ARBEITSLOSIGKEIT

UND

KAPITALBILDUNG

Zugleich ein

bankpolitisches Programm

zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise

Von

Dr. rer. pol. Heinrich Rittershausen

 

Mit 1 Kurve im Text

Jena

Verlag von Gustav Fischer 1930

 

Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany

 

 

LIBERTARIAN

MICROFICHE

PUBLISHING

 

c/o J. ZUBE, "PEACE PLANS"

 

35 OXLEY ST., BERRIMA.

N.S.W. , 2577,

 

AUSTRALIA,

TEL.(02) 48 771436

jzube@acenet.com.au

 

 

(2005 address details!)

 

 

Reproduziert auf Mikrofiche, 1981 als PEACE PLANS No. 393 mit Genehmigung des Autors und nicht-exklusiver und widerruflicher Genehmigung des Gustav Fischer Verlags:

Postfach 720143, D 7000 Stuttgart, West Germany.

 

Druck von Ant. Kämpfe, Jena

 

 

(Innere Umschlagsseite, Verlagsanzeige.)

 

 

V e r l a g   v o n   G u s t a v   F i s c h e  r    i n   J e n a

 

Heinrich Rittershausen

Die Reform

der Mündelsicherheitsbestimmungen

und der industrielle Anlagekredit

Zugleich ein Beitrag zum Erwerbslosenproblem

VII, 90 S.  gr. 8o      1929      Rmk 3.60

 

 

Inhalt:

 

1. Die Bedeutung der Mündelsicherheitsvorschriften.

2. Die geltenden Bestimmungen. Anhang: Überblick über einige

    ausländische Regelungen.

3. Die Entstehungsgeschichte der Mündelsicherheits-

    bestimmungen.

4. Die Notwendigkeit einer Reform.

5. Volkswirtschaftliche Prinzipien der Anlage gebundener

    Kapitalien.

6. Die Reformvorschläge.

 

 

            Weltwirtschaftl. Archiv. Bd. 30 (1929), Heft 1:

 

R. sucht darzulegen, daß infolge der veralteten Bestimmungen über die Anlegung der Mündelgelder, Sparkasseneinlagen, Versicherungseinnahmen usw. mehr als die Hälfte des jährlich neugebildeten deutschen Kapitals in falsche Bahnen gelenkt wird. Der Satz, daß industrieller Kredit und städtischer Bodenkredit als weniger sicher von der Anlage solcher Gelder ausgeschlossen sein müssen, ist nach R. nach des Erfahrungen der letzten Jahr-zehnte und der Entwicklung des industriellen Kapitalismus nicht mehr aufrechtzuerhalten, insbesondere hat der öffentliche Kredit seine Vorzugsstellung eingebüßt R's Vorschlag geht dahin, für die in Frage stehenden Kapitalbeträge auch die Anlage in nach Maßgabe eines Reichsgesetzes gesicherten Teilschuldverschreibungen von Kreditanstalten öffentlichen und privaten Rechts und in Forderungen und Teilschuldverschreibungen zuzulassen, für die eine öffentlicher Aufsicht unterstehende Kreditversicherungsgesellschaft die Garantie übernommen hat.  hn

 

(J.Z.: Nach dem Leiter der Finanzabteilung der Berliner LVA, in den fünfziger Jahren, haben die Sozialversicherungsträger Deutschlands über alternativen Anlagemöglichkeiten schon seit 1923 nur diskutiert und verhandelt, sind aber, anscheinend, mit ihren Vorschlägen nie an die Öffentlichkeit getreten. Das wäre "politically incorrect" gewesen, denn der Staat hatte sich stets vorbehalten sich an diesen Vermögen zu vergreifen. Dieses staatliche Privileg hat, gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch noch viel mehr Unrecht und Schaden angerichtet als die berüchtigte "jus primae noctis" der "Adligen" der Vergangenheit.

Der Staat hat diesen Mißbrauch auch, "tüchtig" unternommen und tut es, meines Wissens, immer noch. Das durch ihn verschleuderte Vermögen, z.B. für Hitlers Aufrüstung und Kriegführung, wird dann durch weitere Steuertribute und erhöhte Versicherungsbeiträge "legal" "ersetzt". – J.Z., 29.6.05.)

 

            Bankarchiv. 15. April 1929:

 

". . . Dieses Buch, das nur in der 1875 er­schienenen Schrift von Felix Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder in den deutschen Staaten, einen Vorgänger hat, kann das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, die ganze Materie rechtlich, geschichtlich und rechtsvergleichend zusammenfassend zu behandeln und vor allem ihre gewaltige wirtschaftliche Bedeutung zu beleuchten;

            Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. H. Göppert, Bonn

 

            Deutsche Bergwerks-Zeitung. 8. 12. 1929:

 

" . . . Das ganz ausgezeichnete Buch verdient die besondere Beachtung der maßgebenden Kreise. 

            Dr. R. W.

(J.Z.: Die "maßgebenden Kreise" charakterisieren sich meist durch Unkenntnis oder Nichtbeachtung solchen Wissens! -

 

            Zeitschr. f. d. ges. Versicherungs-Wissenschaft. Bd. 29, 3:

 

Eine Schrift, die im Kreise der Individualisierung der Sozialversicherung ernste Beachtung ver­dient; denn der Verfasser übt scharfe und teilweise sicherlich nicht unberechtigte Kritik an den bisherigen Bestimmungen über Mündelsicherheit und über die Vorschriften, die so genannte mündelsichere Anlagen zur Pflicht machen. ... Es wäre zu wünschen, daß sich an die Vorschläge des Verfassers eine rege öffentliche Erörterung anschließt

                                    Prof. Dr. A. Manes, Berlin.

 

(J.Z.: Prof. Manes schrieb auch ein interessantes Buch über Staatsbankrotte, von Ulrich von Beckerath sehr empfohlen und daher von mir in meiner PEACE PLANS Serie verfilmt. – J.Z., 29.6.05.)

 

            Bankwissenschaft, 1929, Heft 3:

 

"... Das Buch ist so reich an tatsächlichem, kritisch verarbeitetem Material und an wertvollen, gut begründeten Vorschlagen, daß es der Beachtung aller dringend empfohlen werden muß, welchen die Gesundung der deutschen Wirtschaft durch Reform der Kapitalbewirtschaftung am Herzen liegt.      K.

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(J.Z.: Warum hat der Fischer Verlag seine Schriften von Prof. H. Rittershausen nicht im Druck gehalten? Erkannte er ihre Bedeutung nicht oder wollte er sie sogar der Öffentlichkeit vorenthalten?

Wenn er die Druckkosten und das Verlagsrisiko für solche Ausgaben nicht tragen wollte, warum hat er dann nicht von den sehr erschwinglichen alternativen Medien Gebrauch gemacht, um sie wenigstens so beständig und billig anbieten zu können?  Ich versuche das jetzt an seiner Stelle zu tun - wenigstens bis er sich selbst auf solche Möglichkeiten und seine Veröffentlichungspflicht besinnt.

Ein finanzielles Einkommen erwarte ich mir von dieser Ausgabe nicht sondern nur die Zufriedenheit in dieser Hinsicht meine Pflicht getan zu haben, so weit wie ich es konnte. 

Die Welt braucht solche Ideen - heute vielleicht mehr als je zuvor, um weitere von Regierungen und ihren Gesetzen und Maßnahmen geschaffene und aufrechterhaltene künstliche Katastrophen zu vermeiden oder endlich abzuschließen. - PIOT, John Zube, jzube@acenet,com.au   Berrima, 4.7.2005.)

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Prof. Dr. W. Kalveram-Frankfurt a.M.

in dankbarer Verehrung

gewidmet

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Vorwort.

Das Nebeneinander von Massenarbeitslosigkeit, Warenhunger und Absatzstockung wird heute von immer weiteren Kreisen als paradox empfunden. Das Gefühl, eine Kredit- und Bankorganisation, die solche Störungen erlaubt, könne nicht in Ordnung sein, gewinnt an Verbreitung. Die nähere Untersuchung zeigt, daß dieses Miß­trauen der hergebrachten Lehre und Politik gegenüber berechtigt ist: Sie erweist, daß das Problem der Arbeitslosigkeit lösbar ist. Allen praktischen Versuchen, durch Ankurbelung der Wirtschaft oder durch öffentliche Arbeiten zusätzliche Arbeits­gelegenheit zu beschaffen, scheint der gegenwärtige Kapital­mangel im Wege zu stehen. Die unten entwickelte Theorie der Kapitalbildung und der Arbeitslosigkeit erweist die weit verbreiteten Ansichten über das Wesen des Kapitalmangels als Irrtum und zeigt, daß es auch heute genügend Kapital gibt, um alle Arbeitslosen zu beschäftigen und zu entlöhnen. Das darauf folgende Finanzierungs­programm erläutert im einzelnen, wie die sehr großen Beträge zur Beschäftigung der arbeitslosen Millionen in wenigen Wochen und Monaten aufgebracht werden können. Die gesamte Last liegt dabei auf den deutschen Banken, die unserer Wirtschaft schon vor dem Kriege einen fast märchenhaften Aufstieg ermöglicht und auch im Kriege gezeigt haben, was sie leisten können, wenn sie gesund sind und ihre Kräfte voll zu entwickeln vermögen. Das am Schlüsse gegebene bankpolitische Programm erörtert daher die in den letzten Jahren entstandenen Krankheitserscheinungen in unserem Banksystem und gibt eine Therapie zur Gesundung unserer Banken und dadurch zur Beseitigung der dringenden Not der Arbeitslosen und der Ge­schäftsleute.

 

Meine Untersuchungen sind auf das ganze Gebiet von Arbeits­losigkeit und Kredit gerichtet gewesen. Wenn ich in der vor­liegenden Schrift nur die den langfristigen Kredit und die Kapital­bildung behandelnde eine Hälfte meiner Ergebnisse veröffentliche, so geschieht das, um den Umfang und damit den Preis des Buches nicht zu sehr anschwellen zu lassen. Die andere Hälfte der Er­gebnisse soll binnen kurzem unter dem Titel "Arbeitslosigkeit und Banknotenausgabe" veröffentlicht werden. Auch eine dogmen­historische und -kritische Arbeit steht vor der Veröffentlichung.

 

VI

Bei all diesen Untersuchungen glaube ich fest auf dem Boden der deutschen bankpolitischen Tradition zu stehen, die in Adolf  Wagner, J. Riesser und Adolf Weber, meinem verehrten Lehrer, ihren besten Ausdruck gefunden hat. In dem gleichfalls berührten Gebiet der Sozialen Frage sind seit den Forschungen von Proudhon und Marx bahnbrechende Ideen kaum noch zu­tage getreten, wie eine Durchsicht der neueren Erscheinungen zeigt Wenn auch die "Bibliographie der Arbeitslosigkeit" des Internationalen Arbeitsamts in Genf (1926) allein für die Jahre von 1914-1925 155 engzeilige Druckseiten voll Schriften enthält, so ist es mir doch nicht möglich gewesen, auch nur ein Werk darin zu finden, das eine wirklich volkswirtschaftliche Problemstellung mit einer geschäftlich brauchbaren Lösung des anfänglich erwähnten Paradoxons verbindet, obwohl doch die Nachfrage nach einer solchen Lösung überaus dringend ist. Es scheint, als ob die Sozialpolitiker sich in der neueren Zeit ebensowenig mit dem Geld- und Bank­problem beschäftigt haben, wie die Bank- und Kredittheoretiker mit der sozialen Frage in ihrer heutigen Gestalt, der Arbeitslosigkeit.

_________________

Eine besondere Freude ist es mir, allen denjenigen zu danken, denen ich für das Zustandekommen dieser Schrift verschuldet bin. Neben Herrn Oberregierungsrat Dr. Morsbach, Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, dem ich meinen einjährigen Austauschaufenthalt in England ver­danke, und der Deutschen Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung (Notgemeinschaft), die diese Abhandlung gefördert hat, muß ich besonders Herrn Dr. A. W. Fehling (Berlin), Secretary of the Fellowship Advisory Committee of the Rockefeller Foundation for the Social Sciences in Germany hervorheben, wie ich überhaupt der Rockefeller Foundation verpflichtet bin, die beschlossen hat, mir die Fortsetzung meiner Untersuchungen in Frankreich, Spanien und Italien für ein weiteres Jahr zu ermöglichen.

Berlin-Zehlendorf, im Herbst 1930. Riemeisterstr. 101.

 

                                                          Heinrich Rittershausen.

 

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Allgemeine Inhaltsübersicht.

 

                                                                                                            Seite

 

Vorwort                                                                                                           V

Analytisches Inhaltsverzeichnis ......................................................             VIII

Zusammenfassung der wichtigsten theoretischen Gedanken                     XIII

Einleitung: Die Arbeitslosigkeit...........................                   l

1  Kapitel: Volkswirtschaftliche  Grundbegriffe.............................             20

2. Kapital: Wesen und Aufgaben der Kapitalbildung und

    des langfristigen Anlagekredits                                                                38

3.  Kapitel: Die  gegenwärtige Organisation  des Anlagekredits

    und ihre Mängel                                                                                        68

4.  Kapitel: Bisher  gemachte unzulängliche Vorschlage zur     

    Beseitigung der Arbeitslosigkeit                                                              93

5.         Kapitel: Ein Programm zur Finanzierung von

    Arbeitsgelegenheit:                                                                                   102

a)   Das große Mittel..........................................................                     102

b)   Die Voraussetzungen....................................................                     129

c)    Die Hilfsmaßnahmen.................................................                        137

        d) Die Annäherung von Reichsbank und Großbanken                        143

Literaturnachweis.....................................................................                     149

Alphabetisches Sach- und Personenregister.........................                       151

 

 

 

                                    Analytisches Inhaltsverzeichnis.

Seite

 

Vorwort                                                                                                                       V

Allgemeine Inhaltsübersicht                                                                                           VII

Analytisches Inhaltsverzeichnis                                                                                      VIII

Zusammenfassung der wichtigsten theoretischen Gedanken                                            XIII

 

                                        Einleitung.

                                      Die Arbeitslosigkeit.

 

1. Geschichte der Arbeitslosigkeit                                                                                 1

            a) im  klassischen  Altertum.

            b) im Mittelalter.

            c) in der beginnenden Neuzeit.

            d) in der Zeit des liberalen Kapitalismus

2. Umfang, Gliederung und Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der neuesten

    Zeit                                                                                                                          5

3. Schäden der Arbeitslosigkeit                                                                                     11

4. Der Absatzmangel und sein Verhältnis zur Arbeitslosigkeit                                         13

5. Arten der Arbeitslosigkeit                                                                                         16

6. Definition  und Wesen  der objektiven Arbeitslosigkeit als des Mangels

    an Arbeitsgelegenheit in zwei Formen                                                                        17

 

                                                  Erstes Kapitel.

                          Volkswirtschaftliche Grundbegriffe.

 

a) Produktionserlös und Einkommen                                                                             20

            1. Die Produktion-Konsumgleichung                                                                 20

            2. Begrenztheit der Produktionsmöglichkeiten, Unbeschränktheit der

                Konsummöglichkeiten                                                                                   21

`           3. Die Produktionserlös-Einkommensgleichung                                                  22

            4. Das Einkommen                                                                                           25

            5. Der volkswirtschaftliche Einkommensbegriff                                                  25

            6. Das abgeleitete Einkommen                                                                          26

b) Konsum und Ersparnisse                                                                                          27

            1. Die beiden Möglichkeiten der Einkommensverwendung                                 27

            2. Konsumgüter und Kapitalgüter                                                                      27

            3. Sparen und übertragener Konsum                                                                 28

            4. Sparen und Kapitalgüterverbrauch                                                                28

            5. Verteilung der Arbeitskräfte auf die beiden Hauptindustrien                            29

            6. Kapitalbildung                                                                                              30

Zusammenfassung                                                                                                         30

c) Die Problematik der Verteilungslehre und die Störungen im Absatz                            31

            I. Der Zeitunterschied                                                                                       31

                        1. Die Diskontierung                                                                             32

                        2. Die Banken und der Umsatzkredit                                                     32

                        3. Der Notenumlauf und die Zentralnotenbanken                                   32

            II. Der unvollendete Sparvorgang                                                                      33

                        1. Widerlegung der Ausbeutungstheorie                                                 34

                        2. Die Verwandlung der Unternehmerersparnisse

                            in Kapitalgüter                                                                                  35

                        3. Die Vollendung des Kapitalbildungsvorganges

                            erst durch die Antizipationskredite                                                     36

                        4. Die übrigen Probleme des Anlagekredits

                            im Rahmen der Erlös-Ein­kommensgleichung                                      36

 

 

                                                            Zweites Kapitel.

                             Wesen und Aufgaben der Kapitalbildung

                             und des langfristigen Anlagekredits.

 

a) Die Kapitalbildung                                                                                                    38

            1. Wesen der Spargelder                                                                                  38

            2. Arten der Ersparnisse                                                                                   38

            3. Einkommensparen (im Sinne von épargner)                                                   39

            4. Die Verschiebung der verfügbaren Arbeitskräfte

                innerhalb der Gesamt­industrie durch Spartätigkeit                                          42

            5. Kostensparen (im Sinne von économiser)                                                      43

            6. Die negative Spartätigkeit                                                                              46

            7. Die Kapitalbildung                                                                                        46

b) Arbeitslosigkeit infolge von Rationalisierungen                                                           48

            1. Kaufkraftrückgang als Ursache des Fehlschlages

                von Rationalisierungen                                                                                   48

            2. Die angebliche Steigerung der Unternehmerkaufkraft                                     51

            3. Volkswirtschaftlich richtige Rationalisierungen                                                53

c) Die Effektivierung der latenten Kapitalbildung                                                            54

            1. Latente und effektive Kapitalbildung                                                              54

            2. Zielbewußte Produktion von Ersparnissen                                                     55

            3. Der antizipierte Emissionskredit bei den deutschen Großbanken                     58

            4. Antizipierter Emissionskredit und

                Arbeitsgelegenheit vor dem Kriege                                                                61

            5. Die Antizipation der Ersparnisse durch die Banken als Mittel

                zur Voll­endung des Kapitalbildungsprozesses                                                64

            6. Der interlokale Ausgleich durch den Kapitalmarkt                                          64

            7. Abgrenzung gegen die expansive Kredittheorie von  Macleod,

                Schumpeter, Hahn u. a.                                                                                 65

 

                                                            Drittes Kapitel.

Die gegenwärtige Organisation des Anlagekredits und Ihre Mängel.

 

a) Die Vernachlässigung des Antizipationskredits                                                           68

            1. Börsentätigkeit und Arbeitslosigkeit vor dem Kriege                                      68

            2. Der Rückgang und seine Gründe                                                                   69

            3. Sinken der Führerqualitäten der Bankleiter                                                    70

b) Die Überversorgung des Geldmarktes auf Kosten

    des Kapitalmarktes                                                                                                   71

            1. Trennung der kurzfristigen und der langfristigen Gelder durch

                den Zins                                                                                                       71

            2. Die Bedeutung des Diskontsatzes für den

                langfristigen Anlagekredit                                                                              73

            3. Die Fehlleitung langfristiger Anlagemittel durch die

                deutsche Bankorgani­sation                                                                            74

            4. Keine erhöhte Verwendungsmöglichkeit für Umsatzkredite                            77

            5. Die geringere Liquidität der Sparkassen ein wichtiger

                Ausgleichsfaktor am Vorkriegsgeldmarkte                                                     77

            6. Die Zunahme echter Spargelder in den Bankdepositen                                   78

            7. Ungesunde Verwendung kurzfristiger Kredite zu Anlagezwecken                   79

            8. Die Effektenkredite an die Börse als Sicherheitsventil                                     80

            9. Mangel einer Organisation des langfristigen Industriekredits                            82

            10. Zusammenfassung und Abgrenzung gegen

                  die Antizipationskredite                                                                               84

c) Die Blockierung des  industriellen Kapitalmarkts durch die

    Mündelsicherheits­- und Anlegungsvorschriften                                                           86

            1. Wesen und Bedeutung der Mündelsicherheits- und

                Anlegungsvorschriften                                                                                   86

            2. Die Verkümmerung des industriellen Anlagekredits

                als Folge der Vor­schriften                                                                             86

            3. Anlegungsvorschriften und Arbeitsgelegenheit                                                87

            4. Ergebnis                                                                                                       88

d) Die Verhinderung der Wiederhereinnahme der Kapitalflucht in Form von

    Anleihen des Auslandes an uns                                                                                  89

            1. Umfang der Kapitalflucht und der Auslandsanleihen                                       89

            2. Identität von Auslandsverschuldung und Kapitalflucht                                     90

            3. Der Kampf gegen die Auslandskredite und seine Folgen                                90

 

                                                Viertes Kapitel.

                        Bisher gemachte unzulängliche Vorschläge

                       zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit

 

Vorbemerkung                                                                                                             93

a) Lohn- und Preissenkung                                                                                            93

b) Arbeitsverschiebung                                                                                                 94

c) Verstaatlichung der Wirtschaft                                                                                   95

d) Arbeitsdienstpflicht                                                                                                   96

e) Sparzwang                                                                                                               97

f) Verweigerung der Kriegsentschädigungszahlungen                                                      97

g) Erwerb von Kolonien                                                                                                98

h) Verkürzung der Arbeitszeit                                                                                        99

i) Aufnahme von Anleihen                                                                                             100

 

                                                     Fünftes Kapitel.

            Ein Programm zur Finanzierung von Arbeitsgelegenheit.

 

a) Das große Mittel:  Zusätzliche Kapitalbeschaffung aus der unerschlossenen

    latenten Kapitalbildung                                                                                              102

            1. Heilung der Arbeitslosigkeit von ihrer Ursache aus                                         102

            2. Die latente Kapitalbildung als Kapitalquelle                                                    103

            3. Grenzen der zusätzlichen Kapitalbildung durch Antizipationskredite                103

            4. Solche Antizipationskredite sind nicht

                mit "Kreditausdehnung" identisch                                                                   104

            5. Kreditausweitung nach dem Plane von J. M. Keynes                                     105

            6. Die praktische Durchführung der Finanzierungsaktion                                     107

            7. Verwendung der Kapitalien  und der Arbeitskräfte zur

                Schaffung lang­lebiger Kapitalgüter                                                                 108

            8. Das Baugewerbe als Schlüsselindustrie                                                          109

            9. Ein Bauprogramm                                                                                         109

               Wohnungsbau. — Umgestaltung von Großstädten. 

               — Bodenmelio­rationen. — Abwässerverwertung. — Straßenbau.

            10. Beispiele aus der Geschichte und aus dem Auslande                                    115

                  Deutschland vor dem  Kriege.    Umgestaltung von  Paris  durch

                  Haussmann. — Wiederaufbau Tokios.

            11. Staatliche oder private Projekte                                                                  117

            12. Staatskredite oder Bankkredite                                                                   118

            13. Banknotenumlauf und Giroguthaben                                                            118

            14. Verwendbare und unverwendbare Arbeitskräfte                                          119

b) Die Voraussetzungen                                                                                              120

            I.  Die Senkung des Zinsniveaus                                                                     120

                        1. Rentabilität der Projekte und Zinsniveau                                            120

                        2. Ursachen der gegenwärtigen Höhe des Zinsniveaus                            121

                        3. Befreiung des deutschen Zinsniveaus aus seiner Abhängigkeit

                            vom Auslande                                                                                   123

                        4. Das Mittel dazu: Abstoßung der kurzfristigen

                            Auslandsverschuldung                                                                       124

                        5. Die Überkompensierung der kurzfristigen Auslands-

                            verschuldung durch aufzunehmende Anleihen                                     124

            II. Die Umgestaltung des Großbankgeschäfts                                                126

                        1. Liquidität und Antizipation                                                                 126

                        2. Frankreich als Beispiel: Ein Land ohne Arbeitslosigkeit                      127

                        3. Die Rückkehr zur Arbeitsteilung zwischen  Sparkassen und

                            Banken                                                                                             129

                        4, Die Halbierung der Bilanzsummen bei den Großbanken                     131

                                    a) Rückgang der Auslandskreditoren. 

                                    b) Entbehrliche Devisen­reserven. 

                                    c) Umwandlung eines Teiles der inländischen Kredi­toren

                                        in Effekten. 

                                    d) Abstoßung industrieller Debitoren.

                        5. Die Annahme langfristiger Gelder

                            und deren Anlage in Effekten                                                             133

                        6. Die Illiquidität der Großbanken als internationales Problem                133

                            England. — Die Vereinigten Staaten: Anlage der Kreditoren

                            in Effekten und Krediten. — Vergleichung mit den deutschen

                            Banken. — Eine Äußerung Andersons. — Gefahren von

                            Bank­anlagen in Effekten.

c) Die Hilfsmaßnahmen                                                                                              137

            1. Popularisierung des Effektenbesitzes                                                              137

            2. Förderung der Börse                                                                                    138

            3. Kapitalanlagegesellschaften                                                                           138

            4. Organisation des industriellen Anlagekredits                                                   139

            5. Beseitigung der Ursachen der Kapitalflucht                                                    140

            6. Neugestaltung der Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften                   141

            7. Steuerreform                                                                                                142

d) Die Annäherung von Reichsbank und Großbanken                                               143

            1. Verfeinerung auch des Umsatzkredits                                                            143

            2. Förderung des antizipatorischen Bankakzepts                                                144

            3. Zusammenarbeit zwischen Reichsbank und Großbanken                                145

 

Literaturnachweis                                                                                                       149

Alphabetisches Sach- und Personenregister   (Hier gleich anschließend! – J.Z)           151

           

 

 

Sach- und Personenregister.

 

(Im Original auf S. 151- 154, hier vorverlegt, um leichter zugängig zu sein. – J.Z.)

 

Die Ziffern bezeichnen die Seitenzahlen.


Absatzmangel 13, 20, 21, 50, 51.

— chronischer 51.
Abwässerverwertung 113.
Agrarprogramm  112.
Aktienrechts, Reform des - 140.
Akzeptkredite 60, 66,  144 ff.
Altwohnungen 110.
Amerikanische Banken, Lage d. 133 f.
Anderson, B. M. 135.
Anlagekredit, langfr. 36.

—s, Quelle des 66, 103.

Anlegungsvorschriften 86,  141.

Anleiheaufnahme als Mittel 100.

Antizipationskredite 36, 58, 60, 61, 64, 85, 97, 103 (Bankakzepte);  145 (Grenzen) — zwei verschiedene Begriffe der, als tech­nisches Hilfsmittel und als Mittel zur Effektivierung latenter Ersparnisse 85, 126, 127.

— Vernachlässigung der - 68.
Arbeitsdienstpflicht 96.
Arbeitsbeschaffungsanleihen 101.
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Reichsregierung 115, 100.

Arbeitslosigkeit, Geschichte der 1ff.

- im Mittelalter 2, 3.

- bei Kriegsbeginn 9.

- bei der Demobilmachung 9,  10.

- in Rußland: Fußnote S. 11 u. 23.

- Gesamtzahl 5, 8, 9.

- Arten 15.

- subjektive 15.

- objektive 15, 16, 17.

- Umfang 5.

- Gliederung   nach   Berufsgruppen  (Tab.) 5, 6.

- innerhalb der Gruppe Holzarbeiter (Tab.) 6.

- zeitlich (Tab.) 6.

- regional (Tab.) 8.

- Programm gegen 102 ff.

 

Arbeitslosigkeit, Wesen der XIII, 17, 19, 51, 54, 102, 144, 146.

— identisch mit Kapitalflucht 90.

Arbeitslosenversicherung 120.

Arbeitsteilung zwischen Banken und Spar­kassen 129 ff.

Arbeitsverschiebung 94.

Arbeitszeit, Verkürzung der 99, 100.

Armengesetze 4.

Aufklärungsfeldzug gegen Kapitalflucht 141,

Ausbeutungstheorie 34.

Auslandsanleihen 89ff., 122, 124, 131.

Auslandskreditoren 124, 131.

Auslandsverschuldung 89, 124.

 

Bankakzept 60, 66, 144 (antizipator.).

Bankdirektoren 70.

Bankkonten, Vorgänge auf den, bei Ratio­nalisierungen 52.

Bankkredite, zusätzliche 66, 104.

Banknotenausgabe, -wesen 65, 118, 144. Bankobligationen 133.

Barocks, Egon, Dr. 112.

Baugewerbe, -programm 108, 109 ff.

Beispiele aus d. Geschichte 115.

Bernhardt, Gg., 145.

Beschäftigungsgrad 50.

Beseitigung der Arbl. 102.

Beurlaubungen 100.

Beveridge 94.

Bilanzsummen, Halbierung der 131. Bodenmeliorationen 112.

Börse 68, 69, 132, 138 (Förderung der).

Börsenkredite in U.S.A. 134.

Börsenspekulation 81.

 

Cassel, Gustaf, 21, 90.

 

Definition der Arbl. 17, 19, 41, 51, 53, 54, 102, XIII.

Deflation 105.

Dernburg 147.

Deutsche Bodenkultur A.-G. 112.

Devisenreserven 131.

direkte Steuern 142, 143,

Diskontierung 32.

Diskontpolitik, unabhängige 124.

Diskontsatz 73.

Dränagen 112.

 

Économiser 43.

Effektenabsatz durch Börsenkr. 81.

Effektenanlage durch Großbanken 123 ff.

Effektenkredite 80.

Eierfarm als Beispiel 35.

eingefrorene Kredite d. Großb. 80.

Einkommen 24, 25, 26.

- abgeleitetes 26.

- übertragenes 28.
Einkommensparen 39.
Einkommenspyramide 121.
Einkommensteuer 143.
englische Arbeitsl.  101.
englische Banken 59, 78, 133.
Enquete (Reichsbank) 145.
Erdbeben und Arbl. 116, 117.
Ersparnisse 27 ff., 38 ff., 53.
Ersparnissen, Produktion von 55.

 

Finanzierungsprogramm 102, 107 ff.

Frankreich als Beispiel 110, 115, 122, 127

 

Geldmarktes, Überversorgung des 71.

Genzmer 111.

Giroguthaben 118, 119.

Globalwarenwechsel 147.

Goldbestand der Reichsbank 122.

Goldklausel 92, 140.

Großbanken  69 (Kreditpolitik), 78, 131 ff

- (Effektenanlagen), 143, 148.

Großindustrie, Kredit der 83.

Grzimek (Abwässerverw.) 113.

 

Hahn, A. L. 65.

Handelswechsel 146.

Haußmann (Paris) 110, 111.

Hecht, Felix 83, 139.

Henderson, H. D. 106.

Heymann (Straßenbau) 113, 114.

Hilfsmaßnahmen 137 ff.

Hirsch, Jul. 14, 77.

 

Indirekte Steuern 142.

Industriekredite der Banken 127, 132.

Industriekredit 82, 86, 139 (Org. des).

Illiquidität der Großbanken 133 ff.

Inflation 105.

Inlandsanleihen 101.

Inseln billigen Geldes 123.

Investment Trusts 138, 139, 142.

 

Käferlein, H. 145.

Kanalbauten 112.

Kapitalanlagegesellschaften 138, 139,  142.

Kapital  27,  30, 39, 40, Beschaffung 102. Kapitalbildung 29, 30, 33, 35, 36, 47, 64,

- Mangel an K. 36.

- als Ursache der Arbl. 17.

- effektive und latente 55.

- zusätzliche 53.

- Förderung der 57.

- Vollendung der 36, 55, 58, 64, 67.

Kapitalflucht 8g ff.; identisch mit Auslands­anleihen 90; Beseitigung der Ursachen der K. 140, 143.

Kapitalgüter 27, 39, 40.

Kapitalmarkt 64.

Kapitalmangel, keine Ursache der Arbl. 55, 58, 65.

Kapitalquelle 103.

Kaufkraft, aktuelle 52.

— geht unter 53.

Kaufkraftrückgang infolge von Rationali­sierungen 48.

Keynes, I. M. 105.

Kolonien 98.

Kommunistisches Verteilungssystem 22.

Konsumptivkredite 46.

Konsum  27 ff.;  - Besteuerung 142,143;

- güter 27, 38; - möglichkeiten (unbegrenzt) 22; -rückgang 51; übertragener 28; - theorie 51, 52. Kostensparen 43 ff.

Kreditausdehnung 104 - 106; -schöpfung 32; - theorie (expansive) 65.

Kreditorensteigerung 74, 78.

Kriegsentschädigung 97, 88.

Krise d. J.1930 105.

Kursrückgänge 136.

Kurzarbeit 7.

Kurzfristigen Geldern, Zuwachs an 76, 77.

 

Landwirtschaft 112.

langfristige Gelder 71, 73, 78.

langfristiger Industriekredit 82, 84, 86.

Lasten, soziale 54.

latente Kapitalbildung 103.

Liquidität 80, 83; - und Antizipation 126ff.;

- der Sparkassen 77.

Lohngelder 52.

Lohnsenkungsaktion 70, 93.

Lloyd Georges Vorschlag 101, 106.

 

MacLeod 65.

McKenna 133.

Meliorationen 112.

Mißbrauch der Effektivierung 103.

Mittlere Industrie, Kredit der 139, 142.

Mündelsicherheitsbestimmungen 86.

- Neugestaltung der 141.

 

Napoleon III. 110.

Notenbanken 145, 147.

 

Objektive Arbl. 15.

Ödländkultivierungen 112.

 

Paris, Umgestaltung von 110, 115.

Pariser Grossbanken als Geldgeber 122, 123.

Pauchalierungssystem 144.

Polen, Kreditwesen von 144.

Preis 24.

Preisniveau 25; -politik 144.

Preissenkung 93.

Preissteigerungen 104, 105.

Prion 76.

Privatdiskonten 144 ff.

Produktivgüter (Kapitalgüter) 27.

Produktionserlös 23, 24.

Produktionskapazität 18, 55.

Produktions-Konsumgleichung 20.

Produktionsmittel 27, 41.

Produktionsmöglichkeien (begrenzt) 21, 22.

Programm gegen Arbl. 102 ff.

Prosperitätsproblem 19.

Proudhon 33, 35.

 

Rationalisierungen 44, 48; volkswirtsch. richtige 53, 59; verfehlte 50, 54.

Reichsbank 73, 74, 118, 143-148.

Reichsetat und Arbl. 117, 140,

Rentablität der Projekte 120.

Rente (Differentialrente) 24, 25.

Reparationslasten 97, 98.

Reportgelder 82 (Anmerk.), 81.

Riesser, J. 145.

 

Saisonmäßige Arbl. 94,  100.

Say, I. B. 49.

Schacht 69, 70, 90, 123, 137, 138, 147.

Schäden der Arbl. 11.

Schanzscher Einkommensbegriff 25.

Schmidt, F., Prof. 138.

Schumpeter 65.

Selbstfinanzierung 55.

Solmssen 71.

Sozialisierung 95.

Sparen 27, 38 ff., 41 (s. auch "Kapitalbil­dung"); negatives 46; unvollendetes 33, 36, 55; Sparzwang 97,

Sparkassen 75 (Kreditoren); 77 (Liquidität); 129ff., 132.

Spekulation 81.

Staatliche oder private Projekte 117.

Städtebau 111.

Steuern 139, 141; Steuerbelastung 98; Steuerreform 142.

Straßenbau 113.

subjektive Arbl.  15.

 

Tokio, Wiederaufbau von 115, 116.

Trennung der Depositen in lang- und kurz­fristige Mittel 72.

 

Überkompensierung  der  kurzfristigen Aus­lands-    

   verschuldung 124 ff.

Überversorgung mit kurzer. Kredit 36.

Umgestaltung des Großbankgeschäfts 126 f. Umgestaltung von Großstädten 111.

Umsatzkredit  32, 143; Verfeinerung  des – 143.

Umschuldung 82.

Umwandlung von Vorschüssen in Anleihen 64. Unternehmerkaufkraft 51, 52.

Unternehmer, Aufgabe der 56.

Ursachen der Arbl. 17, 18, 102.

 

Verschiebung von Arbeitern 41, 48

Verstaatlichung 95.

Verteilung 31.

Volkseinkommen 98.

Vollendung der Kapitalbildung 102 ff.

Vorschläge z. Bekämpfung d. Arbl. 102, 93

Vorräte 66 (Fußnote).

 

Währung 148.

Weber, Adolf 20, 63, 126, 138. Wechseldiskontvorschriften der Reichsbank 144 ff.

Wiederaufbau von Tokio 115, 116.

Wirtschaftsführer 54.

 

Young-Plan 11, 97, 98.

 

Zentralnotenbanken 32, 147.

Zeitunterschied 31.

Zickert, Dr. Herm.  139.

Zins 24, 25; - gefälle 123; - spanne 72; - niveaus (Senkung des) 120 f.

Zünfte 3.

Zwangsarbeit (Arbeitsdienstpflicht) 96.

 

(jz1)


 

- 154 -

 

XIII

 

Zusammenfassung der wichtigsten theoretischen Gedanken.

(Fettdruck durch J.Z.)

 

            1. Es gibt zwei Arten der Arbeitslosigkeit, nämlich diejenige, die durch Störungen im Güterumschlag und im Umsatzkredit verursacht ist, und diejenige, die durch Störungen in der Kapitalbildung und  im Anlagekredit  hervorgerufen  ist. In dieser Schrift wird allein die zweite Art behandelt, da die erstere Art gegenwärtig weniger aktuell ist.

           

            2. Kapitalbildung bedeutet nichts anderes, als Arbeitskräfte aus der laufenden Konsumgüterproduktion frei machen für die Herstellung von langlebigen Produktivgütern.

 

            3. Daher ist zu unterscheiden zwischen der latenten (oder unvollendeten) und der effektiven (oder vollendeten) Kapitalbildung: Die latente Kapitalbildung tritt ein, wenn durch Entlassung von Arbeitskräften Ersparnisse erzielt  worden sind. Diese latente Kapitalbildung wird erst dann effektiv, wenn die entlassenen Arbeitskräfte für die Her­stellung von langlebigen Gütern nun auch angesetzt und entlohnt werden.

 

   4. Arbeitslosigkeit ist also unvollendete Kapitalbildung.

 

            5. Die überaus große Arbeitslosigkeit  des Jahres 1930 ist vorwiegend dadurch hervorgerufen, daß die seit 1914 rückständigen Rationalisierungen von 1925 an in wenigen Jahren nachgeholt wurden.  Diese starke Steigerung der Kapitalbildung wurde nur eingeleitet, aber nicht vollendet: Eine entsprechende Anzahl von Arbeitskräften wurde zwar eingespart und für die Herstellung von langlebigen Gütern freigemacht, hier aber nicht angesetzt. Es ist also viel latente, aber wenig effektive Kapitalbildung vorhanden. (jz2)

 

            6. Dadurch erklärt sich die Absatzstockung, die heute die Lage der Industrie und des Handels kennzeichnet: Sie ist durch die Unterbrechung,  das Nicht-Vollenden des Kapitalbildungsvorganges hervorgerufen. Die Konsumgüter verfaulen und verderben also, während zugleich große Not unter den Arbeitslosen herrscht.

 

            7. Daher bedeuten Rationalisierungen geldwirtschaftlich nichts anderes, als Defla­tion. Es werden weniger Löhne ausgezahlt, während das Warenangebot unverändert bleibt oder sogar steigt. Der Glaube, die effektive Kaufkraft der Unternehmer wachse um  den ersparten Lohn, wodurch die Absatzstockung vermieden werde, ist irrtümlich.

 

            8.  Das wirtschaftliche Mittel, die überflüssigen Konsumgüter in die Hände der notleidenden Bevölkerung zu bringen, ist allein der kurzfristige Lohngeldervorschuß der Banken an die Unternehmer.  Hierdurch kommen die Unternehmer in die Lage, die Arbeitslosen einzustellen, um mit ihnen Wohnungen usw. zu bauen.  Arbeitslosigkeit und Absatzstockung werden so beseitigt.

 

            9. Diese Erbauung langlebiger Güter mit kurzfristigen Krediten ist nichts un­gewöhnliches,  denn  neues langfristiges Kapital tritt niemals in Form von Häusern, Maschinen und anderen Dauergütern auf, sondern stets in Form von Lebensmitteln und ähnlichen Konsumgütern parallel mit den durch die Sparvorgänge entbehrlich gewordenen, nun also verfügbaren Arbeitskräften.  Die heutige Arbeitslosigkeit ist also nur eine Teilerscheinung des Kapitalbildungsvorganges. Erst die Verwendung dieser Arbeitslosen für die Erstellung von Kapitalgütern und ihre Entlohnung mit diesen Konsumgütern (aus kurzfristigem Kredit) vollendet die Kapitalbildung. (jz3)

 

 

10.          "Kreditausweitung" ist überflüssig und gefährlich; es genügt, denjenigen Kreditspielraum wieder herzustellen, der vor der mit Deflation verbundenen Rationalisierung be-

 

XIV

 

standen hatte; schon dann ist die Absatzstockung beseitigt und der ins Stocken geratene Konsumgüterstrom seinem Ziel wieder zugeleitet, nämlich dem Konsum der eben wieder eingestellten Arbeiter.

 

            11. Diese Vollendung der Kapitalbildung mittels kurzfristiger Baukapitalvorschüsse bewirkt zwangsläufig, daß die echten Spardepositen bei den Banken und Sparkassen in wenigen Wochen um den vollen Betrag der Vorschüsse steigen. Und zwar steigt die effektive Kapitalbildung nicht bei den Lohn- und Gehaltsempfängern, sondern in den Betrieben, d. h. auf den Bankkonten der geschäftlichen Unternehmungen.  Es bleiben nämlich die Verkaufserlöse unverändert, während die Abhebungen von Lohn-Geldern bei den Banken sinken, so daß die Guthaben steigen.

 

             12. So suchen wenige Wochen oder Monate nach Beginn der Bauarbeiten zwangsläufig gerade soviel  zusätzliche Kapitalien (genauer Kapitaldisposition im Gegensatz zu den realen Gebrauchsgütern) Anlage, wie nötig sind, um die Bankvorschüsse in Hypotheken, Anleihen, Aktien usw. zu konvertieren.   Die Banken  erhalten damit ihre Vorschüsse zurück und werden für neue Aktivität frei.

 

             13. Die Technik dieser die Kapitalbildung effektivierenden Vorschüsse ist aus dem deutschen "antizipierten Emissionskredit" zu entwickeln.

 

             14. Voraussetzungen einer Anwendung dieser Methode in großem Stile sind: Die Senkung des Zinsniveaus, die durchführbar ist, und eine Umgestaltung des Großbank­geschäfts in Richtung auf die vor dem Kriege übliche und bewährte Tätigkeit dieser Institute.

 

             15. Man kann also in Zukunft die angebliche Unlösbarkeit des Problems  der Arbeitslosigkeit nicht mehr mit Kapitalmangel begründen: Ein solcher besteht höchstens in dem Sinne, daß man versäumt, die vorhandene latente Kapitalbildung effektiv zu machen. Es ist Sache eines Programms und des guten Willens, das Versäumte nachzuholen und damit die Arbeitslosigkeit zu beseitigen.  Die Arbeitslosigkeit ist kein rätselhafter Schlag des Schicksals, sondern eine Störungserscheinung, die sich beheben läßt.

 

(J.Z.: Hat die Österreichische Schule der Volkswirtschaft zu dieser Theorie schon irgendwo Stellung genommen? Da sie so viel Wert auf die Kapitalbildung legt und jetzt schon weit verbreitet ist, wäre es eigentlich an der Zeit, 75 Jahre später, eine solche Stellungnahme endlich anzubieten. - J.Z., 4,7.05.)

____________________

 

 

 

 

 

 

 


 

Einleitung.

 

Die Arbeitslosigkeit.

1. Geschichte der Arbeitslosigkeit.

 

a) Im klassischen Altertum konnte von Arbeitslosigkeit als Massenerscheinung in unserm heutigen Sinne noch keine Rede sein. Die Handarbeit wurde im wesentlichen den Sklaven über­lassen, die als Sachen galten und von ihren Eigentümern unter­halten wurden. Hätte Mangel an Beschäftigungsmöglichkeit be­standen, so hätte sich das in einem starken Angebot an Sklaven ausdrücken müssen. Wir hören aber von derartigen Krisen nichts. Daß die damalige Wirtschaftsordnung, in der manuelle Arbeit noch als verächtlich galt, fast immer ausreichend Arbeitsgelegenheit bot, ist in dem rein agrarisch-regionalen Charakter des damaligen Systems begründet. Die Verhältnisse waren leicht zu übersehen, und die Schwierigkeiten, die unser weltwirtschaftlich-industrielles Zeitalter gebracht hat, waren noch unbekannt

Nur einige geschichtliche Vorgänge der damaligen Zeit lassen sich unter dem Gesichtspunkte der Arbeitslosigkeit betrachten 1). Vielleicht ist z. B. der starke Drang nach kolonialer Expansion in Griechenland und Rom zum Teil aus Übervölkerung und Arbeits­losigkeit zu erklären. Auch die großartigen öffentlichen Arbeiten sollten nicht nur der Repräsentation dienen, sondern auch Arbeit und Brot für die Massen geben. Perikles, der derartige öffentliche Bauprojekte größten Umfanges in Athen durchführte, sprach selbst die Absicht aus, alle Schichten der Bevölkerung dadurch zu er­nähren und zufriedenzustellen. Auch die Politik der öffentlichen Spenden kann als Maßregel zur Milderung der Folgen von Arbeits­losigkeit betrachtet werden. In Athen soll im 5. Jahrhundert schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung von den Almosen des Staates gelebt haben. In Rom bildete sich ein eigentliches "Proletariat" im I. Jahrhundert v. Chr. aus den landlosen Leuten, die sich in der Hauptstadt ansammelten und vergebens nach Arbeit sich umsahen. Das mit dem Latifundiensystem verbundene Bauernlegen nahm immer größeren Umfang an; die Regierungen sahen sich daher

_______________________________

1)      Ich schließe mich hier eng an K. Kumpmann, Art. "Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung" im Hwb. d. St. (4), S. 791, an.

 

     2   

vor die Notwendigkeit gestellt, die bedrohlich anwachsenden Scharen von mittellosen, aber politisch gleich-berechtigten Leuten bei guter Stimmung zu erhalten. Daher wurden seit der Zeit des jüngeren Gracchus (lex frumentaria) auch hier Getreidespenden verteilt, die als eine Art von Erwerbslosenunterstützung angesehen werden können. Cäsar versuchte vergebens diese Spenden in eine ge­ordnete Armenpflege umzuwandeln; vielmehr wurde diese unent­geltliche Versorgung der 6. Steuerklasse immer umfangreicher und planloser. In der Kaiserzeit waren es bis 400 000 Menschen, deren Nahrung und Notdurft der Staat zu decken hatte.

 

            b) Auch im Mittelalter gab es das Problem der Arbeitslosigkeit noch nicht. Die Verhältnisse waren  einfach, klein  und übersichtlich; die Dorfwirtschaft mit ihrem  agrarischen Charakter beherrschte den über-wiegenden Teil der Bevölkerung. Bis zum Ende des 1. Jahrtausends waren die sozialen Verhältnisse durch das Lehnswesen in eine strenge traditionelle Ordnung gefügt, die von unten nach oben hin jeden band, anderseits von oben nach unten jeden beschützte. Die Stände waren erblich.

An dieser Lage änderte sich vom 11. bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wenig. In Europa war Deutschland das wirt­schaftlich führende Land. Die bis 1410 siegreich vordringende Kolonisation des deutschen Ostens schuf von Zeit zu Zeit Arbeits­gelegenheit größten Umfanges. Die Lage der Bauern war bis ins 15. Jahrhundert fast überall erfreulich. Gleichzeitig erlebte das Handwerk und mit ihm die deutsche Stadt ihre Blütezeit.

 

            c) Erst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts änderten sich die Verhältnisse allgemein zum Schlechten, zuerst in  England und Frankreich, dann in Deutschland. Die Abhängigkeit der Bauern von den adligen Grundbesitzern begann ihre schlimme Seite hervorzukehren. In England setzte um die Mitte des 15. Jahrhunderts jene von Thomas Morus so anschaulich beschriebene Verdrängung der Bauern durch die Schafzucht ein.  Die Vergrößerung der Weide­wirtschaft im Interesse der Wollproduktion kostete bis zur  Zeit Heinrichs VIII. etwa 50 000 Bauern die Existenz, die nun Zuflucht im Heere und in der Stadt suchten. Die immer weiter zunehmende Einhegung des Gemeindelandes durch den Adel entvölkerte mehr und mehr das flache Land, indem der gesunde bäuerliche Mittel­stand dadurch ruiniert und vertrieben wurde. Das gutsherrlichbäuerliche Abhängigkeitsverhältnis verschärfte sich insbesondere in Frankreich, und Deutschland in unerträglicher Weise. Seit dem dreißigjährigen Kriege war die Lage des Bauernstandes in Deutsch-

 

   3  

land unhaltbar geworden. Nachdem schon vorher die Aufstands­versuche, die Bauernkriege, im Blute der Bauern erstickt worden waren, zogen immer größere Massen freiwillig abgewanderter oder verjagter Bauern zur Stadt und bildeten da mit fahrenden Leuten, entgleisten Studenten und arbeitslosen Handwerksburschen ein neues städtisches Proletariat.

 

Auch die Zünfte waren in dieser Zeit nicht mehr in der Lage, wie Versicherungskassen zu wirken. In der Blütezeit der Zünfte hatte die festgefügte zünftliche Verfassung allen Mitgliedern eine dauernde Existenz gesichert; notleidende Meister, Gesellen und Lehr­linge waren ausreichend unterstützt worden, ein gewisser fester Ab­satz und Verdienst war jedermann garantiert. Der Niedergang dieser zünftlerischen Wirtschafts-Verfassung ist dadurch gekennzeichnet, daß sich die Zahl derer, die in diesen Institutionen kein Unterkommen gefunden hatten, von der Mitte des 16. Jahrhunderts an rasch ver­mehrte. Diese schutzlos dastehenden Massen, die sich teils aus dem entwurzelten Bauerntum, teils aus arbeitslosen Gesellen zusammen­setzten, waren in sehr schlimmer Lage 1). Ihnen war in der Regel schon von Gesetzes wegen jede Möglichkeit genommen, sich ge­werblich zu betätigen; es blieb ihnen daher nur das Vagabundentum und die Bettelei mit ihren hohen polizeilichen Strafen übrig. So vermochten unternehmungslustige Führer im 30jährigen Kriege Heere von Zehntausenden "aus dem Boden zu stampfen", wenn sie nach Wallensteins Prinzip "der Krieg ernährt den Krieg" nur Beute und Nahrung versprachen. Auch im Frieden bildeten die Massen von Arbeitslosen, die als Bettler, Landstreicher und Diebe herumzogen, eine Landplage, der gegenüber alle Repressalien — Prügelstrafe, Gefängnis, Stäupen, Aufhängen — sich als wirkungslos erwiesen.

 

            Die spätmittelalterliche Arbeitslosigkeit hat einen dichterisch edlen Ausdruck gefunden in einigen der von den Brüdern Grimm gesammelten Märchen, z. B. den "Bremer Stadtmusikanten" und "Sechse kommen durch die ganze Welt". Meist sind es entlassene Soldaten, die sich nach langen treuen Diensten plötzlich dem Nichts gegenübersehen, und altgewordene Arbeiter (das alte Pferd, der alte Esel, Jagdhund usw.), die ihr Herr nicht mehr gebrauchen kann. Sie rotten sich voll Zorn zusammen, verbünden sich gegen die­jenigen, die sie ausgestoßen haben, und versuchen sich, gemeinsam weiterzuhelfen; Die dichterische Lösung; die Grimm in diesen

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1) Vgl. Petrenz, Die Arbeitslosigkeit, ihre statistische Erfassung und. ihre Be­kämpfung.   Leipzig 1911.

 

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Märchen bietet, ist, daß das reine Denken, eine gute Idee, die einem unter ihnen einfällt, plötzlich das über sie gebreitete Netz des Elends zerreißt und ihnen einen Weg zum Glück zeigt.

Vollends zerstört wurde das Zunftwesen durch das Aufkommen der Manufakturen und der Kraftmaschinen (Wattsche Dampfmaschine). Dadurch wurden die Preise vieler Waren derartig gedrückt, daß nicht nur die außerhalb der Zünfte stehenden Massen, sondern die noch von ihnen beschäftigten Bevölkerungsteile um ihren Verdienst kamen. Die Unfähigkeit der zünftlerischen Gesellschaft und ihrer Führer, ihren Mitgliedern Arbeit und Brot zu verschaffen, sollte die mittelalterliche Welt vernichten, so wie sie die klassischen Ge­meinwesen zerstört hatte. Sie hatte im wesentlichen darin ihre Ur­sache, daß die Zahl der Gesellen, die jeder Meister beschäftigen durfte, in den Zunftordnungen festgelegt war (Lassalle), so daß der über diese Zahl hinausgehende Teil der Bevölkerung auch als Konsument ausfiel, indem keine weitere Erwerbsmöglichkeit bestand. (jz4)

Ein weiterer Grund waren die behördlichen und zünftlerischen Preis­festsetzungen, die alle Preissenkungen, daher jede Erweiterung des Absatzes verboten und dadurch die Einstellung neuer Arbeiter auch unlohnend machten. Die neue Zeit, d. h. die Abschaffung der Zünfte und die allmähliche Einführung der Gewerbefreiheit, kam dann, weil die Überzeugung allgemein geworden war, daß die zünftlerische Verfassung den Aufgaben der Zeit nicht mehr gewachsen war, daß sie vielmehr das herrschende Elend nur verschlimmern konnte.

d) Die darauffolgende merkantilistische Übergangsperiode mit ihrer Armengesetzgebung 1) wurde abgelöst durch den wirtschaft­lichen Liberalismus, der die staatliche Bevormundung durch den Grundsatz unumschränkter (? J.Z.) Selbstbestimmung ersetzte. Vom (jz5) freien Wettbewerb erwartete man damals nicht nur die Belebung aller wirtschaftlichen Kräfte, sondern auch die Beseitigung der Arbeits­losigkeit. Wenn erst die Schranken des Zunft- und Konzessions­systems gefallen wären, würde jeder tätige Bürger, so glaubte man, auch den ihm gebührenden Platz finden.

Diese Erwartungen sind enttäuscht worden. "In krassem Widerspruch" sagt K. Kumpmann 2), "zu den Hoffnungen der

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1)             Der Ertrag der Armensteuer, die zur Bezahlung der Wohlfahrtslasten er­hoben wurde, stieg von 1785 - 1813 in England von 2 004 238 £ auf 8 640 842 £. Da die Gesamtbevölkerung nur 9 Mill. Personen betrug, von denen ein großer Teil zu den Armen rechnete, war die Steuerbelastung infolge der Armengesetze außerordentlich drückend; der wirtschaftliche Erfolg der Armengesetze war, da nichts produziert wurde, minimal, und der demoralisierende Einfluß blieb bestehen. Vgl. Rogers, Geschichte der englischen Arbeit, S. 322.

2)             Hwb.d.St,S.792.

 

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liberalen Theoretiker standen die Tatsachen des 19. und 20. Jahr­hunderts. Es erwies sich, daß gerade das Zeitalter des Liberalismus und des Kapitalismus zugleich das Zeitalter der Arbeitslosigkeit, und zwar einer ungeheuren unverschuldeten Arbeitslosigkeit des Proletariats werden sollte". (jz6)

 

 

 

 

2. Umfang, Gliederung und Entwicklung der Arbeitslosigkeit

in der neuesten Zeit

 

            Die Zahl der Arbeitslosen schwankt so stark, daß man sie vorzüg­lich zum Gradmesser der Konjunkturen gemacht hat 1). Sie ist zeitlich und räumlich, branchenmäßig und persönlich den stärksten Veränderun­gen unterworfen. Sie tritt nicht nur in der Form voller Beschäftigungslosigkeit, sondern auch in der milderen Form der Kurzarbeit auf.

            Über die Schwankungen der Arbeitslosigkeit inner­halb der einzelnen Berufe gibt folgende Tabelle Aufschluß 2):

 

            Die Beschäftigungslosen im Vergleich zur Gesamtzahl der Arbeiter nach Berufsgruppen

____________________________________________________________________________________________

 

Berufsgruppen der Berufsabteilungen A – C   Arbeitnehmer      Von diesen waren in Proz. beschäftigungslos

(Landwirtschaft, Industrie und Handel)                   am                                  am                  am

                                                                        14. VI. 1895                    14. VI. 1895            2. XII. 1895

_________________________________________________________________________________________

 

I.          Landwirtschaft usw.                              5 607 213                                0,66                 3,62

II.         Forstwirtschaft und Fischerei                    116 713                                1,19                 4,76

III.       Bergbau, Hüttenwesen usw.                     564 922                                1,47                 2,03

IV.       Industrie der Steine und Erden                 468 489                                1 ,47                5,76

V.        Metallverarbeitung.                                  719 775                                2,89                 3,75

VI.       Maschinen, Werkzeuge usw.                    304 463                                2,57                 3,44

VII.      Chemische Industrie                                   92 582                                1,94                 2,29

VIII.     Forstwirtschaftl. Nebenprodukte usw.     38 116                                   2,09                 2,74

IX.       Textilindustrie                                         878 494                                1,64                 1,92

X.        Papier                                                    121 256                                2,60                 2,86

XI.       Leder                                                     123 914                                3,46                 6,04

XII.      Holz und Schnitzstoffe                              456 229                                2,93                 4,00

XIII.     Nahrungs- und Genußmittel                     650 970                                3,27                 4,35

XIV.    Bekleidung und Reinigung                        775 671                                3,13                 5,42

XV.      Baugewerbe                                         1 151 851                                2,87                 15,61

XVI.    Polygraphisches Gewerbe                        106 626                                4,18                 4,38

XVII.   Künstler u. künstlerische Betriebe               18 756                                3,59                 5,51

XVIII.  Fabrikarbeiter, Gesellen ohne nähere

Bezeichnung                                              28 542                               4,96                 35,66

XIX.    Handelsgewerbe                                      626 637                                3,52                 4,24

XX.      Versicherungsgewerbe                               18 216                                1,50                 1,73

XXI.    Verkehrsgewerbe                                   533 150                                1,30                 3,04

XXII.   Beherbergung und Erquickung                  316 951                                2,54                 4,92

 

13 725 825                              1,77                 4,80

 

_______________________________

1.)    z.B. Pigou in seinem Werk "Industrial Fluctuations".

2.)    Hwb. d. St. S. 799.

 

    6   

 

Wie groß die Schwankungen sogar innerhalb der einen Gruppe "Holzarbeiter" sind, zeigt die nachstehende Spezifikation aus den Jahren 1926/28 1):

 

Es waren arbeitslos                   1926                1927                1928

       bei den:                                 %                    %                    %

Bürstenmachern                        24,1                 9,8                   10,3

Drechslern                                27,3                 15,3                 14,5

Stockarbeitern                          21,6                 11,7                 22.1

Knopfmachern                         45,6                 21,4                 27,8

Kammachern                            51,2                 35,8                 24,5

Korbmachern                           27,0                 14,2                 13,6

Klaviermachern                        17,8                   7,3                   7,6

Stellmachern .                           36,0                 19,7                 15,3

 

Tischlern                                   27,0                 11,6                 11,1

Stuhlbauern.                             25,2                   4,9                   3,3

Polierern                                   28,3                   8,6                   7,6

Bildhauern                                40,1                 25,1                 24,2

Schiffstischlern                          29,3                 13,3                 11,2

Modelltischlern                         18,9                   7,0                   7,3

Vergoldern                               19,8                 11,9                 10,7

Maschinenarbeitern                   24,7                 10,7                   9,5

Pantinenmachern.                        9,5                   2,2                  4,8

Kistenmachern                          22,0                   8,3                   6,9

 

 

 

Ebenso bedeutend sind die zeitlichen Veränderungen der Arbeitslosigkeit 2):

 

Arbeitslosigkeit unter den Mitgliedern der Gewerkschaften in den Jahren 1924-1929

 

Jahr      Jan       Feb.     Mar      April     Mai      Juni      Juli       Aug      Sept.    Okt.     Nov.    Dez. 

In Prozenten

1. Alle Gewerkschaften

1924    26,5     25,1     16,6     10,4     8,6       10,5     12,5     12,4     10,5     8,4       7,3       8,1

1925    8,1       7,3       5,8       4,3       3,6       3,5       3,7       4,3       4,5       5,8       10,7     19,4

1926    22,6     22,1     21,6     18,7     18,3     18,3     17,9     17,0     15,6     14,5     14,5     17,2

1927    16,9     15,9     11,8     9,0       7,1       6,4       5,6       5,1       4,7       4,6       7,6       12,9

1928    11,4     10,5     9,3       6,9       6,3       6,2       6,3       6,5       6,6       7,3       9,4       16,7

1929    19,4     22,3     16,8     11,1     9,1       8,6       8,6       9,0       9,6       11,0     -,-        -,-

                                                                                                                                               

2. Konjunkturgruppe

1924    19,5     18,8     13,1     10,1     8,8       10,6     12,8     12,7     11,2     8,8       6,9       6,2

1925    6,0       5,4       4,7       4,3       3,7       3,5       3,7       4,2       4,5       5,7       8,2       14,7

1926    18,2     19,1     19,7     17,6     17,8     18,0     17,9     17,1     15,6     14,0     13,1     13,3

1927    12,4     11,7     10,0     8,5       7,3       6,7       6,o       5,4       4,8       4,3       4,7       6,2

1928    6,4       6,2       5,9       5,8       5,9       6,0       6,3       6,5       6,4       6,5.      7,3       9,5

1929    10,3     11,4     10,6     9,2       8,6       8,4       8,6       8,6       8,9       9,2       -,-        -,-

_______________________________

1)      Vgl. W. Woytinsky, Der deutsche Arbeitsmarkt, Ergebnisse der gewerkschaftlichen Arbeitslosenstatistik 1919-1929, Berlin  1930, S. 41.

