U.v.Beckerath                                                25.5.1950.       

 

Lieber Herr Quilitz,              (Notiz von Rittershausen: INFLATIONS-BEGRIFF.)

 

als Anlage ueberreiche ich Ihnen mit der Bitte um gelegentliche Rueckgabe die April-Nummer des "Spiegels der Wirtschaft" von Zickert. Der Artikel ueber Markspekulation auf S. 109 ist ganz interessant. Man erkennt daraus, dass die Westmark in Zuerich mal auf 20 Frs. fuer 100 Westmark gestanden hat.  Nach dem "Berliner Wirtschafts-Blatt" vom 19.5., das mir gerade vorliegt, stand am 17.5. die Westmark in Z. auf rd.  .80 Frs. Hier liegt einer der zahlreichen Beweise dafuer vor, dass die "Praktiker" an den Boersen fast immer zu spaet erkennen, was eigentlich "los ist". Waeren die Boersianer in Z. wirkliche Praktiker gewesen, so haetten sie die Westmark nie auf 20 Frs. (fuer 100 DM! JZ) sinken lassen. Sie haetten vielmehr schon bei 60 Frs. jede erreichbare Westmark gekauft.

      Zickert gibt als Paritaet eine Relation von ungefaehr 104 Frs. fuer 100 Westmark an.  Das stimmt insofern, als der Kurs des Schweizer Franken nach der Abwertung i.J. 1936 sich in Berlin Ultimo 1937 auf 57,47 Pfennig stellte, andererseits die Westmark nach der Abwertung rd. 59 alte Goldpfennige wert war, wenn man fuer den Dollar einen Goldwert von 35 Papierdollar fuer eine Unze Troy Feingold gelten laesst. Die Westmark ist ja offiziell gleich 23,8 Dollarcents, und die Troy-Unze enthaelt 31,1 Gramm. Zu dieser Berechnung ist aber doch einiges zu sagen, mag sie auch zurzeit passabel scheinen.

      Zunaechst: Weder in der Schweiz noch in den USA werden freie, d.h. von Privatleuten wirklich gezahlte Goldpreise bekannt gemacht. In den USA ist sogar ein freier Goldmarkt im Sinne von 1913 verboten, bzw. der (das? JZ) Federal Reserve Board kann zu jeder Zeit eingreifen, wenn irgendeine Firma eine Masche im Gesetz entdeckt und doch Feingold verkauft. Die Relationen Gold zu Papier beziehen sich nur auf Ankaufspreise. Die konstituieren aber keine Goldwaehrung, das Wort im Sinne von 1913 genommen. Sie erinnern sich, dass der Goldankaufspreis der Reichsbank noch laengere Zeit nach 1918 offiziell 20 Mark Papier fuer ein 20-Mark-Goldstueck betrug.

      Der Verkaufspreis fuer Gold ist z. Zt. gar nicht festzustellen. Der Londoner "Economist" schrieb vor ein paar Wochen, Feingold kostet nur noch rund 38 Papierdollars pro Troy-Unze am freien Markt. Aber kurz zuvor wurde aus Chile gemeldet, dass Chilenische Goldmuenzen fuer 47 Papierdollars nach New York verkauft wurden. (City Press) Von den Philippinen wurde fast gleichzeitig ein Preis von 57 Papierdollars gemeldet.

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      Wenig gefallen hat mir, dass Zickert anfaengt, das Wort "Inflation" in dem Sinne zu gebrauchen, wie es jetzt in den USA, in England und leider auch in Deutschland gebraucht wird. Da heisst jede Preiserhoehung, jede Vermehrung der Staatsausgaben und sogar eine Erhoehung der Zinsen einfach "Inflation". Jahrzehntelang aber war die Bedeutung des Wortes: "Vermehrung von Zwangskursgeld ueber den Betrag hinaus, den der Verkehr aufnehmen wuerde, wenn das Geld keinen Zwangskurs haette sondern einen freien Kurs." Diese einfache und klare Definition passte aber niemanden in den Kram, als die Inflation in allen Laendern eine Wirklichkeit wurde. Die Professoren hielten es, mit wenigen ruehmlichen Ausnahmen, fuer ihre patriotische Pflicht zu lehren: Die Vermehrung des Geldes hat mit dem Preisniveau gar nichts zu tun; umgekehrt: Die Erhoehung der Preise "bewirkt" eine Vermehrung des umlaufenden Geldes - - als ob die Notenpresse sich in Bewegung setzte, ohne dass jemand den Auftrag zum Drucken gegeben haette! Und dann nannten die Professoren in allen Laendern das "Inflation", was doch nur die  Folge der Inflation ist.

