Lieber Herr Dr. Berger

27.6.56

 

es war meine Absicht, Ihnen ganz ausfuehrlich darzulegen, weshalb ich als Verfasser des Artikels "Geldentwertung" in dem von Herrn Dr. Pinke beabsichtigten Versicherungslexikon nicht in Frage komme. Aber, mein Befinden ist z. Zt. schlecht, und ich kann den Brief, der lang werden wuerde, jetzt nicht schreiben. Ich muss mich auf ein paar allgemeine Bemerkungen beschraenken.

      Wer ein Fach-Lexikon zu Rate zieht, der erwartet, darin die zur Zelt der Herausgabe des Lexikons herrschende Meinung der Fachwelt zu finden. Was er nicht erwartet und nicht wuenscht, das ist, eine Ansicht vertreten zu finden, die der allgemeinen ganz und gar entgegengesetzt ist. Ich kann mich aber der herrschenden Meinung ueber das Wesen der Geldentwertung, ihre Entstehung und ihre Bekaempfung in keinem Punkte anschliessen, und teile die aelteren Meinungen.

 

Punkt 1) die herrschende Meinung geht dahin, dass Inflation und Teuerung nur zwei Worte fuer ein und dieselbe Sache seien. Daher spricht man jetzt in der ganzen Welt von einer Bekaempfung der Inflation und meint damit Bemuehungen, das allgemeine Preisniveau zu senken.

 

Punkt 2)  Auch Waehrung und Preisniveau werden jetzt in der ganzen Welt als Synonyma angesehen. Wer dazu beitraegt, die Preise zu erhoehen, der wird als Verschlechterer der Waehrung hingestellt, von Ministern nicht weniger als von Professoren. Wenn ein von Lexis examinierter Student den Unterschied zwischen Preisniveau und Waehrung nicht gekannt haette, so wuerde Lexis ihn ohne weiter zu examinieren, durch’s Examen haben fallen lassen.

 

Punkt 3)  Die Vermehrung des Papiergeldes, nachdem es mit Zwangsumlauf und Zwangswert ausgestattet ist, wird heute als eine so gleichgueltige Sache angesehen, dass niemand darueber spricht. Noch vor weniger als einem Menschenalter aber galt gerade das als das fuer die Geldentwertung wichtigste Moment.

 

Punkt 4)  Heute gilt es als eine Selbstverstaendlichkeit, dass der Wert des Geldes abhaengig ist vom Vertrauen, welches das Volk in diesen Wert setzt. Einem wirklichen Waehrungsfachmann, wie Lexis oder Adolf Wagner waere das so vorgekommen, als ob einer die Laenge des Meters oder der Sekunde dadurch herabsetzen koennte, dass er kein Vertrauen zu diesen Masseinheiten hat.

 

Punkt 5)  Heute gilt es als ganz selbstverstaendlich, dass die Defizitwirtschaft einer Regierung ganz unmittelbar die von der Regierung beherrschte Waehrung verschlechtert. Frueher fuerchtete man in einem solchen Fall zwar einen Staatsbankrott, aber keine Waehrungsverschlechterung, und sagte: Das Defizit mag fuer unehrliche Staatslenker zwar ein Motiv sein, die Staatsschulden mit neu ausgegebenen Zwangskursnoten zu bezahlen. Eine Ursache zur Verschlechterung des Geldes oder zur Erhoehung der Preise ist das Defizit keineswegs. Ich habe festgestellt, dass manche meiner Bekannten, durchaus gebildete Leute, gar nicht wissen, was ein Staatsbankrott ist. Es sind auch Versicherungsfachleute darunter. Denen nehme ich's uebel, denn der wirklich nicht unbekannte Prof. Manes hat ein prachtvolles Buch ueber Staatsbankrott geschrieben; das sollte in der Versicherungsfachweit nicht so unbekannt sein, wie es das in Wirklichkeit ist.

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Was es zum Beispiel fuer denjenigen Teil der Krankenversicherung bedeutet, der Sachleistungen gewaehrt, wenn diese Sachleistungen erheblich im Preise steigen,  das brauche ich gerade Ihnen nicht darzulegen. Gewiss ist, dass in einem solchen Falle irgendetwas unternommen werden muss, wenn die Versicherungsgesellschaft dem Bankrott entgehen will. Was unternommen werden muss, wird man sehr verschieden beurteilen, je nachdem man die jetzt herrschende Meinung ueber Geldentwertung gelten laesst, oder ob man die aeltere Meinung fuer richtig haelt.

 

Das Volk und sogar die Fachleute in allen Branchen sind so gewohnt, das Neue immer auch fuer das Bessere zu halten, dass sie einem Anhaenger aelterer Ansichten in guenstigsten Falle fuer einen Querkopf halten, wahrscheinlich ihn aber einfach fuer verrueckt erklaeren werden. Massnahmen zu Vermeidung von Schaeden aus der Geldentwertung kann man daher heute in Schriften irgendwelcher Art nur dann empfehlen, wenn die vorgeschlagenen Massnahmen den neueren Ansichten nicht widersprechen.

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      Die allgemeine Annahme der neueren Ansichten UEber Geld, Geldwert und was damit zusammenhaengt, hat aber eine Gefahr bewirkt, die jeden einzelnen von uns angeht: es ist die Verschlechterung der Altersversorgung als unausbleibliche Wirkung des gegenwaertigen Zustandes des Geldwesens. Die Verfassung dieses Geldwesens ist ja ganz und gar durch die neueren Ansichten bestimmt. Was man heute ueber Wertbestaendigkeit der Altersrenten hoert und liest, Indexrenten u. dgl. das sind Wuensche-. Man mag diese Wuensche auch in einem neuen System zum Ausdruck bringen. Dieses System muss aber versagen, wenn die Notendruckerei in dem Tempo fortgesetzt wird, wie bisher. Dann werden mehr als 3/4 der sich heute halbwegs versorgt Glaubenden bitteren Hunger leiden, und das Geld, um die immer teurer werdenden Gegenstaende taeglichen Bedarfs zu bezahlen, wird von der Regierung einfach nicht mehr aufgebracht werden koennen. Warum nicht? Ich hoffe, Ihnen darueber noch meine Meinung mitteilen zu koennen.

 

Ein "Vorspuk" dessen, was auch in Deutschland eintreten wird, das ist die immer schwieriger werdende Aufrechterhaltung der Indexloehne in Finnland. Viele Fabrikanten erklaeren jetzt schon, dass sie keine Indexloehne mehr zahlen koennen und verlangen voellige Vertragsfreiheit fuer Arbeitsvertraege. (Dass einer die Abschaffung der den Lohnempfaengern immer nachteiligen Papierwaehrung verlangt haette, habe ich noch nicht gelesen.)

 

Soviel fuer heute und in Eile.    

Mit bestem Gruss

Ihr

U.v. Beckerath

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Page 3495-3496.