2)      ebendort S. 51.

 

 

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In Prozenten

3. Saisongruppe.

Jahr      Jan.      Feb.     März    April     Mai      Juni      Juli       Aug      Sept.    Okt.     Nov.    Dez.

1924    68,8     69,4     34,0     13,4       7,9       8,5       9,4     10,1       7,4       5,9       9,0     19,6

1925    21,1     18,7     12,0      5,0       3,1       2,8       3,3       4,7       4,7       6,8       5,4     42,8

1926    48,4     38,9     32,0     24,9     21,1     19,8     18,2     16,5     15,6     16,8     21,0     35,9

1927    39,4     37,3     20,8     11,9       6,4       4,9       3,9       3,7       3,9       5,5     20,6     44,0

1928    34,1     30,1     24,6     12,0       8,1       7,0       6,0       6,5       7,4     10,3     18,5     46,7

1929    58,4     68,1     43,4     19,2     11,0       9,2       8,9     10,4     12,8     17,7        -,-        -,-

 

 

 

            Über den Grad der Kurzarbeit gibt folgende Tabelle Aufschluß 1).

 

 

   Jahr               Von 100 Gewerk-          Durchschnittliche           Durchschnittlicher wöchentlicher

schaftsmitgliedern          Verkürzung der             Arbeitszeitausfall auf

                        standen in                     Arbeitswoche in            1 Gewerkschaftsmitglied

                        Kurzarbeit                     Stunden                        in Stunden         in %

   1926            

 

Januar              22,4                              17,0                              3,8                    7,9

Februar             21,4                              17,1                              3,7                    7,6

März                21,3                              17,1                              3,6                    7,6

April                 18,4                              17,0                              3,1                    6,5

Mai                  17,4                              16,8                              2,9                    6,1

Juni                  16,4                              16,5                              2,7                    5,6

Juli                   15,9                              16,3                              2,6                    5,4

August              14,4                              15,7                              2,3                    4,7

September        12,1                              15,1                              1,8                    3,8

Oktober              9,8                              14,2                              1,4                    2,9

November           8,1                              13,9                              1,1                    2,3

Dezember           7,1                              14,2                              1,0                    2,1

 

   1927

Januar                6,4                              13,5                              0,9                    1,8

Februar               5,7                              13,0                              0,7                    1,5

März                  4,3                              12,7                              0,5                    1,1

April                   3,6                              12,5                              0,5                    0,9

Mai                    2,8                              12,2                              0,3                    0,7

Juni                    2,6                              12,3                              0,3                    0,7

Juli                     2,6                              12,8                              0,3                    0,7

August                2,8                              12,0                              0,3                    0,7

September        2,4                               12,3                              0,3                    0,6

Oktober            2,6                               12,3                              0,2                    0,5

November          2,1                               12,3                              0,3                    0,5

Dezember          3,0                               13,8                              0,4                    0,9

 

   1928

Januar              3,5                               12,5                              0,4                    0,9

Februar             3,5                               12,3                              0,4                    0,9

März                3,6                               12,2                              0,4                    0,9

April                 4,1                               12,1                              0,5                    1,0

Mai                  4,8                               12,7                              0,6                    1,3

Juni                  5,6                               12,6                              0,7                    1,5

_______________________________

1)      ebendort S. 70-71.

 

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Juli                   6,1                               12,6                              0,8                    1,6

August              6,6                               12,8                              0,9                    1,8

September        6,3                               12,3                              0,8                    1,6

Oktober            6,3                               12,0                              0,8                    1,6

November          7,1                               11,7                              0,8                    1,7

Dezember          7,0                               13,1                              0,9                    1,9

 

   1929

Januar              8,2                               12,0                              1,0                    2,1

Februar             8,5                               12,5                              1,1                    2,2

März                7,5                               13,1                              1,0                    2,0

April                 6,6                               12,6                              0,8                    1,7

Mai                  6,3                               13,4                              0,8                    1,8

Juni                  6,2                               12,8                              0,8                    1,7

Juli                   6,5                               13,4                              0,9                    1,8

August              6,7                               12,9                              0,9                    1,8

September        6,5                               13,1                              0,9                    1,8

Oktober            6,7                               12,8                              0,9                    1,8

 

 

 

            Die regionale Verschiedenheit der Arbeitslosigkeit inner­halb Deutschlands war gleichfalls sehr verschieden; von 100 Ge­werkschaftsmitgliedern in den einzelnen Bezirken waren im Jahres­durchschnitt 1928 arbeitslos 1):

Bezirke                         %

Ostpreußen..................... 18,5

Schlesien...................      11,3

Pommern.....................   16,0

Nordmark....................     7,6

Brandenburg................     7,9

Sachsen.......................     7,6

Mitteldeutschland.........     8,5

Hessen......................... 10,8

Bayern.........................    9,5

Niedersachsen..............    7,4

Westfalen........................ 6,8

Rheinland......................    8,3

Südwestdeutschland........ 5,9

                          Reich   8,6

Faßt man die Gesamtzahl aller Arbeitslosen ins Auge, so kann man schätzen, daß vor dem Kriege im Durchschnitt 2 - 3 % der gesamten Arbeiterschaft arbeitslos waren. Dieser Prozentsatz verteilte sich auf die einzelnen Jahre und Mo­nate, wenn man sich auf die Gewerkschaftsmitglieder beschränkt, wie folgt:

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1)      ebendort S. 95.

    9    -

                                    Arbeitslose unter den Gewerkschaftsmitgliedern in v. H. 1).

Ende des Monats

Jahr      Jan.      Feb.     März    April     Mai      Juni      Juli       Aug.     Sept.    Okt.     Nov.    Dez /Im Durchschnitt

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1903                                                                                      3,2                                          2,3                                          2,6                          -

1904                            2,0                               2,1                               1,8                               2,4                   2,1

1905                                       1,6                                          1,5                                          1,4                                          1,8                          1,6

1906                            1,1                               1,2       0,8       0,7       1,0       1,1       1,1       1,6                   1,1

1907       1,7          1,6          1,3          1,3          1,4          1,4          1,4          1,4          1,4          1,6          1,7          2,7                          1,6

1908       2,9          2,7          2,5          2,8          2,8          2,9          2,7          2,7          2,7          2,9          3,2          4,4                          2,9

1909    4,2       4,1       3,5       2,9       2,8       2,8       2,5       2,3       2,1       2,0       2,0       2,6                   2,8

1910    3,6       2,3       1,8       1,8       2,0       2,0       1,9       1,7       1,8       1,6       1,6       2,1                   1,9

1911    2,6       2,2       1,9       1,8       1,6       1,6       1,6       1,8       1,7       1,5       1,7       2,4                   1,9

1912    2,9       2,6       1,6       1,7       1,9       1,7       1,8       1,7       1,5       1,7       1,8       2,8                   2,0

1913    3,2       2,9       2,3       2,3       2,5       2,7       2,9       2,8       2,7       2,8       3,1       4,8                   2,9

1914    4,7       3,7       2,8       2,8       2,8       2,5       2,9       22,4     15,7     10,9     8,2       7,2                   -

 

Bei einer Gesamtzahl von 21 000 000 Personen waren das durchschnittlich 500 000 - 600 000 Arbeiter.

Bei Beginn des Weltkrieges, als alle Aufträge annulliert wurden und die Friedensproduktion in weitem Maße eingestellt werden mußte, stieg die Arbeitslosigkeit gewaltig. Legt man die Berichte der Gewerkschaften zugrunde, so war die Zahl der arbeitslosen Mitglieder im Juli 1914 2,8 %, im August 22,4 %, im September 15,7 % und im Oktober 10,9 %.

Die Einziehungen zum Heeresdienst und die Umstellung der Produktion auf den Kriegsbedarf machten nun ihre Wirkungen auf den Arbeitsmarkt geltend. Bald waren 4 Millionen Arbeiter unter den Waffen. Seit dem Winter 1916/17 (Hindenburgprogramm) trat Arbeitermangel größten Ausmaßes an die Stelle der Arbeitslosigkeit. Im Jahre 1917 entfielen auf je 100 offene Stellen nur 54 männliche und 97 weibliche Arbeitsgesuche (im Januar 1929 lauteten die entsprechenden Zahlen 767 und 337.).

Mit der Demobilmachung kehrten nicht nur etwa 8 Milli­onen Heeresangehörige, sondern auch etwa 1 Million Flüchtlinge nach den alten Arbeitsplätzen zurück. Überraschend schnell ge­lang es, für diese Massen Arbeit zu finden, worauf später noch einzugehen sein wird. Die Arbeitslosigkeit, die mit 1 100 000 Unter­stützten im Februar 1919 ihren Höhepunkt erreicht hatte, sank in­folge der Inflation von April an rasch. Ähnlich war die Entwick­lung in den andern Ländern. Während das Internationale Arbeitsamt in Genf die Gesamtzahl der Arbeitslosen in den 20 größten Ländern

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1) ebendort S. 102.

     10    

für Ende 1910 auf 10 835 000 geschätzt hatten, betrug sie nach der Berechnung dieses Amtes

         1914   13 222 000 und

Ende 1919   32 680 000 Personen; in Europa allein

        1910    8 500 000 und

1919 mehr als

                 26 000 000 Menschen.

In derselben Zeit, die in Deutschland die Inflation und damit das Verschwinden der Arbeitslosigkeit brachte, trat in den meisten andern Hauptländern der Welt nach der kurzen inflationistischen Nachkriegsperiode schon im Jahre 1920/21 ein deflationistischer Rückschlag ein, der eine Arbeitskrise größten Ausmaßes brachte. Die Arbeitslosigkeit erreichte einen Höhepunkt, wie er noch nicht erreicht worden war, seitdem es eine Statistik der Arbeitslosig­keit gab. Im Januar 1921 betrug die Arbeitslosigkeit in Massa­chusetts (U.S.A.) 32 % 1), in Dänemark (Februar 1922) 29 %, Norwegen (Januar 1922) 23%, Holland (März 1922) 21 %, England (Juli 1921) 18 %, in Belgien (Januar 1921) 17 %, Canada (April 1921) 16 1/2 %, in Australien (Juli 1921) 12 1/2 %. Man hat be­rechnet, daß allein im Jahre 1921 nicht weniger als 10 Milliarden Goldfranken an Erwerbslosenunterstützung gezahlt worden sind 2). Nach einigen besseren Jahren erreichte die Arbeitslosigkeit der Welt im Winter 1929/30 wieder einen Höhepunkt, der sie an die Ziffern des Jahres 1920/21 heranführte. Im März 1930 gab es in Deutschland etwa 3,2 Millionen Erwerbslose, von denen unterstützt wurden.

von der  Reichsanstalt....................      2 400 000

"     "    Krisenfürsorge..................         160 000

"     "   Wohlfahrtspflege     ...........         200 000

 2 760000

 

 

Von 100 Gewerkschaftsmitgliedern waren arbeitslos

 

Monatsende

 

Januar

Februar

März

April

 

 

1923

 

4,2

5,2

5,6

7.0

 

   1924

 

 26,5

  25,1

  16,6

  10,4

 

  1925

 

   8,1

   7,3

   5,8

   4.3

 

  1926

 

22,6

22,1

 21,6

18,7

 

    1927

 

  16,9

  15,9     

  11,8

   9,0

 

   1928

 

   11,4   

   10,5

      9,3

      6,9

 

 1929

 

19,4

22,3

16,8

11,1

 

1930

 

22,2

23,7

21,9

20,5

 

In England betrug die Zahl der Arbeitslosen zur gleichen Zeit etwa 2 Millionen, in den Vereinigten Staaten war sie auf die noch nicht vorgekommene Zahl von 5 Millionen gestiegen 3) und auch in Japan überschritt sie 1Million. Allein in den Haupt-

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1)      In den Vereinigten Staaten von Amerika zusammen über 4 500 000 Personen.

2)      Hwb. d. St., S. 802.    

3)      Nach der New York Times vom 29. Juni 1930 ist die Mindestzahl 6 600 000.

 

 

   11  

ländern Europas (ohne Rußland 1)) und in den Vereinigten Staaten waren im Frühjahr 1930 etwa 12 Millionen Menschen arbeitslos. Rechnet man die Zahl der Angehörigen mit, so kommt man auf etwa 30 Millionen Personen, die infolge von Arbeitslosigkeit ohne Einkommen waren, die also außerhalb des volks-wirtschaftlichen Tauschprozesses standen.

3. Schäden der Arbeitslosigkeit.

 

Allein von 1919—1929 soll die Gesamtsumme der ausgezahlten Erwerbslosenunterstützungen in der ganzen Welt über 25 Milliarden Goldfranken betragen haben. Der gleichzeitige Ausfall an Güter­erzeugung wird für Europa und dieselben Jahre auf 30 - 40, für die Erde sogar auf 100 Milliarden Goldfranken geschätzt; er war danach also mehr als doppelt so hoch, als der Barwert der Young-Annuitäten heute ist. Die seit 1922 weiter eingetretenen mate­riellen Verluste können  auch nicht annähernd berechnet werden.

Viel wichtiger noch sind die moralischen und politischen Schäden.

 

  "Die Arbeitslosigkeit ist die gefährlichste soziale Er­krankung des Volkskörpers, gefährlich vom Standpunkt der un­mittelbar betroffenen Arbeiter, der gesamten Arbeitnehmerschaft wie der Allgemeinheit. . . . Die Erfahrung zeigt nur zu häufig das folgende Bild: Der Arbeiter verliert seine Stelle, Ersparnisse fehlen oder sind schnell verzehrt, eine Zeitlang fristet die Arbeiterfamilie durch den Verkauf von entbehrlichem, dann von unentbehrlichem Hausrat, Möbeln, Kleidern die Existenz. Bleiben alle Bemühungen des Familienvaters, unterzukommen, ohne Ergebnis, dann folgt das krasse Elend, der Kampf ums Leben. Wirtschaftlich, körperlich     und seelisch sinkt die bisher ordentliche Familie mit reißender Schnelligkeit abwärts. Bald sind alle Dämme niedergerissen, jede Art von Verderbnis findet leichten Eingang 2)."

 

Das körperliche Elend und der seelische Druck, unter dem der Arbeitslose lebt, muß ihn zu Gefühlen des Hasses gegenüber der herrschenden Gesellschaftsordnung führen, welche diese auch sei. G. Adler hat daher an Hand der Geschichte nachgewiesen, daß fast alle Aufstände früher und jetzt mit den Massen der Er­werbslosen gemacht worden sind, die glauben, ein Recht auf alles

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1.)    In  Rußland waren nach dem Soviet Union Year-Book 1929, S. 465, am 1. X. 1928 1 374 000 registrierte Arbeitslose vorhanden, bei einer Industriearbeiterschaft von 5 - 6 Mill., also etwa 25 %. Im Jahre 1930 war die Ziffer nach der Roten Fahne fast dieselbe.

2.)  K. Kumpmann, a. a. O. S. 803.

 

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zu besitzen, da ihnen alles verweigert wird 1). Mit Recht sagt daher Lindner:

            "Vergebens ist das Ansinnen der Rechtsgesellschaft an den einzelnen Menschen, die       bestehenden Rechte zu respektieren, wenn sich dieser Einzelne innerhalb des bestehenden Rechtssystems wie ein Verlassener vorkommt, angewiesen auf die wenig trostvolle Aussicht, in diesem System zu verhungern 2)".

Es ist offenbar, daß auch in Deutschland die radikalen Parteien immer in den Jahren den größten Zulauf gehabt haben, in denen die größte Arbeits­losigkeit herrschte. Dazu kommt, daß die neueste Zeit eine Arbeits­losigkeit unter den Kopfarbeitern, den kaufmännischen und tech­nischen Angestellten und den leitenden Personen des Wirtschafts­lebens mit sich gebracht hat, wie sie früher nicht bekannt war. Nur sehr wenige dieser "am laufenden Band produzierten" 3) Intellek­tuellen werden das Erlebnis vorübergehender oder dauernder Arbeits­losigkeit zum Anlaß für ein Studium der Frage nehmen; die Mehr­zahl auch dieser wichtigen Schicht wird vielmehr dem Radikalismus anheimfallen.

Zu der Erscheinung der Arbeitslosigkeit selbst gesellt sich noch die alles überschattende Furcht vor Arbeitslosigkeit. Wenn in Deutschland allein 3/4 aller Verdiener binnen Tagen oder wenigen Wochen gekündigt werden können 4), wenn sie also täglich den Abgrund vor sich sehen, so muß das auf ihre Nerven, auf ihre Fähigkeit zu ruhigem Denken, zu tieferer geistiger Tätigkeit und zu Lebensgenuß einen zerstörenden Einfluß haben. Familie und Kinder bringen lebens-lange Verpflichtungen für den Ernährer mit sich, denen nicht etwa gleichwerte, lebenslange Ansprüche gegenüberstehen, sondern Rechte, die durch eine 1000 oder 10 000 km entfernt vollzogene Fusion oder das Stirnrunzeln eines Abteilungs­leiters fast sofort beendet werden können. Diese Unsicherheit der wirtschaftlichen Existenz würde unschädlich sein, wenn stets Gewiß­heit bestände, für die verlorene eine neue Stelle zu bekommen. Der absolute Mangel an Arbeitsgelegenheit verhindert das aber.  So ist

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1.)          Herkner sagt in seiner "Arbeiterfrage": "Man kann nicht  erwarten, daß unsere Arbeiter mit der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung einen  aufrichtigen Frieden schließen, solange sie ihnen keine ausreichende Schutzwehr gegen den Abgrund der Arbeitslosigkeit errichtet".

2.)          Zitiert bei C. Buschmann, a. a. O. S.  I.

3.)  Ausdruck von Hans Zehrer in der neuen "Tat".

4.)    Selbst nach dem H. G. B. in nur 6 Wochen. Dabei stellt die Fassung des Gesetzes und die Rechtsprechung  selbst allen Versuchen wohlmeinender Unternehmer, wenigstens mit einzelnen Arbeitnehmern eine langfristige oder lebenslängliche Anstellung zu vereinbaren, fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen.

 

   13   

die Arbeitslosigkeit auch die tiefere Ursache eines großen Teils der politischen, sozialen und kulturellen Unrast, die das heutige Leben nachteilig beeinflußt

 

4. Der Absatzmangel und sein Verhältnis zur Arbeitslosigkeit

 

Wenn ein Arbeiter oder Angestellter sein Produkt, d. h. seine Arbeit, nicht verwerten oder verkaufen kann, so nennen wir ihn arbeitslos; ist der Unternehmer in dieser Lage, so sprechen wir von Absatzmangel. Beide Erscheinungen sind einander überaus ähnlich, beide treten auch zumeist gleichzeitig auf. Wie der Arbeiter mehr oder weniger passiv warten muß, bis ein Arbeitgeber erscheint, der ihn anzustellen bereit ist, ebenso muß der Unternehmer auf die Aufträge warten, mit denen er allein seine Fabrik in Gang halten und seine Läger verkaufen kann. Der Laie glaubt häufig, für die Schaffung von Volksreichtum wäre die Produktion immer größerer Gütermassen in erster Linie erforderlich; zu dem Zwecke sei Steige­rung der Produktion durch technische Höchstleistungen, Serien­fertigung usw. der beste Weg. Die Schwierigkeit, die so produ­zierten Warenmengen in die Hand des Verbrauchers zu bringen, wird von den Vertretern dieser mehr technischen Wirtschafts­auffassung unterschätzt. Das Absatzproblem ist heute so wichtig geworden, daß das Produktionsproblem vergleichsweise in den Hintergrund tritt: Fast sämtliche Fabriken und Industrien des Landes könnten mühelos 30 - 50 % mehr produzieren, da ihre Produktionskapazität nur zu 50 - 70 % ausgenutzt ist, wenn nur genügender Absatz vorhanden wäre. Der Kenner des Wirtschafts­lebens weiß, daß Produzieren sozusagen "eine Kleinigkeit" ist, wenn nur das Problem des Absatzes dieser großen Gütermassen lösbar wäre. Tatsächlich bemühen sich aber soviele Menschen um die Steigerung des Absatzes, daß die Kosten der Waren beim Kon­sumenten wohl zu mehr als ein Drittel aus Verkaufspesen bestehen. Die Inseratenteile der Presse sind angefüllt von Warenangeboten, von dem Schrei nach Angestellten, die fähig sind, den Absatz zu vergrößern ("Verkaufskanonen"); die Zeit der Leiter aller großen Unternehmungen ist zum größten Teile mit Bemühungen um Ab­satz ausgefüllt Überall rufen riesige Läger, die zu verderben oder zu veralten drohen, nach Absatz: Der Absatzmangel ist das beherrschende Problem der modernen Industrie ge­worden. Das ist um so überraschender, als gleichzeitig Millionen von Menschen ohne Arbeit und Einkommen sind, die eine voll

 

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ausreichende Konsumkraft haben würden, um der Not der Fabri­kanten und Händler abzuhelfen. Je stärker der Absatzmangel an­steigt, um so mehr pflegt die Arbeitslosigkeit zu wachsen, und um­gekehrt. Die Entsprechung von Arbeitslosigkeit und Absatzmangel ist bisher viel zu wenig beachtet worden; sie aufzuklären und aus ihr die Lösung beider Probleme zu entwickeln, soll eine der Aufgaben dieser Abhandlung sein.

In zunehmendem Maße erregt die neue Problemstellung das Interesse der Wissen­schaft. So lesen wir bei Foster und Catchings1):

"Wir haben gesehen, daß die ökonomische Organisation der Gesellschaft innerhalb bestimmter Perioden ihren Hauptzweck, für Produktion und Distribution zu sorgen, nicht erreichen kann. Das war z. B. das Unglück der Vereinigten Staaten während der Depression von 1921. Machen wir uns ein Bild davon: Die Lagerhäuser waren überfüllt mit Baumwolle, Wolle, Leder, Holz, Kupfer, Chemikalien,— ein Reichtum, der die Träume früherer Generationen weit übertraf. Weit ausgedehnte Fabrik- und Maschinenanlagen von unvergleich­licher Kapazität, und dabei Millionen müßiger Hände, bereit zu arbeiten, hundert Millionen unserer Landsleute, bereit, diese un­zähligen Dinge zu genießen, die diese müßigen Menschen an jenen müßigen Maschinen mit Freude hergestellt haben würden, ja mit Leichtigkeit in dieser Zeit wissenschaftlicher Zauberei aus dem Roh­stoffüberfluß hätten herstellen können. Aber Monat um Monat dauerte die Depression; Rohstoffe, Maschinen, Geld, Menschen — alles im Überfluß, nur nicht die Möglichkeit, sie unmittelbar miteinander in produktive Beziehung zu bringen".

Mit derselben Klarheit er­kennt Prof. Julius Hirsch die heutige Lage:

"Es bleibt schon ein etwas merkwürdiger, sagen wir ruhig ein etwas sinnwidriger Zustand, daß wir nun im dritten Jahre in Deutschland einen ungeheuren ungedeckten Bedarf auf einem der wichtigsten Gebiete menschlichen Gebrauchs und Verbrauchs feststellen . . . Hier der ungeheure ungedeckte Bedarf, dort die Arbeitshände, deren Inhaber nichts sehnlicher wünschen, als diesen Bedarf zu befriedigen, und zwischen beiden ist merkwürdigerweise auch das Kapital da, manchmal so viel, daß es in Deutschland keine Anlage finden konnte, sondern sie zum mindesten als tägliches Geld im Auslande suchen mußte. Hier der ungeheure ungedeckte Bedarf, dort die freien Arbeitshände, zwischen beiden bildet sich danieder unerhörten Arbeitsamkeit des deutschen Volkes auch das Kapital wieder, das

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1) Vgl Foster und Catchings," "Profits", Boston 1925, zitiert nach E. Altschul, Mag. d. W., 1930, S. 13.

 

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den volkswirtschaftlichen Sinn und Beruf hat, die beiden zusammen­zuführen. Der ungedeckte Bedarf, die Beschäftigung suchenden Arbeitshände, das Kapital, alle drei sind da, sie kommen bloß nicht zusammen. Also muß doch etwas nicht richtig sein im Staate Deutsches Reich" 1).

           

            Wir glauben daher nicht zuviel zu sagen, wenn wir die Frage der Arbeitslosigkeit und des Absatzmangels die wichtigsten Pro­bleme der nächsten Jahrzehnte nennen, von deren Lösung die Antwort auf die Frage: "Aufstieg oder Niedergang"? abhängt. Wenn es heute auch nur möglich ist, die Grundlinien der Lösung aufzuzeigen, so darf dieses Mißverhältnis zwischen Aufgabe und Leistung nicht zum Schweigen verleiten. Es muß gelingen, zwischen den überflüssigen Vorräten, die die Existenz von Hunderttausenden von Unternehmern zu ruinieren drohen, und den Arbeitslosen dieselbe Verbindung herzustellen, die zwischen den in Arbeit befindlichen Arbeitern und den Lägern schon längst besteht. Es muß versucht werden, die Arbeitslosen in den Konsum wieder einzuschalten, da­mit die Läger geräumt und dadurch neue Arbeitsgelegenheit zu ihrer Wiederauffüllung geschaffen werden kann.

Vor einer solchen Untersuchung ist der vielfältige Begriff der Arbeitslosigkeit in seine Hauptarten zu zerlegen. Hieraus können sich Anhaltspunkte für die Gründe  der Arbeitslosigkeit ergeben.

 

5. Arten der Arbeitslosigkeit.

 

Wir können mit K. Kumpmann folgende Arten der Arbeits­losigkeit unterscheiden 2):

            A. Subjektive Arbeitslosigkeit.

                        I. Infolge von Unfähigkeit des Arbeiters:

                                    1. Aus körperlichen Gründen >)

                                    2. Aus geistigen Gründen         >)> absolute oder relative Unfähigkeit

                                    3. Aus sittlichen Gründen          >)

 

                        II. Infolge von Unwilligkeit des Arbeiters:

                                    1. Allgemeine Arbeitsscheu

                                    2. bei den vorhandenen Arbeitsbedingungen

                                                a) freiwilliger Austritt (oder verschuldete Entlassung)

                                                b) Streik und Aussperrung (soweit die Ursachen beim Arbeiter liegen).

            B. Objektive Arbeitslosigkeit:

                        I. Infolge von Unauffindbarkeit der vorhandenen Arbeits­gelegenheit (mangelhafter                                     Organisation des Arbeitsmarktes).

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1.)    Vgl. den Bericht über den Handel in "Das Problem der gegenwärtigen Arbeitslosenkrise in Deutschland", Berlin, 1927, S. 71.

2.)    a.a.O. S. 793.

 

   16  

            II. Infolge von Arbeitsmangel:

                        1. Relativer Arbeitsmangel: der Unternehmer will keine Arbeit geben:

                                    a) aus persönlichen Gründen

                                    b) aus wirtschaftlichen Gründen.

                        2. Absoluter Arbeitsmangel: der Unternehmer kann keine Arbeit geben:

                                    a) unregelmäßig eintretender Arbeitsmangel (Konjunkturarbeitslosigkeit) hervorgerufen                             durch:

                                                α) elementare Ursachen

                                                β) gesellschaftlich-politische Ursachen

                                                γ) wirtschaftlich technische Ursachen

                                                δ) durch Umlaufsstörungen

                                    b) regelmäßig eintretender (periodischer) Arbeitsmangel:
                                                α) Modearbeitslosigkeit

                                                β) Saisonarbeitslosigkeit

                                                γ) Winterarbeitslosigkeit.

           

            Wir möchten noch hinzufügen:

                                    c) dauernd vorhandener Arbeitsmangel, hervorgerufen durch Kreditstörungen                                            (Dauerarbeitslosigkeit).

 

            Im folgenden werden wir uns nicht mit der subjektiven, sondern nur mit der objektiven Arbeitslosigkeit, insbe­sondere aber mit dem absoluten Arbeitsmangel befassen. Diese ist die "wahre Arbeitslosigkeit" (Lorenz von Stein): die Un­möglichkeit, Arbeit zu finden, obwohl der Arbeiter in jeder Weise geeignet und willens ist, zu arbeiten, obwohl eine ausgezeichnete Organisation des Arbeitsmarktes es möglich macht, den rechten Mann an den rechten Platz zu stellen, obwohl auch der einzelne Unternehmer seinerseits alles tun möchte, um Arbeitskräfte ein­zustellen. Hier handelt es sich also um die Unfähigkeit der Wirt­schaftsorganisation, den Arbeitern zu erlauben, sich in den Pro­duktions- und Konsumprozeß einzuschalten. Wenn die objektive Arbeitslosigkeit erst einmal beseitigt worden ist, so wird man die subjektive Arbeitslosigkeit leicht der Fürsorge und die periodische Arbeitslosigkeit den Ausgleichsmaßnahmen überlassen können. Ein eigentliches Arbeitslosenproblem wird dann nicht mehr bestehen; dieses besteht nicht in persönlichem Unglück und sachlichen Zu­fällen, die die Arbeitsleistung eines Menschen verhindern, ist viel­mehr eine Massenerscheinung, die auf eine Diskrepanz größten Aus­maßes zwischen Herstellung und Konsum hindeutet.

 

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6. Definition und Wesen der objektiven Arbeitslosigkeit.

 

            Mit mehr oder weniger juristischen Definitionen wird man dem Begriff der Arbeitslosigkeit im volks-wirtschaftlichen Sinne nicht gerecht. Wenn z. B. Petrenz definiert: "Arbeitslos ist jeder arbeits­fähige Arbeitnehmer, der seine Stellung ohne Verschulden ver­loren und trotz Suchens nach Arbeit eine angemessene Beschäftigung noch nicht gefunden hat" 1), so sind damit keinerlei volkswirtschaft­lich faßbare Merkmale gegeben. Die eigentliche Definition wird sich aus dem Verlaufe der nachstehenden Untersuchungen heraus ergeben; sie wird an die Begriffe des volkswirtschaftlichen Güter­umsatzes und der Kapitalbildung anzuknüpfen haben.

 

            Wir können einmal davon ausgehen, daß die Menschen sich einander in ihrer Eigenschaft als Konsumenten Aufträge erteilen, die sie in ihrer Eigenschaft als Produzenten ausführen. Fällt eine Person als Konsument aus, so fällt sein Konsum, mithin seine Warenbestellung bei den Produzenten weg. Die Produktion muß eingeschränkt werden, es wird also ebenfalls eine Person in der Produktion überflüssig und arbeitslos. Diese Wurzel der Arbeits­losigkeit bezeichnen wir als Störungen im Güterumsatz und im Umsatzkredit, konkreter gesagt, als Störungen in dem Austausch zwischen den 32 Millionen wirtschaftlich tätigen Personen Deutsch­lands und den vielleicht 10 Millionen Zins- und Differentialrenten­empfängern untereinander.

 

            Eine ganz andere Wurzel der objektiven Arbeitslosigkeit ist in der Kapitalbildung zu finden. Diese bedeutet, wie wir sehen werden, nichts anderes, als das Freiwerden von Arbeitern in den vorhandenen Produktionen, insbesondere in der Konsumgüterindustrie, und ihre Überführung in andere Produktionen, insbesondere in die Industrie langlebiger Kapitalgüter. Sie ist in einer allgemeinen Reichtumssteigerung begründet. Diese äußert sich darin, daß die Volkswirtschaft in der Lage ist, ihre sämtlichen Glieder durch die Arbeit einer immer kleineren Anzahl von Arbeitskräften mit der täglichen Nahrung und Notdurft zu versorgen, so daß immer mehr Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, um die heiß erstrebten lang­lebigen Güter, insbesondere Produktionsmittel, zu erzeugen. Wenn in dem bei dieser Kapitalbildung nötigen Übergange der Arbeiter von der einen zu einer andern Produktion sich Störungen zeigen, so  kann ebenfalls Arbeitslosigkeit  größten Umfanges eintreten.

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1)      Dr. Otto Petrenz, a. a. O.,  1911, S. 7.
           

   18  

 

            Dieses ist die zweite volkswirtschaftliche Wurzel der objektiven Arbeitslosigkeit.

            Das volkswirtschaftliche Problem der Arbeitslosigkeit läßt sich, wenn man von diesen Grundstellungen ausgeht, noch in einer höheren Ebene betrachten, ganz ohne jede Rücksichtnahme auf das Einzelschicksal der Betroffenen und sogar der Betroffenen als Klasse. Wenn wir uns die gesamte deutsche Wirtschaft als eine einzige große Fabrik vorstellen, in der alle Einwohner arbeiten und von deren Ertrag sie leben, so ist Arbeitslosigkeit nichts anderes, als ein Beweis für eine geringe Ausnützung der Produktionskapazität dieser Fabrik. Wir wissen aber, daß die innerbetriebliche Kapitalbildung in stärkstem Maße abhängig ist von dem Grade der Ausnutzung der vorhandenen Fabrikations­anlagen; solange also die gesamtdeutsche Produktionskapazität nur zu 65 % ausgenutzt ist, wird die Kapitalbildung gering und die wirtschaftliche Lage Aller schlecht sein. Verwendet man dagegen die brachliegenden Kräfte der Millionen von Arbeitslosen, um mehr Güter zu produzieren, so muß die Gesamtheit reicher werden. Die erhöhten Ausgaben für Löhne brauchen dabei nicht veranschlagt zu werden, da ein Teil der Neueingestellten ja dazu benutzt werden kann, um das herzustellen, was sie brauchen. Eine solche Be­schäftigung der Erwerbslosen hat nun keineswegs nur die Wir­kung, daß Ertrag und Kosten in ± 0 aufgehen, sondern den Er­folg, daß die darniederliegende Produktionskapazität der Gesamtwirtschaft nunmehr ausgenutzt wird. Es wird also viel mehr als der Gegenwert der verausgabten Löhne an zusätzlicher Produktion zur Verteilung verfügbar, die Produktion erfolgt wirt­schaftlicher, da die "Efficiency" gestiegen ist, und die innerbetrieb­liche Kapitalbildung, die heute zu gering ist, steigt stärkstens. Eine starke Kapitalbildung ist daher nur durch Lösung des Arbeitslosenproblems erzielbar.

 

            Daher ist das Erwerbslosenproblem heute keineswegs das Problem eines fünften Standes, den man, ohne selbst wirtschaftlich geschädigt zu werden, dem Hungertode überlassen kann, wie Malthus und Ricardo empfahlen. Die wirtschaftlich führenden Schichten Deutschlands haben nun einmal eine für ihre Versorgung viel zu große Produktionskapazität hingestellt; sie haben jetzt nur die Wahl, diese Anlagen, die bei der heutigen geringen Aus­nutzung unrentabel sind, als wertlos abzuschreiben und damit ihr Vermögen wegzuwerfen, oder für volle Ausnutzung dieser Pro­duktionskapazität zu sorgen, die wieder ohne die Verwendung der

 

   19  

 

Erwerbslosen nicht zu leisten ist. Im Hintergrunde unserer Untersuchungen wird daher stets das volkswirtschaftliche Problem der Produktionskapazität stehen, das "Properitätsproblem".

           

            Wir können also, unseren späteren Erörterungen vorgreifend, definieren:

 

            "Arbeitslosigkeit ist eine Störung des volkswirtschaftlichen Güteraustausches oder der Kapitalbildung, durch welche Arbeiter in ihrer Eigenschaft als Produzenten derartig aus dem Güterprozeß ausgeschaltet werden, daß sie auch als Konsumenten wegfallen".

 

Im wirtschaftlichen Leben treten, wie die Geschichte zeigt, entweder die eine oder die andere der beiden Störungen ge­trennt auf, oder sie erscheinen vereint, wodurch ihre Merkmale vermischt und schwer trennbar werden. Stets ist die Kehrseite der Arbeitslosigkeit aber eine Verminderung der Ausnutzung des gesamten Produktionsapparates, die nachteilig auf den Wohlstand des ganzen Volkes und die Kapitalbildung der Unternehmungen wirkt.

 

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Erstes Kapitel.

 

Volkswirtschaftliche Grundbegriffe.

 

a) Produktionserlös und Einkommen.

 

            1. Die Produktion-Konsumgleichung. — Wenn Arbeits­losigkeit bedeutet, daß der Arbeiter objektiv außerstande ist, Ab­satz für seine persönliche Arbeitsleistung zu finden, so ist offenbar die Arbeitslosigkeit eine Art von Absatzmangel, wie er aus dem Warenverkehr bekannt ist. Der negative Begriff des Absatzmangels ist nur verständlich aus seinem positiven Korrelat heraus, nämlich dem Zustande des glatten Absatzes, der Deckung von Produktion und Konsum. Hierin könnte man eine Erörterung des "Soll-sein" sehen, die wissenschaftlich unzulässig sein soll, da man sich auf das "was ist" zu beschränken habe. Demgegenüber verweisen wir darauf, daß wir es hier nicht mit einem ethischen Soll-sein, sondern mit einer wirtschaftlichen Problemstellung zu tun haben, die nicht fragt, "was ist moralisch besser?", sondern "was ist wirtschaftlich billiger und zweckmäßiger?" 1). Es ist ebenso Aufgabe der an­gewandten Volkswirtschaftslehre, zu sagen, welche wirtschaftlichen Voraussetzungen und Relationen erfüllt sein müssen, damit sich der wirtschaftliche Kreislauf vollziehen kann, wie es etwa Aufgabe der angewandten Physik ist, die physikalische Bedingungen heraus­zuarbeiten, unter denen z. B. eine Dampfmaschine arbeiten kann.

 

            Die Inkongruenz von Produktion und Konsum kann nun in verschiedenem Sinne in Erscheinung treten. Wenn die Produktion größer ist, als der Konsum, so wird Absatzmangel vorherrschen. Man sollte meinen, daß das nur der Fall ist, wenn über den Bedarf der Bevölkerung hinaus produziert worden ist; die Erfahrung lehrt aber, daß solche Absatzstockungen zeitlich fast immer mit Perioden

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1)      Vgl. Ad. Weber, Kampf zwischen Kapital und Arbeit, 1920, S. V: " . . Auch das halte ich aufrecht . . ., daß unter Umstanden das Sollsein im Rahmen des Wirt­schaftlichen nur eine andere Formulierung für das erkannte Sein ist. Wenn ich unter gegebenen Voraussetzungen zu dem Resultat komme, daß, soweit rein wirtschaftliche Erwägungen in Betracht kommen, das Wohnungsbedürfnis durch Mietskasernen billiger befriedigt wird, als durch Kleinhäuser, dann heißt das nichts anderes, als daß vom wirtschaftlichen Standpunkte aus Mietskasernen "besser" sind, daß deren Bau also gefördert werden "soll".

 

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großer Armut bzw. Arbeitslosigkeit eines Teiles der Bevölkerung zusammenfallen. — Ist die Produktion kleiner, als der Konsum, so beobachten wir Warenmangel; wir müßten auch hier vermuten, daß ein solcher nur dadurch zu erklären ist, daß ein Teil der Be­völkerung nichts produziert, also arbeitslos ist. Aber die Erfahrungen der Kriegswirtschaft zeigen auch hier unerwarteterweise, daß Zeiten des Warenmangels zumeist mit Zeiten des Arbeitermangels zusammenfallen. — Es ist klar, daß beide Arten von Inkongruenz zwischen Produktion und Konsum vom Übel sind und daß die Organi­sation des Güteraustausches nach Möglichkeit so eingerichtet sein muß, daß die Gleichheit zwischen Produktion und Konsum gewähr­leistet ist. Wir haben es hier mit einem der wichtigsten Probleme der Wirtschaftslehre zu tun, das im Mittelpunkte jeder Untersuchung über Störungen im Güterkreislauf zu stehen hat.

 

            2. Begrenztheit der Produktionsmöglichkeiten, Unbegrenztheit der Konsummöglichkeiten. — Eine Ungleichung zwischen Produktion und Konsum kann nur darin begründet sein, daß zuviel oder zuwenig produziert oder zuviel bzw. zuwenig konsumiert worden ist. Wir haben also zuerst die Frage zu entscheiden, ob sich die Produktion nach dem Konsum zu richten hat, oder um­gekehrt. Wir hören häufig die Ansicht vertreten, der Konsum sei nur in engen Grenzen variabel; wenn heute eine Absatzstockung herrsche, so könne man un-möglich den Konsum steigern, um sie zu beseitigen, man müsse vielmehr die Produktion einschränken 1). Anderseits wird behauptet, die subjektiven Bedürfnisse der Menschen seien praktisch unbegrenzt; wenn es also gelinge, diese Bedürfnisse etwa durch Verteilung einer genügenden Menge von Zahlungsmitteln zu mobilisieren, so sei es ein Leichtes, alle Güter, die man nur heranschaffen könne, zum Konsum zu bringen 2). Die unbegrenzte Befriedigung der Bedürfnisse scheitere also nur an der Unzulänglichkeit der Produktion, die begrenzt sei, nie aber an der Unzulänglichkeit des Bedarfs. Sache einer richtigen Güterverteilung sei es, dafür zu sorgen, daß alles Produzierte glatt abgesetzt werde,

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1.)    1) Cassel z. B. sagt in seiner Theor. Soz.  1918, § 8, S. 49:   ". . . Ein  voll­ständiger Absatz für die Produkte kann nur erwartet werden, wenn  die Produktion in vollständiger Übereinstimmung mit den Wünschen der Kaufkraft geleitet wird."  Das heißt also,  daß sich die Größe der Produktion nach der einmal vorhandenen Kaufkraft zu richten hat! Wir dagegen erklären umgekehrt, daß sich die Kaufkraft, die zur Verteilung kommt, nach dem Maße der jeweiligen Produktion zu richten hat, also z. B. um so viel gesteigert werden muß, wie technische Fortschritte die Erhöhung der Produktion zulassen.

2)      Vgl. z. B. Tarnow, a. a. O. und Garrett, a. a. O.

 

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und Sache einer richtigen Wirtschaftspolitik sei es, die produktiven Kräfte einer Nation zu befreien und womöglich zu steigern.

 

            Wir schließen uns diesem letzteren Standpunkte an: Ohne Frage ist das Maß der verteilbaren Güter beschränkt, indem Arbeitskräfte und Kapitalien (Produktionsmittel) nur in ge­wissen Grenzen zur Verfügung stehen. Allerdings hat es das Zeit­alter der Technik vermocht, die Produktivität der Arbeit in vielen Fällen zu verhundertfachen und vertausendfachen; trotzdem sind Grenzen vorhanden in dem Sinne, daß bei einem gewissen Stande der Technik und der Wissenschaft beispielsweise eine Vergrößerung der gesamten Produktion der Welt auf das Dreifache, nicht aber auf das Sechsfache möglich ist

 

            Der latente Bedarf dagegen ist unbegrenzt; zum wenig­sten so lange läßt sich dagegen nichts sagen, als ein erheblicher Teil der Bevölkerung noch ohne Essen, ohne menschenwürdige Wohnung, ohne Badewanne usw. ist. Fraglos ist Überproduktion auf einzelnen Gebieten möglich, indem etwa zuviel Schuhe erzeugt worden sind; allgemeine Überproduktion in dem Sinne, jedoch, daß es auch bei richtiger Proportionierung der Produktion nicht möglich sein sollte, Menschen zu finden, die bereit sind, die Waren zu benutzen und zu verbrauchen, ist heute nicht vorstellbar.

 

            So steht also einer begrenzten aktuellen Produk­tion ein unbegrenzter latenter Bedarf gegenüber, und es ist "nur" nötig durch eine richtige Güterverteilung den latenten Bedarf stets soweit effektiv zu machen, daß die Läger abgesetzt und die Produktion unvermindert weitergeführt werden kann. Wenn dieses Ergebnis richtig ist, so müssen alle Theorien falsch sein, die zu dem entgegengesetzten Ergebnis (der Produktionseinschränkung) kommen, ebenso wie eine Mathematik falsch sein muß, die zu dem Ergebnis 2 x 2 = 5 kommt. Die gegenteilige Theorie, wonach die heute vorhandene Kaufkraft auf alle Zeiten dafür maßgebend sein soll, wieviel produziert werden darf, würde alle Anstrengungen der Technik und der Wissenschaft zum Fortschritt illusorisch machen. Alle Versuche, die Produktion zu vergrößern, würden dann an der starren Schranke einer eingebildeten fixen Kaufkraft scheitern. (jz7)

 

            3.  Die  Produktionserlös-Einkommensgleichung.  — Wie soll nun eine Güterverteilung organisiert sein, die jedes Waren­quantum, das nur immer produziert worden ist, glatt zu bewältigen imstande ist? Die kommunistischen Systeme einer mehr oder weniger zuchthausmäßigen Verteilung sollen hier außer Betracht

 

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bleiben, um so mehr, als sie dort, wo sie verwirklicht worden sind, die Arbeitslosigkeit nicht haben bessern können 1). (jz8) Die Mängel des geldwirtschaftlichen Verteilungssystems, das wir fast in allen Ländern der Welt vorfinden, müßten erheblich größer sein, als sie zur Zeit sind, um mit den Mängeln dieser staatlichen Verteilung wetteifern zu können. Es bleibt der Weg, die Verteilung im Wege des volks­wirtschaftlichen Austausches, des Geldes und des Kredits zu be­werkstelligen.

            Jede solche Verteilung geht von dem überaus einfachen Prinzip aus, daß die Kosten und Gewinne, die bei der Her­stellung von Gütern auflaufen, identisch sind mit dem Ein­kommen, das zum Kauf der Güter zur Verfügung steht. Der Verkaufspreis der Produzenten ist gleich dem Einkaufspreis der Konsumenten. Der Verkaufspreis setzt sich aus Löhnen, Zinsen und Gewinnen zusammen. Diese werden vom Unternehmer aus­gezahlt und in den Taschen der Lohnempfänger, Zinsenempfänger und Gewinnerzieler zu Einkommen in gleichem Betrage. Der Preis, den die Einkommenbezieher also beim Einkauf von Gütern anlegen können und müssen, ist stets auf den Pfennig gleich dem Verkaufs­preise dieser Gegenstände.

            Ein Schuhfabrikant z. B, verauslagt täglich Unkosten, wie Porti, Spesen, Frachten, Steuern usw., er be­zahlt laufend Material- und Rohstoffrechnungen, wöchentlich Löhne und soziale Beiträge, endlich monatlich Gehälter, Mieten usw. Schließlich zahlt er an die Bank und seine Kommanditisten Zinsen und entnimmt der Kasse seinen Privatverbrauch und seine Gewinne. Alle diese Zahlungen, es mögen in einem Zeitabschnitt 1000 000 RM sein, sind für seine Firma Ausgaben, für die Empfänger aber Einnahmen und sogar Einkommen. Sobald der Fabrikant seine Schuhe verkauft hat, erhält er alle diese Auslagen (einschließlich eines Gewinnes) in Form des Verkaufserlöses wieder zurück­erstattet. Diese Rückerstattung ist darin begründet, daß die 1000 000 RM Ausgaben, die aufgelaufen waren, in den Händen der Empfänger zu 1000 000 RM Einkommen geworden waren, und daß dieses von Unternehmern verteilte Einkommen genau hinreicht, um ihm das gesamte Produkt abzukaufen 2). Volkswirtschaftlich betrachtet lösen sich alle diese Arten von Ausgaben letzten Endes

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1)      Nach dem Soviet Union Year-Book betrug die industrielle Arbeitslosigkeit in Rußland in den  letzten Jahren ca. 1,3 - 1,4 Mill. Personen, d. h. etwa 20 - 25 %, da die Zahl der Industriearbeiter etwa 5 - 6 Millionen beträgt. (jz9)

2)      Tritt ein Händler dazwischen, der das Produkt verteuert, so steigt auch das Gesamteinkommen entsprechend, nämlich um seinen Profit. Dieses vergrößerte Gesamt­einkommen reicht wiederum aus, um das verteuerte Produkt zu kaufen.

 

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in Lohn, Zins und Differentialrente auf; man kann daher sagen, daß die Unternehmerschaft als solche laufend gerade soviel Ein­kommen in Form von Lohn, Zins und Rente verteilt, wie zum Ab­satz der gesamten Produktion erforderlich ist.

 

            Um zu diesem Ergebnis zu kommen, muß man sich von den tauschwirtschaftlichen Begriffen der "Produktion" und des "Konsums" loslösen und sich der geldwirtschaftlichen Begriffe des "Pro­duktionserlöses" auf der einen Seite und des "Einkommens" auf der anderen Seite bedienen. In der Geldwirtschaft werden die Güter, die ja bei dem heutigen Stande der Arbeitsteilung für ihre Produzenten persönlich fast wertlos sind, nicht nur allgemein aus­getauscht, sondern beim Austausch zu einem bestimmten Preise verrechnet. Der Käufer hat diesen Preis in Geld zu bezahlen und der Verkäufer in Geld ihn zu erhalten. Wie die Preise zustande kommen, ist hier von geringer Bedeutung; entscheidend ist, daß der für die Produktion gezahlte Preis, der Produktionserlös, immer alle die Löhne, Zinsen und Gewinne enthält, die beim Hersteller 1) aufgelaufen sind, und daß derselbe Preis stets denjenigen Teil des Einkommens der gesamten Käuferschaft darstellt, der von diesem Unternehmer in Umlauf gesetzt worden war.

 

            Dabei spielt die Figur des Unternehmers eine wichtige Rolle: er ist es, der das Einkommen des Volkes auszahlt, indem er Löhne und Zinsen verausgabt und selbst Gewinne erzielt; und er ist es, der diese Einkommensarten stets genau in dem Betrage ver­teilt, der zum Rückkauf seiner gesamten Produktion durch diese Ein-kommensbezieher erforderlich ist. Seine Produktionskosten und Gewinne sind nie größer oder kleiner, als der Erlös aus dem Verkaufe seiner Fabrikate, ebenso wie die Sollseite seiner Bücher nie größer oder kleiner sein kann, als die Habenseite. Das, was "der Unternehmer" (als Klasse betrachtet) erlöst, ist immer das, was er kurz vorher als Lohn-, Zins- und Renteneinkommen in die Hände der Leute gebracht hatte. Produktionserlös ist gleich Einkommen. Diese wenig oder gar nicht beachtete Tautologie wird zum Eckstein der Theorie der Störungen des Güterumlaufs, insbesondere der Arbeitslosigkeit, zu benutzen sein 2). (jz10)

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1)      oder Weiterverarbeiter, oder Händler usw.

2)      Schon J. B. Say (Traite, 1. Ausg., II, S. 175)  ist dieser Wahrheit nahe gewesen, hat aber daraus nur die voreilige Folgerung gezogen,  es könne Absatzstockungen nicht geben, da er die Störungsquellen (vgl. S. 31 ff.) nicht erkannte. Später haben sich besonders Ad. Wagner,  Herrmann,  Schumpeter, Wieser u. a. mit diesen Fragen beschäftigt; vgl. auch Philippovich, Grundriß I, 17. Aufl.,  S. 40: "Produktion und Konsumption sind die entscheidenden, das Leben der Volkswirtschaft gestaltenden Tatsachen. Der Zusammenhang zwischen dem volkswirtschaftlichen Pro­duktions- und Erwerbsprozeß wird dadurch zum wichtigsten Problem der Volkswirt­schaft" (S. 41). Vgl. auch die gesondert erscheinende dogmenkritische Abhandlung des Verf.

 

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            4. Das Einkommen. — Ebenso, wie also der Produktionserlös sich aus den Aufwendungen für Löhne und Zinsen und den erzielten  Gewinnen 1) zusammensetzt, fließt das Einkommen aus drei verschiedenen Quellen, nämlich dem Lohn, dem Zins und der Differentialrente (dem Gewinn  am Preise), die wiederum mit den Bestandteilen  des Produktionserlöses  identisch sind. Dieses Ein­kommen tritt der Produktion  gegenüber und ist prinzipiell stets groß  genug, um  die  gesamte Produktion zu kaufen, wenn nicht eine der später zu erörternden Störungen auftritt. Dabei spielt die Höhe des Preisniveaus keine Rolle, denn je höher die Verkaufserlöse, desto größer ist die Masse des durch die Bezahlung der Produktionskosten in Umlauf gesetzten Einkommens.

 

            5. Der volkswirtschaftliche Einkommensbegriff.    Daß diese Produktionserlös-Einkommensgleichung bisher noch nicht auf­gestellt worden ist, ist anscheinend darauf zurückzuführen, daß der bisher in der Volkswirtschaftslehre und in der Finanzwissenschaft verwendete Einkommensbegriff nicht geeignet ist, der Produktion bzw. dem Produktionserlös gegenübergestellt zu werden.

 

            Der heute vorwiegend vertretene Schanzsche Einkommens­begriff ist umfassender, als der hier aus der Theorie der Arbeits­losigkeit und des Absatzmangels entwickelte Einkommensbegriff; daher hat er als steuerlicher Einkommensbegriff seit 1919 in allen Ländern den Sieg davongetragen, ist er doch scheinbar ge­eignet, dem Staat die höchsten Steuereinnahmen zuzuführen. Trotz­dem ist dieser auch von Gustaf Cassel u. a. vertretene Ein­kommensbegriff volkswirtschaftlich nicht brauchbar, da sich der Betrag des so bestimmten Einkommens nie mit dem Wert der Produktion, die zu Einkommen wird, in Übereinstimmung bringen läßt. Das hat seine Ursache darin, daß man z. B. den Vermögens­zuwachs, der aus einer Wertsteigerung vorhandenen Vermögens (etwa von Grundstücken oder Wertpapieren) resultiert, mit zum Einkommen rechnet 2). Man erhält dadurch ein viel zu großes Ein-

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1)      Diese können positiv oder negativ sein.

2)      Vgl. Cassel, Theor. Soz.,  1918, § 8, S. 48:". . . der wichtige Satz, daß das Einkommen der Gesamtwirtschaft genau hinreicht, um den ganzen Realverbrauch und außerdem noch den Überschußwert des Realkapitals und des Grund und Bodens zu bezahlen", oder: "gleich dem Wert des Realverbrauches mit Zuschlag der Kapitalvermehrung (bzw. mit Abzug der Kapitalverminderung)" ist.

 

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kommen, mit dem man die Produktion nicht einmal, sondern viel­leicht eineinhalbmal kaufen könnte. Der vor dem Kriege z. B. im preußischen Einkommensteuergesetz verwendete Einkommensbegriff 1) wies diesen Fehler nicht auf; er war an der Quellentheorie der klassischen Nationalökonomie orientiert, die der hier vertretenen Produktionserlös-Einkommensgleichung sehr nahe stand.

 

            Wenn der Vermögenszuwachs nicht zum Einkommen gehört, so sind anderseits auch Vermögensminderungen nicht abzugsfähig, insbesondere nicht die Abschreibungen. Diese sind nur rechnungsmäßige Posten, bedingen aber keine Verkleinerung der aktuellen Kaufkraft des Einkommensbeziehers in dem betreffenden Jahre, und auf diese allein kommt es an.

Es würde zuweit führen, an dieser Stelle auf den überaus wichtigen Einkommensbegriff näher einzu­gehen; mag der so entwickelte neue Einkommensbegriff für steuer­liche Zwecke geeignet sein oder nicht — entscheidend bleibt, daß ihm zufolge nur diejenigen Beträge echtes Einkommen sind, die in Form von Lohn, Zins und Gewinn von Unternehmern mit der Ab­sicht ausgeschüttet worden sind, sie aus dem Produktionserlös wieder zu-rückerstattet zu erhalten. Nur dieser Einkommensbegriff ermöglicht die Aufstellung unserer Produktionserlös-Einkommens­gleichung, nur er ist daher eine geeignete Grundlage zur Unter­suchung der Absatzstockungen.

 

            6. Das abgeleitete Einkommen. — Neben dem direkten Ein­kommen aus der produktiven Wirtschaft ist das abgeleitete Ein­kommen der Beamten, der Unterstützungsempfänger usw. zu be­trachten. Durch Steuern oder freiwillige Beiträge wird den Ein­kommensträgern ein Teil ihrer Bezüge genommen und anderen Individuen als Einkommen zugewiesen. In Deutschland werden zur Zeit etwa 25 Milliarden RM, also fast ein Drittel des Volks­einkommens, durch Steuern des Reichs, der Länder und der Kom­munen den direkten Einkommensbeziehern entzogen und zumeist (etwa 80 %) den Beamten und Pensionären als abgeleitetes Ein­kommen ausgezahlt. Hierdurch wird die Gesamtsumme des durch Produktion entstandenen Einkommens weder vermehrt, noch ver­mindert. Durch Ableitung von Einkommen kann weder eine Ver­minderung der Gesamtkaufkraft (Absatzstockung) bewirkt werden, noch eine Steigerung. Man kann eine Absatzstockung nicht dadurch beseitigen, daß man etwa die Kaufkraft der Erwerblosen erhöht, indem man den in Arbeit befindlichen Werktätigen höhere

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1)      Einkommen aus Grundbesitz und Gewerbebetrieb (Rente), Einkommen aus Arbeit (Lohn) und aus Kapitalvermögen (Zins), sonst nichts.

 

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Steuern oder Beiträge abnimmt Durch derartige Maßnahmen, wie überhaupt durch die meisten Maßnahmen, deren die öffentliche Hand fähig ist, wird nur vorhandenes Einkommen von einer Hand in die andere übertragen, nicht aber neues geschaffen.

 

 

 

b) Konsum und Ersparnisse.

 

            1. Die beiden Möglichkeiten der Einkommensverwendung. — Es kommt nun darauf an, welche Verwendung das Einkommen findet. Nicht das ganze Einkommen wird direkt von denen kon­sumiert, die es bezogen haben; vielmehr wird gewöhnlich ein Teil unverbraucht gelassen, also gespart. Ersparnisse können den Zweck haben, Rücklagen für die Zukunft, z. B. fürs Alter zu schaffen, oder Zinsertrag zu bringen, sie können aber auch einfach unverwendete Überschüsse darstellen. Man kann also Einkommen auf zweierlei Art verwenden: man kann es konsumieren oder man kann es sparen. Ist ein festes Einkommen gegeben, so kann der Konsum nur insoweit wachsen, wie man die Spartätigkeit beschränkt, und umgekehrt.

 

            2. Konsumgüter und Kapitalgüter. — Dieser grundlegenden Zweiteilung der Einkommensverwendung in Konsum und Erspar­nisse entspricht die Scheidung aller Güter, die überhaupt produziert werden können, in Konsumgüter und Kapitalgüter. Wir unterscheiden nämlich zwischen den Konsum- oder Verbrauchsgütern, die durch den einmaligen Konsum- oder Verzehrsakt vernichtet werden, und den Kapitalgütern, auch Produktionsmittel, Produktiv- oder Ge­brauchsgüter genannt, die langlebig sind und durch Gebrauch oder Benutzung Verwendung finden. Der Hauptteil der Konsumgüter wird von den Lebensmitteln, den Getränken und Kleidungsstücken sowie von  den immateriellen Diensten und Leistungen, z. B. den Verkehrsleistungen gebildet.  Wenn auch Kleidungsstücke oft eine Lebensdauer von mehreren Jahren haben und nur durch Gebrauch nützlich sind, so rechnet man sie doch zweckmäßigerweise zu den Konsumgütern. Sie werden nämlich ebenso wie die Konsumgüter aus dem Einkommen auf einmal bezahlt, während Kapitalgüter regelmäßig in Raten (Annuitäten bei Anleihen usw.) bezahlt werden. —
Der Hauptteil der Kapitalgüter dagegen besteht aus den Wohngebäuden und den Produktionsmitteln (im engeren Sinne), d.h. Den Werkzeugen, Maschinen, Fabriken, Eisenbahnen, Brücken usw.

            Entsprechend der Scheidung aller Güter in Konsumgüter und Kapitalgüter unterscheidet man auch   zwischen zwei Haupt-

 

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industrien: Der Konsumgüter- und der Kapitalgüter­industrie.

 

            3. Sparen und übertragener Konsum. — Diese beiden Arten der Güterherstellung werden aus ganz verschiedenen Quellen gespeist. Sie entsprechen den beiden Arten der Einkommensverwendung, die wir soeben kennengelernt haben: Der Gesamterlös der Konsumgüter­produktion ist gleich dem konsumierten Teile des Volkseinkommens, und die Gesamtsumme der Ersparnisse ist gleich dem Gesamterlös der Kapitalgüterproduktion. Es können also nie mehr Wohnungen und andere langlebige Güter hergestellt werden, als gespart worden ist.