Zur Zeit ist es so, dass z.B. die Englaender kein Wort mehr fuer eine Vermehrung des Zwangskursgeldes in dem vorbezeichneten Sinne haben, weil das mal dagewesene Wort dafuer, naemlich Inflation, jetzt fuer Vorgaenge angewendet wird, die man frueher entweder Teuerung nannte oder Ausgaben-Erhoehungen oder Zinserhoehung. Die Englaender sind also jetzt tatsaechlich nicht mehr imstande, ueber die eigentliche Inflation auch nur zu sprechen, geschweige denn ueber Gegenmassnahmen zu beraten.

Der "Economist" vom 20.4.50. bringt unter der Ueberschrift "Inflation in Brazil" folgende Nachrichten:

1.) den Beamten Brasiliens sind Weihnachtsgratifikationen im Betrage von rd. 10 Mill. b bewilligt worden,

2.) das Staatsdefizit fuer 1950 wird auf rd. 70 Mill. b  geschaetzt,

3.) die Lebenshaltungskosten sind gestiegen.

Von einer Vermehrung des Geldumlaufs ist nichts berichtet, und nur die wuerde die Bezeichnung "Inflation" rechtfertigen.

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Ein  Wort  bereit haben, das die Vermehrung des Zwangskursgeldes ueber den Betrag hinaus bezeichnet, der sich ohne Zwangskurs ohne Entwertung im Verkehr halten kann, ist von allergroesster Wichtigkeit. Da wo ein solches Wort fehlt, da kann jede Sozialreform dadurch zunichte gemacht werden, dass die Regierung die Notenpresse ankurbelt und dem Volke seinen Arbeitsertrag auf dem Umweg ueber die inflatorische Preissteigerung stiehlt. Das Volk kann ja die eigentliche Natur eines solchen Vorgangs nicht erkennen und kann auch nicht darueber sprechen, eben weil ihm die Terminologie dazu fehlt.

      In England ist es so weit, dass es nicht einmal ein Wort fuer Zwangskurs in der englischen Sprache gibt. Frueher gab es immerhin die Worte "Fiat Money" und "Forced Currency", die Zwangskursgeld bezeichnen. Das Wort "fiat money" ist in Webster's 2 1/2 Kilo wiegendem "Complete Dictionary" ueberhaupt nicht enthalten. Im Commercial Dictionary von Eitzen, Auflage 1923, ist in dem immerhin 1052 Seiten enthaltenden, Englisch-Deutschen Teil das Wort "Fiat-Money" durch "Reichsdarlehenskassenschein" uebersetzt, damit also die Sache als eine spezifisch deutsche Einrichtung bezeichnet. Steneberg, "Handwoerterbuch des Finanzwesens in deutscher und englischer Sprache" bringt zwar eine richtige Uebersetzung, sagt aber dass der Ausdruck amerikanisch sei. In der englischen Literatur sind nur die Woerter seit Jahren nicht vorgekommen.

Der alte, volkswirtschaftliche Lehrsatz: "Man kann nur mit Zwangskurs inflationieren" ist im England von heute nicht nur nicht anerkannt sondern ganz unbekannt. Das bestaetigte mir einer der allerbesten Kenner der englischen, geldtheoretischen Literatur, naemlich Henry Meuten, Verfasser von "Eree Banking".

In Deutschland vertritt nur Rittershausen den Satz, in wirklich Splendid Isolation.

Das hat alles nicht nur theoretische Bedeutung. Da, wo ein Volk oder wenigstens seine geistigen Fuehrer den Satz kennen und anerkennen, da werden Volk und Fuehrer im Falle einer Preissteigerung sofort fragen: Kommt die von der Geldseite her, oder hat sie anderswo ihre Ursache? Wo der Satz unbekannt ist, da verlangen Volk und Fuehrer sofort gesetzliche Hoechstpreise, Behoerden um die durchzusetzen, Lohnsenkungen und solchen Kram, und verlangen das auch da, wo die Preissteigerung auf wirklichen Mangel zurueckzufuehren ist, wo es also nur ein Mittel gibt, die Versorgung zu verbessern: Hoehere Preise, durch welche Produktion und Import angeregt werden.

