buchkredit nicht ueblich ist, selbst auf die nicht gegen bar einkaufenden Konsumenten 30-taegige Mandate und im Verkehr der Landwirte untereinander Wechsel auf den naechsten Markttag ausgestellt. So vermag der Verkaeufer den gewaehrten Warenkredit prompt zu mobilisieren und mit weit geringeren Eigenwechseln auszukommen, als wo, wie in Deutschland, langfristiger Buchkredit im Kleinverkehr gebraeuchlich ist. Das Ziehen von Wechseln ueber kleinste Betraege wird durch den bestehenden Quittungsstempel und das niedrige Diskontminimum der Banque de France (10 cts., dagegen Deutsche Reichsbank 30 Pfg.!) gefoerdert. Eine Steigerung erfaehrt der Wechselumlauf dadurch, dass das Kontokorrentkredit gewaehrende Bankhaus, soweit ihm nicht leicht realisierbare sachliche Unterpfaender bestellt werden, in der Mehrzahl der Faelle - teils um gegen saeumige Schuldner im beschleunigten Verfahren der prozessualen Wechselstrenge vorgehen, teils um im Bedarfsfalle seine Forderung durch Weiterbegebung des Wechsels mobilisieren zu koennen - sich einen an seine Order ausgestellten Eigen-Kreditwechsel (billet credit) aushaendigen laesst. Dieser Brauch wird von Lumm ('Die Entwicklung des Bankwesens in Elsass-Lothringen etc.') 1891 noch fuer die reichslaendischen Bankinstitute konstatiert.' - (K. uebersieht hier offenbar, dass der Wechsel in diesem Falle als Zahlungsmittel und nicht als Kreditbeschaffungsmittel dient.)

 

      Etwas Aehnliches wird fuer Deutschland mehr und mehr zur Lebensnotwendigkeit. Diese Behauptung ist sicherlich nicht uebertrieben zu einer Zeit, wo eine Fabrik nach der anderen nur aus Mangel an Zahlungsmitteln fuer die Lohnzahlungen stillgelegt wird, und wo die Reichsbank nur aus formellen Gruenden tatsaechlich ausserstande ist, zu helfen, was sie z.B. dadurch koennte, dass sie die Rolle des vorerwaehnten Grosshaendlers uebernimmt, der die Wechsel der anderen umtauscht. Soll Deutschland nur aus formal-rechtlichen Gruenden es unterlassen, sich genau in der Weise zu helfen, wie es Frankreich nach dem vorstehenden Zitat schon seit langem tut? Ein Grund hierfuer ist nicht einzusehen. Eher waere daran zu denken, in Deutschland das franzoesische Verfahren in verbesserter Form einzufuehren. Nun erhebt sich aber die grosse Frage, ob der Par. 2 des neuen Bankgesetzes einem solchen Vorgehen nicht entgegensteht. Dieser Par. 2 (Absatz 1) lautet:

 

"Die Reichsbank hat auf die Dauer von 50 Jahren das ausschliessliche Recht, Banknoten in Deutschland auszugeben."

 

      Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wird wahrscheinlich davon abhaengen, wie die Gerichte den Begriff "Banknote" auslegen. Wenn man die im Englischen "Optional-notes" genannten Gutscheine ebenfalls als Banknoten ansieht, dann wird die jetzige, die Produktion laehmende Zahlungsmittelnot auf wenigstens 50 Jahre chronisch werden. Fasst man aber, was allein richtig waere, den Begriff "Banknote" so auf, dass sie nicht nur zur Verrechnung zu dienen hat, sondern auf Verlangen gegen Bargeld eingeloest werden muss, dann besteht keine Gefahr fuer eine weitere Entwicklung. Das Recht, Banknoten mit Bareinloesung auszugeben, mag immerhin der Reichsbank als ausschliessliches Privileg verbleiben, wenn man nur die Volkswirtschaft nicht verhindert, sich mit Gutscheinen, oder wie man die privaten Zahlungsmittel sonst nennen mag, zu helfen. Die heutige Generation vermag sich einen Verkehr mit Hilfe privater Zahlungsmittel kaum noch vorzustellen, obwohl in Deutschland bis zum Jahre 1875 ein solcher Zustand bestanden hat. In einer besonderen Beilage soll aber an dem Beispiel Kanadas ausgefuehrt werden, dass auch unter den modernen Verhaeltnissen die Verwendung privater Zahlungsmittel im Verkehr sehr wohl moeglich ist, und dass bei richtiger Kontrolle die Volkswirtschaft hiervon nur Nutzen haben kann.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Page 33.