            "Sparen" bedeutet nämlich nicht, daß die Güter, die man mit dem ersparten Einkommen hätte kaufen können, unverbraucht bleiben und verderben. Die Ersparnisse werden vielmehr zu einer zweiten Art von abgeleitetem Einkommen, genauer gesagt zu "über­tragenem Einkommen": der entsprechende Betrag Kaufkraft wird vom Sparer z. B. erst an die Sparkasse übertragen, von dieser an einen Bauunternehmer, und von diesem an die Bauarbeiter, in deren Lohntüten diese "Ersparnisse" ein zweites mal zu Einkommen werden. Soweit der Bau-Unternehmer etwa Eisenträger kaufen mußte, wandern sie weiter an das Stahl- und Walzwerk, wo sie als Lohn­einkommen an die dortigen Arbeiter ausgezahlt werden usw. —

 

            4. Sparen und Kapitalgüterproduktion. — Genau besehen, wird das ersparte Einkommen entweder direkt zur Anschaffung von Produktionsmitteln verwendet: Das pflegt der Unternehmer zu tun, dessen Reingewinn höher ist, als sein Privatverbrauch:  Er kauft neue Maschinen. Oder es wird bei Banken und Sparkassen
als  Einlage  eingezahlt, oder endlich, es wird zum Ankauf von Pfandbriefen, Obligationen und Aktien verwendet. In allen diesen Fällen werden die unverbrauchten Konsumgüter, auf die der Sparer in Höhe seiner Ersparnisse einen Anspruch gehabt hatte, letzten Endes als Lohn, Zins und Rente denjenigen ausgezahlt, die aus der Kapitalgüterindustrie Einkommen beziehen: Beim Unternehmer, der aus Ersparnissen neue Maschinen kauft, dient der Kaufpreis, den er an die Maschinenfabrik bezahlt, offenbar zur Bezahlung der Löhne, Zinsen und Renten, die  in dieser Fabrik fällig werden. Läßt der Unternehmer die neuen Maschinen in eigner Regie her-­
stellen, so zahlt er selbst diese seine Ersparnisse als Einkommen an seine Arbeiter usw. aus. Sind die Ersparnisse bei den Banken usw. eingezahlt worden, so bleiben sie zumeist keinen Tag un­genützt; meist wartet schon jemand darauf, aus ihnen ein Darlehen

 

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oder einen Kredit irgendwelcher Art zu erhalten. Derartige Kre­dite werden praktisch ausnahmslos 1) in Produktionsmitteln und andern Kapitalgütern investiert, da ihre Schuldner anders die Zinsen nicht aufbringen können, die sie laufend zu zahlen haben. Investieren in Produktionsmitteln heißt aber, solche durch irgend­einen Unternehmer von Arbeitern mit Hilfe von Produktionsmitteln herstellen lassen. Genau so ist es bei dem Ankauf von Obliga­tionen und Aktien. So dienen die Ersparnisse bis zum letzten Pfennig der der Entlöhnung von Produktionsmittelarbeitern und der Zahlung der dabei fällig werdenden Zinsen und Renten. Es ist nicht einzusehen, was mit erspartem Einkommen anders ge­schehen könnte; die Summe der Einkommen, die aus der Produktionsmittelindustrie bezogen werden, kann nie größer oder kleiner sein, als die Summe der Erspar­nisse. In Konsumgütern kann man Ersparnisse nicht anlegen, da diese verderben würden, (jz11) auch andere Quellen da sind, aus denen eine solide Lagerhaltung finanziert wird. Aufhäufen von Geld, z.B. Banknoten, bedeutet auch nichts anderes, als ein Bankgut­haben, denn die Notenbank muß einen entsprechenden Teil ihrer Aktiven in Krediten anlegen, Aufhäufen von Edelmetallen wirkt wie Konsum, kann aber außer Betracht bleiben, da es heute in nennenswertem Umfange nicht mehr vorkommt; und andere Möglich­keiten gibt es nicht.

            So werden die Ersparnisse zweimal zum Einkommen: einmal bei dem, der sie macht, und zum zweiten male bei demjenigen, der sie direkt oder indirekt (durch die Banken) in Form von Ein­kommen aus der Produktionsmittelindustrie bezieht. Da auch von letzterem Einkommen wieder ein Teil gespart zu werden pflegt, können die Ersparnisse teilweise noch mehrfach zu Einkommen werden, worauf aber hier nicht einzugehen ist. Jedenfalls werden aber auch die aus der Produktionsmittelindustrie stammenden Er­sparnisse mindestens noch ein zweitesmal zu Einkommen in der­selben Industrie.

 

            5. Verteilung der Arbeitskräfte auf die beiden Hauptindustrien. — Die Arbeiter, die Konsumgüter herstellen, decken also nicht nur ihren eigenen Bedarf an solchen Waren, sondern noch dazu den Konsumbedarf der Arbeiter, die Kapitalgüter her­stellen. Ebenso muß die Produktion der Kapitalgüterarbeiter die ganze Wirtschaft mit Kapitalgütern und Produktionsmitteln ver-

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1)      Abgesehen von Konsumptivkrediten.

 

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sorgen, nicht nur die eine Gruppe der Arbeiter. Wie viele Ar­beiter in der Produktionsmittelherstellung tätig sein und von den übrigen Arbeitern mit Konsumgütern versorgt werden können, ohne selbst Unterhaltungsmittel zu produzieren, hängt von dem Maße der Spartätigkeit ab. Also entscheidet die Spartätigkeit über die Verteilung der Arbeiterschaft auf die beiden Hauptindustrien: Wenn etwa ein Drittel des Einkommens gespart und zwei Drittel konsumiert werden, so dienen nur letztere zwei Drittel des Ein­kommens zum Unterhalt der in der Konsumgüterindustrie beschäf­tigten Arbeiter und zur Zahlung der dort fällig werdenden Löhne, Zinsen und Differentialrenten; das letzte Drittel Einkommen dient übertragen der Beschäftigung und Ernährung der Kapitalgüterarbeiter, genau genommen zur Zahlung der dort fälligen Löhne, Zinsen und Renten.

            Dabei ist die Höhe der Spartätigkeit nicht vom Landeszinsfuß abhängig 1), sie ist vielmehr eine Funktion der Volksgewohnheiten und besonders des Grades der Ausnutzung der gesamten volks­wirtschaftlichen Maschine, worauf später noch näher einzugehen sein wird. Durch diese Kapitalbildung ist das Angebot an Kapital­disposition begrenzt und bestimmt

 

            6. Kapitalbildung. — Sparen ist nach all dem gleichbedeutend mit Kapitalbildung: Unter "Kapital" sind Häuser, Maschinen, Brücken und alle anderen langlebigen Gebrauchsgüter zu verstehen, die man durch Aufwand von Lohn, Zins und Gewinn herstellen kann. Alle diese Werte werden in gerade dem Maße produziert, wie gespart wird, wie Einkommen also übertragen wird. Demnach ist richtiges Sparen nicht allein eine Art Enthaltung, sondern auch noch eine positive Leistung, nämlich die Verwendung der ersparten Konsumgüter für den Unterhalt von solchen Arbeitern, die Sachen von dauerndem Wert herstellen; kurz, Kapitalbildung durch Sparen ist nichts anderes als die Her­stellung von realen Kapitalgütern selbst.

 

            Zusammenfassung. — Wir fassen also zusammen: Der Erlös aus dem Verkauf der Produktion besteht aus zwei Teilen: dem Erlös der Konsumgüterproduktion und dem Erlös der Kapitalgüter­produktion. Beide werden von der Unternehmerschaft in Form von Produktionskosten 2), also von Lohn, Zins und Gewinn als Einkommen

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1)      Nachdem Cassels dahingehender Beweisversuch vollständig fehlgeschlagen ist; vgl. die gesondert erscheinende dogmenkritische Arbeit des Verf.

2)      Hier einschließlich Differentialrente gemeint.

 

 

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an die beteiligte Bevölkerung ausgeschüttet. Dieses Einkommen wird teils zum Konsum verwendet, teils gespart Die Konsum­ausgaben sind gleich dem Erlös der Konsumgüterproduktion und die Ersparnisse gleich dem Erlös der Kapitalgüterproduktion, sodaß beide Teile der Produktion restlos abgesetzt werden können: die Konsumgüterproduktion an die "Konsumenten", die Produktions­mittelproduktion an diejenigen Unternehmer, Hausbesitzer usw., denen die Sparer ihre Spargelder direkt oder auf dem Wege über die Banken geliehen hatten.

Genau genommen ist es also nicht so, daß Produktion gleich Konsum ist, wie wir erst angenommen hatten, vielmehr würde das nur gelten, wenn man unter "Konsum" die gesamte Güterabnahme einschließlich der langlebigen Güter verständen. Da der Sprach­gebrauch aber dem entgegensteht, haben wir dem Begriff der zweigeteilten Gesamtproduktion auch eine zweigeteilte Einkommens­verwendung gegenübergestellt, von der der "Konsum" (im engeren Sinne) nur ein Teil ist. Es bleibt aber bestehen, was das Ziel der Auseinandersetzung war, daß nämlich Produktion gleich Einkommen ist, so daß prinzipiell ein glatter Absatz aller hergestellter Güter gewährleistet erscheint.

 

            c) Die Problematik der Verteilungslehre und die Störungen im Absatz.

 

            Mit dieser einfachen Lösung, daß es nämlich logischerweise gar keine Absatzstockungen geben könne, haben sich seit J. B. Say eine große Anzahl von Nationalökonomien begnügt Heute, wo die Tatsache des Absatzmangels offener zutage liegt als je, reicht diese Antwort nicht mehr aus. Eine genaue Analyse zeigt denn auch, daß die Produktion-Einkommensgleichung nur unter bestimmten Voraussetzungen gilt, die noch nicht erwähnt sind.

 

            I. Der Zeitunterschied. — So müssen wir uns zuerst vor Augen halten, daß der Absatz der Produktion nicht eine mathe­matische Gleichung, sondern ein in der Zeit sich vollziehender Vorgang ist. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, wann der Unternehmer den Produktionserlös verteilt, durch den die Käufer in die Lage versetzt werden sollen, seine Ware zu kaufen.

            Verteilt der Unternehmer den Erlös erst nach dem Verkauf, so würden wir eine unmögliche Voraussetzung machen, indem der Unternehmer solange nichts verkaufen kann, als er noch keine Kaufkraft verteilt hat. Erste Voraussetzung der Gültigkeit

 

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unserer Gleichung ist also, daß der Unternehmer Mittel und Wege findet, den Erlös schon zu verteilen, ehe er ihn hat.

 

            1. Die Diskontierung. — Das kann geschehen, indem der Unternehmer etwa Geld vorgeschossen erhält, ehe er die Ware verkauft hat, oder indem er die Ware selbst auf Ziel verkauft, den Erlös aber von dritter Seite sofort erhält. Die Erfahrung hat gezeigt, daß der erste Weg äußerst gefährlich ist, indem die Unter­nehmer dann verleitet werden, Waren herzustellen, die sich später als unverkäuflich erweisen und wertlos werden. Man hat daher schon seit den Erfahrungen der schottischen Banken dieses "Lombardprinzip" aufgegeben und ist zum "Diskontprinzip" übergegangen.
Hierdurch wird der Unternehmer in die Lage versetzt, schon dann Lohn und Zins zu verteilen und Gewinn zu realisieren, wenn sein Produkt zwar an den Handel verkauft, der erlöste Preis aber noch nicht bezahlt ist. Durch eine solche Diskontierung wird der ihm angeschlossene Teil der Bevölkerung gerade insoweit kaufkräftig, daß die Güter  restlos vom letzten Konsumenten aus der Hand des Handels gekauft werden können. Die Produktion ist damit abgesetzt, die Läger sind geräumt und die vorhandenen Arbeitskräfte sind wieder von neuem erforderlich, um weitere Waren herzustellen.

 

            2. Die Banken und der Umsatzkredit. — Diese Diskon­tierung wird von den Kreditbanken geleistet. Ihr richtiges Funktio­nieren ist also die zweite Voraussetzung, die erfüllt sein muß, wenn die Gleichung verwirk-licht werden soll. Die  Banken bedienen sich zur Durchführung ihrer Aufgabe des Umsatzkredits, der eine umfangreiche Organisation verlangt, die von der Metropole bis ins letzte Dorf reichen muß.

 

            Einer weitverbreiteten Ansicht zufolge haben die Banken auch die Macht der Kreditschöpfung, sie können also bewirken, daß insgesamt mehr Kaufkraft zu (zur? - J.Z.) Verfügung steht, als von den Unternehmern in Umlauf gesetzt worden war. Hier werden eingehende Untersuchungen über die Zweckmäßigkeit des gegenwärtigen  Kreditsystems erforderlich sein, um beurteilen zu können, ob etwa hier die Ursache des Absatzmangels, von dem die Arbeitslosigkeit nur eine Abart ist, zu finden sei.

 

            3. Der Notenumlauf und die Zentralnotenbanken. — Die Leistungen der Banken wiederum hängen in hohem Maße ab von der Qualität und der Quantität des Geldes, daß sie von den Zentralnotenbanken ihrer respektiven Länder zur Verfügung ge­stellt erhalten, weiter auch von der Kreditpolitik dieser Banken und ihren Maßnahmen zum Ausgleich der internationalen Zahlungs-

 

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bilanzen. Eine eingehende Untersuchung dieser Gruppe von Pro­blemen, die sich an den Umsatzkredit, die Kreditbanken und die Noteninstitute knüpft, würde zu dem Ergebnis führen, daß eine tiefergreifende, in Jahrzehnten durchzuführende Reform unseres Banksystems anzubahnen ist. Damit wäre gegenüber der im Jahre 1930 besonders scharf auftretenden akuten Arbeitslosenkrise nichts gewonnen. Da sich gleichzeitig ergibt, daß die besondere Schärfe und der ungewöhnliche Umfang dieser gegenwärtigen Arbeits­losenkrise nicht durch derartige Störungen des Umsatzkredits, sondern durch Stockungen in der Kapitalbildung und im Anlage­kredit verursacht sind, wird sich die vorliegende Schrift auf die Behandlung dieser letzteren Probleme beschränken. Hier sind sofortige und wirksame Maßnahmen möglich, da hier nicht eine Umgestaltung der vorhandenen Bankorganisation, son­dern nur eine neue und bessere Bankpolitik gefordert zu werden braucht. Nach der Durchführung dieses "Bank- und Finan­zierungsprogramms" wird noch eine gewisse Arbeitslosigkeit übrig bleiben, die nur durch eine tiefergreifende Änderung der Bankorganisation beseitigt werden kann. Die im wesentlichen fertig­gestellte Abhandlung, die sich mit diesen Problemen und Maß­nahmen beschäftigt, hofft der Verfasser im nächsten Jahre veröffent­lichen zu können.

 

            II. Der unvollendete Sparvorgang. — Eine weitere Gruppe von Störungen muß sich aus der Eigentümlichkeit des Sparvor­ganges ergeben. Wir hatten gesehen, daß die Spartätigkeit nicht mit der negativen "Enthaltsamkeit", dem Nicht-Konsumieren, zu verwechseln ist. Ihr muß sich vielmehr ein positives Element zugesellen, wenn aus dem "Enthalten" ein "Kapitalbilden" werden soll. Dieses positive Element ist nicht nur beim volkstümlichen Sprachgebrauch heute sehr oft zu vermissen, sondern auch in der wissenschaftlichen Behandlung des Kapitalbildungsproblems 1). Schon Proudhon war sich der hier gelegenen Schwierigkeit be­wußt, indem er die Preissteigerung, von der die Waren beim Ver­lassen der Fabrik betroffen werden, für die Absatzschwierigkeiten seiner Zeit verantwortlich machte. Er glaubte, daß der Profit die Ursache dieser Störungen sei, indem durch ihn die Ware so verteuert würde, daß sie für die Kaufkraft derer, die sie hergestellt hatten, unerreichbar werde.

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1)      Eine solche gibt es erst seit wenigen Jahren. Vgl. die ausführlichen Literaturangaben in meiner Schrift "Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen", Teil V, und bei Lampe a. a. O.

 

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            1. Widerlegung der Ausbeutungstheorie. — Diese Ausbeutungstheorie kann in zwei Formen vertreten werden: Ent­weder sagt sie, der Arbeiter erhalte nicht seinen vollen Arbeits­ertrag, werde also betrogen, oder sie sagt, der Profit mache einen Teil der produzierten Waren unverkäuflich.

            Hier muß zuerst hervorgehoben werden, daß es für die Lösung des Absatz- und Arbeitslosenproblems an sich gleichgültig ist, ob die Arbeiterklasse den vollen Ertrag ihrer Arbeit erhält oder nicht, wenn sie nur in Arbeit und Lohn erhalten wird und wenn nur dafür gesorgt wird, daß derjenige Teil der Produktion, um den man sie "betrogen" hat, andern Konsumenten zugeführt wird, also nicht auf den Lägern verdirbt. Die Betrachtung des täglichen Lebens zeigt nun aber, daß diese der Arbeiterschaft vorenthaltenen Güter unverkäuflich sind. Eine Ausbeutung, die für die Ausbeuter aber ohne Nutzen ist, verdient ihren Namen nicht

 

            Gegen die erste Form der Ausbeutungstheorie ist weiter folgendes zu sagen: Allerdings wird das Produktionsergebnis auf Lohn, Zins und Rente verteilt, und nicht allein auf den Lohn, also die Arbeiter. Es ist also richtig, daß die Arbeiter nicht das volle Ergebnis der Produktion zugewiesen erhalten. Trotzdem bedeuten Zins und Rente keine Verminderung ihres Anteils, denn Zins wird nur gezahlt, wo die Arbeit durch Werkzeuge, Maschinen usw., also durch Kapital unterstützt wird. Die durch dieses Kapital er­zielte Mehrproduktion ist stets größer, als die Zinsbelastung; der Anteil der Arbeiter ist also auch nach Bezahlung der Zinsen noch größer; mindestens ebenso groß, als er wäre, wenn die Arbeit ganz ohne Hilfe von Kapital ausgeführt worden wäre.

 

            Ebensowenig wird der Lohn durch die gleichzeitige Zahlung der Differentialrente geschmälert. Man muß davon ausgehen, daß der Arbeiter nur den Lohn beanspruchen kann, der sich unter den ungünstigen Bedingungen gewähren läßt. Andernfalls müßten die Arbeiter in den besser gelegenen Betrieben mehr Lohn erhalten, obwohl sie dort nicht mehr arbeiten; was dem Prinzip wider­spricht, daß es am Markte auch für die Arbeit nur einen Preis geben kann. Die Differentialrente ist nur der Mehrgewinn der­jenigen Unternehmer, die unter günstigeren Bedingungen produ­zieren; sie ist nicht Teil des Preises, sondern Gewinn am Preise, über die Lohn- und Zinskosten hinaus.

 

            Hiernach kann man von einer Ausbeutung des Arbeiters in dem Sinne, daß ihm ein Teil seines Arbeitsertrages entzogen wird,

 

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nicht sprechen.

 

            Wie steht es aber mit der zweiten Form der Ausbeutungstheorie, die darauf hinausläuft, daß Absatzstockung und Arbeitslosigkeit durch die Preissteigerung der Güter zu er­klären sind, der keine entsprechende Einkommensvermehrung gegenübersteht?

Auch diese Behauptung ist auf den ersten Blick falsch. Wenn die Ware z. B. beim Verlassen der Fabrik oder später in der Hand des Händlers eine Preissteigerung von 5000 RM durchmacht, so muß notwendigerweise gerade dadurch das Ein­kommen des Fabrikanten oder des Händlers um 5000 RM erhöht worden sein. Sobald der Bezieher dieses "Profits" also sein zu­sätzliches Einkommen ausgibt oder an eine Bank überträgt, macht er gerade diejenige Kaufkraft geltend, die zum Absatze des ganzen Produkts bisher fehlte. Und wenn der letzte Kleinhändler noch einmal 10 % drauf schlüge, so erhöht er doch im selben Augenblicke sein Einkommen und seine Kaufkraft um denselben Betrag. So ist der Gedanke unrichtig, daß der Profit (Zins oder Rente) an der Überproduktion Schuld sei; das Einkommen ist vielmehr stets ausreichend, um das gesamte Produkt zu kaufen.

 

            2. Die Verwandlung der Unternehmer-Ersparnisse in Kapitalgüter. — Und doch steckt in der Ausbeutungstheorie, wie Proudhon sie formuliert hat, ein richtiger Kern. Der Teil der Produktion, der den Arbeitern "vorenthalten" und dem Unter­nehmer zugeteilt worden ist, kann nämlich trotz der Kaufkraft des Unternehmers nicht abgesetzt werden, weil sich die Nachfrage des Unternehmers auf ganz andere Warengattungen zu richten pflegt, als sie am Lager zur Verfügung stehen.

Nehmen wir das Beispiel einer Eierfarm: Ihr Besitzer gewinnt täglich 1000 Eier, von denen er 800 auf die 80 Arbeiter verteilt, die in seinem Betrieb tätig sind und das nötige Futter erzeugen. 200 Eier bleiben für den Unternehmer übrig. Er selbst kann natürlich, um im Beispiel zu bleiben, nur 10 davon essen. So müssen seine Ersparnisse, näm­lich die andern 190 Eier, verfaulen, wenn er nicht dafür sorgt, daß sie in langlebige und ertrag-bringende Kapital­güter verwandelt werden. Diese Verwandlung seiner ersparten Konsumgüter in dauerhafte Werte kann der Besitzer nur dadurch erzielen, daß er 19 Arbeitslose anstellt, sie etwa zur Errichtung eines Wohn- oder Mietshauses verwendet und sie mit 10 Eiern pro Kopf täglich entlohnt. Nur so kann er das Verfaulen der Eier vermeiden, Absatz für die ersparten Güter schaffen und das Ziel des Sparens erreichen: den Besitz eines dauerhaften Gutes, das wo­möglich Zinsen bringt. Wenn der Unternehmer diese Verwand-

 

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lung der "innerbetrieblichen" Kapitalbildung in richtiges Kapital nicht selbst vornimmt, muß er sie andern Unternehmern, in den meisten Fällen unter Vermittlung der Banken, überlassen.

 

            3. Die Vollendung des Kapitalbildungsvorganges erst durch die Antizipationskredite. — Diesen Zweig der bankmäßigen Betätigung nennt man den langfristigen oder den Anlagekredit. So wird eine Untersuchung der Organi­sation  des Anlagekredits nötig sein, wenn man die Ursachen der Absatzstockungen ermitteln will.   Dabei wird der sogenannte "anti­zipierte Emissionskredit", allgemeiner der "Antizipationskredit" eine besondere Rolle spielen. Man bemerkt nämlich in dem eben ge­nannten  Beispiel, daß dem Unternehmer gar kein langfristiges Kapital zur Verfügung stand, mit dem allein er nach herrschender Ansicht dauernde Kapitalgüter, wie Häuser, bauen darf. Es standen ihm nur Konsumgüter, die in der Geldwirtschaft durch den kurz­fristigen Kredit repräsentiert werden, zu Verfügung. Hätte er, wie das heute beim soliden Unternehmer und Bankier üblich ist, solange gewartet, bis ihm jemand langfristiges Kapital leihen würde, so wären nicht nur die Erwerbslosen brotlos geblieben und die Eier verfault,  sondern es wäre auch die Herstellung des realen Kapitals unterblieben. Damit wäre aber  auch  der Sparvorgang unvollendet geblieben und man hätte sich mit Recht nicht nur über Arbeitslosigkeit und Absatzmangel, sondern auch über Mangel an Kapitalbildung beklagt.

 

            Aus der genaueren Untersuchung dieser Frage wird sich er­geben (unten Kapitel 2), daß der Sparvorgang  in der Geld­wirtschaft tatsächlich nicht ohne Antizipationskredite vollendet werden kann, also nicht ohne die Verwendung eines bestimmten Betrages von kurzfristigem Kredit zur Er­stellung von langlebigen Kapitalgütern, wie Häusern, Fabriken usw. Wir kommen daher zu dem Ergebnis, daß die Proudhonsche Theorie der Absatzstockungen solange nicht un­berechtigt ist, als nicht durch Antizipationskredite für eine Um­wandlung der Konsumgüter, also eine Anlage der in Bildung be­griffenen Profite (Ersparnisse) gesorgt wird.

 

            4. Die übrigen Probleme des Anlagekredits im Rahmen der Erlös-Einkommensgleichung.    Weiter
wird bei den Fragen des Anlagekredits der Banken zu erörtern sein, ob und wie weit zur Zeit etwa eine Überversorgung des kurz­fristigen Kredits auf Kosten des Anlagekredits herrscht, und welche Rolle der Diskontsatz der Reichsbank hierbei gespielt hat. Auch

 

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die Frage der Kapitalanlegungsvorschriften, die große Teile der Kapitalbildung in bestimmte, nicht immer wirtschaftlich erwünschte Bahnen zwingen, und das Problem der Kapitalflucht und der Aus­landsanleihen werden zu behandeln sein, wenn ermittelt werden soll, wie Störungen im Absatz der Arbeitskraft und der Waren entstehen können und wie sie zu beseitigen sind.

 

            Die praktischen Vorschläge, die aus diesen theoretischen Untersuchungen zu gewinnen sind, werden im wesentlichen in der planmäßigen Umwandlung vorhandener latenter Ersparnisse in effek­tive Kapitalbildung gipfeln. Nicht nur das Mittel dazu, die Anti­zipationsvorschüsse, sondern auch die Bauprojekte, die durch diese Kapitalbildung verwirklicht werden sollen, werden zu erörtern sein. Die beiden Voraussetzungen einer solchen produktiven Bankpolitik sind die Senkung des Zinsniveaus, deren Durchführbarkeit zu be­weisen ist, und die Umgestaltung des Großbank-Geschäfts. Daneben werden die Hilfsmaßnahmen und die neuen Aufgaben der Reichs­bank zu behandeln sein.

 

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Zweites Kapitel.

 

Wesen und Aufgaben der Kapitalbildung und des langfristigen Anlagekredits.

 

a) Die Kapitalbildung.

 

            1. Wesen der Spargelder. — Das gesamte Einkommen wird keineswegs nur für Konsumgüterbedarf ausgegeben, vielmehr wird immer ein Teil von ihm gespart. (jz12) Der einfachste Fall des Sparens liegt vor, wenn ein Teil des Einkommens, d. h. der auf einen Ein­kommens-träger entfallenen Konsumgüter, nicht direkt verzehrt wird.
In der Geldwirtschaft werden solche unverbrauchten Einkommens­ teile zumeist in Geldform als Sparguthaben bei einer Bank  ein­gezahlt, durch welchen Vorgang sich ihre weitere Verwendung im allgemeinen dem  Gesichtskreis des Sparers selbst entzieht. Die Banken und Sparkassen verwenden solche Depositen, um daraus
Kredite in gleicher Höhe auszugeben; sie übertragen also tatsäch­lich die unverbrauchten Konsumgüter, die der Sparer nicht zu verwenden wußte, an andere Individuen, die imstande sind, sie regel­recht zu konsumieren. Die Kreditnehmer benutzten die erhaltene Kaufkraft, um für gerade den Betrag Konsumgüter zu erwerben, der vorher erspart war. Oft tun sie das nicht selbst, sondern überlassen es denjenigen, die von ihnen Lohn empfangen. Dieser Fall ist so sehr die Regel, daß tatsächlich fast die gesamten Ersparnisse des Volkes an Unternehmer gelangen, die sie als Lohn an Arbeiter und Angestellte auszahlen.

 

            2. Arten der Ersparnisse. — Diese Spargelder sind aber nicht die einzige Art von Ersparnissen die es gibt. Vielmehr ist dieses (1) Zurücklegen von Einkommen, das wir "Einkommensparen'' nennen wollen, wohl zu unterscheiden von (2) der Spartätigkeit im

 

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Sinne des französischen Ausdrucks économiser, die wir "Kosten­sparen" nennen werden, und (3) der negativen Spartätigkeit. Die Summe von (1) und (2) abzüglich der negativen Spartätigkeit wird Kapitalbildung genannt. Sparen ist also nicht mit Kapital­bildung identisch, aber ihr sehr ähnlich.

 

            Bei der Theorie des Sparens ist bisher zu wenig beachtet worden, daß das deutsche Wort "Sparen" zwei ganz ver­schiedene Bedeutungen hat, woraus sich ein Teil der Meinungs­verschiedenheiten über den Sparbegriff erklären mag. Man sagt von einem Angestellten, der monatlich einen Teil seines Gehalts zur Sparkasse bringt, er "spart"; man sagt aber auch von einem Fabrikanten, der seine Unkosten senkt, oder einer Hausfrau, die einen fleischlosen Tag einführt, sie "sparen", obwohl in beiden Fällen eine ganz andere Tätigkeit vorliegt. Das eine Mal handelt es sich um aufsammeln, anhäufen von Dingen bzw. Bankguthaben, das andere Mal handelt es sich um eine strenge Durchführung des Wirt­schaftsprinzips, um die Erreichung des wirtschaftlichen Zweckes mit geringeren Mitteln, als bisher, also um eine Rationalisierung.

Die französische Sprache, die einen gemeinsamen Oberbegriff für beide Tätigkeiten nicht kennt, unterscheidet daher richtig zwischen épargner und économiser. Dasselbe Verhältnis wird im Deutschen wohl am besten durch die zusammengesetzten Worte "Einkommen­sparen" und "Kostensparen" ausgedrückt, da das eine Mal am Einkommen, das andere Mal an den Selbstkosten gespart wird. Weil mit den Worten "sparen", "aufhäufen" und "rationalisieren" oft ganz andere Tatbestände gemeint werden, werden wir davon absehen, diese wenig brauchbaren Ausdrücke zu verwenden und uns der neu gebildeten Ausdrücke bedienen, wo es nötig ist.

 

            3. Einkommensparen (im Sinne von épargner). — Welche volkswirtschaftliche Bedeutung hat nun sparen im Sinne von épargner?

Wenn in einer Volkswirtschaft etwa 1/10 des Gesamteinkommens gespart wird, so kann das nur heißen, daß die Arbeit von 9/10 der Arbeitenden hinreicht, um 10/10 der werktätigen Bevölkerung mit Konsumgütern zu versorgen. Das letzte Zehntel der Bevölkerung braucht sich nicht mehr in der Konsumgüterproduktion zu betätigen, um seinen Bedarf zu erarbeiten; es lebt von den Waren, die die andern 9/10 gespart hatten, indem sie den entsprechenden Teil ihres Geldeinkommens unverbraucht zur Bank brachten. Dieses letzte Zehntel der Bevölkerung, das von der übrigen Bevöl­kerung ernährt wird, ist also verfügbar, um die überall

 

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so dringend begehrten Kapitalgüter herzustellen, ins­besondere die Produktionsmittel.

 

            Wir sind uns klar darüber, daß eine Wirtschaft, in der alle Hände voll beschäftigt sind, um den laufenden Konsumgüterbedarf zu beschaffen, zwar keine Arbeitslosigkeit kennt, aber doch größte Armut zeigen muß, indem die Arbeit ohne Werkzeuge, Straßen, Verkehrsmittel verrichtet werden muß, indem ferner die Bevölkerung ohne oder ohne neue Wohnungen usw. hausen muß. Der Augen­blick, in dem es gelingt, die Ernährung der gesamten Bevölkerung mit nur 90 % der Arbeiter zu bewerkstelligen und 10 % verfügbar zu machen, um Wohnungen, Wege, Brücken usw. zu bauen, ist der Wendepunkt von der Armut zum Wohlstand.

 

            Wir werden sehen, daß dieser Fall auch heute wieder in verstärktem Maße gegeben ist, daß man aber merkwürdigerweise jetzt mit den überschüssigen Arbeitskräften nichts anzufangen weiß, ihr Vor­handensein vielmehr als ein nationales Unglück betrachtet; ein Gedanke, der den Einwohnern in dem oben erwähnten Beispiel sicher als unbegreiflich erschienen wäre. Offenbar sind diese frei­gesetzten Arbeitskräfte allein in der Lage, durch Herstellung neuer Kapitalgüter und Produktionsmittel das Los des ganzen Volkes zu erleichtern.

 

            In der Tat werden nun auch die Spargelder (épargner) der Nation fast ausschließlich zur Herstellung von Kapital­gütern verwendet Die Beträge, die bei Banken und Sparkassen eingezahlt werden, können von diesen Instituten regelmäßig nur zur Herstellung von Produktionsmitteln ausgeliehen werden, da die Banken und Sparkassen für die Einlagen Zinsen bezahlen müssen. Es kommen also nur solche Ausleihungen in Frage, die ihrerseits wieder Zinsen zu bringen vermögen, und das sind praktisch nur Umsatzkredite und Anlagekredite. Da die Umsatzkredite, wie sich zeigen läßt, aus den Giroguthaben und dem Banknotenumlauf voll und ganz bestritten werden, bleibt für Spargelder nur die Ausleihung in Anlagekrediten als einzige Anlagemöglichkeit übrig. Das trifft natürlich nur für den Durchschnitt der gesamten Volks­wirtschaft zu, während die Verhältnisse bei den einzelnen Banken von Fall zu Fall verschieden liegen können. Bei Ausleihungen, die nicht in eine dieser Kategorien fallen, würde die Bank nie­mals sicher sein, das Kapital, insbesondere aber Zinsen zurückzubekommen, da solche unproduktiven Kredite kein Substrat haben, das einen Überschuß abwirft, aus dem also die Zinsen bezahlt werden können.

 

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            Auch wenn die Spargelder zum Ankauf von Obligationen, Anleihen oder Aktien verwendet werden, findet das zurück­gelegte Geld seine Anlage in Produktivgütern, d. h. es wird zur Bezahlung der Lohn- und sonstigen Kosten von Produktionsmitteln, Häusern usw. verwandt. Das ist sogar bei Stadtanleihen der Fall, denn die Diskussion zwischen dem früheren Reichsbankpräsidenten Schacht und dem Städteverband über die Verwendung der Aus­landsanleihen hat ergeben, daß nur ganz wenige Prozent Anleihe­summen auf relativ unproduktive Güter, wie z. B. Sportanlagen (also immerhin für Kapitalgüter), und der volle Rest auf werbende Zwecke, insbesondere auf die Erweiterung der Gas- und Elektrizitäts­werke entfällt — Ebenso ist die Anlage von Spargeldern in Pfandbriefen zu beurteilen. Eine solche Anlage bedeutet die Verwendung der unverbrauchten Konsumgüter für Lohnzahlungen an Bauarbeiter, sachlich also für die Förderung des Wohnungs­baues, einer besonders wichtigen Klasse von Kapitalgütern.

 

            Hat ein Unternehmer selbst die Ersparnisse zurücklegen können, so wird er damit entweder sein Bankguthaben erhöhen oder seine Bankschuld tilgen, welche Fälle oben bei der Erörterung der Bankdepositen bereits einbegriffen sind, oder er wird neue Maschinen kaufen. Dann dient der Kaufpreis, den er an die Maschinenfabrik bezahlt, offenbar zur Bezahlung der Löhne, Zinsen und Differentialrenten, die in dieser Fabrik fällig werden. Oder der Unternehmer läßt die neuen Maschinen in eigener Regie selbst herstellen: Dann zahlt er selbst diese seine Ersparnisse an seine Produktionsmittelarbeiter aus. So werden zurückgelegte Einkommensersparnisse stets in Produktionsmitteln und anderen Kapitalgütern investiert. Alle solche Er­sparnisse dienen letzten Endes der Entlohnung von Produktions­mittelarbeitern und der Zahlung der dabei fällig werdenden Zinsen und Renten.

 

            Mithin ist die volkswirtschaftliche Aufgabe des Sparens die Freisetzung von Arbeitskräften innerhalb der Konsumgüterindustrie, damit diese verfügbar werden, um langlebige Kapitalgüter herzustellen. Ohne die Spartätigkeit wäre das Leben des Menschen von dem der Tiere wenig verschieden, die ihren Tag fast ausschließlich der Einsammlung von Konsumgütern widmen müssen. Die Vermehrung und Verfeinerung des Sparens ist also eins der wichtigsten Mittel, um die Grundlagen der menschlichen Kultur zu verstärken, denn nur durch Sparen ist die Erstellung langlebiger Güter, die plan-

 

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mäßige Fürsorge für die Zukunft, die Sicherung des Lebens gegen die Einflüsse der Naturgewalten und die feinere geistige Gestaltung möglich. Alle diese Komponenten der menschlichen Kultur setzen die Befreiung der damit Beschäftigten von der unmittelbaren Konsumgüterproduktion voraus.

 

            4. Die Verschiebung der verfügbaren Arbeitskräfte innerhalb der Gesamtindustrie durch die Spartätigkeit. — Wenn die Spargelderanlage in Bankguthaben, in Aktien, in Pfandbriefen usw. typisch für die Vorgänge auf der Geldseite der Wirtschaft ist, welches sind die analogen Vorgänge auf der Sachgüterseite?

Gehen wir aus von einer Wirtschaft, in der über­haupt nicht gespart wird. Der Beginn der Spartätigkeit auf Seiten der Einkommensbezieher bedeutet hier offenbar Rückgang der Nachfrage nach Konsumgütern, dementsprechend die Notwendig­keit, die Konsumgüterproduktion einzuschränken. Wenn der volkswirtschaftliche Zweck des Sparens die Freisetzung von Arbeitskräften innerhalb der Konsumgüterindustrie ist, damit diese verfügbar werden, um Produktionsmittel herzustellen, so muß offenbar der Beginn der Spartätigkeit Leute aus ihren Arbeitsstellen in der Verbrauchsgüterindustrie her­auswerfen. Denn die Einschränkung der Konsumgüter-Produktion hat nur Sinn, wenn sie von Personalentlassungen begleitet ist. Würde man etwa aus sozialen Gründen oder durch Sozialgesetze gezwungen auf den Beginn der Spartätigkeit nicht durch Personal­abbau in der Verbrauchsgüterindustrie antworten, so würden die Selbstkosten in der Konsumgüterindustrie die gleichen bleiben, ob­wohl die Produktionsmenge eine geringere wäre. Die Kosten und Preise pro Stück Ware würden also derartig steigen, daß die eben begonnene Spartätigkeit sofort wieder aufhören würde, indem die Einkommensbezieher wieder ihr volles Einkommen ausgeben müßten, um das bisherige Quantum von Konsumgütern einkaufen zu können. Überdies würde der Zweck des Sparens gär nicht erreicht werden.

 

            So bedeutet der Beginn oder die Steigerung der Spartätig­keit stets eine Einschränkung der Produktion durch Personalabbau. Genauer gesagt, wird für je 50 RM zusätzlicher Ersparnisse in der Woche ein Konsumgüterarbeiter mit einem Wochenlohn von 50 RM entlassen werden müssen. Ohne diese Entlassung kann der Zweck des Sparens, die Überführung von Arbeitern in die Produktionsmittelindustrie, nicht erreicht werden.

 

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            Sobald der Betrag der jährlichen Ersparnisse einen einiger­maßen konstanten Wert erreicht hat, werden weitere Entlassungen natürlich nicht mehr in Frage kommen. Wenn z. B. Jahr für Jahr 10 % des Volkseinkommens gespart werden, so werden 90 % der Arbeiter 1) in der Konsumgüterindustrie arbeiten, während 10 % der Arbeiter laufend von den 10 % unverbrauchten Konsumgütern er­nährt werden, die "erspart" worden sind. Diese letzteren werden die Arbeiter in den Produktionsmittelindustrien sein.

Konstante Akkumulation von Spargeldern hat also keinen Einfluß auf den Arbeitsmarkt, nur die Steigerung der Spar­tätigkeit ist es, die Arbeitslosigkeit in den Konsumgüterindustrien hervorruft, indem sie einen Teil der Ar­beiter zwingt, in die Produktionsmittelindustrie abzuwandern. So ist die gegenwärtige Arbeitslosigkeit in Deutschland er­klärlich, wenn man bedenkt, daß wir am Abschlüsse einer Periode plötzlicher Rationalisierungen größten Umfanges stehen, nachdem solche während des Krieges und der Inflation ungewöhnlich lange aufgeschoben worden waren.

            Natürlich ist auch die umgekehrte Erscheinung denkbar: Wenn die laufende Spartätigkeit sinkt, indem bei gleichem Einkommen mehr konsumiert wird, so muß der Beschäftigungsgrad in der Verbrauchsgüterindustrie steigen und Arbeitslosigkeit in der Produk­tionsmittelindustrie eintreten.

 

            In welcher Weise die Abwanderung der Arbeitskräfte in die Produktionsmittelindustrie vor sich geht, ist nach dem Ge­sagten leicht erkennbar. Offenbar stehen der Produktions­mittelindustrie aus den neuen Spargeldern auf die Mark genau soviel zusätzliche Kredite zur Verfügung, wie nötig sind, um die freigewordenen Arbeiter in der Produktions­mittelindustrie zu den alten Löhnen wieder einzustellen. Denn es ist genau soviel mehr gespart (aufgesammelt) worden, wie in der Konsumgüterindustrie durch Entlassungen an Löhnen gespart (ratio­nalisiert) worden ist. Das führt uns auf die Betrachtung des Sparens im Sinne von économiser.

 

            5. Kostensparen (im Sinne von économiser). — Die eben behandelte aufhäufende Spartätigkeit erzwingt eine Selbstkosten­ermäßigung im gleichen Betrage innerhalb der Konsumgüterindustrie; sie erzwingt sie, weil Tausende von Unternehmungen durch den

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1)      Genauer der Löhne (ausgezahlt werden).

 

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Absatzrückgang vor die Alternative gestellt werden: entweder Ver­lust und Untergang, oder Kostensenkung.

Da die Zinsen und andere konstanten Kosten in der industriellen Kalkulation bekannt­lich unveränderlich sind, beim Sinken des Absatzes also nicht kleiner werden, kann eine solche Kostensenkung nur in der Form von Arbeiterentlassungen verwirklicht werden.

Aufhäufung (sparen) innerhalb der Einkommenssphäre geht also stets parallel mit Kosten­senkung innerhalb der Produktionssphäre, und zwar im gleichen Betrage.

 

            Es gibt nun aber Kostensenkungen innerhalb der Produktionssphäre, die keineswegs durch einen Ab­satzrückgang erzwungen sind. Vielmehr können solche Maßnahmen ebensowohl der Initiative der Unternehmer, der Ver­breitung neuer Erfindungen, dem Wettbewerb, dem Gewinnstreben usw. entsprungen sein.

Bekannt ist die "New Industrial Revo­lution"1), die große Rationalisierungswelle, mit der sich die deutsche Industrie von 1924 - 1928 nach der Zerstörung der Kalku­lationsgrundlagen durch die Inflation wieder an die Spitze der Industrieländer Europas zu stellen versuchte. Hier wurden große Mengen von Arbeitskräften entlassen, indem man neue Arbeits­methoden, neue Maschinen, neue Stücklohnverfahren usw. einführte, um die Selbstkosten zu vermindern und auf diese Weise mehr Reingewinn zu erzielen.

Wenn auch zwischen den Begriffen der "Selbstkostensenkung" und der "Rationalisierung" im Einzelnen manche Unterschiede bestehen mögen, so genügt hier die Fest­stellung, daß Sparen im Sinne von économiser nichts anderes ist als der vorhin beschriebene Vorgang der Kostensenkung auf der Produktionsseite. Beide Sparbegriffe unterscheiden sich dadurch, daß die Kostensenkung beim Einkommen­sparen eine erzwungene ist, während sie beim Kosten­sparen freiwillig ist.

Der Begriff des Einkommensparens umschließt stets den Begriff des Kostensparens, indem jedes Einkommensparen ein Kostensparen in gleichem Betrage erzwingt.

Der Begriff des Kostensparens dagegen setzt keine Veränderung auf der Einkommensseite voraus.

Natürlich hat auch das Kostensparen seine Rückwirkungen auf die Einkommensseite, indem der Reingewinn des Betriebes, also das Einkommen, vermehrt wird, sodaß bei gleichem Konsum nun mehr gespart wird. Stets geht aber beim Einkommensparen der Anstoß von der Einkommens-

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1)      Buchtitel von Meakin.

 

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seite aus, während er beim Kostensparen von der Produktionsseite ausgeht. Das Vorhandensein einer gemeinsamen Wurzel für beide Sparbegriffe im Kostensparen beweist, daß der deutsche Sprach­gebrauch, der zwischen épargner und économiser nicht unterscheidet, keineswegs falsch ist.

            Die durch Rationalisierungen aller Art freiwillig ersparten Kosten im Sinne des économiser machen einen sehr bedeutenden Teil der Volksersparnisse aus. Ist ihr Betrag von Jahr zu Jahr in der ganzen Volkswirtschaft gleich und nur von Betrieb zu Be­trieb verschieden, so geht von hier kein Anstoß zur Abwanderung von Arbeitskräften aus. Soviel Arbeiter, wie in dem einen Betrieb der Verbrauchsgüterindustrie infolge einer gelungenen Rationali­sierung überflüssig werden, finden in einem anderen Betrieb der­selben Industrie Aufnahme, der zusätzliche Arbeiter einstellen muß, obwohl seine Produktion nicht gestiegen ist. (jz13) Dasselbe ist innerhalb der Produktionsmittelindustrie der Fall. Sobald aber jedes Jahr ein wachsender Teil der Selbstkosten erspart wird, sobald also die Industrie im Laufe der Jahrzehnte immer rationeller organi­siert wird, muß dieselbe Folge eintreten, die eine Zunahme der Spartätigkeit zeigt: es müssen Arbeiter von der betroffenen Kon­sumgüterindustrie abwandern in die Produktionsmittelindustrie, oder, wenn sie schon bisher in dieser Industrie beschäftigt waren, müssen sie in neue Zweige der Produktionsmittelindustrie verschoben werden.

Da auch diese Kostenersparnisse volkswirtschaftlich ge­sehen letzten Endes nichts als zurückbehaltene Löhne sind, die Anlage suchen und entweder direkt oder indirekt (durch die Banken) wieder als Lohnkredite an die Produktionsmittelindustrie ausgeliehen werden, so steht auch hier wieder gerade derjenige zusätzliche Kreditbetrag für Lohngelder in der Produktionsmittelindustrie zur Verfügung, der den eben entlassenen Arbeitern entzogen worden ist, der also gerade hinreicht, um sie vollzählig zu den alten Löhnen wieder einzustellen.

 

            Der Vorgang der Kostensenkung in der Industrie und der Landwirtschaft ist nicht etwa für die neueste Zeit typisch, sondern so alt, wie der wirtschaftliche Fortschritt überhaupt. Besonders seit Beginn des kapitalistischen Zeitalters hat er ein lebhaftes Tempo angenommen, so daß heute die zur Versorgung der ge­samten Bevölkerung erforderlichen Konsumgüter mit weit we­niger Kosten hergestellt werden, als etwa im Jahre 1875; d.h., daß heute ein geringerer Prozentsatz der Bevölkerung in der Konsumgüterindustrie beschäftigt ist, als im Jahre 1875. Das

 

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ergibt sich z. B. aus der folgenden Statistik des Stat. Reichs­amts 1):

 

1. Beschäftigte Personen:

                                                                                                                        1875           1925

Konsumgüterindustrie ………………………………………………              3,5 Mill.    6,2 Mill.

            (Nahrung, Bekleidung, Wohnungsaustattung, Gerätschaften)                    65 %          49 %

Produktionsmittelindustrie ………………………………………….               1,9 Mill.    6,5 Mill.

            (Kraftstoffe, Grundstoffe, Konstruktionen, Baugewerbe)  ….                  35 %          51 %

 

2. Kraftmaschinen-Leistung:

Konsumgüterindustrie ………………………………………………                35 %          26 %

Produktionsmittelindustrie ………………………………………….                65 %          74 %

 

Während also im Jahre 1875 noch 2/3 der Bevölkerung Verbrauchs­güter produzieren mußten, damit alle Einwohner konsumieren konnten, brauchte im Jahre 1925 nur noch die Hälfte der Bevölke­rung dieser in gewissem Sinne unproduktiven Tätigkeit obzuliegen; damals waren nur 1/3 für die Herstellung von produktiven Anlagen frei, heute sind es 1/2 der Bevölkerung.

 

            6. Die negative Spartätigkeit. — Sowohl die Einkommensersparnisse als auch die Kostenersparnisse können bei der Berech­nung der gesamten Kapitalbildung nicht mit ihrem Bruttobetrage angesetzt werden. Von den Einkommensersparnissen ist vielmehr derjenige Betrag abzusetzen, der von einzelnen Einkommensträgern über das vorhandene Einkommen hinaus verbraucht worden ist, und von den Kostenersparnissen die Betriebsverluste.

            Ein solches "über seine Verhältnisse leben" ist bei beiden Er­sparnisarten dadurch möglich, daß Kon-sumptivkredite in An­spruch genommen werden. In normalen Zeiten spielen solche Konsumptivkredite eine überaus geringe Rolle, weil die betreffenden Individuen keine ertragbringende Kreditunterlage zu haben pflegen, aus der der Zinsendienst sich bestreiten läßt. Anders war das bei dem deutschen Grundbesitz, insbesondere der Landwirtschaft nach Beendigung der Inflation. Die Hypothekenlast war größtenteils ausgelöscht und es war reichlich Platz in den Grundbüchern für eine Neuverschuldung, ohne daß man aber stets daran gedacht hätte, dauerhafte Gegenwerte für das erhaltene Geld aufzuführen. Die Erlöse der Neuverschuldung sollen im Betrage von 3 - 5 Milliarden RM für die Bezahlung laufender Betriebsverluste und voreilige, miß­glückte Rationalisierungsmaßnahmen verwendet worden sei. Freilich

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1)      Vgl. Deutsche Wirtschaftskunde 1930, S. III.

 

 

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konnte man dadurch landwirtschaftliche Arbeitskräfte vor der Ent­lassung bewahren; nachdem die Löhne aber ausgezahlt worden waren, war kein rentabler Gegenwert da, der der volkswirtschaft­lichen Güterproduktion hätte dienstbar gemacht werden können. Hätte man die Hypothekarkredite besseren Verwendungsarten zu­geführt, so wären aus ihnen genau so viel Löhne gezahlt worden, es wären aber Gegenwerte erstellt worden, die das Volksvermögen erhöht und die Aufbringung der Zinsen ermöglicht hätten. Die Verwendung dieser Milliarden zu konsumptiven Zwecken bedeutete also für den Arbeitsmarkt keine größere Entlastung, als eine pro­duktive Verwendung, stellte aber einen volkswirtschaftlichen Ver­lust in größtem Ausmaße dar 1). — Seitdem die Grundbuchstellen wieder besetzt sind und keine Möglichkeit zu einer so plötzlichen Zusatzverschuldung mehr besteht, spielen die Konsumptivkredite keine Rolle mehr. Außerhalb der Betriebe kann es sich bei den Konsumptivkrediten im wesentlichen nur um kleinere Kredite etwa zu Ausbildungszwecken oder aus Krankheitsgründen handeln.

 

            Die andere Möglichkeit des Konsums über das Einkommen hinaus liegt in dem "Rückgriff auf die Vermögenssubstanz." Wenn ein Rentner oder eine Aktiengesellschaft einen Teil ihres Vermögens "verbraucht", so ist dies nur bildlich zu verstehen, da sich Kapital­güter nicht verzehren lassen. Es findet vielmehr ein schrittweiser Verkauf von Vermögensstücken statt. Die Käufer sind letzten Endes immer Sparer, die das von ihnen unverbraucht gelassene Einkommen direkt oder auf Umwegen dem in Not geratenen Ver­käufer zur Verfügung stellen, indem sie dafür die verkauften Aktien usw. erwerben.

 

            In beiden Fällen des Überkonsums dienen die ersparten Konsumgüter, die "Ersparnisse", nicht der Ernährung bzw. Ent­lohnung von Produktionsmittelarbeitern zwecks Herstellung lang­lebiger Kapitalgüter, sondern dem Konsum, d. h. der Entlohnung von Arbeitern ohne Schaffung neuer Werte oder dem privaten Verbrauch überhaupt ohne Arbeitsleistung wirtschaftlicher Art. Es läßt sich der Fall denken, daß dieser "Überkonsum" gerade so groß ist, wie die Summe der Ersparnisse. Dann würde trotz der Spartätigkeit die ganze werktätige Bevölkerung in der Ver­brauchsgüterindustrie tätig sein, ohne daß Arbeitskräfte in der Produktionsmittelindustrie angesetzt werden könnten.

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1)      Man hätte vielleicht die Aufnahme von Neuhypotheken  ohne den Nachweis landeskulturell nützlicher Verwendung für die Jahre nach der Inflation verbieten müssen.

 

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Von den beiden Arten der Ersparnisse, den Einkommens­ersparnissen und den Kostenersparnissen, ist also dieser Überkonsum abzuziehen, weshalb man diesen Teil mit Recht als "negative Ersparnisse" bezeichnet.

 

            7. Die Kapitalbildung. — Die Kapitalbildung ist hiernach aus der Summe beider Ersparnisarten abzüglich der negativen Er­sparnisse zu berechnen.

            Faßt man die Ergebnisse der Untersuchung über das Wesen der Kapitalbildung zusammen, so muß man zuerst hervorheben, daß die Kapitalbildung über die Verteilung der Arbeitskräfte auf die beiden Hauptindustrien, nämlich die Konsumgüter- und die Produktionsmittelindustrie, entscheidet. Kapitalbildung ist die Fähigkeit einer Nation, Arbeiter zu ernähren, ohne daß sie sich an der Verbrauchsgüterproduktion zu beteiligen brauchen, und sie für die Herstellung von Produktionsmitteln anzusetzen 1). Diese Verteilung der Arbeitskräfte auf beiden Industrien wird bedingt durch den Prozentsatz vom Volkseinkommen, der unverbraucht gelassen wird, und durch den Grad der Wirtschaftlichkeit der Produktion. Eine solche einmal feststehende Verteilung wird verschoben, wenn der Ersparnisprozentsatz wächst oder sinkt und dadurch Entlassungen in der einen Industrie erzwingt, oder wenn die Wirtschaftlichkeit der Produktion mittels Entlassungen gesteigert wird. In beiden Fällen können die zur Abwanderung gezwungenen Arbeitskräfte neue Stellen zum alten Einkommen erhalten, da die so erzielten zusätzlichen Ersparnisse nach Anlage suchen und nur hier, also nur zur Wiedereinstellung und Entlohnung der Entlassenen in der Produktionsmittelindustrie verwendet werden können. —

 

           

 

 

b) Arbeitslosigkeit infolge von Rationalisierungen.

 

            1. Kaufkraftrückgang als Ursache des Fehlschlags von Rationalisierungen. — Wir haben gesehen, daß es für Ersparnisse beider Arten nur eine Anlagemöglichkeit gibt: die Anlage in Produktionsmitteln, genauer: die Überweisung der in Rede stehen­den unverbrauchten Konsumgüter an solche Arbeiter, die durch den Sparvorgang in der Konsumgüterindustrie freigeworden sind. Denn nur Produktionsmittel bringen Ertrag, nur aus ihnen können

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1)      Dieses letzte Merkmal fehlt bei den bisherigen Definitionen, die die Literatur aufweist.

 

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Zinsen herausgewirtschaftet werden; nur die Erstellung neuer Pro­duktionsmittel kann als Anlagemöglichkeit in Frage kommen, da die Arbeitskosten älterer Produktionsmittel schon in früherer Zeit aufgebracht worden sind und hier nicht mehr interessieren, wo es sich um die Aufsuchung zusätzlicher Anlagemöglichkeiten handelt. Endlich kann nur die Beschäftigung der entlassenen Arbeiter in Frage kommen, da alle anderen Arbeiter schon in festen Händen sind. Es gibt, von unwesentlichen Einzelfällen ab­gesehen, überhaupt keine Möglichkeit, zusätzliche Ersparnisse anders anzulegen, als in Löhnen an diejenigen Arbeiter, die durch die zusätzliche Kapitalbildung ihre Arbeitsstellen verloren hatten.

 

            So wäre Arbeitslosigkeit infolge von Rationalisierungen un­möglich? Das haben J. B. Say und andere behauptet. So ein­fach ist die Lösung aber nicht, denn die gegenwärtige Lage des Arbeitsmarktes lehrt, daß sie in großem Umfange Tatsache ist. Dieses für die heutige Situation entscheidende Phänomen kann nur geklärt werden, wenn man sich die bei einer Rationalisierung zu beobachtenden Umsatzvorgänge klar vor Augen hält.

 

            Wenn in Deutschland im Jahre 1925 z.B. 3 Millionen Ar­beitskräfte infolge von Rationalisierungen entlassen wurden, die bisher wöchentlich 50 RM verdient hatten, so bedeutete daß für die In­dustrie tatsächlich die ersehnte Unkostensenkung von wöchentlich 150 Mill. RM, d. h. um jährlich rund 7 1/2 Milliarden. Nimmt man beliebige Zahlen und schätzt man den Wert der gesamten industriellen, gewerblichen und landwirtschaftlichen Produktion auf 75 Milliarden RM, so war die Kalkulation der Industriellen offenbar die, diesen Produktionswert, den man bisher ohne jeden Reingewinn, oft mit Verlust, zu Selbstkosten beispielsweise von 76 Milliarden erzeugt hatte, mit nur 68 1/2 Milliarden RM Selbstkosten herzustellen. Dann blieb ein Reingewinn von jährlich 6 1/2 Milliarden RM, während man bisher 1 Milliarde Verlust gehabt hatte.

 

            Bei dieser Kalkulation hatte man angenommen, daß der Absatz mit 75 Milliarden RM vor und nach der Rationalisierung unverändert bleiben würde. Eine solche Annahme ist durchaus verständlich, wenn man überlegt, daß die Industrieführer ja keine Volkswirtschaftler sind, die, ohne an ihren Betrieb zu denken, nur die gesamte Volkswirtschaft im Auge haben. Vielmehr ist jeder Industrielle bei seiner Rationalisierungskalkulation allein von seinem Betrieb ausgegangen; er hat sich gesagt, daß eine Entlassung von 500 Mann im Verhältnis zu der Kaufkraft von fast 30 Millionen Arbeitern und Angestellten in Deutschland, die in Arbeit bleiben,

 

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gar nichts bedeutet. Er hat nicht berücksichtigt, daß alle andern Arbeitgeber Deutschlands in der gleichen Zeit auch mit Rationali­sierungen beschäftigt waren, daß überall ungefähr im gleichen Ver­hältnis Entlassungen vor-genommen wurden. Er hat also nicht daran gedacht, daß die von ihm vorgenommene Entlassung von 500 Arbeitskräften volkswirtschaftlich der Entlassung und Arbeits­losigkeit von 3 Millionen Arbeitern gleichkommt Ein solches An­steigen der Arbeitslosigkeit bedeutet aber einen Ausfall an Kauf­kraft, eine Verminderung des Absatzes. Wenn 3 Millionen Arbeitskräfte entlassen werden, so sinkt der Absatz offenbar in den Branchen, die Arbeiterbedarf herstellen und feilbieten, also besonders in der Konsumgüterindustrie, schon nach wenigen Tagen um 150 Mill. RM. wöchentlich, also um jährlich 7 % Milliarden RM. Das ist gerade der Betrag, den man durch die Rationalisierung mehr zu verdienen gehofft hatte.

 

            Das Ziel der Rationalisierung war gewesen, Kosten­ersparnisse im Betrage von 7 1/2 Milliarden RM zu erzielen. Dieses Streben nach Ersparnissen war auch volkswirtschaftlich ver­nünftig gewesen, da man mit dem zusätzlich gebildeten Neukapital von 7 1/2 Milliarden jährlich, das Anlage suchen mußte, gerade die 3 Millionen entlassenen Arbeitskräfte zu einem Lohn von 50 RM wöchentlich wieder hätte be­schäftigen können. Dieses Ziel mußte verfehlt werden, weil der Absatz um den gleichen Betrag sank. Die Selbstkosten der Industrie betrugen nun 68 1/2 Milliarden RM, die Einnahmen aus Verkäufen aber nur 67 1/2 Milliarden anstatt 75 Milli­arden, so daß keinerlei Reingewinn verblieb, obwohl man mit 6 1/2 Milliarden Reingewinn sicher gerechnet hatte. Der Beschäf­tigungsgrad der Industrie, der eben eine entscheidende Rolle spielt, hatte sich um 10 % vermindert; die fixen Produktionskosten, ins­besondere die Zinsen, verminderten sich nicht im gleichen Maße, blieben vielmehr unverändert; die aufs äußerste herabgesetzten Lohn­kosten ließen sich nicht mehr vermindern. So war der industrielle Apparat schlechter ausgenutzt; er arbeitete teurer; der erhoffte Reingewinn wurde durch die Verschlechterung des Beschäftigungsgrades wieder aufgefressen.