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Eine der Aufgaben der Sozialreformer unserer Zeit muss sein, die  Sprache, in der man noch vor 100 Jahren alles Wesentliche der Volkswirtschaft und des Geldwesens leicht und genau ausdruecken konnte, zu erhalten und allen Versuchen unwissender Zeitungsschreiber und urteilsloser Professoren, uns ihre Sprache aufzuzwingen. Widerstand leisten.

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Dass auch in Russland Wort und Sinn der Inflation verloren gegangen sind, das ist nicht verwunderlich. Noch Trotzki gebraucht die Woerter "Inflation" und "Deflation" ganz richtig, wenn er auch beides nicht richtig einschaetzt. (Er sagt in einer mir verbrannten Schrift, die er nach seiner Verbannung publizierte, dem Sinne nach: Inflation ist natuerlich verwerflich, aber Deflation, das ist 'ne Sache!!)

In einer mir verbrannten finanztheoretischen, sowjetischen Schrift las ich vor dem Kriege, dass die schlimmen Wirkungen der Inflation in kapitalistischen Staaten in Russland durch Nicht-Erfuellung des Planes eintreten koennten. Bummler seien also in Russland als Waehrungsverbrecher anzusehen. Gewiss sind die Worte und der zugehoerige Sinn von "Freier Kurs" in Russland ganz unbekannt, wenigstens bei der juengeren Generation.

 

Bei der Gelegenheit: In der ganzen Welt wird das russische Wirtschaftssystem als "Kommunismus" bezeichnet. Das ist insofern ganz irrefuehrend, als das Privateigentum in Russland voellig anerkannt ist, soweit es nicht solche Produktionsmittel betrifft, deren Besitz dem Besitzer ein Monopol verleiht. Das ist ein ganz gesunder Grundsatz, den z.B. auch Rittershausen vertritt. Aber sehr zu beanstanden ist die Durchfuehrung des Grundsatzes. Die Durchfuehrung geschieht durch Staatskapitalismus. Dieses Wort bezeichnet am genauesten das russische Wirtschaftssystem. Die russischen Oekonomisten bestehen allerdings darauf, das System Stalinismus zu nennen. Damit koennte man einverstanden sein und definieren:

Stalinismus ist Staatskapitalismus mit KZ, eigentlicher

Marxismus aber ist Staatskapitalismus ohne KZ.

 

Rittershausen stellt dem Staatskapitalismus folgende Forderungen entgegen:

1.) Einschraenkung der Monopole bis zur Grenze des technisch Moeglichen durch eine moeglichst leistungsfaehige Produktionsgueter-Industrie, die jeder Gruppe, die sich ernstlich darum bemueht, die Produktionsgueter verschafft, die sie gebraucht.

2.) Ein Kreditsystem, das die Anschaffung von Produktionsguetern allen denen ermoeglicht, die sie mit Vorteil zu gebrauchen wissen,

3.) Ausgleichung der dann noch verbleibenden Nachteile durch Monopolisierung von Produktionsguetern (Gaswerken, Elektrizitaetswerken u. dgl.) in der zur Zeit bewaehrtesten Form: Ausgleichung durch Besteuerung, durch demokratische Kontrolle und moeglichst weitgehende Oeffentlichkeit der Betriebsfuehrung.

Rittershausen zeigt am Beispiel des durch die Autos gebrochenen Eisenbahnmonopols, dass seine Theorie durchaus Fundament hat. Das Monopol der El.-Werke will er durch Nutzbarmachung der Windkraft brechen, wie es in den USA schon in sehr weitem Masse geschehen ist, allerdings nur in der Landwirtschaft.

Man kann beinahe sagen, dass in Russland das Monopol der Gaswerke durch Spirituskocher gebrochen ist ("Primus-Kocher" heissen sie da allgemein), allerdings aus ganz andern Gruenden als aus Anti-Monopol-Erwaegungen heraus.

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Mit bestem Gruss

Ihr

gez. U.v.Beckerath.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 440 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 1507-1508.