 

            Wenn aber die erwarteten Kostenersparnisse ausblieben, so war auch keine zusätzliche Kapitalbildung da, mit der man den Arbeitsuchenden Löhne in der Produktionsmittelindustrie hätte aus­zahlen können. Die Rationalisierungen, die in solcher Weise durch­geführt worden sind, haben sich also nicht nur privatwirtschaftlich,

 

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sondern auch volkswirtschaftlich als verfehlt erwiesen: Nicht nur die erhoffte Rentabilität der Einzelbetriebe ist ausgeblieben, sondern auch die Kapitalbildung ist verhindert worden, mit der allein man die entlassenen Arbeitskräfte wieder in den Produktionsprozeß eingliedern kann. Aus vorüber­gehender Arbeitslosigkeit zum Zwecke des Abwanderns in die Produktionsmittelindustrie ist Dauerarbeitslosigkeit geworden, die das soziale Gebäude aufs schwerste zu erschüttern droht; aus Rationalisierung und Umstellung ist chronischer Absatzmangel geworden; dabei ist der Kapitalmangel so groß, daß es un­möglich erscheint, Arbeit zu beschaffen, um wieder Absatz und Besserung herbeizuführen.

 

            Durch diese Charakterzüge ist die moderne Arbeitslosigkeit, ja überhaupt die gegenwärtige Wirtschaftslage insbesondere in Deutschland, England und den Vereinigten Staaten gekennzeichnet. Mit einem Wort gesagt: der durch die Entlassungen ver­ursachte Konsumrückgang ist der eigentliche Grund, warum hinterher Ersparnisse zur Wiederbeschäftigung der abgebauten Arbeitskräfte in der Produktions­mittelindustrie nicht zur Verfügung stehen.

Chronische Arbeitslosigkeit, Absatzrückgang, Kapitalmangel gehören daher zusammen; sie sind ebenso die Kennzeichen von Störungen in der Kapitalseite der Wirtschaft, wie Diskontschwierigkeiten und Vertrauenskrisen zusammen mit akuter Arbeitslosigkeit bezeichnend sind für Störungen auf der Umsatzseite der Wirtschaft.

 

            Eine solche volkswirtschaftliche Kritik der in den letzten Jahren üblichen Rationalisierungsmethoden könnte zu der Schluß­folgerung führen, daß Rationalisierungen überhaupt zwecklos und zu unterlassen sind. Dieser Gedanke ist offenbar falsch; man kann nicht auf die eine der beiden Quellen der Kapitalbildung, die Kostensenkung, einfach verzichten, ohne auf wirtschaftlichen Fort­schritt überhaupt zu verzichten. Zudem zeigt die Geschichte, daß der Wohlstand der Massen gerade im letzten Jahrhundert, das die stärksten Rationalisierungen brachte, wesentlich gestiegen ist

So wird man nach einer volkswirtschaftlichen und finanztechnischen Methode zu suchen haben, wie man rationalisieren kann, ohne durch Absatzrückgang um den Erfolg des Werkes betrogen zu werden.

 

            2. Die angebliche Steigerung der Unternehmerkaufkraft. — Der schwache Punkt der gegenwärtig üblichen Rationalisierungs-

 

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methode ist offenbar, daß sie annimmt, der Absatz werde sich nach der Rationalisierung auf gleicher Höhe halten. Diese Annahme ist um so unrichtiger, als das Wesen der Rationalisierung ja in einer Verminderung des Lohnanteils pro Einheit des Produkts besteht.

 

            Man hat nun gesagt, daß die Kaufkraft der Unternehmer ja um gerade soviel steige, wie die der Arbeiter gesenkt worden sei. Die Steigerung der Unternehmerkaufkraft vermag aber für den Ausfall an Arbeitskaufkraft solange keinen Ersatz zu bieten, als sie nicht oder nicht voll in Höhe des Ausfalls aktuell ausgeübt wird. Sie kann im allgemeinen schon deshalb nicht effektiv ver­ausgabt werden, weil der Unternehmer fast immer nur in einer Branche tätig ist. Sparen bedeutet aber Abwanderung der Arbeitskräfte, also eine Entfernung der Arbeiter aus dem Bereich des Unternehmens, das die Rationalisierung durchführt und die Kostenersparnisse erzielt.

Man könnte vielleicht annehmen, daß der Unternehmer ja seine Ersparnisse auf der Bank ansammelt und daß die Banken gar nicht anders können, als diese Gelder ander­weitig auszuleihen, so daß die Verschiebung der Kaufkraft von der Konsumgüterindustrie in die Kapitalgüterindustrie und damit die notwendige Verschiebung der Arbeitskräfte von den Banken geleistet wird. Das ist aber nicht der Fall, wie die folgende Über­legung zeigen wird.

 

            Praktisch spielt sich der Vorgang meist so ab, daß der Unter­nehmer, der zusätzliche Kosten erspart hat, seinen eigenen Ver­brauch nicht oder nur unverhältnismäßig wenig erhöht. Von Seiten des Unternehmerkonsums ist also eine Belebung des Arbeitsmarktes nicht zu erwarten. Der Unternehmer hofft vielmehr darauf, daß sich seine Bankschulden nunmehr vermindern bzw. seine Bankguthaben vermehren werden. Er stützt diese Hoffnung aber nicht auf die Überzeugung, daß auf seinem Bankkonto mehr Erlöse aus Verkäufen eingehen werden, sondern nur darauf, daß er von jetzt an wöchentlich weniger Lohngelder bei der Bank abheben wird, während die eingehenden Rechnungs­beträge gleich hoch bleiben.

 

            Was geschieht bei den Banken, wenn die Unter­nehmer weniger Lohngelder abheben? Die Banken lassen entsprechend weniger Bargeld bei der Zentralnotenbank holen und diskontieren weniger Wechsel bei ihr. So sinkt also der Notenumlauf und damit die verteilte Kaufkraft. Keineswegs aber ver­bleiben den Banken nun die nicht beanspruchten Lohngelder zur anderweitigen Verfügung; die von den Unternehmern weniger ver-

 

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teilte Kaufkraft, tritt nicht an anderer Stelle wieder zutage, etwa in der Kapitalgüterindustrie, sondern sie geht unter. Die durch Rationalisierung ersparte Lohnkaufkraft wird nicht an eine andere Stelle verschoben, sondern sie wird vernichtet!

            Das zeigt sich auch auf den Bankkonten der Unternehmer: Anstatt unveränderter Eingänge bei gesunkenen Abhebungen für Löhnungszwecke, beobachtet man verminderte Eingänge, da ja der Notenumlauf und das in Verkehr gesetzte Einkommen zurück­gegangen ist. Das erstrebte Ziel: vermehrter Reingewinn, vermehrte innerbetriebliche Kapitalbildung, erhöhte Bankguthaben, aus deren Ausleihung erhöhte Nachfrage am Arbeitsmarkt — alles das ist nicht erreicht worden. Die als unausbleiblich erwartete Steigerung der Unternehmerkaufkraft, mit der die Schäden des Sinkens der Arbeiterkaufkraft hätten ausgeglichen werden können, ist ausgeblieben, ja sie muß ausbleiben, solange nichts zu ihrer Effektivierung getan wird.

 

            3. Volkswirtschaftlich richtige Rationalisierungen. — Eine erfolgreiche Rationalisierung wird also nicht nur auf eine exakte Lösung der ingenieurtechnischen und betriebswirtschaftlichen Fragen Wert zu legen haben, sondern auch darauf, daß der bisherige Ab­satz unter allen Umständen erhalten bleibt. Das kann nur ge­schehen, indem man den abgebauten Arbeitern unver­züglich wieder Arbeit verschafft. Eine Rationalisierung ist nur dann vollständig, wenn sie die Arbeitsbeschaffung für die Ent­lassenen einbegreift. Gelingt es, die von der Rationalisierung be­troffenen Arbeiter sofort wieder in den volkswirtschaftlichen Güter­umsatz einzuschalten, so bleibt der Absatz auf gleicher Höhe, es werden also die zusätzlichen Ersparnisse tatsächlich erzielt, um derentwillen man die Rationalisierung begonnen hatte. Bei verminderten Lohngelderabhebungen bleiben die Eingänge aus verkauften Waren auf den Bankkonten der Unternehmer auf der alten Höhe, die Schulden der Unternehmer sinken also, und die Bankguthaben steigen. Das hat die weittragende Bedeutung, daß nun auch die zusätzliche Kapitalbildung da ist, ohne welche die Beschäftigung der abgewanderten Arbeiter nicht möglich wäre.

 

            Allerdings wird man dem Unternehmer, der 5 oder 500 Arbeiter entläßt, nicht immer zumuten können, sich persönlich um das Schicksal der Entlassenen, das nach dem Gesagten auch sein Schicksal ist, tatkräftig zu bekümmern.  Gerade auf diesem Gebiete herrscht aller-

 

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dings noch überall ein manchesterliches Denken im üblen Sinne; man entläßt Leute, ohne Rücksicht auf die Folgen für die übrige Wirtschaft, unklugerweise sogar ohne tiefere Berücksichtigung der eigenen Interessen, die in viel höherem Maße mit dem Gesamt­interesse verknüpft sind, als vermutet wird. Wenn auch der Zusammenhang zwischen den Fehlschlägen der Rationalisierung und dem eben dadurch herbeigeführten Absatzrückgang heute noch nicht erkannt wird, so bricht sich doch schon die Erkenntnis Bahn, daß man bei der Rationalisierungskalkulation zum mindesten nicht die Steigerung der sozialen Lasten berücksichtigt hatte, die direkt oder indirekt durch die folgende Dauerarbeitslosigkeit veranlaßt ist.

 

            Wenn die einseitig technische und nicht volkswirtschaftliche Behandlung der Rationalisierung eine der Ursachen der Arbeits­losigkeit ist, so müßte man bei dem heute vorherrschenden etatistischen Denken die Rettung etwa in einer Gesetzgebung sehen, die dem Unternehmer für jede entlassene Arbeitskraft einen Sonderbeitrag zur Erwerbslosenfürsorge auferlegt. Dieser Betrag könnte so hoch sein, daß einzelne Unternehmer oder de-ren Verbände sich vielleicht bemühen würden, neue Arbeitsgelegenheit zu schaffen, um ihren Mitgliedern die Zahlung der Sonderbeiträge zu ersparen. Daraus könnten sich aber bürokratische Kapitalverschwendungen größten Umfanges entwickeln, ohne daß ein Erfolg gewährleistet wäre, weil das Problem ja letzten Endes ganz außerhalb des Problem­kreises der Arbeitgeberverbände liegt.

 

            Nicht Syndizi, sondern Bankiers werden die Lösung bringen müssen. Es handelt sich nicht um eine Ver-ursachung der Arbeits­losigkeit, für die der einzelne Unternehmer verantwortlich gemacht werden kann. Ihm kann keineswegs zugemutet werden, von der Entlassung abzusehen, denn dann würde ja die so erfreuliche und im tiefsten produktive Tatsache der Kostenersparnis gar nicht ein­treten, die vermehrte Kapitalbildung also noch mehr verhindert werden. Es kann nur verlangt werden, daß die Wirtschaftsführer als Klasse die Zusammenhän-ge überschauen und dafür sorgen, daß an anderer Stelle ein Ersatz für die verlorenen Arbeitsplätze ge­schaffen wird. Das kann nur durch eine geeignete Organisation des Kredits geschehen, wie noch zu zeigen sein wird. Die Kredit-und Bankorganisation muß so eingerichtet sein oder werden, daß sie die völlig normale und herkömmliche Erscheinung der Rationali­sierung bewältigt und laufend den abwandernden Arbeitskräften Lohn und Brot zu verschaffen vermag.

 

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c) Die Effektivierung der latenten Kapitalbildung.

 

            1. Latente und effektive Kapitalbildung. — Die Kapital­bildung besteht also aus zwei verschiedenen Bestandteilen, von denen keiner entbehrlich ist: a) Der Einkommens- oder Kosten­ersparnis und b) der Abwanderung und Wiederansetzung der frei­gewordenen Arbeitskräfte zur Erzeugung von Produktivgütern. Fehlt eines dieser Bestandteile, so ist der Kapitalbildungsvorgang noch unvollendet, die Kapitalbildung ist nur latent vorhanden. Erst wenn der zweite Bestandteil hinzutritt, wird der Sparprozeß vollendet, die Kapitalbildung also effektiv. Diese in der Wissen­schaft noch neue Erkenntnis ist von grundlegender Bedeutung für die hier behandelte zweite Art 1) der Arbeitslosigkeit

Wenn man sagt, diese Arbeitslosigkeit sei durch Kapitalmangel verursacht, so ist das nur insoweit richtig, als der Kapitalbildungsprozeß wohl eingeleitet ist (daher Arbeitslosigkeit), daß ihm aber der notwendige Abschluß fehlt. Dieser Abschluß kann aber nicht von dem Ein­treten irgendeines außerhalb der Arbeitsbeschaffung liegenden Vor­ganges erwartet werden, sondern nur von der produktiven Beschäfti­gung der Erwerbslosen selbst. Insofern ist es sogar falsch, im Kapital­mangel die Ursache der Arbeitslosigkeit zu sehen; vielmehr kann man sagen, die Arbeitslosigkeit sei die Ursache des Kapitalmangels, näm­lich der mangelnden Vollendung des eingeleiteten Sparprozesses.

 

            2. Zielbewußte Produktion von Ersparnissen. — Es wird heute in der Öffentlichkeit viel von der Förderung der Kapital­bildung gesprochen. Die Kapitalbildung will man, wenn sie erst einmal da ist, zur Beschäftigung der Arbeitslosen verwenden. Ein solches privatwirtschaftlich-bürokratisches Denken entspricht nicht den volkswirtschaftlichen Tatsachen. Schuld an der Kapitalknappheit sind die umfangreichen Arbeiterentlassungen, die den Absatz so sehr vermindert haben, daß nunmehr ein zu großer Produktions­apparat für die verminderte Versorgung vorhanden ist, daß also die Kosten im Verhältnis zur verbliebenen Produktionsmenge in der gesamten Volkswirtschaft zu groß sind. Dieses ungünstige Kosten­verhältnis, diese zu geringe Ausnutzung der Produktionskapazität läßt eine Kapitalbildung in den Betrieben nicht zu. Der Schrei nach Kapitalbildung, und zwar gerade nach Kapitalbildung in den indu­striellen Betrieben, nach "Selbstfinanzierung", ist sonach verständlich 2).

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1)      Wegen der eisten Art vgl. oben S. 31—33 und die vor der Veröffentlichung stehende besondere Abhandlung des Verf.

2)      Vgl: die Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie: "Aufstieg oder Niedergang". Berlin 1930.

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            Nur die Lösung ist nicht richtig: Nicht Senkung der sozialen Lasten, der Löhne usw., denn dadurch würde der Absatz noch weiter sinken und der Verlust weiter ansteigen. Das Unternehmertum wird sich vielmehr auf seine geschichtliche Aufgabe besinnen müssen, Arbeit zu geben. Nur durch Darbietung zusätzlicher Arbeits­gelegenheiten kann die Wurzel der heutigen Krisenerscheinungen, die unzureichende Ausnutzung des Produktionsapparates, beseitigt werden, da solche Arbeitsbeschaffung das Volkseinkommen und den Verbrauch steigert. Wie schon erwähnt, liegt in der Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht nur eine allgemeine Tendenz zur Markt­stärkung, sondern sogar wertmäßig eine genaue Entsprechung. Jede neu eingestellte Arbeitskraft, die 50 RM wöchentlich erhält, ver­größert den Absatz um ebensoviel; hatte man gehofft, durch Ent­lassung von 3 Millionen Arbeitskräften jährlich 7 1/2 Milliarden Lohn­kosten zu sparen, so erreicht man durch deren Wiederbeschäftigung tatsächlich eine zusätzliche innerbetriebliche Kapitalbildung von 7 1/2 Milliarden, die auf den Pfennig hinreicht, um die erforder­lichen Löhne bei der Wiederbeschäftigung der Entlassenen laufend zu finanzieren. Dabei sind die Einkommensersparnisse, die von den Neu-Eingestellten zur Sparkasse gebracht werden, noch gar nicht berück­sichtigt; sie mögen weitere etwa 5 % von der Lohnsumme ausmachen.

 

            Für das Unternehmertum als Ganzes ist also die Schaf­fung neuer Arbeitsgelegenheit der einfachste Weg zur Kapitalbildung in den Betrieben, d. h. zum Rein­gewinn: Jede auf neu erschlossenen Arbeitsgebieten in produktiver Weise neu eingestellte Arbeitskraft, die wöchentlich 50 RM Lohn erhält und konsumiert, steigert den Umsatz der gesamten Industrie um 50 RM wöchentlich. Die Unkosten dagegen bleiben unverändert, da nur der vorhandene Produktionsapparat besser ausgenutzt wird, nicht aber zusätzliche Zinslasten entstehen. Wenn die eingehenden Rechnungsbeträge aber steigen, während die Unkosten unverändert bleiben, so heißt das, daß die Reingewinne steigen, also volkswirtschaftlich gesehen im wesentlichen die Differentialrenten. So bedeutet tatsächlich in der gesamten Volkswirtschaft die Steigerung des Beschäftigungsgrades durch vergrößerte Umsätze von 50 RM wöchentlich eine Er­höhung der effektiven Kapitalbildung um ebenfalls 50 RM wöchentlich. Umgekehrt bedeutet jeder un­beschäftigte Arbeiter einen vermeidbaren Ausfall an Volksersparnissen im Betrage von 50 RM wöchentlich, jede Million Arbeitsloser also einen solchen in Höhe von 50 Mill. RM

 

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wöchentlich oder 2500 Millionen jährlich. Eine Wirtschafts­führung, die eine Förderung der Kapitalbildung durch Gewinnsteigerung der Betriebe anstrebt, braucht also nichts anderes zu tun, als Arbeit für die entlassenen, ja für alle noch außer Arbeit befindlichen Arbeits­kräfte zu schaffen.

 

            Dagegen kann nicht eingewandt werden, daß die Bereitstellung neuer Arbeitsgelegenheit wöchentlich genau soviel Lohnausgaben, also Unkosten bedingt, wie eingenommen werden, so daß eine zu­sätzliche Bildung von Gewinnen und Ersparnissen unmöglich sei. Denn die Arbeiter sollen ja nicht an ihren alten Arbeitsstellen, wo sie mit Recht entbehrlich geworden sind, wieder eingestellt werden, sondern neue produktive Werte schaffen! Sie sollen neue Industrien aufbauen, neue Verkehrswege, neue Wohnungen schaffen, alles ertragbringende langlebige Kapitalgüter, die die Zahlung von Zinsen und Tilgungsraten auf das Baukapital ohne jeden fremden Zuschuß aus sich heraus gestatten.

Wesentlich ist dabei zweierlei: Daß die solcherart beschäftigten Arbeiter voll als Konsumenten er­halten bleiben (und das geschieht ohne weiteres), und daß sie ver­anlaßt werden, solche Werte zu schaffen, die nachgefragt und rentabel sind, damit die neu investierten Löhne aus dem Ertrag der neuen Sachgüter selbst verzinst und getilgt werden können. Die Arbeiter sollen also nicht nur voll weiterkonsumieren, sondern sich ihren Unterhalt selbst verdienen. Sie dahin zu bringen, ist die Aufgabe der Wirtschaftsführung.

 

            Wir hatten in den theoretischen Grundbegriffen erklärt, daß die Konsumgüterproduktion gleich dem Konsum und die Produktions­mittelproduktion gleich der Summe der Ersparnisse sei. Dieser Satz kann hier er-klärend benutzt werden: Bei einer volkswirt­schaftlich richtigen Rationalisierung, wie sie hier vorgeschlagen wird, bleibt der Konsum unverändert; in der Konsumgüterindustrie zeigt sich also weder Absatzrückgang noch Absatzsteigerung. Aber die Kapitalbildung steigt. Daher kann und muß die Produktions­mittelproduktion im gleichen Betrage steigen. Ein Teil der Konsum­güter, die bisher noch von den in der Konsumgüterindustrie be­schäftigten Arbeitskräften verzehrt worden waren, und ein Teil dieser Arbeiter selbst wird frei, um die volks-wirtschaftlich wichtigeren Kapitalgüter zu produzieren bzw. diese Arbeiter bei ihrer neuen Beschäftigung zu ernähren. So bewirkt die echte Rationalisierung gerade das, was für den wirtschaftlichen Fortschritt entscheidend ist: Sie ermöglicht es, die Versorgung des ganzen Volkes mit Konsum-

 

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gütern durch einen kleineren Aufwand nationaler Arbeit zu bewerk­stelligen, so daß mehr Arbeitskräfte als bisher für die Produktion von Produktionsmitteln und anderen langlebigen Gütern verfügbar sind.

 

            Hiernach ist auf die allgemeine Klage über Kapitalmangel, über zu geringe Kapitalbildung zu antworten: Wenn Euch Kapital fehlt, so produziert es! Sorgt für die Beschäftigung aller Arbeitslosen, laßt sie geeignete Kapitalgüter herstellen, so wird das für ihre Entlohnung bzw. zur Finanzierung der neuen Baulichkeiten erforderliche Neukapital sich sofort bilden. Die Kapitalbildung kann also in dem Umfange, in dem Arbeitslose zur Ver­fügung stehen, absichtlich hervorgerufen werden. Die Wirtschaft ist nicht abhängig von den zufälligen Zuflüssen, die der Kapitalmarkt hat, sondern sie kann stets wenigstens diejenige Menge Neukapitals bewußt produzieren, die zur Einstellung aller Arbeits­losen erforderlich ist.

Die Ausdrucksweise, daß sich Kapital plan­mäßig bilden lasse, soll nur heißen, daß der unvollständige Kosten­ersparnisvorgang, als den wir die Rationalisierung erkannt haben, planmäßig vollendet werden kann, daß man die latente Kapitalbildung also in effektive Kapitalbildung ver­wandeln kann. Diese Ausdrucksweise stimmt überein mit der Auffassung, daß dem Kapital, genauer der Kapitaldisposition, stets Sachkapital in Gestalt von Maschinen, Häusern usw. zugrunde liegen muß, und daß man Arbeitslose zweifellos verwenden kann, um solche langlebigen Güter herzustellen. In diesem Sinne kann man einem vorhandenen Kapitalmangel (Mangel an Kapitaldisposition), wenn er von Arbeitslosigkeit begleitet ist, abhelfen, indem man die Arbeitslosen benutzt, um Kapital (Kapitalgüter) zu produzieren. (jz14)       Wie die dargestellte Hervorrufung effektiver Ersparnisse aus latenten und die dabei erforderliche Finanzierung der Neubauten im einzelnen finanztechnisch zu bewerkstelligen ist, wird nunmehr darzulegen sein.

 

            3. Der antizipierte Emissionskredit bei den deutschen Groß­banken. — Offenbar genügt es, wenn die Banken mehr Ersparnisse ausleihen, als ihnen zur Verfügung stehen. Sie müssen also kurz­fristige Vorschüsse nicht nur für Umsatzzwecke gewähren, sondern auch zur Erstellung von Produktionsmitteln. Diese Vorschüsse be­deuten volkswirtschaftlich nichts anderes, als daß man den zusätzlichen Produktionsmittelarbeitern Anweisungen auf die für sie vorhandenen Konsumgüter in die Hand gibt, damit sie erst einmal ihren Konsum unverändert aufrecht erhalten können. Das Vor-

 

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handensein der erforderlichen Verbrauchsgüter ergibt sich aus der Tatsache, daß diese Leute entlassen worden sind; würde Mangel an solchen Waren sein, so hätte man sie dringend gebraucht, um Konsumgüter, zum mindesten für ihren eigenen Bedarf, zu pro­duzieren. — Der solcherart aufrechterhaltene Konsum macht die vorhergegangenen Rationalisierungen erfolgreich, die latente Kapital­bildung wird nun erst effektiv; so werden laufend genug zusätz­liche Ersparnisse gebildet, um den Banken die Abdeckung der Vorschüsse aus langfristigen Mitteln zu ermöglichen.

 

            Ein Blick auf das Banksystem, das Deutschland in den Jahrzehnten vor dem Kriege einen selbst für amerikanische Verhältnisse kaum glaublichen Aufschwung ermöglicht hat, wird zeigen, daß hier nichts grundsätzlich neues, sondern nur die Fort­führung einer alten Tradition verlangt wird. Die deutschen Großbanken unterschieden sich vor dem Kriege besonders von den englischen Depositeninstituten dadurch, daß sie sich lebhaft im industriellen Kreditgeschäft betätigten, was bei den englischen Insti­tuten strengstens verpönt war. Die Industrie braucht Umsatzkredit und Anlagekredit, so wie die Landwirtschaft etwa Wechselkredit für die Erntebewegung und Hypothekarkredit für Grundverbesse­rungen und ähnliche langlebige Anlagen benötigt. Während die englischen Banken nur den Umsatzkreditbedarf der Industrie be­friedigten und jedes Übergreifen in den industriellen Anlagekredit ablehnten, gewährten die deutschen Großbanken stets beide Kredit­arten an die Industrie. Es liegt im Wesen des Anlagekredits, der der Erstellung der Maschinen, Gebäude und sonstigen fabrikatorischen Anlagen dient, daß er nicht in wenigen Monaten zurück­gezahlt werden kann, wie der Umsatzkredit, daß er vielmehr lang­fristige Kreditmittel voraussetzt, die nur im Verlaufe vieler Jahre in kleinen Raten getilgt zu werden brauchen. Solche langfristigen Mittel sind die bei den Banken eingezahlten Ersparnisse des Volkes. Sie stehen den Kreditbanken aber nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Dazu kommt, daß auch diejenigen echten lang­fristigen Ersparnisse, die bei den Banken als Depositen eingezahlt sind, größtenteils in der Rechtsform des täglichen Geldes oder mit kurzfristiger Kündigung dort stehen, auch wenn sie jahrzehntelang nicht abgehoben werden, weil die Banken wirklich langfristige Depositen nicht entgegennehmen 1). Eine Bank, die industriellen

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1)      Am 30. April 1930 hatten die Berliner Großbanken unter 12,2 Milliarden Kreditoren nur 456 Millionen RM Kreditoren mit einer Laufzeit von über 3 Monaten, von denen wieder der größte Teil auf Gelder von 3 - 6 Monaten entfallen dürfte.

 

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Anlagekredit gewährt, läuft daher das Risiko, daß sie diese kurz­fristigen Gelder langfristig festlegt und zahlungsunfähig wird, sobald größere Beträge von Depositen abgehoben werden. Dies ist die Ursache für die Ablehnung des eigentlichen industriellen (Anlage-) Kreditgeschäftes durch die englischen Großbanken.

 

            Demgegenüber vermochten die deutschen Großbanken eine neue Methode der Kreditgewährung zu entwickeln, die es tatsäch­lich möglich macht, mit kurzfristigen Geldern industrielle Anlagen zu finanzieren. Sie wählten sich solche Industrieunternehmungen aus, die groß und bekannt genug waren, um als Emittenten eigener Aktien oder Teilschuldverschreibungen an der Börse erscheinen zu können. Diesen gewährten sie etwa zur Erweiterung der Fabrik­anlagen Kontokorrentvorschüsse und Akzeptkredite 1) weit über das Maß des Umsatzkredits hinaus. War der Neubau fertig, so veranlaßten sie die fragliche Industriefirma, eine Obligationenanleihe herauszugeben oder das Aktienkapital zu erhöhen. Die neu ge­schaffenen Effekten vertrieben sie vermittels des engmaschigen Netzes von Filialen und Depositenkassen, das ihnen zur Verfügung stand, an ihre Depositäre, also an ihre Sparer. Der Teil der Bankdepositen, der in dem Industriekredit festgelegt gewesen war, ging damit der Bank verloren; er wurde nunmehr direkt von den Sparern an die Industrie gegeben. Die Kredite der Bank sanken entsprechend, denn die Banken deckten mit dem Erlös der Anleihe bzw. der Kapitalerhöhung den aufgelaufenen Millionensaldo auf dem Konto der Industrieunternehmung ab. Sie halsten also nur die für sie selbst unerwünschten illiquiden Industriekredite in Form von Effekten ihren eigenen Einlegern auf, die sie wünschen mußten, weil solche Anleihen mehr Zinsen brachten, als Spareinlagen. So trugen sie das Risiko der Illiquidität stets nur wenige Monate oder Jahre lang und stets nur für einen kleinen Teil ihrer Industriekunden gleich­zeitig; danach verkauften sie die illiquide Forderung, in Aktien oder Teilschuldverschreibungen aufgeteilt, an ihre Kundschaft, wodurch sie sich selbst wieder liquide machten.

 

            Mit diesem sogenannten "antizipierten Emissionskredit" 2) ist der Hauptteil der deutschen Industrie, insbesondere die Schwer­industrie des Ruhrgebiets und Berlins, in wenigen Jahrzehnten auf­gebaut worden. Die Methode hat vorzüglich gearbeitet und weniger Nachteile gezeigt, als das englische System. Man muß schon bei

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1)      Vgl. unten Kap. 5 d, 2: Die Förderung des antizipatorischen Bankakzepts.

2)      Ausdruck von Hecht, Somary, Rießer u. a.

 

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Jeidels 1) nachlesen, um heute noch zu verstehen, welche ungeheuren Summen laufend in dieser Weise der Industrie vorgeschossen wurden, bis sie bei günstiger Börsenlage an den Kapitalmarkt abgestoßen werden konnten. Besonders ein großer Teil des Umlaufs an Bank­akzepten war als Vorläufer von Emissionen anzusehen: nach Rießer wurden in Deutschland etwa 30 % aller Kontokorrentkredite in Akzepten der Banken gewährt; Ende 1913 wies das Akzeptkonto der 160 deutschen Kredit-Aktienbanken die Summe von 2 6244 Mill. M. auf, d.i. 36 % des gesamten damaligen Wechselumlaufs. Heute dagegen betragen die Bankakzepte nicht mehr als etwa 500 Mill. RM (1930).

 

            4. Antizipierter Emissionskredit und Arbeitsgelegenheit vor dem Kriege. — Diese Zeit der Blüte des "antizipierten Emis­sionskredits" steht nun in engem Zusammenhang mit der Tatsache, daß es eine nennenswerte objektive Ar­beitslosigkeit in Deutschland vor dem Kriege nicht gegeben hat. Die hierin liegende volks-wirtschaftliche Bedeu­tung der neuen Kreditmethode ist heute wie damals nicht erkannt worden; erst der heutige Druck des Arbeitslosenproblems nötigt zu ihrer Würdigung.

 

            Aber die Rolle des antizipierten Emissionskredits erschöpfte sich nicht in der Umwandlung kurzfristiger in langfristige Kredit­mittel; die neue Kreditmethode machte vielmehr mehr Ersparnisse zum Ausleihen verfügbar, als Depositen überhaupt da waren. Die Banken wurden nämlich in diesen Jahrzehnten des Aufschwunges von den Industriellen um Kredite bestürmt. Da es sich nicht um Umsatzkredite handelte, konnten solche Darlehen eigentlich nur aus Depositen, d. h. aus Ersparnissen, gewährt werden. Die Kreditorenziffern der Großbanken wuchsen aber längst nicht so schnell an, wie das nötig gewesen wäre, um die Kreditansprüche ihrer industriellen Kunden zu befriedigen. Die Banken befanden sich in einer gewissen Zwangslage, da sie bei Verweigerung solcher Kredite fürchten mußten, daß der Kunde zur Konkurrenz ab­wanderte. So griffen sie zu dem anscheinend gewagten Auskunfts­mittel, mehr Kredite zu gewähren, als ihnen Depositen überhaupt zur Verfügung standen. Sie wandten sich zu dem Zwecke an den Geldmarkt, zum Teil auch an die Reichsbank, wie der hohe Privatdiskontenbestand der Reichsbank (zeitweise 50 %) zeigte.

 

            Die Periode der Industrialisierung Deutschlands war im Grunde nichts als eine Zeit fortgesetzter Rationalisierungen und Erweiter-

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1)      Das Verhältnis der Großbanken zur Industrie, Berlin 1902.

 

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ungen. Fortgesetzt wurden, besonders in der Konsumgüterindustrie, Leute entlassen, fortgesetzt mußten für diese abgebauten Arbeits­kräfte sowie den aus der Bevölkerungsvermehrung sich ergebenden Nachwuchs, der in dieser Industrie keine Aussichten hatte, neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die zur Errichtung ganzer neuer Fabriken usw. erforderlichen Kapitalien waren natur­gemäß bei der Entlassung der Arbeitskräfte noch nicht da: so half man sich damit, daß man vorläufig kurzfristige Kredite gewährte, mit denen man Konsum und Kapitalbildung aufrecht er­hielt, bis die Kapitalbildung so weit fortgeschritten war, daß man an die Umwandlung der Vorschüsse in langfristige Anleihen denken konnte. Im Maße des Fortschreitens der Arbeiten sammelten sich dann auch tatsächlich in der gesamten Wirtschaft die Mehrersparnisse an, die zur schließlichen Konversion dieser Vorschüsse in Anleihen usw. erforderlich waren. So erzeugten die Arbeitslosen die zu ihrer Beschäftigung erforder­liche Kapitalbildung selber. (jz15) Inwiefern waren die Ersparnisse noch nicht da? Man könnte annehmen, daß sie nach unserer Theorie ausreichend zur Verfügung stehen müßten, da der Absatz ja nun aufrechterhalten blieb, die Rationalisierung gelungen war und die Kapitalbildung effektiv sofort einsetzte. Hier ist eine nähere Erläuterung am Platze: Die Kapitalbildung begann nur, sie lieferte pro Woche gerade soviel Neuersparnisse, als Löhne für die entlassenen Arbeitskräfte gespart wurden bzw. für die zusätzlich eingestellten Arbeiter neu veraus­gabt werden mußten. Das heißt also, daß am Tage der Entlassung noch keinerlei zusätzliche Ersparnisse bemerkbar waren, und in den folgenden Wochen nur Beträge in Höhe der jeweils gesparten Wochenlöhne, die sich zudem über das ganze Land verteilten. Wenn also z. B. 100 Arbeitskräfte mit einem Wochenlohn von 50 RM durch eine Rationalisierung zum Abwandern in eine andere Industrie gezwungen wurden, so betrugen die zusätzlichen Erspar­nisse am Ende der ersten Woche nach der Wiedereinstellung nur 5000 RM, ein Betrag, der bei den Banken kaum bemerkt werden konnte.

            Dieser Punkt ist besonders wichtig. Denn infolge der Teilung der Produktion, des Handels und des Bankwesens in Hundert­tausende von Einzelbetrieben fehlt den Unternehmern und den Banken die Übersicht. Die Banken können nicht warten, bis eine Spargelderstatistik erscheint, die ihnen sagt, wieviel Spargelder vorhanden oder zu erwarten sind. Auch können die Ersparnisse in ganz andern Landesteilen oder bei Konkurrenz-Instituten auf-

 

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treten, ohne daß sie davon erfahren. Der Kapitalmarkt ist außerdem in hohem Maße von dem Zufluß von und dem Abfluß nach dem Auslande abhängig, wie noch zu zeigen sein wird; seine Zinssätze sind daher nicht immer ein brauchbarer Maßstab für die Menge der vorhandenen Ersparnisse; übrigens ist der Kapitalmarkt stark von Spezialgesetzen, wie Zöllen, Steuern und Anlegungsvorschriften, eingeengt.

Entscheidend aber ist, daß es für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf die werdenden und zukünf­tigen Ersparnisse ankommt, also auf ein noch gar nicht wirk­sames Angebot am Kapitalmarkte. So handeln die Banken be­sonders heute (? - J.Z.), wo sie korrekt und weniger wagemutig, als vor dem Kriege sind, rein nach ihrer privatwirtschaftlichen Liquidität, die ihnen gebietet, niemals mehr Gelder für langfristige Zwecke auszuleihen, als ihnen an Depositen langfristigen Charakters zur Verfügung steht. Da mit den Arbeitslosen nur langlebige Güter produziert werden können, zu deren Herstellung regelmäßig ein großer Kapitalaufwand erforderlich ist, muß der Unternehmer vor Beginn der Arbeiten sein Projekt ordnungsmäßig finanzieren, d. h. er muß Verträge mit Banken abschließen, die ihm die ins­gesamt erforderlichen Ersparnisse in Form von Anleihen, Hypo­theken oder andern langfristigen Mitteln von vornherein sichern. Derartige Zusicherungen abzugeben, glauben die Banken aber nicht in der Lage zu sein, da ihnen zusätzliche Ersparnisse noch gar nicht oder fast gar nicht zur Verfügung stehen. In unserm Beispiel würden die Banken auch eine Woche nach Be­ginn der Arbeiten erst 5000 RM zusätzliche Ersparnisse erhalten haben, während der Wert des zu finanzierenden Neubaues vielleicht 500 000 RM beträgt. Die Kreditinstitute lehnen daher, wenn sie vorsichtig geleitet sind, eine solche Finanzierung in Höhe von 500 000 RM ab. Es finden sich also keine Unternehmer, die die Arbeiter beschäftigen; die Herstellung der Kapitalgüter unterbleibt, Konsum und Kapitalbildung gehen zurück und die Arbeitslosigkeit wird verewigt.

 

            Vor dem Kriege war das anders. Die Banken wurden von wagemutigen Führerpersönlichkeiten geleitet, die es mit der kor­rekten Einhaltung der Liquidität oft nicht genau nahmen. Die Kritik der Öffentlichkeit an diesem spekulativen Verhalten der Banken war scharf, bis zum Erscheinen des Adolf Weberschen Werkes "Depositen-Banken und Spekulationsbanken" sogar fast einmütig. Die Großbankleiter selbst waren sich darüber klar, welches Risiko sie eingingen, indem sie mehr Anlagekredite gaben, als ihnen

 

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Mittel zur Verfügung standen. Die volkswirtschaftliche Richtigkeit ihres Handelns blieb ihnen verborgen; daher zeigten sie nicht selten ein schlechtes Gewissen, indem sie sich mit kleinlichen Gründen zu entschuldigen versuchten.

 

            5. Die Antizipation der Ersparnisse durch die Banken als Mittel zur Vollendung des Kapitalbildungsprozesses.    Wir finden also in der "Antizipation der Ersparnisse" wie wir sie nennen wollen, also in der Vorwegnahme der Spar­tätigkeit durch Zwischenkredite der Banken die er­probte und adäquate Lösung des Problems, wie man latente Kapital­bildung in effektive verwandeln, der Rationalisierungswelle zu Erfolg verhelfen und die Masse der Arbeitskräfte durch Produktion von Kapitalgütern beschäftigen kann. Durch diese Antizipation der Ersparnisse bleibt der Konsum auf der veranschlagten Höhe; infolgedessen steigt die Kapitalbildung um den mit der Kosten­ersparnis bezweckten Betrag, so daß die Arbeiter an anderer Stelle weiter ihren Unterhalt finden können.

            Die zusätzlich produzierten Kapitalgüter können von den Banken in Form von Hypotheken und Anleihen usw. langfristig beliehen werden; auf Grundlage dieser Beleihungen können Pfand­briefe, Industrieobligationen, Stadtanleihen, Aktien und andere Wertpapiere emittiert werden, die am Markte denen angeboten werden müssen, in deren Betrieben das zusätzliche Kapital gebildet worden ist. Dieses Angebot an Effekten-kapital muß logischerweise gleich der Nachfrage sein, da dem Werte nach ebensoviel Wohnhäuser, Fabriken usw. neu gebaut sein müssen, wie zusätzliches Kapital gebildet worden ist 1). So können die "Antizipations-vorschüsse" der Banken dem Betrage nach mit Sicherheit in Effekten umge­wandelt, bei der Bank also zurück-gezahlt werden.

 

            6. Der interlokale Ausgleich durch den Kapitalmarkt. — Es bleibt noch die volkswirtschaftlich weniger belangreiche Frage übrig, was zu geschehen hat, wenn die Bank A den Antizipations­kredit gewährt hat, die Ersparnisse aber bei der Bank B eingezahlt werden. Es ist zu antworten, daß der Kapitalmarkt für den Aus­gleich zu sorgen hat Die Ersparnisse bei der Bank B suchen nach Anlage; bei einigermaßen richtiger Zinspolitik müssen sie als Nachfrage nach Wertpapieren am Kapitalmarkt erscheinen und auf das Effektenangebot treffen, das von der Bank A ausgeht. So

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1)      Beide sind nämlich gleich der Lohnsumme der abgebauten und an anderer Stelle neu eingestellten Arbeiter.

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muß es zum Kauf bzw. zum Verkauf kommen und weder die Bank A, noch die Bank B kann in Verlegenheit geraten. Sache der Spekulation, d. h. der Lagerhaltung im Effektenhandel, ist es dabei, für die Nachfrage nach Wertpapieren stets ein reichliches Sortiment der verschiedensten Anlagen bereitzuhalten, damit die individuellen Wünsche der Anleger befriedigt werden können, und Aufgabe des Börsenkurses ist es, weniger gefragte Effekten so zu verbilligen, daß auch sie von der Nachfrage aufgenommen werden.

 

            Bei dieser Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit, soweit sie aus Störungen in der Produktionssphäre zu erklären ist (durch Antizipationskredite), können also Arbeiterentlassungen vermieden werden; es kann stets soviel effektives Kapital bereitgestellt werden, daß die Beschäftigung der gesamten werktätigen Bevölkerung ge­sichert ist. Kapitalmangel kann eine Ursache der Arbeits­losigkeit nicht mehr sein.

 

            7. Abgrenzung gegen die expansive Kredittheorie von Macleod, Schumpeter, Hahn u. a. — Man könnte versucht sein, dieser Lehre dieselben Einwände entgegenzuhalten, die einer andern heute verbreiteten Theorie vielleicht mit Recht entgegengehalten werden: Der expansiven Kredittheorie. Eine kurze Auseinander­setzung mit dieser Lehre mag daher erwünscht sein:

 

            Während die expansive Kredittheorie den Standpunkt ver­tritt, Kredit könne aus dem Nichts geschaffen werden, die von den Banken periodisch hervorgerufenen Kreditinflationen seien der große Hebel der Kapitalbildung und des Fortschritts und nur fortgesetzte Krediterweiterung könne günstige Konjunkturen schaffen, hat die herrschende Lehre daran festgehalten, daß die Banken nie mehr Kredit gewähren können und sollen, als ihnen Depositen zur Verfügung stehen. Man kann diesen Satz mit Bezug auf den Um­satzkredit einer Modifikation unterziehen, indem man nachweist, daß seine besonderen Quellen (der Notenumlauf und die Giroguthaben) sich zugleich mit den tatsächlichen Güterumsätzen beliebig zusammenziehen und erweitern und indem man zeigt, daß die Um­satzvorschüsse der Girodepositeneinzahlung vorhergehen müssen, damit der Tauschprozeß erst einmal in Gang gesetzt werden kann 1). Nun kommen wir für das Gebiet des Anlagekredits zu einer

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1)      Vgl. die vor der Veröffentlichung stehende Schrift des Verf.: "Banknoten­ausgabe und Arbeitslosigkeit". (jz16)

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ähnlichen Lösung 1): Auch der Anlagekredit hat in der Kapitalbildung seine besondere Quelle, die sich je nach dem Maße der wiederbeschäftigten Arbeitskräfte als mehr oder weniger ergiebig zeigt; und auch hier muß ein kurzfristiger Vorschuß zeitlich vorhergehen, damit die Kapitalbildung überhaupt in Gang kommt.

Das scheinen uns notwendige Modifikationen der Theorie, die aber den ersten Grundsatz von der Übereinstimmung der langfristigen De­positen mit den langfristigen Ausleihungen bei den Banken prinzipiell nicht in Frage stellen.

            Antizipationsvorschüsse dürfen nur in dem Umfange gewährt werden, in welchem unbe­schäftigte, nicht-konsumierende Arbeitskräfte zur Ver­fügung stehen 2), niemals aber unbegrenzt, wie es die Ansicht der expansiven Kredittheorie ist.

Unbeschäftigte Arbeitskräfte, die nicht konsumieren, sind ein nicht ausgebeuteter Markt; ihn zu er­schließen, sind solche antizipativen Kredite geeignet.

Sind aber sämtliche objektiv geeigneten Arbeitskräfte erst einmal beschäftigt, so muß jede weitere Gewährung solcher Kredite eine Nachfrage am Warenmarkte hervorrufen, der keine entsprechende Produktion gegenübersteht Auch eine zusätzliche Kapitalbildung folgt dann nicht mehr, da vorher keine Entlassung von Arbeitskräften erfolgt, also keine Kostenersparnisse latent vorhanden sind. Diese Kredite können daher später nicht in langfristige Anleihen umgewandelt werden. Illiquidität der Banken und Inflation der Preise müssen die Folgen einer solchen expansiven Kreditpolitik sein.

 

            Der Gedanke, daß die Zahl der noch unbeschäftigten Arbeitslosen das Maß der zusätzlichen Bankkredite bestimmen muß, ist naheliegend, wenn man sich den Geld­schleier hinwegdenkt und vor Augen hält, daß für die Arbeits­losen Lebensmittel und Kleidungsstücke genug in den Läden liegen, und auch die Produktionskapazität der Industrie für alle ausreichen würde. Es handelt sich nur darum, die brachliegenden Arbeitskräfte zu benutzen, um Werte zu schaffen und dadurch zugleich den Konsum und die Kapitalbildung auf die erforderliche Höhe zu bringen. Eine

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1)      Über den Unterschied von Umsatz- und Anlagekredit vgl. die genauere Dar­stellung in meinem Aufsatze "Die Auswahl und Sicherung langfristiger Industriekredite", in "Bankwissenschaft" 1930, 2. Augustheft, S. 347- 360.

2)      Eine weitere Grenze für das Maß der Antizipationskredite liegt in dem Um­fange der Vorräte an Konsumgütern in den Lagern und Läden. Denn in den ersten drei Wochen dieser Vorschüsse sind noch keine zusätzlichen Waren da, es muß also von den Lagern gezehrt werden können, wenn Preissteigerungen vermieden werden sollen; vgl. Fußnote I, S. 65. (jz17)

 

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weitere Kreditexpansion ist durch nichts gerechtfertigt. Der Kredit­organismus einer Volkswirtschaft dient nicht der Spekulation und Preistreiberei, sondern der Bewerkstelligung des Konsumgüter­umschlages und der Beschäftigung der dabei nicht benötigten Arbeitskräfte mit Wohnungsbauten, Eisenbahnbauten usw. zum Nutzen aller.

 

            Hält man an dem vorher entwickelten Begriff der Kapital­bildung 1) fest, so dürfen langfristige Kredite offenbar im Maße beider Zweige der Spartätigkeit gegeben werden, ohne daß es erforderlich ist, daß die Neukapitalbildung schon auf einem Bank­konto eingezahlt ist. Es genügt, wenn die geschilderte Kapitalbildung durch Kostenersparnisse tatsächlich eingeleitet worden ist; Sache der Zwischenkredite ist es, sie vor dem Versiegen zu bewahren bzw. sie ef­fektiv zu machen.

 

            Die hier vertretene Kredittheorie glaubt also im Gegensatz zu der expansiven Theorie nicht, daß Kapitalbildung oder Kredit aus dem Nichts geschaffen werden könne. Sie glaubt insbesondere nicht, daß die Kapitalbildung ohne die Durch­führung von Kostenersparnissen (Arbeiterentlassungen) allein durch kreditpolitische Maßnahmen irgendwie gesteigert werden könne. Sie behauptet nur, daß durch zweckmäßige Antizipationskredite Stö­rungen und das Versiegen einer Kapitalbildung ver­mieden werden können, die vermöge von Rationalisierungsmaßnahmen latent schon vorhanden ist, daß also eine latente Kapitalbildung zu einer effektiven gemacht werden kann.

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            1) Vgl. S. 47.

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Drittes Kapitel.

 

Die gegenwärtige Organisation des Anlage­kredits und ihre Mängel.

 

a) Die Vernachlässigung des Antizipationskredits.

 

            1. Börsentätigkeit und Arbeitslosigkeit vor dem Kriege. — Wir hatten gesehen, daß das starke Angebot von Arbeitsgelegen­heit, das vor dem Kriege zu beobachten war, seine Ursache in der ausgedehnten Pflege des antizipierten Emissionskredits hatte.

            Wie eng der Zusammenhang zwischen der Gewährung von Antizipationskrediten bzw. der sich daraus ergebenden Börsentätigkeit mit der Arbeitslosig­keit von jeher gewesen ist, beweist das neben­stehende  (hier: unten stehende! - J.Z.) Schaubild des Instituts für Konjunkturforschung 1). Es ergibt sich daraus die alte Er­fahrung, daß die Arbeits­losigkeit sehr stark sinkt, wenn die Börsentätig­keit sich lebhaft gestal­tet, wenn also durch Antizipation von Ersparnissen eine starke effektive Kapitalbildung hervorgerufen worden ist, die nach Anlage sucht, während gleichzeitig die Banken ihre Antizipationskredite in Effekten umwandeln und auf den Markt werfen.

 

 

                                                                                                                                                                                   

                                                                                                                                                                                   

                                                                                                                                                                          

                                                                                                                                                                                   

                                                                                                                                                                                   

 

 

Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Börsentätigkeit, die wir seit Mai 1927 in Deutschland beobachten, wahrscheinlich noch viel kleiner ist, als sie vor dem Kriege in den stillsten Zeiten (etwa 1901) war, so können wir uns nicht wundern, daß heute die Arbeitslosig­keit dauernd noch größer ist, als sie damals nur in den Krisenzeiten (1901, 1909) war. Die Gesetzmäßigkeit, die damals den Andrang bei den Arbeitsnachweisen und die Börsentätigkeit miteinander ver-

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1)      Vierteljahrshefte z. Konj., 1926 IV, S. 44.

 

 

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knüpfte, gilt auch heute noch; man kann nicht hoffen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, wenn man nicht ent­schlossen ist, vorher der Börsentätigkeit wieder auf­zuhelfen.

 

            Was versteht man unter "lebhafte Börsentätigkeit", welches sind die Gründe für ein Steigen der Aktienkurse, wie es das Schau­bild zeigt? Offenbar ist die Voraussetzung für beide, daß eine starke Kapitalbildung vorhanden ist und daß die Banken in der Lage sind, reichlich neue Effekten zu produzieren. Wie wir gesehen haben, ist es der antizipierte Emissionskredit, der in bedeutsamer Weise gerade diese beiden Voraussetzungen vereinigt und verwirklicht.

 

            2. Der Rückgang und seine Gründe. — Schon die hohe Arbeitslosigkeit, die wir heute haben, deutet darauf hin, daß der Antizipationskredit seit der Vorkriegszeit stark zurückgegangen ist, daß sich also die Kreditpolitik der Großbanken in den vergangenen 20 Jahren geändert hat. Auf die einzelnen Gründe dieser Ver­änderung kann hier nicht eingegangen werden; es ist aber wohl Tatsache, daß der antizipierte Emissionskredit heute nur noch wenig in Übung ist. Man erkennt das nicht nur an dem geringen Um­lauf von Bankakzepten, sondern auch daran, daß heute die Börse fast tot daliegt. So ist es heute unmöglich, größere Pakete von Aktien oder Obligationen zu plazieren, was doch die Voraussetzung für Antizipationskredite ist. Zugleich ist das Emissions- und Konsortialgeschäft auf einen Bruchteil seines früheren Umfanges ge­sunken. Für diese Entwicklung trägt in erster Linie die kapital­feindliche, genauer gesagt die den Erwerbslosen schädliche Wirt­schaftspolitik des Reichs und der Reichsbank die Verantwortung. Besonders schädlich war die irrige Vorstellung des Reichsbankpräsidenten Schacht, daß die für Börsenkredite verwendeten Gelder der produktiven Wirtschaft verloren gehen 1), und sein Glaube, die gefährlichen kurzfristigen Auslandskredite an Deutschland würden sich vermindern, wenn er die Börse stillegen und dadurch ihren Geldbedarf ausschalten würde 2).

Kampf gegen die Börse heißt Kampf gegen die Antizipationskredite und die gesamte Finanzierung der Industrie; Besteuerung der Börse und des Kapitalverkehrs be-

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1)      Z. B. sein Ausspruch, die Auslandsanleihen seien nicht in die Wirtschaft, sondern in die Gastwirtschaft geflossen.

2)      Die Statistik zeigt, daß sie sich in Verfolg der Schachtschen Politik nahezu verdoppelt haben.

 

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deutet Besteuerung gerade derjenigen Finanztransaktionen, mit denen allein neue Arbeitsplätze für die Millionen abgebauter Arbeits­kräfte gefunden werden können. Noch in den Jahren 1926/27 hat der deutsche Kapitalmarkt Riesenemissionen, wie die Vereinigten Stahlwerke 1) und der I. G. Farbenindustrie A. G. aufnehmen können; in jenen Jahren ist ein großer Teil der Rationalisierungen mittels Antizipationskrediten finanziert worden. Der Erfolg war, daß fast 2 Millionen Arbeitslose allein in dieser kurzen Periode von der Wirtschaft absorbiert werden konnten, so daß die Wiederkehr des Vorkriegszustandes am Arbeitsmarkte dicht bevorzustehen schien. Erst durch die rigorosen Eingriffe des Reichsbankpräsidenten Schacht ist diese neue und hoffnungsvolle Entwicklung unterbunden worden. Die großen Verluste, die die Banken infolge dieser Maßnahmen er­litten haben 2), haben ihnen die Freude an gewagten Finanztrans­aktionen, wie sie nun einmal nötig sind, wenn Arbeitsgelegenheit beschafft werden soll, verdorben.

 

            3. Sinken der Führerqualitäten der Bankleiter. — Dazu kommt, daß ein hoher Prozentsatz der Großbankleiter sich in vor­gerücktem Alter befindet und daß der Einblick in die volkswirt­schaftlichen Zusammenhänge fast überall fehlt. In welchem Grade hier Mängel vorhanden sind, ergibt sich nicht nur aus den Reichs­bank- und Großbank-Berichten der Inflationszeit, worauf Ad. Weber hingewiesen hat 3), sondern auch aus neueren Äußerungen, von denen etwa die bekannte Empfehlung einer Lohnsenkungsaktion im Geschäftsbericht der Deutschen Bank und Diskontogesellschaft für 1929 genannt sein möge, in dem es heißt:

            "Wäre die Nominalhöhe der Löhne und Gehälter in Deutsch­land 10 % niedriger — das ist die Steigerung der letzten 2 Jahre, die sich als untragbar erwiesen hat —, so ständen wir nicht so unter dem Druck der Arbeitslosigkeit. Die Produktion könnte gesteigert und damit verbilligt werden, so daß, abgesehen von der Wirkung auf Außenhandel und Zahlungsbilanz, durch sinkende Preise der Reallohn, auf den es doch letztlich ankommt, bald nur wenig vom heutigen abweichen würde. Einen, wenn auch nicht gleichwertigen, so doch genügenden Ersatz einer Lohnreduktion, die in Deutschland aus politischen Gründen wenig Aussicht auf Verwirklichung hat, würde eine Verlängerung der Arbeitszeit bieten.

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1)      Deutsche Tranche 126 Mill. RM.

2)      Das Massensterben der Privatbankiers geht zum größten Teil auf die am "schwarzen Freitag" erlittenen Verluste zurück.

3)      Vgl. das Vorwort zu "Effektenbörse und Volkswirtschaft", a. a. O. S. VII.

 

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            Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Höhe des Zinsfußes, das dritte große Hemmnis unserer Wirtschaftsentfaltung, sich er­heblich ermäßigen würde, wenn eine rationelle Wirtschafts- und Finanzpolitik die Kapitalbildung bei den Unternehmungen wieder ermöglichte und dadurch deren übermäßiges Kreditbegehren milderte."

 

            Leider unterläßt der Bericht, zu bemerken, wie die gesteigerte Produktion trotz gesenkter Löhne abgesetzt werden soll. Aller­dings ist die Kapitalbildung in den Betrieben von entscheidender Bedeutung; sie kann aber nur durch bessere Ausnutzung der Pro­duktionskapazität gesteigert werden. Ob die für den Bericht verantwortlichen Persönlichkeiten wirklich geglaubt haben, man könne diesen vermehrten Absatz durch Lohnherabsetzung erreichen, er­scheint nicht sicher; zum mindesten muß es befürchtet werden. Noch vielsagender ist das, was in den Berichten nicht gesagt wird: Über die tiefgreifenden Umschichtungen des deutschen Kredit­systems, von denen die Rede gewesen ist und noch sein wird, findet man hier nur wenige Andeutungen. Die Rolle der Ankurbelungs- und der Antizipationsvorschüsse wird nicht erkannt; selbst Solmssen stimmt in die allgemeine Klage über den Kapitalmangel ein, ohne zu erkennen, daß es in seiner Hand lag, aus der latenten Kapital­bildung eine effektive zu machen: "Die deutschen Großbanken sind gleichsam Lokomotiven unter Dampf", sagte er noch am 5. Februar 1930 in seinem Züricher Vortrage, "denen jetzt mangels der Schienen in Form des erforderlichen Kapitals die Möglichkeit abgeht, ihre gewaltige Aktionskraft zum Wohle der Wirtschaft ihres Landes und der Welt voll zur Geltung zu bringen"! 1)

            Erkenntnis und Wissen sind aber unumgängliche Voraus­setzungen des hier notwendigen Handelns, ohne die Arbeitslosigkeit und Absatzmangel nicht beseitigt werden können.

 

b) Die Überversorgung des Geldmarktes auf Kosten des Kapitalmarktes.

 

            1. Die Trennung der kurzfristigen und der langfristigen Gelder durch den Zins. — Die Behandlung des Kapitalbildungs­problems hat gezeigt, daß der langfristige Anlagekredit alle die­jenigen Depositen und Spargelder sammeln muß, die nicht dem Güterumschlag dienen, und daß er diese vereinigten Mittel wieder

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1)      Berlin 1930, S. 25.

 

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gehörig verteilen muß, wenn die volle Beschäftigung der gesamten Bevölkerung sichergestellt sein soll.

            Um die erste dieser Aufgaben erfüllen zu können, muß die Kreditorganisation eine Trennung der Depositen und Spargelder in lang- und kurzfristige Mittel ermöglichen. Die Banken müssen ihren Kreditoren ansehen können, ob die Gelder nur für Tage ent­behrlich und daher nur für Umsatzfinanzierungen brauchbar sind, oder ob es sich um Depositen handelt, die voraussichtlich für Jahre und Jahrzehnte unverändert stehen bleiben werden, da der Sparer nur den Zinsgenuß beansprucht. Eine solche Trennung in kurz­fristig gemeinte und langfristig gemeinte, einfacher ausgedrückt in kurzfristige und langfristige Depositen ist in Deutschland zur Zeit fast unmöglich. Während die Unterscheidung zwischen beiden Arten von Depositen für die deutschen Großbanken vor 30 Jahren noch wenig erforderlich war, weil diese Banken fast nur echte Giro-, also Kassenführungsguthaben unter ihren Kreditoren besaßen, ist sie heute dringend erforderlich, da die Großbanken mit dem Heranwachsen ihres Filialnetzes zu Sparinstituten geworden sind, die über bedeutende Beträge langfristiger Depositen verfügen, wenn diese auch in der Rechtsform des täglichen Geldes ver­bucht sind.

 

            Übergibt jemand seine Ersparnisse einer Bank oder Spar­kasse, so glaubt er sich der Verpflichtung enthoben, ebenso sorg­fältig an die Trennung von kurzfristigen und langfristigen Kapi­talien zu denken, wie er es wohl tun würde, wenn er die Mit­verantwortung für die Versorgung der Wirtschaft mit Anlagekredit trüge. Er faßt vielmehr den Zinsgewinn ins Auge, den ihm seine Kapitalanlage bringen kann. Nun hat man von jeher langfristige Kapitalien nutzbringender verwenden können, als kurzfristige, man hat also schon immer für langfristig festgelegte Gelder einen höheren Zinssatz gezahlt, als für tägliches Geld oder Monatsgeld. Ist der Zinssatz für langfristige Anlagen im Vergleich zu dem Satze für tägliches Geld genügend hoch, so treibt das natürliche Interesse die Sparer, nur diejenigen Gelder, die sie wirklich als jederzeitig greifbare Kassenreserven halten müssen, als tägliches Geld anzulegen. Alle übrigen Kapitalien werden sie auf längere Frist festlegen, um den hohen Zins für derartige Gelder zu genießen. Nur bei einer hinreichenden Spanne zwischen dem Zinssatz für tägliches Geld und für langfristige Kapitalanlagen wird also das Selbst­interesse des Sparers, seine Kapitalien fristgerecht anzulegen, wieder hergestellt sein und genügen. Fehlt die Zinsspanne oder ist sie

 

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nicht ausreichend bemessen, so werden die Sparer einen großen Teil ihrer langfristigen Ersparnisse als tägliches Geld anlegen. Schon die Bequemlichkeit würde sie dazu treiben. Täglich fällige Guthaben ersparen ihnen das Nachdenken über die Anlage in Pfandbriefen, Aktien usw., belassen ihnen vollste Freiheit der Dis­position und schließen Kursverluste aus, die bei der Veräußerung von langfristigen Anlagen, z. B. von Wertpapieren, immerhin ein­treten können.

 

            2. Die Bedeutung des Diskontsatzes für den langfristigen Anlagekredit. — Für die Bemessung dieser Zinsspanne zwischen kurz- und langfristigen Anlagen hat nun der Diskontsatz der Zentral­notenbank eine entscheidende Bedeutung. Nach ihm richten sich die Banken bei der Festsetzung der Zinssätze, die sie auf Guthaben vergüten, ebenso die Sparkassen, so daß der Zinsabstand nach der Rendite der Festverzinslichen hin durch ihn reguliert und bestimmt wird. Die Gefahr eines zu niedrigen Diskontsatzes kann nicht leicht praktisch werden, denn bei ihm würden der Notenbank derart viel Wechsel zum Diskont angeboten werden, daß sie nur wenige Tage einen in dieser Richtung falschen Satz zu halten vermöchte. Wohl aber kann eine Notenbank mit Monopolrecht lange Zeit hin­durch einen zu hohen Diskontsatz halten. Klagen über den Verlust der "Herrschaft am Geldmarkt", über großes Angebot an Auslandsgeldern usw. pflegen dann an der Tagesordnung zu sein.

Ein derartiger zu hoher Diskontsatz bewirkt eine ebenfalls zu hohe Festsetzung der Depositenzinssätze durch die Banken und Sparkassen. Die Spanne zwischen dem Zinserträgnis eines Pfandbriefes und eines Depositenkontos sinkt also, unter Umständen auf einen unbedeutenden Betrag. Der Sparer und Depositär hat also keine hinreichende Ver­anlassung mehr, sein Guthaben in Pfandbriefe, Aktien oder andere dauernde Vermögensanlagen zu konvertieren. Die Kreditoren der Banken werden daher steigen und von nun an zum Teil lang­fristige Ersparnisse enthalten; man wird Überfluß haben an kurz­fristigen Geldern.

 

            Eine unrichtige Diskontpolitik macht also die erforderliche Trennung der kurzfristigen und langfristigen Ersparnisse bei den Banken unmöglich. Das Angebot an langfristiger Kapitaldisposition, das, wie wir sahen, schon durch die Folgen von Rationalisierungen leicht unzulänglich wird, muß weiter sinken, wenn erhebliche Beträge echter Spargelder durch eine solche Zinspolitik vom Kapitalmärkte ferngehalten und dem Geldmarkte   zugetrieben

 

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werden. Nun deuten verschiedene Anzeichen darauf hin, daß die deutsche Reichsbank aus Gründen der Börsenpolitik, der Währungs- ­und Reparationspolitik im Verlaufe der letzten Jahre den Diskont­satz künstlich hoch-gehalten hat; wir werden daher zu prüfen haben, ob sich das Eintreten der Folgewirkungen: Überfluß am Geldmarkte, Mangel am Kapitalmarkte, für die letzten Jahre in Deutschland statistisch feststellen läßt.

            3. Die Fehlleitung langfristiger Anleihemittel durch die deutsche Bankorganisation. — Nach der Veröffentlichung des Stat. Reichsamtes "Die deutschen Banken 1924 - 1926" betrugen die Kreditoren der sechs Berliner Großbanken Ende 1912  4,60 Mil­liarden Mark, während sie Ende 1929 auf 11,4 Milliarden RM gestiegen waren. Die darin sich ausdrückende Steigerung von fast 7 Milliarden ist aber nicht voll auf Rechnung der Einlage­steigerung zu setzen, vielmehr zum Teil auf die Angliederung von 43 Aktienbanken und 56 Privatbanken, die im Verlaufe der Zwischen­zeit erfolgt ist 1). Die Statistik des Berliner Tageblattes vom 24. März 1928, die diese Angliederungen einbezieht, soweit es sich um den Ankauf von Aktienbanken handelt, kommt auf eine Kreditorensumme von 5,76 Milliarden Mark für Ende 1912. Be­rücksichtigt man dazu die bis Ende 1929 erfolgten Angliederungen von Aktienbanken, so wird man auf eine Kreditorensumme von rund 6 Milliarden Mark für Ende 1912 kommen. Ende 1929 be­liefen sich diese Kreditoren auf 11 410,33 Mill. RM. Die Netto­steigerung beträgt also allein bei den fünf Berliner Großbanken 2) rund 5,4 Milliarden RM. Allerdings sind dabei nicht die Kredi­toren der mit diesen Großbanken vereinigten Privatfirmen berück­sichtigt. Wir lassen diese außer Acht, da an die Stelle der Privat­banken ein starkes öffentliches Bankwesen getreten ist, von dem allein die erheblich aufgeblühten Staats- und Landesbanken ins­gesamt seit 1913 einen Zuwachs an Kreditoren gehabt haben dürften, der den Ausfall dieser Privatbanken mindestens kom­pensiert.

            Hiernach sind im Jahre 1930 rund 5,4 Milliarden RM mehr für kurzfristige Ausleihungen verfügbar gewesen, als im Jahre 1912. Dieser Betrag erhöht sich durch die stark erweiterte Tätigkeit der Sparkassen im kurzfristigen Kreditgeschäft um weitere Beträge:

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1)      Diese ist leider vom Stat. Reichsamt nicht berücksichtigt worden.

2)      Deutsche und Diskonto, Dresdner,  Darmstädter und Nationalbank, Commerz- und Privatbank, Berliner Handelsgesellschaft.

 

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Ende 1913 waren nur 3 % der Mittel der deutschen Sparkassen kurzfristig angelegt 1), Ende 1929 2) dagegen 30 %. Von den Aktiven aller deutschen Sparkassen, die sich Ende 1913 auf 20 801,8 Mill. M beliefen, waren damals nur 127 Mill. = 3 % m Kasse, Bankgut­haben, Wechseln und Schuldnern als kurzfristigen Anlagen inve­stiert, alles übrige 3), nämlich 94,1 %, in Hypotheken, Wertpapieren und Kommunaldarlehen, also in langfristigen Anlagen 4). Am Ende des Jahres 1929 betrugen die Kredite und Wertpapierbestände aller deutschen Sparkassen (ohne die Girozentralen, ohne Kasse und Bankguthaben) 10 080,8 Mill. RM. Hiervon waren 3007,3 Mill. RM, mithin 30 % oder mehr als das Vierfache des ausmachenden Be­trages von 1913 dem kurzfristigen Geschäft gewidmet und nur 7073,5 Mill. gleich 70 % dem langfristigen Geschäft. Demnach sind heute bei den Sparkassen ungefähr 2,4 Milliarden RM mehr kurzfristige Ausleihungen festzustellen, als im Jahre 1913.

 

            Allerdings hat sich auch das Passivgeschäft der deutschen Spar­kassen seit 1913 verändert. Im Jahre 1913 machten die Sparein­lagen (19 689,7 Mill. M) 94,7 % der Gesamtpassiven (20 801,8 Mill. M) aus, Ende 1929 aber nur noch 83,1 % (9 275 Mill. RM), während 16,9 % (1885 Mill. RM) auf die Giro-, Scheck-, Kontokorrent- und Depositeneinlagen entfielen, die 1913 kaum vorhanden waren (nur 0,3 %) 5). Die Sparkassen haben also in den vergangenen 16 Jahren das kurzfristige Bankgeschäft aufgenommen und damit 1885 Mill. RM zusätzliche Mittel geworben, die früher von dem privaten Bank­wesen verwaltet worden waren. Sie haben sich aber nicht damit begnügt, diesen Betrag voll der kurzfristigen Anlage zuzuführen, sondern sie haben dem neuen kurzfristigen Geschäft noch weitere 1122 Mill. RM aus ihren langfristigen Spareinlagen zugeführt.

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1)      Vgl. Vierteljahrhefte 1927 III, S. 65.

2)      2) Vgl. Wirtschaft und Statistik, 1930,  S. 301 :  Von  den   10 080,8 Mill. RM Gesamteinlagen der deutschen Sparkassenorganisation (ohne Girozentralen), die Ende 1929 dem Kreditgeschäft und der Wertpapieranlage dienten, waren investiert

                        in Hypotheken                          4 143,8

                        in Wertpapieren                        1 460,3

                        in Kommunaldarlehen               1 469,3

                 langfristige Anlage insgesamt ...        7 073,5    = 70 %

                        in Wechseln                                 378,5

                        in Debitoren                              2 628,8

                 kurzfristige Anlage insgesamt...         3 007,3    = 30 %.

3)      Abgesehen von 363,5 Mill. M "sonstigen Aktiva" (1,7 %).

4)      Vgl. zur Sparkassenstatistik 1913 und 1926 Vierteljahrshefte zur Stat. d. d. R., 1927, III, S. 64 ff.

5)      Vgl. Vierteljahrshefte 1927, III, S. 65; Wirtschaft und Statistik 1930, S. 301.

 

 

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Hiernach haben die Berliner Großbanken, die sich ausschließlich auf die kurzfristige Anlage ihrer Mittel beschränken, am 1. Januar 1930 rund 5,4 Milliarden RM mehr kurzfristige Mittel zur Ver­fügung gehabt, als 1913, und die Sparkassen, die sich der kurz­fristigen Anlegung nach dem Kriege neu zugewandt haben, wid­meten diesem Zweige rund 2,4 Milliarden RM. Dazu kommt, daß sich der Notenumlauf der Reichsbank von Ende 1913 bis Ende 1929 um rund 2,5 Milliarden RM gehoben hat 1); auch aus dieser Quelle sind etwa 1,5 Milliarden neu für Umsatzkredite verfügbar geworden 2). Insgesamt waren also schon aus diesen Quellen am 1. Januar 1930  9,3 Milliarden RM mehr an kurzfristigen Umsatzkre­diten verfügbar, als 1913.

            Daß diese Schätzung keineswegs zu hoch ist, wird durch eine Statistik der Wirtschaftskredite aller Bankgruppen in Deutschland bewiesen, die Prion gibt 3). Hiernach betragen die Bilanzpositionen Kontokorrent-Debitoren, Wechsel, Lombards und Warenvorschüsse am 30. Juni 1928:

 

                                    11 Großbanken                        9 703 Mill.       RM

                                    Sonstige Akt. Bkn.                   1 480     "         "

                                    Öff.-r. Kr.-Anst                        3 536     "         "

                                    Sparkassen                               2 324     "         "

                                    Genossenschaften                     2 057     "         "

                                    Girokassen                                  254     "         "

                                                                                  19 393 Mill. RM

Wegen der von Mitte 1928 bis Ende 1929 eingetretenen starken Steigerungen muß man die Summe derselben Posten per 1. Januar 1930 auf mindestens 22 Milliarden RM schätzen. Die entsprechende Ziffer für 1913 kann kaum größer als 8 - 9 Milliarden M gewesen sein, da sich die öffentlichen Anstalten vor dem Kriege kaum im kurzfristigen Geschäft betätigten und die Großbankdepositen nur die Hälfte der heutigen betrugen.

Der Zuwachs würde sich hier­nach sogar auf etwa 13,5 Milliarden RM belaufen.

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1)      Die Kredite der Reichsbank an die Wirtschaft betrugen am 31. Dez. 1913 nur 1584 Mill. M, Ende1927 aber 3 206 Mill. RM.

2)      Darüber hinaus kann man unbedenklich einen Teil der Devisen und Auslands­wechsel der Reichsbank zu den Wirtschaftskrediten rechnen, denn ebenso wie die Reichsbank heute im Unterschiede zu 1913 mit diesen Mitteln die ausländischen Wirtschaftsumsätze finanziert, beteiligen sich die ausländischen Notenbanken an der deutschen Umsatzkreditgewährung, indem sie Devisenguthaben teilweise in RM halten, was sie vor dem Kriege nicht getan haben.

3)      Vgl. Der deutsche Geld- und Kapitalmarkt seit der Stabilisierung, in "Struktur­wandlungen der d. Volkswirtschaft", Berlin 1929, S. 346.

 

 

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            Nehmen wir einen Zuwachs von 9 auf 20 Milliarden, also um 11 Milliarden als das mindeste an, so bleibt uns noch übrig, die übliche Geldwertkorrektur anzubringen, indem wir die Aus­gangsziffer von 9 Milliarden mit 1,4 multiplizieren (= 12,6). Wir erhalten dann, im heutigen Geldwerte gemessen, einen Zuwachs an kurzfristigen Ausleihungen bzw. Krediten in juri­stisch kurzfristiger Form von nicht weniger als 7,4 Milli­arden RM seit 1912.

 

            4. Keine erhöhte Verwendungsmöglichkeit für  Umsatzkredite. — Ein so bedeutendes Mehrangebot an Umsatzkredit wäre nur dann gesund,  wenn die Anlagemöglichkeit im gleichen Maße gestiegen wäre. Das ist aber nicht der Fall. Wenn auch die Lager­haltung im Einzelhandel an vielen Stellen gestiegen sein mag, so ist
sie doch, im Ganzen genommen, infolge der zunehmenden Ratio­nalisierung der Lagerhaltung in der Industrie und im Großhandel sowie durch die Beschleunigung des Güterverkehrs auf der Achse wahrscheinlich gleich geblieben 1).  Wir wissen aber, daß Umsatz­kredite nur zur Güterbewegung verwendet werden können. Ist die Güterbewegung in bezug auf Wert und Umschlagszeit nicht ge­stiegen, so ist für vermehrte Umsatzkreditgewährung in der Volks­wirtschaft kein Raum.

 

            5. Die geringere Liquidität der Sparkassen ein wichtiger Ausgleichsfaktor am Vorkriegsgeldmarkte. — Vor dem Kriege war die Lage eine andere: Damals konnte von einem Überangebote an kurzfristigen Mitteln nicht die Rede sein. Es ist vielleicht der interessanteste Zug des deutschen Bankwesens vor dem Kriege ge­wesen, daß die Sparkassen übermäßig viel langfristige Anlagen hatten und so  ein Gegengewicht gegen die schon damals über­mäßigen kurzfristigen Anlagen 2) der Groß- und Kreditbanken bildeten. Wenn die Sparkassen damals 94,1 % ihrer Gelder langfristig an­legten 3), obwohl diese Gelder zum allergrößten Teil in Tagen oder wenigstens Monaten fällig waren, so handelten sie bankmäßig falsch; sie verstießen gegen das bankmäßige Grundgesetz und waren illi­quide 4). Jedoch erfüllten sie damit unbewußt eine wichtige volks-

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1)      Vgl. die diesbezüglichen Spezialarbeiten von Prof. Julius Hirsch a. a. O.

2)      Übermäßig im Verhältnis zur Zusammensetzung ihrer Depositen, von denen ein Teil echte Spargelder waren.

3)      Allein 63,1% in Hypotheken.

4)      Sie waren dazu vermutlich  berechtigt, weil damals selbst Hypotheken leicht veräußerlich schienen und die Unterstützung der öffentlichen Verbände hinter ihnen stand.

 

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wirtschaftliche Funktion, indem sie etwa ebenso viele Milliarden zuviel langfristig anlegten, wie von den Banken zuviel kurz­fristig angelegt wurden. Indem die Sparkassen sich heute rühmen können, eine privatwirtschaftlich ausreichende oder sogar gute Liqui­dität zu besitzen, kommen sie als Ausgleichsfaktor früher höchster Bedeutung in Fortfall. Sie legen heute nicht nur die Girogelder gänzlich kurzfristig an, sondern auch noch rund 15 % der Spar­gelder, so daß sie heute das übermäßige Angebot an Umsatzkredit nicht nur nicht mehr kompensieren, sondern sogar durch ihre eigenen kurzfristigen Anlagen noch verstärken 1).

 

            6. Die Zunahme echter Spargelder in den Bankdepositen. — Wenn heute über 7 Milliarden mehr Mittel für kurzfristige Aus­leihungen zur Verfügung stehen, so ist das nur dadurch zu erklären, daß sich in den Bankdepositen nicht mehr nur Giro- und Kassen­haltungsguthaben befinden, sondern in zunehmendem Maße auch echte Spargelder. Seit die Großbanken sich ein Netz von Filialen und Depositenkassen angegliedert haben, sind sie in zunehmendem Maße zu Sparinstituten geworden. Besonders deutlich wird diese Entwicklung an den englischen Großbanken, die Ende 1929 über 32 Milliarden RM (£ 1625 Mill.) Depositen verfügten, ein Betrag, der zweifellos zu Bewältigung des Güterumschlages viel zu groß ist, da dieser auch einschließlich des internationalen Verkehrs kleiner ist, als der deutsche. Seitdem die deutschen Großbanken ihren Depositenbestand von etwa 6 Milliarden (1913) auf fast 12 Milli­arden gesteigert haben, sind sie in eine ähnliche Lage gekommen. Während aber die englischen Großbanken die Konsequenzen aus der Entwicklung zu Sparbanken gezogen haben, indem sie allein 4 Milliarden RM (196,55 Mill. £) in Effekten investierten, haben die deutschen Großbanken an der überholten Tradition festgehalten, Effektenanlagen zu vermeiden. Die sechs Berliner Großbanken 2) weisen per 1. Januar 1930 bei einer Bilanzsumme von 13 765 Mill. RM nur folgende Effektenanlagen auf:

            Börsengängige Effekten        169 Mill. RM

            (davon festverzinsliche 24 Mill.)

            Nicht notierte Effekten           23     "      "

                                                Insgesamt  192 Mill. RM

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1)      Prion  steht diesem Gedanken offenbar ganz nahe,  indem er, ohne ihn auszusprechen, erklärt: "Die Wandlungen auf dem Gebiet des Sparkassenwesens sind die wichtigste Erscheinung im deutschen Bank- und Kreditwesen des letzten Jahrzehnts". Vgl. Der deutsche Kapitalmarkt seit der Stabilisierung, in Strukturwandlungen der deut­schen Volkswirtschaft, Berlin 1929, S. 347.

2)      Einschließlich der Reichskreditgesellschaft.

 

 

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Die mit 167 Mill. zu Buche stehenden Konsortialeffekten können dabei nicht gezählt werden, weil sie nicht zwecks eigener Ver­mögensanlage, sondern als Lagersortiment für den Verkauf an die Kundschaft zu gelten haben. Es sind also nur etwa 1 3/4 % der Aktiva der Banken in Effekten angelegt, dabei nur 2 Promille in fest-verzinslichen, während die englischen Großbanken 12 % ihrer Depositen in Effekten investiert hatten.

 

            7. Die ungesunde Verwendung kurzfristiger Kredite zu Anlagezwecken. — Da der Umsatzkreditbedarf der Wirtschaft allein aus den besonderen Quellen dieses Kredits, den Banknoten und den Giroguthaben, gedeckt wird, haben die Banken keine Möglichkeit gehabt, die zusätzlichen kurzfristigen Mittel von über 7 Milliarden in Umsatzkrediten anzulegen. Sie waren gezwungen, diese Gelder in Produktionsmitteln und ähnlichen langlebigen Gütern zu investieren, da es eine dritte Art der Kapitalanlage nicht gibt. Diesem Zwange versuchten sich freilich die Kreditinstitute zu ent­ziehen, da sie sich aus Liquiditätsgründen verpflichtet fühlten, sich auf kurzfristige Anlagen zu beschränken.

 

            Mit kurzfristigen Ausleihungen, die mit oder ohne Willen der Banken von den Schuldnern langfristig verwendet werden, ist aber eine gesunde Finanzierung von Produktivgütern unmöglich. Viel­mehr ist die für die Finanzierung von Produktionsmitteln einzig geeignete Kreditform der langfristige Kredit. Die Kapital­bildung, die in dieser Gestalt auf dem Wege über die Entlohnung von Produktionsmittelarbeitern in dauerhafte Kapitalgüter verwandelt wird, hat die Eigentümlichkeit, nicht durch sofortigen Ver­zehr, sondern durch jahrzehntelangen Gebrauch nützlich zu sein. Ein so gewährter Kredit kann also nie sofort, sondern nur in jahre- und jahrzehntelangen Raten (Annuitäten) getilgt werden, und zwar aus den Überschüssen, die das erstellte Gut abwirft. Ein Schuldner, der kurzfristige Kredite annimmt und damit Produktiv­güter errichtet, macht sich selbst also die jederzeitige Erfüllung seiner Verpflichtung unmöglich, die dahin geht, sofort oder innerhalb weniger Monate zu bezahlen. Keine Bank sollte ihre Hand dazu hergeben, einen solchen Mißbrauch der Rechtsform des Umsatz­kredits zu unterstützen oder zu dulden. Ein solcher Vorwurf muß aber einer Bankorganisation gemacht werden, die etwa 7 Milli­arden RM mehr Mittel kurzfristig ausgeliehen hat, als sie vor dem Kriege für denselben Zweck auszuleihen vermochte, obwohl der Kreditbedarf inzwischen nicht wesentlich gestiegen ist. Der Zu-

 

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wachs kann von den Schuldnern gar nicht anders, als in Produktiv­güter investiert worden sein.

            Verfolgen wir die Verwendung der zusätzlichen 7 Milliarden im einzelnen, so finden wir, daß etwa 2000 Mill. auf die stark gestiegene kurzfristige Verschuldung der Kommunalverbände entfallen, die am 30. September 1929 2337,8 Mill. RM betrug, während sie vor dem Kriege nicht größer als 300 Mill. M gewesen zu sein scheint 1). Es handelt sich hier keineswegs um die Finanzierung von Warenumsätzen, sondern um langfristige Anlagen, um städtische Wasserwerke, Elektrizitätswerke, Schlachthäuser, Schulen, Rathäuser und ähnliche Dauergüter, die in der Hoffnung auf spätere Anleihe­aufnahme gebaut worden sind, bis die plötzlich durch die Anleihe­beratungsstelle eingetretene Kreditsperre die beabsichtigte Um­schuldung unmöglich machte. Diese 2 Milliarden kurzfristige Kredite sind also nichts anders als eingefrorene Zwischenkredite; sie stellten die Finanzierung langfristiger Anlagen mit Hilfe von juristisch kurzfristigen Krediten dar. Die Finanzierung erfolgte mit Hilfe von juristisch kurzfristigen Krediten, obwohl die Mittel, die verwendet wurden, ihrem eigentlichen Charakter nach lang­fristige waren. Die Banken wählten also folgenden umständlichen Weg: Sie erhielten echte Spardepositen, also langfristige Mittel, nahmen diese in der Rechtsform kurzfristiger Mittel herein und liehen sie kurzfristig aus, obwohl der Empfänger sie wieder lang­fristig anlegte. Anstatt also langfristige Mittel einfach und ehrlich langfristig anzulegen, wählten sie einen überaus komplizierten Weg, der ihnen hohe Risiken und dem Schuldner noch höhere Gefahren aufbürdete, ohne für den Depositär vorteilhaft zu sein 2).

 

            8. Die Effektenkredite an die Börse als Sicherheitsventil. — Ein anderer Teil der Überversorgung des Geldmarktes ist der Börse in der Form von Effektenkrediten und Reportgeldern zugeflossen. Bei einer ausreichenden Spanne zwischen dem Zinssatz für täg­liches Geld und der Rendite der festverzinslichen Papiere bzw. der Aktien sehen sich die Einleger der Banken veranlaßt, selbst Effekten für ihr Guthaben zu kaufen. Ist die Spanne aber so gering, daß  den Banken und Sparkassen zuviel Gelder in Form

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1)      Vgl. Die Schulden der Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern  und der Gemeindeverbände. Wirtsch. u. Stat. 1930, S. 292.

2)      Diese  eingefrorenen Zwischenkredite  dürfen  nicht mit den  nützlichen Anti­zipationskrediten verwechselt werden, denn sie stammen aus echten schon bei den Banken eingezahlten Spargeldern, während Antizipationskredite solche Ersparnisse erst hervorrufen sollen. Vgl. S. 84 u. 85.

 

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täglich fälliger Guthaben zufließen, so bleibt keine andere Möglich­keit, als daß die Banken ihrerseits Effekten erwerben, da andere Möglichkeiten, solche Gelder zu beschäftigen, fehlen. Die Depositen­banken lehnen nun in Deutschland eine solche Anlage ab. Um trotzdem wenigstens indirekt Mittel in Effekten anlegen zu können, hat man in der Börsenspekulation einen Vermittler eingeschoben. Der Spekulant hält sich einen Effektenvorrat mit fremdem Gelde; er besitzt Wertpapiere und schuldet dafür Geld. Er übernimmt also gerade das Risiko, das den Banken untragbar erscheint: jeder­zeit verpflichtet zu sein die Schuld zurückzuzahlen, ohne jedoch die Sicherheit zu haben, daß am Tage des Rückrufs der Gelder die Effekten auch verkäuflich sind. Der Spekulant übernimmt das Risiko, langfristige Anlagen mit kurzfristigem Gelde zu finan­zieren, weil er große Gewinnchancen sieht und oft wenig zu ver­lieren hat. Aus Gründen des Ressentiments und der Moral ist er überall verachtet; in Krisenzeiten pflegt er als der Sündenbock hingestellt zu werden. Und doch ist die Effektenspekulation bei unserer heutigen Bankverfassung unentbehrlich, wenn die Ver­wendung der Volksersparnisse für langfristige Anlagen, d. h. die Beschäftigung der Arbeitslosen mit diesen Ersparnissen sichergestellt werden soll. Denn die Spekulation erlaubt den Banken, ihre kurz­fristigen Mittel nicht in Form eigenen Aktienbesitzes, sondern in Form von Krediten fast ohne Risiko 1) den langfristigen Anlagezwecken der Wirtschaft dienstbar zu machen. Jede Million zusätzlicher Börsenkredite ermöglicht der Spekulation den Hinzukauf weiterer Aktien in gleichem Betrage. Die Effektenspekulation zusammen mit dem Report- und Lombardgeschäft ist also ein Apparat zur Anhäufung von Effektenbesitz, eine Maschinerie zur Förderung des Effektenabsatzes. Soviel Börsenkredite gewährt worden sind, soviel Aktien haben sich neu absetzen lassen. Wenn in den Jahren 1926/27 Effektenkredite im Betrage von 4 Milliarden RM gewährt worden sind 2), so hatte die Industrie also für 4000 Mill. RM

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1)      Seit Einführung der Liquidationskassen in Deutschland und der Maklersyndikate in Frankreich sind Verluste so gut wie gar nicht mehr eingetreten.

2)      Die  Effektenkredite betrugen am 30. April 1927 (zwei Wochen vor dem "schwarzen Freitag") nach den Zweimonatsbilanzen:

                        1. Reportgelder:

                                    bei den Berliner Großbanken                  856    Mill. RM

                                    84 Kreditbanken                                  1072        "      "

                                    21 Staats- und Landesbanken                 133        "      "

                                    16 Girozentralen                                       30        "      "

                                                                                                2091 Mill. RM     

                        2. Kredite gegen Unterlage von Effekten:

                                    nach sorgfältiger Schätzung mindestens

                                    ebensoviel …………………..             2000 Mill. RM

                                                                   Insgesamt              4091 Mill. RM

 

 

 

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Emissionen absetzen können, für die sonst kein Käufer dagewesen wäre!). Wie früher nachgewiesen, müssen diese 4 Milliarden letzten Endes als Löhne in der Produktionsmittelindustrie ausgezahlt worden sein. Daß das der Fall gewesen ist, zeigt ein Blick auf die Arbeits­marktstatistik: Im Jahre 1927 sind tatsächlich rund 2 Millionen Erwerbslose neu eingestellt worden. Bei einem Lohnbetrage von RM 2000. - pro Kopf und Jahr erfordert die Entlohnung von 2 Millionen Arbeitern in einem Jahre etwa 4 Milliarden RM, also gerade den Betrag der gesamten Börsenkredite. Wie segensreich diese vier Milliarden für die deutsche Wirtschaft gewesen sind, braucht nicht betont zu werden; sie haben die Durchführung der Rationalisierung, die zeitweise Beseitigung der Erwerbslosigkeit und einen allgemeinen Aufschwung durch die daraus folgende Konsumsteigerung gebracht, von der politischen Beruhigung ganz abgesehen. Die im Mai 1927 erfolgte Stillegung der Börse durch die börsenfeindliche Politik der Reichsbank wurde schon erwähnt, sie hat nicht nur die Börse als das unentbehrliche Umschuldungsorgan zur Übernahme von Antizipationskrediten lahmgelegt, sondern auch den großen Absatzmarkt für Wert­papiere versperrt, den die Effektenkredite der Banken eröffnet hatten.

 

            9. Mangel einer Organisation des langfristigen Industriekredits. — Heute sind die Effektenkredite der Banken bis auf wenige Hundert Millionen zusammengeschrumpft. Den noch ver­bleibenden zusätzlichen 5 Milliarden kurzfristiger Mittel der Banken und Sparkassen steht also nur noch die Beschäftigung als eingefrorene industrielle Debitoren offen. Offenbar haben die deutschen Banken ihre Umsatzvorschüsse an die Industrie und das Gewerbe im Laufe der Jahre stärker ausgedehnt, als die Güterumsätze in der gleichen Zeit gestiegen sind. Sie sind also von der Sphäre des Umsatzkredits mehr und mehr in die Sphäre des Anlage-

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1)      Dagegen spricht nicht, daß aus den Reportgeldem auch die oft recht erheb­lichen Kursgewinne des verkaufenden Teils der Spekulation bezahlt werden mußten. Diese Gewinne wurden nämlich von den Effektenverkäufern zum allergrößten Teil kurz darauf wieder in andere Effektenarten investiert. Die Eigentümer des Vermögens wech­selten also, aber nicht die Kapitalempfänger (die Industrie), auch nicht dem erhaltenen Betrage nach.

 

 

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kredits hinübergeglitten, denn die erhöhten Kreditmittel können von den Unternehmungen nur zu Betriebsverbesserungen und Er­weiterungen benutzt worden sein.

 

            Bei der Großindustrie, die in der Lage ist, mit ihren Emissionen direkt an die Börse heranzutreten, sind diese Kredite weniger ge­fährlich, da diese Schuldnerkategorie börsenfähig ist. Bei der mittleren und Kleinindustrie haben die Banken dagegen nicht die Möglichkeit, den Vorschuß bei gelegener Zeit in eine Wertpapieremission umzuwandeln. Hier geschieht die Überschreitung der Grenze des Umsatzkredits zum Nachteil sowohl der Kreditgeber, als auch der Kreditnehmer. Der Kreditgeber, der in der Lage sein muß, seine Depositen jeden Tag zurückzuzahlen, wird illiquide, da solche Kredite in die Gattung der "eingefrorenen" gehören, wenn sie auch weiter unter Debitoren gebucht werden. Ebenso übel ist die Lage des Kreditnehmers. Nicht nur der Industrielle, der einen solchen Kredit nimmt, sondern auch der Bankier, der ihn gibt, sind sich bei seiner Gewährung stillschweigend darüber im klaren, daß eine plötzliche Rückzahlung durch den Kunden unmöglich ist. Sie vereinbaren aus formellen Gründen eine etwa 3 monatige Rückzahlungsfrist, um dem Liquiditätsbestreben des Bankiers Rechnung zu tragen; dabei wird vorausgesetzt, daß die Bank von ihrem Rückforderungsrecht keinen Gebrauch macht 1). Mit einem solchen zweideutigen Kreditvertrage ist aber weder den Bankeinlegern, noch der Industrie gedient. Die in den Bankbilanzen ausgewiesene Liquidität besteht in Wahrheit gar nicht, da sie nur juristisch statuiert ist, wirtschaftlich aber nicht vorhanden sein kann. Andererseits ist dem Industriellen mit einer stillschweigenden Zusage, man wolle von dem Rückforderungsrecht keinen Gebrauch machen, nicht geholfen; im Falle der Not oder der Schikane wird die Bank doch kündigen und damit die Schlinge zuziehen, die sie — ohne es zu wollen — um den Hals des Industriellen gelegt hatte.

 

            Heute wie vor dem Kriege hört man also auf Seiten der Industrie nicht die Klage über ein "zu wenig" an Kredit, sondern über die falsche Art und Weise der Kreditgewährung. Alle Kreditmittel, die den Bedarf an Umschlagskredit übertreten, sollten offen und klar in langfristiger Form gewährt werden; dann werden sich die Banken nicht über die Unfähigkeit ihrer Schuldner zu beklagen brauchen, auf Erfordern den Debetsaldo abzutragen, und

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1)      Vgl. Felix Hechts Vortrag vor  dem Mitteleuropäischen Wirtschaftsverein im Jahre 1908, a. a. O.

 

 

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die Industriellen werden ihre Selbständigkeit nicht mehr durch die Übermacht der Banken bedroht finden.

 

            Eine Kreditorganisation, die nicht den Banken erlaubt, für ihre Spargelder eine adäquate Anlage zu suchen, und die es der Industrie unmöglich macht, den an sich vorhandenen langfristigen Kredit auch in langfristiger Form aufzunehmen, ist als fehlerhaft zu bezeichnen.

            Der Umsatzkredit fand in den Notenbanken und den Großbanken schon früh eine vorzügliche Organisation.

            Auch der Bodenkredit und der langfristige Agrarkredit sind in den Hypothekenbanken und den öffentlich-rechtlichen Pfandbriefinsti­tuten bestens organisiert.

            Zuletzt hat das Problem des langfristigen Kommunalkredits eine adäquate Lösung gefunden, indem die Deutsche Girozentrale — Deutsche Kommunalbank durch Sammelanleihen die Kreditbedürfnisse der vielen kleinen, nicht marktfähigen Kom­munen zusammenfaßte und durch ein großes, einheitliches und sicheres Börsenpapier (die deutschen Kommunal-Sammelanleihen) befriedigte.

 

            Der letzte Zweig des deutschen Kredits, der noch nicht seine zweckmäßige Organisation gefunden hat, ist der lang­fristige Industriekredit. Er wird noch immer in der Form des Handelskredits gewährt, die ihm in keiner Weise gerecht wird 1). Die Kapitalbildung, d. h. die Überführung von Arbeitern in neue Produktionsmittel-Industrien, wird dadurch aufs äußerste erschwert.

            Daß die letzten rund 5 Milliarden RM überschüssiger Spar­gelder in solchen juristisch kurzfristigen, der Sache nach aber lang­fristigen Krediten an die Industrie ihre Anlage gefunden haben, läßt sich statistisch schwer beweisen, weil diese Art von Krediten in den Debitoren der Bankbilanzen stecken, ohne daß die Möglich­keit besteht, sie auszusondern. Man kann nur aus der Liquiditäts­verschlechterung der Großbanken unmittelbar nach den börsen­feindlichen Maßnahmen des Jahres 1927 auf eine derartige Tendenz schließen         2) sowie daraus, daß die Bankdebitoren heute mehr als doppelt so hoch sind, wie vor dem Kriege, was durch zusätzliche Warenumsätze nicht erklärt werden kann.

 

            10. Zusammenfassung und Abgrenzung gegen die Anti­zipationskredite. — Wir hatten festgestellt, daß die Gesamtmenge der effektiven, bei den Banken also schon eingezahlten Ersparnisse nur dann ausreicht, alle Arbeitskräfte zu beschäftigen, wenn keine neuen Rationalisierungen,  genauer  gesagt keine neuen Kosten-er-

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1)      Vgl. S. 66, Fußnote 1.

2)      Vgl. die Großbankabschlüsse für 1927.

 

 

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sparnisse vorgenommen würden. Auch in diesem günstigen Falle würden sich schwere Störungen am Arbeitsmarkte zeigen, wenn ein Teil dieser vorhandenen Ersparnisse gar nicht oder nur auf Um­wegen seiner eigentlichen langfristigen Bestimmung zugeführt würde. Wir haben gesehen, daß diese Situation in Deutschland gegenwärtig Wirklichkeit ist; daher haben wir in dem vorliegenden Abschnitt verlangt, daß alle wirklichen Ersparnisse auch tatsächlich der Arbeitsbeschaffung, d. h. der langfristigen Investierung, zugeführt werden.

 

            Mit dieser einfachen Diagnose ist aber der Tatbestand, den uns die Wirtschaft der Gegenwart bietet, nicht erschöpft; nicht nur die mangelhafte Verteilung der vorhandenen Kapitalbildung ist Ursache der Arbeitslosigkeit, sondern auch die mangelnde Vollendung des Sparprozesses bei der über jene Art der Kapitalbildung hinaus­gehenden latenten Kapitalbildung. Die Kapitalbildung wird also, soweit sie effektiv ist, schlecht verteilt, und so­weit sie nur latent ist, nicht in effektive Kapitalbildung verwandelt.

 

            Dagegen könnte man einwenden, daß die Ausleihung ursprüng­lich langfristiger Depositen in Form kurzfristiger Zwischenkredite ja nichts anderes darstellt, als die Gewährung von Antizipations­krediten. Allerdings wird auch hier von den Banken die Technik des antizipierten Emissionskredits angewandt. Man erkennt aber, daß dieser antizipierte Emissionskredit etwas ganz anderes sein kann, als die hier geforderte Antizipation von Ersparnissen.

Ersterer ist eine Vorwegnahme des Erlöses zukünftiger Emissionen, letztere eine Vorwegnahme zukünftiger Ersparnisse, die schon heute latent vor­handen sind.

Die Kredittechnik des antizipierten Emissionskredits kann für beide Fälle verwandt werden; im einen Falle erleichtert sie die Verteilung schon vorhandener effektiver Ersparnisse, ohne irgendeine effektivierende Wirkung auf die latenten Ersparnisse auszuüben, im anderen Falle verwandelt sie latente Ersparnisse in effektive, und zwar kann sie das nur dann, wenn die vorhandenen Ersparnisse schon erschöpft sind.

Die betriebswirtschaftliche Technik des antizipierten Emissionskredits kann also die vorhandene effektive Kapitalbildung nun dann erweitern, nämlich um die latente Kapital­bildung, wenn sie über das Maß der effektiven Kapitalbildung hinaus angewandt wird; nur dann wird sie zu der hier behandelten Anti­zipation von Ersparnissen.

 

 

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c) Die Blockierung des industriellen Kapitalmarkts durch die

Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften.

 

            1. Wesen und Bedeutung der Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften. — Wenn die vorhandene Kreditorganisation schon der Aufgabe nicht gewachsen ist, die vorhandenen echten Ersparnisse auf geradem Wege der Produktionsmittelindustrie zu zuführen und die darüber hinaus latent vorhandenen Ersparnisse zu effektivieren, so wird die Lage noch verschlimmert durch die Tatsache, daß die heute gültigen Mündelsicherheits- und Anlegungsvor­schriften noch aus einer Zeit stammen, in der Deutschland noch ein Agrarstaat war, in der also die Zulassung des Anlagekreditbedürf­nisses der Landwirtschaft und des städtischen Wohnungswesens ausreichte. Inzwischen hat sich Deutschland zum größten Industriestaat Europas entwickelt, dessen Bevölkerung zu 2/3  von der Industrie lebt und nur durch sie erhalten werden kann. Die Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften für gebundene Kapi­talien  sind aber, wie sich nachweisen läßt, aus Gründen der Gerichtsverfassung seit der Zeit der Römer noch im wesentlichen un­verändert geblieben. Sie haben aber, unbemerkt von der volks­wirtschaftlichen Wissenschaft und den am Industriekredit und an der Arbeitsbeschaffung interessierten Volkskreisen, ihr Anwendungs­gebiet besonders im Laufe der letzten 30 Jahre gewaltig erweitern können.

Mehr als die Hälfte der sichtbaren deutschen Kapitalbildung wird heute direkt durch die Mündelsicherheits­vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches beherrscht oder fließt in große Kapitalsammelbecken, wie die Sparkassen, die Lebensversicherungsinstitute, die Sozialversicherungsanstalten, die Hypo­thekenbanken  usw., die alle mit nur geringen Ausnahmen den Mündelsicherungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches oder der einzelnen Landesrechte unterliegen 1).

 

            2. Die Verkümmerung des industriellen Anlagekredits als Folge der Vorschriften.    So  wird  dieser entscheidende Teil der jährlichen Kapitalbildung durch gesetzlichen Zwang einseitig für bestimmte Kreditbedürfnisse reserviert, während  die  übrigen

_______________________________

1)      Vgl. Dr. H. Rittershausen, Zwangswirtschaft auf dem Kapitalmarkt? Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen und die Zukunft des industriellen An­lagekredits, in der Bankwissenschaft, Heft 20 vom 20. Januar 1930, S. 801—811.  (jz18)

 

 

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gesetzlich nicht privilegierten Kapitalanlagen mehr oder weniger leer ausgehen. Nicht nur die Großindustrie, sondern auch die mittlere und Kleinindustrie, die schon durch den Mangel einer Organisation des langfristigen Industriekredits stark benachteiligt ist, hat keinen Zugang zu diesem bedeutsamen Ausschnitt des Kapitalmarkts. Wenn also durch Rationalisierungen Umschichtungen am Arbeitsmarkte erforderlich werden, wenn Arbeitskräfte in neue Industrien übergehen müssen, dann steht die Wirtschaft vor der unübersteigbaren Schranke der Anlegungsvorschriften. Rein finanz­technisch hat das zur Folge gehabt, daß der industrielle Anlage­kredit, insbesondere der mittleren Industrie, im Laufe der Zeit verkümmert ist, da er den Fortschritt, die Verfeinerung und die Sicherungsmaßnahmen, die die andern Kreditzweige in der Zwischen­zeit haben entwickeln können, nicht hat mitmachen können; er war von seinen Quellen abgeschnitten und konnte sich zum mindesten in Deutschland nicht so entwickeln, wie er das hätte tun können und in anderen Ländern getan hat.

 

            3. Anlegungsvorschriften und Arbeitsgelegenheit. — Nur die Finanzierung von agrarischen Produktionsmitteln, von Wohn­gebäuden und von staatlichen Ausgaben ist heute erlaubt; die Finanzierung gewerblicher und industrieller Produktionsmittel, offen­bar eine der Hauptvoraussetzungen der Beschäftigung der Industriearbeiterschaft Deutschlands, fällt außerhalb der Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften. Da heute — im Gegensatz zu der Zeit, in der die Mündelsicherheitsvorschriften entstanden sind — 2/3 der Bevölkerung von der Industrie leben, hätte die Versorgung dieses Bevölkerungsteiles mit ausreichenden Produktionsmitteln voll und ganz die Aufgabe wohl durchdachter Mündelsicherheitsvorschriften zu sein; denn welche bessere Verwendung läßt sich für Mündel- und Institutsgelder denken, als eine solche, die gerade der Schicht Arbeitsgelegenheit verschafft, aus der sie stammen? 1). Das ist in der Geschichte immer Auf­gabe und Erfolg guter Mündelsicherheitsvorschriften gewesen, wie die römische und mittelalterliche Regelung beweist, die in einer Zeit ländlich-bäuerlicher und städtisch-handwerklicher Wirtschaft die Anlegung der Gelder in ländlichen und städtischen Hypotheken

__________________________________

1)      Vgl. Dr. H. Rittershausen, Die Reform der Mündelsicherheitsbestim­mungen und der industrielle Anlagekredit, zugleich ein Beitrag zum Erwerbslosenproblem. Jena 1929. Hier ist im einzelnen das Beweismaterial für die obigen Behauptungen zu finden; der Verf. kann sich daher hier kurz fassen.

 

 

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verlangte, so daß mit diesen Kapitalien für Arbeitsgelegenheit der großen Masse der Bevölkerung gesorgt werden konnte.

 

            4. Ergebnis. — Es bleibt also für die Erstellung der nötigen industriellen Produktionsmittel heute nur noch die innerbetriebliche Kapitalbildung und der geringe Teil der freien Kapitalbildung, der nicht den großen Kapitalsammelbecken anheimgefallen ist. Wir haben schon festgestellt, daß die innerbetriebliche Kapitalbildung solange latent und unfruchtbar bleiben muß, als sie nicht durch Antizipationskredite effektiviert wird, und daß von der geringen freien Kapitalbildung noch die den Kreditinstituten zufließenden Mittel teilweise verloren gehen bzw. kostspielige Umwege über den kurzfristigen Kredit und die Börsenkredite einschlagen. So ist es nicht verwunderlich, daß die Industrie nur den zehnten Teil der Kapitalien erhält, die den Mündelwerten zufließen. In den Jahren 1888 - 1913 sind 46,37 Milliarden M Mündelwerte emittiert worden gegen 4,61 Milliarden Privatobligationen, und vom November 1923 bis zum 30. April 1928  9,6 Milliarden RM Mündelwerte gegen 750 Mill. RM Industrieobligationen 1). Hiermit ist offenbar der Rolle, die Industrie und Gewerbe in Deutschland für die Be­schäftigung der Bevölkerung spielen, nicht genüge geschehen.

 

            Wir können daher nochmals folgendes Ergebnis zusammen­fassen:

Die Kapitalbildung der gesamten Wirtschaft ist laufend bereits um die latente Kapitalbildung in Höhe des vollen Lohn­ausfalles der Arbeitslosen geschmälert. Diese verminderte, zur Be­schäftigung der außer Arbeit Befindlichen also "nicht mehr aus­reichende" Kapitalbildung wird von der gegenwärtigen Bank­organisation nur teilweise und dann noch in bedenklich kurz­fristiger Form an die Stellen des Kapitalbedarfs weitergeleitet. Dabei bilden die Anlegungsvorschriften eine weitere Barriere, die einen der wichtigsten Kapitalverbraucher, die Industrie und das Gewerbe, zum großen Teile ausschließt. Die Versorgung der Industrie, unseres größten Arbeitgebers, mit lang­fristigem Kredit, ist also denkbar unzweckmäßig ge­ordnet.

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1)      Vgl. Rittershausen, Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen, a. a. O. S. 40. (jz19)

 

 

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d) Die Verhinderung der Wiederhereinnahme der Kapitalflucht

in Form von Anleihen des Auslandes an uns.

 

            1. Umfang der Kapitalflucht und der Auslandsanleihen. — Dieser Gesamteindruck von der gegenwärtigen Organisation des langfristigen Anlagekredits in Deutschland wird verstärkt durch die Fehler, die man augenscheinlich bei der Behandlung der Kapital­flucht gemacht hat. Der Reichsfinanzminister Moldenhauer hat auf eine Anfrage des Abg. Keil (Soz.) im Haushaltsausschuß des Reichstags erklärt, verschiedene Banken schätzten den Umfang der Kapitalflucht auf 6 - 8 Milliarden RM. Daß diese Ziffern nicht übertrieben sind, beweisen die Verhältnisse in der Schweiz. Von den Fr. 6318 Mill. fremden Mitteln, die den 8 schweizerischen Groß­banken Ende 1929 zur Verfügung standen, sollen nach neuesten Schätzungen 1) rund Fr. 2000 Mill. ausländischen Ursprungs sein. Dazu kommen die umfangreichen Verkäufe schweizerischer Effekten an Deutsche und die Bankeinlagen und Effekten, die von Privatper­sonen Schweizer Nationalität für Rechnung von Deutschen ge­halten werden.

            Wenn die Kapitalflucht also tatsächlich 6 - 8 Milliarden RM beträgt, so ist es interessant, zu sehen, daß sie fast genau mit dem Gesamtbetrag der Auslandsanleihen übereinstimmt, die Deutschland seit 1924 hereingenommen hat:

                      Auslandsanleihen:

            1924                1002 Mill. RM 2)

            1925                1320  "         "   3)

            1926                1770  "         "

            1927                1659  "         "
            1928                1537  "         "

            1929 4)              373  "         "  

               Insgesamt      7 661 Mill. RM

 

            Die gesamte Auslandsverschuldung Deutschlands ist allerdings höher, da die kurzfristigen Schulden hinzukommen. Diese schätzt man ebenfalls auf etwa 6 - 8 Milliarden RM 6).

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1)      Vgl. Frankf. Zeitung vom 20. Mai 1930.

2)      Nach dem Stat. Jahrbuch 1927, S. 389; einschl. Dawes-Anleihe (960 Mill. RM).

3)      Die Jahre 1925 - 1930 nach "Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung", herausgegeben von der Reichskreditgesellschaft, 1930, I.

4)      Für das erste Halbjahr 1930,  das aber auch oben bei der Kapitalflucht nicht mitgerechnet ist, kommen einschl. der Young- und Zündholzanleihe 1117 Mill. RM hinzu.

5)      Nach den Feststellungen des Stat. Reichsamtes befanden sich unter den Kre­ditoren der 6 Berliner Großbanken im Jahre 1928  43 % Auslandsgelder. Solmssen schätzte den Satz für 1930 in seinem Züricher Vortrage auf 50 %.

 

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            Die deutsche Kapitalflucht ist demnach gerade so groß, wie die gesamte kurzfristige, oder wie die gesamte langfristige Auslandsverschuldung Deutschlands!

 

            2. Identität von Auslandsverschuldung und Kapitalflucht. — Beide Summen stimmen jedoch nicht nur dem Betrage nach, sondern auch materiell miteinander überein. Die enormen Kapitalien, die uns in Form von Anleihen "aus dem Auslande" zugeflossen sind, sind in Wirklichkeit deutsche Kapitalien, die aus Gründen des Ausgleichs der internationalen Zahlungsbilanzen vom Auslande nur wieder in Deutschland investiert werden können. Kein Land kann mehr Kapital im Ausland anlegen, als den Exportüberschuß seiner Handelsbilanz 1), bedeuten doch Auslandsanleihen, um einen Ausdruck Cassels zu gebrauchen, nichts anderes als die Finan­zierung des Exportüberschusses des darlehngebenden Landes an das darlehnnehmende Land 2). Werden von den Bürgern eines Landes aus außerwirtschaftlichen Gründen, wie im Falle der Kapitalflucht, trotzdem mehr Kapitalien im Auslande angelegt, so sorgt die Zahlungsbilanz und das internationale Zinsgefälle dafür, daß diese selben Beträge in Form von Auslandskrediten an uns zurückfließen.

 

            3. Der Kampf gegen die Auslandskredite und seine Folgen. — Durch diese Erkenntnis erhält der Kampf, den insbesondere der Reichsbankpräsident Schacht gegen die Hereinnahme von Anleihen und kurzfristigen Geldern aus dem Auslande geführt hat, eine besondere Bedeutung. Als Schuldner von Auslandsanleihen kommen praktisch nur die 66 ganz großen, auch in den Ver. Staaten börsenfähigen Industrieunternehmungen Deutschlands 3) und die Länder und Städte in Frage. Die Großindustrie hatte bereits ihren Kreditbedarf fast vollständig gedeckt. Als Schacht daher im Jahre 1927 die bekannten Richtlinien der "Anleiheberatungsstelle'', die zum Zwecke der Erschwerung der Aufnahme von Auslandsanleihen gegründet war, durchsetzte, war damit praktisch ein Verbot der  Aufnahme von Auslandsanleihen zustande gekommen. Denn wenn sich die Richtlinien auch nur mit den An­leihen der Länder und Kommunen beschäftigten, so genügte das, weil die 66 Unternehmungen der Großindustrie bereits  gesättigt

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1)      Im weiteren Sinne.

2)      Cassel, Geldproblem der Welt, S. 84.

3)      Nach der Betriebszählung von 1925 gab es nur 66 Unternehmungen mit über 5000 Arbeitern.

 

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waren, und andere Personen als Träger von Auslandsanleihen nicht in Frage kamen. Dieses verbotähnliche Vorgehen gegen die Auslandsanleihen wurde verschärft durch die Verweigerung der bis dahin üblichen Befreiung der Auslandsanleihen von der Kapital­ertragsteuer. Ohne eine solche Befreiung waren deutsche Anleihen im Auslande nicht unterzubringen.

 

            Der Kampf gegen die Auslandskredite, der nach den im Juli 1930 veröffentlichten "Richtlinien für das Schuldenwesen der Gemeinden" 1) in Zukunft in verschärfter Form fortgesetzt werden soll, ist also nichts anderes, als ein Kampf gegen deutsches Kapital: man weigert sich, denjenigen Teil der innerdeutschen Kapitalbildung, der seinen Weg ins Ausland gefunden hat, in Form von Auslandskrediten wieder ins Inland hereinzulassen. Kapital­bildung durch Ersparnisse ohne sofortige Wiederanlage des Er­sparten bedeutet aber Arbeitslosigkeit. Der durch die Kapital­flucht verursachte Teil der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit kann nur behoben werden, wenn alles getan wird, den geflüchteten Kapitalien den Heimweg zu erleichtern, damit sie dort Arbeitsgelegenheit bieten, wo sie durch ihr Entstehen Arbeitslosig­keit geschaffen haben.

 

            Die Frage wäre von geringer Bedeutung, wenn es sich um kleine Beträge handelte. 8 Milliarden RM sind aber ein Betrag, der ausreicht, um 4 Jahre lang eine Million Arbeitskräfte bei einem Jahreseinkommen von 2000 RM zu beschäftigen. Beträge von solchen Dimensionen sind heute unentbehrlich; Deutschland ist nicht reich genug, um auf 8 Milliarden verzichten zu können.

 

            Es kann nicht eingewandt werden, daß diese Beträge ja in­folge der Automatik der Zahlungsbilanz doch stets wieder nach Deutschland zurückgeflossen sind. Denn wegen der Verhinderung der Auslandsanleihen sind sie nur in kurzfristiger, also praktisch fast unverwendbarer Form vorhanden gewesen. Zweifellos ist hier eine der Wurzeln der Überversorgung des Geldmarktes auf Kosten des Kapitalmarktes zu finden. Wenn die Banken dadurch gezwungen sind, Milliardenbeträge an formell kurzfristigen Mitteln kurzfristig und doch für Anlagezwecke auszuleihen, dann wird ihre Liquidität so sehr angespannt, daß sie zur Betätigung im eigentlichen anti­zipierten Emissionskredit zum Zwecke der Effektivierung der Kapi­talbildung gar nicht mehr kommen können. Daß diese Lage heute eingetreten ist,  ist nur durch die Anleihepolitik zu erklären, die

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1)      Entwurf des Reichsfinanzministeriums.

 

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diesen deutschen Kapitalien, so dringend sie auch gebraucht wurden, das Recht auf Anlage in Deutschland verweigerte.

 

            Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß auch die deutsche Bankorganisation nicht von dem Vorwurf freizusprechen ist, nicht alles getan zu haben, um eine direkte Kapitalanlage in Deutschland sicher und vorteilhaft erscheinen zu lassen. Von diesem Standpunkte aus ist die deutsche Kapitalflucht nichts anderes als der Beweis, daß ein Teil der deutschen Kapitalanleger die Einrichtungen der ausländischen Konkurrenzbanken denen der deutschen Institute vorzieht. Es kann nicht bezweifelt werden, daß die deutsche Öffentlichkeit wie auch der deutsche Reichstag gern bereit gewesen wären, jedem Plane zur währungstechnischen Sicherung von Kapitalanlagen ihre Unterstützung zu leihen 1). Solche Vorschläge sind aber nicht gemacht worden; und eine Be­seitigung der steuerlichen Gründe zur Kapitalflucht, die oft ver­langt worden ist, dürfte nicht ausreichen.

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1)      Hier ist z. B. an eine Verbesserung der Goldklausel in den Anleiheverträgen usw. zu denken.

 

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Viertes Kapitel.

 

Bisher gemachte unzulängliche Vorschläge zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit.

 

            Vorbemerkung. — Es wird für den Leser nicht schwer sein, auf Grund der bisherigen Darlegungen zu den von anderer Seite gemachten Vorschlägen selbst kritisch Stellung zu nehmen und im einzelnen zu ermitteln, wie die verschiedenen Gegenwarts­probleme zu beurteilen sind. Die nun folgende Darstellung kann daher äußerst kurz gehalten werden; sie soll nur Andeutungen bringen, da naturgemäß eine erschöpfende Behandlung auch nur einer der hier erörterten Fragen der Praxis eine bänderreiche Darstellung verlangen würde. Diejenigen Probleme sind in den Vordergrund gestellt, die von prinzipieller Bedeutung für die Re­form unseres Bank- und Kreditsystems sind; Einzelheiten von er­heblicher aktueller, aber geringer prinzipieller Bedeutung sind weggelassen worden.

 

            Alle hier folgenden Einzelvorschläge erhalten ihren eigent­lichen Sinn erst durch den Inhalt der vorhergegangenen Kapitel 1 - 3, denn eine erhebliche Anzahl von Fachausdrücken wird in einer Bedeutung gebraucht, die von den bisher üblichen Definitionen abweicht, und alle entscheidenden Argumente erscheinen allein in den grundsätzlichen Kapiteln. Der Leser, der nur die Vorschläge liest, muß also zu einer unrichtigen Meinung kommen; er wird etwas ganz anderes verstehen, als gemeint war.

 

            Um den zahlreichen Einwendungen zu begegnen, die erhoben werden könnten, werden zuerst diejenigen Vorschläge zur Be­kämpfung der Arbeitslosigkeit behandelt, die als verfehlt anzu­sehen sind, wenn man sie an den Ergebnissen der bisherigen Darstellung mißt.

 

            a) Lohn und Preissenkung. — Es braucht hier nicht mehr besonders bewiesen zu werden, daß sich zusätzliche Arbeits­gelegenheiten im volkswirtschaftlichen Sinne nicht durch Lohn- und Preisabbau schaffen lassen 1). Selbst wenn die Lage einiger In-

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1)      Vgl. die bevorstehende besondere Veröffentlichung des Verf., a. a. O.

 

 

 

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dustrien, z. B. der Produktionsmittelgruppe, dadurch soweit verbessert würde, daß neue Arbeitskräfte eingestellt werden können, würde sich die Arbeitslosigkeit in den anderen Industrien doch entsprechend erhöhen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß eine obrigkeitliche oder sonst zwangsweise Veränderung der Preise im allgemeinen unmöglich ist, wie die Erfahrungen der Zwangswirtschaft im Kriege bewiesen haben. Nur solche Preise, die bisher künstlich hoch­gehalten worden sind, lassen sich ermäßigen; die Wirkung einer solchen Preisermäßigung, die niemals großen Umfang haben kann, kann nur eine andere Verteilung des Volkseinkommens, nicht aber die Schaffung zusätzlicher Arbeitsgelegenheit sein.

 

            b) Arbeitsverschiebung. — Vor dem Kriege galt die Arbeits­verschiebung, d. h. die Verlegung der öffentlichen Aufträge auf Zeiten der Krisen und der Arbeitslosigkeit, als das vornehmlichste Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit 1). Wie schon der Name sagt, kann damit grundsätzlich keine neue Arbeitsgelegenheit geschaffen, vielmehr nur die vorhandene zeitlich besser verteilt werden. Eine solche Arbeitsverschiebung ist von nicht geringer Bedeutung, soweit der saisonmäßige Ausgleich in Rede steht. Die winterliche Arbeitslosigkeit kann erheblich gemildert werden, wenn die Städte z. B. ihre Straßenbauaufträge soweit tunlich im Winter ausführen lassen. Als Mittel gegen die konjunkturelle oder Dauerarbeits­losigkeit ist dagegen die Arbeitsverschiebung nicht brauchbar. Sie scheitert regelmäßig daran, daß im Augenblick der Not auch die öffentlichen Kassen leer zu sein pflegen. Ohne Kapital können aber auch nach Ansicht der Anhänger der Ar­beitsverschiebung keine öffentlichen Arbeiten begonnen werden. Dieser Hinderungsgrund wirkt jeder zweckmäßigen konjunktu­rellen Arbeitsverteilung so sehr entgegen, daß nichts von dem Prinzip übrig bleibt. Nur in Zeiten der Hochkonjunktur fließen die Steuern so reichlich, daß die öffentlichen Körperschaften zu größeren Investitionen geneigt sind. Man überschätzt dann regelmäßig den Steuereingang der nächsten Jahre, der erfahrungsgemäß wieder schlechter wird, sodaß man gerade im Augen­blick der höchsten Arbeitslosigkeit sich leicht in einer Geldklemme befindet. Die Tatsachen erzwingen dann sogar noch einen Abbau der öffentlichen Ausgaben, also eine Verminderung der Arbeits­gelegenheit aus öffentlichen Aufträgen, wo doch gerade in solchen Zeiten dem Prinzip zufolge die öffentlichen Mittel freigebiger ver-

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1)      Vgl. Beveridge, Unemployment a Problem of Industry, London 1912.

 

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ausgabt werden sollten. Diese Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand im unrechten Augenblick erleben wir gerade heute wieder.

            Dagegen hilft auch nicht die Ansammlung von Kapitalfonds als Reserve für schlechte Zeiten, denn alle derartigen Reserven müssen bis zum Zeitpunkt ihrer Inanspruchnahme irgendwie in­vestiert werden. Ihre tatsächliche Verwendung bedeutet dann aber nichts anderes, als die Zurückziehung aus der bisherigen Anlage und die Investierung in eine neue. Man müßte also neue Löcher aufreißen, um alte zuzustopfen. Solange diese Gegebenheiten sich nicht ändern, werden die Ergebnisse auch der Arbeitsverschiebung durch Reservenansammlung enttäuschend sein.

 

            c) Verstaatlichung der Wirtschaft. — Einen viel radikaleren Standpunkt nehmen Diejenigen ein, die in der Arbeitslosigkeit ein Wesensmerkmal der "kapitalistischen" Wirtschaftsordnung sehen, das man nur beseitigen kann, indem man die "kapitalistische" durch die "sozialistische" Ordnung ersetzt. Eine solche sozialistische Ord­nung der Wirtschaft kann in zweierlei Form gedacht werden: in Gestalt der Verstaatlichung der Produktionsmittel zwecks machomäßiger Beherrschung und Bewirtschaftung des Produktionsappa­rates 1) und in Gestalt einer mehr oder weniger bankmäßigen Organi­sation des privaten Austauschs, um jedem das Produzieren und den Konsum des Produzierten zu ermöglichen, der sich am Austausch beteiligen möchte 2).

Die Theorie und die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte beweisen, daß auch eine weitgehende Verstaatlichung der Wirtschaft und eine vollkommene Zusammenballung aller Macht in wenigen Händen nicht in der Lage sind, die fehlende Arbeits­gelegenheit zu beschaffen, wenn diese Macht nicht ausgeht von den verborgenen Gesetzen des Austausches und der Kapitalbildung und nur zu deren Verwirklichung benutzt wird. Diese verborgenen Ge­setze des Austauschs und der Kapitalbildung sind aber von denen, die zur Verstaatlichung raten, bisher nicht ausreichend oder gar nicht dargestellt worden; vielmehr ist das Hauptgewicht auf den Wechsel in der Person des Eigentümers (Verstaatlichung) und auf die machtpolitischen Fragen, nicht aber auf die der Organisation des Geldes, des Kredits und der Banken, gelegt worden. Schon Proudhon hat gezeigt, daß die gerade für die Arbeitsklasse so gefährliche Verstaatlichung mit ihrem polizeimäßigen Zwangsregime gar nicht erforderlich ist, um diesen wirtschaftlichen Gesetzen, wenn

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1)      Vgl. das System von Marx.

2)      Vgl. das System von Proudhon.

 

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man sie nur einmal erkannt hat, Geltung zu verschaffen. Eine frei­willige bankmäßige Organisation ist durchaus genügend, wenn sie nur durch eine unzweckmäßige Organisation der Kollektivbedürf­nisse (Staat) nicht gestört wird.

 

            Überhaupt ist die Vorstellung, daß Sozialismus und Verstaat­lichung der Wirtschaft identisch sind, nur in Mitteleuropa verbreitet, wo sie als eine Erbschaft des Polizeistaates aufzufassen ist. In Frankreich und vielen anderen Ländern 1) sieht man heute mehr als je in der Verstaatlichung den Feind des Sozialismus, der sozialen Frage, der Versuche, planmäßig Arbeitsgelegenheit zu beschaffen.

 

            Solange nicht dargetan ist, mit welchen Kapitalien und auf welche Weise in einer verstaatlichten Wirtschaft, wie etwa in Rußland, die fehlende Arbeitsgelegenheit beschafft werden soll, und wie das mangelnde Kapital beschafft werden soll, ohne das auch in Ruß­land keine Arbeiter beschäftigt werden können 2), ist die Sozialisierung im Sinne der Verstaatlichung nicht als eine brauchbare Methode zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit anzusehen. Wohl aber könnte die andere Form des ursprünglichen Sozialismus, die in einer immer feineren Ausbildung der betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Methoden zwecks Förderung von Austausch und Kapitalbildung die Lösung der sozialen Frage sieht, sich als eine geeignete Therapie der Arbeitslosigkeit erweisen.

 

            d) Arbeitsdienstpflicht. — Ein anderer Ausläufer des macht­politischen Denkens ist der Vorschlag, gleichsam zum Ersatz des alten stehenden Volksheeres eine Arbeitsdienstpflicht einzuführen, die nicht nur moralische Wirkungen haben, sondern insbesondere auch eine Lösung der Erwerbslosenfrage darstellen soll. Der Ge­danke mutet geradezu grotesk an, heute, wo man für 2 - 3 Millionen Arbeitswillige keine Arbeitsgelegenheit finden kann, eine weitere Million ausheben zu wollen, ohne für sie Arbeit zu haben. Er ist nur verständlich aus der immer noch verbreiteten Anschauung, die Arbeitslosen seien in Wirklichkeit Drückeberger und Faulpelze, die man nur zur Arbeit zu zwingen brauche, um das Problem zu lösen. Wenn das auch für einen gewissen Prozentsatz aller Bevölkerungsschichten zutrifft, so wird doch dadurch die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, daß das Problem eben nicht in der

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1)      Z. B. auch nach der Praxis des englischen Sozialismus Macdonaldscher Färbung.

2)      Nach der dort herrschenden Theorie, in der der Antizipationskredit nicht zu finden ist.

 

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Beschaffung von Arbeitskräften, sondern in der Bereitstellung von Arbeitsgelegenheit besteht. Über diese und über die Finanzierungs­frage enthalten aber die verschiedenen in Buchform vorliegenden Vorschläge so gut wie nichts, ebensowenig, wie die diesbezüglichen Anträge der Wirtschaftspartei im Reichstag (1930).

 

            e) Sparzwang. — Gerade diese Mängel hofft ein anderer Vor­schlag  zu vermeiden, der davon ausgeht, daß  die Ursache der Arbeitslosigkeit im Kapitalmangel zu finden ist. Durch zwangsweises Sparen soll die Kapitalbildung gehoben werden; so sollen die Mittel zur Beschäftigung der Erwerbslosen beschafft werden.
Dieser Vorschlag verkennt das Wesen der Kapitalbildung. Nach unserer Definition müßte ein solcher Sparzwang eine Neuverteilung der Arbeitskräfte, d. h. eine Abwanderung eines Teiles der Arbeiter aus ihren bisherigen Arbeitsplätzen in neue Arbeitsstellen zur Folge haben. Wie schon der Name "Sparzwang" besagt, würde man aber nur die mit dem zusätzlichen Sparen untrennbar verbundenen zusätzlichen Entlassungen erreichen, solange man   nicht den Sparzwang durch einen "Antizipationszwang" ergänzt, was freilich praktisch unmöglich  ist. Denn mit Sparen allein erreicht man keine Kapitalbildung, sondern nur Entlassungen. Wünscht man neue effektive Kapitalbildung, so muß man die latente Kapital­bildung durch Antizipationskredite zur effektiven machen. Wir haben gesehen, daß man heute nicht einmal die überall unausgenutzt vorhandene latente Kapitalbildung effektiviert; wie will man also hoffen, durch weitere Vermehrung dieser latenten Kapitalbildung, die für sich allein nur schädlich ist, eine Besserung herbei­zuführen?

            Ein weiteres Bedenken der Idee des Sparzwanges ist die Schwierigkeit der Anlage der so gesammelten Mittel. Da eine Behörde die Verwaltung führen würde, müßte man sich auf absolut "sichere" Anlagen beschränken. Als solche gelten aber nach herr­schender Ansicht nur mündelsichere Werte. Welche Bedenken gegen die schon bisher übertriebene einseitige Anlage der Volks­ersparnisse in Mündelwerten gerade vom Standpunkte der Arbeits­beschaffung aus zu erheben sind, sahen wir schon. Diese Bedenken würden erhöht werden, wenn auch die durch Sparzwang gewonnenen Kapitalien in dieser oft schädlichen Weise verwendet würden.

 

            f) Verweigerung der Kriegsentschädigungszahlungen. — Andere Anhänger der vorwiegend politischen Betrachtungsweise glauben in den enormen Kriegsentschädigungszahlen von rund

 

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2 Milliarden RM jährlich, zu denen Deutschland verpflichtet ist, die Wurzel auch der Arbeitslosigkeit zu erblicken. Diesen muß gesagt werden, daß das deutsche Volkseinkommen sogar bei der heutigen schlechten Wirtschaftslage 70 - 90 Milliarden RM beträgt 1), daß die Kriegsentschädigung also nicht mehr als 2 - 3 % vom Einkommen ausmacht. Die Steuerlast, die das Deutsche Reich, die Länder und Gemeinden ihren Bürgern auferlegt haben, beträgt demgegenüber rund 25 Milliarden, also etwa das 12 fache der Reparationslasten. Auch im Vergleich zu anderen Ländern ist die deutsche Belastung nicht so hoch, daß sie als Erklärung für die herrschende Dauerarbeitslosigkeit dienen könnte; England z. B. zahlt rund 7 1/2 Milliarden RM jährlich allein für den Dienst seiner Staats- und Kriegsschulden. (jz20)

 

            g) Erwerb von Kolonien. — Wieder ein anderer Vorschlag zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit geht dahin, das "überschüssige" Menschenmaterial nach dem Auslande abzuschieben, es am besten in geschlossenen Siedlungen zur Erschließung eigener Kolonialgebiete zu verwenden. Demgegenüber ist nicht allein auf das gesundheitsschädigende und rassenzerstörende Klima der in Frage kommen­den tropischen Landstriche hinzuweisen, sondern auch darauf, daß man mit demselben Geld- und Kapitalaufwand hier in Deutschland nachweislich doppelt so viel Arbeitsplätze schaffen könnte, wie drüben. Die Ansiedlung eines Weißen in den Tropen kostet mindestens 20 - 50 000 RM, wenn man die den heimatlichen Steuer­zahlern aufzubürdenden Verwaltungs- und "Pazifizierungs-" Kosten mitrechnet. In Deutschland sind die Kosten einer Siedlerstelle nur halb so hoch. Die Kolonisierung von Neuland kann überhaupt grundsätzlich nur in der Weise geschehen, daß durch eine Geld- und Kreditorganisation ein wirtschaftlicher Austausch zwischen den Kolonisatoren untereinander und mit der Heimat in die Wege geleitet wird. Dazu ist Umsatzkredit und Anlagekredit erforder­lich, letzterer insbesondere in Form von Antizipationskrediten. Es ist nun nicht einzusehen, warum man diese arbeitsbeschaffenden Umsatz- und Antizipationskredite gerade in Afrika bereitstellen soll, und nicht im Heimatlande selbst, was doch viel näher liegt und aus den verschiedensten Gründen mehr und dauerhafteren Erfolg verspricht. Wenn man eingesehen hat, daß die wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nur durch eine gute Kredit-

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1)      Vgl. wegen der letzteren Ziffer Woytinsky,  wegen  der  ersteren (amtliche Schätzung) "Deutsche Wirtschaftskunde",  bearbeitet im Stat. Reichsamt, 1930, S. 330.

 

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Organisation erfolgen kann, so ist die Anwendung dieser Erkenntnis auf die deutschen Verhältnisse wichtiger, als auf einen tropischen Wüstenstrich. Fehlt diese Erkenntnis aber, so wird es auch in den Tropen nicht gelingen, diejenigen Arbeitslosen auf die Dauer zu beschäftigen, die man im Heimatlande nicht unterzubringen ver­mochte 1).

 

            h) Verkürzung der Arbeitszeit. — Gegenüber diesen mehr oder weniger politischen Vorschlägen verdient der rein wirtschaft­liche Gedanke Beachtung, das Angebot an Arbeitskraft, das man der Zahl der Arbeitskräfte nach nicht vermindern kann, dadurch zu verknappen, daß man die Zahl der Arbeitsstunden pro Kopf vermindert. Man denkt sich also das Maß der Arbeit, das täglich verrichtet werden muß, als unveränderlich und gegeben, und ver­ändert nun die Anzahl der Arbeitskräfte, die zur Bewältigung dieses Quantums erforderlich sind. So glaubt man erreichen zu können, daß nicht nur ein Teil der Arbeiterschaft, sondern alle Arbeiter verwendbar werden.

            Dabei vergißt man aber, daß das Freiwerden und Zurverfügungsein von Arbeitskräften, als welches die Arbeitslosigkeit im Grunde anzusehen ist, eigentlich nicht ein Mangel, sondern der Hebel größten wirtschaftlichen Fortschritts ist. Arbeitslosigkeit entsteht, wenn ein­zelne Industrien Arbeitskräfte zu entbehren vermögen, da sie mit den Natur- und Menschenkräften sparsamer zu wirtschaften gelernt haben. Diese vergrößerte Wirtschaftlichkeit der Produktion darf nicht durch Leistungsverminderungen totgeschlagen werden, sie ist vielmehr nur dann sinnvoll, wenn die freigewordenen Arbeitskräfte zur Errichtung neuer Güter benutzt werden, an denen noch Mangel herrscht, oder deren Qualität und Zustand bisher gesundheitlich teilweise unerträglich war, wie z. B. Wohnungen. Hier heißt Herabsetzung der Arbeitszeit nichts anderes als Ver­ewigung des gegenwärtigen Lebensstandards, der doch keineswegs bisher schon zufriedenstellend ist. Durch Arbeitszeitverkürzung im Wege des Gesetzes 2) kann vielleicht die Arbeitslosigkeit beseitigt werden, aber nur unter Opferung der Vorteile einer aufsteigenden Zukunft. Dieses Opfer würde die Nation, die damit beginnt, auf

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1)      Übrigens vergißt man, daß die Auswanderung von 1 Mill. Menschen den Wegfall von l Mill. Käufern für die deutsche Industrie bedeutet, was neue Arbeitslosig­keit im Gefolge haben muß.

2)      Auf die damit meist bezweckte gleichzeitige Erhöhung des Stundenverdienstes ist hier nicht einzugehen; es ist hier nur von einer solchen Arbeitszeitverkürzung die Rede, die eine entsprechende Senkung des Pro-Kopf-Verdienstes mit sich bringt. (jz21)

 

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die Dauer in Rückstand bringen hinter den Nationen, die sich dazu nicht entschließen können; es scheint uns solange zu groß, als es noch andere Wege gibt, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nämlich die planmäßige Vollendung eben des Kapitalbildungsvorganges, der die Ursache der Entlassungen gewesen war.

 

            Wohl aber können Beurlaubungen und Arbeits­zeitverkürzungen mit Recht erwogen werden, wenn es sich darum handelt, die saisonmäßige Arbeitslosigkeit des Winters auszugleichen. Sobald einmal feststeht, daß man aus klimatischen Gründen im Winter unmöglich diejenige Arbeiter­zahl beschäftigen kann, wie im Sommer, muß entschieden werden, ob es nicht am besten ist, die winterliche Arbeitszeit überall oder in bestimmten Branchen so sehr zu vermindern, daß Platz wird für die sommerlichen Saisonarbeiter. Wenn aus klimatischen Gründen die produktive Verwendung der brachliegenden Arbeitskräfte nicht möglich ist, kann man in den herbstlichen Entlassungen nicht mehr die Einleitung eines Kapitalbildungsprozesses erblicken, den man nur zu vollenden brauchte, um die Kapitalien zu erhalten, die man zur Wiederbeschäftigung der Entlassenen nötig hat. Es liegt dann vielmehr eine Arbeiterentlassung anderen Charakters vor, die heute den Entlassenen selbst und der Arbeitslosenversicherung zur Last fällt. Eine Verteilung dieser Lasten auf die Schultern der gesamten Wirtschaft durch eine allgemeine winterliche Arbeitszeitverkürzung bzw. Beurlaubung kann daher sehr wohl erwogen werden.

 

            i) Aufnahme von Anleihen. — Ein rein wirtschaftlicher Vor­schlag, der sich zwar als unbrauchbar erweist, aber schon zu dem hier vertretenen Programm überleitet, geht dahin, große Anleihen aufzunehmen und so das Kapital zu beschaffen, mit dem man die Erwerbslosen beschäftigen kann. Insbesondere die Pläne der Regierung Brüning gehen in dieser Richtung. Diesem Vor­haben ist folgendes entgegenzuhalten: Wenn Auslandsanleihen gemeint sind, die echtes 1) Auslandskapital beschaffen sollen, so muß notwendig ein Strom von Auslandswaren in Höhe des Anleihe­betrages nach Deutschland hereinfließen, da anders echte Aus­landsgelder nicht verfügbar sein können 2). Der Import muß also um den Betrag der Anleihe steigen. Eine solche Anleihe kann offenbar den Arbeitsmarkt nicht entlasten, denn sie bietet keine

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1)      Solches Kapital, das nicht nur die Rückkehr geflüchteter Kapitalien oder die Stundung von Reparationszahlungen bedeutet.

2)      Vgl. den Ausspruch Cassels oben S. 90.

 

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Gelegenheit, Waren durch inländische Arbeiter herzustellen, da die Waren bereits fertig hereinkommen. Soweit aber die Aufnahme von Inlandsanleihen gemeint ist, würde dadurch nur das vor­handene Kapital von anderen Verwendungen abgelenkt werden. Die effektive, bei den Banken eingezahlte, am Markte erscheinende Kapitalbildung ist begrenzt; soviel man davon für eine öffentliche Arbeitsbeschaffungsanleihe abzweigt, entzieht man der Privatwirtschaft, die dann nur entsprechend weniger Arbeitslose anstellen kann.

            Der berühmte Vorschlag Lloyd Georges: "We can Conquer Unemployment'' (London 1929) ist damit erledigt, soweit die Finanzierung in Rede steht, die nach Lloyd George durch An­leihen erfolgen sollte 1). Eine Politik, die sich zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit desselben Kapitals bedienen will, das bisher schon verwandt wurde, um noch größere Arbeitslosigkeit zu verhindern, verspricht keinen Erfolg. So sind auch die im Jahre 1930 erwogenen Pläne zu verurteilen, große Reichsanleihen aufzulegen, um aus deren Ertrag Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu finanzieren. Wohl gemerkt, ist die Anleiheaufnahme nur zu verurteilen, wenn sie der Auszahlung der zusätzlichen Löhne vorausgehen soll, wenn also erst die Anleihe aufgenommen werden, und dann die zusätzlichen Einkommen verteilt werden sollen. Eine solche Anleiheaufnahme schafft keine neue Kapitalbildung. Zusätzliche effektive Kapitalbildung ist aber nötig, um die Erwerbslosen zu beschäftigen, die mit der bisher verfügbaren Kapitalmenge nicht in Brot gesetzt (jz22) werden konnten.

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1)      Dieser Vorschlag sieht die Ausführung gewaltiger öffentlicher Arbeiten im Be­trage von etwa 5 Milliarden RM vor. Er stand im Mittelpunkt des englischen Wahl­kampfes im Jahre 1929.

 

 

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Fünftes Kapitel.

 

Ein Programm zur Finanzierung von Arbeitsgelegenheit.

 

a) Das große Mittel; Zusätzliche Kapitalbeschaffung

aus der unerschlossenen latenten Kapitalbildung.

 

            1. Heilung der Arbeitslosigkeit von ihrer Ursache aus. — Wir haben anfangs zwischen der latenten und der effektiven Kapitalbildung unterschieden. Dabei haben wir festgestellt, daß der Vorgang der Kapitalbildung nur dann vollendet wird, wenn die ersparten oder durch Sparen verdrängten Arbeitskräfte unver­züglich wieder beschäftigt werden. Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit hat ihre Ursache im wesentlichen darin, daß in den Jahren von 1924 bis 1928 mit einem Male alle die Rationalisierungen nachgeholt worden sind, die seit 10 Jahren infolge des Krieges und der In­flation unterblieben waren. Diese stoßweise Kapitalbildung ver­langte stoßweise Überführung der entbehrlich gewordenen Arbeits­kräfte in neue Beschäftigungen, wenn der Kapitalbildungsvorgang überhaupt vollendet werden sollte. Diese ist aber unterblieben, man hat sich damit begnügt, zu "rationalisieren", zu entlassen, sodaß jetzt nur latente Kapitalbildung vorhanden ist.

 

            Hiermit kommen wir zum Ergebnis unserer Untersuchungen: Wenn die heutige Arbeitslosigkeit dadurch verursacht ist, daß die Kapitalbildung nur latent vorhanden, also unvollendet ist, so kann sie nur durch Vollendung des Kapitalbildungsvorganges beseitigt werden. Die latente Kapitalbildung muß zu effektiver Kapitalbildung umgewandelt werden, die Arbeitslosen müssen also be­schäftigt werden, damit durch ihre Beschäftigung diejenige zu­sätzliche Kapitalbildung effektiv entsteht, die zur Lohnzahlung an die Neueingestellten erforderlich ist. Wie dieser Vorgang im ein­zelnen sich abspielt, ist dargetan worden; es genügt zu erwähnen, daß Antizipationskredite das Mittel sind, mit dem allein die Lohnzahlungen erst einmal bewerkstelligt, der Kapitalbildungsprozeß also in Gang gehalten und abgeschlossen werden kann.

 

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            2. Die latente Kapitalbildung  als Kapitalquelle.    Die umfangreichen Rationalisierungen der letzten Jahre, die die Ur­sache der Arbeitslosigkeit sind, haben einen gewaltigen Vorrat latent vorhandener Kapitalbildung geschaffen, den wir nun zum Leben erwecken können. Der herrschende Absatzmangel, die übergroßen Lagervorräte, die der Erwerbslosigkeit wegen un­verkäuflich sind, zeigen, woher die Subsistenzmittel zu nehmen sind, wo also das "Kapital" steckt, mit dem man die neu anzusetzenden Arbeitskräfte entlohnen kann. Wir brauchen nicht das mühselige Werk der so überaus schwierigen technischen Rationalisierungen noch einmal zu wiederholen, um Kapital zu bilden; es genügt vielmehr, den angesammelten reichen Vorrat latenter Kapitalbildung in Gestalt der eingesparten Arbeitskräfte und der unverkäuflichen Vorräte effektiv zu machen.

 

            Ist dieser Vorrat latenter Kapitalbildung auf alle Fälle aus­reichend, um die heute vorhandenen Arbeitskräfte sämtlich zu be­schäftigen?

Er ist es, da diejenigen Arbeitslosen, die ihre Arbeitsstellen nicht durch die Folgen von Rationalisierungen verloren haben, durch Maßnahmen auf dem Gebiete des Umsatzkredits wiedereingeschaltet werden können. Alle Rationalisierungs-Arbeitslosen haben gerade durch ihr Entlassenwerden, also durch die Einsparung ihres Lohnes, durch ihr Nichtkonsumieren diejenige Voraussetzung zur effektiven Kapitalbildung geschaffen, die wir "latente Kapitalbildung" genannt haben. Die latente Kapitalbildung ist also stets gerade so groß, daß sie für alle diejenigen ausreicht, die infolge von Rationalisierungen arbeitslos geworden sind.

 

            Eine Quelle, die stets soviel Wasser liefert, wie man braucht, nennt man unerschöpflich. Da wir nicht die Absicht haben, mehr Kapital aus der Quelle zu schöpfen, als zur Beschäftigung aller Arbeitslosen erforderlich ist, können wir auch die latente Kapital­bildung als eine praktisch unerschöpfliche Quelle für lang­fristiges Kapital zur Beschäftigung der Arbeitslosen bezeichnen.

 

            3. Grenzen der zusätzlichen Kapitalbildung durch Antizipationskredite. — Trotzdem darf kein Mißbrauch mit der Effektivierung der latenten Kapitalbildung durch Antizipationskredite ge­trieben werden.

            Zwei Grenzen sind dem gesunden Antizipationskredit gesetzt:

Er darf nicht zu Anleihen ans Ausland oder zu Spekulationen verwendet werden, sondern nur zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsgelegenheit. Nur dann erzeugen Antizipationskredite zusätzliche effek­tive Kapitalbildung.   Zweitens muß beachtet werden, daß die Antizi-

 

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pationskredite volkswirtschaftlich die Aufgabe haben, diejenigen in den Läden und auf den Lägern befindlichen Konsumgüter, welche durch die vorgängigen Entlassungen unverkäuflich geworden sind, absetzbar zu machen, indem die Entlassenen neue Stellen und neue Einkommen erhalten.

Hieraus ergibt sich, daß der Umfang der Antizipationskredite nie den Umfang der gewissermaßen steckengebliebenen Konsumgütermengen 1) überschreiten darf. Nur so werden Preissteigerungen durch diese "Kreditausdehnung" mit Sicherheit verhindert.

Es wird dann nämlich keine zusätzliche Nachfrage ge­schaffen, die den Preis der Waren in die Höhe treiben könnte, sondern es wird nur dafür gesorgt, daß die Nachfrage und der Preis nicht sinkt.

Der gesunde Antizipationskredit ist also einerseits durch die Zahl der noch vorhandenen einstellungsfähigen Arbeiter begrenzt, anderseits durch die Menge der Waren, die durch die Entlassung, also seit dem Entstehen der Arbeitslosigkeit, unverkäuflich ge­worden sind.

 

            4. Solche Antizipationskredite sind nicht mit "Kreditausdehnung" identisch. — Bei der Behandlung des Umsatzkredits haben wir festgestellt, daß eine Ausdehnung dieser Kreditart mit Not­wendigkeit zu einem vermehrten Angebot von Konsumgütern führen müsse 2). Umsatzkredite sind nur diskontierte Verkaufserlöse; soviel echter Umsatzkredit also gewährt wird, soviel Waren müssen an den Markt kommen, und soviel Einkommen muß auch verteilt worden sein.

            Bei den Antizipationskrediten, die in das Gebiet des Anlagekredits fallen, ist das anders. Die Kaufkraft aus solchen Krediten wird ebenfalls fast vollständig in Gestalt von Löhnen, Zinsen usw. frei; sie wird auch fast allein zum Ankauf von Konsumgütern benutzt, aber ihr steht keine zwangsläufige Steigerung des Warenangebots gegenüber, da langlebige Kapitalgüter hergestellt werden, nicht aber Konsumwaren.

 

            Man könnte daher meinen, daß die plötz­liche Gewährung von Antizipationskrediten zu einer Preissteigerung führen müsse, indem die Nachfrage steigt, ohne daß ein erhöhtes Warenangebot da ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn eine Ausdehnung des Kredits liegt gar nicht vor, da durch die Antizipationskredite nur soviel Kredit und Kaufkraft ver­teilt werden soll, wie vorher da war, einschließlich der inzwischen erzielten latenten Ersparnisse (Kapitalbildung). Der Verzicht auf Anti­zipation, den wir heute zusammen mit seiner Folgeerscheinung, der

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1)      Dem Werte nach.

2)      Vgl. die besondere Abhandlung des Verf.

 

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Dauerarbeitslosigkeit, beobachten, ist eigentlich nicht ein Verzicht auf Ausdehnung des Kredits, sondern eine Kontraktion, eine Deflation, da durch die Entlassung der Arbeitskräfte Lohngelder erspart werden, so daß der Banknotenumlauf sinkt. Die hier vorgeschlagenen Antizipationskredite stellen also keine Ausdehnung der Kredite dar, sondern nur eine unverminderte Aufrecht­erhaltung des Kreditspielraums, der durch die Folgen der Rationali­sierungen bedroht ist. Wir haben in der bisherigen Darstellung mit Recht vermieden, eine Kreditausdehnung mit ihren unvermeid­lichen inflatorischen Folgen vorzuschlagen; jetzt können wir fest­stellen, daß die hier verlangte umfangreiche Gewährung von Anti­zipationskrediten nichts mit Kreditausdehnung zu tun hat.

Die Antizipationskredite sollen vielmehr nur das Vakuum ausfüllen, das durch die vorherigen Entlassungen herbeigeführt ist, indem Arbeiter­entlassungen unweigerlich deflatorische Folgen haben.

 

            Immerhin ist es denkbar, daß die Antizipationskredite eine gewisse preissteigernde Wirkung haben. Wenn nämlich die Ent­lassungen, also der Ursprung der Arbeitslosigkeit, schon lange zurückliegt, so kann die Krise und die Not der Kaufmannschaft infolge der Absatzstockung so groß werden, daß die Preise unter die niedrigst mögliche Kalkulation sinken. (jz23) Werden die Anti­zipationskredite nicht sofort oder alsbald nach den Entlassungen gewährt, sondern erst nach Monaten oder Jahren, so müssen sie natürlich eine Korrektur dieser Schleuderpreise nach sich ziehen. Es tritt dann eine Preissteigerung insoweit ein, bis die früheren Preise wieder hergestellt sind. Eine weitere Preissteigerung ist nicht zu erwarten.

 

            Die Preisstürze des Jahres 1930 scheinen größtenteils den soeben gekennzeichneten Charakter zu haben; so würden durch die Anti­zipationskredite, mit denen die Arbeitslosigkeit beseitigt werden soll, die Preise vielleicht wieder auf das Niveau von 1927/28 steigen. Es ist bekannt, daß hierdurch kein Schaden entstehen, vielmehr der Zusammenbruch von Hunderten von Firmen und Unternehmungen vermieden werden würde.             Schleuderpreise sind ebenso ungesund wie Boom-Preise; es ist kein Einwand gegen einen Vorschlag, wenn man sagt, er verhindert Schleuderpreise.

 

            5. Kreditausweitung nach dem Plane von J. M. Keynes. — Im Gegensatz zu dem hier vertretenen Plane hält Keynes eine Kreditausweitung für unumgänglich, wenn die Arbeitslosigkeit be-

 

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seitigt werden soll 1). Seine Vorschläge sind aber so ähnlich den unsrigen, daß man nur sagen kann: Keynes wird durch ein richtiges Gefühl fast zur richtigen Lösung geführt; er weiß nicht, daß die von ihm vorgeschlagene Kreditausweitung ("expansion of credit") in Wirklichkeit gar keine ist; er setzt sich all den Vor­würfen aus, die mit Recht gegen die Kreditausweitung erhoben werden, obwohl er das gar nicht nötig hätte.

            Das liegt daran, daß Keynes über keine brauchbare Kapital­bildungstheorie verfügt. Er und Henderson erwähnen in der Schrift "Can Lloyd George do it?" 2) mit keinem Worte, daß die geforderte "Kreditausweitung" zwangsläufig die erhöhte Kapital­bildung produziert, deren man bedarf, um die Antizipationsvorschüsse später in langfristige Kredite und Anleihen umzuwandeln. Er fühlt jedoch instinktiv das Richtige, denn auch er legt auf die Art der Verwendung der Kredite das entscheidende Gewicht. Nur wenn gleichzeitig mit der Kreditausdehnung Arbeiten und Unternehmungen im Inlande begonnen werden, die Erwerbslose beschäftigen, ist die Kreditausdehnung ungefährlich 3). Da er aber den Begriff der latenten Kapitalbildung nicht kennt, gedenkt er das notwendige langfristige Kapital aus den Ersparnissen der Erwerbslosenversicherung und aus einer Verringerung der Anleihegewährung an das Ausland zu gewinnen. Von diesen Posten kann nur der erstere in Rechnung gestellt werden, der sehr gering ist; würden aber selbst beide ver­fügbar sein, so würde der Betrag im Falle Deutschland doch nie ausreichen, die Antizipationsvorschüsse zurückzuzahlen. Dies haben seine Gegner nach-gewiesen; in der Befürchtung, die Banken würden auf den zusätzlichen Krediten sitzen bleiben und illiquide werden, hat man den Keynesschen Gedanken abgelehnt 4). So nahe Keynes der Wahrheit war, die Engländer haben seine Schwäche erkannt

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1)      Ähnlich Pigon, vgl. Industrial Fluctuations, Part. II, Kap. X.

2)      The Pledge examined by J. M. Keynes and H. D. Henderson, London 1929, S. 34 ff.

3)      S. 36, 37: "Thus ist not safe for the Bank to expand credit unless it is certain beforehand that there are home borrowers standing ready to absorb it at the existing rates of interest." . . .  "Thus we accept Mr. Mc Kenna's contention that an expansion of credit is the key to the Situation. But if we were simply to increase credit without providing a specific use for it at home, wie should be nervous that too much of this extra credit would be lent to foreigners and taken away in gold. We conclude, therefore, that, whilst an increased volume of bank-credit is probably a sine qua non of increased employment, a programme of home investment, which will obsorb this increase is a sine qua non of the safe expansion of credit."

4)      Vgl. Memoranda on Certain Proposals Relating to unemployment, presented by the Minister of Labour to Parliament, März 1929, S. 43 ff.

 

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und auf die Durchführung des großen Programms zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit verzichtet, obwohl eine genauere Untersuchung gezeigt haben würde, daß der Plan durchführbar und gesund ist, wenn nur seine Finanzierung geändert wird.

 

            Hiernach ist es also nicht nur notwendig, sondern auch un­bedenklich, daß die Banken oder andere Stellen zusätzliche Kredite im Betrage von Hunderten von Millionen gewähren, um die Erwerbs­losen mit Arbeit zu versehen.

 

            6. Die praktische Durchführung der Finanzierungsaktion. — Wie ist nun die praktische Durchführung einer solchen Kredit­aktion zu denken? Die Voraussetzung ist, wie später noch zu zeigen sein wird, ein so niedriges Zinsniveau, daß Bauprojekte aller Art rentabel werden. Bei einem Hypothekenzinssatz von 3 1/2 - 5 % z.B. würde der Bau von Wohnhäusern überaus rentabel sein, da dann die Mieten in Neubauten niedriger sein würden, als in zwangs­bewirtschafteten Häusern. Eine ähnlich große Nachfrage würde sich nach Meliorationsarbeiten, Straßenbauten und vielen andern Objekten einstellen. Unterstellen wir hier, daß sich ein so niedriger Zinsfuß verwirklichen läßt, so würden eine große Anzahl von Bau­unternehmern, von Siedlungsgesellschaften, von Fabrikanten, Ge­meinden und andern Arbeitgebern mit Kreditwünschen an ihre Bankverbindung herantreten. Die Banken würden zusätzliche Er­sparnisse noch nicht zur Hand haben; sie würden sich aber wie vor dem Kriege bereitfinden, trotzdem kurzfristige Vorschüsse zu gewähren, um erst einmal die Bauarbeiten in Gang zu bringen. Die Laufzeit der Vorschüsse würde auf etwa 1 - 3 Monate über die eigentliche Bauzeit hinaus bemessen werden, um Zeit für die endgültige Finanzierung zu gewinnen. Während der Bauzeit würde sich, wie dargetan, im Durchschnitt des ganzen Landes die Kapital­bildung der Betriebe stärkstens heben. Die zusätzliche Bildung von effektivem Kapital aus latenter Kapitalbildung würde bei den Banken eingezahlt bzw. zur Abdeckung eingefrorener Bankkredite benutzt werden. Ihr Umfang würde genau der zusätzlichen Kredit­gewährung der Banken entsprechen; wenn also in einem Vierteljahre für die Beschäftigung von 2 Millionen Erwerbslosen eine Milli­arde RM Vorschüsse neu gewährt worden sind, so würden in dem­selben Vierteljahr die Bankdepositen aus zusätzlicher Kapitalbildung der Unternehmungen um gerade eine Milliarde steigen. Dieser Betrag würde nun gerade hinreichend sein, um die antizipatorischen Vorschüsse der Banken abzudecken. Die Banken oder die

 

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Depositäre würden nämlich bestrebt sein, diese Milliarde RM neuen Depositenkapitals irgendwie anzulegen, und die Bauherrn würden Hypotheken bzw. Pfandbriefdarlehen suchen, um ihre kurzfristigen Bankschulden abzutragen. Der Ausgleich zwischen diesen beiden entgegengesetzten Bestrebungen würde sich am Kapitalmarkte voll­ziehen, indem die anlagesuchenden Kapitalisten etwa die angebotenen Pfandbriefe kaufen würden. Damit wären die Konten der Bau­unternehmer bei den Banken wieder ausgeglichen und die Anti­zipations-vorschüsse voll und ganz an die Banken zurückgezahlt. Die Banken wären also schon wenige Wochen nach Schluß des Vierteljahrs, von dem hier die Rede war, wieder voll liquide und in der Lage, von neuem eine Milliarde RM oder mehr vorzuschießen, damit die Bauarbeiter wieder auf neuen Bauplätzen Stellungen be­kommen könnten.

Dieser Vorgang müßte sich nicht absatzweise, sondern kontinuierlich abspielen; in ihm wäre die Effektivierung der Kapitalbildung durch Antizipationskredite verwirklicht.

 

            7. Verwendung der Kapitalien und der Arbeitskräfte zur Schaffung langlebiger Kapitalgüter. — Bei diesem Finanzierungs­plan sind insbesondere drei Fragen zu klären: Was soll gebaut werden? Wer soll bauen und wer soll Kreditgeber sein?

            Bei der Frage nach der Art der Objekte, die gebaut werden sollen, ist vor allem zu entscheiden, ob Konsumgüter oder lang­lebige Kapitalgüter hergestellt werden sollen. Diese Frage ist von entscheidender Bedeutung, denn wenn etwa Konsumgüter hergestellt werden 1) und diese sind ohnehin schon im Übermaße vorhanden, so würde eine noch größere Absatzstockung eintreten. Aus unserer Analyse ergibt sich, daß die heutige Arbeitslosigkeit nicht durch Störungen im Umsatzkredit, sondern durch Rationa­lisierungen verursacht ist. Es sind also in den Läden reichlich un­verkäufliche Konsumgüter vorhanden. Auch nach dem Verkauf dieser un-verkäuflichen Vorräte ist die Konsumgüterproduktion für alle Arbeitskräfte ausreichend, da die Absatzstockung ja gerade darin besteht, daß zwar eine genügende Produktion für alle, nicht aber ein Absatz an alle vorhanden ist.

 

            Noch aus einem anderen Grunde kann heute nur die Pro­duktion langlebiger Kapitalgüter in Frage kommen: Als Folge des Antizipationskredits wird eine zusätzliche Kapitalbildung er­wartet. Kapitalbildung muß aber angelegt  werden und verlangt

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1)      Das verlangt z. B. Cassel - Stockholm, zitiert bei Ad. Lampe, Notstandsarbeiten oder Lohnabbau, Jena 1927, S. 2, 10. Zeile von unten.

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Zinsen vom Tage der Investierung an. Zinsen bringen können aber nur langlebige Kapitalgüter, die nicht durch den einmaligen Verzehrsakt, sondern  durch langjährigen Gebrauch nützlich sind.

           

            8. Das Baugewerbe als Schlüsselindustrie. — Von ge­ringerer Bedeutung ist die Frage, welche Art von langlebigen Kapitalgütern hergestellt werden soll. Es kommen durchaus nicht nur die Produktionsmittel im engeren Sinne, als Fabrikanlagen, Eisenbahnen, Brücken usw. in Betracht, sondern ebensosehr die andern langlebigen Kapitalgüter, insbesondere Wohnhäuser, an denen bei niedrigen Mieten ein ungemein starker Bedarf herrschen würde, solange die großstädtischen und ländlichen Wohnungsver­hältnisse so schlecht sind, wie heute.

 

            Umfangreiche Untersuchungen haben nachgewiesen, daß das Baugewerbe in höchstem Maße den Charakter einer "Schlüssel­industrie" hat. Wenn auch nur ein Teil der Kosten, die der Haus- und Industriebau verursacht, direkt in Löhnen an Bauarbeiter ausgezahlt wird, so dient doch der ganze Rest der nicht weniger wichtigen indirekten Auftragserteilung an die Industrie. Nicht nur die Zementindustrie, die Holzindustrie und die Ziegeleien, son­dern auch die Eisenindustrie, die chemische Industrie, die elektrische Industrie, die Papier-Industrie, die Möbelindustrie, die Textilindustrie, die Linoleumindustrie, die Glasindustrie, ja sogar indirekt auch der gesamte Maschinenbau profitieren durch die Ankurbelung der Bau­industrie. Man kann durch eine genaue Analyse der Branchen, in denen unsere Arbeitslosen zu finden sind, nachweisen, daß die Arbeitslosen, die wir heute haben, sich fast genau nach dem Ver­hältnis auf die verschiedenen Branchen verteilen, in dem diese Branchen direkt oder als Unterlieferanten am Baugewerbe beteiligt sind. Das gilt nicht nur für die Arbeiter und exekutiven Arbeits­kräfte, sondern auch für die Angestellten und dispositiven Arbeits­kräfte. In wie vollkommener Weise durch diese Ingangsetzung der Kapitalgüterindustrien zwangsläufig auch die Stockung in den Konsumgüterindustrien beseitigt wird, haben wir eingehend dargelegt (vgl. Kapitel 2). Hiermit ist bewiesen, daß durch eine Ankurbelung der verschiedenen Baugewerbe (im weitesten Sinne) zugleich auch die gesamte Wirtschaft in Gang gebracht und die gesamte Arbeitslosigkeit beseitigt werden kann.

 

            9. Ein Bauprogramm. — Es könnte nicht schwer sein, für die Zweifler, die nicht glauben, daß es genügend Bauprojekte gibt, ein umfangreiches detailliertes Bauprogramm aufzustellen. Da hier

 

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nur die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Lösung der Finan­zierungsfragen, behandelt wird, genügt eine kurze Aufzählung der Projekte, die in Frage kommen könnten:

 

            Im gesamten deutschen Bauwesen sind nach den Be­rechnungen des Instituts für Konjunkturforschung in den letzten Jahren jährlich mindestens 8,8 Milliarden RM investiert worden, was ungefähr einem Viertel der industriellen Wertschöpfung Deutsch­lands entspricht. Eine Erhöhung der Bauaufträge um 25 - 50 % würde allein genügen, um fast sämtliche Arbeitslosen zu absorbieren; in diesem Falle müßten etwa 1 - 2 Milliarden Antizipationskredite mehrfach im Jahre gewährt und wieder zurückgezahlt werden, so daß eine jährliche Gesamtbausumme von zusätzlichen 3 - 5 Milli­arden RM Kredit verausgabt würde.

            Besondere Berücksichtigung würde der Wohnungsbau finden müssen. Wenn erst infolge niedriger Hypothekenzinsen die Neuwohnungen billiger werden, als die Altwohnungen, dann kommt die Zeit, wo man die unhygienischen, überalterten und ver­wohnten Gebäude aus der Gründerzeit abbrechen kann. Sobald diese Altgebäude wegen Wegzugs der Mieter mehr und mehr leerstehen, wird nicht nur die Zwangswirtschaft auch ohne Aufhebung der diesbezüglichen Gesetze praktisch beseitigt sein, da niemand mehr bereit und gezwungen sein wird, die hohen gesetzlichen Mietzinsen zu zahlen, sondern auch die Hausbesitzer werden dann nicht um­hin können, entweder zu verkaufen, oder neu zu bauen. Bei nie­drigem Zinsniveau tritt also zu dem heutigen "normalen" Wohnungsbedarf, der unter der Annahme der Unveränderlichkeit des Quan­tums der Altwohnungen errechnet ist, noch der gewaltige, seit 16 Jahren künstlich zurückgedämmte Ersatzbedarf für die ab­bruchreifen Althäuser 1).

            Hierbei wird man den Plänen auf Umgestaltung ver­schiedener deutscher Großstädte, insbesondere der Haupt­stadt Berlin, nähertreten müssen. Es ist bekannt, das Napoleon III., von dem die arbeitslosen Bevölkerungsmassen Frankreichs eine Lösung des Erwerbslosenproblems erwarteten, durch Haußmann

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1)      Berlin hatte im Jahre 1930 noch 11 600 Haushaltungen, die in Baracken und in Behelfswohnungen untergebracht sind, 7000 Familien, die in völlig abbruchsreifen Altwohnungen leben, und 36 000 Haushaltungen, die in Wohnungen leben, die in den nächsten 10 Jahren unter allen Umständen abgebrochen werden müssen. Dazu kommt die laufende Vernichtung von Wohnraum durch Büro- und Geschäftshausbauten in der Innenstadt und die mehreren tausend Laubenbesitzer, die mit ihren Familien in Behausungen leben, die keine Behörde als dauernden Wohnraum ansprechen oder abnehmen kann.

 

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einen großen Teil der Pariser Innenstadt hat niederlegen lassen, um an der Stelle schmutziger Gassen und elender Wohnungen breite, schöne Boulevards 1) mit gesunden und wohnlichen Seiten­straßen zu errichten.

 

            Daß solche Projekte trotz des erhöhten Bedarfs an Straßen­land sogar rentabel sind und ohne Verlust für die Stadt durch­geführt werden können, hat z. B. die vorbildliche Umgestaltung von Stuttgart gezeigt, wo man den erforderlichen Mehrwert durch die Zulassung einer größeren Stockwerkzahl beschafft hat 2). Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß eine großzügige Umgestaltung der Berliner Innenstadt aktuell werden würde, sobald die Finan­zierungsfragen als lösbar erwiesen sind und der Zinssatz ein hin­reichend niedriges Niveau erreicht hat. Insbesondere wäre dabei wohl an das gewaltige Straßenviereck zu denken, das zwischen dem Hal-leschen Tor, dem Oranienburger Tor, dem Schönhauser Tor und dem Kottbuser Tor gelegen ist. Ebenso wie Paris durch Haußmann, könnte Berlin durch eine derartige einheitliche archi­tektonische Gestaltung einen Weltruf gewinnen 3). Voraussetzung dazu wäre eine intensive Tätigkeit der Parlamente auf diesem Gebiete 4), damit die Enteignungsgesetze, Bauordnungen 5), Steuer­gesetze usw. soweit verbessert werden, daß sie ihrem Zwecke zu dienen vermögen, nämlich der Förderung des Wohlstandes der Bevölkerung 6).

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1)      Der Boulevard Haußmann ist nach dem Initiator dieser größten städtebaulichen Schöpfung der        Neuzeit benannt.

2)      Vgl. Geheimrat Prof. Genzmer, Bebauungspläne, im Taschenbuch für Bauingenieure, III. Aufl.,      S.1970.

3)      Von der propagandistischen Wirkung derartiger Bauten im Auslande für den deutschen Export braucht hier nicht gesprochen zu werden,

4)      Gewisse Vorarbeiten zu kleineren städtebaulichen Vorhaben befinden sich schon an verschiedenen Stellen im Stadium der Erwägung.  (jz24)

5)      Vgl. z. B. die Bauordnung für die Stadt Berlin vom 3. Nov. 1925, die ein solches Projekt nicht zulassen würde.

6)      Genzmer, a. a. O., der als Kapazität auf diesem Gebiete anzusehen ist, fordert insbesondere, "daß die Bestimmungen der Enteignungsgesetze, die zumeist in erster Linie auf die Landstraßen, Eisenbahnen und Wasserstraßen zugeschnitten sind, in sofern für die städtischen Verhältnisse günstiger gestaltet werden, daß die Vorteile, welche den Anliegern aus der Verbreiterung der Straße erwachsen, auf die Entschädigungssumme in Anrechnung gebracht werden dürfen. Diese Vorteile bestehen namentlich darin, daß die Bauordnungen bei größeren Straßenbreiten höhere Häuser zulassen, und daß die Aus­lagen in den Schaufenstern bei auskömmlicheren Breiten der Bürgersteige besser betrachtet werden können".

Weiter fordert Genzmer, "daß die Stadtgemeinden das Recht erhalten, auch noch solche Grundstücksflächen, die außerhalb der künftigen Straßenfläche liegen, und die zur wirtschaftlichen Durchführung von Straßendurchbrüchen und von städtebaulichen Sa­nierungen ganzer ungesunder Stadtteile erforderlich sind, zu enteignen, was in den meisten Bundesstaaten Deutschlands bisher leider noch nicht der Fall ist" (S. 1968/69). Die Vorfälle bei den freihändigen Grundstückserwerbungen im Jahre 1930 in der Umgebung des Berliner Alexanderplatzes haben gezeigt, daß eine solche Gesetzesverbesserung nicht nur aus arbeitsmarktpolitischen Gründen dringend erforderlich ist.

 

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            An weiteren Projekten, die der Ausführung harren, sind in erster Linie die landwirtschaftlichen Boden-Meliorationen zu nennen. Hier ist das Vorurteil unausrottbar, solche Vorhaben seien unrentabel. In Wahrheit trifft das nur für Ödlandkultivierungen, Kanalbauten usw. zu, während die eigentlichen Meliorationen von Kulturland, insbesondere Dränagen, Vorflutregelungen, Ent- und Bewässerungsanlagen, Mergelungen, aber auch Beregnungsanlagen nach dem Gutachten des Dr. Egon Barocka von der Deutschen Bodenkultur A.-G. 1) überaus rentabel sind 2). Das Gutachten weist an Hand der Berechnungen der bedeutendsten Sachverstän­digen und mit Hilfe von umfangreichen Statistiken für jede Art Meliorationen nach, wie hoch erfahrungsgemäß der Mehrertrag roh und rein sich stellt. In der Mehrzahl der Fälle ergibt sich eine Verzinsung des neu investierten Kapitals in Höhe von 20 - 35 % jährlich, so daß nicht nur die Verzinsung, sondern auch die Tilgung in 6 - 10 Jahren allein aus den zusätzlichen Reinerträgen möglich ist. Hier ist nach Ansicht aller landwirtschaftlichen Sachverständigen ein Agrarprogramm zu finden, das eine durchgreifende Agrarhilfe bringen könnte, da es nicht die einmalige Abschreibung von weiterlaufenden Verlusten bezweckt, sondern endlich der Quelle der Verluste zu Leibe geht, indem es die Selbstkosten der Land­wirtschaft senkt. Deutschland hat in den Landeskulturämtern, den Kulturbauämtern und den Kreiswiesenbaumeistern 3) ein Netz von vorzüglich eingearbeiteten Behörden verfügbar, die eine sachgemäße Ausführung der Arbeiten sicherstellen. Projekte, die dringlich sind und der Ausführung harren, sind in großer Zahl vorhanden. In den Bodenverbesserungs- und Wassergenossenschaften des öffent­lichen Rechts stehen Rechtsträger zur Verfügung, die eine nahezu absolute dingliche Sicherung bieten und ein Risiko bei der Kredit­hergabe fast ausschließen. Abgesehen vom Kapital sind also alle Voraussetzungen zu einer gesunden wirtschaftlichen Investitions­tätigkeit gegeben.

_______________________________

1)      Die Deutsche Bodenkultur A.-G. ist  das Spitzeninstitut des Reichs und der Länder für landwirtschaftlichen Meliorationskredit.

2)      Vgl. Gutachten über die Rentabilität von landwirtschaftlichen Meliorationen, Deutsche Bodenkultur A.-G., Berlin 1929.

3)      Bzw. den entsprechenden Behörden in den außerpreußischen Ländern.

 

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            Auch die Abwässerverwertung ist zu erwähnen. Wahrend der Boden auf den heute üblichen Rieselfeldern derartig mit Dünge­stoffen überladen wird 1), daß er chemisch und bakteriologisch ver­dorben wird, würde er bei einer zweckmäßigen Ausnutzung der großstädtischen Abwässer sehr hohe landwirtschaftliche Reinerträge bringen. Oberamtmann Grzimek und andere Sachverständige propagieren daher den Bau von Rohrleitungen in der Länge von mehr als 100 km, um in weitem Abstand von den Großstädten eine rentable Landwirtschaft auf Grundlage der Abwässerverwertung aufzubauen, die uns vom ausländischen Gemüse- und Düngerbezug unabhängig machen soll. Auch hier fehlt nur das Kapital, um den Plan zu verwirklichen.

 

            Ein weiteres vorläufig unerschöpfliches Feld menschlicher Tätigkeit ist der Straßenbau. In Deutschland ist ein sehr großer Teil des Straßennetzes den Anforderungen des Automobilverkehrs nicht mehr gewachsen. Nach den Berechnungen von Dr. Heymann 2) sind 15 800 km Staatsstraßen, 22 300 km Provinzialstraßen und 62 500 km Kreis- und Gemeindestraßen, also fast die Hälfte des Gesamt­netzes als dringend umbaubedürftig zu bezeichnen. Die Umbaukosten werden geschätzt

            bei den Ländern auf …………………………………             1020 Mill. RM

            "     ",   Provinzen auf    ..................................................          1760     "      "

            "     "    preuß. Kreisen einschl. der Gemeindelandstraßen auf     1290     "      "

            "     "   außerpreuß. Kreisen auf ……………………..                550     "      "

                                                                                Zusammen auf      4 620 Mill. RM

 

Einschließlich notwendiger Neubauten ergibt sich also eine Bau­summe von rund 5 Milliarden RM, wozu noch der Bedarf der Städte für die Zugangs- und Ausfallstraßen käme. Nach Abzug einiger Posten, die für die Anleihefinanzierung nicht geeignet sind, kommt die Studiengesellschaft für die Finanzierung des deutschen Straßenbaus auf eine Investitionssumme von 3,5 Milliarden RM. Im Jahre 1928 wurden 280 Mill. RM langfristig für Straßenbauten verwandt. Bei Fortsetzung der bisherigen Finanzierungsweise würde daher der errechnete Bedarf erst in etwa 13 Jahren befriedigt sein. Bei einer Abkürzung des Programms auf 8 Jahre müßten die jähr­lichen langfristigen Aufwendungen um 157,5 auf 437,5 Mill. RM ge­steigert werden, wie folgende Tabelle zeigt:

_______________________________

1)      Er erhält etwa das 7 fache des Quantums Abwasser, das er vertragen kann.

2)      Vgl. die Denkschrift der Studiengesellschaft für die Finanzierung des deutschen Straßenbaus, Berlin 1930.

 

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                        Gesamtaufwendungen                                  Gestaltung des ordentlichen Wegeetats

                   A) Unterhaltung                                                   Annuitäten für Ver-         (in Mill. RM)

                   B) Langlebige Investitionen                                   zinsung u. Amortisa-        Belastung des

                   C) Kurzlebige Investitionen                                   tion langlebiger                 ordentlichen

                   D) Gesamtaufwendungen für Straßenbau          Investitionen bei                Etats bei einem

                   E) Unterhaltung                                                   einem Zinssatz                  Zinssatz von

Jahr             F) Kurzlebige Investitionen                                  von

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

                      A          B          C          D            E         F          5 %       7 %        9 %       5 %        7 %         9 %

1930/31      298      437,5      125      860,5      298      125      35,1       41 3       47,9      458,1      464,3      470,9

1931/32      298      437,5      125      860,5      298      125      70,2       82,6       95,8      493,2      505,6      518,8

1932/33      298      437,5      125      860,5      298      125     105,3     123,9     134,7     528,3      546,9      566,7

1933/34      298      437,5      125      860,5      298      125     140,4     165,2     191,6     563,4      588,2      614,6

1934/35      298      437,5      125      860,5      298      125     175,5     206,5     239,5     598,3      629,5      662,5

1935/36      298      437,5      125      860,5      298      125     210,6     247,8     287,4     633,6      670,8      710,2

1936/37      298      437,5      125      860,5      298      125     245,7     289,1     335,3     668,7      712,1      758,3

1837/38      298      437,5      125      860,5      298      125     280,8     330,4     383,2     703,8      753,4      802,0

                               3,5 Mrd.  1Mrd.

 

            Ein solcher Ausbau des Straßensystems würde volkswirt­schaftlich eine überaus produktive Maßnahme sein, wenn sich auch privatwirtschaftlich seit Abschaffung der Wege­gelder für die Straßeneigentümer keine Rentabilität mehr errechnen läßt: Zunächst kann es keine produktivere Ausgabe geben, als die­jenige, durch die ein seit Jahrzehnten nur unvollkommen ausgenutztes Vermögen von 11 Milliarden RM (das alte Straßennetz) produktiv gestaltet wird. Dann aber ist im einzelnen zahlenmäßig nach­zuweisen, welche Ersparnis an Volksvermögen sich durch ein gutes Straßennetz erzielen läßt. Die Studiengesellschaft berechnet im einzelnen die Ersparnisse und ermittelt als Minderausgaben für Reifen, Kraftstoffe, Reparaturen und Abschreibungen, die sich für die Automobile bei Fahrt auf guten Straßen ergeben, nur für die nächsten 10 Jahre insgesamt auf 2500 Mill. RM, obwohl die Lebens­dauer der Anlagen das mehrfache betragen würde. Auch hier ist die Durchführung des Projekts bisher nur an den Schwierigkeiten der Beschaffung effektiver Kapitalbildung gescheitert, die nach unseren Ausführungen jedoch lösbar sind.

Wenn auch die Arbeitskraft der 2 - 3 Millionen Arbeitslosen groß ist, so sind doch die Möglichkeiten, diese Arbeitskraft zur Er­nährung der Arbeiter selbst und zur Erstellung von Kapitalgütern auszunutzen, so viele, daß in absehbarer Zeit von wirklichem Mangel an Betätigungsmöglichkeiten nicht gesprochen werden kann. Die Denkschrift über die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Reichs­regierung 1) führt z. B. folgende Positionen auf (S. 8 - 14):

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Reichstg. III.  1924/27.  Drucksache Nr. 2921.  Ausgegeben am 24. Jan 1927.

 

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Reichsbahn                                           Straßenbau

Reichspost                                            Meliorationen

Bau von Wasserstraßen                        Siedlung

Wohnungsbau                                       Exportförderung

Bau von Landarbeiterwohnungen          Exportkreditversicherung

Öffentliche Notstandsarbeiten   Reparationslieferungen.

 

Über die Finanzierung spricht diese Denkschrift von 17 Seiten Länge allerdings nur in einer Spalte: die Gelder sollen dem Steuer­aufkommen entnommen werden. Wir haben bereits gesehen, daß hierdurch eine Umwandlung der latenten Ersparnisse in effektive Kapitalbildung nicht bewirkt werden kann.

 

            Durch die hier vertretene Auffassung allein können die Mittel beschafft werden, die nötig sind, um die Arbeitslosen in Lohn und Brot zu setzen; gleichzeitig können mit den brachliegenden Kräften dieser Millionen-Armee, welche auf ihren Heerführer zu warten scheint, die erwähnten produktiven Werke größten Umfangs zum Nutzen Aller geschaffen werden.

 

            10. Beispiele aus der Geschichte und aus dem Auslande. — Dieser scheinbare Optimismus ist berechtigt, weil die deutsche Kreditorganisation vor dem Kriege schließlich gar nichts anderes geleistet hat, als das, was hier als neu erscheint. Die gewaltigen Industrien, die Großstädte, das Eisen­bahn- und Straßennetz, die damals in wenigen Jahrzehnten gebaut wurden, hätten nachweislich mit den eingezahlten Bankdepositen und dem bezahlten Effektenverkauf allein niemals finanziert werden können. Der antizipierte Emissionskredit war es, der unsere damals sehr liquiden Großbanken in die Lage versetzte, nicht nur privat­wirtschaftlich zukünftige Emissionserlöse zu realisieren, sondern gleich­zeitig volkswirtschaftlich latente Kapitalbildung zu effektivieren.

            Das Beispiel der Umgestaltung der Stadt Paris zur Zeit Napoleons III. ist schon erwähnt worden. Eine ähnlich erstaunliche Wirkung auf dem Arbeitsmarkt und die Kapitalbildung hat der Wiederaufbau der japanischen Hauptstadt Tokio nach der Zerstörung durch Erdbeben und Feuer im Jahre 1923 gehabt. Ein Überblick über die dortigen Leistungen wird in Japan Advertiser gegeben: Gebaut wurden bis 1929

 

            7 Brücken erster Klasse                                    3 neue Parks

        400 kleinere Brücken                                        117 neue Schulen

          52 Hauptstraßen ] in einer Länge von      203 000 neue Gebäude.
          73 Nebenstraßen]   22 engl. Meilen

 

    116   

 

            Die Zeitung berichtet über die Besichtigungsfahrt des Kaisers:

 

            "Eine Besichtigung der wieder aufgebauten Stadt erfordert einen halben Tag. An etwa einem halben Dutzend Orten machte der Kaiser halt, an denen sich ein besonders eindrucksvolles Bild bot. An der Halle der namenlosen Toten wurde der Opfer der Kata­strophe gedacht, wenige Minuten darauf der Neubau einer Schule besucht. Es war ein Bild, das wenige Herrscher in der Geschichte gesehen haben werden, eine neue Hauptstadt, die sich in sechs Jahren nach einer ungeheuren Katastrophe wieder erhoben hat. Es ist schwer zu bestimmen, was den größten Eindruck hervorrief, wenn das Bild als Ganzes so überwältigend ist. Die lange Fahrt längs des prächtigen Showadori, einer Hauptstraße, die jetzt die Stadt durchschneidet, wo früher ein Netzwerk von armseligen Straßen war, war das wirkungsvollste Beispiel des neuen Straßen­zuges. Diese breiten, vornehmen Straßen stehen in starkem Kon­trast zu den engen ungepflasterten Gäßchen des alten Tokio, ebenso wie die imposanten Brücken über den Sumida aus Eisen und weißem Granit zu den altmodischen engen Bauwerken der Ver­gangenheit einen erfreulichen Gegensatz darstellen. Der Wieder­aufbau Tokios hat 1600 Mill. gekostet: nicht nur die Bewohner der Hauptstadt selbst können stolz sein, sondern das ganze Land hat sich tatkräftig daran beteiligt. Das Gebiet, das von dem großen Erdbeben betroffen war, war etwa 25 Hektar groß, nahezu die Hälfte des Gesamtgebietes der Stadt. Es gibt in der Geschichte kein Beispiel, daß eine solche Riesenaufgabe nach einem so furcht­baren Erdbeben mit gleicher Schnelligkeit gelöst wurde. Für Schulbauten wurden 80 Mill. ausgegeben. Zugleich wurden auch die Wasserversorgung und die Kanalisation verbessert und noch andere Vorkehrungen getroffen, Tokio zu einer modernen idealen Stadt zu machen 1)."

 

            Es ist besonders bemerkenswert, daß Japan im Augenblick der Beendigung dieser großen Bauten, die größtenteils mit kurz­fristigem Kredit in Angriff genommen werden "mußten" (!), weil es an langfristigem Kapital gebrach, von einer sehr großen Arbeitslosigkeit heimgesucht worden ist. Die Zahl der Erwerbslosen ist dort im Jahre 1930 um mehr als 1 Million über das saisonübliche gestiegen. Wir erkennen leicht die Wurzel dieser Arbeitslosigkeit: Um den Wiederaufbau leisten zu können, um also Millionen von Händen für dieses große Werk freizumachen, mußte

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1)      Vgl. Vorwärts vom 28. Mai 1930.

 

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die japanische Wirtschaft so sehr rationalisiert werden, daß die übrigen Erwerbstätigen diese Arbeitskräfte miternähren konnten. Sobald die Wiederaufbauarbeiter entlassen wurden, sank der Be­schäftigungsgrad der übrigen Wirtschaft sehr stark, so daß die effektiven Ersparnisse, mit denen bisher die aufgelegten Anleihen gekauft worden waren, insoweit wegfielen. Es trat also nun "Kapitalmangel" ein, denn mit latenter Kapitalbildung konnte man keine Anleihen verkäuflich machen, wenn man sich nicht zu Vorschüssen entschloß. Die eingetretene Arbeitslosigkeit, die nichts als eine durch Entlassungen verursachte Deflation ist, beweist aber, daß man Antizipations-vorschüsse nicht oder nicht in genügendem Maße angewendet hat. Man war also der durch die Wiederaufbauarbeiten gestiegenen vergrößerten Kapazität der Industrie nicht gewachsen, wie man das heute in noch größerem Maße in den Vereinigten Staaten sieht. Würde ein neues Erdbeben einen gleichen Schaden anrichten, so würde man zum Handeln gezwungen werden: sofort würden Arbeit und Kapital für die Millionen Men­schen von neuem da sein.

Es ist nicht einzusehen, warum erst ein Erdbeben Zerstörungen anrichten muß, ehe man die vorhandenen Konsumgüter und Arbeitskräfte zur Schaffung nützlicher Werke verwenden kann; man kann die produktiven Kräfte der Nation zweifellos auch ohne Erdbeben zur Entfaltung bringen. Der hier gemachte Vorschlag geht daher eigentlich nur dahin, ähnliche große Bauten mit Hilfe der überschüssigen Menschen und Konsum­güter durchzuführen, ohne erst ein Erdbeben abzuwarten.

 

            11. Staatliche oder private Projekte. — Nachdem nunmehr klargestellt ist, daß es unter den gemachten Voraussetzungen an Projekten und produktiven Werken zur Beschäftigung der Arbeits­losen nicht fehlen wird, ist die zweite Frage zu beantworten, ob es nämlich der Staat oder die private Wirtschaft sein soll, die man mit der Durchführung der Arbeiten betrauen muß. Auf den um­fangreichen Meinungsstreit über das Für und Wider der staatlichen Wirtschaft braucht hier nicht eingegangen zu werden: Da es sich in diesem Kapitel nur um praktische Vorschläge für die Gegen­wart handelt, genügt es, den Standpunkt einzunehmen, auf den sich ein sozialdemokratischer Redner im Reichstag stellte: Die Beschäfti­gung von 2 - 3 Millionen Arbeitslosen durch den Staat würde Auf­wendungen von mindestens 6 Milliarden RM jährlich verlangen. Der Staat, d. h. das Reich oder die Länder, müßten sich also jähr­lich um diesen Betrag neu verschulden, d. h. der Reichsetat würde

 

    118   

 

um ca. 40 % gesteigert werden müssen. Ein derartiger Vorschlag kommt bei der heutigen Leere der öffentlichen Kassen überhaupt nicht in Frage; er scheidet aus der praktischen Diskussion aus. Es bleibt also nur übrig, die private Wirtschaft in einen solchen Zustand zu bringen, daß sie die Arbeitslosen ihrerseits auf­nehmen kann.

 

            Grundsätzlich ist noch zu bemerken, daß es keinen Unter­schied ausmacht, ob ein Arbeitgeber des öffentlichen oder des pri­vaten Rechts Arbeitskräfte anstellt, da dem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber volkswirtschaftlich keine andern Kapitalquellen zur Verfügung stehen, als dem privaten: die Kapitalbildung einschließ­lich des Teils, der vorläufig noch latent geblieben ist.

 

            12. Staatskredite oder Bankkredite. — Da der Staat heute in Deutschland kaum Kredit hat, kann er auch keinen geben. Damit ist die Frage schon teilweise beantwortet, ob der Staat oder die Banken heute die Kredite geben sollen, mit denen allein die Arbeits­losigkeit beseitigt werden kann.

 

            Nun handelt es sich allerdings um Antizipationsvorschüsse, zu deren Gewährung langfristige Mittel überhaupt nicht erforderlich sind. Die Quellen der Antizipationskredite sind die Notenemission der Reichsbank und die Giroguthaben in den verschiedenen Giro­netzen. Die Reichsbank z. B. könnte also theoretisch dem Reich große Geldsummen etwa in Banknoten zur Verfügung stellen, damit die Reichsbehörden mit diesem an Private zur Ankurbelung des Bauwesens Kredite geben könnten. Abgesehen davon, daß ein solches Kreditgeschäft der Reichsbank nicht gestattet sein würde, kommt eine solche Vermittlerrolle des Reichs praktisch wohl gar nicht in Frage. Soweit das Reich aber Spezialbanken für die Gewährung von Antizipationskrediten ins Leben ruft, könnte es diese Institute nur aus Steuermitteln speisen, wie das teilweise bei der Deutschen Bau- und Bodenbank A.-G. in Berlin der Fall ist. Dann aber kann deren Geschäftsumfang nur relativ gering sein, denn überschüssige Steuergelder für solche Zwecke sind nicht ver­fügbar.

 

            So kommen für die Gewährung von Antizipationskrediten praktisch nur die Banken, nicht aber der Staat in Frage.

 

            13. Banknotenumlauf und Giroguthaben. — Die Banken, ob sie nun in privater oder öffentlicher Rechtsform arbeiten, haben dieses Privileg der Gewährung von Antizipationskredit schon des-

 

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halb, weil sie vermöge des Notenumlaufs und der Giroguthaben über die Quellen der Antizipationskredite verfügen. Dazu kommt, daß in Deutschland die Großbanken sich von jeher der Pflege des antizipierten Emissionskredits besonders angenommen haben; daß sie ihn begründet und erfolgreich zu hoher Blüte geführt haben. Nur das Institut, das die Konten der Arbeitgeberkundschaft selbst führt, das die Verminderung von Lohngelderabhebungen bei Ratio­nalisierungen als erstes spürt und ein Lebensinteresse an der kapital­bildenden Kraft der Industrie hat, ist in der Lage, sachgemäß die Quellen des Notenumlaufs auszuschöpfen (durch Rückgriff auf die Reichsbank) 1). Bei denselben Depositengroßbanken, die die Anti­zipationskredite geben, wachsen auf den Konten der Depositäre alsbald die zusätzlichen Spardepositen empor, die einige Monate lang die Kreditorensumme erhöhen und die Banken instand setzen, die Antizipationskredite erheblich länger, als die 25 Tage, die der Warenumschlag und der Umsatzkredit normalerweise dauert 1), durchzuhalten. Diese erhöhten Depositen sind es dann auch, die mehr und mehr Anlage in Pfandbriefen, Obligationen und Aktien suchen, wenn das Zinsniveau niedrig genug ist. Solche Effekten sind aber größtenteils durch Vermittlung derselben Depositengroß­banken emittiert worden, denn in demselben Maße, wie die Deposi­täre ihre Depositen in Effekten umwandeln, müssen die Banken ihre Debitoren in Effekten verwandeln: den antizipierten Emissionskredit in Emissionen umgießen. Man kann beweisen, daß eine zusätz­liche Gewährung echter Umsatzvorschüsse in jedem verlangten Maße möglich und stets unschädlich ist 1); nach dem Gesagten gilt dasselbe von den echten Antizipationsvorschüssen: auch bei ihnen ist die Benutzung des Notenumlaufs und der elastischen Giroguthaben als Kreditquelle unbegrenzt möglich und sicher unschädlich. Un­begrenzt bedeutet dabei "innerhalb des Gebiets der echten Anti­zipationsvorschüsse", deren Grenzen schon erörtert waren.

 

            14. Verwendbare und unverwendbare Arbeitskräfte. — Wenn gesagt worden ist, daß sich durch ein derartiges Finan­zierungsprogramm alle Arbeitslosen beschäftigen lassen, so gilt das natürlich nur für die objektiv verwendbaren Arbeiter. Ein bestimmter Prozentsatz jeder Bevölkerungsschicht ist zur Arbeit nach heutigen Begriffen untauglich oder vermindert tauglich. Diese subjektive Arbeitslosigkeit ist schon in der Einleitung ausgeklammert

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1)      Vgl. die bevorstehende besondere Veröffentlichung des Verf. über "Banknoten­ausgabe und Arbeitslosigkeit." ("Die Arbeitslosigkeit als Problem des Umsatzkredits und der Zahlungsmittelversorgung." - J.Z.)

 

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worden: hier steht nur die objektive, nicht saisonmäßig bedingte Arbeitslosigkeit in Rede. Es ist auch nicht möglich, Arbeitsgelegenheit gerade in der branchenmäßigen Ver­teilung zu bieten, wie sie heute unter den Erwerbslosen zu finden ist; der fortlaufende Prozeß der Neuverteilung der Arbeitskräfte einer Nation, als den wir die Kapitalbildung erkannt haben, ver­langt vielmehr, daß ein Teil der Entlassenen seinen Beruf wechselt. Für die genügende Fachausbildung dieser zum Wechsel gezwungenen Arbeiter zu sorgen, ist Sache der Arbeitsämter und der Städte 1); diese Fürsorge kann hier nicht behandelt werden, wo nur die Schaffung von Arbeitsgelegenheit für die verwendbaren Kräfte in Rede steht.

 

            So schwer die Not der übrig bleibenden körperlich und geistig vermindert Tauglichen auch nach der Beseitigung der eigentlichen Arbeitslosigkeit noch bleiben wird, so muß doch gesagt werden: Wenn erst einmal die "wahre" Arbeitslosigkeit beseitigt ist, kann die besondere Fürsorge für diese kleine Minder­zahl, die in Deutschland vielleicht 300 000 Personen ausmachen wird, nicht mehr schwer sein. Alle Kräfte eines reichen Landes können sich dann auf dieses soziale Sonderproblem, das eigentlich außerhalb der Arbeitslosenfrage liegt, konzentrieren. Sache der Arbeitslosenversicherung muß es aber bleiben, Schutz gegen den Verdienstausfall bei vorübergender Entlassung, während der Stellungsuche und während der Fachausbildung zu einem neuen Beruf zu gewähren.

 

 

b) Die Voraussetzungen.

 

I. Die Senkung des Zinsniveaus.

 

            1. Rentabilität der Projekte und Zinsniveau. —Die erste und wichtigste Voraussetzung zur Durchführung dieses Finanzierungs­planes ist eine nachhaltige Senkung des Zinsniveaus. Ausreichende Antizipationskredite würde man auch bei hohem Zinsniveau geben können, allein man würde keine Schuldner finden, die bereit wären, bei hohen Zinslasten Kapitalgüter zu erbauen. Denn die Renta­bilität langlebiger Kapitalgüter hängt nicht in erster Linie von den Produktionskosten, sondern von der Zinsbelastung ab: Kostet  ein Bauwerk 100 000 RM,  und  ist  das Kapital ratenweise

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1)      Vgl. z. B. die vorbildlichen Maßnahmen der Stadt Düsseldorf, dargestellt in der Schrift "Brachliegende Arbeitskraft", hrsg. von der Stadtverwaltung. Düsseldorf 1927.

 

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unter Zuhilfenahme der ersparten Zinsen in 30 Jahren zu tilgen, so beträgt die jährliche Verpflichtung für Zinsen und Tilgung (Annuität)1)

                                                            bei    3 1/2 % Zinsen 2)            RM    5 437.13

                                                            bei  10       % Zinsen                 RM  10 607,92.

 

Die Wohnungsmieten müssen also bei einem Zinssatz von 10 % etwa doppelt so hoch sein, als bei einem Zinssatz von 3 1/2 %. Nun zeigt aber die Einkommenspyramide, daß nur die kleinen Einkommen, die für die Tragung kleiner Mieten in Frage kommen, in großer Zahl vertreten sind; die großen Einkommen, die man zur Ver­mietung teuerer Wohnungen braucht, sind dagegen selten. In viel schnellerem Maße, wie die Einkommen pro Kopf steigen, sinkt die Anzahl der Einkommensbezieher: das geht so weit, daß nach der Ein­kommensteuerstatistik im Jahre 1926 in Deutschland nur 308 373 Per­sonen vorhanden waren, deren Einkommen über 8000 RM betrug 3).

            Daraus geht hervor, daß die Nachfrage nach Kapital bei hohen Zinssätzen nur gering sein kann; sie wird bei hohen Zinssätzen fast immer so klein sein, daß die vorhandenen Arbeitslosen nicht beschäftigt werden können. Alle Versuche, trotz hohen Zinsniveaus etwa durch verlorene Zuschüsse des Reichs oder durch Zinsverbilligung zu Lasten des Etats eine Beschäftigung der Arbeiterschaft zu erreichen 4), müssen auf die Dauer fehlschlagen, denn die Summen, die zur Beschäftigung aller Arbeitslosen gebraucht werden, sind zu groß, als daß sie der Reichshaushalt tragen könnte.

 

            Solange das hohe Zinsniveau bestehen bleibt, sind die Mehr­zahl auch der besten Bauprojekte notwendig unrentabel. Die ge­samte hier begründete und ausgearbeitete Finanzierungs­aktion würde also aus Mangel an Objekten scheitern müssen, wenn es nicht gelingt, das Zinsniveau wirksam herabzusetzen.

 

            2. Ursachen der gegenwärtigen Höhe des Zinsniveaus. — Es mußte daher ein Verfahren gefunden werden, das eine Senkung des Zinsniveaus mit rein wirtschaftlichen Mitteln gestattet. Dazu war zunächst zu ermitteln, welches die Ursachen des hohen Landeszinsfußes sind, den wir seit Jahren in Deutschland beobachten. Der Hinweis auf den Kapitalmangel kann nicht ge-

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1)      Vgl. Spitzer, Tab. V, S. 268 und 292.

2)      Jährlich, postnumerando.

3)      Vgl. Deutsche Wirtschaftskunde, vom Stat. Reichsamt, 1930, S. 319.

4)      Z. B. durch billige Hauszinssteuerhypotheken.

 

 

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nügen, denn wir haben bei anhaltender "Kapitalknappheit" sehr verschiedene Zinssätze gehabt. Auch geht, wie erörtert, der von Cassel aufgebrachte Gedanke fehl, daß ein hoher Zinssatz einen besonderen Anreiz zur Kapitalbildung biete. (jz25) So wird man nicht umhin können, in unserer Abhängigkeit vom Zinsniveau des Auslandes die Ursache des hohen Landeszinssatzes zu erblicken. Unsere Handelsbilanz ist in den letzten Jahren vorwiegend passiv gewesen; zur Deckung des Saldos mußten wir Auslandskredite hereinnehmen. Dazu kamen die Reparationszahlungen, die wir ebenfalls durch Kredite des Auslands aufgebracht haben und schließ­lich die Kapitalflucht deutscher Steuerzahler, die 6 - 8 Milliarden RM betragen haben soll, und deren Objekt, das geflüchtete Kapital, vom Auslande wieder in Form von Anleihen in Deutschland in­vestiert werden mußte. So hat Deutschland heute eine Auslandsverschuldung von ca. 15 Milliarden, von denen etwa die Hälfte auf kurzfristige Kredite entfällt. Diese kurzfristigen Aus­landsgelder können jeden Tag oder jeden Monat ge­kündigt werden und müssen dann, da Devisen aus einem Export­überschuß nicht verfügbar sind, letzten Endes mit dem Golde der Reichsbank zurückgezahlt werden. Die für solche Transaktionen bereiten Gold- und Devisenbestände der Reichsbank sind aber sehr klein; wenn die Gold- und Devisenvorräte des Zentralinstituts auch im Jahre 1930 rund 3 Milliarden betrugen, so sind hiervon doch etwa 2 Milliarden als 40 % ige Notendeckung unentbehrlich und gebunden (jz26), so daß nur ein Kampffonds von 1 Milliarde RM übrig­bleibt. Selbst einschließlich der Devisenreserven der Großbanken stehen nur etwa 3 Milliarden an bereiten Mitteln zur Verteidigung der Zahlungsbilanz zur Verfügung, während die sofort fälligen Verpflichtungen sich auf über 7 Milliarden belaufen. Sein oder Nichtsein unserer Währung ist also ganz in die Hand der ausländischen Bankiers gelegt.

Wenn sie einheitlich kündigen, kann die Stabilität der Reichsmark mit gar keinen Mitteln aufrechterhalten werden; keine Kreditrestrik­tionen, keine wirtschaftlichen oder gewaltsamen Mittel können aus den vorhandenen 3 Milliarden die 7 machen, die nun einmal in Gold oder Devisen vorhanden sein müßten. Daß diese Gefahr nicht nur theoretisch, sondern sehr real über uns schwebt, haben die Vorgänge während der Pariser Konferenz (1929) gezeigt, als die Pariser Großbanken, die schon vor dem Kriege als die größten Geldgeber des Berliner Marktes bekannt waren, ihre deutschen Guthaben auf Veranlassung ihrer Regierung kündigten, was nicht (jz27)

 

 

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mehr als ihr gutes Recht war. Sinken der Notendeckung auf 40 %, scharfe Kreditrestriktionen und panikartige Zustände mit vermehrter Kapitalflucht und Arbeitslosigkeit waren die Folge 1).

 

            Diese fast sklavische Abhängigkeit unserer deutschen Währung vom Auslande ist die Grundtatsache des heutigen Zinsmarktes. Wir müssen nämlich, um eine Kündigung der Auslandsgelder zu vermeiden, unser Zinsniveau stets höher halten, als das des Auslandes; es muß ein Zinsgefälle von uns zum Auslande vor­handen sein, das in ruhigen Zeiten einen genügenden Anreiz für die ausländischen Geldgeber bietet. Daher ist jetzt auch die Auf­fassung herrschend geworden, es sei die Hauptaufgabe der Diskont­politik, dieses Zinsgefälle immer wieder herzustellen, obwohl dieser Gedanke der normalen Diskontpolitik eigentlich fern liegt.

            Schacht hat vor dem Enqueteausschuß 2) selbst mit aller Deutlich­keit auf diese Abhängigkeit hingewiesen und erklärt, daß die innerdeutschen Wirtschaftszustände auf das Zinsniveau fast ohne Einfluß sind, da unsere Zinssätze sich nach denen des Auslandes zu richten haben.

 

            3. Befreiung des deutschen Zinsniveaus von seiner Abhängigkeit vom Auslande. — Eine Senkung des Zinsniveaus im Inlande wäre bei Durchführung des geforderten Antizipationsprogramms wirtschaftlich durchaus berechtigt, denn die effektive Kapitalbildung würde sehr stark steigen, das Kapitalangebot also ein sehr großes werden. Wenn man sich vor Augen hält, daß auch sehr arme Länder 3) fast dauernd sehr niedrige Zinssätze von 2 - 5 % hatten, wenn sie nur über ein gutes Bankwesen verfügten, so kann man in der inländischen Wirtschaftslage keinen Grund er­kennen, warum das Zinsniveau die gegenwärtige Höhe, die durch das Zinsgefälle vom Auslande diktiert ist, beibehalten soll.

 

            Der Versuch, die Herrschaft dieses Zinsgefälles zu stürzen, ist nun keineswegs aussichtslos. Es ist bekannt, daß auch in der letzten Periode hoher Zinssätze (1927/28) einige Länder als "Inseln billigen Geldes" eine Ausnahmestellung einnahmen, und zwar insbesondere Schweden und Frankreich. Hier wurden Börsengelder mit 2 - 3 % ausgeliehen, die gleichzeitig in Deutschland, England,

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1)      Wie die Leichtfertigkeit des damaligen Reichsbankpräsidenten zu beurteilen ist, der diese Gefahr vorausgesehen haben mußte, und die zum mindesten erforderliche Übertragung der Gelder auf neutrale Plätze unterließ, ist hier nicht zu erörtern.

2)      Vgl. Die Reichsbank, a. a. O, S.  148, 149.

3)      Z. B. Schottland.

 

     124    

 

Spanien, Italien, Polen usw. 6 - 10 % und mehr kosteten. Das hatte seine Ursache darin, daß jene Länder keine kurzfristige Auslandsverschuldung hatten. Die Guthaben der Banken Frankreichs usw. im Auslande übertrafen die kurzfristige Auslands­verschuldung, es bestand also kein Zinsgefälle, das diese Währungen bedrohte. Infolgedessen hatten es diese Länder nicht nötig, ihr Zinsniveau über dem des Auslandes zu halten; sie konnten eine unabhängige Diskontpolitik machen und ihr Zinsniveau so einrichten, wie es ihre wirtschaftlichen Erfordernisse, insbesondere also das freie Spiel der inländischen Nachfrage und des inländischen Angebots an Kapital verlangten.

 

            4. Das Mittel dazu: Abstoßung der kurzfristigen Auslandsverschuldung.    Eine  solche  unabhängige  Diskontpolitik kann auch Deutschland führen, wenn es sich der drückenden kurzfristigen Auslandsverschuldung entledigt.

 

            Die kurzfristige Auslandsverschuldung hat, wie wir gesehen haben 1), ihre gegenwärtige Höhe nur erreichen können, weil den einzigen Schuldnern, die praktisch in Frage kamen, nämlich den Ländern und Kommunen, die Aufnahme von Auslandsanleihen seit 1927 verboten war. Denn eine andere Tätigkeit hat die sogenannte Anleihe-"Beratungsstelle" des Reichsfinanzministeriums und der Reichsbank nicht entfaltet: Sie hat das Zustandekommen von Aus­landsanleihen planmäßig verhindert. Die ungedeckten Salden der Zahlungsbilanz konnten nur deswegen zu einer solchen Höhe auflaufen, weil die Banken diese für sie unangenehmen Kreditoren nicht durch langfristige Anleihen der öffentlichen Körperschaften konsolidieren konnten. Wollen wir uns also der kurzfristigen Auslandsverschuldung entledigen, so müssen wir denselben Weg wieder rückwärts schreiten, der uns in diese Lage gebracht hat: Wir müssen die Anleiheberatungsstelle und mit ihr alle Er­schwernisse der Aufnahme langfristiger Auslandsanleihen beseitigen und zuerst einmal darangehen, die 7 Milliarden kurzfristige Schulden in langfristige Anleihen umzuwandeln.

 

            5. Die Überkompensierung der kurzfristigen Auslandsverschuldung durch aufzunehmende Anleihen. — Heute ist Deutsch­land in der Lage eines Industriellen, der seine Fabrik mit kurzfristigen Bankschulden erbaut hat und nun nicht nur in seiner Existenz von dem guten Willen der Bank abhängig ist, sondern

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1)      Vgl. oben S. 90, 91.

 

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auch sieht, daß die Bank ihm den Zinssatz diktiert, da er ohne sie nicht leben kann. Unsere Wirtschaftsführer gleichen Fabrikdirektoren, die in dieser Lage alles tun, um das Zustande­kommen einer langfristigen Anleihe zu verhindern. Ein tüchtiger Kaufmann versucht in solcher Lage mit allen Mitteln, eine Obli­gationenanleihe aufzunehmen, um aus deren Erlös die Bankschulden abzudecken und vielleicht sogar ein Guthaben bei der Bank zu unterhalten. Dann kann er der Bank den Zinssatz mehr oder weniger vorschreiben, denn wenn ihm die Bank seinen Willen nicht tut, zieht er sein Guthaben zurück und geht zu einer anderen Bank.

 

            Deutschland 1) muß also, um eine unabhängige Zinspolitik treiben zu können, nicht nur die vorhandenen Auslands­schulden durch Anleihen kompensieren, sondern dar­über hinaus noch weitere Anleihen aufnehmen, um mehr Guthaben im Auslande zu besitzen, als Schulden kurzfristiger Natur. Durch diese "Überkompensation der kurzfristigen Auslandsverschuldung", wie wir dies neue, bisher noch nicht diskutierte Verfahren nennen wollen, wird Deutschland von einem Schuldnerland zu einem Gläu­bigerland. Es beseitigt damit die Herrschaft des Zinsgefälles und erlangt die Freiheit, sein Zinsniveau so tief herabzusetzen, wie es zur Beschäftigung aller Arbeits-losen in den Kapitalgüterindustrien erforderlich ist. (jz28)

 

            Freilich hat man den besten Zeitpunkt zur Konsolidierung der schwebenden Auslandsschulden verpaßt, da inzwischen in dem wichtigsten Geldgeberlande eine schwere Krise ausgebrochen ist, die die Aufnahmefähigkeit der ausländischen Börsen für deutsche Anleihen stark vermindert hat. Man sollte aber annehmen, daß wohlvorbereitete Besprechungen etwa mit den am Anleihegeschäft besonders interessierten Auslandsbanken die Situation auch heute noch klären und bessern können, denn diese Banken kennen wahr­scheinlich die Verhältnisse im deutschen Bankwesen recht gut; ihr Vertrauen wird steigen, wenn sie sehen, daß eine Abkehr von der bisherigen Vogel-Strauß-Politik beabsichtigt ist. Den Auslandsbanken ist ja auch nicht damit gedient, Debitoren in Milliardenbeträgen zu besitzen, von denen jedermann weiß, daß sie im entscheidenden Falle aus Mangel an Gold und Devisen nicht bezahlt werden können. Sie werden eine Konsolidierung dieser schwebenden Schulden also nicht nur aus Gründen der Provisionseinnahme begrüßen.

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1)      D. h. die deutschen Gesellschaften, Firmen, Körperschaften usw.

 

     126    

 

            Wir haben bei der Behandlung der Kapitalflucht gesehen, daß die erleichterte Aufnahme von Auslandsanleihen schon deshalb notwendig ist, damit die deutsche Kapitalbildung, auch wenn sie den Weg ins Ausland genommen hat, der Beschäftigung derjenigen deutschen Erwerbslosen dienstbar gemacht werden kann, die eben durch diesen Kapitalbildungsvorgang ihre Stelle verloren hatten. Hier sehen wir, daß dieselbe Politik deswegen noch wichtiger ist, weil ohne sie das inländische Zinsniveau nicht herabgedrückt werden kann. Mit dieser Ermäßigung der Zinslasten steht und fällt aber jedes Programm zur Finanzierung der Arbeitsgelegenheit.

 

II. Die Umgestaltung des Großbankgeschäfts.

 

            1. Liquidität und Antizipation. — Die erste Voraussetzung zur Durchführung des Finanzierungsprogramms ist also die Senkung des deutschen Zinsniveaus.

Die zweite Voraussetzung ist eine sehr hohe Liquidität der deutschen Kreditbanken. Sie ist von ganz anderer Art: durch sie sollen nicht nur genügend Objekte und Arbeitsmöglichkeiten gefunden werden, wie durch die Zinssenkung; durch sie soll vielmehr die gefahrlose Gewährung so umfangreicher Antizipationskredite, wie sie hier nötig sind, erst ermöglicht werden.

 

            Wir hatten zwei Begriffe der Antizipation unter­schieden: Den (unechten) antizipierten Emissionskredit als kredit­technisches Verfahren, und die echte Antizipation von Volkserspar­nissen als volkswirtschaftlichen Vorgang. Wir hatten gesehen, daß man jenes banktechnische Verfahren bei der Ausleihung schon als Depositen eingezahlter effektiver Ersparnisse ebensowohl an­wenden kann, wie bei der Vorschußgewährung aus der Quelle der Noten- und Giromittel, ohne Vorhandensein ausreichender Depositen. Nur die letztere Anwendung des kredittechnischen Verfahrens der "antizipierten Emissionskredite" hatten wir die "Antizipation von Ersparnissen" genannt; nur durch sie wird der latente Kapital­bildungsvorgang vollendet.

 

Die Banken dürfen nun, wie Adolf Weber 1) nachgewiesen hat, antizipative Kredite aller Art keineswegs unbegrenzt gewähren, wenn sie nicht ihre Liquidität und Sicherheit ernstlich ge­fährden wollen. Sie dürfen solche Kredite etwa nur bis zur Hälfte ihres Eigenkapitals ausgeben, wenn sie sicher gehen wollen, da sie mindestens privatwirtschaftlich mit dem Einfrieren solcher Debitoren rechnen müssen. Sie dürfen sich nur soweit in

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1)      Vgl. das grundlegende Werk "Depositenbanken und Spekulationsbanken" a. a. O.

 

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dieses riskantere "irreguläre" Geschäft einlassen, daß auch ein etwaiger Totalverlust ihren Bestand nicht gefährden kann.

 

            Diese äußerste Grenze ist nun bei den Banken schon seit langem überschritten, denn sie haben unbewegliche Industriekredite größten Ausmaßes unter ihren Debitoren. Wir haben gesehen, daß der Umfang der Debitoren heute 2 - 3 mal so groß ist, wie vor dem Kriege, ohne daß sich die Anlagemöglichkeit, also der volkswirtschaftliche Güter­umschlag, vermehrt hat. Wir haben nachgewiesen, daß die Banken seit der Unterdrückung der Börsentätigkeit diese illiquiden Industrie­kredite, die sich in Milliardenbeträgen unter den Debitoren befinden müssen, nicht mehr an die Börse abstoßen konnten. Wir konnten daraus den Schluß ziehen, daß mehr als 7 Milliarden RM echter Spardepositen in Gestalt des antizipierten Emissionskredits aus­geliehen und illiquide geworden sind. Der unechte antizipierte Emissionskredit ist also heute schon so überspannt, daß für die echte Vorschußgewährung über das Maß der Bankdepositen hinaus nichts übrig bleibt. Die echte Antizipation von Ersparnissen ist gegenwärtig nicht möglich, weil die Banken schon durch die falsche Ausleihung der vorhandenen Ersparnisse illiquide geworden sind.

 

            Da die Banken aus Liquiditätsgründen immer nur einen sehr geringen Spielraum für die Gewährung volks-wirtschaftlicher Anti­zipationskredite haben, müssen sie diesen geringen Kreditspielraum voll und ganz für den echten Antizipationskredit auf­heben. Sonst versagen sie im echten Antizipationskredit, weil sie sich im unechten übernommen haben. Die Bankentätigkeit ist also auch hier wieder für die Lösung der Arbeitslosenfrage von größter Bedeutung; nur wenn die Banken auf höchste Liquidität bedacht sind, gewinnen sie diejenige Schlagkraft, welche zur Überführung der rationalisierten Arbeitskräfte in neue Tätigkeiten erforderlich ist. So ist höchste Liquidität der Banken die Voraussetzung wirk­samer Antizipationskredite und wirksamer Kapitalbildung.

 

            2. Frankreich als Beispiel: Ein Land ohne Arbeitslosigkeit. — Hier ist das Vorbild des französischen Bankwesens beachtlich: In Frankreich gibt es keine Sparkassen und öffentlich-rechtlichen Banken mit kurzfristigem Geschäft, die Depositen konzentrieren sich also viel mehr, als in Deutschland, bei den vier Depositengroß­banken 1). Und trotzdem belaufen sich die Depositen insgesamt

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1)      Crédit Lyonnais, Comptoir National, Société Générale, Crédit Commercial.

 

    128   

 

nur auf rund 5 1/2 Milliarden RM 1), das ist unter Berück­sichtigung der gesunkenen Kaufkraft des Geldes weniger, als vor dem Kriege, aber auch noch nicht einmal halb soviel, wie der Depositenbestand der deutschen Banken für kurzfristigen Kredit, selbst wenn man die geringere Bevölkerungszahl veranschlagt. Die französischen Großbanken müssen demnach ihre Ausleihungen tatsächlich auf die Finanzierung des Güterumschlages beschränkt haben; sie erfreuen sich einer glänzenden Liquidität 2) und haben ihre gesamte Stoßkraft verfügbar, wenn es heißt, über das Maß ihrer Depositen hinaus echte antizipierte Kredite zu geben. Hier liegt wahrscheinlich die Wurzel des erstaunlichen Phäno­mens, daß Frankreich unter den großen Industrieländern der Welt das einzigste ist, das von Arbeitslosigkeit bisher verschont geblieben ist 3).

 

            Dieser für unsere Begriffe niedrige Depositenbestand erklärt sich daraus, daß man in Frankreich schon vor Jahren durch umfangreiche Anleiheaufnahme die Abhängigkeit von ausländischem Zinsniveau abgeschüttelt hat, daß man das Zinsniveau stärkstens gesenkt hat und daß heute wie vor dem Kriege von den französischen Großbanken praktisch keine Zinsen vergütet werden. Denn wenn selbst hier und da 1/2 - 1 % Kredit­zinsen gezahlt werden, so werden doch stets am Ende des Halb­jahres so viel Provisionen und Spesen belastet, daß die Konten als praktisch zinslos angesehen werden können. In Frankreich ist also jeder Sparer gezwungen, Pfandbriefe und andere Effekten zu kaufen, wenn er Zinsertrag von seinen Ersparnissen zu haben wünscht. Die "Überversorgung des Geldmarktes auf Kosten des Kapital­marktes", von der wir im 3. Kapitel, unter b gesprochen haben, ist also in Frankreich nicht vorhanden: Wer überhaupt Zinsertrag haben will, muß sein Bankguthaben in Effekten ver­wandeln 4), daher sind die gesamten Bankdepositen des Landes nicht größer, als der Bedarf an echtem Umschlagskredit. Alle echten Ersparnisse werden  zwangsläufig  in Effekten

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1)      Am 31. Dezember 1928 34,445 Mill. Fr., am 31. Dezember 1929 32,905 Mill. Fr.

2)      Vgl. M. Grinberg-Paris, Der franz. Goldmarkt seit der Frankenstabilisation, Bankwissenschaft 1930,  S. 230, sowie das Werk von Ehrensperger.

3)      Große  französische Industriegesellschaften  klagen  in  ihren Geschäftsberichten, daß sie leider den vorliegenden Auftragsbestand nicht erledigen können, da keine Arbeiter erhältlich sind! (z. B. Acièries de Longwy 1928).

4)      E. Kaufmann a. a. O. berichtet, daß die französischen Sparkassen vor dem Kriege gehalten waren, alle Sparguthaben, die 10 000 Fr. überschritten, auch ohne Ein­willigung des Inhabers in Effekten umzuwandeln.

 

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angelegt, so daß ein großes Angebot echten Sparkapitals be­merkbar ist. Die Hauptsache scheint uns aber zu sein, daß solcher­maßen eine vorzügliche Bankenliquidität gesichert ist, die den Kreditinstituten bezüglich des Antizipationskredits eine Stoßkraft verleiht, wie wir sie an unseren deut­schen Banken nicht mehr beobachten können.

 

            3. Rückkehr zur Arbeitsteilung zwischen Sparkassen und Banken. — Das Beispiel Frankreichs zeigt, daß eine Senkung des Zinsniveaus sich nicht nur in den Gewinn- und Verlustrechnungen der Banken bemerkbar macht, sondern geradezu revolutionäre Wirkungen auf das Geschäft der Großbanken und der Sparkassen ausüben muß. Es ist nötig, klar vorherzusehen, welches diese indirekten Wirkungen sein werden, und alles zu tun, um die un­umgängliche notwendige "Umgestaltung des Großbankgeschäfts " zu beherrschen und nicht von ihr überrannt werden.

 

            Bei der Senkung des Zinsniveaus kommt der Senkung des Diskontsatzes nur symptomatische Bedeutung zu. Wir sehen heute wieder klar, daß Diskontsenkungen ihre Wirkungen verfehlen, wenn sie nicht von einer Ermäßigung des Habenzinssatzes 1) im Depositen- und Spargeschäft begleitet sind. Die Habenzinssätze sind der wich­tigste Selbstkostenfaktor im Bankgewerbe, sie sind daher entscheidend für die Debetzinssätze, d. h. für die Bedingungen, die man den Schuldnern auferlegen muß. Wir sehen heute, daß die Banken ihre Habenzinsen nicht weiter ermäßigen können, weil die Spar­kassen sich weigern, ihre Zinssätze zu verringern.

 

            Das hat seinen guten Grund. Es ist notwendig, sich den grundsätzlichen Unterschied zwischen Banken und Sparkassen in Deutschland zu vergegenwärtigen, wenn man die zukünftige Entwicklung des Zinsniveaus richtig beurteilen will: Die Banken beschäftigen auch heute noch mehr als die Hälfte ihrer Mittel im echten Umsatzkredit, die Sparkassen nur etwa 15 %; die Sparkassen pflegen das langfristige Anlagegeschäft (Effekten, Hypotheken, Kommunaldarlehen usw.) mit rund 85 % ihrer Mittel, die Banken gar nicht (dagegen haben die Banken die kleinere Hälfte ihrer Mittel in industriellen Anlagekrediten 2) festgelegt). Ein Institut kann schwerlich auf die Dauer beide Kreditarten zugleich pflegen: Im Anlagekreditgeschäft verlangen die Sparer hohe Zinsen, wie man sie nur zahlen kann, wenn man sehr

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1)      Der auf Depositen vergütet wird.

2)      Wiewohl in der Form kurzfristiger Kontokorrentvorschüsse.
           

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niedrige Unkosten hat und sich mit einer sehr kleinen Marge be­gnügt, sonst ziehen die Sparer ihre Guthaben zurück und kaufen sich selbst Pfandbriefe und Hypotheken. — Das Umsatzkredit­geschäft dagegen verursacht sehr viel Mühe und Kosten, ver­langt also eine höhere Zinsmarge, als sie im Anlagekreditgeschäft erzielbar ist. Auch tritt beim Umsatzkredit ein starker Konkurrent auf: die Zentralnotenbank, die ja auch direkt mit der Kundschaft verkehrt und sehr billig sein kann, weil sie auf ihren Notenumlauf gar keine Zinsen zu zahlen hat. Ein Institut, das in der Kredit­gewährung mit der Reichsbank konkurrenzfähig sein will, kann unmöglich gleichzeitig hohe Zinsen für seine Gelder bezahlen, wie eine Sparkasse. Die Sparkasse ist auf ihrem Gebiet überlegen, weil sie dem Sparer die höheren Zinsen zu bieten vermag, aber nur solange, wie sie auf das mühevolle und niedrig verzinsliche Kontokorrentgeschäft verzichtet; die Bank ist im Umsatzkredit überlegen, weil sie für ihre Gelder wenig oder gar keine Zinsen zahlt und daher billiger sein kann als die Sparkasse. (jz29)

 

            Wenn also heute die Sparkassen sich weigern, ihre Einlagen­zinssätze herabzusetzen, so handeln sie richtig, weil sie damit nur die Stärke ihrer Position im Anlagekreditgeschäft betonen. Die Banken können auf diesem Gebiet nicht mit ihnen konkurrieren; versuchen sie es trotzdem, so müßten sie ihren Schuldnern so hohe Debetzinsen belasten, daß sie ihre Debitoren-Kundschaft verlieren. Vielmehr müssen die Großbanken das Gebiet pflegen, auf dem sie den Sparkassen überlegen sind: sie müssen den Umsatzkredit so verbilligen und dabei auch den Kleinkredit so pflegen, daß sie das kurzfristige Geschäft der Sparkassen erhalten. Wenn die kurzfristigen Sparkassendebitoren zu den Groß­banken abwandern, weil sie hier billiger bedient werden, so muß das den Großbanken ein Äquivalent für das verlorene Spar- und Anlagenkreditgeschäft sein, in dem die Sparkassen ihnen über­legen sind.

 

            Dies System war vor dem Kriege verwirklicht: Es ist kein Zufall, daß die Sparkassen vor dem Kriege 97 % ihrer Mittel lang­fristig anlegten und die übrigen 3 % in Kasse und Bankguthaben. Die Sparkassen wußten, daß sie bei den hohen Zinsen, die sie ver­güteten, im Umsatzkredit nicht konkurrenzfähig waren. Während der Inflation haben die Sparkassen ein ausgedehntes Umsatzkredit­geschäft aufgebaut; ob dieser Geschäftszweig bei richtiger Kosten­verteilung heute noch rentabel ist, ob er nicht vielmehr auf Kosten des Anlagekreditgeschäfts, also der Sparer und der Kommunen, künst-

 

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lich erhalten wird, mag dahingestellt sein; denn unter dem bisherigen System überhoher Diskontsätze mag dieser Kreditzweig auch bei den Sparkassen noch rentabel gewesen sein. Sobald die bis­herige künstliche Diskontpolitik aber fällt, wird sich das bankmäßige Geschäft der Sparkassen auf die Dauer nicht mehr halten lassen. Wir werden dann zu der Arbeitsteilung zwischen Großbanken und Sparkassen zurückkehren müssen, die wir vor dem Kriege hatten, nicht veranlaßt durch Resolutionen und Kampf der Interessenten, sondern gezwungen durch das Rentabilitätsgesetz. Diese Konse­quenz einer weitschauenden Zinssenkungspolitik muß schon heute ins Auge gefaßt werden, wenn die Stellung der Kreditinstitute im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit richtig beurteilt werden soll.

 

            4. Die Halbierung der Bilanzsummen bei den Großbanken. — Wir müssen also damit rechnen, daß die Sparkassen ihre hohen Einlagenzinssätze auch in Zukunft aufrechterhalten und dadurch einen Teil der Großbankkreditoren an sich heranziehen, während zugleich die Reichsbank mit ihrem billigen Diskontsatz auf die Großbanken drückt und sie erfolgreich zur Senkung ihrer Debet- und Kreditzinsen nötigt. Die Großbanken würden damit nur solche Kreditoren verlieren, die sie zur Umsatzfinanzierung gar nicht ge­brauchen; sie können diesen Geschäftszweig zur Not opfern, während sie das Umsatzkreditgeschäft niemals aufgeben können.

Diese Konstellation läßt den Schluß zu, daß die von der Reichsbank zu betreibende Zinssenkungsaktion nicht durch die Sparkassen auf­gehalten werden kann, daß sie sich vielmehr durchsetzen wird.

 

            Welches sind nun die Folgen dieser projektierten Zinssenkung für das Geschäft der Großbanken?

 

            (a) Zuerst würden die Depositen etwa auf die Hälfte ihres heutigen Bestandes sinken müssen, da für mehr keine Beschäftigung im Umsatzkredit zu finden ist. Weil die gesamte hier geforderte Entwicklung eingeleitet sein muß durch die Abstoßung der Aus­landskreditoren der Banken 1), so würden sich die Hauptveränderungen hier vollziehen. In dem Maße, wie die Länder und Kommunen Auslandsanleihen aufnehmen, können sie Bankschulden zurückzahlen. Die Ausleihungen der Banken sinken also im gleichen Schritt mit den Auslandskreditoren. Die Banken werden nicht in Ungelegenheiten gebracht, sondern erhalten Debitoren zurückgezahlt und zahlen damit selbst Kreditoren zurück.

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1)      Vgl. S. 124.

 

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            Nur sind es allerdings zum großen Teil nicht die Banken, sondern die Sparkassen, die Kredite an Länder und Kommunen gegeben haben. Sie erhalten diese Kredite zurückgezahlt, ohne daß sich ihre Kreditoren vermindern, da sie keine Auslandsgelder herein­genommen haben. Hier vollzieht sich der Ausgleich auf andere Weise:

Die Sparkassen müssen die zurückgezahlten Mittel beschäftigen, sie werden daher Wertpapiere kaufen bzw. Hypotheken erwerben. Beides bedeutet aber nur, daß sie die eingefrorenen Bankdebitoren erwerben. So fließt also auch hier der Erlös der Auslandsanleihen schließlich den Großbanken zu; Debitoren werden zurückgezahlt, so daß die Auslandskreditoren zurückgezahlt werden können.

 

            (b) Wenn die heute etwa 6 Milliarden betragenden Auslandskreditoren der Großbanken zurückgezahlt sind, so werden  auch die etwa 2 Milliarden RM ausmachenden Devisenreserven ent­behrlich, die die Großbanken bisher halten mußten 1). Schon daraus ergibt sich eine weitere erhebliche Verminderung der Debitoren.

 

            (c) Von den inländischen Kreditoren würde bei scharfer Zinssenkung zweifellos ein Teil zu den Sparkassen abströmen. Ein  größerer Teil würde vermutlich, wenn die Banken einigermaßen tüchtig sind, in Pfandbriefe, Staatsanleihen, Industrieobligationen und Aktien investiert werden. Man muß sich dabei vorstellen, daß Sinken des Landeszinsfußes Hausse an der Börse bedeutet. Fortgesetztes Steigen der Börsenkurse bis vielleicht auf das Doppelte würde den Depositären die Anlage in Wertpapieren überaus verlockend erscheinen lassen. Die Banken würden dabei reichlich an Provisionen und Bonifikationen verdienen: rechnet man, daß nur 2 Milliarden in neue Emissionen von Pfandbriefen, Aktien usw. investiert werden, und rechnet man nur 2 % Bonifikation, ohne alle Konsortialgewinne, so kommt man allein auf 40 Mill. RM Bonifikationseinnahme als Ersatz für die entgehenden Zinsen. Überhaupt würden die Gewinne aus dem Effektengeschäft in weitem Maße an die Stelle der Zinsgewinne treten, wie das auch vor dem Kriege üblich war, sodaß sich die Banken wahr­scheinlich nicht schlecht stehen würden.

 

            (d) Diese Konvertierung von Depositen in Effekten würde nichts anderes bedeuten, als die Abstoßung  weiterer ein­gefrorener Debitoren. Die Großbanken produzieren diese Effekten selbst, indem sie ihre industrielle Kundschaft veranlassen,

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1)      Diese Guthaben bei ausländischen Banken waren ohnehin nur durchlaufende Posten, da die ausländischen Banken diese Gelder an einer anderen Stelle ihres Haupt­buches wieder an dieselben deutschen Banken ausgeliehen hatten.

 

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Anleihen aufzunehmen, oder ihr Kapital zu erhöhen. Aus dem Erlös solcher Emissionen werden die Bankschulden abgedeckt, während gleichzeitig die Depositäre vermittels des Netzes von Depositenkassen veranlaßt werden, mit ihren Depositen solche Wertpapiere zu erwerben.

 

            5. Annahme langfristiger Gelder und Anlage in Effekten. — Schließlich ist noch zu überlegen, ob nicht auch die deutschen Großbanken dem Beispiel der englischen und schweizerischen Großbanken folgen und sich offiziell mit dem langfristigen Ge­schäft befassen sollen. Sie könnten z. B. langfristige Depositen gegen Sparbücher oder Bankobligationen 1) hereinnehmen und mit diesen langfristige Industriekredite gewähren 2), die besonders in der Bilanz ersichtlich gemacht werden müßten. Oder sie könnten dafür Effekten, insbesondere Staatspapiere, Industrieobligationen und Pfandbriefe erwerben 3). Dieses Problem kann hier nur auf­geworfen, nicht aber gelöst werden.

 

            6. Die  Illiquidität der Großbanken als internationales Problem.     Der übermäßige Zustrom fremder Gelder, und damit die verschlechterte Liquidität der Banken, die unserer Ansicht nach eine der Wurzeln der Arbeitslosigkeit ist, ist nicht nur ein deutsches, sondern ein internationales Problem. Für Eng­land hat McKenna, der Präsident der Midland Bank, im Jahre 1927in seiner bekannten Generalversammlungsrede ausdrücklich auf diese Fragen hingewiesen 4). Die  größten Ausmaße haben diese Nachkriegs-Schwierigkeiten aber in den Vereinigten Staaten angenommen, so daß es sich verlohnt, dieses warnende Beispiel kurz zu behandeln.

 

            Die gesamten Mittel der Banken in den Vereinigten Staaten betrugen im Jahre 1914 (30. Juni) 20 789 Mill. Dollar, im Jahre 1928 (31. Dezember) aber 58 266 Mill. Dollar. Auf  den  ersten Blick ist klar, daß so enorme Mittel unmöglich in Umsatzkrediten angelegt werden können. (jz30) So ist denn auch ein großer und wachsender Teil der Gelder von den Banken in Effekten angelegt worden:

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1)      In der Schweiz üblich.

2)      Wie im Falle der Amerikaanleihen der D-D-Bank und der Commerz- und Privatbank.

3)      In England üblich, vgl. oben S.79.

4)      Abgedruckt in Post-War Banking Policy von McKenna, S. 118.

 

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Anlagen der amerikanischen Banken in Millionen Dollar 1):

 

                                                Kredite 2)        Effekten 3)       Zusammen

            1914 (30. Juni)             15 248              5 541             20 789

            1921        "                   28 970             11 029             39 999

            1928        "                   39 464             17 801             57 265

            (davon Member Banks 24 303             10 758             35 061)

 

Eine Spezifikation der Posten "Kredite" und "Effekten" für alle Banken der Vereinigten Staaten ist nicht erhältlich; wir müssen uns daher mit der Spezifikation der Mitgliedsbanken des Federal Reserve Systems (Member Banks) begnügen.

            Diese ergibt folgendes Bild:

 

Zusammensetzung der "Effektenanlagen" der Mitgliedsbanken am 30. Juni 1928

            (in Millionen Dollar 4) ):

 

            USA.-Staatspapiere                                                        4225

            USA.-Länder- und Kommunalanleihen                             1367

            Sonstige Obligationen                                                      3512

            Bundes-Reserve-Bank-Aktien                                           142

            Andere Aktien                                                                   407

            Sonstige inländische Wertpapiere            378                10 032

            Ausländische Wertpapiere                                                  726

                                                                        Insgesamt         10 758

 

Zur Erläuterung diene, daß der gesamte Kurswert aller an der New Yorker Börse gehandelten Papiere Ende Juni 1930 64 Milliarden Dollar betrug. Hiervon befand sich also, wenn man alle Banken betrachtet, etwa ein Viertel im direkten Eigentum der Banken (17 801 Mill. Dollar)! Hierzu kommt der indirekte Effektenbesitz:

 

            Zusammensetzung der "Kredite" der Mitgliedsbanken am 30. Juni 1928

            (in Millionen Dollar) 5):

 

            1. Gegen Unterpfand an Effekten:

                        a) Beleihung von USA.-Staatspapieren                              178

                        b) Beleihung von anderen Aktien und Obligationen        8 890                 9 068

 

            2. Sonstige Kredite:

                        a) gegen Verpfändung von Grundstücken:

                            landwirtschaftliche Beleihungen                                      444

                            andere Beleihungen                                                     2 623

                                                                                                              3 068

                        b) anderweitig gesichert und ungesichert                        12 167             15 235

                                                                        Insgesamt                                             24 303

_______________________________

1)      1) Vgl.   Annual  Report   of   the  Federal  Reserve  Board,   1928,   S. 111 ("All Banks" No. 44).

2)      Loans.

3)      Investments.

4)      Vgl. Annual Report, 1928, S. 119, No. 53.

5)      Ebenda, S.  118, No. 52.

 

   135  

 

Hiernach sind sogar von den "Kreditoren" die Hälfte in Effekten­lombards und Hypotheken festgelegt. Von den gesamten 35 Milli­arden Dollar Mitteln der Mitgliedsbanken waren im Jahre 1928 illiquide festgelegt:

 

            in Effekten                                10 758 Mill. Dollar

            in Lombards und Reports            9 068     "        "

            in Hypotheken                            3 068     "        "

                                    Insgesamt         22 894 Mill. Dollar

 

das sind mehr als 65 %. Damit ist nicht die privatwirtschaftliche Liquidität gemeint, die vielleicht noch ausreichend ist, sondern die gekennzeichnete Fähigkeit, im volkswirtschaftlichen Sinne für die Beschäftigung der Millionenarmee von Arbeitslosen zu sorgen. Jene kann nicht vorhanden sein, wenn die Banken eines Landes einen so hohen Prozentsatz ihrer fast ausschließlich kurzfristig fälligen Depositen in illiquider Weise angelegt haben 1).

Es ist klar, daß Banken, die in solcher Weise "vollgestopft" sind mit effektiv lang­fristigen Krediten aus kurzfristigen Mitteln, keine Neigung mehr haben können, diese Kreditgewährung auszudehnen, um der Wirt­schaft zu Hilfe zu kommen und den Erwerbslosen Arbeit zu beschaffen.

           

            Die Bedeutung der Lage der Banken für die Konjunktur­belebung und die Arbeitslosigkeit scheint auch in den Vereinigten Staaten langsam erkannt zu werden: B. M. Anderson, der Volks­wirtschaftler der Chase National Bank in New York 2), des größten Bankinstituts der Welt, hat Ende Juni 1930 anläßlich einer Bankiertagung Zeitungsmeldungen zufolge 3) die Aufmerksamkeit der Öffent­lichkeit auf eine seiner Ansicht nach höchst gefährliche Entwick­lungstendenz im amerikanischen Bankwesen gelenkt. Nach Ansicht des Redners            

"haben die amerikanischen Banken ihre Anlagen an den Effektenmärkten, womit sowohl der eigene Effektenbesitz der Banken, als auch die Effektenbeleihungen gemeint sind, besonders in der letzten Zeit            in einer Weise gesteigert, die zu ernsten Bedenken Veranlassung gibt. Der Anteil der Effektenanlagen und Effektenbeleihungen ist bei rund 600 Mitgliedsbanken des Bundesreservesystems in den Jahren 1921- 1929 von 46 auf 60 % der gesamten Ausleihungen und Investitionen gestiegen und

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1)      Die Depositen betrugen am 31. Dezember 1927  36 669 Mill. Dollar; wenn sich darunter auch 12 764 Mill. Dollar "Time deposits" befanden, so  handelt es sich doch hier um eine Kündigungsfrist von  einem oder wenigen Monaten, nicht aber um langfristige Gelder.

2)      Morgan-Konzern.

3)      In den Berliner Blättern vom 7. Juli 1930.

 

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            hat sich in den ersten fünf Monaten dieses Jahres weiter auf etwas über 63 % erhöht. Diese Entwicklung            ist, wenn sie auch in Zeiten der Hochkonjunktur unbedenklich erschien, im gegenwärtigen Stadium der             Wirtschaftsdepression unbedingt als gefährlich zu bezeichnen. Der Redner weist darauf hin, daß die Ban-           ken bei dem ersten An­zeichen einer Konjunkturbelebung einem starken Kreditansturm seitens der    Industrie und des Handels ausgesetzt sein werden. Um diesen großen Kreditbedarf dann befriedigen zu      können, werden sie zwangsläufig den Effektenmärkten beträchtliche Mittel entziehen müssen. Es ist     vorauszusehen, daß diese Umschichtung an der Entwicklung der Effektenmärkte nicht spurlos vorbei-           gehen werde. Ein Rückschlag an den Effektenmärkten zu einer Zeit, zu der sich eine Konjunkturbele-         bung anbahnen will, würde jedoch der Wirt­schaft neue Schwierigkeiten in den Weg legen."

 

            Man findet also drüben dieselbe Problematik, wie hier. Die Lage der amerikanischen Banken ist aber eine noch unangenehmere, als die der deutschen Institute: Die amerikanischen Banken haben fast zwei Drittel ihrer Depositen illiquide angelegt, die deutschen Banken nur etwa die Hälfte. Die amerikanischen Banken haben vor-wiegend Effekten gekauft, an denen sie hohe Kursverluste er­leiden können, während die deutschen Banken eingefrorene In­dustrie- und Kommunalkredite haben, bei denen wenigstens Kurs­rückgänge ausgeschlossen sind.

 

            Wie gefährlich derartige Kursrückgänge für Depositenbanken sind, zeigt ein Blick auf die Entwicklung des Zins- und des Kurs­niveaus in den letzten 100 Jahren: Die 3 %ige französische Staats­rente von 1825 (Perpétuelle) notierte

                                    1825    (höchst)              76,35

                                    1830    (niedr.)               55,95

                                    1840    (höchst)              86,65

                                    1848    (niedr.)               32,50

                                    1892    (höchst)            100,70

                                    1897    (höchst)            105,25

                                    1924    (niedr.)               48,00

 

Die Kursschwankungen sind also auch bei sichersten Papieren sehr groß. Bei steigendem Zinssatz müssen die Verluste an Effekten­anlagen daher für die Depositenbanken eines Landes bald un­erträglich werden 1). Dies ist ein weiterer Grund, warum das Zins­niveau so eingerichtet werden muß, daß alle irgendwie entbehr­lichen, also im Grunde langfristigen Depositen der besseren Rente wegen von den Sparern direkt in Effekten angelegt werden sollen. Nur so fließt alles verfügbare Kapital ohne Umwege der Pro­duktion von  Kapitalgütern zu, nur so wird das Kursrisiko  den

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1)      Vgl. die Kursverluste der deutschen Sparkassen in dem Jahrzehnt vor dem Kriege.

 

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Sparern selbst aufgebürdet und dadurch die Liquidität und Aktions­fähigkeit der Banken auch in Krisenzeiten gewährleistet.

            So kann die amerikanische Arbeitslosigkeit, soweit sie durch diese Störungen verursacht ist, auch nur dadurch beseitigt werden, daß die Banken ihre Bilanzsummen halbieren und sich liquide machen. Die Bevölkerung muß also auch in Amerika viel mehr daran gewöhnt werden, daß Bankdepositen nicht notwendig Zinsen bringen, und daß man selbst Wertpapiere kaufen muß, wenn man auf Zinsgenuß Wert legt.

 

 

 

 

c) Die Hilfsmaßnahmen:

 

            1. Popularisierung des Effektenbesitzes. — Wenn man ein­gesehen hat, daß zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein liquides Bankwesen unentbehrlich ist, daß man also ohne die Abwälzung des Kursrisikos auf die Schultern der Sparer nicht auskommt, muß man darangehen, die nötigen Schritte zu tun, um den Effekten­besitz in der Öffentlichkeit anziehend und populär zu gestalten.

Weite Kreise des Volkes sehen immer noch in einer "festen" Börse eine abgefeimte Veranstaltung der Kapitalisten, um sich auf Kosten anderer zu bereichern. Die Tatsache, daß die Börse ein Organ zur Verteilung der Volksersparnisse an die Arbeitslosen, also zur Arbeitsbeschaffung ist, ist sogar einem erheblichen Teile der "bürger­lichen" Wirtschaftsführer unbekannt. Noch 1927 wurde anläßlich der Börsenrestriktionen lebhaft über die Frage diskutiert, ob die Börse der produktiven Wirtschaft Kapital wegnehme, ein Stand­punkt, den sogar der Reichsbankpräsident Schacht vertrat. Da kann es nicht verwundern, wenn die breiten Schichten des deut­schen Volkes, die heute als Sparer eine so wichtige Rolle auf dem Kapitalmarkte spielen, der Börse und dem Effektenbesitz kühl gegenüberstehen. Hier bietet sich für die Aufklärungs­arbeit der Banken und Sparkassen noch ein reiches Tätigkeitsfeld. Störend wirkt insbesondere, daß die Namen unserer Wertpapiere vom Volke anscheinend nicht mehr verstanden werden. Heute würde man wohl nicht mehr den Schwerpunkt auf den Rechtscharakter legen und z. B. "Pfandbrief" sagen, wie das damals richtig war, als der unvergleichliche wirtschaftliche Fort­schritt, der in dieser Schöpfung lag, jedem Gutsbesitzer und damit fast jedem Wirtschaftler wohlbekannt war. Vielleicht würde man heute "Arbeitsbeschaffungsbrief'' oder etwas Ähnliches sagen, was den Interessen des Publikums näher liegt.

 

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            Notwendig wäre insbesondere, den verschiedenen Bevölkerungs­schichten die für sie besonders wichtigen Vermögensanlagen nahe­zubringen, den Städtern z. B. die Stadtanleihen, die Emissionen der öffentlichen Versorgungsbetriebe und die Hypothekenpfand­briefe, der ländlichen Bevölkerung die landschaftlichen Pfandbriefe und die Emissionen von Meliorationskreditanstalten, der Industrie­arbeiterschaft, deren Sparkapital eine immer größere Rolle spielen wird, die Industrieobligationen, die industriellen Vorzugsaktien usw.

 

            2. Förderung der Börse. — Notwendig ist  auch,  daß die Regierung, die Reichsbank und die Parlamente aufhören, in der Börse ein "Monte Carlo ohne Musik" zu sehen, daß sie ihre Kampf­stellung aufgeben und sich zu einer positiven Förderung des Börsenwesens entschließen, und zwar in moralischer und in steuerlicher Beziehung. Indem der Reichsbankpräsident Schacht im Mai 1927 durch seinen  "Husarenritt" die Börse erschlug, beseitigte er das Organ des Kapitalmarktes, dessen wichtigste Bestimmung es ist, den Banken ihre illiquiden Debitoren abzunehmen. Er tötete damit den eben wieder neu erstandenen "antizipierten  Emissionskredit", lähmte also unser Banksystem und machte es unfähig zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit 1). Es ist dringend zu fordern, daß Der­artiges sich nicht wiederholt.

 

            3. Kapitalanlagegesellschaften. — Unter den Mitteln, den Effektenbesitz zu popularisieren, dürfte auch der Investment Trust nicht vergessen werden, der geeignet ist, auch dem Kleinsparer die Vorteile sachverständiger Auswahl, raschen Zugreifens und der Mischung der Risiken zukommen zu lassen, die sonst das Monopol der Großkapitalisten sind. Diese "Kapitalanlagegesellschaften", wie sie in Deutschland genannt werden, haben sich insbesondere in Schottland und England seit 70 Jahren bestens bewährt; sie legen die Gelder ihrer Mitglieder in Effekten der verschiedensten Art an, so daß eine an Versicherung erinnernde Risikoverteilung er­zielt wird. Selbstverständlich kommt alles auf die Persönlichkeiten an, die solche Gesellschaften leiten. Prof. F. Schmidt-Frank-

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1)      Über die wirtschaftliche Bedeutung dieses "Schwarzen Freitags" vgl. "Effekten­börse und Volkswirtschaft" von Dr. R. Gunzert, Dr. B. Bennig, Dr. E. Veesenmayer, Jena 1929. In seinem Vorwort dazu sagt Prof. Ad. Weber (München) u.a. folgendes:

"Nur auf dem Weg, wenn man will auf dem Umwege über die Effekten-Börse werden gerade in Zeiten stockenden Geschäftsgangs die notwendigen Kreditausweitungen erfolgen, die der darniederliegenden volkswirtschaftlichen Gütererzeugung wieder in die Höhe verhelfen."

 

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fürt a. M. weist besonders darauf hin, daß auch größte Lauterkeit und Tüchtigkeit nur dann Erfolg verbürgt, wenn für völlige Unabhängigkeit von den Produzenten und Großhändlern in Effekten, also insbesondere von den Großbanken gesorgt wird 1), wie das in England stets üblich war.

 

            Bekanntlich haben die Steuergesetze bisher mit einer Aus­nahme 2) die Gründung von Kapitalanlagegesellschaften unmöglich gemacht, so daß alle in Deutschland arbeitenden Trusts ihren Sitz in die benachbarten Länder verlegt haben. Hier sind Gesetzes­änderungen dringend geboten, nicht um ein neues Gebilde künstlich aufzuzüchten, sondern um die Sperre zu beseitigen, die einer ge­sunden Entwicklung bisher im Wege stand. Die Gesetzesänderungen müßten in bezug auf die Körperschaftssteuer völlige Befreiung vorsehen, da hierdurch dem Reich keinerlei Verluste entstehen: Es tritt nur ein Zwischenglied zwischen Einkommensquelle und Einkommenbezieher, die Versteuerung beim Einkommensbezieher findet nach wie vor statt. Sodann ist eine völlige Abschaffung der Kapital­ertragssteuer oder doch eine solche Regelung nötig, die die Kapital­anlagegesellschaften nicht schlechter stellt, als die Hypothekenbanken.

 

            In England hat man in klarer Erkenntnis der Wirklichkeit den Investment Trusts eine hervorragende Stelle im Arbeitsbeschaf­fungsprogramm eingeräumt: Man hat im Jahre 1929 unter Führung der Bank von England den Securities Management Trust als Ratio­nalisierungsbank gegründet.

 

            4. Organisation des industriellen Anlagekredits. — Die Förderung der Kapitalanlagegesellschaften bzw. des Passivgeschäfts dieser Gesellschaften läuft nun im Aktivgeschäft auf nichts anderes hinaus, als auf die Förderung des langfristigen Kredits der mittleren und kleinen Industrie. Hierin ist eine weitere Hilfsmaßnahme für die Durchführung unseres Finanzierungsprogramms zu erblicken. Schon Felix Hecht 3) stellte den Gesichtspunkt der Krisen­bekämpfung an die Spitze seines denkwürdigen Vorschlages zur Organisation des langfristigen Industriekredits. Unsere früheren Ausführungen haben gezeigt, worin die Mängel der gegenwärtigen Handhabung des Industriekredits begründet sind. Notwendig ist

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1)      Es würde vielleicht nichts schaden, wenn dieses wesentliche Erfordernis auch zur Voraussetzung der notwendigen Steuerbefreiung gemacht würde.

2)      Dem Deutschen Kapitalverein in Berlin, dem Herr Dr. Herm. Zickert vorsteht.

3)      Vgl. Bericht über die 2. Generalversammlung  des Mitteleuropäischen Wirtschaftsvereins, Berlin 1908, S. 59 ff.

 

 

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nicht nur die Gründung und Förderung besonderer industrieller Kreditanstalten oder Kapitalanlagegesellschaften, sondern insbeson­dere die Entwicklung und Erprobung neuer Kreditmethoden, die sich den Besonderheiten des langfristigen Industriekredits an­schmiegen, vorzüglich aber dessen eigenartigen Risiken wirksam zu begegnen geeignet sind 1). Diese Methoden sind besonders auch von den Großbanken anzuwenden, deren Betätigung in diesem Kreditzweig nicht entbehrt werden kann.

 

            Eine derartige Verbesserung unseres Kreditsystems, die nun längst überfällig ist, ist eine wirksame und unentbehrliche Hilfs­maßnahme für die Schaffung von Arbeitsgelegenheit.

 

            5. Beseitigung der Ursachen der Kapitalflucht. — Sodann muß alles getan werden, um die Flucht deutschen Kapitals ins Ausland zu vermindern. Es ist vorgeschlagen worden, mit dra­konischen Strafmaßnahmen dagegen vorzugehen. Man darf aber behaupten, daß die Macht des Staates über seine Bürger niemals so wirksam zu gestalten ist, wie die Macht des Bürgers über sein Eigentum. Der Fehlschlag der Zwangswirtschaft im Kriege sollte genügen, um derartige Pläne aus der Diskussion auszuschalten.

 

            Niemand legt sein Kapital ohne Grund im Auslande an. Zweck­mäßig ist es daher, den Ursachen nachzuforschen und diese zu beseitigen; dann wird die Kapitalflucht von selbst aufhören.

 

            Als erste Ursache der Kapitalflucht wird der Mangel an Vertrauen zur Währung zu nennen sein. Dieser hat nicht zu­letzt in dem rücksichtslosen Tone seinen Grund, in dem der po­litische Kampf heute bei uns ausgefochten wird. Eine Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch planmäßige Verwendung der Kräfte der Nation wird den politischen Pessimismus und die Kritik mildern, wie man das schon im Jahre 1926/27 beobachten konnte. Eine der­artige Wirtschaftspolitik wird auch durch vermehrte Umsätze automatisch die Reichskassen füllen und den Streit über die Deckung des Haushaltsdefizits zum Verstummen bringen, der dem Vertrauen zur Mark sehr abträglich ist. — Das Vertrauen zur Sicherheit des deutschen Kredits wird auf jede Weise zu fördern sein, z. B. durch eine zweckmäßige Reform des Aktienrechts. — Auch wird man nachprüfen müssen, ob die übliche Feingoldklausel, bei der eine Veröffentlichung des Londoner Goldpreises im Reichsanzeiger er-

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1)      Vgl. Rittershausen, Auswahl und Sicherung langfristiger Industriekredite, Bankwissenschaft vom 20. August 1930, S. 347 - 360.

 

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forderlich ist, den Interessen der ängstlichen Kapitalanleger ge­nügen kann.

 

            Die zweite Ursache der Kapitalflucht ist die übermäßige Besteuerung. Man wird sich langsam an den Gedanken gewöhnen müssen, daß die Welt so klein geworden ist, wie früher das Deutsche Reich, innerhalb dessen die Kommunen sich gegenseitig mit Steuerermäßigungen den Rang abliefen, um reiche Steuerzahler zu angeln. Das Kapital ist nun einmal international beweglich; solange es also noch Staaten gibt, die keine oder fast keine be­sonderen Kapitalsteuern erheben, wird man die Abwanderung des Kapitals ins Ausland nur verhindern können, wenn man international "konkurrenzfähig" bleibt. Von diesem Gesichtspunkte aus ver­dienen unsere Steuergesetze eine gründliche Durcharbeitung.

 

            Schließlich sollte aber auch mit einer planmäßigen Auf­klärungskampagne gegen die Kapitalflucht zu Felde gezogen werden. Dabei wird insbesondere zu betonen sein, daß das Aus­land uns gerade diese Gelder wieder leiht, und zwar zu ver­doppelten Zinsen, und daß sich schon aus dieser Anlage ergibt, wie wenig sicherer solche Kapitalanlagen sind, als direkte Anlagen in Deutschland und in deutschen Effekten. Denn wenn das Miß­trauen gegenüber der deutschen Wirtschaft — das offenbar vom Auslande nicht geteilt wird — wirklich berechtigt wäre, würden die schweizerischen, holländischen usw. Banken und Gesellschaften solche Verluste erleiden, daß auch sie in Gefahr geraten müßten.

 

            6. Neugestaltung der Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften. — Die Kapitalflucht wird auch immer noch gefördert durch den Umstand, daß für die Anlage fast der Hälfte der Volks­ersparnisse staatlicherseits ganz bestimmte Wertpapierkategorien vorgeschrieben sind, deren Absatz zwar dem Staate sehr erwünscht, deren Erwerb aber nicht immer dem Kapitalanleger angenehm ist. Daß das Vorhandensein dieser Vorschriften ein Anachronismus ist, wurde schon erwähnt. Der Staat ist mehr und mehr dazu übergegangen, die Mündelsicherheits- und Anlegungsvorschriften, die den Schutz der Mündel und Waisen und der Kleinsparer bezweckten, in egoistisch-fiskalischer Weise zur Förderung des Absatzes seiner eigenen Emissionen zu mißbrauchen. Hier müssen Erleichterungen und Verbesserungen entwickelt werden, die nicht nur eine Schädigung der Schwachen verhindern, sondern auch den überflüssigen Zwang beseitigen, der die Kapitalien ins Ausland treiben hilft. Eine solche  Reform der Mündelsicherheitsbestim-

 

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mungen 1) würde zur Organisation des Industriekredits und  zur Beseitigung der Arbeitslosenfrage wirksam beitragen 2).

 

            7. Steuerreform. — Fast alle diese Maßnahmen sind aufs innigste verknüpft mit steuerlichen Fragen. Es würde zu weit führen, hier Einzeluntersuchungen anzustellen, klar ist nur, daß bei sämtlichen Bestimmungen der Steuergesetze nachgeprüft werden muß, ob und wieweit sie einen hemmenden Einfluß auf das An­gebot von Arbeitsplätzen ausüben. Wenn es möglich ist, daß die Mittel- und Kleinindustrie, in der im Jahre 1925 4 005 900 Per­sonen beschäftigt waren 3), von der also über 10 000 000 Menschen lebten, seit Jahren trotz aller Proteste allein durch steuerliche Vor­schriften von den für sie zweckmäßigsten Finanzierungsmöglich­keiten (Investment Trusts) ausgeschlossen ist, so muß man vermuten, daß noch eine große Zahl anderer steuerlicher Vorschriften vor­handen ist, die in ähnlicher Weise prohibitiv wirken. Eine Steuer­reform unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsbeschaffung ist also notwendig.

 

            Dabei wird auch zu prüfen sein, ob die von den Katheder­sozialisten aufgestellte These, indirekte Steuern seien drückend für die ärmeren Bevölkerungsschichten, den Ergebnissen neuerer Forschungen noch standhält. Zweifellos sind indirekte Steuern eine Belastung der Konsumenten; aber nur im Verhältnis der Ein­käufe: ein wohl-habender Mann, der 20 000 M jährlich ausgibt, wird 10 mal so hoch besteuert, wie der Arbeiter, der nur 2000 M ausgibt. Wenn wir bei der Einkommensverwendung grundsätzlich unterschieden hatten zwischen dem Konsum und den Erspar­nissen, so muß von Standpunkt des Arbeiters, besonders des Arbeitslosen aus, eine Besteuerung des Konsums wün­schenswert sein, da jede Besteuerung der Kapitalbildung (also des nicht verbrauchten Einkommens) die Schaffung von Arbeits­plätzen vermindert. Die Lage der Arbeiterschaft, insbesondere

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1)      Vgl. meine Schrift gleichen Namens, Jena 1929, in der ein Gesetzentwurf vor­geschlagen und begründet ist.

2)      Die Spitzenverbände der Industrie haben sich über diese letztere Tatsache so sehr in Unkenntnis befunden, daß sie bei der Beantwortung des vom Reichswirtschafts­ministerium im Jahre 1929 herausgesandten Fragebogens über die Reform der Mündelsicherheitsvorschriften die Beibehaltung der bisherigen Bestimmungen befürwortet haben, soweit die  Ausschließung des industriellen Kreditbedarfs  in Redestand! Ihre Vorschläge bezogen sich nur auf Einzelheiten; die entscheidenden Fragen wurden nicht erwähnt.

3)      Betriebe von 201 - 5000 Arbeitern, nach der Zählung von 1925, vgl. "Wirtsch. u. Stat. 1928, S. 48.

 

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die Lohnhöhe, ist abhängig von dem Spitzenbedarf an Arbeits­kräften; eine Vergrößerung der Nachfrage nach Arbeiten allein kann daher die Lage der arbeitenden Klassen wirksam bessern. Wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften durch eine Verbrauchs­besteuerung gesteigert werden kann, so werden die dadurch er­zielten Vorteile vermutlich viel größer sein, als die steuerliche Belastung der Arbeiterschaft, die heute infolge der Lohnsteuer viel­leicht noch höher ist.

 

            Eine Verlegung des Schwerpunktes der Einkommensbesteuerung vom Gesamteinkommen auf den Verbrauch würde nun dadurch möglich sein, daß man bei der Einkommensteuer die deklarierten Ersparnisse durch besondere Vorschriften frei läßt, um so die Kapitalbildung zu fördern. Man erzielt dann mit dem komplizierten und überaus teuren Apparat der Einkommensbesteuerung aber nichts anderes, als was ein indirektes Steuersystem (z. B. die Umsatzsteuer) billig und einfach erreicht: Die alleinige Belastung des Verbrauchs zum Nutzen der Arbeitsbeschaffung. Es wird also in den kommenden Jahren zu prüfen sein, ob die Theorie von der günstigen sozialen Wirkung der progressiven Einkommensteuer, bei der offenbar das Problem der Arbeitsbeschaffung übersehen worden ist, noch auf­recht erhalten werden kann.

 

            Eine solche Umstellung des Steuersystems würde nicht nur arbeitsmarktpolitisch günstig sein, sondern auch die steuerlichen Gründe der Kapitalflucht mit einem Schlage beseitigen. Es würde nicht nur eine rückläufige Bewegung einsetzen, sondern vielleicht sogar eine Steuerflucht aus anderen Ländern nach Deutsch­land beginnen, die von angenehmen Wirkungen begleitet sein könnte.

 

d) Die Annäherung von Reichsbank und Großbanken.

 

            1. Verfeinerung des Umsatzkredits. — Wir haben unsere "Folgerungen und Vorschläge", angefangen mit dem "großen Mittel" der Antizipationsvorschüsse bis zu den Voraussetzungen und den Hilfsmaßnahmen ganz auf die Eigenart der Arbeits­losigkeit um 1930 abgestellt. Da diese Periode der Arbeitslosigkeit unseres Erachtens in erster Linie durch Störungen in der Kapital­bildung verursacht ist, haben wir unsere Vorschläge allein auf die Beseitigung dieser Störungen eingerichtet. Trotzdem darf nicht ver­gessen werden, daß auch der Umsatzkredit und seine Funktion eine bedeutende Rolle bei der Arbeitslosigkeit spielt. Ein drastisches Beispiel von  der Wichtigkeit des Umsatzkredits liefern z.B. die

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gegenwärtigen Zustände in Polen. Hier ist es immer noch gang und gäbe, mit Wechseln bis herunter zu 2 Zloty im Detailhandel zu zahlen. Die Zinssätze für Wechseldiskont betragen 24 - 48 %, da die Bank Polski mit illiquidem Wechselmaterial übersättigt ist. Sie kann kaum noch diskontieren, weil sie ihre gesamten Mittel für Prolongationen braucht. Lohngelder sind schwer erhältlich, der reibungslose Austausch der Güter vermittelst des Geldes ist stellenweise zur Unmöglichkeit geworden 1). Hier ist das Extrem erreicht: Die Notenbank ist sozusagen zur Hypothekenbank ge­worden, es fehlt also eine eigentliche Notenbank im schottischen Sinne, die den Austausch organisieren könnte.

 

            Der Verfasser hofft in seiner nächsten Schrift zeigen zu können, wie ein Notenbankwesen eingerichtet sein muß, um die Beschäftigung der Bevölkerung durch gegenseitige Aufträge zu ermöglichen. Nicht das Geldwesen ist es ja, von dem die Schaffung von Arbeits­gelegenheit durch Umsatzkredit abhängt, sondern viel enger ein Teilgebiet des Geldwesens, nämlich das Banknotenwesen. Der Arbeitgeber ist es, der das originäre Volkseinkommen verteilt; hierzu wird er durch die Banknoten und die Notenbank erst be­fähigt. Im einzelnen erinnern wir hier nur an die richtige An­passung der Umsatzkredite an den effektiven Warenverkauf des Kreditnehmers nach Betrag und Laufzeit, an das Wesen der An­kurbelungskredite, an die Beseitigung des Pauschalierungssystems und der Kreditrestriktionen, sowie endlich an die Notwendigkeit einer Abkehr von der Preisniveaupolitik.

Eine vorzügliche Aus­bildung der mittleren und höheren Bankleiter, besonders der Depositenkassen Vorsteher, aber auch eine geeignete Aufklärung und Erziehung der Bankkunden dürfte der Schlüssel zu dieser verfeinerten Bankpolitik sein, in der unendlich viel Kleinarbeit in Jahren und Jahrzehnten noch zu leisten ist.

 

            2. Förderung des antizipatorischen Bankakzepts. — Auch an einer Reform der Wechseldiskontvorschriften der Reichsbank wird man nicht vorbeigehen können. Die bisherigen Bedingungen für den Diskontverkehr haben nur die Finanzierung des Warenumsatzes alten Stiles im Auge, ohne das Aufkommen des Kontokorrentverkehrs und die Notwendigkeit von Antizipations­krediten zu berücksichtigen. Die Ausschließung von Kontokorrent-

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1)      Vgl. Dr. F. Seifter, Polens Wirtschaftskrise, Berliner Tageblatt vom 23. Ja­nuar 1930.

 

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krediten aus der Notendeckung wird solange bestehen bleiben müssen, als man bei der Trennung des Notengeschäfts von den Depositen­großbanken verbleibt. Wenn man auch über diesen Mangel in den nächsten Jahren noch hinwegkommen wird, so erscheint doch die heutige offizielle Ausschließung von Bankakzepten, die vor dem Kriege nicht durchgeführt wurde, kaum als tragbar. Nach Riesser wurden vor dem Kriege 30 % aller Kontokorrentkredite in Ak­zepten der Banken gewährt. Ende 1913 wies das Akzeptkonto von 160 deutschen Kreditaktienbanken die Summe von 2624,4 Mill. M auf 1), das ist 36 % des gesamten deutschen Wechselumlaufs, der am 31. Dezember 1913 rund 7,2 Milliarden M betrug. "Der Umlauf von Bankakzepten", sagt der ausgezeichnete Bankdirektor und Praktiker Käferlein 2),

            "hatte bei uns riesigen Umfang an­genommen. Soweit große, prosperierende Unternehmungen hieran       beteiligt waren, bildeten häufig derartige Kredite die Vorläufer von Emissionen. Die Bankengagements             pflegten in absehbarer Zeit dadurch ihre Erledigung zu finden, daß die betreffenden Unter­nehmungen von    den Banken veranlaßt wurden, neue Aktien oder Obligationen auszugeben."

Ein großer Teil dieses Akzeptsumlaufs befand sich im Portefeuille der Reichsbank, das vor dem Kriege zeitweise zu mehr als 50 % Privatdiskonten enthalten haben soll.

 

            Wir glauben nachgewiesen zu haben, daß die vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeit Deutschlands vor dem Kriege ihre Ursache in der freigebigen Verwendung von Antizipationskrediten, also von Vorschüssen über das Maß der verfügbaren Depositen hinaus hatte. Ähnliches sagte der Sachverständige Bernhard in der Reichsbank-Enquete 1929 (Bericht S. 142):

            "Wenn eine Bank früher mit ihren Mitteln knapp war, und sie hatte Kredite zu ge­währen, die sie an sich nicht gut versagen konnte — sie hat das auf die verschiedenen Kunden verschieden verteilt — dann hatte            sie schon im Interesse ihrer eigenen Kapazitätsausnutzung ein In­teresse daran, die Gewährung ihres   eigenen Akzepts an die Stelle von Hergabe von Geld im Kontokorrentverkehr treten zu lassen."

 

Die Diskontierung von Bankakzepten durch die Reichsbank war also vor dem Kriege der gangbare Weg zur Bereitstellung der Banknoten und des Bargeldes, deren man zur Auszahlung der antizipatorischen Kredite benötigte.

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1)      Ende April 1930 nur 622,6 Mill. RM, d.h. weniger als 500 Mill. Vorkriegsmark.

2)      Vgl. H. Käferlein, Der Bankkredit, 3. Aufl., S. 540, wo auch die vorher genannten Ziffern zu finden sind.

 

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            Wenn nun heute Bankakzepte im Gegensatz zur Vorkriegs­zeit der Reichsbank nicht mehr genehm sind, so kann sich natür­lich der antizipierte Emissionskredit nicht entwickeln; die Arbeits­losigkeit kann also schon aus diesem Grunde nicht beseitigt werden.

 

            Diese veränderte Beurteilung des Bankakzepts 1) ist eine der wichtigsten Tatsachen der gegenwärtigen Banksituation. Das Bankgesetz sagt am Ende des § 21 Ziff. 2:

            "Die von der Bank diskontierten Wechsel sollen nur gute Handelswechsel sein."

Vor dem Kriege war man offenbar in der Auslegung dieser Bestimmung weitherzig, denn man hatte zeitweise mehr als 50 % Bankakzepte im Portefeuille, von denen bestimmt nur ein kleiner Teil auf Warenunterlage lief. Heute ist das anders ge­worden: Schacht hat im Enqueteausschuß erklärt,

            "daß nach soliden Bankgrundsätzen das Bankakzept nur gegeben werden sollte, wenn man zwar nicht jede             einzelne kleine Warentransaktion mit einem Bankakzept sicherstellen will, sondern wenn man einer         Warenfirma insgesamt, ohne auf jede einzelne kleine Transaktion zurückzugreifen, einen den Warenkredit      ersetzenden Kredit zuteil werden lassen will. Ich meine, in diesem Sinne ist das Bankakzept gewisser­      maßen             als ein Globalwarenkredit bei den Banken zu­lässig. Wir vertrauen darauf, daß die Ausnutzung des           Bank­akzepts für spekulative, langfristige und nicht warenmäßige Transaktionen auf ein Minimum        beschränkt bleibt 2). . . ."

 

            Schacht weiß also sehr wohl, daß es zwei Arten von Bankakzepten gibt, nämlich das Bankakzept als Globalwarenwechsel und das antizipatorische Bankakzept. Er geht auch nicht soweit, letzteres einfach mit den von einer Bank auf eine andere gezogenen Finanzwechseln in einen Topf zu werfen, die mit Recht zu verurteilen sind. Aber er erklärt klar und deutlich nur die Globalwarenwechsel für diskontfähig und schließt die antizipatorischen Bankakzepte, die Vorläufer von Emissionen, vollständig aus. Es ist klar, daß bei solchen Diskontierungs­bedingungen der Reichsbank die Rationalisierungs-Deflation auch dann nicht behoben und die Arbeitslosigkeit auch dann nicht be­seitigt werden kann, wenn unsere Voraussetzungen erfüllt sind, wenn also das Zinsniveau gesenkt und die Liquidität der Groß­banken wiederhergestellt sein würde. Denn das Bankakzept ist der Kanal, durch den allein die erforderlichen antizipatorischen Lohngelder von der Reichsbank

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1)      Vgl. auch R. Brenninkmeyer, Der Akzeptkredit der Banken, Leipzig 1916.

2)      Sperrungen vom Verf.

 

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über die Banken in die Wirtschaft strömen können. Wenn in der wenig tiefgründigen Erörterung der Bankakzept­frage im Enqueteausschuß, die an allen diesen Gesichtspunkten vorbeigegangen ist, zum Schluß bemerkt worden ist, alle Bestrebungen, das Bankakzept zu fördern, seien an dem Mangel kurz­fristiger, sich selbst liquidierender Kreditansprüche gescheitert (Schacht, S. 142), sowie daran, daß das Zinsniveau zu hoch sei (hochverzins­liche Anlage in Schatzscheinen usw.), um Bankakzepte als ertragreiche Anlage anziehend erscheinen zu lassen (Dernburg), so erledigen sich diese beiden Einwände durch unsere vorherigen Darlegungen: Bankakzepte als Globalwarenwechsel sind selbst­verständlich nicht erhältlich, da der Bedarf an Umsatzkredit fast überall überreichlich gedeckt ist. Antizipatorische Bank­akzepte aber würden, wenn die Reichsbank sie zuließe, und unsere Voraussetzungen erfüllt sein würden, bald stärkstens ange­boten werden. Und daß das gegenwärtige Zinsniveau dem gesunden antizipatorischen Kredit hindernd im Wege steht, wie Dernburg mit Recht erklärt hat, haben wir selbst besonders hervorgehoben.

 

            Die Abänderung der Wechseldiskontbedingungen der Reichs­bank oder wenigstens eine veränderte Haltung den Antizipations­krediten gegenüber, die in Form von Bankakzepten der Reichs­bank angeboten werden, ist also ein dringendes Erfordernis einer erfolgreichen Arbeitsbeschaffungspolitik.

 

            3. Zusammenarbeit zwischen Reichsbank und Großbanken. — Wir glauben, daß auch hier Mißbräuche nur verhindert werden können, wenn Wege gefunden werden, sie ein enges persönliches Zusammenarbeiten der Leiter der Reichsbank mit den Leitern der Großbanken sicherstellen. Vom Standpunkte der Finanzierung der Arbeitsgelegenheit aus mutet die Trennung des Noten­geschäfts von dem Kontokorrent- und dem irregulären Geschäft der Depositengroßbanken ein wenig künstlich an. Der Ver­fasser hofft, in seiner späteren Schrift nachweisen zu können, daß diese Trennung heute auch keine Vorzüge mehr bietet in bezug auf die Sicherung der Goldreserven, den Ausgleich der Zahlungs­bilanzen, die Beherrschung des Devisenmarktes und die Bemessung des Notenumlaufs. Wirtschaftlich ist es von geringer Bedeutung, ob die Großbanken sich ihren Notenbedarf aus dem eigenen Tresor holen, wie in Canada, oder vom anderen Ende der Straße her, wo die Reichsbank ihren Sitz hat. Ob man in Jahrzehnten einmal zur Vereinigung der Notenemission mit dem Kontokorrentgeschäft

 

 

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in den Großbanken vordringen wird, was die Vollendung der "Arbeitsvereinigung im Bankwesen" bedeuten würde, die unsere großen Bankgelehrten mit Recht gepriesen haben, kann hier unerörtert bleiben, da hier nur die Theorie der Arbeitslosigkeit und ihre Bekämpfung durch sofort brauchbare Maßnahmen der Bank­politik in Rede steht.

 

            Entscheidend ist die Sicherheit der Währung und ihre Leistungsfähigkeit, insbesondere mit Rücksicht auf die Mobilisierung aller Kräfte der Nation. Diese kann heute nicht mehr durch eine Herrscherrolle der Reichsbank über die erstarkten Großbanken, sondern nur durch eine enge Zusammenarbeit von Reichsbank und Großbanken auf allen Ge­bieten der Bankpolitik gewährleistet werden, zum Wohle des Volkes, zur Finanzierung von Arbeitsgelegenheit für alle.

 

________________________


 

 

Literaturnachweis.

 

            Die Literatur ist gesammelt in der "Bibliographie der Arbeitslosig­keit", herausgegeben vom Internationalen Arbeitsamt, Genf 1926, 155 S. Hier sind insbesondere die Abschnitte "I. Allgemeines" (S. 11—48); "II. Sonderprobleme, 1. Der Wirtschaftskreis, die Geldfragen" (S. 50 - 62); und "III. Die Schaffung von Arbeits­gelegenheit" (S. 79 - 85) zu beachten, wobei zu bemerken ist, daß der zuletztgenannte Abschnitt fast nur Schriften über öffentliche Notstandsarbeiten enthält.

Die vor 1914 erschienenen Bücher sind in den dort S. 6 angegebenen älteren Bibliographien zu finden.

 

            Man kann die bisherigen Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Schaffung von Arbeits-            gelegenheit in folgenden Gruppen einteilen:

 

a)      Die preistheoretische Schule, die glaubt, durch Lohnsenkungen die Arbeitslosigkeit beseitigen zu können (C. A. Verrijn Stuart-Utrecht, Cassel-Stockholm, Ad. Lampe u. a.).

 

b)      Die konjunkturtheoretische  Schule, die hofft, durch einen Ausgleich der Konjunkturausschläge die Wirtschaft und damit die Arbeitslosigkeit auf einem mittleren Niveau stabilisieren zu können (Beveridge, Pigou, das Intern. Arbeitsamt, I. R. Bellerby u. a.).

c)      Die Inflationstheorie, die glaubt, durch vermehrte Kredite Arbeitsgelegenheit beschaffen zu können, ohne jedoch anzugeben, aus welchen Mitteln die zur Abtragung dieser Kredite nötige langfristige Kapital disposition genommen werden soll, und ohne zu zeigen, wie man an der drohenden Inflation vorbeikommen könne (Lloyd George, Keynes u.a.).

 

d)      Die gewerkschaftliche Theorie, die in Lohnerhöhungen das geeignete Mittel sieht, die immer mehr anwachsende Produktion abzusetzen und dadurch auch die Arbeitslosigkeit zu beseitigen (Tarnow, Woytinsky u.a.).

 

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            Diese Schulen sind in der vorhandenen Literatur reichlich vertreten. Die in der vorliegenden Schrift aufgestellte Theorie, daß die heutige Arbeitslosigkeit gleich­bedeutend sei mit unvollendeter Kapitalbildung, daß sie also nur zu bekämpfen sei durch Vollendung des Kapitalbildungsprozesses, wodurch zugleich die erforderliche Menge von Kapitaldisposition verfügbar wird, ist im Schrifttum der letzten Jahrzehnte nicht aufgestellt worden.

Da direkte Vorarbeiten mithin fehlen und ein Verzeichnis der mehr oder weniger zufällig zitierten Literatur ein falsches Bild von den Grundlagen der Arbeit geben würde, wird an dieser Stelle auf eine Aufzählung von Schriften ver­zichtet und nochmals auf die anfangs erwähnte ausgezeichnete Bibliographie verwiesen. (jz31)


 

Verlag vom Gustav Fischer in  Jena

 

Der Notenbankausweis in Theorie und Wirklichkeit. Von Dr. rer. pol. Robert B. Käppeli, wissenschaftl. Mitarbeiter am Inst. f. Weltwirtschaft a. Seeverkehr, Kiel ("Probleme der Weltwirtscluft." Schriften d. Inst f. Weltwirtschaft u. Seeverkehr a. d. Univers. Kiel. Hrsg. von Prof Dr. Bernhard Harms. Nr. 48.)  XV, 258 S. gr. 8° 1930        Rmk 12.—

 

Der schöpferische Kredit. Von Dr. Hans Honegger.   VI. 135 S. gr. 8o 1929            Rmk 6. —

            Als den eigentlichen Grundgedanken dieser "neuen Kredittheorie" erachtet der Ver­fasser die Lehre vom Vorrang vor dem Kapital, Vorrang des Kredits über das Kapital und weiterhin die Lehre von der wissenschaftlichen Schöpferkraft des Kredits. Die "neue Kredittheorie" bringt das Verständnis für die wirtschaftliche Wirklichkeit des Alltags näher und läßt uns das Wesen des Kapitalismus viel tiefer begreifen, als die überlieferte Kredit­theorie das vermag. Honegger will mit seiner Schrift erneut auf die durchgreifende Rolle des Kreditgedankens für die volkswirtschaftliche Theorie hinweisen und zur Neubegründung der neuen Kredittheorie im Geiste ihrer bisherigen Befürworter (Hahn, Macleod) beitragen.

 

Zur Theorie des Sparprozesses und der Kreditschöpfung.  Von Dr. Adolf Lampe, Privatdoz. an der Univers. München. XIV, 176 S. gr. 8o 1926   Rmk 7.50

 

            Literarisches Zentralblatt. 1926,Nr. 15: Dem Systemgebäude Gustav Cassels nahestehend, will Lampe mit der vorstehenden Arbeit nicht eine neue Zinstheorie geben, sondern "eine besonders geartete Darstellung der wirtschaftlichen Beziehungen des Zins­preises und des Sparprozesses unter dem Gesichtspunkt der wertfreien Preistheorie" bieten. Auf der in den ersten beiden Abschnitten geschaffenen positiven Grundlage setzt sich Verf. dann mit den Plänen zur Beseitigung der Zinswirtschaft auseinander, besonders ein­gehend mit Albert Hahns "Volks-wirtschaftliche Theorie des Bankkredits".

 

Das "Sparen" als ein Grundproblem der Theorie der kapitalistischen Wirtschaft.   Von Dr. Ferdinande Homann.   VI, 81 S. gr. 8o   1927  Rmk 3.50

 

            Die Untersuchung geht aus von einer näheren Bestimmung der Vorstellung der kapitalistischen Wirtschaft, da das Sparen als ein Strukturmoment im Gefüge dieser Wirt­schaft verstanden werden soll, um auf diesem Wege aus der Erkenntnis der gesellschaftswirtschaftlichen Natur der Sparleistung die Beziehungen um Zins- und, in einem bestimmt eingeschränkten Sinn, zum Konjunkturproblem zu gewinnen.

 

            Ihrem rein theoretischen Charakter entsprechend kommen Fragen, wie sie von ethischen, sozialpädagogischen und nationalen Erwägungen aus gestellt werden, von vorn­herein nicht in Betracht Nicht darum, ob aus irgendwelchen Rücksichten: sozial-ethischen oder persönlichkeitsbildenden (der äußeren oder inneren Ordnung des eigenen Lebens wegen, oder aus nationalen (z. B. um das eigene Land reich zu machen um der Machtstellung gegenüber anderen Völkern willen) gespart werden soll, handelt es sich, sondern ob aus rein wirtschaftlichen Gründen gespart werden muß.

 

Das Kapitalzinsproblem im Lichte des Kreislaufs der Waren und des Geldes. Eine Auseinandersetzung mit der herrschenden Zinstheorie.   Von Dr. Hans Marxeli. Mit 2 schematischen Darstellungen im Text  IV, 63 S. gr. 8o  1927    Rmk 3.—

 

            Die Arbeit ist keine Zinstheorie, sofern man unter diesem Namen einen Versuch versteht, das Kapitalzinsproblem mit Hilfe eines einzigen oder einiger weniger, ad hoc herangezogener Gedanken zu lösen. Eher noch kann sie aufgefaßt werden als der Versuch eines Beweises dafür, daß man im Interesse der Lösung des in Frage stehenden Problems irgendwelche besondere, in der Zinstheorie als sogenannte Erklärungsprinzipien fungierende Gedanken gar nicht braucht. Schon im Titel wurde dieser Gesichtspunkt durch die Worte: im Lichte des Kreislaufs der Waren und des Geldes bezeichnet. Sie sollen besagen, daß gewisse im genannten Kreislauf sich manifestierende volkswirtschaftliche Zusammenhänge zur Grundlage einer Lösung des Zinsproblems gemacht wurden.


 

Verlag vom Gustav Fischer in  Jena

Theorie und Politik der Zentralnotenbanken in ihrer Entwicklung. Von Dr. Sven Helander, hauptamtl. Dozent der Nationalökonomie und Leiter der Handelshochschulkurse zu Gothenburg.

Erste Hälfte: Theorie der Zentralisation im Notenbankwasen. IX, 149 S. gr. 8°   1916   Rmk 3.60

Die Reichsbank. Probleme des deutschen Zentralnoteninstituts in geschichtlicher Darstellung. Von Dr. Gert von Eynern, wissenschaftl. Hilfsarbeiter am Enquete-Ausschuß (Weltwirtschaftl. Institut, Kiel). Mit 9 Kurven im Text. X, 144 S. gr. 8°   1928   Rmk 8.—

Ein kritischer Beitrag zur Theorie des Bankkredits.   Von Dr. Heinrich Mannstädt, o. Prof. an der Univers. Rostock. V, 36 8. gr. 8° 1927   Rmk 1.80

 

Finanzbedarf und Wirtschaftsleben. Eine theoretische Betrachtung von Dr. Phil. et rer. pol. Heinrich Mannstädt, Bonn.  30 S. gr. 8°  1922   Rmk —.60

 

Effektenbörse und Volkswirtschaft. Drei wissenschaftliche Abhandlungen von Dr. Rudolf Gunzert, Dr. Bernhard Benning und Dr. Edmund Veesenmayer. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Adolf Weber. ("Münchener
volkswirtschaftliche Studien." Begr. von L. Brentano und W. Lotz. Neue Folge, Heft 6.) 264 S. gr. 8° 1929

Rmk 12.—

            Inhalt: 1. Effektenmarkt und Konjunkturverlauf. Von Dr. Rudolf Gunzert.

                        2. Der "schwarze Freitag". Eine Untersuchung des Börseneingriffs vom 13. Mai 1927. Von Dr. Bernhard Benning.

                        3. Die Neugestaltung des Effektentermingeschäfts seit Wiederaufnahme im Oktober 1925. Mit  besonderer Berücksichtigung von Liquidations­kassen und Medioliquidation. Von Dr. Edmund Veesenmayer.

Kreditinflation und Wirtschaftskrisen.  Unter besonderer Berücksichtigung der Konjunkturentwicklung Deutschlands vor dem Kriege.  Von Dr. rer. pol. Carl Rosch.   V, 194 S. gr. 8°   1927    Rmk  9.50

            Die Arbeit fußt auf der Ertragstheorie von Liefmann und  der Theorie des Bankkredites von Hahn,   sowie auf Knapps Arbeit "Theorie des Geldes" und der Analyse des Konjunkturproblems durch den schwedischen Nationalökonomen Cassel.

Der Kreislauf der Wirtschaft (Zirkulation).   Die Überwindung der Arbeits­losigkeit durch Fortbildung der Konjunkturen zu einer Wirtschaftserweiterung auf erhöhter Organisationsstufe. Von Dr. Folkert Wilken, Priv.-Doz. in Frei­burg i. Br.  Mit 7 Abbild, im Text  VIII, 535 S. gr. 8o   1928     Rmk 26.— I

            Inhalt:   1. Die  Problemstellung gegenüber der Arbeitslosigkeit. 2. Der wirt­schaftliche Kreislauf.  3. Die Erweiterung des wirtschaftlichen  Kreislaufes. 4. Die Ver­mehrung der Zirkulationsmittelmenge.  5. Die Verhältnismäßigkeit (Korrespondenz) inner­halb  der Gesamtwirtschaft.  6. Die  evolutionäre Notwendigkeit   und die geistigen Vor­aussetzungen der Zirkulationswirtschaft. — Sachregister.

Notstandsarbeiten Oder Lohnabbau? Richtlinien der Wirtschaftstheorie für die Wirtschaftspolitik. Von Dr. Adolf Lampe, ao. Professor an der Univers. Freiburg.   VII, 130 S. gr. 8o   1927        Rmk 6.—

Inhalt: Einleitung. — I. Kapital und Arbeitslosigkeit. 1. Grundsätzliche Ver­kennung des Kapitalmangels. 2. Die begrenzte Elastizität des Kapitalfonds. 3. Der Streit um die Verwendung des nicht künstlich erweiterten Kapitalfonds. — II. Das gewerk­schaftliche Lohnmonopol und die Arbeitslosigkeit. 1. Der Streit um das Kaufkraft­problem. 2. Die Beweglichkeit des Arbeitspreises. — III. Die Überwindung der Arbeits­losigkeit 1. Die Unfruchtbarkeit der kritisierten Diskussion und die Aufgaben der Theorie. 2. Unzulängliche und unanwendbare Mittel zur Krisenüberwindung. 3. Produktiver Interventionismus.

 

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Anmerkungen von John Zube

 

Ich lade jeden Interessenten ein ebenfalls Anmerkungen, klar als solche gekennzeichnet, diesem Werke beizufügen.

Es könnte dadurch meist nur gewinnen.

Ich finde es schändlich fuer die Volkswirtschaftslehre, dass ein solches Werk fuer 75 Jahre fast unbeachtet geblieben ist.

Wer noch bessere Vorschlaege zu diesem Thema zu machen hat sollte sich ebenfalls nicht auf Buchverleger und die Universitaetswissenschaft verlassen.

 

Ich bin der Meinung, dass Prof. Rittershausen auch dieses Buch zwar sehr geistreich und kenntnisvoll und manchmal mit brillianter Ausdruckweise aber doch in zu grosser Eile geschrieben hatte und dass es nicht genuegend von ihm selbst revidiert oder vom Verlage verbessert worden ist. Ich bedauere auch, dass ich ebenfalls nicht dazu kam ihm meine Fragen und Einwendungen noch zu seinen Lebzeiten vorzutragen und daraufhin seine Antworten zu erhalten.

 

Wo ich Einwendungen, aus einem radikaleren Gesichtspunkte heraus, ausgedrueckt habe, handelt es sich vielleicht nur um Stellen, wo R. sich diplomatisch ausgedrueckt hatte - um die Vorurteile seiner Zeitgenossen nicht zu sehr zu provozieren.

 

Soviel ich weiss, hatte sich Ulrich von Beckerath ueber dieses Werk nur wenig geaeussert.

 

                                                PIOT, John Zube, 5.7.2005, jzube@acenet.com.au

 

 

jz1: Dies ist zumundest eine der über 150 Krisentheorien. Leider sprechen und schreiben die meisten Volkswirtschaftler so als ob es nur ihre Krisentheorie oder einige wenige andere gäbe, statt alle ausreichend zu untersuchen. Man sollte doch annehmen, das Thema sei wichtig genug um es so ernst zu nehmen. Aber, gibt es schon z.B. eine Webseite die alle Krisentheorien behandelt und entweder bestätigt oder ausreichend widerlegt?

Wenn doch nur genügend Menschen wirklich "greedy" wären für Wahrheiten, die in ihrem Interesse liegen und innerhalb ihrer eigenen Naturrechte oder individuellen Menschenrechte. J.Z., 2.7.05.

 

jz2: (Auch allzuwenige Bildung über Umsätze und Kapital! - J.Z., 4.7.05.)

 

jz3: (J.Z.: Freie und vollständige Umsätze für alle erwünschten und bezahlten Konsumgüter und Dienstleistungen ist eine der Voraussetzungen für die grösstmögliche Kapitalbildung und den  pro-duktiven Einsatz alles wirtschaflichen Kapitals. - J.Z. - J.Z., 4.7.05.)

 

jz4: (J.Z.: In den neu gegründeten Industriestädten gabe es keine Zunfregeln und andere Privilegien. Sie entwickelten sich daher rasch. - J.Z., 4.7.05.)

 

jz5: (unvollkommen – J.Z.)

 

jz6: (J.Z.: Ganz unverschuldet? Haben sich die meisten Arbeiter je um das Geldwesen und Finanzierungen gekümmert? Auch diejenigen, denen sie vertrauten ware in dieser Hinsicht allzu unwissend, uninteressiert und mit Vorurteilen belastet. Gibt es heute viele oder genügend Ausnahmen zu dieser Regel? – J.Z., 29.6.05.)

 

jz7: (J.Z.: Rothbard erwartete hier eine deflationäre "Anpassung" der Preise, Löhne und Verträge und übersah, daß nur gefallene Preise zum Kaufen anreizen während immer noch fallende Preise vom Kaufen abschrecken, also eine schon bestehende Deflation noch schlimmer machen. Er sagte sozusagen: Entweder tauscht ihr nur mit dem einzigen Geld aus, das wir für ehrlich und ausreichend halten, oder ihr tauscht nicht aus. Die Konsequenzen dieses exklusiven Zahlungsmittels müßt ihr eben zu tragen haben und euch daran anpassen. An die Möglichkeiten einer monetären Emanzipation from seiner Art von idealem Geld dachte er nicht sondern verdammte sie nur als "unehrlich". Freilich wurden viele unehrliche und despotische Versuche gemacht "Geld" einfach zu vermehren, über die Beträge hinaus, die ein freier Markt zum Nennwert annehmen würde. Aber es gab auch genügend Beispiele, wobei frei emittiertes und vermehrtes Geld doch vom Verkehr noch zu seinem Nennwert in Goldgewichtseinheiten angenommen wurde, obwohl es zusätzliches Geld war und nicht immer in Gold einlösbar war. Die wissenschaftliche Einstellung gegenüber solchen Beispielen hätte sein sollen: Warum erhielten sich diese Zahlungsmittel auch ohne Zwangskurs und Edelmetalleinlösung zu ihrem Nominalwert? Mit dieser Einstellung hätte man schließlich die natürlichen Gesetze der Geldausgabe und des Geld-Rückflusses, der Geldannahme, der Geldbewertung und der Geldverweigerung, d.h., die gesunde Verrechnung, erkennen müssen. Aber wenn man immer nur an Goldmünzen und Goldzertifikate einerseits und andererseits an Zwangskurspapiergeld denkt, dann übersieht man ganz die ehrlichen Alternativen zu beiden. Leider sah hier Rothbard nicht die Möglichkeiten für freies Unternehmertum für Ersatzgeld, daß auch in Goldgewichtseinheiten rechnet und einen freien Marktkurs besitzt, d.h., das ein Disagio leiden und abgelehnt werden kann und gerade deshalb die starke Tendenz hat, sich auf seinem Nominalwert zu erhalten, besonders durch die Annahme zum Nennwert bei den Ausgebern und ihren Schuldnern. Statt dessen sah er auch solche freien Banknoten oder andere Zahlungsmittel bloß als inflationäre Mehrausgaben von Geld an, und als ganz betrügerisch. In dieser Hinsicht war er immer noch in der alten Goldeinlösungsidee stecken beblieben, so wie die meisten anderen Libertären. In dieser Beziehung sind primitive und veraltete Ideen und Traditionen auch bei diesen Leuten immer noch vorherrschend. -  Was hier in der Vergangenheit als gut genug erschien, wenn ehrlich verwaltet, das soll auch für die Zukunft, nach diesen Leuten, das einzig mögliche, erlaubte und ehrliche sein. Sie wollen immer noch ein einheitliches und ausschließliches Zahlungsmittel, nämlich das, welches sie für das beste halten. Solche Scheuklappen Gesichtspunkte bringen uns nicht weiter. - Jedoch: Gold für "Goldbugs" aber freie Goldwertverrechnung und ihre Zeichen oder Symbole für alle die es wollen oder damit zufrieden sein würden - und alle anderen Alternativen ebenfalls, also alle Geldfreiheitsmöglichkeiten, aber alle nur für freiwillige Zahlungsgemeinschaften. Keine territorial aufgezwungene Geld-, Währungs, Kredit- und Verrechnungsgesetzgebung für alle. Die Betrugsparagraphen genügen gegen wirkliche Betrügereien. - J.Z., 2.7.05.)

 

jz8: (J.Z.: "Vermindern statt "bessern"? Hier hätte er erwähnen sollten, daß das despotische Zentralbanksystem, mit seinen inflationären und deflationären Folgen, zum großen Teil durch das Kommunistische Manifest propagiert worden ist, und dort gerade als ein unwirtschaftliches Mittel um den "Kapitalismus" zu stürzen. - J.Z., 2.7.05.)

 

jz9: (J.Z.: "betraf"? statt "betrug"? Natürlich, ein Betrug lag hier auch vor, insofern, als die Opfer des           Systems um ihre wirtschaftlich wichtigsten individuellen Rechte betrogen wurden. - J.Z., 4.7.05.)

 

jz10: (J.Z.: Noch klarer würde diese Situation sein unter dem Genossenschafts-Sozialismus, der auch Genossenschafts-Kapitalismus oder Eigentums- und Marktwirtschaft innerhalb von produktiven Betrieben genannt werden könnte, und verwechselt werden sollte mit dem "Genossenschaftssozialismus" von Gleichheits-Fanatikern, die nur wenig vom Geschäft, vom Eigentum, vom Markt und den individuellen wirtschaftlichen Menschenrechten verstehen, wenn überhaupt etwas und denen es mehr darum geht auch verdiente Gewinne von anderen zu verhindern, nur weil sie größer sind als die eignen, als selbst die größtmöglichen Gewinne aus der eigenen Arbeit, dem eigenen Eigentum und dem eigenen Denken zu erzielen. - J.Z., 4.7.05.)

 

jz11: (J.Z.: Jetzt gibt es auch sehr viele Konserven. Aber Versuche, Preise zu erhöhen dadurch, daß man solche oder andere haltbare Konsumgüter zurückhält, enden wohl meist als fehlgeschlagene Spekulationen, es sei denn, man wird "geschützt" als ihr Besitzer gegen billigere Angebote von anderen. - J.Z., 3.7.05) 

 

jz12: (J.Z.: Ausgenommen bei den Zuständen einer galoppierenden Inflation. - J.Z., 3.7.05.)

 

jz13: (J.Z.: Dieser Punkt ist hier nicht geklärt. Warum muß der andere Betrieb derselben Industrie dann mehr Arbeiter einstellen. Ich vermute eher, daß das Gegenteil der Fall sein würde. - J.Z., 3.7.05.)

 

jz14: (J.Z.: Natürlich dachte Rittershausen hier nur an die Planung privater Leute, nicht von Bürokraten. -  Hier stehen nicht nur die Bürokratisierung und staatliche "Regulierung" des Kapitalmarktes entgegen und die üblichen Schwierigkeiten die die Gewerkschaften machen bei Lohnsenkungen 

            [Diese Senkungen werden durch Rationalisierungen manchmal möglich und, vorübergehend, nötig. Facharbeiter können, z.T., durch bessere Maschinen und weitere Arbeitsteilung für billigere Arbeitskräfte ersetzt werden. Aber, auf längere Sicht und im Allgmeinen führen Rationalisierungen zur Erhöhung von Löhnen dadurch, daß sie den Arbeitern mehr "eiserne Sklaven" zur Verfügung stellen und sie dadurch noch viel produktiver machen. Das läßt sich schon bei Handwerkern beobachten, denen jetzt viel bessere Werkzeuge und Materialien zur Verfügung stehen, so daß sie dieselben Arbeiten jetzt oft besser oder wenigstens schneller machen können und dadurch mehr pro Stunde verdienen können. Natürlich werden Arbeiter und Fachkräfte in diejenigen Betriebe abwandern, die ihnen die höchsten Löhne und andere Vergütungen bieten können - gerade weil sie ihre Betriebe sehr rationalisiert haben, so daß verhältnismäßig wenige Arbeiter und mittlere Angestellte genau so viel produzieren können wie früher ganze Heerscharen von ihnen.] 

sondern auch z.B. die Lizenzzwänge, die oft dazu führen, daß die Neuausgabe von Kapitalsicherheiten und die Genehmigungen für neue Kapitalbauten auf Monate bis Jahre verzögert werden, währenddessen aber die von Ri. beschriebene Arbeitslosigkeit durch Rationalisierungen besteht.

Nur wenn auch alle diese und andere Hemmnisse beseitigt werden [Gibt es über die schon eine komplette Liste?] und neue Arten von Unternehmen sogleich geschaffen und finanziert werden können, d.h., dem Unternehmungsgeist, auch dem von produktiven Genossenschaftlern, keine engen Schranken mehr gesetzt werden, dann könnten die bei einem Betriebe entlassenen Arbeiter auch sofort wieder in einem anderen Betriebe - oder im Bau eines neuen Betriebes beschäftigt werden.

Dazu kommt die Schwierigkeit, ja sogar Unmöglichkeit durch eine einzige zentrale Notenbank jederzeit genügend Lohn- und Gehaltszahlungsmittel zur Verfügung zu stellen. Das letztere Thema behandelte Rittershausen in einem besonderen langen Aufsatz, der jetzt auf der Website www.reinventingmoney.com zugängig ist, nicht nur auf meinen PEACE PLANS Mikrofiche: "Unemployment as a Problem of Turnover-Credits and the Supply of Means of Payment", 1934, 1979, 44 pages.  Über diese bürokratischen und ganz unwirtschaftlichen künstlichen Schwierigkeiten siehe in neuerer Zeit zwei Bücher von de Soto, besonders and südamerikanischen Beispielen gezeigt, die u.a. von Laissez Faire Books vertrieben werden. - Aber leider gibt es auch in den "entwickelten" Ländern allzu viele Beispiele von produktionsverhindernden Staatseinmischungen.

Unter völliger Wirtschaftsfreiheit wäre Arbeitermangel die Regel, nicht die Ausnahme. Löhne oder Gehälter könnten dann aber auch so hoch werden, daß viele es vorziehen würden nur Teilarbeit zu leisten oder zwischen verschiedenen Beschäftigungen lange Ferien zu nehmen oder sich schon frühzeitig zur Ruhe zu setzen. Viele Tendenzen in dieser Richtung bestehen sogar heute schon, obwohl immer noch ein großes Ausmaß an Arbeitslosigkeit besteht, nur zum Teil dadurch, daß sie unterstützt wird - ohne Rückzahlungspflicht. - J.Z., 3. 7. 05.)

 

jz15: (J.Z.: Hierbei ist zu beachten, daß dieser Finanzierungsprozeß in Deutschland vor dem 1. Weltkrieg unter einer stabilen Währung vorgenommen wurde. Termin-Risiken wurden dabei übernommen aber kein Währungsrisiko.

Wenn, wie Rittershausen in "Der Neubau des deutschen Kreditsystems" beschreibt, Depositen nicht mehr hoch belohnt werden, über das Ausmaß hinaus zu dem sie wirklich kurzfristig angelegt werden können, dann würden Sparer, die hohe Zinsen ernten wollen, sich auf den Markt von Wertpapieren begehen müssen und könnten dort, ohne Terminrisiko, ihr Geld langfristig anlegen oder, wenn nötig, durch Verkäufe ihrer Wertpapiere auf der Börse mobilisieren. - Diese Industriekredite ware auch relativ kurzfristig und wurden in häufigen Raten abgetragen. Auch machten sie für viele Betriebe nur einen verhältnismässig kleinen Teil ihrer laufenden  Unkosten aus. Ihre bereits bestehenden Anlagen produzierten weiter. - J.Z., 3.7.05.)           

 

jz16: (J.Z.: Hierbei ist zu beachten, daß dieser Finanzierungsprozeß in Deutschland vor dem 1. Weltkrieg unter einer stabilen Währung vorgenommen wurde. Termin-Risiken wurden dabei übernommen aber kein Währungsrisiko.

Wenn, wie Rittershausen in "Der Neubau des deutschen Kreditsystems" beschreibt, Depositen nicht mehr hoch belohnt werden, über das Ausmaß hinaus zu dem sie wirklich kurzfristig angelegt werden können, dann würden Sparer, die hohe Zinsen ernten wollen, sich auf den Markt von Wertpapieren begehen müssen und könnten dort, ohne Terminrisiko, ihr Geld langfristig anlegen oder, wenn nötig, durch Verkäufe ihrer Wertpapiere auf der Börse mobilisieren. - Diese Industriekredite ware auch relativ kurzfristig und wurden in häufigen Raten abgetragen. Auch machten sie für viele Betriebe nur einen verhältnismäßig kleinen Teil ihrer laufenden  Unkosten aus. Ihre bereits bestehenden Anlagen produzierten weiter. - J.Z., 3.7.05.)           

 

jz17: (J.Z.: Bei Kriegszuständen, Erdbeben, Fluten, großen Bränden etc. sind, wenigstens örtlich, große Vorräte von Konsumgütern für diese Zwecke nicht vorhanden. Sie könnten aber bei Verkehrssicherheit, Wertbeständigkeit, in Abwesenheit von bürokratischen und nationalistischen Schranken und unter Steuerfreiheit sehr schnell herangeschafft werden, bestens als Warenkredite, die künftig durch Warenlieferungen oder entsprechende Gutscheinausgaben oder Verrechnungen abzutragen sind. - Auf dieser Grundlage könnte auch eine Versicherung gegen Naturkatastrophen geschaffen werden, wie U. v. Beckerath mehrfach vorschlug. - J.Z., 3.7.05.

 

jz18: (J.Z.: Ich glaube, daß dieser Aufsatz mir auch noch fehlt in meiner Sammlung seiner Aufsätze. Aber genau wissen kann ich das erst wenn ich dazu komme alle diese Aufsätze bibliographisch zusammenzustellen - oder, in einer vollständigen Bibliography seiner Schriften, als bei mir vorhanden zu kennzeichnen. - J.Z., 3.7.05. )

 

jz19: (J.Z.: Diesen Titel hatte ich früher auf Mikrofiche untergebracht und er wird jetzt der nächste sein unter meinen allzu vielen Digitisierungsaufgaben. Parlamentswesen, Volkswirtschaft, Buchverleger,  Zeitschriften, andere Massenmedien und auch das Internet haben bisher versagt solche wichtigen Titel stets und billig allen Interessenten zugängig zu machen.  - J.Z., 3.7.05.)

 

jz20: (J.Z.: Wenn die Reparationen wirklich, im Verhältnis zum Volkseinkommen, sehr hoch gewesen wären, dann hätten sie nicht Arbeitslosigkeit sondern Überarbeitung für das deutsche Volk bedeutet, z.B. durch einen 16- Stundentag und Arbeit auch am Wochenende! Logik ist auch in der Volkswirtschaft unentbehrlich. - J.Z., 3.7.05.)

 

jz21: (J.Z.: Die Absurdität eines Vorschlages kann oft am Besten durch einen Grenzfall gezeigt werden: Sollte man etwa vorschlagen, daß nicht nur Millionen von zusätzlichen "Arbeitsplätzen" sondern sogar Milliarden geschaffen werden könnten, nur dadurch, daß man die vorgeschriebene tägliche Arbeitszeit auf eine Stunde, Minute oder gar Sekunde senken würde? - J.Z., 3.7.05.)

 

jz22: (J.Z.: Kein glücklicher Ausdruck! "nicht produktiv beschäftigt? - J.Z.)

 

jz23: (J.Z.: Notpreise. "emergency sales prices" oder "auction prices".)

 

jz24: (J.Z.: Ich wuchs in der Ebert Siedlung im Wedding auf, damals bald darauf gebaut. - J.Z.)

 

jz25: Seitenangabe wäre hier noch einzufügen. Bei kurzen Depositen gegeben verhindert er die Kapitalbildung, bei Wertpapieren ermutigt er sie. - J.Z., 5.7.05.)

 

jz26: (? - nur gesetzlich, nicht wirtschaftlich. - J.Z.)

 

jz27: (J.Z.: Hier wendet R. immer noch einen falschen Währungsbegriff an. Ein Wertmaß wird nicht dadurch verändert, daß man große Schulden hat. Man braucht seine Schulden auch nicht in Goldmünzen sondern nur in Goldwerten zu zahlen, z.B. in privaten Zahlungsmitteln die auf dem Paristand stehen mit ihrem nominalen Goldgewichtswert. Und dieser Paristand kann nicht nur durch Einlösung in Goldmünzen erreicht werden sondern durch Einlösung zum Nennwert in Waren und Dienstleistungen sowie Schuldquittungen, die ebenfalls in Goldgewichtswerten aus-gezeichnet sind. - Werden die "Goldbugs" noch weitere Jahrzehnte brauchen, um das einzusehen? - J.Z., 3.7.05.

 

jz28: (J.Z.: Wie Deutschland durch Aufnahme von langfristigen Anleihen über den Betrag seiner bisherigen kurzfristigen Auslandsverschuldung hinaus plötzlich zu einem Gläubigerlande werden würde ist mir nicht klar. Es sei denn dieser Anleiheüberschuß wäre im Inlande aufgenommen und dann im Auslande angelegt. Aber diesen Guthaben im Auslande stünden dann immer noch die interne Anleiheverpflichtung gegenüber. - Selbst Rittershausen hat sich nicht immer klar genug ausgedrückt, wenigstens für mich nicht. - J.Z., 3.7.05.)

 

jz29: (J.Z.: Für mich hat er sich hier nicht klar genug ausgedrückt. Warum soll das Umsatzkreditgeschäft sehr viel Mühe und Kosten verursachen, wenn es sich für eine freie Notenbank nur um Umwandlung von guten Handelswechseln in zum Umlauf geeignetere Banknoten handelt und wenn keine metallische Einlösung für diese gestückelten Wechsel versprochen wird? Warum soll eine Notenbank Zinsen zahlen für Gelder im Umsatzgeschäft, wenn sie solche Gelder für das Umsatzgeschäft nicht braucht? - Verkehrt die Zentralnotenbank wirklich viel direkt mit der Kundschaft in einem ganzen Lande?- J.Z., 3.7.05.)

 

jz30: (J.Z.: Warum erwähnt er hier nicht, daß der Umsatzkredit keine Anlage von Sparmitteln braucht sondern aus sich selbst heraus flüssig gemacht werden kann, traditionell durch "Wechselstückelung" oder, im Prinzip, durch Verrechnung? - J.Z., 4.7.05.)

 

jz31: (J.Z.: Eine volkswirtschaftliche Wissenschaft, die sich ganz ernst nimmt, würde alle Krisentheorien zusammenstellen und ausführlich diskutieren, um sie entweder genügend zu kritisieren oder zu beweisen. Von solchen Versuchen ist mir bisher nichts bekannt geworden. Infolgedessen schwirren immer noch die unsinnigsten Hypothesen herum und werden allzu weitgehend als richtig betrachtet. - J.Z., 7.4.05.)